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Der Tod wird euch verschlingen E-Book

Peter Tremayne

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Beschreibung

Fidelma ermittelt in Feindesland.

Als König Colgú von Cashel erfährt, dass sein erster Bischof und Ratgeber Abt Segdaé in Feindesland ermordet wurde, schickt er sofort Fidelma und Eadulf dorthin. Doch man hat den Mörder bereits gefunden und will ihn hinrichten: Gormán, den Chef der königlichen Leibgarde, ein alter Freund der beiden. Es wird nicht leicht, den wahren Mörder und seine Hintermänner zu entlarven und Gormán vor der Hinrichtung zu retten ...

„Wer einen Roman von Peter Tremayne gelesen hat, der möchte sie alle lesen.“ NDR.

„Fans auf der ganzen Welt lieben diese Geschichten.“ Miroque.

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Über Peter Tremayne

Peter Tremayne ist das Pseudonym eines anerkannten Historikers, der sich auf die versunkene Kultur der Kelten spezialisiert hat. Seine im 7. Jahrhundert spielenden Romane mit Schwester Fidelma sind zurzeit die älteste und erfolgreichste historische Krimiserie auf dem deutschen Markt. Fidelma, eine mutige Frau von königlichem Geblüt und Anwältin bei Gericht, löst darin auf kluge und selbstbewusste Art die schwierigsten Fälle. Wegen des großen internationalen Erfolgs der Serie wurde Peter Tremayne 2002 zum Ehrenmitglied der Irish Literary Society auf Lebenszeit ernannt.

Im Aufbau Taschenbuch erschienen bisher »Die Tote im Klosterbrunnen« (2000), »Tod im Skriptorium« (2001), »Der Tote am Steinkreuz« (2001), »Tod in der Königsburg« (2002), »Tod auf dem Pilgerschiff« (2002), »Nur der Tod bringt Vergebung« (2002), »Ein Totenhemd für den Erzbischof« (2003), »Vor dem Tod sind alle gleich« (2003), »Das Kloster der toten Seelen« (2004), »Verneig dich vor dem Tod« (2005), »Tod bei Vollmond« (2005), »Tod im Tal der Heiden« (2006), »Der Tod soll auf euch kommen« (2006), »Ein Gebet für die Verdammten« (2007), »Tod vor der Morgenmesse« (2007), »Das Flüstern der verlorenen Seelen« (2007), »Tod den alten Göttern« (2008), »Das Konzil der Verdammten« (2008), »Der falsche Apostel« (2009), »Eine Taube bringt den Tod« (2010), »Der Blutkelch« (2011), »Die Todesfee« (2011), »Und die Hölle folgte ihm nach« (2012), »Die Pforten des Todes« (2012), »Das Sühneopfer« (2013), »Sendboten des Teufels« (2014) und »Der Lohn der Sünde« (2015).

Mehr Informationen unter www.sisterfidelma.com

Irmhild und Otto Brandstädter, Jahrgang 1933 bzw. 1927, haben Anglistik an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, waren im Sprachunterricht bzw. im Verlagswesen und kulturpolitischen Bereich tätig. Sie übertrugen Werke von Sean O’Casey, Jack London, John Hersey, Masuji Ibuse, Louisa May Alcott, Charles M. Doughty, John Keane, Joseph Caldwell sowie Historio-Krimis von Amy Myers, Ingrid Parker und Peter Tremayne ins Deutsche.

Informationen zum Buch

Fidelma ermittelt in Feindesland.

Als König Colgú von Cashel erfährt, dass sein erster Bischof und Ratgeber Abt Segdaé in Feindesland ermordet wurde, schickt er sofort Fidelma und Eadulf dorthin. Doch man hat den Mörder bereits gefunden und will ihn hinrichten: Gormán, den Chef der königlichen Leibgarde, ein alter Freund der beiden. Es wird nicht leicht, den wahren Mörder und seine Hintermänner zu entlarven und Gormán vor der Hinrichtung zu retten.

»Wer einen Roman von Peter Tremayne gelesen hat, der möchte sie alle lesen.« NDR

»Fans auf der ganzen Welt lieben diese Geschichten.« Miroque.

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Peter Tremayne

Der Tod wird euch verschlingen

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter

Inhaltsübersicht

Über Peter Tremayne

Informationen zum Buch

Newsletter

Dramatis personae

Fidelmas Welt

Vorbemerkung des Autors

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Impressum

Gewidmet Jonathan und Helen Peppiatt und selbstverständlich auch George und Conniea

Si enim nocui, aut dignum feci, non recuso mori;

si vero nihil est eorum, quae hii accusant me

nemo potest me illis donare…

Lateinische Übersetzung des Hieronymus, 4.Jahrhundert Vulgata, Actus apostolorum, 25,11

Habe ich aber jemand Leid getan und des Todes wert gehandelt,

so weigere ich mich nicht, zu sterben¸

ist aber der keines nicht, des sie mich verklagen,

so kann mich ihnen niemand übergeben…

Apostelgeschichte 25,11

Hauptpersonen

Schwester Fidelmavon Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulfvon Seaxmund’s Ham aus dem Lande des Südvolks, ihr Ehemann

Auf der Burg Cashel

Colgú, König von Muman, Fidelmas Bruder

Enda, Krieger der Nasc Niadh, der Leibwache des Königs

Unterwegs im Gebiet der Uí Fidgente

Ciarnat, eine Bedienstete auf der Festung Dún Eochair Mháigh

Conrí, Kriegsherr der Uí Fidgente

Socht, sein Stellvertreter

Auf der Festung Dún Eochair Mháigh

Donennach, Stammesfürst der Uí Fidgente

Brehon Faolchair, sein Oberster Richter

Airmid, Donennachs Schwester und Ärztin auf der Festung

Ceit, cenn-feadhna oder Befehlshaber der Leibgarde Donennachs

Lachtna, ein Wachmann

Gormán, Hauptmann der Leibwache des Königs von Muman

Aibell, Gormáns Ehefrau

Étromma, Ciarnats Mutter

Die Geistlichen auf der Festung und in der Gemeinde Nechta

Abt Nannid, Abt von Mungairit

Bruder Cuineáin, rechtaire oder Verwalter der Abtei von Mungairit

Prior Cuán, airsecnap oder Stellvertreter des Abts von Imleach

Bruder Tuamán, rechtaire oder Verwalter der Abtei von Imleach

Bruder Mac Raith, Schreiber von Imleach

Bruder Máel Anfaid, Schreiber von Imleach

Bruder Éladach, aistreóir oder Pförtner der »Abtei« Nechta

Marban, ein Müller und Aibells Onkel

Deogaire von Sliabh Luachra, Stammesführer der Luachair Deaghaidh

Vorbemerkung des Autors

Das abenteuerliche Geschehen spielt im Monat Meithem, wie er im Altirischen heißt, im »mittleren« Monat, also im Mittsommer oder für uns heute im Juni. Wir befinden uns im Jahr 671.

Die geschilderten Begebenheiten sind in unmittelbarer Folge des Bandes »Der Lohn der Sünde« zu sehen. Wie alle vorangegangenen Fidelma-Geschichten ist auch die vorliegende eine in sich geschlossene Erzählung. Wer aber bereits andere Bände gelesen hat, wird sich an das Unheil brütende Land der Uí Fidgente in »Das Sühneopfer« erinnern und an einige dort agierende Personen. Manche von ihnen spielten auch schon in »Sendboten des Teufels« eine Rolle.

Dún Eochair Mháigh, »die Festung am Ufer des An Mháigh«, den wir heute als den Fluss Maigue kennen, war die Hauptfestung von Fürst Donennach der Uí Fidgente. Heute heißt die Anlage Bruree, das geht zurück auf Bru Ri – das Haus des Königs – und liegt im Südosten der Grafschaft Limerick. Der Name erklärt sich aus der Überlieferung, denn es handelte sich um die einstige Hauptstadt der Könige von Muman – Munster. Die Uí Fidgente betonten beharrlich, von Cormac Cas abzustammen, dem Bruder von Eóghan Mór, dem Begründer der Eóghanacht-Dynastie. Auch bestanden sie darauf, dass Cormac Cas ältere Ansprüche als Eóghan gehabt hätte, und schmückten sich mit dem Beinamen Dál gCais – Nachfahren von Cas – und dem rechtmäßigen Anspruch, Herrscher von ganz Muman zu sein.

Von Zuneigung zwischen den Uí Fidgente und den Eóghanacht hatte nie die Rede sein können, aber erst 963 kam es Berichten zufolge dazu, dass Mathgamain mac Cennétig von den Dál gCais (gestorben 976) Donnchad mac Cellacháin von den Eóghanacht als König von Muman verdrängt hat. Noch innerhalb einer Generation trieb ein dritter Dál gCais König von Muman, Brián Bóruma mac Cennétig (gestorben 1014), den Ehrgeiz seiner Familie auf den Höhepunkt, indem er der Uí Néill-Dynastie ein Ende bereitete und Hochkönig von Irland wurde. Im Jahre 1005 zuerkannte Brián, allgemein als Brián Boru bekannt, Armagh die Vormachtstellung über die irischen Kirchen und entzog sie damit Imleach (Emly). Weiterhin verbindet sich mit seinem Namen sein Sieg über die Wikinger in der Schlacht von Clontarf, den er allerdings nicht mehr erlebte, weil er im letzten Moment von einem zurückweichenden Wikinger getötet wurde.

Keine 100km von Dún Eochair Mháigh entfernt liegt Sliabh Luachra, der Berg der Binsen. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Hügelkette, deren Gipfel eine Höhe von 500m erreichen. Die von den Hügeln umschlossenen sieben Täler sind Sumpfgebiet. Eine unwirtliche Landschaft, geprägt von Binsen und gefährlichem Morast, dazwischen undurchdringliche Wälder, hier und da auch Ackerland, dem die wenigen Bewohner nur spärlichen Ertrag abringen. In früheren Zeiten galt es als schwer einzunehmende natürliche Festung, die Zuflucht bot für mit dem Gesetz in Konflikt geratene Gestrauchelte und wo sich skrupellose Räuber zu Herrschern aufspielten. Die unbarmherzigen Anführer solcher Räuberbanden, die sich als »Könige aus Luachra« bezeichneten, verbreiteten mit ihren Männern Angst und Schrecken, erpressten Abgaben von den Nachbarn, zerstörten und plünderten. Es ist ein Gebiet, das auf eine Geschichte voller Sorgen und Nöte, Angst und Bedrohung zurückblickt. Dennoch ist es ein eindrucksvoller Landstrich.

Schließlich möchte ich den Leser auf eine Besonderheit der »Pönitenzregeln« aufmerksam machen. Sie werden im Allgemeinen den irischen Kirchenvätern zugeschrieben, gehen aber zurück auf von den »Wüstenvätern« geschaffene Regeln, auf Asketen der östlichen Kirchen. Zu ihnen gehörte Johannes der Asket im 6.Jahrhundert. Er kam ursprünglich aus Edessa in Mesopotamien. Viele irische Kirchenmänner, unter ihnen Finnian, Cummian und Colmcille, haben diese oft brutalen Bußregeln übernommen. Erst 829 beschloss ein von Jonas (760–843), Bischof von Orléans, einberufenes Konzil in Paris, die Bußvorschriften abzuschaffen und die Bücher, in denen sie nachzulesen waren, zu verbrennen. Bischof Jonas machte sich auch mit seinem sonstigen Wirken einen Namen. Er vertrat die Ansicht, dass dem fränkischen Kaiser, Karl dem Großen, die Oberhoheit in allen Fragen von Recht und Gesetz zustand und er in dieser Hinsicht auch Macht über die Bischöfe im Frankenreich hatte. Einem solchen Vorrang des weltlichen Herrschers hatten etliche Geistliche im frühen Irland versucht, sich zu widersetzen.

Kapitel 1

Das Wasser war dunkel und ruhig, auch angenehm warm. Es umspülte den jungen Krieger behutsam und einschläfernd. Wie in einem Schwebezustand ließ er sich von der sanften Strömung treiben, gab sich müde und träge den liebkosenden Wellen hin. Ein wohliges Gefühl durchströmte seinen Körper, der gleichsam willenlos dahinglitt.

Zarte Hände berührten die seinen. Dicht neben ihm nahm er schemenhaft die Gestalt seiner Mutter wahr. Zuversichtlich lächelte sie ihm zu. Auf der anderen Seite spürte er den zierlichen Körper des Mädchens, das er liebte. Sie war mit einem anderen Mann verschwunden, und ihretwegen hatte er Cashel verlassen, um ihr nachzueilen und sie für sich zurückzugewinnen. Um ihr nachzueilen – wohin eigentlich? Wo war er? Egal. Weshalb sollte er sich gerade jetzt mit Fragen quälen? Sacht zog ihn das Wasser mit sich fort.

Und doch war da etwas, das tief in seinem Innern keine Ruhe gab. Ein Gefühl der Besorgnis, das er nicht näher erklären konnte oder auch nicht erklären wollte. Aber es war hartnäckig. Er sollte lieber etwas unternehmen und sich nicht hier treiben lassen. Nur, wo war er und was hätte er unternehmen sollen? Er hatte eine Botschaft übermitteln wollen – oder war es mehr eine Warnung gewesen? Was für eine Warnung? Das hatte doch wohl alles nichts mit ihm zu tun, mit diesem wohltuenden Schwebezustand, in dem er sich jetzt befand. Nein, er wollte sich lieber dem tiefen und dunklen Sog hingeben …

Er versuchte, die Zweifel, die unaufhörlich an ihm nagten, zu verdrängen, und drehte sich zu dem neben ihm schwimmenden Mädchen um. Ihr hübsches Lächeln war betörend, lockte ihn, näherzukommen und … Plötzlich verblasste das Gesicht und verwandelte sich in das entstellte, blutverschmierte Gesicht eines Menschen, den er kannte, seit vielen Jahren kannte … Verschwommen erinnerte er sich, die Person war ermordet worden. Nicht er war an dem Mord schuld gewesen.

Jetzt hatte er es! Der Mord! Er war die Ursache für die innere Unruhe, die er nicht hatte deuten können. Er musste Cashel warnen. Fidelma von Cashel warnen. Aber wovor warnen? Vor welchem Mord? Und wessen Mord?

Während es ihm langsam dämmerte, nahm er wie aus der Ferne misstönende Geräusche wahr. Sie kamen näher, und er erkannte sie als grobe Stimmen. Er wollte die Ohren davor verschließen, doch es half nichts, sie wurden lauter, und schließlich waren sie direkt neben ihm.

Und schon erkannte er sie als männliche Stimmen. Gleichzeitig spürte er im Nacken einen stechenden Druck. In seinen Schläfen hämmerte es. Er stöhnte leise, der Mund war ihm wie ausgetrocknet.

Dann merkte er, dass ihm das Gesicht auf die harten Dielen eines Fußbodens gedrückt wurde, und begriff schließlich, dass er bäuchlings auf ebendiesem Fußboden lag, den einen Arm lang ausgestreckt. Der Lärm um ihn herum hatte nicht nachgelassen, aber in dem rauen Stimmengewirr erkannte er allmählich einzelne Wörter.

»Mörder! Mörder! Du hast ihn umgebracht!«, gellte es in seinen Ohren.

Gormán blinzelte und kehrte langsam aus der wohltuenden Sicherheit der ihn wiegenden Wellen in die Gegenwart zurück. Ein Mann im Mönchsgewand stand über ihm und schrie auf ihn ein. Neben ihm lag so etwas wie ein Kleiderbündel, nein, ein Körper, ein regloser menschlicher Körper, mit Blut besudelt.

Gormán versuchte, sich auf die Hand zu stützen, um sich ein wenig aufzurichten. Dabei berührten die ausgestreckten Finger den klebrigen Griff eines Dolches, der ebenfalls auf dem Boden dort lag. Schon die geringste Bewegung verschlimmerte den stechenden Schmerz im Kopf und im Nacken. Irgendjemand stand hinter ihm und drückte ihm eine Schwertspitze ins Fleisch.

Gormán stöhnte abermals auf. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, seinen Verstand zusammenzunehmen und zu überlegen, wo er war. Doch er konnte sich an nichts erinnern, zumal der Mann in der Mönchskutte über ihm unentwegt auf ihn einschrie.

»Mörder!«

Gormán versuchte die Lippen zu benetzen, aber die ebenso trockene Zunge versagte ihm den Dienst.

»Wo bin ich?«, brachte er mühsam hervor.

Die Stimme des Mönchs klang barsch und wütend.

»Wo du bist? Auf dem Weg zur Hölle!«

Colgú, König von Muman, blieb abrupt stehen. In höchster Erregung war er in seinem Privatgemach auf und ab gegangen, die Stirn in Falten gezogen, die Gesichtsmuskeln gespannt, so dass er, anders als sonst, vergrämt und finster aussah. Das Klopfen an der Tür hatte ihn innehalten lassen, und er straffte die Schultern. Es klopfte ein zweites Mal, doch bevor er noch »Herein!« rufen konnte, ging die Tür schon auf.

Fidelma von Cashel, seine Schwester, betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich.

»Du hast mich rufen lassen?«, fragte sie leise. Ihre blaugrünen Augen erfassten sofort den Zustand ihres Bruders, auch wenn er seine Anspannung zu verbergen suchte. »Allem Anschein nach hat man dir aus Dún Eochair Mháigh schlechte Nachrichten überbracht.«

Ihre Äußerung verblüffte Colgú. Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, die dasselbe leuchtende Rot wie die Haarpracht seiner Schwester hatte, und sah sie verärgert an.

»Hat der Bote etwa geplaudert? Ich hatte ihn strengstens angewiesen, niemandem gegenüber ein Wort zu verlieren. Der kommt mir nicht ungestraft davon.«

»Reg dich nicht auf, Bruder«, besänftigte ihn Fidelma. »Er hat mir nichts gesagt. Aber ich habe Augen im Kopf. Ich habe gesehen, dass ein Bote unter dem Banner des Stammesfürsten der Uí Fidgente hier eintraf und dich unverzüglich zu sprechen wünschte. Und nachdem er bei dir gewesen ist, hast du mich rufen lassen. Nun finde ich dich hier in höchster Erregung vor. Wie anders soll ich da die Vorgänge deuten, als dass der Bote dir schlechte Nachrichten überbracht hat, Nachrichten, die vom Fürsten der Uí Fidgente kommen, der, wie man hört, wieder auf seiner Festung Dún Eochair Mháigh weilt?«

Colgú zögerte einen Augenblick, doch die Anspannung wich aus seinem Körper. Er verzog das Gesicht und ließ sich in einen Armstuhl sinken. Immer, wenn seine Schwester Dinge zurechtrückte und erklärte, klang es einleuchtend und einfach. Er bedeutete ihr, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

»Es sind in der Tat böse Nachrichten«, offenbarte er fast widerwillig. Er drehte sich zu einem kleinen Beistelltisch um und schenkte sich aus einem irdenen Krug einen großzügigen Schluck ein. Voller Missfallen stellte Fidelma fest, dass es corma war, ein Branntwein. Normalerweise trank ihr Bruder tagsüber keinen Alkohol. Kopfschüttelnd lehnte sie ab, als Colgú ihr den Krug hinhielt.

»Schlechte Nachrichten sollte man nicht lange für sich behalten«, ermunterte sie ihn, als er sich einen weiteren Schluck Branntwein genehmigte.

Mit betrübtem Blick sah er ihr ins wissbegierige Gesicht. »Ségdae wurde ermordet.«

Als hätte sie die Worte zwar vernommen, aber nicht deren Bedeutung erfasst, starrte sie ihn einen Moment verständnislos an.

»Abt Ségdae?« Eine törichte Frage, wie sie sogleich merkte. Ségdae war der Abt von Imleach, comarch, das heißt Nachfolger des heiligen Ailbe, Hauptbischof von ganz Muman und oberster kirchlicher Ratgeber des Königs. Fidelma und ihr Bruder kannten ihn von Kindesbeinen an. Nach dem Tod des vorangegangenen Abts Conaing hatte man ihn zum Abt ernannt. Das war vor zehn Jahren gewesen. Er hatte schon Cathal, ihren Vetter, beraten, als der König war, und nun stand er Colgú als treuer Ratgeber zur Seite. Für das Königreich und gleichermaßen für die Kirche war er zu einer Säule der Festigkeit und Beständigkeit geworden.

In ihrem Kopf türmten sich Fragen auf und verdrängten jeden Anflug von Bestürzung und Trauer.

»Ermordet, sagst du? Wer hat das getan, wo und wann? Und wieso überbringt ein Bote der Uí Fidgente diese Nachricht?«

»Ségdae war unterwegs, um mit Kirchenmännern der Uí Fidgente Glaubensfragen zu erörtern. Fürst Donennach und ich wollten, wie du weißt, den verheerenden Streitigkeiten zwischen unseren Stämmen ein Ende setzen und haben einen Friedenspakt geschlossen. Deshalb fühlte sich der Abt bemüßigt, seinerseits mit den Geistlichen dort Beziehungen aufzunehmen. Eine gemeinsame Beratung sollte auf Donennachs Festung stattfinden.«

Die Uí Fidgente waren seit langem Rivalen der Eóghanacht von Cashel. Sie erhoben für ihren Clan den Anspruch, das gleiche Recht auf das Königtum von Muman zu haben. Besonders in den letzten Jahren war es zu Mordanschlägen und kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen, die die Beziehungen stark beeinträchtigt hatten. Erst vor wenigen Monaten hatte Fidelma durch ihr tatkräftiges Vorgehen eine Uí Fidgente-Verschwörung abwenden und so zum Friedensschluss zwischen König Colgú und dem Stammesfürst der Uí Fidgente beitragen können.

»Ségdae wurde demnach auf dem Hoheitsgebiet der Uí Fidgente ermordet?«

»Unvorstellbar, aber der Mord geschah auf der Festung des Fürsten«, bestätigte der Bruder in bitterem Ton.

»Was genau ist geschehen? Wie wurde er umgebracht?«, drängte Fidelma.

»Einzelheiten waren dem Boten nicht zu entlocken. Der Mord geschah bereits vor einigen Tagen, und Fürst Donennach hat den Boten entsandt, um uns in Kenntnis zu setzen. Abt Ségdae wurde in dem Gästeraum überfallen und erschlagen, den man für ihn auf der Festung des Fürsten hergerichtet hatte. Der Mörder wurde auf frischer Tat ertappt und gefangen genommen. Man brachte ihn vor den Fürsten und seinen Obersten Brehon und legte ihnen den Sachverhalt dar. Augenscheinlich besteht kein Zweifel hinsichtlich des Schuldspruchs.«

»Und wer ist dieser Mann? Was für ein Motiv hatte er, den Abt zu töten? Ging es noch um eine alte Fehde aus der Zeit, da sich unsere Stämme feindselig gegenüberstanden?«

Colgú schüttelte verdrossen den Kopf. »Wie ich schon sagte, die Auskünfte waren spärlich. Der Bote hielt sich bedeckt, dabei hatte ich den Eindruck, er wusste weit mehr, als er zugab. Jedenfalls bittet Fürst Donennach, dass ich zusammen mit meinem Obersten Brehon unverzüglich zu ihm auf seine Festung komme. Er befürchtet, dass die Verurteilung des Mannes Schlimmes nach sich zieht.«

Fidelma sah ihn ratlos an. »Was genau mag er da befürchten?«

»Die Ermordung des Abts hat offenbar unter den Kirchenleuten der Uí Fidgente zu einem Aufschrei der Empörung geführt. Sie verlangen eine rituelle Vollstreckung des Urteils, wie es die neuen Regeln der Bußvorschriften vorschreiben, die aus Rom kommen. Es gibt viele unter den Mönchen, die sie verfechten und nicht mehr unseren eigenen Gesetzen folgen. Vermutlich wollen sie auf diese Weise ihre Eigenständigkeit betonen und sich von uns abheben. Sie bestehen darauf, dass der Tod eines Abts mit dem Ruf, wie ihn Ségdae genoss, nur mit der schwersten Strafe gemäß den Vorschriften ihres Glaubens geahndet werden kann.«

Fidelma unterdrückte einen Seufzer. »In gewisser Weise kann ich sie verstehen«, sagte sie leise. »Es ist schwer, unvoreingenommen zu bleiben, wenn es sich um den Tod eines weisen alten Mannes, wie Ségdae es war, handelt. Selbst für uns war er ein gütiger Mensch, der uns nahestand.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte ihr Bruder ihr zu. »Doch ein Streit zwischen denen, die diese Regeln aus Rom übernehmen wollen, und denen, die darauf bedacht sind, unsere ursprünglichen Gesetze zu erhalten, würde eine weitere Zerreißprobe für unsere Gesellschaft bedeuten. Ich habe genau wie du den Eid darauf geschworen, unsere Gesetze zu schützen und zu erhalten. Dieses Hin und Her zwischen unserer Kirche und der von Rom spaltet unsere Menschen, drängt sie in unterschiedliche Lager und schwächt das Gemeinwohl. Abt Ségdae war einer der Kirchenmänner, die unbeirrt hinter unseren Gesetzen standen, hinter Gesetzen, die uns aus Urzeiten überliefert sind. Er wäre der Erste, der darauf dringen würde, dass wir uns an sie halten. Ich fürchte, die Forderung der Uí Fidgente läuft darauf hinaus, für ihre Gebiete eine Sonderregelung zu erzwingen und nicht die Herrschaft von Cashel anerkennen zu müssen.«

»Ich kann dir gut folgen«, pflichtete ihm Fidelma nachdenklich bei. »Wie gedenkt Fürst Donennach zu verfahren, wenn, wie du sagst, er und sein Brehon dem Schuldspruch bereits zugestimmt haben?«

»Er bittet mich dringend, mit meinem Obersten Brehon zu ihm auf seine Festung zu kommen, wo wir Einzelheiten zu der beschuldigten Person erfahren würden, um dann zu beraten, ob und wie wir seine kirchlichen Ratgeber beschwichtigen können.«

Fidelma blickte argwöhnisch drein. »Es ist nicht gerade einfach, den Uí Fidgente zu trauen, selbst Fürst Donennach nicht, wenngleich er viel getan hat, um den Friedensvertrag zwischen uns auf den Weg zu bringen. Ich würde jedenfalls davon abraten, ins Hoheitsgebiet der Uí Fidgente zu reiten, würde nicht einmal antworten, solange wir nicht mehr wissen.«

Colgú schüttelte den Kopf und schenkte sich nach. »Abt Ségdae war mein Hauptratgeber in Glaubensfragen. Das ist Grund genug, dass mir und meinem Obersten Brehon alle Fakten unterbreitet werden, so dass wir uns von der Schuld der für diese abscheuliche Tat verantwortlichen Person überzeugen können. Dagegen kann niemand etwas haben. Fürst Donennach und ich als König müssen in dieser Angelegenheit einer Meinung sein, so dass es zu keinerlei Unstimmigkeiten kommt, die zu einem neuerlichen Konflikt mit den Uí Fidgente führen könnten.«

Fidelma sah ihn nachdenklich an. »Und doch schwingt in deiner Stimme ein ›Aber‹ mit, Colgú«, sagte sie in aller Ruhe.

»Aillín, mein Oberster Brehon, ist, wie du weißt, in einer Mission zum Hochkönig in Tara unterwegs«, führte Colgú aus und war bemüht, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen. »Das bedeutet, dass ich mich allein ins Gebiet der Uí Fidgente begeben müsste.«

»Wieso allein? Warum nicht mit einem cath, einem Trupp der Nasc Niadh, deiner Leibwache?«, fragte sie.

»Das würde man als Provokation empfinden.« Colgú wiegte den Kopf und schwieg eine Weile. »Ich werde vorläufig Cashel nicht verlassen. Und deshalb ließ ich dich rufen.«

Fidelma schüttelte sich leicht. »Was willst du damit sagen?«, fragte sie, ahnte aber, was kommen würde.

»Du bist mein persönlicher Berater in Rechtsfragen. Daher möchte ich, dass du nach Dún Eochair Mháigh gehst und mich und meinen Obersten Brehon vertrittst und alle Einzelheiten in Erfahrung bringst, die mit dem Fall zu tun haben.«

Fidelma wehrte sich vehement. »Selbst wenn ich die Befugnis habe, in deinem Namen zu handeln, so doch nicht im Namen des Obersten Brehon. Und würde es nicht heißen, dass ich bei der Verurteilung einer Person, die des Mordes an Abt Ségdae für schuldig befunden wird, voreingenommen bin, da er uns ein guter Freund und Ratgeber war?«

Colgú hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Das könnte man auch mir vorwerfen. Ich habe mich entschieden, Schwester. Wie schon so oft wirst du auch dieses Mal im Namen des Königs auftreten. Du bist die Richtige, um für Cashel zu sprechen, du kennst dich am besten mit Recht und Gesetz aus.« Er machte eine kurze Pause und schmunzelte. »Ich meine, solange Brehon Aillín uns nicht zur Verfügung steht. Sieh zu, dass du mehr in Erfahrung bringst. Eadulf wird dich begleiten. Oh, und auch Enda solltest du als Begleitschutz mitnehmen. Mir scheint, nach eurem letzten Abenteuer langweilen ihn die täglichen Pflichten in der Leibgarde hier auf der Burg.«

»Ein einziger Krieger soll als Begleitschutz im Hoheitsgebiet der Uí Fidgente genügen?« Sie hielt mit ihrem Zynismus nicht hinterm Berg.

»Immer wieder hast du dich auf Reisen Gefahren ausgesetzt und bist dennoch unbeschadet zurückgekehrt. Und, wie schon gesagt, man könnte es zu unseren Ungunsten auslegen, wenn wir in den Gau der Uí Fidgente gleich mit mehreren Kriegern einreiten. Selbst mir würde man es verübeln, wenn mir ein ganzer Trupp aus der Leibgarde folgt. Wir sollten gegenwärtig auf beiden Seiten darauf achten, dass unser Verhalten nicht zu unliebsamen Missverständnissen führt.«

»Hat man den Verwalter der Abtei in Imleach von dem Tod des Abts in Kenntnis gesetzt?«, wollte Fidelma wissen.

»Der Bote von Fürst Donennach hat gestern auf seinem Weg hierher dort Halt gemacht. Allem Anschein nach haben Ségdaes airsecnap, der Stellvertreter des Abts, und sein Verwalter den Abt nach Dún Eochair Mháigh begleitet. Sie waren folglich zum Zeitpunkt des Mordes dort.«

»Der neue Verwalter übernahm das Amt, weil Bruder Madagan damals, als wir die Abordnung aus Canterbury hier hatten, in Ungnade fiel. Aber ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern. Ich weiß nur noch, er war groß und von kräftiger Statur, sah mehr wie ein Ringer als ein Geistlicher aus. Er war reichlich von sich eingenommen.«

Colgú lachte. »Du hast Bruder Tuamán trefflich beschrieben. Ja, er ist der neue Verwalter in Imleach, und der Stellvertreter des Abts heißt Cuán. Soviel ich weiß, bevorzugt er den lateinischen Titel praepositus. Er wurde erst vor kurzem zum Prior ernannt, aber er ist mir noch nicht begegnet.«

»Das ist merkwürdig. Ségdae wäre doch mit ihm hergekommen, um ihn dir vorzustellen. Prior Cuán? Ist das ein Verwandter, den wir nicht kennen?«

Natürlich wussten beide, dass viele irische Abteien sich bei einer Wahl an das übliche Verfahren bei der Ernennung von Stammesführern, Fürsten, Kleinkönigen und sogar des Hochkönigs hielten. Selbstverständlich wurde gewählt, aber der Kandidat musste der würdigste und von der Sachkenntnis her geeignetste für das Amt sein. Darüber hinaus musste er seit drei Generationen in männlicher Linie Blutsverwandter des Abts sein, so dass ein Sohn oft seinem Vater als Abt oder Bischof folgte. Das erklärt, dass ein Abt, der in den Kirchen der Fünf Königreiche einen höheren Rang als ein Bischof hatte, auch zum Hofstaat des Königs gehörte. Die Mitglieder seiner klösterlichen Gemeinschaft betrachtete man als seine fine oder Familie. Folglich war das derbhfine, das Wahlgremium, die Klostergemeinschaft, die die gleichen Rechte hatte wie das derbhfine bei der Wahl eines Stammesfürsten oder Königs.

Die Äbte von Imleach waren mit der königlichen Linie von Cashel, den Eóghanacht, verwandt. Hundert Jahre zuvor hatte man Fergus Scandal zunächst als Abt von Imleach gewählt und später auch als König von Muman. Er sollte nicht der Erste und Letzte bleiben, der beide Ämter innehatte. Um ein hohes Kirchenamt zu bekleiden, musste man nicht im Zölibat leben. In Rom aber, wo die Erbfolge zu einem Problem wurde, stieß man sich daran. Papst Pelagius II. hatte bald darauf als Regel eingeführt, dass verheiratete Mönche ihren Söhnen keinerlei Eigentum vererben durften, das sie erworben hatten, während sie ein kirchliches Amt ausübten.

Colgú schüttelte den Kopf. »Er ist gewiss nicht mit uns verwandt, selbst Genealogen dürften zu der Feststellung kommen. Das würde auch erklären, warum Ségdae nicht bei mir war, um seine Ernennung mit uns zu besprechen. Irgendwie ist alles zur unrechten Zeit geschehen. Es wäre gut, wenn wir etwas über Cuáns Familienbande und seine Ausbildung zum Kleriker gewusst hätten, ehe Ségdae ihn zu einem Treffen mit den Geistlichen der Uí Fidgente mitnahm. Ich weiß nicht das Geringste über ihn. Das kann sich ungünstig auswirken, vor allen Dingen, wenn er jetzt damit rechnet, zum neuen Abt gewählt zu werden.«

»Ségdaes Gemeinde hätte ihn bestimmt nicht als Prior bestätigt, wenn er nicht den Ruf eines anerkannten Gelehrten gehabt hätte«, meinte Fidelma. »Warum sollte Ségdae ihn zu seinem Stellvertreter ernannt haben, wenn er in seinen Augen nicht die Eignung dazu hatte?«

Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. »Cuán ist in der Gegend hier ein weit verbreiteter Name. Ich habe keine Ahnung, woher der Mann kommt.«

»Ich werde ihm über kurz oder lang auf der Festung von Fürst Donennach begegnen. Bestimmt finde ich bei der Gelegenheit mehr über ihn heraus. Ich kann nur hoffen, Prior Cuán gehört nicht zu denen, die die irre Idee der Kirchenmänner der Uí Fidgente unterstützen, den Täter zum Tode zu verurteilen.«

»Ich kann mir nicht denken, dass Ségdae jemand an seine Seite stellt, der diese absonderlichen Regeln für gut befindet, die einige Kirchenmänner verfechten«, fand auch Colgú.

Sie sah ihn ernst an. »Ich höre immer wieder, dass viele Gemeinden sich inzwischen stärker zu ihnen bekennen. Ihrer Auffassung nach vertragen sich Verstümmelung und Hinrichtung mit dem Verständnis des Neuen Glaubens. Seit Äbte und Bischöfe, die die neuen Ideen aus dem Osten gutheißen, sich stärker einmischen, erfolgen Verurteilungen dieser Art häufiger. Es gibt sogar Geistliche, die behaupten, der Neue Glaube fordere die Hinrichtung von Straftätern.«

»Das steht aber nicht im Einklang mit den Prinzipien unserer Gesetzgebung. Du weißt besser als alle anderen, dass der Einfluss dieser heimtückischen Bußvorschriften sich von Jahr zu Jahr weniger zurückdrängen lässt«, stellte auch Colgú missmutig fest. »Ganz zu schweigen von den Unruhen, zu denen das nicht nur in unserem Königreich, sondern in allen Fünf Königreichen führt.«

»Ich hoffe, die Uí Fidgente haben nicht wirklich vor, den Frieden zwischen uns aufs Spiel zu setzen; wie auch immer, das Gesetz der Brehons darf keinen Schaden nehmen.«

»Traurig, aber wahr: Eines guten Freundes und Ratgebers beraubt, droht uns die Gefahr, dass sein Tod dem Königreich Unruhe und Streitigkeiten bringt«, barmte Colgú. »Siehst du jetzt ein, wie wichtig es ist, dass du den schweren Gang zur Festung der Uí Fidgente auf dich nimmst?«

»Mit anderen Worten, du erwartest von mir, dass ich dir berichte, was genau im Zusammenhang mit Ségdaes Tod vorgefallen ist. Du erwartest Auskunft, wer der Täter ist, eine Einschätzung, ob man mit ihm fair verfahren ist, möchtest, dass ich einen Weg aufzeige, wie wir Streitigkeiten unter den Kirchenleuten verhindern können, dass das unsinnige Geschwätz über eine Hinrichtung verstummt und dass ich die Geistlichen der Uí Fidgente wieder auf den Boden des Gesetzes der Brehons zurückbringe.« Sie verzog den Mund zu einem sarkastischen Lächeln. »Ist das alles, was du erwartest, Bruder?«

Colgú entging ihr Sarkasmus, er nickte nur verdrießlich. »Glaube nicht, dass ich das leichten Herzens von dir verlange.«

Fidelma presste die Lippen zusammen. »Wann erwartest du den Obersten Brehon aus Tara zurück?«

»Erst in einem Monat.«

»Ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt für seine Abwesenheit«, stellte sie nachdenklich fest. »Und für Gormáns Fehlen nicht minder.«

Gormán war der Hauptmann der Leibgarde des Königs, der Elitekrieger des Goldenen Halsreifs, der Nasc Niadh. Colgú selbst hatte ihm die Erlaubnis erteilt, um Aibell, dem Mädchen, das er liebte, nachzureiten. Sie hatte ganz plötzlich Cashel verlassen, hatte sich augenscheinlich für Deogaire entschieden, einen merkwürdigen jungen Mystiker, der sie einst aus der Leibeigenschaft in den Bergklüften der Sliabh Luachra befreit hatte. Aibells Verschwinden traf Gormán wie ein Schlag, und Colgú und Fidelma zeigten großes Mitgefühl für ihn. Colgú hatte ihm dann die Möglichkeit gegeben, ihr zu folgen und sie möglicherweise zurückzugewinnen.

»Stimmt schon, Gormán ist ein großartiger Stratege«, gab ihr Bruder zu. »Aber Aidan macht seine Sache als zeitweiliger Hauptmann gut. Wir müssen sicherstellen, dass niemand versucht, sich die gegenwärtige Situation zu Nutze zu machen. Ich werde Aidan beauftragen, unsere catha, die Truppe unserer Krieger, in Bereitschaft zu halten, damit wir für den Ernstfall gewappnet sind. Ich hoffe, ich kann auf Fürst Donennach bauen, gerade nach den jüngsten Ereignissen. Aber man weiß ja nie, woran man mit den Uí Fidgente ist.«

»Wann möchtest du, dass ich zur Festung des Fürsten aufbreche?«

»Sofort.« Colgú grinste und fügte hinzu: »Na ja, so rasch du kannst.«

Fidelma hatte sich erhoben. »Ich muss ein paar Vorkehrungen für Klein-Alchú treffen und Eadulf ins Bild setzen.«

Alchú war ihr kleiner Sohn. Sie war schon an der Tür, als ihr Bruder ihr noch zurief: »Ich habe übrigens Fürst Donennach durch seinen Boten mitteilen lassen, dass du an meiner statt kommst, sowohl mich als auch den Obersten Brehon vertrittst.«

Mit spöttischer Miene drehte sie sich zu ihm um. »Du warst dir von vornherein sicher, dass ich hinreiten würde?«

Colgú lächelte sie müde an. »Ich kenne dich allzu gut, Fidelma, das solltest du nicht vergessen. Dass ein Mentor von uns, der Abt und Oberster Bischof ist, ermordet wird, geschieht nicht alle Tage. Ich habe auch Enda wissen lassen, dass er dich begleiten wird und sich bereithalten soll. Er weist die Stallknechte an, die Pferde aufzuzäumen und Wegzehrung zu beschaffen.« Der König wirkte erschöpft und tief beunruhigt. Sie konnte die Besorgnis in seinen Augen lesen. »Ich verlasse mich auf dich und Eadulf. Ich habe das Gefühl, Unheil liegt in der Luft. An dem, was mir berichtet wurde, stimmt etwas nicht. Mir ist nicht wohl bei der Sache.« Hilflos ließ er die Schultern sinken.

Sie hielt seinem Blick stand, als er aber nicht weitersprach, nahm sie das Wort. »Ich habe den Eindruck, du befürchtest, das Ganze ist eine Verschwörung der Uí Fidgente, dich aus dem sicheren Schutz von Cashel in ihr Hoheitsgebiet zu locken, aus welchem Grund auch immer. Auf jeden Fall nicht nur, um unserem Freund und Ratgeber Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vermutlich möchtest du dich deshalb nicht allein auf den Weg nach Dún Eochair Mháigh machen.«

Colgú sah sie zerknirscht an. »Ich habe wieder einmal deine Menschenkenntnis unterschätzt, Schwester. Du hast meine Gedanken richtig erraten. Wenn es sich um eine Verschwörung handeln sollte, hat man es auf den König abgesehen und nicht auf seine Schwester. Sie werden es nicht wagen, dir etwas anzutun. Du erfreust dich der freundschaftlichen Zuneigung und Unterstützung des Hochkönigs in Tara, und dein Ruf reicht bis nach Rom. Das Entfesseln der Meute von Cruachán, dem Höllenschlund, wäre nichts im Vergleich zu dem, was sie aus Tara und Rom an Vergeltung erwartete. Sollte das Ganze ein Täuschungsmanöver sein, dann zielt es auf mich.«

»Ich hoffe, du hast recht, Bruder. Vielleicht ist es wirklich besser, du schickst mich vor.«

Sie fand Eadulf in der Bibliothek, wo er in eine Abschrift des »Uraicecht Becc« vertieft war, in dem es um die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft ging. Sie schaute ihm über die Schulter und sah, dass er gerade einen Passus über die Stellung des midach, des Arztes, las.

»Du willst dich doch nicht wieder dem Medizinstudium widmen?«, meinte sie scherzhaft.

Eadulf blickte zu ihr auf. »Schaden könnte es nicht. Allein die wenigen Jahre Studium in Tuam Brecain haben sich schon mehrfach ausgezahlt. Dabei sind meine Kenntnisse lückenhaft.«

»Du denkst wieder an Dego, dem du den Arm amputieren musstest?« Sie wusste, dass ihn das immer noch bedrückte.

Eadulf bestätigte ihre Frage mit einem stummen Kopfnicken. Als er damals die schwere Entscheidung hatte treffen müssen, war der Krieger so schwer verwundet gewesen, dass die einzige Rettung für ihn die Amputation des rechten Arms war. Dank seines medizinischen Wissens, seines Gespürs und eines Quäntchen Glücks hatte Eadulf den Krieger am Leben erhalten können. Und obwohl er seit seinem Studium stets seinen Medizinbeutel bei sich trug und ständig bemüht war, sein Wissen zu erweitern, hatte Eadulf das Gefühl, er hätte diese schwere Aufgabe weitaus besser bewältigen können.

»Du musst doch aber zugeben, dass Dego sich prachtvoll erholt hat«, versuchte sie ihn zu ermuntern. »Er versteht seinen linken Arm genauso gut zu benutzen wie früher seinen rechten. Er kann reiten; und beim Schwertfechten hält er mit jedem Krieger mit, der zwei gesunde Arme und Hände hat.«

»Aber das hat er mit der ihm eigenen Geschicklichkeit und Ausdauer geschafft«, erwiderte Eadulf und schob den alten Gesetzestext zur Seite. »Kommen wir zur eigentlichen Sache. Weshalb hat dich dein Bruder sehen wollen? Doch wohl, weil der Bote wichtige Nachrichten überbracht hat? Hattest du nicht gesagt, er kam mit dem Banner des Fürsten der Uí Fidgente? Von denen ist doch nie etwas Gutes zu erwarten.«

»Lass uns rausgehen, ich erzähl es dir dann.«

Etliche der Lesenden in der Bibliothek hatten schon ärgerlich aufgeschaut, weil ihr Gespräch die Ruhe störte. Draußen schlug Fidelma unmittelbar den Weg zu ihren Gemächern ein, und noch ehe sie dort angelangt waren, hatte sie Eadulf von Ségdaes grauenvoller Ermordung in Kenntnis gesetzt.

Eadulf war zutiefst erschüttert. Zwar war er Angle und trug die Tonsur des heiligen Petrus von Rom und nicht die irische des heiligen Johannes. Aber Ségdae war ihm immer ein guter Freund und Ratgeber gewesen. Der alte Abt hatte Eadulf und Fidelma zudem getraut.

Nachdem Eadulf den ersten Schock überwunden hatte, berichtete ihm Fidelma von dem Anliegen ihres Bruders. Da Eadulf keineswegs ein begeisterter Reiter war und lange Ritte möglichst vermied, konnte er einem langen Ritt durch die Berge nichts abgewinnen. Doch er riss sich zusammen und fragte nur: »Wann soll es losgehen?«

»Sowie ich Muirgen gesehen habe«, entgegnete sie. Muirgen war ihre Kinderfrau. »Ich muss mit ihr noch einiges besprechen, damit Alchú während unserer Abwesenheit gut versorgt ist.«

»Länger als ein paar Tage dürften wir nicht fort sein«, überlegte Eadulf. »Als wir zuletzt in Dún Eochair Mháigh waren und dort fast zu Tode gekommen wären, hatte ich gehofft, es würde uns nicht so rasch wieder dort hinziehen.«

»Dieses Mal sind wir aber auf Einladung des Fürsten der Uí Fidgente dort, deshalb dürften wir anders als damals empfangen werden«, gab sie mit ernstem Gesicht zu bedenken. »Dennoch geht es mir wie dir, wohl fühle ich mich in dem Land dort nicht.«

»Und Enda soll unser einziger Begleitschutz sein?«

»Colgú fürchtet, eine Begleitung von mehreren Kriegern könnte Fürst Donennachs Argwohn erwecken, ihn glauben machen, wir würden ihm nicht trauen.«

»Wir trauen ihm doch ohnehin nicht. Warum da nicht mit offenen Karten spielen?«

»Seine wahren Gefühle verbergen gehört zu dem, was man Diplomatie nennt, Eadulf«, erklärte sie. »Und außerdem sind nicht alle Uí Fidgente schlecht. Denk mal an Conrí, den Kriegsherrn der Uí Fidgente.« Gemeinsam mit dem groß gewachsenen Krieger hatten sie so manches Abenteuer überstanden, und er war ihnen ein guter Freund geworden. »Komm, wir schauen noch einmal nach Alchú und sagen ihm, dass wir fort müssen, und dann suchen wir Enda, der, wie ich hörte, schon die Pferde für die Reise fertigmacht.«

Am Tag nach ihrem Aufbruch stand die Sonne bereits hoch am Himmel, als Fidelma ihr grauweißes Pferd zum Stehen brachte. Aonbharr, so hieß das Tier, hatte sie nach dem sagenumwobenen Pferd des Meeresgottes Mannanán Mac Lir benannt. Mit einem zufriedenen Lächeln drehte sie sich zu ihren beiden Gefährten um.

»Jetzt ist es nicht mehr weit«, verkündete sie. »Wenn ich mich richtig erinnere, befindet sich die Festung des Fürsten der Uí Fidgente jenseits der Berge, die sich aus dem Tal vor uns erheben. Wir müssten es bald geschafft haben.«

Eadulf ließ seinen Blick über die sonnenbeschienene Landschaft gleiten. »Vielleicht finden wir irgendwo einen Fluss, an dem wir Rast machen können. Es ist Mittagszeit, ein etsruth wäre nicht schlecht.« Unter etsruth verstand man einen leichten Imbiss, der gewöhnlich um diese Zeit eingenommen wurde.

Fidelma überlegte kurz und stimmte ihm dann zu. »Das ist ein vernünftiger Vorschlag. Es wäre nicht gut, auf der Festung des Fürsten mit knurrendem Magen zu erscheinen. Im Tal dort unten fließt bestimmt ein Fluss. Wir machen bei der erstbesten Gelegenheit Halt.«

Nicht, dass es für die Jahreszeit übertrieben heiß gewesen wäre, am strahlend blauen Himmel schwebten nur ein paar kleine Wölkchen, und der Gedanke an erfrischendes Wasser war verführerisch. Sie waren dem Hauptweg durch die Berge gefolgt, an dem hin und wieder Bäume und Strauchwerk wuchsen. Begrenzt wurde er außerdem durch Schwarzdorn, während weiter weg die Stämme der heimischen Kiefer zu erkennen waren, dazwischen hatten sich Erlen und Haselnusssträucher ganze Flächen erobert, und an anderen Stellen behaupteten sich Stechginster und Adlerfarn. Später sahen sie Felder, auf denen die Gerste, die Regen und Kälte trotzen musste, noch kümmerlich war. Hier und da mühte sich ein einsamer Bauer, mähte Gras und Klee, das getrocknet und als Viehfutter eingefahren werden musste. Auch ein paar Waldarbeitern begegneten sie, die einen Baum fällten. Man grüßte sich, verweilte aber nicht. Als der Baumbewuchs spärlicher wurde und dem offenen Land wich, erkannte Fidelma in der Ferne die Umrisse der Berge und wusste, dass sie sich dem südlichen Gebiet der Uí Fidgente näherten. Sie mussten nur noch durch das Tal und über den nächsten Hügel reiten, dann würde sich ihnen der Blick auf den Fluss Mháigh öffnen, über dessen Biegung Dún Eochair Mháigh, die Festung des Fürsten der Uí Fidgente, thronte.

Das laute Schnarren des Wachtelkönigs schreckte sie auf. Sie drehte sich um und sah, wie sich der rötlichbraune Vogel schwerfällig und mit rallenartig herabhängenden Beinen in die Lüfte hob. Sein knarrender Ruf krex, krex klang, als würde man zwei grobe Stöcke aneinander reiben. Ihre Augen folgten dem unbeholfenen Flug des Tieres, das in einem merkwürdigen dunklen Wolkengebilde verschwand. Erst wenig später erkannte Fidelma, dass es Rauch war, der über dem Hügel lag.

Auch Eadulf hatte den Rauch entdeckt. »Muss ein Bauer sein, der da oben ein Feuer entzündet hat. Aber um diese Jahreszeit Ernterückstände verbrennen?« Schon im nächsten Moment war ihm klar, dass ein Bauer nie und nimmer Abfälle vom Feld auf einem Berg verbrennen würde.

Enda musste lachen. »Breo telchae«, klärte er Eadulf auf.

Der hatte den Begriff noch nie gehört.

»Es ist ein Feuersignal, das auf einem Berg gesetzt wird. Was es bedeutet und wem es gilt, weiß ich nicht«, ergänzte Enda.

»Kleine Rauchwölkchen steigen in regelmäßigen Abständen zum Himmel«, stellte Eadulf bei genauerem Hinsehen fest.

»Lady!« Endas Stimme klang wie ein Warnruf. Der junge Krieger beugte sich leicht vor, packte den Schwertgriff und spähte mit zusammengekniffenen Augen hinunter ins Tal. »Ein Reiter kommt herangaloppiert. Er muss aus dem Schutz der Felsen dort unten aufgetaucht sein.«

Fidelma und Eadulf blickten angestrengt in die von ihm gewiesene Richtung hügelabwärts ins Tal.

»Wie ein Krieger sieht der nicht aus«, sagte Eadulf.

»Er kommt aus der Richtung von Dún Eochair Mháigh«, stellte Enda fest. »Wer immer es sein mag, er reitet enorm schnell.«

»Und hetzt unnötigerweise das arme Pferd«, bemerkte Fidelma verärgert. Als gute Pferdekennerin, die sie war, wusste sie, dass man Pferde nur in größter Not bergauf antreiben durfte, meist brachte hohes Tempo weder Pferd noch Reiter etwas. Warum aber hatte es der Reiter dermaßen eilig? Es waren keinerlei Verfolger auszumachen. Scheinbar veranlasste ihn nichts, das arme Tier so anzutreiben.

Sie beschlossen, stehen zu bleiben und zu warten, bis der Reiter sie erreicht hatte. Schon bald sahen sie, dass es sich um eine Frau handelte, nein, um ein junges Mädchen, das tief über den Nacken des Tieres gebeugt heranpreschte.

»Das ist ein bekanntes Gesicht«, rief Eadulf plötzlich, als die Gestalt deutlicher zu erkennen war.

»Das ist die Freundin von Aibell, der wir damals auf Dún Eochair Mháigh begegnet sind«, bestätigte Fidelma seine Vermutung. »Wie hieß sie doch?«

Kurz vor ihnen brachte das Mädchen sein Pferd mit einem Ruck zum Stehen. Das Tier bäumte sich auf, schlug mit den Vorderbeinen aus und kam schließlich schnaubend wieder auf seine vier Beine. Die Reiterin saß nicht ab. Sie mochte etwas über die Zwanzig sein, hatte üppiges schwarzes Haar, helle Haut und ein hübsches Gesicht, mit dem sie die drei erleichtert ansah. Und trotzdem lag auf ihren Zügen eine gewisse Anspannung. Es war eine eigenartige Mischung von Erleichterung, Besorgnis und Furcht.

»Gott sei gedankt, Lady!«, rief sie und lenkte ihr Pferd etwas näher an Fidelma heran. »Einer der Wächter der Uí Fidgente verriet mir, das Feuersignal würde bedeuten, dass sich Reiter aus Richtung Osten näherten. Ich hoffte, du und deine Begleiter wären es. Ich wollte euch abfangen, ehe ihr die Festung erreicht.«

Fidelma wechselte einen erstaunten Blick mit Eadulf, ehe sie antwortete. »Wie konntest du damit rechnen, dass wir es sind, und weshalb wolltest du uns treffen, ehe wir auf der Festung sind?«

»Es wurde mir nahegelegt.«

»Von wem?«, fragte Fidelma überascht.

»Von Aibell, von wem denn sonst. Wir haben aus tiefstem Herzen gebetet, du mögest kommen, Lady.«

Abermals wechselte Fidelma einen raschen und etwas ratlosen Blick mit Eadulf, ehe sie sich wieder an das Mädchen wandte.

»Ich verstehe nichts von dem, was du sagst. Aibell und du, ihr habt gebetet, ich möge kommen? Weshalb?«

»Hast du es denn nicht gehört?« Das Mädchen schrie sie fast an vor Erregung. »Abt Ségdae wurde ermordet.«

»Das weiß ich. Deshalb sind wir ja auch auf dem Weg zur Festung. Aber was hat das mit Aibell zu tun?«

Das Mädchen gab sich alle erdenkliche Mühe, die Fassung zu bewahren, aber gelingen wollte ihr das nicht. Verzweifelt schluchzte sie laut auf.

»Hat man es dir nicht gesagt? Hat man dir nicht gesagt, wer des Mordes schuldig gesprochen wurde?«

»Nein«, erwiderte Fidelma in ruhigem Ton. Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. »Du willst doch nicht etwa sagen, Aibell habe Abt Ségdae getötet?«

»Aibell war es natürlich nicht«, brach es aus dem Mädchen heraus. Hätte sie nicht auf dem Pferd gesessen, hätte sie gewiss empört mit dem Fuß aufgestampft, so aber musste sie sich mit einer heftigen Armbewegung zufriedengeben. »Gormán hat man für schuldig befunden«, schleuderte sie ihnen entgegen. »Gormán, den Krieger, der euch nach Dún Eochair Mháigh begleitete, als wir uns dort zum ersten Mal trafen. Gormán hat man des Mordes an Abt Ségdae beschuldigt. Gormán ist es, den sie zum Tode verurteilen wollen.«

Kapitel 2

Nur mit Mühe konnte Fidelma die Flut von Fragen eindämmen, die sich ihr nach Ciarnats Botschaft aufdrängte. Sie hatte ihre Begleiter zum Schweigen bringen und Ciarnat besänftigen können, die, völlig aufgelöst, die schlimme Nachricht überbracht hatte. Fidelma gedachte, erst eine abgelegene Stelle zu finden, wo sie in gewisser Ruhe die genaueren Umstände erfahren könnten.

Enda hatte bald eine Senke zwischen Felsen ausgemacht, in die aus einer Quelle Wasser rieselte. An einer Seite standen hohe Haselnussbüsche, die mit den breiten grünen Blättern den Wind abhielten. Von den Nüssen war kaum etwas geblieben, vermutlich hatten Mäuse oder Vögel sich daran gütlich getan. Auch vorüberziehende Wanderer konnten sie gesammelt haben, denn sie wurden von alters her als Leckerbissen geschätzt und sollten sogar die Wirkung haben, verborgenes Wissen zu offenbaren. Die Stelle war gut gewählt, denn trotz der Bäume konnten sie die Straße einsehen, die durch das Tal zu ihrem Ziel führte.

Zunächst mussten sie die Pferde tränken und einen geeigneten Fleck suchen, auf dem ihre Tiere grasen konnten. Dann erst war an ihr eigenes Wohl zu denken. Fidelma reichte dem noch immer aufgeregten Mädchen einen Behälter mit Branntwein, den Enda bei sich hatte. Sie nahm einen kräftigen Schluck davon und schien sich zu beruhigen. Glattgeschliffene Findlinge dienten ihnen als Sitz, und Fidelma begann Fragen zu stellen, die ihnen allen auf der Seele brannten.

»Sag uns zuallererst, wo befindet sich Gormán und in welchem Zustand ist er?« Sie mühte sich, ihre Stimme unbeteiligt klingen zu lassen, denn auch sie hatte die Nachricht tief getroffen. Gormán war der einzige Sohn ihrer Freundin Della, und er diente seit einer Reihe von Jahren in der Leibgarde des Königs. Bei vielen ihrer Reisen mit Eadulf hatte er sich als ihr Begleiter in allen gefahrvollen Situationen bewährt.

»Er ist in der Festung von Fürst Donennach eingekerkert«, brachte Ciarnat zögerlich hervor, als müsste sie sich erst mühsam besinnen. Ihre Lippen zitterten zwar noch, doch gelang es ihr, ihre Erregung zu beherrschen und deutlich zu antworten. »Körperlich ist er wohlauf, man hat ihn nicht misshandelt, abgesehen von den Stößen und Schlägen, die ihm die Krieger von der Leibwache des Fürsten bei der Festnahme versetzt haben. Der Richter des Fürsten, Brehon Faolchair, versieht sein Amt gewissenhaft¸ ich glaube, er hat dem Fürsten geraten, einen Boten mit der Nachricht nach Cashel zu schicken, bevor er ein Urteil fällt.«

Enda schniefte verärgert. »Wen auch immer er geschickt hat, der Mann hat nicht verraten, dass der Befehlshaber der Leibgarde des Königs wegen Mordes verhaftet wurde.«

Ciarnat beteuerte nur: »Er ist unschuldig. Er hat das nicht getan.«

»Das will ich wohl meinen, selbst ohne dass ich genau weiß, was da vorgegangen ist«, warf Enda hin, für den sein Waffengefährte und Hauptmann stets ein bewundertes Vorbild war. »Wir sind Kämpfer vom Goldenen Halsreif, wir sind auf den Ehrenkodex der Krieger eingeschworen, wir sind keine Mörder …«

Fidelma unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung und meinte zu Ciarnat: »Lass uns von Anfang an beginnen und der Reihe nach vorgehen. Du sagst, Aibell hat dich gedrängt, uns entgegenzureiten. Was hat Aibell mit der ganzen Sache zu tun? Vor ein paar Monaten, gleich nach dem Festtag der heiligen Brigid, hat sie Cashel verlassen. Zur selben Zeit ist auch Deogaire aufgebrochen und wollte in sein Stammland der Sliabh Luachra zurückkehren. Der junge Mann ist der Neffe unseres alten Apothekers Bruder Conchobhar, dessen Schwester einen Mann von den Sliabh Luachra geheiratet hat. Aibell hatte sich entschlossen, Gormán zu verlassen, aber der liebt sie. Vielleicht erzählst du uns von dem Punkt an deine Geschichte.«

Das Mädchen saß zusammengesunken da und seufzte tief. »Eigentlich gibt es gar nicht viel zu erzählen«, sagte sie verhalten.

»Dann berichte über das Wenige, das du weißt«, beharrte Fidelma.

»Meine Freundin Aibell hat allen Grund, Deogaire dankbar zu sein. Er hat ihr geholfen, aus ihrem Elend bei den Sliabh Luachra zu fliehen, an die sie der eigene Vater als Leibeigene verkauft hatte. Schon möglich, dass sie deshalb das Gefühl hatte, ihm etwas zu schulden. Vielleicht glaubte sie für eine Weile auch, Zuneigung zu ihm zu empfinden. Das war aber keine Liebe, das war lediglich Dankbarkeit. Gormán verletzen wollte sie nicht.«

»Was man beabsichtigt und was sich daraus ergibt, kann oft das Gegenteil von dem sein, was man wollte«, bemerkte Eadulf lakonisch.

Fidelma fühlte sich von der Bemerkung getroffen, erinnerte sie es doch an ihr längst vergangenes Verhältnis zu einem jungen Mann. »Sprich weiter«, sagte sie nur.

»Aibell erzählte mir, wie froh sie war, als du aus dem Gebiet der Uí Fidgente zurückkamst und ihr geschildert hast, wie du aufdecken konntest, was sich dort zugetragen hatte. Sie lebte damals auf dem Gehöft von Gormáns Mutter Della, und so ergab es sich, dass Gormán und sie sich näherkamen. Dann tauchte Deogaire in Cashel auf. Sie wusste, was sie ihm verdankte. Hätte er ihr nicht beigestanden, hätte sie nie so fröhlich und unbeschwert wie jetzt leben können. Sie sehnte sich aber auch danach, den früheren Wohnort ihrer Mutter am großen Strom Mháigh aufzusuchen. Ich glaube, sie wollte sehen, wo sie aufgewachsen war und die Erinnerung an ihre Mutter auffrischen. Sie hat sich unbändig gefreut, mich wiederzutreffen, denn in unserer Kindheit waren wir beste Freundinnen. Außerdem wollte sie ihren Onkel Marban besuchen.« Ciarnat hielt inne und zuckte die Schultern. »Es ist gewiss schwer, nur mit alten Erinnerungen zu leben, wenn niemand mehr von der eigenen Familie da ist. Dann sprach Deogaire davon, dass er zurückwollte in die Sliabh-Luachra-Berge, denn Fidaig, der gewissenlose Stammesführer, der sie in seinem Haus als Leibeigene gehalten hatte, war tot. Da verspürte Aibell den heftigen Drang, ihn in die alte Heimat zu begleiten.«

»Weißt du, ob sie Gormán das so erklärt hat?«

»Sie hat gesagt, sie habe es versucht. Aber er wurde sofort wütend, er konnte das nicht verstehen, denn er nahm an, sie wollte mit Deogaire ziehen, weil sie sich in ihn verliebt hätte.«

»Und stimmte das?«

»Nein, überhaupt nicht. Sie wollte nur die lange Reise in Deogaires Gesellschaft und nicht allein unternehmen. Zunächst bemühten sie sich, mich ausfindig zu machen. Ich bin jetzt Kammermädchen auf der Festung von Fürst Donennach. Aibell wiederzusehen war für mich eine riesige Freude. Dann zogen sie weiter zur Mühle von Marban, dem Bruder ihres Vaters. Von dir wusste sie ja, dass Marban ihren Vater erschlagen hatte. Sie wusste aber auch, dass ihr Vater ihrer armen Mutter Liamuin das Leben zur Hölle gemacht und sie selbst an den Tyrannen Fidaig verkauft hatte. Sie war begierig, so viel wie möglich von ihrer Lebensgeschichte zu erfahren. Sogar das Gehöft im Ringwall Rath Menma wollte sie aufsuchen, in dem ihre Mutter von den Mordbrennern getötet wurde.«

»Das hätte Gormán doch gewiss verstanden, wenn sie es ihm klargemacht hätte«, unterbrach Eadulf sie.

»Sie hatte wohl kaum gesagt, dass sie sich Deogaire auf dem Ritt in die Sliabh-Luachra-Berge anschließen wollte, da brauste er derart auf, dass sie ihm überhaupt nichts weiter erklären konnte. Von da an war er der festen Überzeugung, dass sie Deogaire mehr liebe als ihn, und weigerte sich, sich auch nur anzuhören, warum sie in ihre Heimat wollte. Aibell bot ihm die Stirn, und sie gerieten in Streit. Sie empfand es als kleine Genugtuung, ihn zu verletzen und seinen Hochmut zu bestrafen.«

»Wusste sie, dass er sehr niedergeschlagen und tief traurig war, weil sie sich im Zorn getrennt hatten? Er konnte es nicht ertragen, dass sie ihn verlassen hatte, und bat den König um die Erlaubnis, ihr nachzureiten.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Damals hat sie das nicht gewusst, aber später hat sie es begriffen. Ich vermute, beide hatten ihren Stolz und haben sich deshalb gegenseitig wehgetan.«

»Müssen wir daraus schlussfolgern, ihrer beider Stolz hinderte sie, einander zu verstehen? Dass alles auf einem Missverständnis beruhte?«

»Betrachtet man es so, klingt es jetzt ganz albern …«

»Ungewöhnlich ist das nicht«, stellte Eadulf nachdenklich fest. »Ein Streit zwischen Mann und Frau beginnt oft so. Ein Missverständnis führt zu verletztem Stolz. Beide bringen es nicht fertig, von einer vorgefassten Meinung abzulassen und sich die eigenen Fehler einzugestehen. Jeder will den anderen verletzen als Vergeltung für die ihm angetane Verletzung.«

Fidelma unterband diese Betrachtung mit ihrer bekannten ungeduldigen Handbewegung. »Sie ist also mit Deogaire losgezogen? Wir wissen, dass Gormán ihr kurz darauf folgte. Du sagst, sie habe am Ende verstanden, was Gormán empfand, soll das heißen, sie sind sich danach begegnet und haben sich versöhnt?«

Ciarnat lachte hell auf und nickte. »Genauso war es. Aibell und Deogaire sind zusammen zu Marbans Mühle geritten. Aber niemand war so überrascht wie ich, als vor neun Tagen Aibell und Gormán in bester Stimmung auf der Festung von Fürst Donennach eintrafen.«

»Haben sie dir erzählt, wie es dazu kam?«, wollte Fidelma sofort wissen.

»Aibell hat mir berichtet, dass sie und Deogaire Marbans Mühle ohne jeden Zwischenfall erreichten. Der alte Müller freute sich unbändig, seine Nichte wiederzusehen, und erzählte ihr viele Geschichten über ihre Mutter Liamuin und ihre Familie und auch über ihren Vater Escmug. Die stimmten durchaus mit dem überein, was du ihr bei deiner Rückkehr geschildert hattest, soweit ich sie verstanden habe.«

»Sie blieb also eine Weile bei ihrem Onkel? Und Deogaire?«

»Er ist allein zu sich nach Hause weitergeritten.«

»Wo hat Gormán Aibell gefunden? In Marbans Mühle?«, wollte Fidelma wissen.

»Aibell hat mir erzählt, dass Gormán auf die Mühle zugeritten kam«, bestätigte Ciarnat. »Aibell war außer sich vor Freude. Als die beiden dann auf der Festung von Fürst Donennach auftauchten, war mir sofort klar, dass sie sich wieder vertragen hatten.«

»Aber warum sind sie dann nicht nach Cashel zurückgekehrt?«, warf Enda ein.

»Ganz einfach, sie hatten geheiratet.«

»Aibell und Gormán haben geheiratet?« Eadulf konnte es nicht fassen.

Das Mädchen schaute ihn herausfordernd an. »Warum denn nicht? Spricht etwas dagegen?«

»Nur, dass Della, Gormáns Mutter, und seine engsten Freunde und Waffengefährten gern dabei gewesen wären und sie beglückwünscht hätten«, ließ Enda verstimmt vernehmen. »Seine Familie und Freunde einfach zu übergehen, das passt überhaupt nicht zu Gormán.«

Dieser Ansicht war auch Fidelma. »Gormán ist Dellas einziger Sohn. Ich finde auch, so zu handeln ist etwas befremdlich.«

Ein Schatten glitt über Ciarnats Miene. »Gewiss ist ihnen diese Entscheidung nicht leichtgefallen. Doch Aibell hielt das für geboten, und Gormán hat ein großes Herz und ist fest davon überzeugt, dass manche Orte etwas Magisches haben.«

»Ich verstehe nicht, was du damit meinst«, wandte Eadulf ein. »Eine Hochzeit ist eine Hochzeit. Wozu braucht es dazu einen magischen Ort?«

»Sie hatten sich entschlossen, zum Rath Menma zu reiten. Aibells Mutter Liamuin hatte sich dort eine Weile vor ihrem rachsüchtigen Mann versteckt gehalten und war dort zu Tode gekommen. Der alte Marban führte sie zu der Stelle, obwohl auch Gormán den Weg kannte, weil er ja mit euch dort nach Spuren gesucht hatte. Sie trafen den Bauern Cadan und seine Frau Flannair an, die ihr auch aufgesucht hattet, und spürten sogar die halbirre Suanach auf, die von Ferne hatte zusehen müssen, wie Aibells Mutter ermordet wurde. Sie fanden den zuständigen Brehon, und der hat die beiden in den Ruinen des Gehöfts vor allen Genannten getraut. Ich bin sicher, Aibells Mutter wird ihnen aus der Anderswelt zugeschaut und ihnen ihren Segen gegeben haben.«

Während Ciarnat das erzählte, glänzten ihre Augen vor Tränen. Sie schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Aibell hat mir berichtet, sie hätten sich noch ein paar Tage an den ihr vertrauten Plätzen aufgehalten, dann hätte Gormán gedrängt, sie müssten nach Cashel zurückkehren. Er wollte wieder seinen Pflichten am Hof von König Colgú nachgehen, sie wollte sich an ihr neues Leben als verheiratete Frau gewöhnen und seiner Mutter Della in der Wirtschaft helfen. Gormán wünschte sich auch, ihre Ehe vor seiner Mutter und seinen Freunden in der Kapelle auf Burg Cashel segnen zu lassen. Er hoffte, seine Mutter und seine Freunde würden verstehen, warum es ihnen so wichtig gewesen war, im Rath Menma zu heiraten.«

Nach einer Pause, in der alle ihren Gedanken nachhingen, fragte Eadulf: »Was ist dann schiefgelaufen? Warum wird Gormán jetzt beschuldigt, Abt Ségdae ermordet zu haben? Und welche Rolle spielt Aibell dabei?«

Ciarnat überlegte kurz und fuhr dann fort: »Nachdem sie Rath Menma verlassen hatten, begegneten sie ein paar Kaufleuten, und die hatten Neuigkeiten, die Gormán heftig beunruhigten. Er war so besorgt, dass er beschloss, zunächst Fürst Donennach auf seiner Festung aufzusuchen und ihn zu warnen, und erst dann nach Cashel weiterzureiten.«

»Wovor wollte er ihn warnen?«, fragte Fidelma. »Weshalb haben ihn diese Neuigkeiten derart aufgewühlt?«

»Man hatte ihm berichtet, dass ein gewisser Gláed eine Horde vom Stamm der Sliabh Luachra anführt und auf Rache aus ist.«

»Aber das ist doch gar nicht möglich!«, rief Eadulf aus. »Wir haben schließlich in der Abtei Mungairit über Gláed vom Stamm der Sliabh Luachra zu Gericht gesessen, und danach wurde er als Gefangener seinem Bruder Artgal übergeben. Das Urteil sollte von seinem eigenen Stamm gesprochen und vollstreckt werden, weil er seinen Vater Fidaig ermordet hatte, der damals Oberhaupt der Sliabh Luachra war.«

Fidelma hörte still zu, nur ihre zusammengepressten Lippen ließen erkennen, wie tief sie das alles berührte.

»Die Kaufleute erzählten Gormán jedoch, dass Gláed geflohen war, seinen Bruder Artgal ermordet und sich selbst zum Stammesführer der Sliabh Luachra ernannt hatte.«

Fidelma starrte das Mädchen ungläubig an. Die Nachricht erschütterte sie. Sie hatte in der Abtei Mungairit das Ergebnis ihrer Nachforschungen zum Mordanschlag auf ihren Bruder Colgú dargelegt und dabei klargestellt, dass Gláed, Sohn des Fidaig, an der Verschwörung mitschuldig war. Er hatte das Blut vieler an seinen Händen. Sie selber hatte ihn seinem Bruder Artgal, dem neugewählten Stammesführer, übergeben. Dieser hatte zugesichert, den Gefangenen vor seinem eigenen Stamm vor Gericht zu stellen.

Eadulf war bleich geworden. »Das ist die vierte Überraschung in zwei Tagen«, murmelte er leise. »Ségdae ist tot, Gormán soll sein Mörder sein, Aibell und Gormán haben geheiratet, und jetzt ist Gláed im Stammesgebiet der Sliabh Luachra auf freiem Fuß und hat sich zum Anführer seines Volks aufgeschwungen.«

»Schlimmer noch, die Händler haben berichtet, dass Gláed mit einer Heerschar ins Land der Uí Fidgente eingefallen ist und Vergeltung üben will.«

»Die Bewohner der Sliabh-Luachra-Berge sind seit eh und je Diebe und Räuber!«, rief Enda dazwischen. »Gláeds Vater war ein Dieb und Mörder, und Gláed übertrifft ihn noch, hat ihn erstochen und nun auch seinen Bruder Artgal umgebracht. Die Kerle aus diesen unwirtlichen Bergen sind allesamt Mörder und Verbrecher.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte ihm Eadulf zu. »Gláed war doch mit Lorcán im Bund, dem Sohn von Eóghanán, dem Stammesfürsten der Uí Fidgente, der in der Schlacht bei Cnoc Áine ums Leben kam. Man hatte geglaubt, Lorcán wäre im Kampf neben seinem Vater gefallen. Das stimmte jedoch nicht. Grausam und gewissenlos wie er war, hatte er seinen Zwillingsbruder, Bruder Lugna, ermordet und sich an dessen Stelle in die Abtei Mungairit als Mönch eingeschlichen. Dort trachtete er danach, seinen Vetter, Fürst Donennach, zu stürzen und zu töten, denn der hatte für die Uí Fidgente mit Cashel Frieden geschlossen. An der geplanten Verschwörung hatte Gláed wesentlichen Anteil.«

»Aber habt nicht ihr beide, du und Lady Fidelma, diesen Lorcán entlarvt, und wurde er nicht in der Festung von Fürst Donennach ins Verlies geworfen, bis Gericht über ihn gehalten werden sollte?«, fragte Enda. »Sag mir bloß nicht, dass er geflohen ist wie Gláed und nicht verurteilt wurde!«

Alle atmeten erleichtert auf, als Ciarnat das mit einer Kopfbewegung verneinte. »Er hat versucht, aus der Festung zu fliehen. Es gab da immer noch Leute, die ihm halfen. Aber die Wachen, die treu zu Fürst Donennach stehen, waren auf der Hut und haben ihn bei dem Fluchtversuch schwer verwundet. Er starb innerhalb einer Woche, obwohl unsere Ärztin sich sehr um ihn bemühte.«

Fidelma schaute Ciarnat besorgt an. »Was hat Gormán sonst noch über Gláed erfahren? Wird er tatsächlich von allen Stammesangehörigen anerkannt, die vorher seinen Vater und dann seinen Bruder zum Oberhaupt gewählt hatten?«