Der Tramp und die Bombe - James Agee - E-Book

Der Tramp und die Bombe E-Book

James Agee

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Beschreibung

Eine Atombombe explodiert über New York. Die entsetzlichen Auswirkungen hat niemand vorhergesehen: Kein menschliches Wesen hat überlebt. Mit Ausnahme des Tramp. Durch die menschenleere Wüstenei eines post-apokalyptischen New York wankt Charlie Chaplin in seiner Paraderolle als Vagabund, dem nur sein tiefschwarzer Humor geblieben ist. Und er stößt auf weitere Überlebende: eine junge Frau, ein Neugeborenes – und ein Grüppchen Wissenschaftler, die sich inmitten der Ruinen eine Basis für ihre neue Weltordnung eingerichtet haben…
1947 wendet sich James Agee an den von ihm hoch verehrten Charlie Chaplin mit diesem Filmprojekt. Eine dunkle, hochkomplexe und dichte Geschichte, packend, bitter und bildgeschwängert. So drastisch wie unbeirrt manifestieren sich darin kollektive Ängste und der Wille zur ätzenden politischen Parodie gegen den antikommunistischen Furor der McCarthy-Ära, dem Chaplin selbst ausgesetzt war. Nie realisiert und erst vor kurzem wiederentdeckt, entfaltet sich ein erstaunlicher Text auf der Schwelle zwischen Film und Literatur, zwischen Drehbuch, poetischer Novelle und politischer Satire.

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Seitenzahl: 202

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James Agee

Der Tramp und die Bombe

Der Film, den Chaplin nie drehte

Aus dem Englischen von

Sven Koch und Andrea Stumpf

Inhalt

Der Tramp und die Bombe

A. Kürzestmöglicher Abriss der Handlung

B. Kurzer Abriss des Prologs

C. 1. Auftritt Tramp

C. 2. Die Wissenschaftler

C. 3. Die Gemeinschaft des Tramps

C. 4. Letzte Sequenz des Films

D. Prolog

E. Einige Anmerkungen und Vorschläge

Die große Einweihung

Die Bombe

Der Tramp und die Bombe

A. Kürzestmöglicher Abriss der Handlung

Ohne Vorwarnung explodiert eine Superatombombe, die selbst die kühnsten Erwartungen derer, die sie abwarfen, übertrifft. Augenscheinlich wird auf der Erde mit einem Schlag alles Leben, werden alle Menschen und Tiere vernichtet – und damit auch die Mächte, die bislang die Zivilisation lenkten.

Einen Überlebenden gibt es jedoch: den Tramp. In einem langen Solo-Auftritt wandert er durch ein menschenleeres New York (oder eine andere »internationalisierte« Großstadt) und betrachtet die Zivilisation, wie sie einen Sekundenbruchteil vor ihrer Vernichtung aussah.

Als dieses (soweit man weiß) letzte Lebewesen auf Erden kurz davor ist, aus schierer Einsamkeit, abgrundtiefer Verzweiflung und einem Gefühl der Sinnlosigkeit zu sterben, findet er kurz nacheinander zwei gute, alles andere aufwiegende Gründe weiterzuleben: erst ein fast neugeborenes Kind, dessen er sich annimmt, und dann eine junge Frau (nicht die Mutter des Kindes).

Von neuem Lebensmut und Hoffnung wie verwandelt, errichten der Tramp und die junge Frau aus irgendwelchen Relikten der ausgelöschten Zivilisation die erste menschliche Behausung und entzünden das erste Feuer in der neugeborenen Welt, deren menschliches Symbol das Baby ist. Sie sind wie Adam und Eva, eine Heilige Familie Robinson, und dies ist auch der Moment größter Hoffnung, Friede, Schönheit und Freude im Film: die größte und kleinste Einheit, die auf so etwas wie das durch und durch Gute und wahres Glück hoffen lässt: die Familie.

Doch danach erfahren wir, dass es weitere Überlebende gibt.

Der erste Mensch, ein braver, anständiger Mann, der zu der kleinen Familie des Tramps stößt, bootet den Tramp sogleich bei der jungen Frau aus. Danach ist der Tramp nur noch eine Mischung aus Kindermädchen und Freund der Familie. Doch abgesehen von diesem schweren Verlust und der Trauer, die für das im menschlichen Leben unvermeidliche Leid und den Schmerz stehen, gelangen sie zu einem bemerkenswert guten freundschaftlichen Miteinander.

Zu den anderen für den Film wichtigen Überlebenden zählt eine Gruppe von Kernphysikern und anderen Wissenschaftlern, die den Bombenabwurf in großen unterirdischen Laboratorien praktisch unbeschadet überstanden haben.

Der restliche Film widmet sich abwechselnd diesen beiden sehr unterschiedlichen Gemeinschaften und zeigt, wie in jeder wieder ein Alltag hergestellt wird und sich erneut eine Art Zivilisation herausbildet.

Die Überlebenden, die sich um die Wissenschaftler sammeln, und jene, die zufällig in das Umfeld des Tramps kommen, sind jeweils ganz normale Leute. Aber sie entwickeln sich völlig unterschiedlich, und sie entwickeln völlig unterschiedliche Formen von Gemeinschaft und Zivilisation. Diese Entwicklung verläuft umso schneller und entschiedener, als die Leute schon in der alten Zivilisation die Fähigkeit zum selbstständigen Denken und Fühlen fast vollständig verloren hatten und nun noch formbarer sind als zuvor, abhängig davon, unter welchen Einfluss sie zufällig geraten. Das ist die Hauptauswirkung des Bombenabwurfs auf die Psyche.

Die Wissenschaftler hatten bereits auf die alte Zivilisation maßgeblichen Einfluss, und alles in allem waren sie da auch die klügsten Köpfe; die Bombe haben sie in ihren nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eingerichteten Bunkern überlebt und blieben von den psychischen Folgen verschont. Überlebende, die unter Einfluss der Wissenschaftler geraten, richten ihr Leben immer mehr an der »reinen« Vernunft und wissenschaftlichen Autorität aus und folgen immer weniger Instinkt, Gefühlen, persönlichen Bedürfnissen, moralischen, ästhetischen oder persönlichen »Werten«, individuellem Urteil oder ihrer Selbsteinschätzung. Die reiche Belohnung, die sie dafür erhalten, ist materieller Art und technisch erzeugt. Der Preis, den sie bezahlen, ist der Verlust ihrer Eigenart, ihres Wesens und ihrer Persönlichkeit. Ihre Gemeinschaft ist die logische Weiterführung all dessen, was in der alten Zivilisation der Selbstverwirklichung am meisten entgegenstand. Es ist die höchste, vollkommene und unüberwindbare Form der Tyrannei, in der sich die Tyrannen tatsächlich für Diener, Retter und Wohltäter halten und es auch in der Wahrnehmung der Bürger sind, die alle Vorzüge der Demokratie genießen und nutzen und die sich für frei und glücklich halten. (Damit keine Sekunde der Eindruck entsteht, wir würden das herkömmliche Verständnis von »Totalitarismus« karikieren, sollte meiner Meinung nach die wissenschaftliche Gemeinschaft die amerikanische Verfassung und die Bill of Rights übernehmen, ja verfeinern und zeigen, zu welcher Hölle auf Erden eine perfekte Demokratie werden kann, wenn ihre Mitglieder zwar die richtigen Worte im Mund führen, aber deren Sinn nicht verstehen.) Zur potentiellen »Verteidigung« entwickeln die Wissenschaftler und ihre Mitbürger noch viel großartigere Waffen mit noch größerer Zerstörungskraft als die Bombe, die um Haaresbreite die gesamte Menschheit ausgelöscht hat.

Der Tramp dagegen hat nur durch eine verrückte Fügung des Schicksals, die sonderbare Gnade Gottes oder beides überlebt; wie alle anderen Überlebenden hat er die volle Wirkung der Bombe zu spüren bekommen. Doch obwohl der Tramp in vieler Hinsicht so leicht zu beeinflussen und so unbedacht ist wie ein Kind, ist er im Grunde die allerstärkste Kraft im menschlichen Leben: Er ist der menschliche Geist in einer so ursprünglichen und intakten Form, dass nicht einmal die Bombe sein reines Wesen schädigen oder schwächen konnte. Und alle, die unter seinen Einfluss gelangen, entdecken in sich die besondere Form von kindlichem Anarchismus des Tramps und finden zum ersten Mal im Leben den Mut, diesen Anarchismus zu bejahen und auszuleben. Damit beginnen selbst Menschen, von denen man es nicht für möglich halten würde, zu begreifen, wer und was sie sind; beginnen, Freude über sich und andere zu empfinden; und sich selbst und alle anderen als einzigartige, unverwechselbare Individuen wertzuschätzen; und all das zu tun und zu sein, was sie kaum zu hoffen wagten und höchstens insgeheim zu werden wünschten – was bei manchen grausam, böse oder zerstörerisch ist, aber bei den meisten eigentlich sehr gut und erfreulich. Sie verzichten nicht völlig auf den Gebrauch der Vernunft, aber sie gebrauchen sie fast nie ohne die Klugheit des Herzens, des Körpers und der Instinkte. Die reiche Belohnung, die sie dafür erhalten, ist rein persönlicher Art und zwischenmenschlich; doch müssen sie dafür mit Trauer und Leid bezahlen, die bei einer nicht betäubten, wirklich lebendigen Persönlichkeit unvermeidlich sind, sowie mit harter geistiger und körperlicher Arbeit. Was sie verlieren, ist die Technik. Ihr Leben ist das logische Gegenteil all dessen, was in der alten Zivilisation – außer für besonders weise, mutige oder glückliche Einzelne – möglich war. Ihre Gemeinschaft ist ein fließendes, stets veränderliches Gleichgewicht von freiheitlicher Demokratie, demokratischem Sozialismus und Anarchismus; ihre Stabilität beruht darauf, dass sie klein ist; dass sie willentlich vorindustriell ist; und vor allem darauf, dass in ihr die Menschen geachtet und geschützt werden und dass diese, weil sie zum ersten Mal Selbstachtung lernen, auch lernen, sich gegenseitig zu achten. In mehreren wichtigen Aspekten unterscheidet sich diese von den üblichen»Utopien«: Sie nimmt sich selbst nicht allzu ernst, sondern betrachtet sich wie jede andere Regierungsform bestenfalls als Notlösung; es gibt keinen Führer und nicht einmal eine herrschende Schicht, obwohl man Weise und Skeptiker in einer Weise hochschätzt, wie man es beispielsweise in unser heutigen Demokratie nicht tut; trotz gewisser größerer, gezielter Selbstbeschränkungen ist sie eher sinnenfreudig als asketisch. Gewalt kommt in dieser Gemeinschaft nur unter Einzelnen oder bei kleinen Gruppen vor: Krieg und größere Zerstörungen sind unvorstellbar.

Gegen Ende des Films fällt der umherwandernde Tramp zufällig den Wissenschaftlern in die Hände. Neugierig, ernsthaft und rücksichtslos unterziehen sie ihn ihren Experimenten. Doch obwohl sie die menschliche Persönlichkeit nahezu vollständig aus der Welt vertrieben haben, können sie ihn nicht auf Form reduzieren; und zuletzt entkommt er ihnen gerade rechtzeitig, um seine eigene Gemeinschaft zu retten zu versuchen.

Als es zur Konfrontation zwischen den beiden Gemeinschaften kommt, sieht die Sache jedoch anders aus. Die wissenschaftliche kann sich die gesamte humanistische einverleiben, sogar ohne Gewalt anwenden zu müssen. Die Fülle an arbeitssparenden und seelentötenden Annehmlichkeiten, die die Wissenschaftler bieten können, lässt die meisten Mitglieder aus der Gemeinschaft des Tramps das Lager wechseln. Der Tramp, der nun zum ersten Mal im Film überhaupt spricht, versucht verzweifelt, für seine Gemeinschaft einzutreten, und warnt vor den Gefahren, die mit der anderen verbunden sind. Die Rede zeitigt jedoch nur die bedauerliche Wirkung, dass selbst der verbliebene Rest seiner Anhänger, darunter auch die junge Frau, der brave, anständige Mann und das Kind, die Seiten wechseln.

Am Ende ist der Tramp, wie üblich, allein: Er wendet sich von der Neuen Welt ab und verschwindet in der Dämmerung, der letzten kurzen Zeitspanne, die ihm, der Menschheit und dem ganzen Planeten noch bleibt.

ABRISS DER GRUNDGEDANKEN

In einem solchem Handlungsabriss ließen sich die Grundgedanken nicht in ausreichender Klarheit darstellen. Daher folgt hier ein weiterer knapper Abriss des Hauptthemas: nämlich der Kampf um die menschliche Persönlichkeit. Die grundlegende Geschichte ist eine tragikomische Schilderung der Persönlichkeitsentwicklung – hin zum Leben oder zum Tod – unter »idealen Laborbedingungen«.

Die Geschichte beruht auf folgenden Annahmen:

Dass es auch unter den besten Bedingungen außerordentlich schwer ist, ein ganzer Mensch zu sein und zu werden; aber nicht unmöglich.

Dass es in der heutigen Zivilisation für die meisten Menschen unmöglich ist.

Dass die heutige Zivilisation aus diesem Grund noch sicherer untergehen wird als aus anderen Gründen.

Dass zu allen Zeiten äußere Einflüsse und persönliche Schwäche ein Dasein als ganzer Mensch stark erschweren; dass die Wurzel des Übels speziell in unserer Zeit folgende ist: Persönliche Schwäche wird mit den Entdeckungen, grundlegenden Annahmen und der Weltanschauung von Wissenschaftlern sowie Verfälschungen dieser Entdeckungen und Annahmen konfrontiert, die beinahe das gesamte moderne Leben physisch und psychisch prägen – und die sogar die meisten Wissenschaftler irre gehen lassen.

Dass unter den denkbar günstigsten »Laborbedingungen« – bei den wenigen Menschen, die eine völlige Zerstörung der heutigen Zivilisation überleben – zwei Dinge von höchster Wichtigkeit und Bedeutung passieren könnten:

1. Bei einigen würden das in der alten Zivilisation erworbene Wissen und die Denkgewohnheiten nicht nur überleben, sondern mächtiger werden denn je.

2. Für andere wäre der Untergang der heutigen Zivilisation die erste Gelegenheit zu einem Leben als ganzer Mensch und Persönlichkeit.

Dass sich eine Gemeinschaft aus der ersten Gruppe einer mechanistischen und materialistischen Utopie annähern würde; dem Tod der menschlichen Persönlichkeit; ihrer endgültigen sicheren Zerstörung.

Dass sich eine Gemeinschaft aus der zweiten Gruppe der humanistischen Utopie annähern würde; der relativen Befreiung der menschlichen Persönlichkeit; doch das ließe sich nur aufrechterhalten, wenn alles vermieden würde, was a) zur heutigen Zivilisation und b) zur Gemeinschaft der ersten Gruppe gehört.

Dass beim Aufeinandertreffen beider Gemeinschaften die Mitglieder der zweiten aus verschiedenen Gründen ihre Gemeinschaft unweigerlich zugunsten jener der ersten aufgäben.

Dass sich daher die Zivilisation ebenso wenig wie die individuelle Persönlichkeit vor der Zerstörung retten lasse – weder durch die Erfahrung einer Katastrophe noch durch eine erfolgreiche Demonstration menschlicher Möglichkeiten. Wir könnten uns retten, wenn wir denn wollten – aber wir wollen es nicht, fast als könnten wir es nicht. Ohne eine ausgefeilte technische Zivilisation hätten wir womöglich eine echte Chance; und wenn diese Chance ergriffen wird, ist eine gute Lebensweise offensichtlich auch möglich. Doch vor die Wahl gestellt, sich für eine technisierte Gesellschaft oder die Schwierigkeiten und Selbstbeschränkungen in der Gemeinschaft des Tramps zu entscheiden (so wie heute und wie in den Schlusseinstellungen des Films), sind wir nicht bereit, diesen Preis zu bezahlen, und wir begreifen nicht einmal genau, worum es bei dieser Wahl eigentlich geht, verstehen nicht den Bezug beider Lebensweisen zu Leben und Tod der Persönlichkeit. Ein Kompromiss scheint nur allzu vernünftig, möglich und sinnvoll – und diese Frage muss der Film genau beleuchten, was ich noch nicht getan habe. Ich vermute oder bin vielmehr überzeugt, dass man damit die industrielle Revolution durch die Hintertür wieder hereinließe, aber zu einem zu großen – und nachweislichen – Risiko. Oder um es anders zu sagen: Wenn wir uns heute mit dieser Frage befassen, vorausgesetzt wir könnten sie uns klar vor Augen führen, wäre es undenkbar, dass wir die uns bekannte Zivilisation zerstören – aus welchen realistischen Gründen auch immer »die Uhr zurückdrehen«. Doch auch wenn uns die Bombe den riesigen Gefallen täte, zu dem wir selbst nicht imstande sind, und auch wenn wir dank ihrer von unseren tatsächlichen Fähigkeiten erfahren hätten, so würden wir, aufs Neue vor die Entscheidung gestellt zwischen dem, was wir im Idealfall als Individuen vermögen, und dem, was wir als Masse und mit Hilfe von Maschinen vermögen, erneut denselben tragischen Fehler begehen.

Weil zum jetzigen Zeitpunkt einige Teile im Verhältnis viel zu ausführlich sind, habe ich versucht, den Text in eine Ordnung zu bringen, die Ihnen eine möglichst angenehme Lektüre erlaubt.

A. Kürzestmöglicher Abriss.

B. Prolog. Er ist schon in vielen Einzelheiten ausgearbeitet, aber dennoch viel zu lang. Der Einfachheit halber und um die Größenverhältnisse zu wahren, fasse ich ihn unter B kurz zusammen und führe ihn unter D dann in ganzer Länge auf.

C. Hauptteil: der wichtigste Teil des Films, soweit schon in Richtung Drehbuch entwickelt, beginnend mit dem Aufritt des Tramps bis zum Schluss.

1. Beinahe in allen Einzelheiten ausgearbeitete Eröffnung mit dem ersten Soloauftritt des Tramps; in der ersten Einstellung des Tramps mit der jungen Frau eine Mischung aus Details und allgemeinen Überlegungen.

2. Eher magere, allgemeine Gedanken zu den Wissenschaftlern und ihrer Gemeinschaft.

3. Dasselbe gilt für die Ausführungen zur Gemeinschaft des Tramps; und für das weitere Material zum Tramp.

4. Ziemlich detaillierter Entwurf für die Schlussszenen.

D. Der Prolog in ganzer Länge, vom Anfang des Films bis zum Auftritt des Tramps.

E. Verschiedene Korrekturen und Vorschläge.

F. Angefügt ist auch eine Geschichte, »Die große Einweihung«, da sie meiner Meinung nach einige bedenkenswerte Möglichkeiten für eine ganz andere Art von Prolog eröffnet.

B. Kurzer Abriss des Prologs

Wie erwähnt, scheint es in dieser Phase am besten, Ihre Zeit nicht über Gebühr zu beanspruchen. Daher hier die Quintessenz des Prologs.

Der Film beginnt in einem großen New Yorker Kinosaal. Eine karikierte March-of-Time-Sendung* gibt einen Überblick über die Atomwaffen auf der Welt und insbesondere in den USA. Eine Flut alberner Worthülsen und billiger »dokumentarischer« filmischer Mittel, sehr reißerisch und mit einschmeichelndem Unterton. Die Hauptsprecher sind der Ansager und vier Führer: ein Spitzenwissenschaftler, ein hochrangiger Geistlicher, ein »unabhängiger Individualist« und ein rhetorisch ausgebuffter Politiker. Angesprochen werden sollen die für den weiteren Film wichtigen Punkte: die Wissenschaftler; ihr Gehirn, eine Superrechenmaschine; ein kleiner Staat namens Obnoxia, der die Bombe abwerfen wird. Erreicht werden sollen vor allem folgende Punkte: 1. ein Gefühl von Verzweiflung und des Scheiterns sinnvoller Ideen, das jedoch von hohlem Getöse, falscher Todernsthaftigkeit und geschwollenen Mahnworten kaschiert wird; 2. die Andeutung der völligen Verrücktheit der heutigen Zivilisation – insbesondere bei jeder Verbindung von Intelligenz und Gefühl; die tödliche Umklammerung, in der politische Führer und das überempfängliche, hilflose, schafsgleiche Volk einander gefangen halten, während sie gemeinsam untergehen. Etwa nach der Hälfte der March-of-Time-Sendung sollte klar sein, dass keinerlei Hoffnung besteht, die Katastrophe abzuwenden.

Nach der Hälfte der Sendung schwenkt die Kamera, während die hoffnungslose, hochweinerliche Tonspur weiterläuft, aus dem Kinosaal und nimmt die normalen, ahnungslosen, menschenvollen Straßen der Stadt in den Blick; dann zeigt sie Obnoxia, ein winziges erfundenes Land, das sich zur feierlichen Segnung der Bombe anschickt. Ich stelle es mir als eine kleine, alte, tiefreligiöse Monarchie vor, die nicht nur deswegen erfunden ist, weil kein auch nur andeutungsweise erkennbarer Staat die Bombe abwerfen sollte, sondern auch weil ich das Wesen, die Sinnlosigkeit und die unerträgliche Gefährlichkeit des Nationalismus unabhängig von der Größe eines Landes in seiner Lächerlichkeit ebenso wie in seinem Pathos darstellen möchte. Das Flugzeug hebt ab; schon der Wind bei seinem schnellen Start lässt das Inferno über Obnoxia hereinbrechen.

Zurück in die USA, vor allem nach New York: in den Straßen nichtsahnende Menschen; kurzer Schwenk auf die Silhouette des Tramps von hinten, der wie üblich von einem Polizisten gejagt wird (nur eine Momentaufnahme, wie zufällig); das Flugzeug am Himmel nähert sich rasch und geräuschlos (in Überschallgeschwindigkeit), gefolgt von einem ohrenbetäubenden Lärm; ein winziger Fallschirm erscheint im Zenit und schwebt anmutig zur Erde. Dazwischen zur Verzögerung kleine Schnitte auf beunruhigte, aber immer noch ahnungslose Gesichter: eine grauenvolle Explosion mit Lichteffekten, die in D. ausführlich beschrieben wird. (Grellstes Gleißen; dunkles undefinierbares Dröhnen, um das Publikum in größtmöglichen Schrecken zu versetzen.) Die Kamera folgt einer riesigen rauchenden Feuersäule bis zum Scheitel, zeigt sie in genügendem Abstand, dann richtet sie sich nach unten und beginnt in einer einzigen Einstellung eine großartige Fahrt auf die sich drehende Erde hinab. Wir sehen genug von der ganzen Welt, um zu begreifen, dass alles Leben und alle Macht ausgelöscht sind, steigen weiter hinab zu einem etwas genaueren Blick auf die Sinnbilder des Untergangs der früheren Welt und lassen die Kamera stillstehen, als sie den Tramp einfängt.

(Anmerkung: Meiner Meinung nach enthält der Prolog nützliches Material zur Zivilisation unmittelbar vor der Bombe, die sich später nur schwer einbauen oder andeuten ließen; auch führt er einiges Nützliches ein. Aber ich vermute, dass alles doch auch später eingestreut werden könnte; es könnte zudem von besonderer Wirkung sein und wäre vielleicht sogar besser, wenn der Film ganz unvermittelt, überraschend und verstörend mit der Detonation anfinge; und sobald der Eindruck entstanden ist, dass nur der Tramp überlebt hat, könnte man die Kamera auf ihn richten; oder könnte die Kamera vielleicht gleich auf den Tramp richten, so dass wir nur mit ihm und durch ihn erfahren, dass er allein zurückgeblieben ist und was mit der Welt geschehen ist.)

C.1. Auftritt Tramp

Er hockt tief geduckt mit dem Rücken zur Kamera in einer winzig kleinen Gasse zwischen zwei Häusern. In die Ohren hat er je einen ausgestreckten Zeigefinger gebohrt. Er ist völlig bewegungslos, wie erstarrt.

Langsam und vorsichtig und zitternd vor Furcht erhebt er sich aus seiner gebückten Haltung wie ein eben erst niedergetrampelter Grashalm (und zieht dabei behutsam die Finger aus den Ohren). Den Rücken noch immer zur Kamera, stellt er sich aufrecht hin, streckt Arme und Beine und fängt an, die Kleidung zu ordnen, wobei er sich langsam der Kamera zuwendet, bis er, das Gesicht nah davor, direkt in sie hineinblickt. Er fährt fort, seine Kleidung zu richten und jedes Stück sehr sorgfältig glatt zu streichen: Krawatte, Kragen, Revers, Jackenschöße, die Hose zurechtrücken; Hosenaufschlag (beim Abklopfen steigen Staubwölkchen auf); Schuhspitzen an den Hosenbeinen polieren; erst mit dem Ärmel den Hut abwischen, der danach wieder sorgfältig auf den Kopf gesetzt wird; probehalber stützt er sich auf den Spazierstock: dann ein plötzliches heftiges Achselzucken (bei dem der ganze Körper und die gesamte Kleidung noch einmal überprüft werden), das zwischen dem Schütteln eines plötzlich nass gewordenen Hundes und einem das Gefieder ordnenden plötzlich zerzausten Huhns liegt. Anschließend unternimmt er, während sich die Kamera von ihm entfernt, bang und behutsam die ersten Schritte nach vorne, streckt den Kopf um die Hausecke und blickt nach links und rechts.

Eine weite Aufnahme einer leergefegten Straße aus seiner Perspektive. Ganz vorsichtig tritt er hervor und sieht sich um. Zum ersten Mal erblickt er nun den Polizisten.

Es ist ein zornentbrannter brutaler Polizist in vollem Lauf, den rechten Fuß nach vorne gestreckt und den Schlagstock erhoben; auf seinem Gesicht ein Ausdruck blinder Wut. Die Wucht, das Gleißen und die Hitze der Bombe haben ihn zu einer leicht verzerrten und flach auf die glatte Betonmauer des Gebäudes gedampften Fotografie reduziert: ein Kurzzeitfoto. An der Ecke des Mauerspalts ist es abgeknickt und ein Teil davon umgeklappt.

Der Tramp traut seinen Augen nicht. Zunächst hält er Abstand, ist auf der Hut, blickt skeptisch: bestimmt ist das ein Trick. Dann kommt er näher und blickt aus kurzer Entfernung in die riesigen, böse starrenden Fotoaugen. Sie jagen ihm Angst ein; er springt zurück. Dann gibt er eine kleine Komödie aus Wagemut und Überheblichkeit zum Besten. Sein Blick fällt auf die Pistole im Holster des Polizisten. Mit dem Fingernagel knibbelt er sie frei; zupft behutsam daran; als sie sich löst, dünn wie Stanniolpapier, lässt er sie fallen, als wäre sie ein ekelerregendes Insekt. Nun wird er mutiger. Er stolziert vor dem Polizisten auf und ab und macht freche, unverschämte Gesten; blickt wieder in das finstere Gesicht. Er streicht an der Wange des Polizisten ein Zündholz an, zündet sich einen Stumpen an, inhaliert tief und bläst dem Polizisten den Rauch ins Gesicht. Er tritt einen Schritt zurück und mustert ihn von Kopf bis Fuß. Er versucht, den steinernen Rockschoß des Polizisten anzuheben. Mit dem Ausdruck eines Vergnügens, das er sich lange versagt hat, holt er mit einem Fuß aus, um ihm einen schnellen Tritt in den Hintern zu versetzen. Doch mitten in der Ausholbewegung beginnt ihm seine Lage zu dämmern. Sachte und etwas verwirrt stellt er den Fuß wieder ab. Dann geht er, den Kopf nach hinten gewandt und den Polizisten noch immer leicht argwöhnisch beäugend, langsam fort.

Als er den Kopf nach vorne dreht, fällt sein erster Blick auf eine recht hübsche junge Frau, die mit einem koketten Lächeln erstarrt auf eine andere Mauer gebannt ist. Tief beeindruckt legt er ihr mit einer Geste der Verehrung seine Knopflochblume zu Füßen; im nächsten Moment fällt ihm ein, dass es ja noch weibliche Überlebende geben könnte, und mit beschämtem Gesichtsausdruck hebt er die Blume wieder auf, steckt sie sich zurück ins Knopfloch, lüftet den Hut und wackelt davon; aus seiner Miene spricht eine Mischung aus Entsetzen, Verblüffung, eine Art kindlicher Aufgeregtheit und Neugier; er biegt abrupt um eine Ecke und blickt auf die größte Straße der Stadt – erst in die eine, dann in andere Richtung. (Vorschlag: die Fifth Avenue auf Höhe der 49th Street.) Die Straße ist totenstill, menschenleer; das Sonnenlicht spiegelt sich in hunderten von Schaufenstern wie auf den Facetten eines Diamanten. Die Reaktion des Tramps – in Großaufnahme – ist heftiger als die des Grafen von Monte Christo, als er »Die Welt ist mein!« ruft, und sie wird über mehrere Sekunden sogar noch stärker und unbeherrschter, bis er nicht mehr stillstehen kann.

Begeisterung erfasst seinen ganzen Körper. Er rennt in die Straßenmitte, dreht sich dort mit ausgestreckten Armen im Kreis und macht mit großer, kindlich-ungezähmter Ausgelassenheit Luftsprünge wie ein Zicklein; er flitzt zu einem großen Feinkostgeschäft (die teuersten Geschenkkörbe, kandierte Früchte etc.); die Kamera bleibt immer auf die Straßenmitte gerichtet; er stürzt wieder heraus und rennt auf die Kamera zu, Fressalien in beiden Händen, unter den Armen und zwischen den Zähnen; er stapelt die Sachen auf dem Asphalt und richtet sich schwer atmend auf, lässt den Blick schweifen wie ein Hirsch in der Dämmerung und entdeckt sein nächstes Opfer: ein elegantes Modegeschäft mit Kleiderpuppen im Schaufenster. Er packt eine schwere Konservendose oder ein Einmachglas, wirft damit die Fensterscheibe ein und springt hinterher wie ein brünstiger Faun, er macht sich an die Puppe heran, hakt seinen Spazierstock unter ihren Rocksaum, setzt sich seinen Hut schief auf und schäkert vergnügt in der schamlosesten und lüsternsten Weise mit ihr; er entkleidet sie; rafft eine große Menge der schönsten Kleider und Pelze zusammen, schleppt sie zurück und legt sie auf seinen Haufen. Als Nächstes ein Juweliergeschäft: Er tritt das Fenster ein; bricht die Tür auf; im nächsten Moment ist er wieder draußen, funkelnd vor Schmuckstücken, die er mit der schwungvoll-verschwenderischen Armbewegung eines Sämanns oder des segnenden Papstes über denselben Haufen verteilt, und setzt sich hin, nur um augenblicklich wieder aufzuspringen: er hat sich auf einer Brosche mit offenem Verschluss niedergelassen, zieht die Nadel heraus und betrachtet erbost das wunderbare Glitzern, dann schleudert er die Brosche so weit weg wie möglich. Nun setzt er sich mit größerer Vorsicht auf den Haufen und wühlt sich durch den Schmuck und die Pelze, bis er einen Strunk Bleichsellerie herauszieht. Die gröberen äußeren Stängel rupft er ab und wirft sie zur Seite; auf seinem Schatzthron hockend, knabbert er mit elegant abgespreiztem Finger an einem kleinen zarten Stängel und erholt sich von seinen Mühen; blickt sich gebieterisch um, während er wieder Atem schöpft; ein König, der sein Reich überblickt. (Ist die Kamera auf die Straßenmitte gleich neben dem Schatzthron gerichtet, sollte das gesamte Geschehen ab seinem Einbiegen in die Fifth Avenue unnatürlich schnell ablaufen: auch damit während dieses wilden Plünderns das Seltsame und das Entsetzen aufrechterhalten bleiben, die in der halbverrückten Großaufnahme und Tanzeinlage vom Anfang lagen. Das ganze »Es« des Tramps und die eingebildete Erlösung von seinem bisherigen Leben der Entbehrungen und Enttäuschungen kann in dieser Szene stecken.)