Dich trifft keine Schuld, Andreas - Patricia Vandenberg - E-Book

Dich trifft keine Schuld, Andreas E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Es kam nicht oft vor, daß Dr. Norden zur Familie Reichert gerufen wurde, und wenn es der Fall war, wußte er, daß es dringend war. Wenn einem Familienmitglied sonst etwas fehlte, wurde er in der Praxis aufgesucht. Es war eine Familie ganz nach seinem Geschmack. Der Oberingenieur Jochen Reichert war ein tüchtiger Mann und ein vorbildlicher Vater, seine Frau Nanette eine jugendliche, hübsche und fröhliche Mutter, und beide zusammen waren auch nach gut zwanzig Ehejahren noch immer ein glückliches Paar. Auch mit ihren beiden Kindern gab es keine Sorgen. Andreas, der vor ein paar Monaten achtzehn geworden war und auf das Abitur zusteuerte, gehörte zu den Besten seiner Klasse, und Sabine, die Siebzehnjährige, war ein bildhübsches Mädchen, dem jetzt schon die Männer nachschauten. Doch sie machte sich nichts daraus. Ihre Liebe gehörte den Pferden und Hunden, und wenn auch Jochen Reichert nicht so betucht war, daß er seiner Tochter ein Pferd kaufen konnte, so hatte er ihr doch gestattet, Reitstunden zu nehmen. Aber einen Hund hatte Sabine vor zwei Jahren ins Haus gebracht. Da hatte es schon Dispute gegeben, denn gerade waren neue Teppichböden gelegt worden, und obgleich Frau Reichert nicht pingelig war, auf Sauberkeit legte sie doch großen Wert. Doch der Poppel hatte sich eingeschmeichelt. Niemand konnte seinen treuen, feuchten Hundeaugen widerstehen, die so lieb betteln konnten. Hatten die Eltern zuerst auch gesagt, daß Sabine allein für Poppel verantwortlich wäre, so hatte sich das sehr schnell geändert. Jetzt folgte er in erster Linie dem Herrn des Hauses, und es konnte schon passieren, daß er weinte wie ein Baby, wenn das Herrchen mal nicht pünktlich nach Hause kam, was aber immer nur beruflich bedingt war. Dr. Daniel Norden wurde von Poppel jedenfalls auch voll akzeptiert, und auch an diesem Tag begrüßte der besonders hübsche Mischling, dessen Abstammung niemand genau definieren konnte, den Arzt schon an der Gartentür. Ein hübsches Haus bewohnten die Reicherts. Sie hatten es vor fünfzehn Jahren gebaut, als es ihnen finanziell noch nicht so gut ging, aber inzwischen war es schuldenfrei, und da es auf einem großen Grundstück stand, planten sie nun auch einen Anbau. Dr.

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Dr. Norden Aktuell – 31 –

Dich trifft keine Schuld, Andreas

Patricia Vandenberg

Es kam nicht oft vor, daß Dr. Norden zur Familie Reichert gerufen wurde, und wenn es der Fall war, wußte er, daß es dringend war. Wenn einem Familienmitglied sonst etwas fehlte, wurde er in der Praxis aufgesucht.

Es war eine Familie ganz nach seinem Geschmack. Der Oberingenieur Jochen Reichert war ein tüchtiger Mann und ein vorbildlicher Vater, seine Frau Nanette eine jugendliche, hübsche und fröhliche Mutter, und beide zusammen waren auch nach gut zwanzig Ehejahren noch immer ein glückliches Paar. Auch mit ihren beiden Kindern gab es keine Sorgen. Andreas, der vor ein paar Monaten achtzehn geworden war und auf das Abitur zusteuerte, gehörte zu den Besten seiner Klasse, und Sabine, die Siebzehnjährige, war ein bildhübsches Mädchen, dem jetzt schon die Männer nachschauten. Doch sie machte sich nichts daraus. Ihre Liebe gehörte den Pferden und Hunden, und wenn auch Jochen Reichert nicht so betucht war, daß er seiner Tochter ein Pferd kaufen konnte, so hatte er ihr doch gestattet, Reitstunden zu nehmen. Aber einen Hund hatte Sabine vor zwei Jahren ins Haus gebracht. Da hatte es schon Dispute gegeben, denn gerade waren neue Teppichböden gelegt worden, und obgleich Frau Reichert nicht pingelig war, auf Sauberkeit legte sie doch großen Wert.

Doch der Poppel hatte sich eingeschmeichelt. Niemand konnte seinen treuen, feuchten Hundeaugen widerstehen, die so lieb betteln konnten. Hatten die Eltern zuerst auch gesagt, daß Sabine allein für Poppel verantwortlich wäre, so hatte sich das sehr schnell geändert. Jetzt folgte er in erster Linie dem Herrn des Hauses, und es konnte schon passieren, daß er weinte wie ein Baby, wenn das Herrchen mal nicht pünktlich nach Hause kam, was aber immer nur beruflich bedingt war.

Dr. Daniel Norden wurde von Poppel jedenfalls auch voll akzeptiert, und auch an diesem Tag begrüßte der besonders hübsche Mischling, dessen Abstammung niemand genau definieren konnte, den Arzt schon an der Gartentür.

Ein hübsches Haus bewohnten die Reicherts. Sie hatten es vor fünfzehn Jahren gebaut, als es ihnen finanziell noch nicht so gut ging, aber inzwischen war es schuldenfrei, und da es auf einem großen Grundstück stand, planten sie nun auch einen Anbau. Dr. Norden wußte es, weil den Reicherts deshalb von einem Nachbarn Schwierigkeiten gemacht wurden, und dieser Nachbar hatte anscheinend seine Lebensaufgabe darin gefunden, allen Menschen das Leben schwer zu machen.

Auch diesen Herrn Dobler kannte Dr. Norden.

Aber nun mußte er sich um seinen Patienten kümmern. Es war Andreas, dem es hundeelend war.

»Er war mit ein paar Freunden in solchem Schnellrestaurant, und da haben sie Fisch und Kartoffelsalat gegessen«, berichtete die sonst so ruhige Nanette Reichert aufgeregt. »Und nun muß er sich dauernd übergeben.«

»Wann hat er gegessen, und wann ist er heimgekommen?« fragte Dr. Norden rasch.

»Er ist mit dem Taxi heimgekommen. Zum Glück ist ihm das eingefallen, denn ihm wurde gleich nach dem Essen schlecht«, erwiderte Frau Reichert.

»Sofort in die Klinik«, sagte Dr. Norden. Und schon hatte er das Telefon in der Hand. Erst, nachdem er den Krankenwagen bestellt hatte, kümmerte er sich um Andreas, und ihm wurde bestätigt, daß er richtig geschaltet hatte, daß er gleich an die Klinikeinweisung dachte. Andreas war nicht ansprechbar.

»Regen Sie sich nicht auf, Frau Reichert. Es war gut, daß Sie mich gleich geholt haben. Wir kriegen Ihren Jungen schon wieder in Ordnung.«

Ja, es war manchmal doch gut, wenn eine Mutter überbesorgt war. In solchem Fall konnte Warten tödliche Folgen haben. Zehn Minuten später war Andreas schon in der Behnisch-Klinik, die nur einen Katzensprung entfernt lag, und gleich wurde ihm der Magen ausgepumpt.

Doch in diesem Fall galt es auch die anderen zu warnen, die das gleiche gegessen hatten, und vor allem mußte Dr. Norden diesen Vorfall auch dem Gesundheitsamt melden, damit nicht noch mehr Menschen zu Schaden kamen. Das war zwar eine unangenehme Aufgabe, aber sie war unerläßlich.

Frau Reichert konnte nur vermuten, daß auch die Freundin von Andreas, Miriam Kunert, mit von der Partie gewesen war, denn Andreas hatte gar nichts mehr sagen können, als er heimkam, und als sie das Dr. Norden sagte, wunderte er sich doch.

Auch die Kunerts waren ihm bekannt. Miriam ging mit Andreas in eine Klasse. Sie war ein attraktives Mädchen, aber das wußte sie auch. Und ihre Mutter gehörte zu den Patientinnen, die Dr. Norden lieber lange Zeit nicht sah.

Doch in diesem Fall zählte die Verantwortung. Er hielt vor dem feudalen Bungalow. Ein Hausmädchen öffnete. Die Herrschaften wären beim Essen, erklärte sie.

Ob Miriam da sei, fragte Dr. Norden. Es sei dringend. Andreas Reichert hätte eine Lebensmittelvergiftung.

Miriam kam dann auch, sehr schlank, mit den langen Beinen und dem rotblonden Haar bot sie einen wirklich hübschen Anblick. Sie war um ihren Freund Andreas wirklich besorgt.

»Ich habe gleich gesagt, daß sie keinen Fisch essen sollen, aber die Jungen müssen ja mit ihrem Taschengeld auskommen«, sagte sie. »Wir wollten eigentlich noch ins Kino gehen. Ich habe nichts gegessen. Ich bin in die Eisdiele gleich nebenan gegangen mit Tanja.«

»Aber wer war noch dabei, bei den Jungen?« fragte Dr. Norden. »Wieviel waren es?« Er wollte nicht plaudern. Er brauchte die Adressen. Die gab ihm Miriam dann auch.

Dann kam ihre Mutter. »Oh, Herr Dr. Norden, warum kommen Sie nicht herein? Das Mädchen ist doch wirklich ein Tölpel.« Damit meinte sie natürlich nicht ihre Tochter, sondern das Hausmädchen.

»Ich habe es eilig, gnädige Frau«, sagte Dr. Norden. »Miriam wird Ihnen sagen warum.«

Und schon entschwand er. Es galt festzustellen, wer von den übrigen vier Jungen noch Fisch und Kartoffelsalat gegessen hatte. Und es war gut, daß er von sich aus die Initiative ergriff, denn diese vier hatten nicht so besorgte Mütter, wie Frau Reichert eine war.

Vier Tage mußte Andreas in der Klinik bleiben. Es lag eine Salmonellenvergiftung vor. Bei den anderen Jungen dauerte es länger, denn in solchen Fällen konnten wirklich Stunden entscheidend sein.

*

»Eigentlich verstehe ich so was nicht«, sagte Fee Norden zu ihrem Mann, als sie über diesen Fall sprachen. »Schmeckt man denn da gar nichts?«

»Ich habe es noch nicht probiert, mein Schatz«, erwiderte Daniel. »Aber diese Buben kommen aus der Schule und haben Hunger. Sie wollen noch ins Kino gehen, und in der Eisdiele warten ihre Freundinnen. Da schlingen sie das Essen hinunter und denken nichts dabei. Aber nun geht es allen wieder gut. Was mich nachdenklich stimmt, ist, wie ein so netter Junge wie Andreas mit einem so arroganten Mädchen wie Miriam befreundet sein kann.«

Fee blinzelte ihm zu. »Ich habe mich das bei deinen früheren Freundinnen auch manchmal gefragt«, sagte sie anzüglich. »Der Blick nimmt mehr wahr als der Verstand. Wenn Miriam das Abitur schafft, wird es mit der Freundschaft auch zu Ende sein.«

»Warum?« fragte Daniel.

»Weil er ein kluger Junge ist und mit ihr paukt. Sie ist mehr als ein Jahr älter und wiederholt die Klasse. Und immerhin ist er der bestaussehende Junge unter den Gescheiten.«

»Woher nimmst du diese Kenntnisse, Fee?« fragte Daniel konsterniert.

»Von Frau Dr. Manziger, der Klassenlehrerin. Ich treffe sie doch öfter im Altenheim. Sie ist eine phantastische Frau, eine Lehrerin, wie ich sie mir gewünscht hätte, und wie ich sie unseren Kindern wünsche. Sie ist ja auch ganz narrisch mit Danny und Felix.«

»Und nicht verheiratet«, sagte Daniel.

»Nicht verheiratet«, sagte Fee. »Und das ist ein Jammer. Aber sie hat ein Herz für ihre Schüler, und ich glaube auch, daß sie ganz glücklich ist in ihrem Beruf. Ich habe sie neulich mal beim Spaziergang getroffen, und da kamen Andreas und Miriam vom Tennisplatz. Da haben wir halt auch mal ein bißchen geratscht. Sie meint allerdings, daß Miriam trotz dieser intensiven Nachhilfe das Abi nicht schafft.«

»Vielleicht liegt die Nachhilfe auf einem anderen Gebiet«, sagte Daniel hintergründig.

»Dann geht es aber von Miriam aus«, meinte Fee, »Sie hat es faustdick hinter den Ohren. Wie ihre Mutter!«

»Du brauchst mich gar nicht so anzusehen«, sagte Daniel lachend. »An mir prallen ihre Flirtversuche ab.«

»Wenn ich das nicht wüßte, bräuchtest du dich bei mir gar nicht mehr blicken zu lassen«, sagte Fee. »Aber das ist kein Klatsch, Daniel. Frau Manziger ist echt besorgt um Andreas. Sie möchte ja, daß er den Numerus Clausus erreicht, damit er gleich einen Studienplatz bekommt. Er will doch Arzt werden, und solche Ärzte sollten wir uns für die Zukunft erhoffen.«

»Warum bist du so sicher, daß er ein guter Arzt werden würde, Fee?«

»Weil in dieser Familie alles stimmt. Sie sind so menschlich, so hilfsbereit, so solide, das möchte ich auch nicht vergessen. Bei ihm ist es nicht Prestigefrage, sondern der Wunsch und Wille. Sprich doch mal mit ihm, Daniel. Du kannst das doch. Du kannst junge Menschen für unseren Beruf begeistern. Er soll doch nicht an einer Puppe scheitern.«

»Das war hart, Fee«, sagte Daniel.

»Aber ich widerrufe es nicht«, sagte sie ruhig.

*

Andreas Reichert war daheim, aber er mußte noch betreut werden. Und nach dem Gespräch mit Fee war das Daniel Norden nur recht.

Nanette schaute wieder heiter in die Welt, wenn Dr. Norden nun ins Haus kam. Ihre schönen Augen leuchteten.

»Andy will morgen unbedingt wieder in die Schule gehen, Herr Doktor«, sagte sie. »Ist das nicht zu früh?«

»Schauen wir mal, ob es zu verantworten ist.«

»Es ist ja Pech, daß so was passieren mußte und noch dazu so kurz vor dem Abi, aber er kennt ja seinen Stoff und kann auch zu Hause lernen.«

»Er braucht einen guten Notendurchschnitt, und das weiß er«, sagte Dr. Norden. »Ich habe ja auch was gegen dieses Punktesystem, aber was können wir dagegen unternehmen?«

»Ihm geht es ja auch darum, daß Miriam besteht«, sagte Frau Reichert leise.

»Ist das schon eine so feste Freundschaft?« fragte Dr. Norden.

Sie zuckte die Schultern. »Wir nehmen es nicht so ernst. Sie sind ja beide noch so jung.«

»Hat sie Andreas besucht?«

»Ja, mit ein paar Klassenkameraden war sie in der Klinik. Hierher kommt sie nicht. Mit Sabine kommt sie nicht aus. Nun ja, wir wollen auch nicht den Eindruck erwecken, daß wir diese Freundschaft forcieren. Kunerts haben mit ihrer einzigen Tochter sicher schon ihre Pläne«, fügte sie mit leisem Spott hinzu.

Sie tauschten einen Blick, der sehr verständnisinnig war. Dann ging Dr. Norden zu Andreas.

Er saß am Schreibtisch seines sehr wohnlich eingerichteten Zimmers, das auch verriet, daß er Geschmack hatte und sehr ordentlich war.

»Guten Tag, Herr Doktor«, sagte Andreas höflich. »Mir geht es schon wieder gut.«

Er war groß und schlank, noch schlaksig und sehr jungenhaft, aber schon jetzt gab es Anzeichen, daß er einmal ein sehr attraktiver Mann werden würde. Es war verständlich, daß auch eine Miriam Kunert Gefallen an ihm fand, mochte dabei auch Berechnung im Spiel sein. Dr. Norden wollte darüber kein Urteil fällen.

»Ich will nicht zu lange fehlen«, sagte Andreas. »Sie wissen doch auch, was für mich von einem sehr guten Abschneiden abhängt. Nur die Besten haben eine Chance, Medizin studieren zu dürfen. Auf die Eignung kommt es dabei weniger an.«

»Ja, leider, aber du bist sehr geeignet, Andreas.« Er konnte noch immer Du zu ihm sagen. Es wäre den Reichert-Kindern sogar nicht recht gewesen, wenn er es nicht tun würde.

»Ja, ich will Arzt werden«, sagte Andreas. »Großpapa setzt seine Hoffnung doch auch auf mich.«

Der Großpapa war Frau Reicherts Vater, Dr. Pohl, ein Landarzt.

»Du willst seine Praxis übernehmen?« fragte Dr. Norden nun aber doch erstaunt.

»Freilich. Als Krankenhausarzt würde ich nicht taugen«, erwiderte Andreas. »Richtig helfen kann man doch nur, wenn man die Patienten kennt, so wie Sie auch. Und ich möchte schnell mit dem Studium fertig werden, damit Großpapa sich nicht mehr so abrackern muß.«

»Du hast dir schon ein Ziel gesetzt, Andreas, und du wirst bestimmt sehr gut abschneiden«, sagte Dr. Norden.

Dem Jungen stieg das Blut in die Wangen. »Danke, Herr Doktor. Danke auch, daß Sie mir so schnell geholfen haben. Die andern krebsen noch herum.«

»Da wurde der Doktor auch nicht so schnell geholt. Ihr habt schon eine liebe Mutter, Andreas.«

Andreas nickte. »Unsere Eltern sind große klasse. Das wissen wir. Aber wir müssen doch auch sagen, daß Sie sich großartig benommen haben. Trotz Ihrer vielen Arbeit sind Sie herumgefahren. Das wird Ihnen keiner vergessen.«

»Es war selbstverständlich, Andreas. Also, dann geht es morgen wieder in die Schule. Ich hoffe, daß ich das Ergebnis der Prüfungen auch recht bald erfahre.«

»Na, zwei Monate müssen wir noch schwitzen«, seufzte Andreas. »Ich bin nur froh, daß bei uns zu Hause nicht solche Hektik herrscht wie bei den meisten anderen. Es geht doch auf die Nerven, wenn einem immer wieder gesagt wird: Du mußt es schaffen. Darum drehen ja so viele durch.«

»Ist das bei Miriam Kunert auch so, wenn ich fragen darf?«

»Na ja, ihre Eltern sind halt so schrecklich ehrgeizig, aber ich meine, sie könnten froh sein, wenn sie es überhaupt schafft. Aber Sie kennen Kunerts ja auch.«

Er war unbefangen und offen wie immer. Und er war ein Junge, den man gern haben mußte.

»Ich drücke dir die Daumen«, sagte Dr. Norden.

*

Vor der Tür traf er mit Sabine zusammen, die sich mit einem anderen Mädchen unterhielt.

»Andy geht es doch hoffentlich wieder ganz gut«, sagte sie.

»Ich bin zufrieden, Sabine«, erwiderte Dr. Norden. Ein reizendes Mädchen war sie, ganz natürlich, und der Schelm blitzte ihr aus den Augen.

»Das ist meine Freundin Jennifer Stones«, stellte sie vor. »Seit vier Monaten unsere Nachbarn.«

Jennifer war ein unscheinbares Mädchen und voller Hemmungen, wie der Menschenkenner Dr. Norden gleich erkannte. Sie war kleiner als Sabine, dünn und blaß. Übergroß schienen ihre dunklen Augen, und durch das kurze Haar wirkte sie wie ein Junge. Nun verabschiedete sie sich schnell und lief zu dem Nachbarhaus.

»Sie müßte auch mal gründlich untersucht werden, Herr Dr. Norden«, sagte Sabine. »Sie wird immer so schnell müde, und Appetit hat sie auch nie.«

»Ich kann sie aber nicht zur Untersuchung zwingen, Bine«, erwiderte er.

»Vielleicht kann ich sie überreden. Auf mich hört sie. Es müßte sich halt jemand richtig um sie kümmern.«

Diese Bemerkung stimmt ihn sehr nachdenklich, und einige Wochen später sollte er sich wieder daran erinnern.

Nun mußte er sich beeilen, denn seine Frau Fee wartete bestimmt schon mit dem Essen, und am Nachmittag mußte er noch Krankenbesuche machen und seine Sprechstunde abhalten.

Fee wartete nicht nur mit dem Essen, sondern sie tischte ihm auch eine Überraschung auf.

»Ich war mit Danny und Felix im Wald«, sagte sie, »und wen, meinst du, habe ich da gesehen?«

»Den Osterhasen?« fragte er humorvoll.

»Miriam mit Studienrat Frahm.«

»Soso«, sagte Daniel, »sie hat also mehrere Eisen im Feuer.«

»Das kann aber sehr unangenehm werden, Daniel, für sie und noch mehr für ihn.«

»Damit haben wir nichts zu tun. Vielleicht gibt er ihr auch Nachhilfestunden.«

»Im Wald, Arm in Arm?«

»Er ist doch nicht verheiratet, soviel ich weiß«, sagte Daniel. »Mein Feelein regt sich über so was auf?«

»Wegen Andreas, sonst wäre es mir egal«, sagte Fee. »Stell dir doch mal vor, was der Junge für einen Schock bekommen könnte, und das so kurz vor dem Abitur.«

»Aber da können wir gar nichts tun, mein Liebes. Nur auf sein heiles Zuhause vertrauen und auf seine Zielstrebigkeit. Der Junge hat einen starken Charakter.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Fee.

*

Andreas rief Miriam an. Sie war sofort bereit, sich mit ihm zu treffen. »Bei uns zu Hause geht es heute nicht«, sagte sie. »Frahm macht meinen Eltern einen Besuch.«

»Frahm?« fragte Andreas verwundert.

»Sie haben sich mal kennengelernt. Du weißt doch, wie sie sind. Sie möchten am liebsten jetzt schon wissen, was ich für Noten bekomme. Also, dann treffen wir uns um drei Uhr im Café Mack.«

Lange telefonierten sie nie, aber diesmal machte Miriam doch ziemlich abrupt Schluß. Nun, vielleicht wollte ihre Mutter telefonieren. Andreas zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber.

Er war pünktlich am Treffpunkt, doch er mußte auf Miriam zehn Minuten warten. Das war er gewohnt und auch weit davon entfernt, beleidigt zu sein.

Sie kam auf ihrem Mofa, bekleidet mit einem sportlichen Hosenrock und passender Jacke. Sie war immer schick angezogen.

»Siehst ja schon wieder ganz proper aus«, sagte sie leichthin.

»Morgen komme ich wieder in die Schule«, erwiderte er. »Was habt ihr heute in Physik durchgenommen?«

Sie zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Ich bin nach der dritten Stunde gegangen. Hatte irre Kopfschmerzen.«

»Und gerade Physik solltest du nicht versäumen«, sagte Andreas.

Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Ist das nicht meine Sache? Wenn ich solche Kopfschmerzen habe, kann ich nicht denken. Setzen wir uns doch hinein.«

Geturtelt wurde zwischen ihnen gewiß nicht, und ihr Umgangston war recht lässig. Aber Andreas war nicht der Typ, der herumschmuste. Den Kopf hatte ihm auch die hübsche Miriam nicht verdrehen können.

»Natürlich hat mir dein Beistand während dieser Tage gefehlt«, sagte Miriam. »Französisch habe ich mal wieder verhauen. Aber Mama redet mit Frahm. Vielleicht gibt der mir Nachhilfestunden. Er wird ja ungefähr wissen, was beim Abi drankommt.«

Andreas sah sie nachdenklich und vorwurfsvoll an.

»Er weiß auch nichts, Miriam. Verlaß dich nicht zu sehr darauf. Das könnte Ärger geben.«

»Wieso? Er unterrichtet nicht in unserer Klasse. Und er hat ziemlich viel für mich übrig«, fügte sie anzüglich hinzu.

»Wenn es so ist«, sagte Andreas ruhig, »bitte schön.«

Das hatte sie wohl nicht erwartet. »Du wirst doch einen Spaß verstehen«, sagte sie schnell.

»Ja, ich verstehe Spaß. Unsere Familie hat Humor. Aber wir haben auch Grundsätze.«

»Eure Familie«, spottete sie. »Die heile Welt! Meine Güte, dein Ehrgeiz reicht doch nur bis zum Landarzt.«

»Und deiner?« fragte er.

»Ich gehe sowieso zum Film«, erwiderte Miriam. »Jetzt bin ich mündig. Ich tue meinen Eltern den Gefallen und mache das Abitur. Voriges Jahr konnte ich mich ja noch nicht selbständig machen. Aber jetzt muß Papa sogar meinen Unterhalt bezahlen. Ich habe neulich so ein Gerichtsurteil gelesen, daß Eltern nach ihrem Einkommen verpflichtet sind, für ihre Kinder zu sorgen. Aber wenn ich das Abi bestehe, bekomme ich von Papa einen Sportwagen. Den will ich mir nicht entgehen lassen.«

Andreas blickte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal.