Die Achatnen Kugeln: Roman - Edschmid, Kasimir - kostenlos E-Book

Die Achatnen Kugeln: Roman E-Book

Edschmid, Kasimir

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The Project Gutenberg EBook of Die Achatnen Kugeln, by Kasimir EdschmidThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Die Achatnen Kugeln       RomanAuthor: Kasimir EdschmidRelease Date: March 27, 2012 [EBook #39277]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ACHATNEN KUGELN ***Produced by Jens Sadowski

Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.

Die Achatnen Kugeln

RomanvonKasimir Edschmid

Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920

Alle Rechte vorbehalten Copyright 1920 by Paul Cassirer, Berlin

Geschrieben Neunzehnhundertvierzehn bis Neunzehnhundertachtzehn

Gruß an René Schickele

Vorspiel

Nun stiegen sie schon die zweite Stufenreihe hinunter. Immer sahen sie auf der anderen Seite die schwarzen Schatten, die sich wie sie selbst bewegten.

Die Wasser rauschten langsam. Als sie die dritte Terrasse erreichten, kehrten sie um nach der anderen Seite, die schwarzen Schatten schwenkten und traten auf sie zu. Da kam aus dem See unten ein silberner Strahl, er glühte auf, Licht strömte die Neigung der Rasenterrasse herauf.

Das Schloß über ihnen schlug eine Mondflamme in den Himmel.

Zwei Herren traten zur Seite, die anderen bogen Halbkreise um die Gegner, die die Mäntel abwarfen und in weißen Samthosen, die Brust offen unter dem Hemd, sich gegenüberstanden. Ein flüsterndes Signal überklirrte das Metall. Aus dem dunklen Laubgang stöhnte ein Vogel. Ein Mann fiel um, den Säbel in der Gurgel, die Augen nach oben gebrochen.

Der andere warf sich aufs Knie. Schob mit dem Daumen die Lider des Liegenden probend herunter, sie schnellten wieder über die gläserne Pupille zurück und hefteten sich auf den Knauf des Degens, der ihn durch die Kehle auf das Rasenbeet kreuzigte. Da stand der andere auf, schüttelte die Haare. Das war vorbei.

Er sah sich um, empfand atmend die helle Nacht, die mächtig gewölbt war.

„Mein Herr . . .“ sagte der Sekundant des Gegners. Er deutete mit lockerem Handgelenk auf den Toten.

Der Marquis neigte den Kopf nach ihm. Was ihn erfüllte, verschwand. Die steife Gebärde des Todes löschte die Wut des Abenteuers. Er sah auf, die Seele nicht mehr zusammengezogen. Wie schien der Mond feurig und entflammte purpurrot die Zweige.

„Zaudern Sie nicht“ — flüsterte der Sekundant, „sofort zu begreifen, daß Sie im königlichen Garten sind. Jetzt noch zu leben, heißt nur bedingt und halb ein Lebender zu sein.“

Vaudreuil trat mit einer Verbeugung zurück. Ein spöttisches Lächeln kniff in seinen abwesenden Mund. Dann kam der Laubengang. Das Dunkel der Nacht saß darin, unaufgescheucht vom Licht. Die weißen Hermen glommen aus der blauen Dämmerung. Nun paradierte ihn die Wache.

Die Rondells mit den Fontänen waren beinahe rot, und die Tritone schäumten vor sich hin. Auf den Seiten verschwammen die Alleen flaumiger Dämmerung. Eine quecksilberne Säule stand das Schloß aufgerichtet neben ihm. Zwischen dem Schwung von zwei Koniferenästen zog sich der ganze Garten noch einmal zusammen. Dicht über dem tiefen Wasserspiegel am Ende der gesenkten Terrassen hing riesenhaft der Mond.

Im runden Ausschnitt der Tanne hing eine Spiegelung, wie aus Silber eine metallene Platte.

Nächte voll Schwärmerei und Lichtern hoben sich über dem Park, zogen rasch vorüber. Zuckende Frauenleiber sträubten sich vor ihm auf. Ein großer Ritt, der ihn mit Ruhm behängte, glitt durch die Luft, sein Bein hing blutend in der Bügelung. Ehrgeizige Spiele, sehr erleuchtete gläserne Säle . . . Teile des Gartens dampften, brachen auf, Nischen entlaubten sich, Gänge warden ohne Dunkel. Gab es nicht eine Frau?

Eine Frau, ohne Geheimnis am Körper, verlogenen reizlosen Hirnes, ohne Leidenschaft der Erfindung, gut für Lakaien. Dennoch schlug er sich heut um ihre roten Haare. Dies ist das Dasein. Er lächelte, als ob er die weiße Zofe in den Flieder herunterpfiff oder die Pikardin berührte, die bleich durch eine Laube in der Parkecke auf ihn wartete.

Das Bild brach ab.

Aus allen Bosketts flossen Blumenrüche. Eine Nachtigall jagte einen süßen wilden Schrei schlaftrunken ins Gebüsch.

Er sah ohne den Schleier der Spiegelung in den Park. Die Grimasse des Totengesichts, von seinem stählernen Witzwort in der Gurgel gefaßt, stak am Boden, bläkte ihn an. Das Schicksal riß durch sein Herz. Waren diese Terrassen nicht verbraucht bis zum Irrsinn, entblättert die Lauben beim dritten Knie schon, das er darin geöffnet. Blieb ohne die Erregung des eigenen Blutes, das sein Feuer zu fremden Abenteuern sich schuf, nichts übrig wie nackte Enttäuschung, schon oft Gelebtes, sinnlos Wiederholtes. Er zog den Degen an sich, fror am Eisen. Da sah der Marquis hinuntergleiten in den See, was ihn ausgefüllt hatte die Jahre. Die Herren, mit denen er soff und spielte und sich schlug, Damen daneben und Hunde, die an ihren Knieen wehmütig zitterten und leicht mit dem Kopf nickend ihn verließen. Dann trat das alles schon nicht mehr ihm zugehörig von der Neigung der letzten Rasenfälle in Berührung mit dem Wasser. Der Mond nahm es auf und bog es aus dem Park. Der Marquis sah zu, raffte sich auf, ohne Zorn, ohne Reue.

Als er sich aber umbog, überfiel ihn alles, und er krümmte sich vor Schmerz über den Abschied, so sehr hing sein Herz an der Erde, auch wenn sie verbraucht war.

Angst kam auf ihn, wenn er bleibe, daß er, eingekerkert in steinerne Mauern, keine Sonne mehr sehe. Wie liebte er die Freiheit.

Er machte zwei große Schritte, reckte sich steif, hoch, das Gesicht in Ruhe, ging überlegen und sicher . . . . wankte und zog den Mantel über den Kopf und weinte. „Nicht weinen Vaudreuil,“ rief er sein Herz an, stieß den Degen fluchend auf den Boden, biß in den Mantel, zerrte an dem Tuch, „was weinst du, Affe . . .“ Allein er konnte seinen Schmerz nicht kränken und schluchzte, als er, den Seitenflügel umschreitend, den großen Empfangshof betrat, der unter seinen Schritten leise aufscholl. Er blieb da stehen. Kein Garten stand mehr vor ihm. Das große Gebäude verdeckte ihm den Mond. Er hatte noch nie Abschied genommen.

In der Kehle ein Zittern riß ihm den Schmerz bis zu den Zehen. Dies flimmernde Weiß an den Rändern des Schlosses, die Pflastersteine, die der Mond blau schlug . . . er wollte sich daran halten, sein Herz klammerte sich an das Licht, an die Luft. Sie hielt nicht.

Lautlos, taumelnd ging er zum Tor. In weißen Samthosen, die Brust frei unter dem zerrauften Hemd. Die Wache trat vor, grüßte und grinste. Ein Soldat sprang in seinen Schatten und bog den Bauch in Verrenkungen hin und her. Sie hielten ihn für betrunken.

In der Dämmerung rannten die Pferde nach der Küste. Das zweite trug den Diener, das dritte Gepäck, Geldrollen, Hemden, Waffen.

Die Stirnen der Gäule wandten sich im Kreis, zuerst gegen Havre zur Täuschung, dann ganz herum gedreht nach Dieppe. Paris fiel zurück unberührt. Dann warfen sie die Gäule nach Westen, schoben eine südliche große Linie nach Rochelle. Als sie bogen, flammte die Sonne über Versailles. Tief im Süden sahen sie, rastend in einem Dorf, fern das Sommerschloß des Marquis. Er ritt davon weg. Dann von eigenwilligen Dämonen getrieben, ging die Fahrt im Zickzack. Eine Erhebung hinauf, schräg herunter . . . nach einer schweren Stunde waren sie wieder auf dem Hügel von der anderen Richtung her. Baptiste sagte kein Wort und folgte. Gegen Mittag fluchte der Marquis, sie jagten um einen See. Durch Schilf, über Wiesen mit Rehböcken, die spielten, ging es stundenlang. Baptiste zog die Riemen der Ledertaschen auf und zu. Am Mittag brachen sie aus Weidenunterholz und waren wieder an dem See. Der Marquis ließ die Gäule saufen, ritt rechts in ein Tal, sprang plötzlich wild über einen Gießbach und jagte zurück, an dem See vorbei in die Landschaft der Küste. Gegen Abend lahmte das Pferd. Baptiste stieg ab, massierte das Bein. Der Marquis stieg auf. Er ritt zweimal im Kreis, dann jagte er in den eigenen Spuren zurück. Gegen Abend kamen sie an den Hügel, später durch das Dorf. Die Sonne ging unter. Links lag das Sommerschloß. Sie ritten direkt darauf zu. Sanft stiegen über die Mauern die hellen Bogen der Springbrunnen. Aus der einstöckigen Front schimmerten die vielen bis zum Boden gesenkten Fenster. Die Kieswege, angelegt für die Zärtlichkeit von Frauenschenkeln, lagen träumerisch im Schein des südlichen Abends. Der Marquis ließ Baptiste vorreiten. Er ritt in den Bügeln stehend, die Mauer war hoch. Sie hielten nicht an, sprengten am Ende die Mauer wieder zurück, dann hatte der Marquis ein Messer verloren. Sie fanden es nicht. Sie ritten hinunter, dann in die Nacht, die anfing. Die Pferde liefen wie die Teufel.

Das Meer kam, vom Wind geschlagen. Nebel klatschten graue Wellen über die Küste. Der Segler lag weit draußen und löste die Anker. Matrosen warfen die Mantelsäcke in die Barke, griffen zu den Rudern. Vaudreuil sprang hinein. Der Steuermann stieß das eine Bein gegen den Pflock, sah auf. Oben stand Baptiste. Der Marquis erbleichte. Der Diener stand schlaff. Dann trat er einen Schritt zurück.

„Zwölf Jahre waren Sie bei mir . . . hielt ich Sie nicht wie einen Pagen . . .?“

Der Marquis stand aufgerichtet im Boot, das schwankte unter krachenden Wellen. Aber der Diener ballte die Faust, wies auf das Meer, das sich dunkel donnernd zusammenballte! „Bin ich ein Hund, daß Sie mich mitreißen auch da hinaus . . . zwölf Jahre habe ich Bügel gehalten, vor Frauenhäusern gelauert . . .“, er röchelte und verzerrte sein Gesicht vor Haß.

Da stieg dem Marquis das Grauenvolle des Abschieds bitter in die Kehle wie kein Schmerz. Einen Augenblick hob er wie bittend die Hand. Als er von diesem letzten schlechten Stück sich riß, versagte sein Herz, daß er es demütigte. Er bat eine Sekunde. Dann warf der Wind ihm die Haare über das Gesicht.

„Bleiben Sie ruhig,“ sagte er, „behalten Sie die Pferde. Gehen Sie zurück nach Versailles.“ Er schrie, denn die Flut machte die Luft voll unruhigem Geräusch. Das Boot schoß los, sauste eine grüne Welle hinunter. Der Marquis nickte vom Rücken der nächsten dem Diener zu.

Der Segler rollte auf hohen Wellen. Der Marquis sah zurück. Auf dem erhöhten Hügel der Mole lag Baptiste, das Gesicht stumm gegen den Herrn gerichtet, der ihn verließ. Nebel kamen, verwirrten. Lösten sich und immer brach sein Bild, auf den Knieen, die Arme verkreuzt, durch den Wasserstaub.

„Wie feig er ist“, sagte der Marquis, „und doch wie groß seine Sehnsucht.“ Da begann Baptiste zu schreien, als die Barke an den Segler rollte, die Arme in die Luft zu stoßen, sein Haß und das Schmierige stritten mit dem guten Gefühl. Vaudreuil litt mit dem Niederen. Aber er empfand seine Stärke mehr zu leiden mit schmerzlichster Beschwingung. Die Tiefe der Erschütterung gab ihm ungeahnte Kraft.

Taue klatschten aufs Wasser. Dreimal schoß eine breite Woge zwischen die Fregatte und sie, teilte sie. Dann faßte Vaudreuil die Schlinge. Wie ein Affe erkletterte er das Verdeck. Matrosenhände erfaßten seine nasse Taille, schoben ihn herein. Das Schiff hatte sich weiß beflaggt, bog sich und rauschte. Er sah die Küste nicht mehr. Möven lagen auf den Wellenspitzen. Dann kamen Tage, wo die Sonne nur da war, der Himmel sich seidig zusammenzog. Er sog den Geruch des Meeres ein, schaute auf das Spielen von Welle mit Welle, der letzte Strich des Horizontes gab seinem Gefühl die ruhig sich schaukelnde Sicherheit der Ruhe und des Glückes.

Am fünften Tag wurden die Segel gerefft, ein Sturm legte die Fregatte auf die andere Seite, stieß ein Leck in den Speicher. Seekrank lag Vaudreuil auf einem Haufen Taue in seiner Kabine. Sein Magen spie über Bett und Tisch. Sein Geist litt unter der Beschmutzung seiner Kleider. Sein kraftloser Körper, den nur einmal in Barbizon nach einer ausschweifenden Woche mit Lilotte, der Tänzerin des Dauphin, ein Purgier mit Schweiß befreite, litt unter der Ohnmacht und stemmte sich mit Wut dagegen. Aber die Dauer des Zustandes führte ihn in die Überwindung. Ohne Zorn fand er sich darein, daß seine Kabine stank wie ein Stall, daß er tagelang kotzte. Als er geduldig ward, befreiten ihn helle Tage. Die Angel lag auf dem spiegeligen Wasser. Matrosen saßen in den Takelungen. Mit weiß knatternden Spitzen schlug das Meer gegen den blau aufbrechenden Horizont. Er fing Germanen, köpfte sie, warf die Körper den Kabeljaus zum Fressen hinunter, briet die Köpfe. Nie aß er früher so weißes Fleisch. Erfinderisch geworden in der Ruhe, erfand er neue Speisen. Er röstete Flossen, briet Herzen. Der Tag ward ihm phantastisch, spielend überwand er die Melancholie der Abende.

Das Schiff wendete. Die Segel klatschten, standen dick voll Wind. Matrosen liefen mit Haken und Büchsen nach Backbord. Da stand am Horizont ein Schiff in der Form saletanischer Piraten, das braune Segelzeug schoß scharf drachenhoch vor dem Gelb. Der Kapitän schrie. Aus den Verstauräumen kamen Kanonen angeschleppt, die sonst das Gleichgewicht des Schiffs gegen den Wind stärkten. Da brauste es aus dem Sprachrohr des Drachenschiffs: „Vila“.

Da begannen die Matrosen zu grinsen, einer sang. Sie zogen die Hemden aus und winkten in ihren bronzenen Brüsten hell zwischen den Leinen und dem blühenden Himmel. Denn das Schiff war gascognisch. Vaudreuil blies die Backen auf und ging hin und her den Abend.

Zwischen zwei Felsen fuhren sie in den St. Lorenz. Die Wände standen wie Pyramiden. Schwärme langgehalster Vögel hoben sich, zogen endlose Spiralen immer höher und schrieen. Morgens booteten sie aus nach Quibek. Vaudreuil ging sofort zum Fort. Die Straße war kotig. Mit schmutzigen Schuhen und Strümpfen kam er, nach Tang riechend, an die Palisaden und nannte seinen Namen.

Abends erschien der Kommandant zum Bankett. Er hatte den ganzen Mittag die Finger seiner Hände hin und zurück gezählt, um nicht sofort hinzulaufen. Jedoch der Drang seiner Würde war größer als seine Neugier. Auf Vaudreuils anderer Seite saß der Bischof in violettblauer Sutane. Ihre Fragen umzingelten ihn, faßten ihn von immer neuen Seiten. Sie schlürften jedes Wort. Der Geruch Europas war noch an ihm. Sie hielten sich gerade, aßen mit Bewegungen, die ihren Namen entsprachen, wenn auch ihre Stoffe derb waren, ihre Schuhe aus Rindsleder, das roch. Er gab, was er wußte, vom Hof, den Städten, den Frauen, teilnahmslos, halb Gelöschtes aus seinem Gedächtnis. Der Bischof riß einen Fisch mit beiden Händen am Schwanz auseinander und frug: „Was planen Sie hier?“ Aber Vaudreuil zuckte die Schultern. Sie wurden verlegen. Der Kommandant trank rasch. Der Bischof leckte an seinen fetten Fingern. Sie schwiegen eine Zeitlang.

Beim Dessert verloren sie ihre Haltung. Vaudreuil kam beim Pharao in Verlust. Als sie zwei Rollen Louis gewonnen hatten, wurden sie höflicher vor seinen Mitteln. Um vier begannen sie, gebranntes Wasser zu saufen. Boys brachten Kübel. Um fünf saßen sie hinter den Karten. Vaudreuil hielt Bank, gewann zurück. Ein Fähnrich kam in Verlust, man verweigerte seine Bons. Er hockte sich in die Ecke, schrie: Germaine . . . sah nur Waden, beschrieb sie mit dem Finger, leckte das Maul. Ein Offizier fiel um wie vom Schlag gerührt. Der Kommandant zuckte die Achseln: „Er liebt, seinen Gewinst festzuhalten.“ Seine Hand schrieb eine Anweisung, die er rotglühenden Auges Vaudreuil hinüberreichte. Sie machten eine Pause, aßen kleine scharfe Fische.

Der Bischof hob den Arm. Schwenkte den andern auf, hob sie und senkte sie heftig, bis der Apparat rauschte, seine blecherne Stimme anfing zu singen. „Fettes Schwein“, sagte der Kommandant und schlug im Takt die Fäuste auf den Tisch. Ein Hauptmann taufte einen Eingeborenen. Das Zimmer dick vor Rauch.

Sie kehrten zurück zu den Karten. Die Sonne stand draußen. Der Bischof setzte die Sutane. Verlor. Der zweite Fähnrich begann ihn sofort zu entkleiden, wollte ihn als Adam durch den Morgen führen. Der Bischof quietschte mit Faseltönen, flatterte mit den Händen, umwirbelt von Dampf. Er stank aus jeder Pore. Dann weinte er und psalmodierte eine Beichte. Der Kommandant bog sich von seinem Stuhl, fiel krachend zurück in die Lehne, beugte sich wieder, krampfte die Arme über den Bauch und bekam das Maul nicht zu vor Geheul. Vaudreuil ging hinaus.

An der Palisade erreichten ihn Schreie. Die Fähnriche brachten die Sutane geschleift. Am Fenster hing der Mondbauch des nackten Bischofs. Eine Hand hob sich über ihm, klatschte auf feine fette Schulter. Des Bischofs Arme zeterten herunter, er wand sich. Seine Schinken hingen zum Fenster heraus. „Also doch . . .“ Vaudreuil bot Ohrfeigen mit, der flachen Hand. Sie zogen. „Germaine“, brüllte der eine und fuchtelte in der Luft. Vaudreuil schonte ihn, wandt sich zum anderen, der stieß ihm, schmalnasig und hager, im selben Augenblick leicht in die Achsel, warf seinen Degen weg, salutierte mit der Hand. „Es hätte auch die Kehle sein können.“ Vaudreuil packte die Sutane mit den Fingerspitzen, trug sie hinaus. In der Mitte des Zimmers lag ein Haufen Fett, das den Himmel vertrat, vor dessen Umarmung jede trübe Zofe flöhe. Er legte den blauen Rock auf den Haufen.

Den Rückweg verlegte der Kommandant an den Palisaden. „Den Degen.“ Der Fähnrich, zwölf Soldaten hinter ihm. Vaudreuil lachte, denn seine Stimme lallte und überschlug sich vor Besäufung. Er richtete die Spitze des Degens nach hinten, ging so auf die Wache zu. Sein Lachen steckte an. Zuerst prustete ein Soldat. Dann lachten sie alle, schlugen sich auf die Schultern, auf den Bauch, ohrfeigten sich, begannen eine Prügelei. Der Fähnrich zog ein Lächeln um den dünnen Mund und salutierte. Der Kommandant, Sergeant an Wuchs, donnerte wütend, die Soldaten johlten weiter. Der Kommandant torkelte einem an den Hals, umarmte ihn, fiel um, ward aufgehoben, schlug sich den Bauch vor Lachen. Er kommandierte die Wache zum Salutieren, es geschah unter Schwanken. Arm in Arm mit Vaudreuil verließ er das Fort.

An der Ecke blieb er stehen, stampfte auf, um fest zu stehen. „Ich muß Sie verhaften, ohne Zweifel.“ Er stemmte sich mit dem Rücken gegen ein Haus, rülpste Gelächter. „Ich warte bis zum Abend.“ Sie zogen durch die Kneipen. In der dritten entlieh er eine Rolle Louis. Vaudreuil schlug sie ab. Es gab einen Skandal. Mitten in der Szene vergaß er es wieder, versprach Vaudreuil Weiber, frug nach Paris, schlief schnarchend ein. Die Nase fiel auf den Tisch, begann zu bluten. Eine Rinne lief ganz langsam über die Platte, schwenkte nach rechts, lief nach links. Vaudreuil blieb sitzen, bis es ihn erreichte. Dann stand er auf.

Am Bootshaus lag sein Gepäck. Vor der Mole schaukelte ein großes Segelboot. Wohin? Nach Montreal. Er erklomm das Schiff an der Seite, wo Männer loteten; setzte sich unter ein Sonnensegel, zog ein Buch aus der Manteltasche, begann zu lesen. Die Eingeborenen sangen vor sich hin, indem sie die Segel besorgten. In der Stille verengte sich der Fluß, das Meer blieb stürmisch mit schlagenden Wellen zurück.

Plötzlich stand ein Mann vor ihm, sprach ihn an, verdrehte die Augen, schnitt Fratzen und bog die Nase nach oben. Zuckte mit den Achseln und zwitscherte wie ein Vogel. Öffnete die Hand, schloß die Hand, verkrümmte sich und blinzelte. Wandt sich von Vaudreuil, der weiter las, nach der anderen Seite der Bank, verneigte sich, schwang die Arme nach hinten. Da saß ein Offizier mit einem Orden, winkte mit der Hand, das Individuum verschwand unter den Fäusten der Matrosen. Vaudreuil sah auf, beugte sich etwas gegen den Offizier. Der erhob sich: „Courbisson“, der Gouverneur. Vaudreuil blinzelte, schob den Mund schief, begann weiterzulesen. Die Adlernase kam im Bogen, hing vor ihm, schnitt die Luft:

„Sie brachen heute mein Gesetz.“

„Es waren Schweine. Soll dieser Irrtum . . .“

„Haben Sie zu verlieren?“

„Das Leben.“

„Sie wissen es einzusetzen.“

„Der Ehre halber.“

„Das genügt nicht. Bei diesen Menschen bedarf es mehr.“

„Ich bin am Ende. Sah den Arsch des Bischofs die erste Nacht.“

Der Gouverneur griff an seinen Hut, grüßte, die Matrosen begannen zu schreien. Baumstämme kamen angeschwommen, sie halsten, bogen aus, im Schwung umschwebte sie eine betäubende Insel. Der Gouverneur strich den Knauf, aus dem ein Löwe in die Luft biß.

„Ich bitte um zwei Fragen . . . haben Sie Mittel?“

„Die Diskretion der ersten läßt mich auf die zweite verzichten.“

„Ich rede in einer dringlichen Sache meines Herzens geschäftlich,“ der Gouverneur verneigte sich. Ein Haar breit.

„Ich habe keine Geschäfte.“

Da stieß der Gouverneur einen Fluch in die schmalen Lippen. Vaudreuil machte eine unwillkürliche Bewegung. „Nein“, sagte der Gouverneur, lächelte zerstreut, gewinnend, Unruhe wölkte seine Stirn. Da legte Vaudreuil sein Buch hin, kam ihm entgegen: „Verhandeln wir.“

Courbisson errötete gegen die grauen Schläfen, begann sofort mit Charme zu reden. Vaudreuil sah ihn aus aufgerissenen Augen an. Beim zweiten Satze des Gouverneurs schlief er ein.

Als er erwachte, war es hoch im Mittag. Er war allein. Die Ketten rasselten, die Segel hingen eingerefft, gebunden, der Anker hielt. Eine Landschaft kam mit Wiesen heruntergespielt zum Fluß. Er sah große Fasane, stieg aus zur Jagd. Die Nacht brach er durch Büsche auf dem Rückwege, fand ein Blockhaus. Auf Heu schlief er. Morgens lockten die Stimmen der Tiere sein Blut, er bestieg das Schiff nicht, blieb acht Tage, streifte, jagte, brach in das Dickicht, das ihn schluckte, einsog.

Am neunten Tage trieb er ein Boot auf, fuhr langsam hinunter nach Montreal, kaufte fischenden Matrosen ihre Kleider für die Jagd, trat in ein Blockhaus, spreizte die Beine, warf den Kopf zurück und zeigte eine Landkarte, fixierte ein Stück mit dem Blei am Ufer. Hinter dem Tisch der breite Mann zog den Spitzbart. Vaudreuil sah in die Luft. „Das Stück ist zehn Klafter breit,“ sagte der Verkäufer. Vaudreuil zuckte die Achseln. Der andere zog die Lippen nach vorn, schrieb, Vaudreuil zahlte eine halbe Goldrolle, drehte um. An der Tür zögerte er kurz, ging hinaus, kehrte nach zehn Schritten um, zirkelte zu dem Flußgebiet, das er gekauft hatte, das ganze Hinterland dazu, sah fragend auf. Der Verkäufer grinste und schrieb ihm den Urwald noch dazu.

Er mietete ein Rudel Gesindel, fuhr mit ihnen hinauf, ließ Hütten bauen. Bald kamen Eingeborene. Mit Negern, die er kaufte, gründete er den Kral. Dann warf er das Geld gegen den Urwald. Ein wütender Kampf bellte auf. Der Wald wucherte mit Sumpf und Pflanzen gegen ihn auf. Tag um Tag fraß seine Horde sich in den Wald. Er wirbelte die Äxte hinein, schnitt mit Feuer Lücken, brach Boden auf Boden ab. Er umzingelte mit einer Gasse, die die Kerle schlugen, die dicksten Plätze, hungerte sie aus, verwüstete sie, ging zurück, brach vor. Die Sklaven starben an Fiebern. Er schaffte neue Scharen, trieb sie gegen den Wald. Ordnete kleine Gruppen, fiel von den Seiten, vom Rücken gegen das nie angegriffene Urstück. Tiere jagten nachts heraus. Ein Löwe sprang durch das Dach seines Hauses. Er gab nicht nach. Fauchend mit den Stimmen seiner Tiere wich der Wald zurück. Nun sogen Weiden das Wasser aus den modrigen Ufern. Pflüge rissen in das Herz des Landes. Ochsenwagen zogen nach dem Strom, warfen das Holz in die Boote, nahmen Saat zurück. Meer von Weizen schlug in schönen Wellen gegen den Wald. Herden suchten morgens, Boden schlagend, den Strom. Das erste Boot fuhr nach Quibeck. Zehn folgten. Seine Wolle fuhr über das Meer. Schon war der Wald eine ferne Linie am Horizont. In Tonnen und Schuppen stapelten die großen Fischzüge. Er legte einen Gürtel Ablagerungshäuser an. Eines Nachts flog ein Vogel vom anderen Ufer herüber, seine Flügel hatten eine grüne Färbung. Als er am Giebel saß, begann das Dach zu brennen. Es war der dreizehnte Schuppen. Vaudreuil ritt zum Inspizieren. Er fand nichts. Nach drei Tagen ritt er denselben Weg, ließ es wieder aufbauen. Nach einem halben Jahr kam er an einen Zug, der Tonnen Fische hinunterschleifte. Er sprach mit dem Führer, sie bogen um eine Waldecke, da nahte ein Zug, es kam eine Prozession. Vaudreuil stieg ein wenig in den Bügeln, kniff die Augen. Dann führte er seine Leute zurück, in einem Hohlweg mit steilen Wänden ließ er eine Tonne leeren, ritt weiter ein Stück, dann wieder zurück. Sie erreichten den Weg, als die Läufer der Prozession auf den Fischen ausglitten. Sie fielen auf Rücken und Bauch, streckten die Beine hoch, die Zungen heraus, rauften sich an den Haaren. Die dicken Priester fielen auf den Hintern und rutschten auf den Fischbäuchen die glatte Bahn herunter. Geschoß kam auf Geschoß. Den Bischof warf sein Esel ab, er flutschte vorüber, schlug mit den Armen wie ein Häher. Vaudreuil zog weiter. Zwei Wochen darauf klopfte es nachts an sein Haus.

„Woher?“

„Quibeck“.

Sie machten dem Fremden ein Lager im Flur und lauerten im Halbschlaf mit schrägen Augen, daß er nichts unternehme. Am Morgen ging Vaudreuil über die Diele. Da stand der Fremde auf, griff in die Mantelbrust und reichte ihm ein Papier. „Ich will es quittieren“, sagte Vaudreuil, kramte in Papieren, sandte dem Bischof für die Exkommunizierung eine Verschreibung von seiner eigenen Hand. Sie ging auf eine violettblaue Sutane. War vor sechs Jahren ausgestellt.

Vaudreuil badete, salbte sich ein Stück, zog Strohsandalen unter die Schuhe, es war Abend. Ging langsam zum Fluß, nahm ein Paddelboot, fuhr ab, legte, als der Flußwinkel überfahren war, an im Gebüsch, kehrte zurück, trat hinter einem Baum heraus mit einer Peitsche und verhieb Neger, die im Garten tanzten und seine Hüte trugen, entließ den Aufseher, der in der Küche sich Pasteten buk. Dann ging er über die Äcker zwei Stunden, bis er Wald erreichte. Eine halbe Stunde lang suchte er, die Nase wie ein Hund geneigt. Er fand einen Pfad, folgte ihm bis gegen Morgen. Dann schlief er ein wenig, lief den ganzen Tag weiter ins Innere. Es wurde Nacht, er roch Feuer, schlich sich heran, wartete eine Stunde, schnitt mit dem Messer Gestrüpp, verknotete Schlingpflanzen durch, machte einen Bogen, schaffte bis Mitternacht. Dann kam er an den Rücken eines Schattens, hob ein Tuch, war in einem Zelt, zündete ein Schwefelholz an, hielt es mitten in den Raum. Zehn Frauen saßen auf Fellen und schliefen. Eine stand auf, schlanker als die anderen, blies das Licht aus. Er nahm sie auf den Arm, trug sie durch das Lager in den Wald, das Kupfer ihrer Haut glänzte unter der Dunkelheit der Zweige. Sie kamen an sein Boot zum Fluß. „Naimi“, flüsterte sie. Ihre Augen der zahmen Antilope stellten sich in Rausch schräg gegen die Wipfel, die über den Mondwellen hingen. Das Rindenboot glitt unter Ästen mit singenden Vögeln. Ihre Haut roch nach ihren Speisen, nach Wildbret und Beeren. Er strich ihre junge Brust hoch. „Perlen“, sie lachte gegen die Hand, band sie in die blauschwarzen Haare. „Wie lange?“ Er zuckte die Achseln. Ihr aus den flimmernden Schatten des Waldes heraus geformter goldbraun geschwungener Leib zitterte. Sie hob das Gesicht über den Rand. Da sah sie in den Mondwellen die Perlen, warf sich nach vorn in die Knie, herüber zu ihm, den Kopf auf seine Hände, die Zunge fuhr über seine Brauen, die sich im Dreieck zur Stirne spannten. Er weckte sie aus dem Schlaf: „Naimi“. Sie forschte erschreckt in seinen Augen; als sie Liebe sah, begann ihre Haut sich zu färben. Sie banden das Boot an. Die Sonne ging über sie. Manchmal erhob sie sich, sah scheu nach ihm hinüber. Am Abend fuhren sie weiter. Das Rindenboot schlürfte am Ufer hin im leisen Takt des Stroms. Der Mond brach weich aus allen Ästen. Ihre Brust war fruchtreif und klein, sie flüsterte, erschreckt. Er sah sie an. Sie schlief ein. Sie näherten sich seiner Ansiedlung gegen Morgen. Als sie erwachte, ihn erblickte, war ihr noch munter. Später hieb er ihr gegen die Schenkel. Sie sah seine Stirn, erbleichte, knackte zusammen. Beim Aussteigen drehte sie sich einmal noch um, ihr schmales Gesicht sah ohne Ausdruck nach ihm. Dann sprang sie in den Wald. Er trieb allein gegen sein Haus.

Er kam in seine Faktorei, kontrollierte das Schreiben der Aufladung. Da trat ein Herr herein, grau an den Schläfen. Er ging ein wenig gebückt. „Ich treffe Sie doch in Geschäften“, lächelte dünn. Vaudreuil verbeugte sich wortlos: „Courbisson“. Der Gouverneur nahm Vaudreuils Arm, sie gingen durch den Garten, das Haus, die Anlagen, ritten den Strom herauf, vorbei an den Ausladehäusern. Sie gingen um die Schuppen, Courbisson prüfte mit der schmalen Hand die Maiskolben, den Weizen. Er hob die Hand, beschattete das Auge, blickte ins Innere. Er beugte sich noch tiefer: „Sie wissen nicht, daß ich das, was hier geleistet, von Ihnen wollte, als wir das erstemal uns trafen. Dies alles war meine Absicht.“ Er fuhr mit der Hand im Kreis herum. Dann nahm er wieder Vaudreuils Hand, er blieb bis zum Abend. Nach Tisch schlief er. Sie tranken Kaffee und spielten. Gegen die Dämmerung redeten sie monoton, einfach. Als es dunkel war, brachte Vaudreuil ihn zu seinem Schiff. Sie waren noch im Garten, und eine Kröte sprang schwerfällig über den Schuh des Gouverneurs. Er stand steifer: „Der Krach mit dem Bischof stellt alles in den Einsatz.“ „Ich weiß“, sagte Vaudreuil. Der Gouverneur ging weiter. Von einem Baum knallte eine Frucht. Das Kinn des Gouverneurs berührte einen Augenblick die Brust. Dann hoben sich seine Achseln, er atmete tief. Am Schiff gab er ihm die Hand: „Besuchen sie mich.“ Vaudreuils Brust hob sich hoch, senkte sich.

Am Morgen torkelten über die Felder eine Schar Weiber, kamen in die Umzäunung. Unter dem Schmutz erschien ihre weiße Haut. Sie kamen halbverhungert aus den Wäldern, wo sie breitschenkligen Huronen nachgelaufen waren, verlangten nach Essen. Sie waren derb und saftig, ihre Kleider von Dornen zerfetzt, manche fast nackt. Die meisten waren betrunken, schimpften vor sich hin. Er ließ sie hinaustreiben: Ein Neger erschien mit einem Seil, das ein anderer faßte. Eine nahm ein Federmesser und stach es ihm nach der Hüfte. Vaudreuil kam selbst heraus, langsam die Treppe herunter. Ließ die Sau auf einen Stuhl schnallen, schlagen. Die Neger rissen die Röcke hoch, schlugen ihr die Haut zu Striemen. Sie brüllte eine Weile. Dann ward sie still, verkroch sich in ihren Körper wie in eine fremde Hülle. Als sie losgebunden ging, öffnete sie den Mund, sang. Ihre Stimme war angenehm, nicht mehr rauh. Das Lied war von den Vorstädten von Paris. Vaudreuil ging die Treppe hinauf, er hatte sie im Rücken. Sie riß das Palais Royal vor ihm auf. Er biß die Lippen, aber er drehte nicht um. Sie hatte einen roten Strumpf. Dies verließ ihn nicht.

Im Sommer kamen die Meerwölfe ans Ufer, schlichen hinauf und schliefen. Sie fuhren mit ein paar Schiffen hinunter, kamen in der Dämmerung an, beschlichen die Plätze in der Frühe, hoben Gruben aus, versteckten sich, warteten. Als die Sonne heiß ward, pfiffen sie, sprangen heraus, liefen nach dem Strand und schnitten den Tieren den Rückweg ab. Dann schlugen sie sie mit Knüppeln tot. Die Tiere gaben kleine Pfiffe, wehrten sich in schnappigen Sprüngen mit dem Maul über die Luft rasierend. Müde von der Jagd ritt Vaudreuil in die Stadt, suchte ein schlichtes Haus, trat hinein zu Courbisson und aß mit ihm. Als er Abschied nahm, sah er, daß der Gouverneur sehr grau ward: Er lächelte. In der Hauptstraße standen vor kleinen Häusern europäische Weiber, hoben die Röcke, wiegten mit den Schenkeln und pfiffen. Er ging weiter, der Geruch gepflegten Fleisches war noch nicht aus ihm gewichen, und er, der die süße Frische der dunklen Weiber kannte, war der talentlosen Liebe, mit denen Frankreich überschwemmte, taub.

Der Mond kam aus den steifen, hohen Bäumen, er ging hinunter, das Pferd am Zügel, sah die Strecke an, kam bis an das Ufer, ritt es hinunter, wo der Lorenzo umbog. Da sah er zum erstenmal seit Jahren das Meer. Der Mond stürzte aus den Palmenwipfeln heraus, sank gegen das Wasser. Da brach aus ihm heraus, was er sieben Jahre bezwungen, was aber in der Reibung mit seinem Herzen wie ein Wolf gewachsen . . . er drückte sein Gesicht in den Bauch der Stute, zuckte mit den Achseln. Das Pferd hielt starr und hingebend, obwohl er den Hals mit den Armen ihm verschnürte.

Er sprang auf das Pferd, mit träumerischen Zügen trieb es langsam ins Wasser. Wo der Mondstrahl auffiel, spiegelte das Wasser wie Glas, das sich drehte: Das Schloß . . . mit buntem Kies, gebaut für die Zärtlichkeit der Frauen. Tiefe Fenster wühlten in der wollüstigen Blumendämmerung. Der Park stand voll vom Duft der Rosen und Jasminen. Schreibend früh morgens mit vier Sekretären, noch feucht von der Haut der Geliebten. Da schoß er Tiere. Warf den Körper in das Bassin, das ihn kristallen umschäumte. Dumpfe Nächte beim Kartenspiel durchschlug er mit schweißigem Haar. Ein großer Ritt, der ihn mit Ruhm behängt . . . eine Intrige, die in London sich kraus entfaltete . . . mit großen Orden, den Degen am Fuß empfing er eine Fürstin, die Hand am Schlag und sie warf ihm Blicke zu durch das Glas, das er geschmeichelt nahm. Dann nichts tun einen Sommer, als den Himmel ansehn durch den Regenbogen der Tritone . . . er trieb das Pferd mit Schlägen; das seichte Wasser schäumte. Er hob es am Zaum hoch und zwang es tiefer in die Flut. Indem begann der Mund sich zu öffnen, zuerst leise im Rhythmus, dann schreiend sang er, was von der Hure in ihm war. Das armselige Lied befriedigte seine Sehnsucht tief. Als der Gaul versank, schwamm er weiter, der Mond lag auf weißen Wellen. Er sang nicht mehr, das Wasser schlug an seiner Kehle und erstickte seinen Ton. Sein Herz war so irrsinnig, daß, als der Mund die Flamme nicht ausspeien konnte der Sehnsucht, es pochte dumpf den Namen der Frau, das Übelste an Erinnerung, die er verachtet, um die er sich geschlagen und die er jedem Lakaien gegeben. Das hatte noch sehr Gewalt in ihm.

Als die Kraft ihn verließ und er unterging, kam Wehmut über ihn, er arbeitete sich hoch, kam mit dem Kopf gegen die Küste, den Mond im Rücken. Da, als er das Land sah, verließ ihn alles, er wußte nichts als Leben und das Gefühl des Atmens durchstieß ihn so, daß er weinte vor Gier, dazubleiben, die Arme zu strecken, nicht zu sterben. Er mühte sich dreimal verzweifelt, die Welle schlug ihn zurück. Keuchend erreichte er Grund, kam an die Küste. Fand sein Pferd, das mit dem Schweif schlug und wieherte. Sein Atem schlug wie eine Säule über den Sand. Er stöhnte, machte drei Schritte, erreichte den Gaul nicht, sondern fiel mit dem Gesicht auf die Erde, breitete die Arme aus, schlief an ihr wie an einer Frau.

Spät am Morgen wachte er auf, drehte sich, nahm das Pferd am Halfter und ging nach der Stadt. Er drehte sich nicht nach dem Meer um, sah es nie wieder. Am Eingang zu den Häusern stieg er auf, glättete seine Kleider und ritt durch. Am anderen Ende kam ein Reiter ihm entgegen, stellte seinen Gaul etwas schräg, daß Vaudreuil halten mußte. Courbisson reichte ihm die Hand. Einen Augenblick verweilte des Gouverneurs Auge auf Vaudreuils Stirn. Er sah, daß er grau geworden war an der einen Schläfe. Er, täglicher Kämpfe hart im Inneren bewußt, lächelte, sagte nichts. In der Nacht in seinem Haus wartete Vaudreuil am Fenster. Der Mond flog zärtlich aus der Waldnacht im Osten. Er sah ihm nach.

Wochen ließ er sein Geschäft laufen. Er sah nach, aber ohne die Schärfe des Blicks. Eines Tags widersetzte sich ihm ein Arbeiter ins Gesicht. Er nahm ihn mit sich in sein Büro. Sie sprachen zwei Stunden. Der Arbeiter kam heraus mit verändertem Gesicht. Nach drei Tagen übernahm er die Leitung einer Abteilung. Vaudreuil rüstete sich aus, schaffte zwei Wochen geheimnisvoll. Als er frühmorgens mit seinem Pferd den Garten verließ, stand der Arbeiter an dem Pfosten: „Nehmen Sie mich mit?“ Vaudreuil ward zornig. Dann beherrschte er sich, sein Gesicht ward versteckt, starrte über die Bäume nach Norden. Er schüttelte abwesend den Kopf: „Ich muß hier einen Vertreter haben“, er gab dem Jungen, dessen Augen hell und ärgerlich über die Abweisung waren, die Hand. Mit ein paar Eingeborenen schlug er sich durch.

Als die Flüsse auf Rindenbooten durchfahren waren, kamen Steppen. Eines Morgens glänzte Weiß. Es war der Churchilriver, den noch kein Europäer sah. Er überschritt ihn. Zehn Tage weiter entdeckte er Pelztiere, durchforschte die Gegend, legte einen Schuppen, eine Kette Niederlassungen zur Küste an, brach weiter auf. Er kam zu einer Erdspalte, überstieg sie. Wie von Öl überglänzt, war die Ebene reich gegliedert von großen Seen. Wieder kamen Steppen. Am Rand blieben die Eingeborenen stehen und frugen achselzuckend, wohin er wolle. Er hieß sie schweigen und deutete nach Norden. Sie sahen ihn scheu an, folgten. Sie hatten drei Tage nichts zu trinken. Ein Indianer floh. Die anderen fingen ihn wieder. Er ließ ihn laufen mit so viel Verachtung, daß der sich hinwarf und flehte, er solle ihn nicht verstoßen. Aber er nahm ihn nicht weiter mit. Der Wilde folgte im Abstand, schlief, lagerte, aß mit ihnen. Am dritten Tag wurden die Stimmen heiser. Morgens tauchten drei blaue Punkte auf. Wilde nahten: hinter den Eisbergen sei das, was Menschen tilge . . . Er ward ungeduldig und schrie sie an. Sie senkten die Köpfe: er würde ein Greis, bis er die nördliche Küste erreiche. Sie wiesen Renntierhörnerkeule: es gäbe keine Tiere mehr zum Jagen, nur gefrorene Flüsse . . . Er zog die Brauen zusammen, daß sie im Dreieck standen. Es trieb ihn, er hatte keine Macht darüber.

Vier Tage zog er die Eingeborenen mit sich Sie froren die Zehen ab im Schnee. Sie wollten zurück. Er schalt: „Hunde.“ Sie zeigten ihre Füße. Er riß die Brust auf. Sie neigten den Hals. Er entließ sie. Im Abstand nur folgte ihm der eine, den er verjagt. Eines Morgens fehlte auch dieser. An diesem Tage traf er Eskimos. Er machte ihnen Zeichen. Noch eh er zu trinken bat, grub er das Zeichen des Meeres in den Schnee. Sie schüttelten den Kopf. Er würde den Punkt nicht erreichen, wo die Unendlichkeit der Ebenen und die Einsamkeit seines Herzens Europa am nächsten seien. Er würde nicht den magischen Pol seiner Sehnsucht erreichen, den sein Herz unruhig suchte, ohne daß er wußte, zu welchem Ziel, in welchem Sinn — — — er sah einmal den Kreis langsam herum, dann fiel er ab. Sie schleppten ihn mit sich südwärts. Als sie Lagerfeuer sahen, plünderten sie ihn aus, eh er ihnen schenken konnte, was sie nahmen, ließen ihn liegen. Halbverhungert wälzte er sich weiter, schrie und verlor die Besinnung. Am Morgen sah er, wie die Indianer aufbrachen, er erhob sich und winkte. Sie sahen ihn nicht. Als aber sein Leben dahinschwand mit den verschwimmenden Konturen der Zelte und Haarbüsche, kam die Kraft über ihn, daß er lief wie ein Ochse, sie erreichte, dort zusammenbrach. Sie pflegten ihn durch, zwei Monate lang. Es waren Iroquois. Als er gesund war, hob er nachts ein Zelttuch, sprang hinein, entzündete den Schwefelspan, hielt ihn in die Ecke. Eine Frau stand auf, der schlanke Brüste wie Zitronen saßen, die den Shawl mit einer gleitenden Leichtigkeit raffte. Sie hob den Kopf, blähte die Nüstern der bourbonischen Nase, als röche sie ihn, der Blick der wildsamtenen Antilopenaugen verdunkelte. Sie blies mit einer raschen, schönen Bewegung das Licht aus. Ihr Körper war glatt wie ein Fisch, golddunkel. Sie frug, wie lange, am Morgen. Er schüttelte den Kopf und nahm sie mit. Sie kam als erste in sein Haus. Der Arbeiter gab ihm die Übersicht der Bücher und trat ein wenig zurück. „Ich danke.“ Vaudreuil gab ihm die Hand. Der Arbeiter errötete, aber, da Vaudreuil nicht weiter sprach, wies er nochmals auf das Neue, seine zehn Pfade am oberen Lorenzo, den Hafen am Ontario. Vaudreuil nickte.

„Ist es nicht genug?“

Da sah Vaudreuil wieder über ihn hinaus wie am Morgen, als er aufbrach. Seine Sehnsucht hatte das Tätige nicht gestört. Er stapelte auf die Verträge von den großen Seen, die Abmachungen, die die Jagd am Sklavensee, am Makenziriver in seine Hand gaben. Nun flossen die Felle des Inneren nicht mehr zur Hudsonbay, nun durch ein neues Bett strömte das Innere zu ihm. Nun liefen die Pelze übers östliche Meer, nach Europa. Seine Besitzung am Lorenzo ein Strudel, der das Innere des Landes einsog und herriß. Was war das Bisherige gegen diese Leistung, diesen Horizont?

Er sah dem Arbeiter ins Auge: „Organisieren Sie es.“ Der zog den Mund zusammen, bückte sich einen Augenblick, hielt dann erstarrt mit geöffnetem Mund. Dann ging er hart. Nach einem Monat brachte er das Geschaffene. Er sah auf: Wegweiser, Faktoren, Dolmetscher zogen ins Eis. Die faule Jugend war diszipliniert, stieg in siebenjähriger Probezeit zu höherer Stellung, zu Beteiligung, zu Prämien für besondere Leistung. Für Ausdauer stand Lohn, für Ehrgeiz Befriedigung. Er machte Kräfte frei in gerechtem Wettstreit . . . „Gut,“ sagte Vaudreuil. Da nahm der Arbeiter seine Hand, sagte: „Verzeihen Sie.“ Er wollte kein Lob mehr. Kein Trotz war mehr in ihm. Er diente.

Als die Frau ihm einen Sohn ins Bett warf, schreiend, daß die Mägde im Haus den ganzen Tag zitterten, schenkte er ihr eine Kette mit gewundenem alten Dukatengold.

Daran hingen drei achatne Kugeln.

Courbisson hielt ihn zur Taufe über das Wasser, obwohl die Mutter braun war, denn seine Schätzung für den Menschen war noch geringer als die für das Beispiel, mit dem Vaudreuil für das Volk schuf. Am Mittag kam ein Bote, der die Nachricht hatte, daß ihm die Heimkehr frei sei, daß unter anderem Gesetz die Stadt stände. Er ging zurück in den Schatten, wohin die Kerzen nicht langten. Er würde Ruhm haben, Vermögen, Macht, Frauen. Er sah durch das Fenster, wo die schwere Silhouette des Waldes noch sichtbar in der Ferne schwang. Es ging über sein Gesicht von oben nach unten, von den Wangen über den Mund. Der Gouverneur zitterte an der Hand, die den Hut hielt. Vaudreuil äußerte sich nicht.

Im Frühjahr verschwand er einige Zeit. Rastete an Feuern, an Seen, Flüssen, den großen Hauch des Daseins spürend, ging mit Zeit, mit Woche und Jahr. Der Erde und ihrem Rücken verschwistert, die ihn mit Blut und Saft bis ins Hirn durchspülte, gingen die Nächte über ihn, die Schwingen des Sternkreises, der Monde. Er sprang in dieses Zelt, er zündete Hölzer an, er verließ es. Er hob das Tuch im Wald, auf der Steppe. Nahm jene, dieses, schwankte, ließ liegen, holte zurück unter Lachen. Schichtete um sich in Zellen brausend Gelebtes, reich Durchgegangenes, hielt nicht an dieser, jener Frau, glich sich aus in der Bewegung.

Am zwölften Geburtstag seines Sohnes kam er von einer Kontrollfahrt. Er ging sofort in das Zimmer, wo von einem Hausmeister und Lehrer er das Kind erziehen ließ. Von dort durch die Diele, kam er ins Boudoir seiner Frau. Er sah sie vom Rücken, sie stand vor einem Spiegel und kämmte ihr Haar. Ihre Lippen leuchteten voll und rot, der Nacken fiel mit der Glätte der Schlange und als sie sich ihm zudrehte, standen ihre Brüste klein und gegen ihn gereckt. Da sah er eine Flechte an ihrem Scheitel weiß, trat zurück, erbleichte.