Die althochdeutschen Zaubersprüche - Mirja Dahlmann - E-Book

Die althochdeutschen Zaubersprüche E-Book

Mirja Dahlmann

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Beschreibung

„Bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelîmida sîn.“ Magie und im speziellen Zaubersprüche wurden über Jahrhunderte hinweg als adäquates Mittel angesehen, um Liebe zu gewinnen, Krankheiten zu heilen oder Haus und Hof vor Unheil zu bewahren. In der vorliegenden Arbeit erklärt die Autorin die magischen Grundprinzipien sowie die unterschiedlichen Zauberspruchformen. Im Mittelpunkt stehen die althochdeutschen Varianten, an denen der Übergang vom germanischen Heidentum zu einer christlich geprägten Gesellschaft anschaulich sichtbar wird. Besondere Aufmerksamkeit erfährt der zweite Merseburger Zauberspruch, ein Heilspruch, in dem der Gott Wodan eine tragende Rolle spielt.

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Schläft ein Lied in allen Dingen,

Die da träumen fort und fort,

Und die Welt hebt an zu singen,

Triffst du nur das Zauberwort.

– Joseph von Eichendorff –

Mirja Dahlmann

Die althochdeutschen Zaubersprüche

zwischen Heidentum und Christentum

Edition Roter Drache

1. Auflage März 2017

Copyright © 2017 by Edition Roter Drache

Edition Roter Drache – Holger Kliemannel, Haufeld 1,

07407 Remda-Teichel

[email protected]; www.roterdrache.org

Umschlag- und Buchgestaltung: Edition Roter Drache

Lektorat: Carsten A. Dahlmann

Copyright © der Bilder: S. 26 © by George Hodan; S. 38 & S. 52 © by Holger Kliemannel; S. 50, S. 85, S. 92, S. 96, S. 147 Public Domain

Autorenfoto S. 178: Sylvia Biskupek

Gesamtherstellung: MCP Druck

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.

ISBN: 978-3-964260-02-4

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

1 Einleitung

2 Zur Quellenlage

3 Was ist Magie?

3.1 Anwendungsgebiete der Magie

3.2 Die magische und die religiöse Weltsicht

3.3 Die magischen Denkmuster

3.3.1 Similia similibus

3.3.2 Contraria contrariis

3.3.3 Gesetz der Berührung

3.3.4 Pars pro toto

3.3.5 Animismus und Präanimismus

3.3.6 Mana

4 Der Zauberspruch

4.1 Eigenschaften des Zauberspruchs

4.2 Die Macht des Wortes

5 Form und Inhalt der Zaubersprüche

5.1 Der Befehl

5.2 historiola

5.2.1 Der Begegnungstypus

5.2.2 Der Wanderschaftstypus

6 Althochdeutsche Zaubersprüche und Segen

6.1 Die althochdeutsche Sprache

6.2 Sprachliche Übertragung christlicher Inhalte

6.3 Die althochdeutschen Zaubersprüche

6.4 Auseinandersetzung mit der Umweltdes Frühmittelalters

7 Die Merseburger Zaubersprüche

8 Der zweite Merseburger Zauberspruch

8.1 Die historiola des zweiten Merseburger Zauberspruchs

8.2 Die Götter der historiola des zweiten Merseburger Zauberspruchs

8.2.1 Wodan/Odin

8.2.2 Frîja

8.2.3 Phol

8.2.4 Balder

8.2.5 Die restlichen Göttinnen

9 Die Deutungen des zweiten Merseburger Zauberspruchs

9.1 Grimm

9.2 Beck

9.3 Wegfall des Pferdes

9.4 Wegfall der Götter Phol und Balder

9.5 Fazit der Deutungen

9.5.1 Deutung als Baldermythe

9.5.2 Die Bedeutung der historiola

9.5.3 Variablität der Zaubersprüche

10 Die Kirche und Aberglauben

11 Heidnisch oder christlich? – zwei Sprüche im Vergleich

12 Fazit

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Index

Die Autorin

Vorwort

Magie und Zaubersprüche beschäftigen die Menschen schon seit Jahrtausenden. Die Anwender der magischen Formeln – seien es die alten Römer oder die Bauern des 19. Jahrhunderts – versuchten, das mitunter unberechenbare Schicksal zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Auch heute beweist die Flut der esoterischen Literatur, dass die Magie aus dem Leben der Menschen nicht verschwunden ist.

Dieses Thema, das ich im Jahre 2011 als Magisterarbeit bei der Bergischen Universität Wuppertal eingereicht habe, beschäftigt sich eingehend mit den Eigenarten der althochdeutschen Zaubersprüche – einer Textsorte, die im Übergang zwischen germanischem Heidentum und dem sich etablierenden Christentum anzusiedeln ist. Es war mir eine große Freude, mich eingehend mit dieser speziellen Art der Lyrik, aber auch mit der Christianisierung der Germanen zu befassen.

Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Elisabeth Stein, die mir während meines Studiums eine große Inspiration war. Danken möchte ich auch meinem Ehemann und persönlichem Lektor Carsten A. Dahlmann, der orthographischen Fehlern mit äußerster Genauigkeit nachspürte und dem meine chaotische Natur schon ein paar graue Haare beschert hat. Großer Dank gebührt schließlich auch Holger Kliemannel für die Gelegenheit, dieses Buch veröffentlichen zu können. Meinen Lesern wünsche ich viel Freude bei der Lektüre.

Wuppertal, im Februar 2017

Mirja Dahlmann

1 Einleitung

Schläft ein Lied in allen Dingen,

Die da träumen fort und fort,

Und die Welt hebt an zu singen,

Triffst du nur das Zauberwort.1

Trifft man das Zauberwort, so beginnt die Welt zu singen. Eichendorff bezieht sich in seinem Gedicht zwar nicht explizit auf Zaubersprüche, aber es ist auch für den Zaubernden wichtig, das richtige Wort zu treffen, damit sich ihm die Welt eröffnet.

Magie und Zaubersprüche haben die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch fasziniert. Auch Literatur und Film wären ohne die Magie um eine Facette ärmer. Bis in die heutige Zeit versuchen Menschen, mit Hilfe von Zaubersprüchen ihre Umwelt zu beeinflussen. Besonders auf die Aspekte des Lebens wie Liebe und Krankheit, die wenig berechenbar sind, wollte und will man Einfluss nehmen.2

Die ältesten, uns in deutscher Sprache überlieferten Zaubersprüche sind jene aus dem Frühmittelalter. Dieses Buch hat sich das Ziel gesetzt, diese in Althochdeutsch verfassten Zaubersprüche zu untersuchen. Zu diesem Zweck muss zunächst der Begriff der Magie und der magischen Denkmuster genauer erklärt werden. Magie unterliegt ihren eigenen Gesetzen und die magischen Gesetze folgen – auch wenn sie nicht den kausalen Gesetzen entsprechen – bestimmten Regeln.

Die althochdeutschen Zaubersprüche sind in vielerlei Hinsicht ein interessantes Forschungsfeld. Sie sind eine Textsorte des Frühmittelalters, an der man den Übergang von germanischem Heidentum zu einer christlich geprägten Gesellschaft erkennen kann. In dieser Arbeit werden althochdeutsche Zauber- und Segenssprüche im Hinblick auf ihre Form und ihren Inhalt untersucht. Es soll die Frage beantwortet werden, ob althochdeutsche Zaubersprüche heidnisch, christlich oder synkretistische Mischformen sind.

Des Weiteren soll die Haltung der Kirche zu Zauber- und Segenssprüchen ergründet werden. Da es auch Zaubersprüche gibt, die eher zu Segen und Gebeten tendieren, wird es sicherlich erwünschte oder geduldete Formen gegeben haben.

Die Hauptquelle dieser Arbeit ist der zweite Spruch der Merseburger Zaubersprüche. Er hebt sich in Form und Inhalt von den anderen überlieferten althochdeutschen Sprüchen ab. In ihm wirken heidnische Götter, während in anderen Sprüchen christliche Personen handeln. Wichtig sind auch die Deutungen des Spruchs. Bei diesen ist sich die Forschung bis heute uneins.

Eindeutig ist aber, dass der zweite Merseburger Spruch ein wichtiger Textzeuge der heidnischen Magie ist.

2 Zur Quellenlage

Die zitierten althochdeutschen Zaubersprüche finden sich in folgenden Editionen: Althochdeutsches Lesebuch3 und Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler4. Zur Beschreibung und Interpretation der allgemeinen Haltung der frühmittelalterlichen Kirche zu Aberglauben und Magie wurden folgende Werke zu Rate gezogen: Die Kirchengeschichte des englischen Volkes5 von Beda dem Ehrwürdigen, Der Gottesstaat6 von Aurelius Augustinus sowie die Briefe des Bonifatius7 aus der Freiherr-von-Stein-Gedächtnisausgabe, in der noch einige andere Quellen wie das Concilium Germanicum sowie der Aberglaubenskatalog Indiculus Superstitionum Et Paganiarum enthalten sind.

Hier gilt es zu beachten, dass diese Quellen aus christlicher Hand sind und dass die Autoren die Religion der „Heiden“ häufig nicht aus erster Hand kannten. Nicht selten interpretierte man die Religion der Andersgläubigen nach dem antiken Heidentum.8

Als antike Quellen dienen De bello Gallico9 von Gaius Iulius Caesar sowie die Germania10 von Tacitus.

Für den Nachweis der germanischen Götter wurden unter anderem Die Edda – Die wesentlichen Gesänge der altnordischen Götter- und Heldendichtung11, übersetzt von Felix Genzmer, sowie die Die Götterlieder der Älteren Edda12 und Die Edda des Snorri Sturluson13, in der Übersetzung von Arnulf Krause, genutzt.

Auch diese Quellen sollen unter dem Aspekt betrachtet werden, dass die sogenannte Liederedda erst im 10. oder 11. Jahrhundert verschriftlich wurde,14 die Prosaedda sogar erst im 13. Jahrhundert.15

Diese Quellen sind bei der Interpretation des zweiten Merseburger Zauberspruchs behilflich, sollten aber dennoch kritisch betrachtet werden. Unter anderem aus den oben genannten Gründen sollte die „‚regressive Methode‘, d.h. der Versuch, Rückschlüsse aus späterer Folklore auf eine frühere Überlieferungsschichte zu ziehen, […] mit aller gebotenen äußersten Vorsicht“16 geschehen. Das bedeutet, dass man diese Quellen zwar als hilfreich ansehen kann, aber einbeziehen sollte, dass sie einen zeitlichen und räumlichen Abstand zu der Quelle, die man interpretiert, aufweisen. Im Falle der Edda kann man zum Beispiel nicht mehr von einem authentischen heidnischen Werk sprechen, da sie in einer Zeit aufgezeichnet wurde, in der Island schon Kontakt zu christlichem Gedankengut hatte bzw. schon christianisiert war.

3 Was ist Magie?

Wenn man von Magie spricht, so spricht man von einem Phänomen, das dem modernen und aufgeklärten Menschen zwar wohlbekannt ist – allerdings nur aus dem Erzählen, „sei es in mündlicher, schriftlicher, bildlicher oder szenischer Form.“17 Die Faszination, die Magie auf den Leser oder den Zuschauer ausübt, lässt sich unter anderem mit dem Erfolg von Buchreihen wie Harry Potter belegen. Was Magie aber wirklich für den archaischen Menschen bedeutet hat, ist dem modernen Menschen seit der Aufklärung nicht mehr zugänglich. Horkheimer und Adorno sprechen in der Dialektik der Aufklärung von der „Entzauberung der Welt.“18

Doch was ist Magie genau?

Das Lexikon des Mittelalters definiert Magie folgendermaßen:

Magie beruft sich als Denksystem auf die Vorstellung von den sympathetischen Strukturen des Kosmos. Die Verwobenheit von Makro- und Mikrokosmos schafft ein Netz von Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem Menschen und den Göttern bzw. Dämonen, wobei das magische Ritual eine bild- und zeichenhafte Handlung für diese ausführenden medialen Wesen darstellen.19

Das symbolische Denken hat allerdings nicht nur in der Magie, sondern auch in der Denkweise des Mittelalters eine hohe Bedeutung. Das gesamte Mittelalter war durch symbolisches Denken geprägt. Jedes Zeichen ist mit einem realen Gegenstand identisch.20 Nach Neiske gaben „das allegorische Denken und die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten […] Sichtbarem und Unsichtbarem eine nahezu gleichartige Wirklichkeit.“21

Im neoplatonischen Denken war „alles irdische Sein […] ‚Abbild‘ des Himmlischen.“22 Jedes Ding hatte sein Abbild im himmlischen Bereich, „aus dem es hervorgegangen war und auf das es allein durch seine Existenz symbolhaft-ontologisch zurückverwies.“23 Auch der Mensch war als „Mikrokosmos ‚Symbol‘ der Schöpfung.“24

Für den mittelalterlichen, aber auch für den „archaischen Menschen“25 ist „das Symbol […] realer Inhalt, in sich Wirklichkeit und folglich ein unentbehrlicher Faktor des Denkens und Handelns.“26 Nach Gadamer verweist „das Symbolische […] nicht nur auf Bedeutung, sondern lässt sie gegenwärtig sein; es repräsentiert Bedeutung.“27 Des Weiteren „[meint] Repräsentation […] nicht, dass etwas stellvertretend oder uneigentlich und indirekt da ist, als ob es ein Substitut, ein Ersatz wäre.“28

Hier ist es egal, ob im magischen Ritual eine Puppe den zu bezaubernden Menschen repräsentiert oder ob in der Eucharistie Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi transformiert werden. Die Puppe ist im Ritual dieser Mensch, Wein und Brot sind der Leib und das Blut Christi.29

Alle magischen (und auch religiösen) Gesetze ziehen Kausalverbindungen, die nicht auf den allgemeinen Gesetzen der Logik beruhen. Irmgard Hampp sagt, das kausal Erscheinende sei „ein rein assoziativer Analogieschluß, weil primitives Denken vor allem assoziatives Denken nach äußeren Analogien“30 sei. Diese Denkweise zeigt sich auch in den Grundprinzipien der Magie, die in Kapitel 4.1. noch genauer erläutert werden.

Des Weiteren kann man „Magie als willentliche Einflussnahme auf den Menschen (z. B. Schaden-Liebeszauber), auf die Umwelt (z. B. Wetterzauber) und als Reaktion auf alltägliche Bedürfnisse […]“31 ansehen.

3.1 Anwendungsgebiete der Magie

Magie und Zaubersprüche dienen hauptsächlich dazu, die nächste Umwelt des Menschen zu beeinflussen. Nach Irmgard Hampp setzt der Glaube an Magie ein Denken voraus, das „alle Dinge zur eigenen Person in Beziehung setzen läßt.“32 Die nächste Umgebung des Menschen, also „Familie, Haus und Hof, Nachbarschaft, Dorf oder Stadt“33, beschäftigt ihn am meisten. Um diese Umgebung kreisen die Gedanken des Menschen und wie er diese für sich positiv beeinflussen kann.34

Die Zaubersprüche lassen sich in solche einteilen, die Hilfe gegen ein bestehendes Problem, zum Beispiel gegen eine Krankheit, bringen oder die vorbeugend, zum Schutz, dienen sollen. Des Weiteren nützen Zaubersprüche auch dazu, sich selbst einen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen oder gar um anderen Schaden zuzufügen.35 Der Zauberspruch soll also „Schutz und Hilfe, Vorteil und Schaden“36 bringen und Einfluss auf den Anwender selbst, aber auch auf seine Mitmenschen sowie auf Tiere, Pflanzen und Wetterbedingungen ausüben.37

Die meisten der überlieferten Zaubersprüche beziehen sich auf die Heilkunde. Zu diesem Zweck gibt es Zaubersprüche für diverse Erkrankungen, die gleichzeitig für Mensch und Tier genutzt wurden. Da Tiere ebenfalls von Krankheiten betroffen waren, wurden die Zauber- und Segenssprüche auch auf sie angewandt. Bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus versuchten die Bauern den ländlichen Alltag mit Zaubersprüchen zu beeinflussen.38 Das menschliche Urbedürfnis, das eigene Leben und den Besitz zu schützen, lässt Menschen zu Sprüchen Zuflucht nehmen, mit denen man das Haus segnen, es vor einem Brand schützen und vor bösen Menschen bewahren kann.39

Anhand der überlieferten Zaubersprüche lässt sich ein Sachverhalt schnell erkennen. Zaubersprüche beziehen sich in der Regel auf profane Probleme, die sich aber durch Kontakt mit dem „Numinosen“40 lösen sollen. Wolfgang Hartung sieht „die schier unauflösliche Verflechtung von Profanem und Heiligem“41 als charakteristisch für die Weltsicht des „archaischen Menschen“ an. Wer ist aber der „primitive“ oder der „archaische Mensch“? Mircea Eliade definiert den „archaischen Menschen“ als Menschentyp, für den „der Mythos die eigentliche Grundlage des gesellschaftlichen Lebens und der Kultur“42 darstellt.

Magie wird aber vor allen Dingen für Bereiche des Lebens angewandt, die unsicher sind, wie zum Beispiel „Krieg und Liebe sowie bestimmte Mächte des Schicksals und der Natur, wie Krankheit, Wind und Wetter.“43 Bei Vorgängen oder Tätigkeiten, bei denen „die Tätigkeit sicher, zuverlässig und unter der Kontrolle von rationalen Methoden und technischen Prozessen steht“,44 wird Magie nicht ausgeübt. Anlass für eine Magieausübung sind immer Bereiche, in denen „das Element der Gefahr“45 ersichtlich ist, zum Beispiel bei der Jagd oder bei einem schwierigen Herstellungsprozess.46

Magie ist hier eine „wesentliche kulturelle Funktion“,47 da sie hilft, „Lücken und Unzulänglichkeiten zu überbrücken […], die vom Menschen noch nicht völlig beherrscht werden.“48 Dies geschieht, indem die Magie dem „primitiven Menschen“49 Selbstvertrauen einflößt. Er wird mit „einem festen Glauben an seine Erfolgskraft“50 unterstützt und die Magie befähigt ihn, „seine lebenswichtigen Aufgaben zuversichtlich auszuführen.“51

3.2 Die magische und die religiöse Weltsicht

Magischen Handlungen liegt eine bestimmte psychische Disposition zugrunde. Irmgard Hampp nennt den „magischen Glauben“52 im Gegensatz zum „religiösen Glauben“53 als Grundvoraussetzung dafür, Magie auszuüben. Im religiösen Glauben unterstellt sich der Mensch der göttlichen Macht und akzeptiert, dass er auf das Schicksal keinen Einfluss hat. Im magischen Glauben will der Mensch Einfluss nehmen, indem er versucht, eine übersinnliche Macht zu zwingen.54 Der Ausdruck des religiösen Glaubens ist, neben anderen Riten, das Gebet. Der magische Glaube drückt sich, neben anderen Formen der Magie, im Zauberspruch aus.55 Hampp bezeichnet die Magie als „Vorstufe der Technik“56, da der Zaubernde danach strebt, die „geheimen Mächte“57 zu kontrollieren und für sich zu nutzen. Magie ist der Versuch „des Menschen, die Welt zu begreifen, sich ihrer zu bemächtigen und sie zu bewältigen.“58 Nach Irmgard Hampp existieren die religiöse und die magische Weltsicht nicht getrennt voneinander, sondern als „ursprüngliches Neben- und Ineinander.“59 Beide Glaubensformen weisen Ähnlichkeiten auf:

Beide [Glaubensformen] werden hervorgetrieben aus dem Gefühl der Abhängigkeit vom Numinosen, von übersinnlichen Mächten, und in beiden reagiert der Mensch auf das Abhängigkeitsgefühl mit einer Hinwendung zu diesen Mächten, sei es im Gebet, sei es im Zauberspruch.60

Da beide Glaubensformen sehr ähnlich sind und religiöse und magische Handlungen ähnliche Formen haben, ist es manchmal schwer, sie exakt voneinander abzugrenzen. Ein gravierender Unterschied zwischen religiösem und magischem Denken ist aber die innere Haltung. Der Zaubernde will etwas (er)zwingen, der Betende bittet darum.

3.3 Die magischen Denkmuster

Es gibt verschiedene magische Gesetze, die alle auf der Lehre von der Sympathie des Alls beruhen.

Der Magier, der diese Prinzipien anwendet, nimmt an, dass „the Laws of Similarity and Contact are of universal application.“61 Frazer ordnet den reflektierten Gebrauch der Sympathien der „Theoretical Magic“62 zu, während er vom „primitive magician“ sagt, „he knows magic only on its practical side.“63 Des Weiteren führt er aus, dass „he never analyses the mental process on which his practice is based […].“64

Im Sympathieglauben haben „die magischen Gesetze der Ähnlichkeit (simila similibus), des Gegensatzes (contraria contrariis) und der Berührung sowie das Gesetz der Stellvertretung (pars pro toto)“65 ihren Ursprung. Zuvor hatte schon Frazer in seinem Werk The Golden Bough auf die Prinzipien der sympathischen Magie hingewiesen: „The two principles of Sympathetic Magic are the Law of Similarity and the Law of Contact or Contagion.“66

3.3.1Similia similibus

Monika Schulz teilt die Meinung von Irmgard Hampp, dass „die Kategorie der similitudo […] als zentrales Instrument magischer Manipulation zu begreifen“67 ist. Denn eine Krankheit, wie zum Beispiel ein Gerstenkorn, kann zwar besprochen, aber nicht „[durch Magie] behandelnd manipuliert werden.“68 Symbolische Handlungen werden an einem „manipulierbaren Substitut“69 durchgeführt. Im Falle des Gerstenkorns kann dies eine Erbse oder ein ähnlich aussehender Gegenstand sein.70 Die Ähnlichkeit erschließt sich nicht immer sofort. Der Einsatz des Eisenhutes (der Pflanze) bei Augenleiden lässt nicht sofort einen Zusammenhang erkennen. Es sind die Samen des Eisenhutes, die Ähnlichkeit mit dem menschlichen Auge aufweisen.71 Ein weiteres Beispiel von Ähnlichkeitsmagie nennt Birkhan. Die Mondmagie ist hierfür ein gutes Beispiel, denn „alles, was zunehmen soll, muß bei zunehmenden, was abnehmen soll, bei abnehmenden Mond verrichtet werden.“72 Er nennt die Mondgläubigkeit der Germanen als Beispiel. Bei der Begegnung Caesars mit dem Suebenführer Ariovist weigern sich die Sueben zunächst, die Schlacht zu schlagen, da die führenden Frauen des Stammes davon abraten, bei abnehmendem Mond zu kämpfen:

[…] ut matres familiae eorum sortibus vaticinationibusque declararent, utrum proelium committi ex usu esset necne; eas ita dicere: non esse fas Germanos superare, si ante novam lunam proelio contendissent.73

… daß die Familienmütter mit Hilfe von Runen und Weissagungen bestimmten, wann es richtig sei, eine Schlacht zu schlagen und wann nicht. Sie hätten erklärt, die Götter seien gegen den Sieg der Germanen, wenn sie vor dem folgenden Neumond eine Schlacht lieferten.74

Diese Anweisung beruht auf dem Glauben, dass das Schlachtenglück bei abnehmendem Mond ebenfalls abnehme.

3.3.2Contraria contrariis

Während das Gesetz der similia similibus besagt, dass „Ähnliches mit Ähnlichem“ bekämpft werden soll, verhält es sich bei contraria contrariis genau umgekehrt. Ein anschauliches Beispiel sind Krankheiten, bei denen hohes Fieber auftritt. Diese werden im Zauberspruch mit Feuer gleichgesetzt und müssen demnach mit Wasser oder Sand gelöscht werden.75

Gegen den Brandgrind

Man füllt eine Schale mit Wasser und spricht, während

man sie zum Mund führt, um zu trinken:

Ich trink daraus wie ein Reh und Rind

Du sollst wegnehmen diesen Brandgrind.

Brand, fall auf Sand †

Fall in die See †

Und nicht auf Fleisch †

Brand, Brand, ich blase dich;

Heil’ge Jungfrau leite mich.76

Der Sand, die See und das Blasen auf den Brandgrind soll helfen, diese Krankheit zu heilen.

3.3.3 Gesetz der Berührung

Das „Gesetz der Berührung“ spiegelt sich in der magischen Denkweise wider, die man „kontagiöse Magie“77 oder auch „Berührungszauber“78 nennt. Wer einen Berührungszauber anwendet, setzt voraus, „daß eine äußerliche Berührung zu einer inneren Beziehung“79 führt.

Die Denkweise, dass sich „magische Kräfte […] in den Händen sammeln und durch die Hände übermittelt werden“,80 ist sehr alt. Das Anfassen des Leidenden spielt bei Zaubersprüchen eine große Rolle.81 Manchmal wird der Kontakt durch Berührung auch im Zauberspruch selbst genannt:

Ich greif an die Haut

ich greif an das Fleisch

ich greif an das Bein

ich greif an das Mark und Blut

das ist für alle Schwinden gut.82

Die „Gebärde des Greifens oder Streichens“83 wird durch die Erwähnung im Spruch durch die „Kraft des Wortes“84, auf die noch eingegangen werden wird, noch verstärkt.85 Auch der Atem86