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Beschreibung

Die arabische Welt wird im Frühjahr 2011 von Aufständen erschüttert. Von Marokko bis zum Persischen Golf gehen die Menschen gegen korrupte Regime auf die Straße und fordern den Sturz der Diktatoren. In Tunesien und Ägypten erzwingen sie den Rücktritt der Machthaber. In Libyen herrscht Krieg. In Syrien riegeln Panzer ganze Städte ab.
Zehn ausgewiesene Kenner der Region stellen die Ursachen für den demokratischen Aufbruch dar, zeichnen den Verlauf der Ereignisse nach und stellen die Akteure vor: Tunesien und Libyen (Thomas Schmid, Berliner Zeitung), Ägypten (Frank Nordhausen, Berliner Zeitung), Algerien (Helmut Dietrich, DAAD), Marokko (Marc Dugge, ARD), Syrien (Martina Doering, Berliner Zeitung), Libanon (Markus Bickel, Frankfurter Allgemeine Zeitung), Jordanien (Heiko Flottau, Süddeutsche Zeitung), Jemen (Jens Heibach, Universität Marburg), Saudi-Arabien (Henner Fürtig, GIGA Institut) und die Golfstaaten (Alexander Smoltczyk, Spiegel).
Das Buch gibt einen kompakten Überblick über die Ereignisse und die Entwicklung in den einzelnen Ländern und über die Perspektiven, die der arabische Frühling eröffnet hat.

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Frank Nordhausen, Thomas Schmid (Hg.)

Die arabische Revolution

Demokratischer Aufbruch von Tunesien bis zum Golf

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Januar 2012 (basiert auf der 2., aktualisierten und erweiterten Druckauflage vom Oktober 2011)

© Christoph Links Verlag GmbH, 2011

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung: Burkhard Neie, www.blackpen.xix-berlin.de,

unter Verwendung eines dpa-Fotos vom jugendlichen Protest

auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Februar 2011

eISBN 978-3-86284-100-4

Inhalt

Vorwort zur 2. Auflage

Frank Nordhausen, Thomas Schmid

Die Rebellion des jugendlichen Mittelstandes

Einleitung

Thomas Schmid

Tunesien: Die Jasmin-Revolution

Frank Nordhausen

Ägypten: Die Sieger des Tahrir-Platzes

Helmut Dietrich

Algerien: Nach dem Aufstand ist vor dem Aufstand

Marc Dugge

Marokko: Königliche Reformen

Thomas Schmid

Libyen: Revolution gegen den Revolutionsführer

Martina Doering

Syrien: Vorwärtsverteidigung des Assad-Clans

Markus Bickel

Libanon: Aufstieg und Fall der Zedern-Revolution

Heiko Flottau

Jordanien: Aufbrechende historische Konflikte

Jens Heibach

Jemen: Ein zaudernder Despot

Henner Fürtig

Saudi-Arabien: Ein Fels in der Brandung?

Alexander Smoltczyk

Vereinigte Emirate: Unruhe am Golf

Zu den Autoren

Es gibt drei Sorten von Menschen: solche, die unbeweglich sind, solche, die beweglich sind, und solche, die sich bewegen.

Arabisches Sprichwort

Vorwort zur 2. Auflage

Als im Juni 2011 die 1. Auflage erschien, wurden wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob es nicht etwas früh sei, schon wenige Monate nach dem Beginn der arabischen Revolution ein Buch über die Ereignisse herauszugeben – zu einem Zeitpunkt, da kaum absehbar war, wohin die Entwicklung führen würde. Massendemonstrationen, Repression, bewaffnete Auseinandersetzungen und Bomben der Nato sorgten fast täglich für Schlagzeilen, Leitartikel, Sondersendungen und Talkshows. Was die Medien in der Regel nicht leisten konnten, versuchten wir mit der Herausgabe des Sammelbandes: Es ging uns darum, die spezifischen, von Land zu Land verschiedenen historischen und kulturellen Hintergründe der Entwicklung auszuleuchten, um so zum Verständnis des epochalen Aufbruchs in der arabischen Welt beizutragen.

In dieser 2. Auflage des Buches, die vier Monate nach der ersten erscheint, haben wir einige Beiträge unverändert übernommen, andere wurden aktualisiert, und einige – Ägypten, Syrien und vor allem Libyen – wurden erweitert. In Ägypten hat der juristische Prozess gegen Hosni Mubarak, der das Land fast 30 Jahre lang diktatorisch regierte, begonnen. In Syrien sind seit März bei Kundgebungen gegen das Regime von Bashar al-Assad bereits über 2200 Menschen von Sicherheitskräften erschossen worden. Zum ersten Mal haben im September Demonstranten um internationale Hilfe gebeten. Doch eine internationale militärische Intervention erwägt niemand. Im Pulverfass Nahost wäre sie mit zu vielen Unwägbarkeiten verbunden und könnte zum Flächenbrand werden.

In Libyen hingegen, geostrategisch weniger bedeutend, hat die Nato eingegriffen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisierte alle »notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung«. Die Nato interpretierte die entsprechende Resolution äußerst großzügig. Faktisch kämpfte sie auf Seiten der Aufständischen gegen Gaddafi für einen Regimewechsel, wozu der Beschluss des UN-Sicherheitsrates keineswegs ermächtigte. Die Erleichterung darüber, dass der »Bruder Führer« aus Tripolis vertrieben wurde, ist in Libyen selbst wie auch im Ausland zwar groß. Möglicherweise wäre der arabische Frühling mit einem Sieg Gaddafis über die Aufständischen zu einem vorzeitigen Ende gekommen. Die Machthaber in Syrien und Jemen hätten sich bestätigt gefühlt. Trotzdem: Die mutmaßliche Verletzung des Völkerrechts könnte die Durchsetzung desselben künftig erschweren.

Im Übrigen ist der Ausgang des arabischen Aufbruchs noch keineswegs klar. In Tunesien werden die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung am 23. Oktober, in Ägypten die Wahlen zum Parlament am Jahresende zeigen, wie stark die islamistischen Kräfte wirklich sind. In Syrien ist unklar, wie der Kampf zwischen schwer bewaffneten Sicherheitskräften und todesmutigen Demonstranten letztlich ausgeht. Auch im Jemen ist noch nichts entschieden. Und in Libyen könnten nach dem Sieg über Gaddafi schon bald neue Frontlinien zwischen laizistischen Kräften und Islamisten aufbrechen. Trotz all dieser Unwägbarkeiten wollten wir mit einer Aktualisierung der 1. Auflage nicht warten. Es gilt, die neuen Akteure zu verstehen und hinter den Tagesnachrichten die Zusammenhänge aufzuzeigen. Revolutionen werden nicht an einem Tag gemacht. Insofern ist es immer zu früh oder immer zu spät, darüber zu berichten.

Frank Nordhausen, Thomas Schmid

Berlin, im September 2011

Frank Nordhausen, Thomas Schmid

Die Rebellion des jugendlichen Mittelstandes

Einleitung

In der arabischen Welt bricht eine neue Ära an. Es ist ein epochaler Umbruch, in seiner Bedeutung durchaus vergleichbar mit dem arabischen Erwachen nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und mit der panarabischen Emanzipationsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, deren prominentester Führer der Ägypter Gamal Abdel Nasser war. Der antikoloniale Aufbruch mündete in eine Herrschaft von Autokraten, die das Entstehen einer Zivilgesellschaft nach Kräften behinderten, Oppositionelle foltern ließen, die Demokratie kujonierten und sich selbst oft schamlos bereicherten. Der freie Westen hat sich mit diesen Regimes prächtig arrangiert, versprachen sie doch Sicherheit und Stabilität. Sie kooperierten bei der Flüchtlingsabwehr und hielten die islamistische Gefahr im Zaum. Dass in diesen Ländern eine frustrierte Jugend heranwuchs, gut ausgebildet, aber ohne berufliche Perspektive, ohne Aussicht, eine Wohnung mieten, ein Haus bauen und eine Familie gründen zu können, wurde kaum wahrgenommen.

Die arabischen Gesellschaften stagnierten. Doch dann trat überraschend eine Jugend an die Öffentlichkeit, die Freiheit und Demokratie, ein Ende der Willkürherrschaft und der Korruption einforderte – und ein Ende der Kungelei des Westens mit den arabischen Despoten. Das Streichholz, mit dem sich am 17. Dezember 2010 in Tunesien Mohamed Bouazizi selbst anzündete, setzte das ganze Land – den Deutschen bislang vornehmlich als Touristenparadies bekannt – in Flammen, und der Flächenbrand erfasste innerhalb von Wochen die gesamte arabische Welt bis zum Persischen Golf. Der Protest der arabischen Jugend hallte sogar im Iran, in Westafrika und im fernen China wider. Der arabische Frühling, die arabische Revolution ist eine historische Zäsur, durchaus vergleichbar mit dem annus mirabilis 1989, als in Osteuropa der Kommunismus implodierte und die Berliner Mauer fiel.

Protagonisten der Aufstände in der arabischen Welt sind junge Frauen und Männer, die vor allem, aber nicht nur der Mittelschicht entstammen. Sie sind trotz staatlich kontrollierter Medien – insbesondere dank des Internets und des Satelliten-Senders al-Dschasira, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – gut informiert. Sie vernetzen sich über Facebook und Twitter – und diese sozialen Netzwerke haben schließlich zur ungeheuren Beschleunigung der Revolte beigetragen. Die Gründe für den Aufstand sind im ganzen arabischen Raum dieselben: Arbeitslosigkeit, politische Entmündigung, gesellschaftliche Stagnation. In diesem Zusammenhang taucht bei allen Protesten immer wieder ein Wort auf: Würde. Es geht der rebellischen Jugend letztlich darum, als mündige Bürger ein Leben in Würde zu führen – ohne permanente Gängelung, ohne Verbeugung und Bakschisch, ohne Angst vor Polizeiwillkür und Folter.

Doch finden die Proteste in Ländern statt, die wirtschaftlich, politisch und kulturell sehr verschieden sind. Libyen hat viel Öl, Jemen ist bettelarm. Marokko oder Jordanien werden von Monarchen geführt, in Algerien und Ägypten liegt die Macht bei den Militärs. Tunesien blickt auf eine lange laizistische Tradition zurück, Saudi-Arabien hat ein streng religiöses Regime. Unterschiedlich sind deshalb auch die Ausprägungen und Chancen der Revolte. In Tunesien und Ägypten wurden die Despoten von der Macht gefegt. Beide Länder sind auf dem Weg, einen demokratischen Rechtsstaat zu errichten; sie gehen durch eine höchst labile Übergangsphase. In Libyen herrscht Krieg. In Syrien und Bahrain lässt das Regime die Aufständischen niederkartätschen. In Algerien und Marokko versuchen die Herrschenden, den Unmut der Jugend mit finanziellen und sozialpolitischen Zugeständnissen einzudämmen.

Der Westen wurde von der Revolte nicht weniger überrumpelt als die Machthaber im arabischen Raum. Frankreich – und mit ihm die Europäische Union – hatte Ben Ali über Jahrzehnte hofiert und demokratische Alternativen nie in Betracht gezogen. Trotzdem wurde die Jasmin-Revolution schnell begrüßt. Tunesien, mit natürlichen Reichtümern nicht gerade gesegnet und geografisch abseits von den politischen Krisenherden gelegen, war von mäßiger Bedeutung. Ganz anders Ägypten, das geopolitisch äußerst relevant ist. Hosni Mubarak war der wichtigste Stützpfeiler der Nahostpolitik der Vereinigten Staaten. Und auch Israels Führung sorgt sich zutiefst über den demokratischen Aufbruch in Kairo wie über das Agreement zwischen Fatah und Hamas, das ja ebenfalls eine Folge des arabischen Frühlings ist. Es knirscht im Gebälk der nahöstlichen Sicherheitsarchitektur, die auf scheinbar stabile Diktaturen baute.

Stabilität, das hieß für den Westen vor allem Unterdrückung der realen oder imaginierten islamistischen Gefahr – und sei es um den Preis einer Unterdrückung jeglicher demokratischen Regung. Dahinter verbirgt sich ein Mangel an Vertrauen in eine offene Gesellschaft. Unhinterfragt wurde unterstellt, dass eine Diktatur den islamistischen Terrorismus wirksamer bekämpfen könne als eine streitbare Demokratie. Spätestens nach dem 11. September 2001, dem Angriff auf die Twin Towers von New York, wurde der Islamismus geradezu dämonisiert und jede islamisch grundierte Bewegung quasi prophylaktisch des Terrorismus verdächtigt. Doch der politische Islam ist in den arabischen Gesellschaften eine Realität. Seine undifferenzierte Ausgrenzung befördert nur die radikalen Tendenzen. Was nottut, sind eine offene Debatte, Toleranz, Respekt – auf Grundlage eines neuen Gesellschaftsvertrags.

Das ist auch das politische Hauptanliegen der aufständischen Jugendlichen, die erreichten, wovon al-Qaida nur träumte: Sie verjagten zwei äußerst korrupte Autokraten aus ihren Palästen. Sie verbrannten im Übrigen weder die Flaggen mit den Stars and Stripes noch jene mit dem Davidstern. Diese Jugend sehnt sich nicht nach einer iranischen Lösung. Sie weiß, wie das Mullah-Regime dort mit der Facebook-Generation umgeht. Sie träumt nicht von einer heilen, vergangenen Welt. Sie will in der Moderne ankommen. Die Muslimbrüder, Salafisten und Dschihadisten spielten beim Ausbruch der Revolten überhaupt keine Rolle, auch wenn sie sich mit der Bewegung, von der sie völlig überrascht wurden, dann solidarisch erklärten. Die Tötung Osama bin Ladens am 1. Mai 2011 wurde in Tunis, Kairo oder Sanaa mit einem Schulterzucken quittiert.

Europa, vom Maghreb und dem Nahen Osten durchs Mittelmeer getrennt und mit ihnen durchs Mittelmeer verbunden, tut gut daran, die arabische Revolution nicht als Gefahr, sondern als Chance zu begreifen. Es hat sich ein historisches Fenster geöffnet, von dem niemand weiß, wann es sich wieder schließt. Gelingt es, die Weichen in Richtung Demokratie zu stellen, kann die Mittelmeerregion ein gemeinsamer Lebens- und Wirtschaftsraum werden und Frieden auch in der bisher so krisengeschüttelten Region einkehren. Werden die Despoten jetzt aber bloß durch neue, sanftere Autokraten ersetzt und tut sich für die Jugend keine wirtschaftliche Perspektive auf, könnte eine frustrierte Generation junger Araber den Sirenentönen radikaler Islamisten erliegen und ihre Wut schon bald auch nach Europa tragen.

Mit Blick auf den arabischen Raum war oft von einem Domino-Effekt die Rede. Gewiss hat die Jasmin-Revolution die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz animiert, auch ihren Despoten vom Sockel zu stoßen. In vielen anderen arabischen Ländern ermutigte das tunesische Beispiel die Jugend zur Rebellion. Aber anders als beim Domino ist nicht gleich ein Regime nach dem anderen gefallen. Das militärische, zunächst durchaus erfolgreiche Vorgehen von Libyens Diktator Gaddafi dürfte dazu geführt haben, dass sich andere Machthaber ermutigt fühlten, nicht klein beizugeben – in Bahrain, Jemen, Syrien, von Saudi-Arabien ganz zu schweigen, das sogar Truppen ins Nachbarland Bahrain schickte.

Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich in Tunesien und Ägypten demokratische Verhältnisse stabilisieren. Doch noch ist die Lage fragil. Sollten die Revolutionen scheitern, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Populisten und Islamisten davon profitieren. Dann wird ein Strom enttäuschter Jugendlicher eine Zukunft auf der anderen Seite des Mittelmeers suchen, und zwar weit mehr, als jetzt schon kommen. Europa muss – auch aus Eigeninteresse – Tunesien und Ägypten bei der gewaltigen Aufgabe helfen. Mit Expertise, Beratung und mehr. Es geht um Sicherheit und Partnerschaft auf Augenhöhe, um Abbau von Handelshemmnissen und Visabeschränkungen, um Bildungsangebote, Austauschprogramme, Investitionen.

Der US-amerikanische Präsident Barack Obama hat in einer Rede am 19. Mai 2011 die Chance einer neuen Partnerschaft mit der arabischen Welt angesprochen und Tunesien und Ägypten umfangreiche Finanzhilfe zugesagt. Die Revolutionen hatten auch einen wirtschaftlichen Preis: Einbruch des Tourismus, Rückgang von Auslandsinvestitionen, Produktionsausfälle. Die Arbeitslosigkeit, eine wesentliche Ursache für den Ausbruch der Revolten, hat zugenommen. Letztlich aber kann nur ein wirtschaftlicher Aufschwung die politischen Erfolge sichern. Eine Verschärfung der Krise hingegen würde den alten Kräften und den Populisten in die Hände spielen. Die Außen- und Entwicklungspolitik der europäischen Staaten und der EU steht vor einer Bewährungsprobe. Wird sie der Größe der Aufgabe gerecht? Oder werden sich die Zauderer durchsetzen, die jetzt schon warnen, man wisse ja nicht, wer sich am Ende behaupte und mit wem man es dann zu tun habe?

Die arabische Welt wurde hierzulande oft mystisch überhöht. Dem Narrativ vom geheimnisvollen Orient entspricht die Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem, was »dort unten« vor sich geht. Angst vor Islamisten, Angst vor Flüchtlingsmassen. Übersehen wird, dass die Aufstände mit unerträglichen und unmenschlichen Zuständen aufgeräumt haben. Niemand kann wissen, wohin die arabische Revolution führt. Aber wir können versuchen, die Ereignisse in unserer unmittelbaren europäischen Nachbarschaft besser zu verstehen und aus dem Verständnis heraus Handlungsperspektiven zu entwickeln. Dieses Buch will dazu beitragen.

Thomas Schmid

Tunesien: Die Jasmin-Revolution

»Genug ist’s, wenn dir zu Herzen geht, dass keinen Jasmin mäht, wer Dornen sät.«

So dichtete der persische Mystiker Mosleh od-Din im 13. Jahrhundert. Heute tragen die tunesischen Männer beim Bummel oder im Restaurant kokett ein Jasminsträußchen hinter dem Ohr. Hinter dem rechten Ohr bedeutet: »Bin schon vergeben«, hinter dem linken: »Bin noch frei.«

Auslöser der Revolution war eine Ohrfeige

Der 17. Dezember 2010 begann für Mohamed Bouazizi wie ein gewöhnlicher Tag. Wie jeden Morgen hatte der 26-jährige Arbeitslose auf dem Großhandelsmarkt von Sidi Bouzid, einer Kleinstadt im Landesinnern Tunesiens, Gemüse und Früchte eingekauft und die Ware etwa zwei Kilometer zu seinem Standort gefahren, wo er sie am Straßenrand anbot. Er verdiente damit durchschnittlich 250 Dinar im Monat, umgerechnet 125 Euro. Davon lebten seine sechs Geschwister, seine Mutter und sein kranker Stiefvater. Eine Lizenz für den Straßenverkauf hatte Bouazizi nicht. Dafür reichte das Geld nicht, und es reichte auch nicht, um die Polizei zu bestechen, die Ärger machte, wenn man keine Lizenz hatte.

Auch an jenem schwarzen Freitag, dem 17. Dezember 2010, fuhr die Polizei vor – wie schon oft. Und wie jedes Mal fragte sie Bouazizi nach der Lizenz, die er – was sie wusste – nicht hatte, schubste seine Karre weg und beschlagnahmte, wie gewohnt, die elektronische Waage. Als er Einwände erhob, schlug ihm diesmal jedoch eine Polizistin ins Gesicht. Bouazizi wollte sich beim Gouverneur beschweren, wurde aber nicht vorgelassen. Eine halbe Stunde später übergoss er sich mit Benzin und zündete sich vor dem Amtssitz des Gouverneurs in aller Öffentlichkeit an. Die Ohrfeige vor all den Leuten, vor seinen Freunden, war eine Schmach, über die er nicht hinwegkam, versichern seine Mutter und seine älteste Schwester gleichermaßen, zumal es eine Frau war, die sie ihm verpasst hatte.

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