Die Asset-Ökonomie - Lisa Adkins - E-Book

Die Asset-Ökonomie E-Book

Lisa Adkins

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kann man alles erreichen, wenn man nur fleißig und arbeitsam ist? Dieses Versprechen mag einmal gegolten haben, doch spätestens seit den 1980er Jahren kann davon nicht mehr die Rede sein. Nicht durch Arbeit erwirtschaftete Einkünfte, sondern Vermögen, Anlagen, Immobilienbesitz und Erbschaften geben den Ausschlag und bestimmen die Position in einer Gesellschaft. Wir leben in einer Asset-Ökonomie. Für einen wachsenden Teil der Gesellschaft ist ein Leben in der Mittelschicht unerreichbar geworden. Welche wirtschaftlichen Veränderungen stehen hinter diesem sozialen Wandel? Lisa Adkins, Melinda Cooper und Martijn Konings zeigen, dass der Aufstieg der Vermögensökonomie eine neue Logik der Ungleichheit hervorgebracht hat. Mehrere Jahrzehnte der Vermögenspreisinflation, also der Preisanstieg von Immobilien oder Aktien, und stagnierende Löhne haben dazu geführt. Dieses Buch untersucht die Auswirkungen der Generationsdynamik in dieser neuen Klassenlandschaft und bietet eine originelle Perspektive auf eine Reihe von Phänomenen, die weithin diskutiert, aber kaum verstanden werden – darunter die Zunahme von Vermögensungleichheiten und Prekarität, die Dynamik der Immobilienpreise in den Städten und die Veränderungen in der Steuer- und Geldpolitik.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 154

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lisa Adkins | Melinda Cooper | Martijn Konings

Die Asset-Ökonomie

Eigentum und die neue Logik der Ungleichheit

Aus dem Englischen von Enrico Heinemann

Hamburger Edition

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH

Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Mittelweg 36

20148 Hamburg

www.hamburger-edition.de

© der E-Book-Ausgabe 2024 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-443-5

© der deutschen Ausgabe 2024 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-386-5

© der Originalausgabe 2020 by Lisa Adkins, Melinda Cooper and Martijn Konings

This edition is published by arrangement with Polity Press Ltd., Cambridge

First published by Politiy Press 2020

Titel der Originalausgabe: »The Asset Economy. Property Ownership and the New Logic of Inequality«

Gestaltung: Lisa Neuhalfen, Berlin

Inhalt

Vorwort

Einführung

Die Anlage dieses Buchs

Asset-Logiken

Von der Waren- zur Asset-Logik

Minskyianische Haushalte

Die zentrale Bedeutung der Immobilie

Die Asset-Ökonomie beherrschen

Die Entstehung der Asset-Ökonomie

Preisinflation und Vermögensdeflation in den 1970er Jahren

Verschiebungen im Steuer- und Finanzsystem

Die Demokratisierung des Asset-Besitzes und ihre Widersprüche

Neue Klassenrealitäten

Entwicklungslinien der Klassentheorie

Klasse und Generation

Vermögensorientierte Lebenszeiten

Fazit

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Zusammenarbeit, die zur Entstehung dieses Buchs führte, hat sich aus den Gemeinsamkeiten unserer individuellen Forschung ergeben. In allen unseren neueren Büchern (Adkins, The Time of Money, Cooper, Family Values, und Konings, Kapital und Zeit) hatten wir hervorgehoben, dass in der gegenwärtigen Gesellschaft eine spekulative vermögens-, also um Assets zentrierte Wirtschaftslogik eine immer größere Rolle spielt. In diesem Buch bauen wir auf dieser Arbeit auf, mit dem Ziel, neu über Klasse und Ungleichheit nachzudenken.

Wir danken besonders der Faculty of Arts and Social Sciences der Universität Sydney, dass sie dieses Projekt als Institution großzügig unterstützt hat, insbesondere durch ihr Future-Fix-Programm »Asset Ownership and the New Inequality«.

Im Folgenden verweisen wir häufig auf die Finanzkrise von 2007/2008. Seit diesem Ereignis haben sich die Ungleichheiten beim vermögensbasierten Wohlstand verschärft. Zur Zeit der Drucklegung dieses Buch erlebte die Welt eine völlig andere Art von Notstand: die Covid-19-Pandemie. In zahlreichen Ländern häuften sich die Todesfälle dramatisch, Regierungen verhängten Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen, und Millionen Menschen verloren ihre Beschäftigung, weil Unternehmen schließen mussten. Auch trug die Krise stark dazu bei, dass die bestehenden Ausmaße an Ungleichheit in den Blick rücken. Während Vermögende die Möglichkeit hatten, in Ferienwohnungen Zuflucht zu suchen, konnten sich zahlreiche Beschäftigte keinerlei »soziale Isolierung« leisten, weil sie auf die nächste Gehaltszahlung angewiesen waren. Irgendwo zwischen diesen Extremen gab es eine Mittelschicht, die die Krise, vielleicht mit einigen Blessuren, überstehen konnte, aber immer deutlicher erkannte, wie prekär ihre – finanzielle und andere – Absicherung tatsächlich ist.

Zentralbanken weiteten ihre Ankaufprogramme für Anleihen aus und trieben die »quantitative Lockerung« in Umfang und Ausmaß in neue Höhen. Und obwohl Donald Trump die Auswirkungen der Pandemie auf die öffentliche Gesundheit beharrlich kleingeredet hat, billigte er ein 2 Billionen Dollar umfassendes Rettungspaket, das weitgehend der Logik der Trickle-down-Ökonomie folgt: Es unterstützt angeschlagene Unternehmen in der Hoffnung, dass sie ihre Beschäftigten in Lohn und Brot halten. Andere Länder, darunter Großbritannien und Kanada, garantierten dagegen direkte Lohnfortzahlungen. Solche Schritte nährten Hoffnungen auf ein dauerhafteres Wiederaufleben des Keynesianismus oder sogar auf ein radikales Programm für eine progressive Wirtschaftspolitik. Aber auch wenn außergewöhnliche Herausforderungen den Horizont für politische Möglichkeiten erweitern, dürfen wir nicht vergessen, dass nach der Krise von 2007/2008 die erhoffte Rückkehr zum Keynesianismus rasch in eine aggressive Austeritätspolitik umgemünzt wurde.

Diesmal steht politisch noch mehr auf dem Spiel. Wenn die Zeit nach der Covid-19-Pandemie mit einer weiteren Welle der Vermögenspreisinflation einhergeht und Wohneigentum die einzig reale – aber immer unrealistischere – Möglichkeit für »einfache« Menschen bleibt, an deren Logik teilzuhaben, dann setzt sich auch im nächsten Jahrzehnt die soziale und politische Polarisierung fort, die für die vergangene Dekade so kennzeichnend war.

Einführung

Anfang 2019 prägte The Economist den Begriff »Millennial-Sozialismus« für das Anwachsen einer kritischen linksorientierten Stimmung in einer Generation, die bis vor Kurzem noch vor allem für ihr Anspruchsdenken und ihre Fixierung auf die sozialen Medien bekannt gewesen war. Das Blatt verwies dabei auf den großen Prozentsatz an jungen Menschen, die positiv über den Sozialismus denken, und darauf, dass »[i]n den Vorwahlen 2016 Bernie Sanders mehr Stimmen von jungen Leuten auf sich vereinigen konnte als Hillary Clinton und Donald Trump zusammengenommen«. Der Economist räumte ein, dass manche dieser Millennials für ihre politischen Einstellungen vielleicht gute Gründe hatten, verkündete aber sogleich, dass ein Verständnis für diesen Trend keineswegs dazu verleiten dürfe, ihn gutzuheißen oder zu legitimieren: Der Sozialismus bleibe so gefährlich, wie er immer gewesen sei. Der Millennial-Sozialismus sei überaus »pessimistisch« und beinhalte »politisch gefährliche« Wünsche. Auch wenn das Blatt seiner »erfrischenden Bereitschaft, den Status quo infrage zu stellen«, eine gewisse Anerkennung zollte, prangerte es heftig seinen naiven »Glauben an die Unbestechlichkeit des kollektiven Handelns« an. Der Sydney Morning Herald zog im selben Monat mit einem Meinungsartikel nach, laut dem der Millennial-Sozialismus seine Ursachen in der »wachsenden Sorge« der Millennials »um ihre wirtschaftlichen Aussichten« habe (und insbesondere, weil es praktisch unmöglich geworden ist, in den größten Städten des Landes noch Wohneigentum zu erwerben). Aber nichtsdestotrotz spiegele er als eine politische Entscheidung doch offenbar vor allem Unkenntnis und Vergessenheit wider, was die Schrecken des Kommunismus betreffe.1

Die Aufmerksamkeit, die die etablierten Medien der politischen Positionierung der Millennial-Generation widmeten, zeugt von einer sich verändernden Realität. Diesen politischen Bewusstseinswandel als ein Schisma zwischen den Generationen darzustellen, scheint allerdings auf dürftigen konzeptionellen Grundlagen zu beruhen. Auch wenn die Generationenanalyse in die öffentliche Debatte zurückkehren mag, ist sie in den Sozialwissenschaften faktisch weitgehend aus der Mode gekommen. Die Vorstellung, dass eine ungefähr zeitgleiche Geburt oder das Miterleben derselben historischen Ereignisse eine natürliche Solidarität schaffe, gilt inzwischen als allzu grobe Vereinfachung, bei der eine Reihe anderer struktureller Ungleichheiten außer Acht bleibt, die sich auf die Stellung der Menschen in der sozialen Hierarchie weitaus stärker auszuwirken scheint. So, wie es arme Babyboomer*innen gibt, gibt es auch märchenhaft reiche Millennials.

Dennoch spielt irgendein Element des Unterschieds zwischen den Generationen in der gegenwärtigen Logik offenbar unleugbar eine Rolle. Was machen wir also daraus? In eine Richtung wies hier die Financial Times2, die zumeist eher bereit ist, die kritische Analyse zu nutzen, um der Aufrechterhaltung des Kapitalismus das Wort zu reden. Unterlegt mit Fotos des Wirtschaftswissenschaftlers und Ex-Zentralbankchefs Ben Bernanke und der demokratischen Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez aus der Millennial-Generation vertrat die Zeitung in einem Meinungsartikel, dass die »quantitative Lockerung die Mutter des Millennial-Sozialismus« sei. Diese »Lockerung« ist eine Geldpolitik, auf die im vergangenen Jahrzehnt die Zentralbanken zahlreicher Länder gesetzt hatten, um nach der Finanzkrise 2007/2008 das Wirtschaftswachstum wiederanzukurbeln und so die Große Rezession zu überwinden. Sie beruht auf der Idee, dass Banken und andere Finanzinstituteleichter Kredite vergeben und damit Investitionen, Wachstum und Beschäftigung fördern, wenn die Zentralbanken große Mengen an Liquidität ins Finanzsystem pumpen. Ein Hauptkritikpunkt an diesen geldpolitischen Maßnahmen bestand freilich darin, dass ihr Übertragungsmechanismus faktisch eher ineffizient wirke: In der Praxis habe er nur die Werte von Kapitalanlagen erhöht, ohne sich in höheren Wachstumsraten und Beschäftigungsquoten niederzuschlagen.3 Die quantitative Lockerung gilt somit häufig als eine Maßnahme, die Besitzendevon Finanz-Assets (oft abwertend als »Rentiers« bezeichnet) auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung reicher macht.

Der genannte Artikel der Financial Times fuhr mit einer Beobachtung zu den generationsspezifischen Auswirkungen von Immobilienpreisen fort. Mit einem Hinweis darauf, dass die Entwicklungen von Arbeitseinkommen und Immobilienpreisen in den Großstädten (nicht nur in New York und San Francisco) im letzten Jahrzehnt gewaltig auseinanderklafften, gelangte er zu dem Schluss: »Die Jungen werden ausgesperrt«. In fast allen westlichen urbanen Zentren haben die Immobilienpreise Höhen erreicht, die Mieten besonders teuer und Wohneigentum für viele praktisch unerschwinglich machen. Auch wenn Wohnraum keineswegs die einzige Anlageform ist, die in der gegenwärtigen politischen Ökonomie eine bedeutende Rolle spielt, nimmt er in der Analyse, die wir im Folgenden darstellen, eine zentrale Stellung ein. Die Inflation der Immobilienpreise in den urbanen Ballungsräumen bildet den Kern einer neuen Logik der Ungleichheit.

Dabei beschränkte sich diese Inflation nicht auf das letzte Jahrzehnt. In allen Großstädten der westlichen Welt waren die Immobilienpreise schon seit Jahrzehnten gestiegen. Wäre das Problem allein in der vergangenen Dekade aufgetaucht, würden wir nur auf ein Bündel aus völlig unangemessenen politischen Maßnahmen schauen, das sich inkompetente oder korrupte Eliten ausgedacht hätten. Das wäre zwar verheerend genug, aber wir könnten so vernünftigerweise darauf hoffen, dass ein vermehrtes Bewusstsein für das Problem zu einer demokratischen Gegenbewegung und zu einer Abkehr von der quantitativen Lockerung führen würde. Aber das Problem ist älter und greift tiefer ins soziale Gefüge ein. Wie wir im Folgenden sehen, ist die quantitative Lockerung nur die sichtbarere Version einer Finanzpolitik, die seit den 1980er Jahren mit dem Ziel verfolgt wurde, den Besitz von Assets profitabel zu machen. Auch dürfen wir diese Entwicklung nicht voreilig als ein Projekt abtun, das nur darauf angelegt war, eine kleine Elite auf Kosten der übrigen Bevölkerung zu bereichern, wie es die gegenwärtige Diskussion mit ihrem Fokus auf den rasanten Vermögenszuwachs beim oberen 1 Prozent nahelegt. Dessen Abkoppelung von der übrigen Bevölkerung ist ein allzu reales Problem, das sich aber deswegen so dornig und unlösbar zeigt, weil es in einer umfassenderen institutionellen und gesellschaftlichen Konstellation verankert ist, aus der bestimmte politische Wählerschaften hervorgingen. Diese haben an eben dieser Politik ein unerschütterliches Interesse.

Deswegen ist es hier wichtig, nicht voreilig Kritik an einem »Rentierismus« zu erheben. Das mag dazu nützen, um moralische Empörung oder Besorgnisse angesichts einer Welt auszudrücken, die einigen ein Einkommen ohne Arbeit beschert, ist als Analysemethode aber nur ein stumpfes Werkzeug. Kritik an der Rentenökonomie gibt es schon lange. Sie diente der Linken, seien es gemäßigt progressive Reformer*innen, die politische Arbeiterbewegung oder radikalere Strömungen, über viele Jahre als ein bevorzugtes Instrument. Tatsächlich war es schon ein Anliegen von John Maynard Keynes gewesen, »den sanften Tod des Rentners«4(euthanasia of the rentier) herbeizuführen, und viele gewannen den Eindruck, dass der Kapitalismus zur Mitte des 20. Jahrhunderts genau dies geleistet habe, indem er seine Wirkweisen mit den Bedürfnissen der erwerbstätigen Menschen in Einklang brachte. Die vergangenen Jahrzehnte trugen allerdings stark dazu bei, diese Sichtweise von Kapital, das im Interesse der Gesamtgesellschaft arbeiten kann, zu unterminieren. Hatte die Kritik am unproduktiven Rentierismus vor allem von linker Seite dazu gedient, den Neoliberalismus seit dessen Anfängen unter Beschuss zu nehmen,5 so kehrte sie in neuerer Zeit – nach Erscheinen von Thomas Pikettys Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert – in die allgemeine öffentliche Debatte zurück.

Piketty sieht die wachsende Ungleichheit hauptsächlich mit Blick auf die Vermögen der Rentiers an der Spitze der Gesellschaft. Wir argumentieren in diesem Buch, dass deren Vermögenszuwachs nur Teil eines umfassenderen Phänomens ist, dem wir auf den Grund gehen müssen. Indem Piketty die heutigen Trends als eine Rückkehr in die Zeit vor der »keynesianischen Euthanasie« darstellt, unterschätzt er nach unserer Argumentation die qualitativ andere Logik, die die Mechanismen der Entstehung von Ungleichheit in heutiger Zeit antreibt. Auch wenn es sicherlich wichtig ist nachzuvollziehen, wie sich der für Ungleichheit sorgende rasante Vermögenszuwachs an oberster Spitze in einer demokratischen Gesellschaft so lange fortsetzen konnte, müssen wir ihn als Teil einer umfassenderen, eher strukturellen Neukonfiguration von Ungleichheitsmustern erkennen. Immerhin hatte die Massendemokratie als ein zentraler Treiber gewirkt, der zu den politischen Ausgleichsmaßnahmen des New Deal und des Nachkriegsstaates führte. Die »Rentiers-Funktion« hat sich inzwischen in erheblichem Ausmaß im sozialen Leben als Ganzes eingebürgert, allerdings ohne dass sich das wachsende Bewusstsein dafür, dass Vermögensbesitz häufig einträglicher ist als Erwerbsarbeit, bislang in ein neues Verständnis von Klasse und Ungleichheit niedergeschlagen hätte. Obwohl das Phänomen steigender Immobilienpreise eine Fülle von Kommentaren hervorrief, greifen wir tendenziell auf ältere, auf Arbeit und Beschäftigung basierende Modelle zurück, wenn es darum geht, auf systematische Art über Klasse, Ungleichheit und soziale Schichtung nachzudenken.

Das Schlüsselelement, das Ungleichheit prägt, ist inzwischen nicht mehr die Arbeitsbeziehung, sondern vielmehr, ob jemand in der Lage ist, Assets zu erwerben, deren Wertzuwachs die Preis- und Lohnentwicklung übertrifft. Beschäftigung bleibt insofern ein wichtiger Faktor, als sie die Fähigkeit zum Erwerb von Vermögenswerten (z. B. zur Bedienung einer Hypothek) bestimmt, aber sie ist immer stärker eben nur einer unter vielen verschiedenen Faktoren. Auch wenn das Einkommen aus Arbeit für viele Menschen natürlich noch das entscheidende Mittel darstellt, um täglich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ist der wichtige Punkt dabei, dass es für sich genommen immer seltener als Grundlage für einen Lebensstil dient, den die meisten als einen der Mittelschicht ansehen würden. Die Wertsteigerung von Assets wurde durch ein besonderes institutionelles Geflecht herbeigeführt, welche die Sozialstruktur grundlegend neu ausgestaltet hat – in dem Sinn, dass Vermögensbesitz als eine Determinante für die Klassenposition jetzt wichtiger wird als Beschäftigung.

Diese Realität erfährt die Millennial-Generation erstmals in voller Härte. Der generationelle Aspekt ist somit nicht deshalb wichtig, weil er in einer einheitlichen Erfahrung des sozialen Lebens oder in einer klaren Spaltung zwischen Generationen bestünde (wie ein naiver Ansatz der Generationsanalyse unterstellen würde), sondern weil er die wirtschaftlichen Bruchlinien sichtbar macht, die durch vier Jahrzehnte neoliberaler Steuer- und Finanzpolitik in Erscheinung getreten sind. Immerhin haben einige Millennials Zugang zu elterlichem Wohlstand (häufig seinerseits entstanden durch die Inflation der Immobilienpreise), der es ihnen ermöglicht, sich in die Dynamiken der Asset-Inflation einzukaufen. Was wir gegenwärtig sehen, ist eine Entwicklung, bei der intergenerationelle Transfers und Erbschaften die Lebenschancen in immer stärkerem Maß bestimmen.

Ganz wichtig dabei: Diese Entwicklung ist eher nicht als eine Rückkehr in eine frühere Ära zu verstehen, in der Eigentum (im Allgemeinen unter Männern) mehr oder weniger stabil und zumeist geräuschlos von einer Generation an die nächste weitergereicht wurde. Die Erbschaft ist nicht mehr eine einfache Übertragung von Eigentumsansprüchen, sondern zunehmend ein strategisch eingesetzter Transfer von Finanzmitteln, die zeitlich günstig als Hebel genutzt und in der spekulativen Logik der Asset-Ökonomie eingesetzt werden müssen. In dieser neuen Logik der Ungleichheit verbindet sich die »hyperkapitalistische« Logik der Finanzialisierung mit der »feudalen« Logik der Erbschaft mit dem Effekt, dass sie die soziale Klassenstruktur insgesamt umgestaltet. Die generationelle Dimension spielt mit der spekulativen Logik des gegenwärtigen Finanzsystems zusammen und prägt so vermögensbasierte Lebenszeiten aus.

1 Switzer, »Anxiety plus Ignorance«.

2Financial Times, »Quantitative Easing was the Father of Millennial Socialism«.

3 Blyth, Wie Europa sich kaputtspart; Gane, »Central Banking«.

4 Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, S. 317.

5 Duménil/Lévy, »Costs and Benefits of Neoliberalism«; Onaran/Stockhammer/Grafl, »Financialisation«; Standing, Prekariat.

Die Anlage dieses Buchs

In den nachfolgenden Kapiteln zeigen wir auf, inwiefern die sich verändernde Rolle von Assets dafür gesorgt hat, dass in den anglokapitalistischen Ländern eine neue Logik der Ungleichheit eingezogen ist. Im nächsten Kapitel »Asset-Logiken« erläutern wir, warum es so wichtig ist, das gegenwärtige Wirtschaftssystem als ein von der Logik der Vermögenswerte beherrschtes zu begreifen. Wir zeigen den Unterschied unseres Ansatzes zu konkurrierenden Sichtweisen auf, in denen tendenziell das orthodoxe Bild vom Markt und insbesondere die Vorstellung überbetont wird, wonach Liquidität ein inhärenter Aspekt der Finanzialisierung sei. Solche Sichtweisen vernachlässigen, dass die Teilhabe an der finanzialisierten Wirtschaft häufig beinhaltet (und regelmäßig erfordert), höchst illiquide Investitionen zu tätigen. Bei solchen Wirtschaftsaktivitäten werden üblicherweise Kredite aufgenommen, um einen Vermögenswert zu erwerben, und anschließend über einen festgelegten Zeitraum getilgt – mithilfe von Kapitalerträgen aus diesen Assets und von Einkommen aus Arbeit. Da die Letztgenannten stagnieren, kommt den spekulativen Erträgen aus Vermögenswerten eine wachsende Bedeutung zu (sowohl für die Bilanz von Einzelpersonen und Privathaushalten als auch für die makroökonomische Gesamtleistung und Politik).

Anschließend wendet sich dieses Kapitel Pikettys Beobachtung zu, wonach die Wertsteigerung von Vermögen in den letzten vier Jahrzehnten die Entwicklung der Arbeitseinkommen überflügelt hat. Auch wenn dies ein zentraler Bezugspunkt für unser Buch ist, hat Pikettys Darstellung zwei entscheidende Schwächen. Erstens versteht er die Tendenz, dass die Einkommen aus Kapital die aus Arbeit übersteigen, als eine neuerliche Bestätigung für ein Grundgesetz des Kapitals und nicht als das Ergebnis einer Reihe von Veränderungen in der Steuer- und Geldpolitik, die den Inflationsdruck, der hauptsächlich auf den Verbraucherpreisen und Löhnen lastete, auf die Vermögenspreise verlagert hat. Das Kapitel weist auf einige zentrale Aspekte dieser politischen Konstellation hin, die im Kapitel danach – »Die Entstehung der Asset-Ökonomie« – eingehender erörtert werden. Zweitens fokussierten sich Piketty und andere, die sich seiner Analyse anschlossen, ganz auf die alleroberste Bevölkerungsschicht (das 1 Prozent), ohne im Allgemeinen weiterzuverfolgen, wie sich dies auf ein Verständnis von Klasse und Stratifikation auswirkt. Gerade hier müssen wir von der Vorstellung abrücken, dass die gegenwärtige Zeit eine Rückkehr zum klassischen Liberalismus oder zu einem »neuen Gilded Age« darstelle. Die heutige Ungleichheit in westlichen Ländern gründet sich auf einen Vermögensbesitz der Mittelschicht, der in der Zeit nach dem New Deal und der Nachkriegszeit aufgebaut wurde. Sichtbar ist dies besonders im Bereich des Wohneigentums: Durch die anhaltende inflationäre Wertsteigerung von Immobilien über mehrere Jahrzehnte hat sich die Logik, nach der die Gesellschaft in Klassen strukturiert wird, grundlegend verschoben: Sie ist jetzt nicht mehr um Beschäftigung zentriert, sondern vielmehr um die Teilhabe an Asset-Besitz und -Wertsteigerung organisiert.

Das oben genannte Kapitel erörtert eingehender die Ursprünge und die Entwicklung der Asset-Inflation mit dem Ziel, nachzuvollziehen, wie wir in eine Situation gelangten, in der die anhaltende Vermögenspreisinflation die Lohninflation als einen zentralen Wirtschaftstreiber abgelöst hat. Dazu blendet es in die 1970er Jahre zurück, eine Dekade, die sich deshalb durch einen Verfall der Vermögenspreise in historischen Ausmaßen auszeichnete, weil steigende Verbraucherpreise die Kapitalerträge entwertet haben, im Verbund mit Lohnsteigerungen und staatlichen Sozialausgaben als Ergebnis gewerkschaftlicher Bemühungen, bei den Löhnen einen Inflationsausgleich oder noch bessere Ergebnisse auszuhandeln. Diese Kombination aus steigenden Arbeitseinkommen und sinkenden Vermögenspreisen kehrte sich im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte um. Das Kapitel untersucht die Rolle der Geldpolitik, der Steuerpolitik (insbesondere der Besteuerung von Kapitalerträgen) und der Begrenzung öffentlicher Ausgaben als wichtigste Hebel, mit denen diese Umkehr erreicht und die Kombination aus Asset-Inflation und Lohnstagnation zur Regel wurde.

Dieses Kapitel erhellt zudem die Rolle von Neoliberalen des Dritten Weges, wie Bill Clinton in den USA, Tony Blair in Großbritannien und Paul Keating in Australien. Sie versuchten, dieses neue Politikregime zu entschärfen, aber auch zu konsolidieren, indem sie Kreditvergaben an Privathaushalte als einen Weg zu demokratisierten Kapitalerträgen offerierten – als eine Art Demokratie des Vermögensbesitzes. Vorweggenommen durch Margaret Thatcher und Ronald Reagan, weckten die Neoliberalen des Dritten Wegs die Hoffnung, dass wir alle an der Wertsteigerung von Assets partizipieren könnten, über eine Demokratisierung von Aktienbesitz, von Wohneigentum oder einfach durch den Besitz beruflicher Fähigkeiten (durch unser »Humankapital«). In seiner Deutung der Humankapitaltheorie ging der Dritte Weg davon aus, dass die Menschen Einbußen durch stagnierende Arbeitseinkommen dauerhaft ausgleichen könnten, wenn sie eine unternehmerische Haltung im Leben einnähmen und Einkommen aus ihrem Humankapital zögen. Dies sollte den Gegensatz zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft aufheben. Die Steuer- und die Geldpolitik wurden stark von der Vorstellung angetrieben, dass Etappen im Lebensverlauf wie Ausbildung, Wohnen und Beschäftigung vor allem als Investitionschancen gesehen werden müssten.