Die Botschaft - Till Angersbrecht - E-Book

Die Botschaft E-Book

Till Angersbrecht

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Beschreibung

Fünf nichtsahnende Gäste treffen im Haus eines ehrgeizigen Astronomen in einer Villa am Rande des Wiener Walds zusammen, wo die Hausherr sie mit einer unerwarteten Botschaft konfrontiert, die zunächst ihre Neugierde und bald darauf ihre heftige Kritik wachruft, weil sie ihr bisheriges Bild von Mensch und Welt erschüttert. Die Gäste, ein international bekannter Physiker, ein erfolgreicher Schriftsteller, ein beliebter Geistlicher, ein beachteter Journalist und die Schwester des Astronomen, scheinen sich noch dazu auf rätselhafte Art zu diesem Treffen gezwungen zu fühlen, eine Ahnung, die sich am Ende auf dramatische Weise erfüllt. Dieses Buch will eine politische Parabel im Sinne George Orwells sein: Alle Gäste, einschließlich des Gastgebers und seiner Frau, leben in ihrer kleinen Welt – mehr oder weniger wohlgeborgen. Die unheimliche Botschaft von den beiden Reichen Tatu und Tata reißt sie aus dieser Geborgenheit: Die Welt da draußen erweist sich als radikal anders als ihre Vorstellung.

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Seitenzahl: 318

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Till Angersbrecht

Die Botschaft

die ihr nicht hören wollt

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Eine Nachricht von Irgendwo

Die Kindheit eines großen Mannes

Dittlick erschießt den Hund statt seiner Frau

Tatu - Tata

Wie einsam die Großen sind!

Auf dem Golfplatz

Glut unter dem Schnee

Der Präsident

Der Brief aus der Hauptstadt

Weg von diesem Mann!

Gottes unbestechlicher Blick

Verhaftet!

Die Bombe platzt

Der Botschafter sendet einen Schutzengel aus

Vlad im Straßenbau

Wo bleibt da das Positive?

In den Wäldern des Ostens

Mutter und Tochter gegen den Vater

Gesichter, die dir der Spiegel zeigt

Die Friedfertigen

Himmlische Ironie

Epilog

Impressum neobooks

Eine Nachricht von Irgendwo

Um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht erscheinen, schon gar nicht an einem so schönen Frühlingstag, wo die Sonne dir mit liebkosenden Fingern übers Gesicht streicht, ein leichter Wind, eigentlich nur die Andeutung eines Frühlingshauchs dich von den Wiener Bergen her zart begrüßt und du dich in einer Stimmung befindest, die aller Arbeit abhold ist, ich möchte das Wort Besinnlichkeit gar nicht verwenden, weil es irgendwie altmodisch klingt und ich nicht in dem Alter bin, wo ich mir Altmodisches leisten könnte; ich will auch gar nicht behaupten, dass ich mich ganz unfreiwillig zu Herrn Professor Schdruschka auf den Weg gemacht hätte. Als er mich anrief und mir die Einladung für den heutigen Nachmittag mit dem Hinweis auf ein bedeutendes Ereignis überbrachte, das er mir allerdings fernmündlich nicht mitteilen könne, verstand er es durchaus, meine professionelle Neugierde anzusprechen.

Ich weiß, als Journalist sind Sie beständig auf der Jagd nach eingebildeten oder wirklichen Sensationen, hatte Schdruschka mit trockener Beiläufigkeit in die Muschel gesprochen. Sie werden auf Ihre Kosten kommen – eine Botschaft! Mehr kann ich Ihnen am Telefon leider nicht verraten.

Rätselhaft war mir allerdings, warum der Herr Professor gerade mich ausersehen hatte, doch war es immerhin möglich – und diese Möglichkeit schmeichelte mir -, dass er mich für den bedeutendsten Journalisten in seiner Nähe hielt - eine Meinung, die vielleicht unrichtig war, für die ich ihn aber auch nicht geradezu tadeln wollte.

Was mir zu denken gab, war der nebelhafte Hinweis auf eine Botschaft. Wieso stellte sich diese so plötzlich ein, dass er mich um zehn Uhr morgens anrufen und für zwei Uhr nachmittags zu sich bestellen musste? Und überhaupt, das Wort Botschaft klingt verdächtig nach jenen Mitteilungen, die sich hinter den Buchdeckeln esoterischer Literatur zu Hunderten verbergen und wirklich wirksame Köder nur für besondere Leute sind, nämlich jene ausgemachten Dummköpfe und Spinner, von denen es in einer desorientierten Zeit wie der unsrigen allerdings eine erschreckende Menge gibt, die sogar noch mit jedem Tag weiter zu wachsen scheint.

Kurz und gut, normalerweise hätte ich die Einladung für einen absonderlichen Einfall, wenn nicht gar für eine Zumutung gehalten, mit der sich jemand wichtig zu machen versucht – mit derartigen Ansinnen hat ein halbwegs bekannter Journalist ja in einem fort zu rechnen. Wenn ich diesmal anders verfuhr und mich in diesem Augenblick tatsächlich auf dem Weg in das Villenviertel am Rande unseres Wiener Waldes befinde, dann aus dem einzigen Grund, weil der Anrufende ein in Wien nicht ganz unbekannter Gelehrter ist, ein Professor nämlich, Herr Dr. Waldmir Schdruschka, seines Zeichens ordentliches Mitglied des astronomischen Gelehrtenbundes, einer vormals königlich-kaiserlichen wissenschaftlichen Gesellschaft. Auch dieser hochfliegende Titel hätte mich freilich nicht auf den Weg locken müssen; irgendwelche Sensationen, nach denen das Publikum giert und die ich als Journalist daher keineswegs übergehen darf, sind doch von einem ordentlichen Professor kaum zu erwarten, schon gar nicht von diesem palatschinkengesichtigen Menschen, der allein aufgrund seiner ungewöhnlichen Physiognomie sehr gut den bekannten Mann im Mond spielen könnte. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich hatte ihn vor Jahren einmal bei einem Vortrag in der Urania erlebt, bei dem die Hälfte des Publikums nach zehn Minuten in einen Zustand schläfrigen Wegdämmerns geriet, denn außer Zahlen und endlosen Betrachtungen statistischer Art, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich es denn wohl sei, dass wir die einzigen Lebewesen in den Weiten des Weltalls sind, also außer diesen und anderen strohtrockenen Zahlen hat der Mann seiner gequälten Zuhörerschaft nicht ein einziges lebendiges, aufrüttelndes Wort geboten.

Warum also bin ich der Einladung trotzdem gefolgt, obwohl sich mein Interesse für die Astronomie und für diesen Professor ganz eindeutig in den engsten Grenzen bewegt und meine Kenntnisse auf diesem Gebiet überhaupt elementar sind? Ich muss gestehen – und möchte gleich zu Anfang betonen, dass dieses Geständnis nicht ohne Bedeutung ist –, dass ich anlässlich dieser um zehn Uhr morgens erfolgten Einladung so etwas wie eine Nötigung verspürte, einen seltsam unterschwelligen und doch deutlich gefühlten Zwang, über dessen Wesen ich mir erst sehr viel später im Klaren war. Keineswegs ging dieser Zwang von der Anwesenheit Evelines aus. Während der Zeit, als ich mich zunächst im Bus und wenig später dann auf den gepflegten Straßen des sichtbar wohlhabenden Viertels im Nordwesten von Wien befand, wusste ich ja absolut nichts davon, dass ich Eveline dort begegnen würde, und im Übrigen bin ich nun wirklich aufgeklärt und auch vorurteilslos genug, um nicht an die geheime Anziehungskraft von Menschen zu glauben, die sich ohne unser Wissen an einem Ort befinden, den aufzusuchen wir gerade im Begriff sind. Nein, ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich lange Zeit völlig ahnungslos war, was die Ursache dieses Zwangs oder dieser eigenartigen Nötigung betrifft. Als ich sie dann endlich begriff - aber davon wird erst sehr viel später die Rede sein –, hat mir diese Erkenntnis einen Schauer geheimen Grauens über den Rücken gejagt. Denn da wusste ich auf einmal, dass es vielleicht mit all unserer vermeintlichen Freiheit und Freiwilligkeit nicht so weit her ist, wie wir uns so gerne einzureden und einzubilden pflegen.

Ich befand mich also auf dem Weg zu einem Treffen, mit dem ich, obwohl fast gegen den eigenen Willen dorthin getrieben, keine besonderen Erwartungen verband, wenn es auch zutreffend ist, dass der Gastgeber in seinem eigenen Revier, also in der Stadt Wien, ja sogar selbst noch in Österreich, keine ganz unbekannte Person ist, sondern sich in seinen Kreisen einen gewissen Namen zu machen wusste. Professor Dr. Waldmir Schdruschka ist, wie man das hier zu nennen pflegt, eine Art Wiener Lokaleminenz, worunter der Eingeweihte bei uns allerdings etwas ganz anderes versteht (die Sprache, und besonders das Wienerische ist in mancherlei Hinsicht sehr trügerisch!), nämlich eine Art gescheiterter Existenz - gescheitert, versteht sich, auf hohem Niveau, denn Dr. Schdruschka hatte es immerhin zu einem überaus ordentlichen Professor gebracht. Es war nur leider ein unbestreitbares Faktum, dass er mit seinen wenigen wissenschaftlichen Schriften niemals über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus, ja, nicht einmal bis nach Deutschland gelangte, und dieser Mangel an Anerkennung beruhte sicher nicht ausschließlich darauf, dass Fachgenossen immer und überall zu Neid und Missgunst neigen, weil in solchen Kreisen sich jeder bekanntlich selbst für ein Originalgenie hält und man einen Kollegen deshalb nur dann gelten lässt, wenn irgendeine unbestreitbare ausländische Kapazität ihm eine wirklich überragende Leistung bescheinigt. Eine solche ausländische Kapazität hatte sich des Herrn Prof. Schdruschka jedoch niemals erbarmt, vermutlich deshalb, weil sich bei ihm eben keine überragenden Leistungen finden ließen, denn Schdruschkas Forschungen führten nur zu wenigen kaum über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten Aufsätzen über intergalaktische Geographie. Vermutlich hatte sich Schdruschka von seinem kürzlich erschienenen populärwissenschaftlichen Buch „Die Omega Welt “ einen Durchbruch erhofft, doch seine hochfliegenden Erwartungen wurden auch diesmal enttäuscht. Tatsache ist, dass er mit diesem Opus erst recht das Misstrauen der akademischen Kollegenschaft schürte.

So ist es eben, spöttelten die giftigsten unter ihnen: Wenn jemand in der echten Wissenschaft strandet, dann versucht er sich beim großen Publikum einzuschmeicheln!

Dieses selbst brachte der Omega Welt nur mäßiges Interesse entgegen, vermutlich weil das Buch so hölzern geschrieben war und überwiegend aus tabellenmäßig zusammengestellten Zahlen bestand und der Herr Professor darin für ausgefallene, um nicht zu sagen, recht seltsame Thesen warb. Dass wir, ihm zufolge, von Tausenden bewohnten Planeten umgeben seien, mochte allenfalls diskussionswürdig sein, denn in einem unendlichen Universum muss die reine Theorie sicher auch eine Unendlichkeit von bewohnten Himmelskörpern zulassen – wenn ich mich nicht irre, hatte ein großer Renaissancegelehrter, Giordano Bruno, ähnliche Ansichten schon ein halbes Jahrtausend früher vertreten. Was aber war von Schdruschkas Behauptung zu halten, dass wir mit den modernen Instrumenten der interstellaren Hochtechnologie sehr bald den genauen Standort des Paradieses und womöglich auch die Koordinaten von Gottes Hauptquartier herausfinden würden? Eine solche These war geeignet, die Reputation des Herrn Astronomen ernsthaft in Frage zu stellen. Den meisten Lesern nötigte sie nur verwundertes Kopfschütteln ab, schon deshalb, weil nur die wenigsten Intellektuellen in unserer gottfernen Zeit Anhänger einer der drei abrahamitischen Religionen sind. Blicke ich mich zum Beispiel in meinem Bekanntenkreis um, so habe ich es dort fast ausschließlich mit Leuten zu tun, die sich Gott nicht einmal vorstellen können: weder als Jahwe, noch als Allah oder als den Lieben Rauschebart unserer christlichen Märchen. Wie sollen sie da an einen Stern, Asteroiden oder sonstigen Stützpunkt glauben, auf dem der Hohe Herr angeblich mit seinem Gefolge zu Hause sei?

Nun, Schdruschka war durch solche Einwände nicht zu beirren - mit der zähesten Hartnäckigkeit hielt er an seinen abstrusen Thesen fest. Es sei nur eine Frage der Zeit - so hatte er schon damals bei seinem Vortrag in der Urania verkündet -, bis wir den Schleier vor den letzten Geheimnissen lüften.

Jetzt also lockte mich dieser seltsame Mann mit einer Botschaft, der ich fast gegen den eigenen Willen folgte. Ringsherum flöteten die Amseln, die Spatzen zwitscherten in den Bäumen, die Sonne war aus dem Zenit bereits ein Stückchen hinuntergerutscht, aber an diesem Tag verführerisch warm - so gesehen, musste ich es für ein Vergnügen halten, einer mehr als kuriosen Einladung in das Haus eines Gelehrten zu folgen, den die eigene Kollegenschaft längst nicht mehr ernst nehmen will. Aber ob ihn das wirklich betrübt? Immerhin scheinen die Theologen einen Narren an ihm gefressen zu haben. Bei einigen von ihnen stieß seine Arbeit auf begeisterten Zuspruch, was ich durchaus begreife, weil man in diesen Kreisen schon seit Jahrhunderten nach Paradies und Hölle fahndet und dem Moment entgegenfiebert, wo man den Herrgott endlich selbst zu einem Interview bitten kann. Insgeheim hoffen die Herren wohl auch, dass der Gottesbeweis, der selbst den besten Philosophen der Vergangenheit niemals wirklich gelang, mit den Mitteln der Hochtechnologie irgendwann doch noch erbracht werden könnte, nämlich dann, wenn es einem Mann wie Dr. Schdruschka gelingt, den exakten Ort von Gottes Hauptquartier zu bestimmen.

Wie schön die eben aus dem Winterschlaf erweckte Natur! Wie schön der frische Flor aus Grün über den Bäumen! Wie schön...

Seltsam, ich bin doch sonst kein Naturapostel, warum versuche ich mir auf dem Weg einzureden, wie wohl mir dieser Frühlingstag tut und wie schön die Stadt Wien gerade hier in ihren verschwiegen-wohlhabenden Außenbezirken ist, wo das Fahrgeräusch vorbeifahrender Autos selten die verwunschene Ruhe stört. Aus dem Rückblick betrachtet, musste ich diese Schönheit und diese Ruhe wohl deshalb beschwören, weil ich gegen das unterschwellige Gefühl ankämpfte, dass mich irgendetwas, eine mir selbst unbekannte Nötigung dazu trieb, den Ort der Einladung aufzusuchen. Diese Nötigung war umso unbegreiflicher, als ich Schdruschka gewiss nicht besonders sympathisch fand, damals nicht auf seinem einschläfernden Vortrag in der Urania und nicht während der zwei oder drei Male, da ich ihm auf Empfängen der verschiedensten Art zufällig begegnet war. Der Eindruck, den er in meiner Erinnerung hinterlassen hatte, war stets derselbe: ein großes, pfannkuchenrundes Gesicht, das auch, wenn es dir nahe kommt, dennoch aus der Ferne zu dir herabzublicken scheint, ein irgendwie nebelhafter, undeutlicher und undeutbarer Charakter, wie er jedem von uns irgendwann einmal begegnet, ich meine, ein Mensch, der sich eine besondere Aufgabe daraus zu machen scheint, dir stets mit einer Miene wissender Überlegenheit entgegenzutreten, so als wollte er dir dadurch begreiflich machen, dass in seinem Kopf beständig irgendwelche aufregenden Geheimnisse keimen, die dir, einem leider durch und durch traurigen Alltags- und Durchschnittswesen, leider für immer verschlossen bleiben.

So ein schöner Tag, dachte ich, so ein besonders schöner Tag, warum lasse ich mich nur in das Haus eines Mannes locken, in dessen Gegenwart ich schon einmal einschlafen musste? Immerhin hat er es materiell durchaus zu etwas gebracht; all diese gepflegten Villen rechts und links, eine wahre Augenweide. Hier zu wohnen, genügt sicher kein Professorengehalt, dazu muss man geerbt oder eine reiche Frau geheiratet haben. Welches weibliche Wesen mag sich wohl diesen hölzernen Professor zu ihrem Lebensgefährten erwählen? Oder wird er nicht eher, wie ich vermute, die traurige Existenz eines alternden Junggesellen führen? Na ja, in kurzer Zeit werde ich klüger sein.

Mit derart müßigen Überlegungen beschäftigt, drücke ich schließlich auf eine Klingel unterhalb eines Messingschilds mit der Aufschrift „Dr. Schdruschka“.

Die Tür öffnet sich, und da ist es schon, dieses große, runde Gesicht. Es kommt mir vor, als wäre es seit unserer letzten Begegnung noch etwas runder und größer geworden und das undeutbare Lächeln, das er mir gleich bei der Tür entgegenbringt, scheint noch etwas undeutbarer geworden. Wir schütteln uns die Hand, und ich spreche, wie es sich gehört, meinen Dank für die Einladung aus.

Ihr Hinweis auf eine wichtige Botschaft hat mich wirklich neugierig gemacht! Sie wissen ja, wir Journalisten dürfen uns nichts von wirklicher Bedeutung entgehen lassen.

Und daran haben Sie gut getan, antwortet Schdruschka. Ich werde Sie nicht enttäuschen.

Ich folge ihm durch den Vorraum in das Wohnzimmer des Hauses – und im selben Augenblick geschieht etwas mit mir. Ich erstarre, ich fühle, wie mein Lächeln erfriert, wie sich meine Hände verkrampfen, wie mein Atem stockt und meine Zunge gelähmt ist.

Dabei hat Schdruschka etwas ganz Harmloses gesagt, eine rhetorische Frage, wie sie ein Gastgeber seinen Gästen üblicherweise zu stellen pflegt.

Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?, sagt er.

Im ersten Augenblick hatte ich meinerseits ganz harmlos darauf reagiert, denn gegen das Sonnenlicht, das aus der Fensterwand in das Wohnzimmer fiel und meine Augen einer kurzfristigen Blendung aussetzten, habe ich zunächst nicht mehr wahrgenommen als den bloßen Umriss einer weiblichen Gestalt. Dieser allein hätte mich natürlich nicht in Verwirrung gesetzt, auch wenn ich vorher Überlegungen von der Art angestellt hatte, ob eine lederne Professorennatur wie die des Herrn Schdruschka es überhaupt fertig brächte, ein weibliches Wesen aus Fleisch und Blut an sich zu binden. Nun, die Bekanntmachung mit seiner Frau belehrte mich eines Besseren, ich hatte mir einige recht überflüssige Gedanken gemacht. Um meinen Fehler abzubüßen, war ich bereit, meine Hand auszustrecken und seine Frau mit besonderer Höflichkeit zu begrüßen.

Doch statt dessen war ich erstarrt - ein Zustand, der in den Augen anderer vielleicht nur einen flüchtigen Augenblick währte, mir selbst aber wie eine Ewigkeit erschien. Ich hätte natürlich auch ganz anders reagieren, spontan ihren Namen „Eveline“ ausrufen können, ebenso wäre es zumindest denkbar gewesen, dass sie meinen Vornamen nennt. Aber nichts von dem ist geschehen. Ihren Namen über die Lippen zu bringen, wäre mir ganz unmöglich gewesen, weil ich erst noch die Ungeheuerlichkeit ihrer leiblichen Erscheinung bewältigen musste. Denn jetzt, wo ich einen weiteren Schritt in den Raum getan hatte, so dass das von der breiten Türfront einfallende Licht unterhalb meines Kopfes lag und mich deshalb nicht länger blendete, gab es keinen Zweifel mehr: Das war sie, kaum verändert, nein eigentlich gar nicht verändert, obwohl zehn Jahre inzwischen vergangen waren. Auch heute kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie in jenem Moment des unerwarteten Wiedersehens von der gleichen Lähmung befallen war wie ich. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte ich es nicht bemerken können. Denn wenn man einen derartigen Schlag erhält – ich spreche ausdrücklich von einem Schlag, denn ich spürte ihn so, als hätte mir jemand einen Hieb in den Bauch versetzt -, dann ist man für den Augenblick derart überwältigt, so mit sich selbst beschäftigt, dass man für die Seelenregungen anderer Menschen alles Gespür verliert. Ich kann also nicht sagen, ob in ihr dasselbe vorging wie in mir. Ich glaube es nicht, nein, ich halte sie dazu nicht einmal für fähig.

Um es kurz zu machen: Ich habe mich ein oder zwei Sekunden später so weit gefasst, so verbissen zusammengenommen, dass ich mit dem bei solcher Gelegenheit üblichen Lächeln meine Hand ausstrecken und die Frau des Hauses begrüßen konnte. Ob Schdruschka meine kurzfristige Lähmung bemerkte? Ich glaube nicht, er wird meine Verwirrung auf die Blendung durch die Sonne zurückgeführt haben oder mich schlicht für einen jungen Mann mit ungeschickten Manieren halten. Für ihn musste mein Treffen mit Eveline den Anschein haben, als wären wir Fremde und ich seiner Frau an diesem Tag zum ersten Mal begegnet.

Das unerwartete Wiedersehen sollte nicht die einzige Überraschung an diesem frühen Samstagnachmittag sein, aber sie drängte alle übrigen Überraschungen weit in den Hintergrund. Es dauert einige Zeit, bis ich die Anwesenheit mehrerer anderer Gäste bewusst registriere. Alle haben sich rings um einen eichenen Gartentisch auf der Rückseite der Villa versammelt. Wie gesagt, gehe ich gegen die Sonne, als ich hinter Schdruschka und seiner Frau durch die offene Tür die auf der Rückseite des Hauses gelegene Terrasse betrete. Selbst die grandiose Landschaft, die sich wie auf einem Panoramaschirm vor mir öffnet, nehme ich zunächst gar nicht wahr, weil ich noch immer ihr Gesicht vor mir sehe, ihr völlig unbewegliches oder um die Mundwinkel vielleicht doch kurz aufzuckendes Gesicht. Es war ein herrlicher Ausblick auf den Wiener Wald, das bemerke ich erst jetzt, nachdem mein erstarrtes Inneres langsam aufzutauen beginnt.

Meine Befindlichkeit muss aber nicht jeden anderen interessieren, deswegen möchte ich gleich dazu übergehen, die außer mir selbst noch anwesenden Gäste vorzustellen.

Da nehme ich zunächst einmal eine gar nicht so kleine Berühmtheit wahr, nämlich Teddy Gernegut, der mir aufmunternd zuzwinkert, als wären wir vertraute Komplizen - dabei habe ich ihm bisher nur auf einer seiner zahlreichen Lesungen zwei- oder dreimal die Hand gedrückt. Er strahlt mich so freudig an, als hätte er die ganze Zeit auf nichts anderes gewartet, als mich gerade an diesem Ort und zu dieser Zeit seines besonderes Wohlwollens zu versichern. Es gibt so Leute, die immer den Eindruck der Familiarität verbreiten, allgemein sind das erfreulich Zeitgenossen, denn so wird einem die Begrüßung leicht gemacht. In meiner derzeitigen halb gelähmten Verfassung bin ich ihm dafür sogar dankbar. Im Übrigen kann sich Gernegut eine gewisse Herablassung durchaus leisten. Im Unterschied zu Schdruschka, dem möglicherweise verkannten Genie, wird er nicht nur bei uns in Wien gewürdigt, sondern hat sich im ganzen deutschsprachigen Ausland einen Namen gemacht. Mit seinem kürzlich erschienenen Roman “Selig – oder warum der Mensch von Natur aus gut ist“ gelang es ihm, in weiten Kreisen höchstes Aufsehen zu erregen; über Nacht hat ihn dieses Werk nicht nur in die Schlagzeilen der gängigen Literaturbeilagen gebracht, sondern berühmt, ja sogar beliebt gemacht: Endlich hätte da jemand – so das Votum der ihn bejubelnden Kritiker - den Mut aufgebracht, dem grassierenden Pessimismus ein Bild der Hoffnung entgegenzusetzen. Was mich betrifft, so bin ich über die ersten zwanzig Seiten des Buches allerdings nicht hinausgelangt. Selig ist eine fade Gestalt, an deren vielfältigen Liebesabenteuern vielleicht pubertierende Teenager ein aufgeregtes Interesse finden, aber gewiss kein Mensch von einiger Welterfahrung. Das Motto, das Gernegut seinem Opus zugrunde legt, lässt sich in etwa auf die Kurzformel bringen „Seid nett zueinander“, wobei die Gelegenheit, wo sich diese Einstellung vor allem bewähren soll, in dem Buch detailreich und auf vielen Seiten beschworen wird (Gernegut denkt da in erster Linie ans Bett). Diese Botschaft ist zwar modern, erscheint mir aber denn doch etwas schlicht, auch wenn ich dafür Verständnis habe, dass die Leute in einer so vielfach verunsicherten Zeit, wie es die unsrige ist, etwas Aufbauendes, Positives, freudig Bewegendes hören wollen. Je rauer ihnen die Wirklichkeit draußen vor der Haustür erscheint und manchmal auch in ihren eigenen vier Wänden, desto größer wird ihre Sehnsucht nach schönen Märchen des ewig Guten und Lieben. Gernegut ist ein Evasions-, ein Illusions-, ein Vorspiegelungskünstler, wie es deren heute so viele gibt. Das Augenzwinkern, womit er mich und vermutlich auch jeden anderen begrüßt, erscheint mir als ein ständiger Versuch, alle Menschen zu Komplizen bei dieser Wirklichkeitsverfälschung zu machen.

Deswegen denke ich gar nicht daran, zurückzuzwinkern, obwohl mir Gernegut, als er sich von seinem Stuhl erhebt, mit seinem ungebärdigen Wuschelkopf ganz nahe gekommen ist. Er drückt mir heftig die Hand, zieht diese aber gleich darauf wieder zurück, wie das so seine Art ist. Bei diesem Schriftsteller ist nämlich nichts von Dauer; von Natur aus neigt er zur Zappelei, eine Unart, die sich schon darin bemerkbar macht, dass er nervös auf dem weißen Gartenstuhl hin und her rutscht, ein Stück Gebäck aufnimmt, um es in seinen Mund zu führen, aber seine Absicht gleich wieder vergessend, lässt er es dann unberührt auf den Tisch zurückgleiten. Im Eifer des kommenden Gesprächs stellt er dieses Manöver sogar mehrfach mit der vor ihm stehenden Kaffeetasse an, die er zerstreut in die Höhe nimmt, um sie einen Augenblick später - vermutlich, weil irgendein Gedanke die Schaltzentrale in seinem Gehirn gerade zur Gänze belegt – ohne einen Schluck davon zu trinken, auf die schwere Eichenplatte zurücksinken zu lassen. Nun ja, das ist eben die Art dieses Mannes.

Neben ihm an dem mit Kaffee und Kuchen einladend gedeckten Tisch entdecke ich eine weitere Wiener Koryphäe - den allseits bekannten, man darf sogar sagen, allseits berühmten Physiker Platsch, den Entdecker des holographischen Prinzips und des „Weltkerns an sich“. Der Weltkern an sich, so das Fazit seiner gelehrten Forschung, sei aller direkten menschlichen Erkenntnis entzogen, ein pessimistischer Schluss, der den Physiker jedoch nicht zu der nahe liegenden Folgerung verleitet hatte, dass der forschende Mensch notwendig und für alle Zeit an eine unüberwindbare Barriere stößt; nein, Platsch behauptete – und das erst machte ihn zu einem weltweit bekannten Mann – dass dies nur ein scheinbares Hindernis auf dem Weg zu einem allumfassenden Wissen sei, denn dank des von ihm gefundenen holographischen Prinzips seien wir grundsätzlich in der Lage, auch im Kleinsten und Entferntesten den ganzen Kosmos sozusagen in nuce gespiegelt zu sehen - auf diesem Umweg könne der Physiker daher auch bis zum eigentlich verborgenen Weltkern vordringen. Das Prinzip der holographischen Spiegelung hatte Platsch nicht nur internationalen Ruhm beschert, sondern seine Laufbahn vor wenigen Jahren auch noch mit der höchsten Auszeichnung, dem Nobelpreis, gekrönt.

Im übrigen war Justus Platsch nicht wegen seiner Forschung berühmt, sondern durch seine Persönlichkeit auch berüchtigt, denn wo immer er erschien, verbreitete er Furcht und manchmal geradezu Schrecken. Sein ungewöhnliches Aussehen trug sicher ein Teil dazu bei: der Schädel war röhrenförmig und lief nach oben hin in eine Art von Zigarettenstummel mit aschgrauem Pelz von gestutzten Haaren aus. Dieser Anblick allein war geeignet, eine gewisse Erschütterung in sensiblen Naturen hervorzurufen, doch war es weniger seine körperliche Erscheinung als das Temperament des streitbaren Physikers, das so manchen verstörte, denn Platsch war für seinen Sarkasmus und seine grimmige Strenge bekannt. Ich wunderte mich daher, diesen großen Spötter und unbarmherzigen Kritiker aller Meinungen und Aussagen, die irgendwie im Ruch der Unwissenschaftlichkeit stehen, hier im Hause Schdruschkas anzutreffen, eines Astronomen von eher windiger Reputation.

Außer Gernegut und Platsch fällt mir noch ein weiterer Gast ins Auge, dessen Weg ich bei dieser Gelegenheit allerdings zum ersten Mal kreuze. Es handelt sich um einen gewissen Dr. Bonus Theophil, einen Theologen, der in der mittleren Hierarchie der Kirche den überaus wichtigen Platz eines Dogmenspezialisten oder „konsultativen Prälaten“ besetzt - darüber hatte mich Schdruschka gleich bei meiner Ankunft, noch bevor er mich seiner Frau vorstellte, in vertraulichem Ton belehrt. Natürlich hatte ich bei dieser Mitteilung, wie sich das so gehört, ehrerbietiges Erstaunen vorgetäuscht, so als könne einem wissbegierigen Journalisten wie mir gar nichts Interessanteres geschehen, als einem konsultativen Prälaten zu begegnen. In Wirklichkeit hätte mich Schdruschka auch mit einem weißen Elefanten bekannt machen können. Ich kann mir nämlich nichts, wirklich gar nichts unter einem konsultativen Prälaten vorstellen, außer dass dieser Mann etwas mit Gott und den höheren Sphären zu tun haben muss.

So also setzt sich die Runde zusammen, die sich an diesem denkwürdigen Nachmittag gegen zwei Uhr in einer Villa am Rande des Wiener Waldes trifft, ohne dass ich in meiner Lage übrigens sofort begriff, dass die Versammlung in gewissem Sinne durch Vollständigkeit glänzt, weil sie aus hervorragenden Vertretern von Kunst, Wissenschaft, Theologie und Öffentlichkeit besteht, wobei ich, der Journalist Ingo Eckstein, mit meiner eigenen Person sozusagen die Öffentlichkeit repräsentiere. Wie gesagt, wurde ich mir dieser Eigenart unserer Runde erst später bewusst, denn in diesem Moment ist es für mich viel bedeutender, dass an diesem Tisch auf der Gartenterrasse der Villa noch etwas anderes repräsentiert wird, das für die meisten Menschen einen weit höheren Wert besitzt als die genannten Vorzüge zusammen, weil es ihre Augen, ihre Gefühle, ihren Bauch anspricht und nicht nur ihren kritisch-denkenden Kopf: Ich spreche von jener Macht, die mich selbst einmal so in ihren Bann gezogen hatte, während sie mich im Augenblick immer noch lähmt, ich meine die Schönheit, eine unheimliche, für mich furchtbare, mich gefährdende Schönheit. Ich sage das nicht etwa deswegen, weil ich gerade diese Frau so gut kenne – obwohl wir beide vor den anderen so tun, als kennten wir uns nicht – ich sage das auch nicht deswegen, weil mich der Anblick Evelines nach wie vor in einen Zustand innerer Erstarrung versetzt, sondern weil es sich um ein unbestreitbares Faktum handelt. In jeder Gesellschaft, die sie mit ihrer Gegenwart ziert, bildet diese Frau sozusagen den optischen Mittelpunkt für alle männlichen Anwesenden, deren Blicke sie auf der Stelle und unweigerlich auf sich lenkt. Den seltsamen, ja geradezu unheimlichen Zwang, der halbbewussten Nötigung, dieser unerwarteten Einladung beinahe willenlos Folge zu leisten, hätte man mit der raumübergreifenden Attraktion der Schönheit gewiss mühelos zu erklären vermocht. Doch in diesem Fall wäre das natürlich hanebüchener Unsinn, denn ich hatte Eveline seit zehn Jahren aus den Augen verloren, oder vielmehr hatte sie sich – so muss ich es richtiger beschreiben – meinen Augen seit zehn Jahren entzogen. Mit anderen Worten, ich hatte absolut nichts davon geahnt, dass sie inzwischen die Frau des Astronomen Waldmir Schdruschka war.

Mir, dem eben eingetroffenen Gast, hatte sie eine Tasse und einen Teller zugeschoben und mich dazu ermuntert, dem Gebäck zuzusprechen, was sie mit genau jenem Anstand und jener Stimme tat, die man einem Fremden gegenüber verwendet. Dabei wich sie meinem Blick allerdings aus, so wie ich zur gleichen Zeit auch den ihren vermied. Weitere Gäste, so schien es, wurden jetzt nicht mehr erwartet. Der Hausherr räusperte sich, so wie es üblich ist, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu lenken – ein in diesem Fall allerdings unnötiges Signal, da es ohnehin noch kein Gespräch unter den Gästen gab. Ich nehme aber an, dass alle begierig waren, endlich den genauen Grund dieser Zusammenkunft zu erfahren, denn am Telefon hatte Schdruschka ja nur in rätselhafter Weise von einer bedeutenden Botschaft gesprochen.

Wir sind vollständig, meine Herren, ergriff unser Gastgeber das Wort. Natürlich werden Sie überaus neugierig sein, den genauen Anlass dieser Zusammenkunft zu erfahren, zu der ich Sie so überraschend gebeten habe. Erlauben Sie mir aber zuvor, eine knappe Einführung zu meiner Person voranzuschicken, da ich nicht davon ausgehen darf, Ihnen allen mit meinem wissenschaftlichen Curriculum schon bekannt zu sein.

Diese Pedanterie! Dieses „Fishing for Compliments“! Innerlich schüttelte ich den Kopf, das hätte er sich doch sparen können. Berühmt war er nicht, das gewiss nicht, aber natürlich war Schdruschka allen an diesem Tisch Versammelten seit langem bekannt.

Sie wissen, dass die Astronomie für sich beanspruchen darf, als Urmutter sämtlicher Wissenschaften zu gelten; mit Sicherheit haben schon unsere fernsten Ahnen, die Steinzeitmenschen, die Sterne zur Hilfe genommen, um sich auf ihren Jagdzügen nicht hoffnungslos zu verirren. Aber die Astronomie ist zugleich auch eine ganz junge Wissenschaft, so jung, dass wir heute durchaus von einem Bruch mit einer Jahrtausende alten Vergangenheit sprechen dürfen. Denn in unserer Zeit geht es darum, die Sterne zum Reden zu bringen, ich meine, all die Zivilisationen zu entdecken, die über den ganzen Kosmos verstreut sind. Für den modernen Astronomen geht es darum, die tausend Stimmen des Alls zu hören und ihrem Inhalt zu lauschen! Diesem Ziel ist, wie Sie wissen, mein Leben als forschender Mensch gewidmet. Ich habe die klassische Astronomie um einen Zweig erweitert, der, wie ich hoffe, einmal ihr fortschrittlichster und für die neue Zeit auch bedeutendster sein wird, nämlich die Astrohomie. Den Begriff brauche ich in dieser Runde natürlich nicht näher zu erläutern. Als gute Humanisten wissen Sie, dass hier griechisch astron und lateinisch homo aufeinandertreffen. Genau darum geht es: um die uns so lange verborgenen Wesen auf fremden Himmelskörpern.

Der Mann mit dem Zigarettenstummel als Kopf – er saß unmittelbar rechts von mir - geriet in Bewegung: Professor Platsch nickte mit auffallender Bedächtigkeit.

Kollege Schdruschka, das ist eine Aufgabe, die wir alle nur aufrichtig gutheißen und mit aller Kraft unterstützen wollen. Allerdings wissen gerade Sie nur zu gut, dass die bisherigen Bemühungen, mit den Lebewesen anderer Welten Kontakt aufzunehmen, sämtlich gescheitert sind. Was haben Sie und Ihre Helfer nicht alles getan, um endlich eine Verbindung nach oben herzustellen! Beethovens Neunte, Shakespeares Hamlet und was ihr nicht alles ins All hinausposaunt habt – eine kosmische Marktschreierei sondergleichen, würde ich das nennen! Und wir alle haben sehnsüchtig darauf gewartet, dass der irdische Homo Sapiens mit seinen größten Leistungen irgendwelche fernen Wesen so beeindrucken wird, dass uns diese Wesen ihrerseits mit einer Botschaft beehren. Doch was ist die Antwort auf all Ihre Bemühungen? Ein kosmisches Schweigen, oder sagen wir besser, ein großes kosmisches Rauschen, aus dem sich nicht die geringste Intelligenz herauslesen lässt!

Das ist er in Reinkultur, unser grimmiger Platsch, ganz wie wir ihn alle kennen. Er liebt es eben, nach Art eines Wasserwerfers, den die Polizei bei Demonstrationen zur Abkühlung von Rabauken benutzt, in seinem persönlichen Umfeld allen Enthusiasmus gründlich zu vereisen. Aber heute sitzt er dem Astronomen nicht allein gegenüber. Einen so leicht zu entflammenden Mann wie den Schriftsteller Gernegut bringt er mit diesen Worten natürlich gegen sich auf.

Nun bitte!, ruft Gernegut und springt wie ein Zirkusclown von dem Stuhl, auf dem er ohnehin keine Ruhe gefunden hat. Wir Künstler haben da, denke ich, auch noch ein Wort mitzureden. Ich, für meine Person, stehe ganz und gar auf der Seite der Astrohomie. Ich danke unserem Herrn Schdruschka für die bisher geleistete Arbeit, denn uns Kreativen spricht er nun wirklich ganz aus dem Herzen. Wenn Sie mich fragen, so halte ich es jedenfalls für radikal unwahrscheinlich, dass gerade wir Zweibeiner hier unten, ich meine, auf diesem völlig unbedeutenden Nebenplaneten eines x-beliebigen Sonnensystems, die einzigen vernunftbegabten Wesen sein sollen! Können wir wirklich glauben, dass das unendliche Universum sich in puncto Intelligenz als hoffnungslos beschränkt und endlich erweisen soll? Das redet mir niemand ein. Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, vielleicht nur einer lächerlich kleinen Zeit von wenigen Monaten oder Jahren, bis wir eine Botschaft von „Draußen“ empfangen. Also lassen Sie mich Ihnen versichern, lieber Herr Schdruschka, dass ich Ihre Tätigkeit als Vermittler zwischen unserer niederen und den höheren Sphären für äußerst segensreich halte. Für mich repräsentieren Sie den guten Menschen, dem ich, wie Sie wissen, mein letztes Werk gewidmet habe.

Wenn Gernegut sich in Eifer redet, dann beginnen seine Augen zu flammen und zu glänzen. Mit seinem stets ungebärdigen Wuschelkopf ist er überhaupt eine durch und durch poetische Erscheinung, allerdings, wie ich hinzufügen muss, auch ein überaus eitler Mensch, der es bei keiner Gelegenheit unterlässt, auf sein jeweils neuestes Werk hinzuweisen. Überraschenderweise nimmt ihm das jedoch kaum jemand übel. Mit seinem stets anfeuernden und belebenden Auftritt gelingt es ihm stets, die Leute so für sich einzunehmen, dass sie seine notorische Eitelkeit beinahe ganz übersehen.

Das überschwängliche Lob vonseiten des Schriftstellers quittiert Schdruschka auf die übliche Art, nämlich mit einem undeutbaren Lächeln, wobei sein großes, rundes Gesicht sozusagen von innen erstrahlt. Dieses Lächeln lässt sich als Zustimmung deuten, aber es könnte ebenso auch einen verheimlichten Einwurf ausdrücken. Ihr wisst ja gar nicht, was ich alles sonst noch in petto habe.

So als hätte der Astrohom meinen Gedanken erraten, nimmt seine Einführung jetzt eine andere Wendung.

Meine Herren, Sie können sich denken, dass ganz besondere Gründe mich dazu ermuntern, Sie an einem so gütigen Frühlingstag zu mir ins Haus zu bitten. Tatsächlich handelt es sich um nicht weniger als einen historischen Augenblick, eine Sensation, von der Sie als erste erfahren werden. Spätestens sobald meine Frau und ich Sie eingeweiht haben, werden Sie mit mir einer Meinung sein, dass wir als Bewohner des blauen Planeten, auf dem wir uns bisher so verlassen und einsam fühlten, von nun an genötigt sind, unsere Lage im Kosmos grundsätzlich zu überdenken. Vielleicht werden wir unser ganzes zukünftiges Leben sogar nach völlig anderen Gesetzen ausrichten müssen. Verstehen Sie, ich drücke mich mit Absicht im Irrealis aus. Ich spreche von einer Möglichkeit, denn ich habe Sie genau deshalb zu diesem Symposium gebeten, weil ich zusammen mit Ihnen darüber entscheiden möchte, ob es ratsam und überhaupt zulässig ist, der Öffentlichkeit den fraglichen Gegenstand vorzuführen.

Es erschüttert mich, mit welcher Selbstverständlichkeit der Mann von Eveline als seiner Frau spricht! Sie sitzt mir schräg gegenüber, ich könnte sie in aller Ruhe betrachten, während es der Wahrheit entspricht, dass meine Augen den Ort vermeiden, den sie mit ihrer Person in meinem Gesichtsfeld besetzt. So wie er dieses Wort „meine Frau“ benutzt, ist davon auszugehen, dass er sie als seinen gesicherten Besitz betrachtet, dass es sich also um zwei Wesen handelt, die einander ganz nahe sind, auf jeden Fall keine größeren Probleme zwischen einander kennen. Meine Augen schweifen rechts und links an Evelines Silhouette vorbei, sie gleiten über die Fassade des Hauses und springen dann auf die mit zartem Frühlingsgrün bedeckten Bäume links von der Villa hinauf, aber sie ruhen nicht auf ihrer Person. Es ist mir unmöglich, sie anzuschauen, ohne dass der seit zehn Jahren in mir wühlende, bis zuletzt nie ganz erloschene Schmerz wieder aufflammt und in meinen Gliedern brennt.

Die seit meinem Eintreffen befolgte Strategie der sorgsamen Aussparung ihrer Person hat es mir immerhin ermöglicht, mein Gleichgewicht soweit wieder herzustellen, dass ich, wie man so sagt, das Gesicht zu wahren vermag. Ja, ich bringe es in diesem Moment sogar fertig, meine Verblüffung über Schdruschkas Rede zu äußern – vielleicht will ich im Grunde nur ihr gegenüber beweisen, dass ich nicht der Schwächere bin: der Leidende ist ja stets der Schwache. Mit meiner Stimme täusche ich also Entschiedenheit vor, ich nehme die Gelegenheit wahr, die mir hier zugefallene Rolle als investigativer Journalist auszufüllen.

Bitte, Herr Dr. Schdruschka, sage ich, nun legen Sie die Karten doch endlich offen auf den Tisch. Womit wollen Sie uns überraschen?

Zur Antwort kehrt Schdruschka mir wieder dieses unsagbare Lächeln zu.

Ich verstehe Sie, Herr Eckstein, Ihre Ungeduld ist durchaus begreiflich. Als Journalist verlangen Sie nach Fakten und noch mal Fakten. Aber bitte, versuchen Sie, sich auch in die besondere Lage eines Astronomen zu versetzen. Der fragliche Gegenstand ist so beschaffen, dass wir mit größter Vorsicht vorgehen sollten.

Schdruschka zögert einen Augenblick.

Nun gut, um Sie nicht weiter auf die Folter zu spannen: Ich hatte es ja bereits angedeutet. Es handelt sich um eine Botschaft, eine Botschaft von oben.

Bravo!, unterbricht ihn Platsch. Habe ich doch von Anfang an richtig vermutet! Und nun platzt es endlich aus Ihnen heraus! Sie glauben, eine Botschaft irgendwo von oben empfangen zu haben. In Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Die Omega Welt “ haben Sie uns ja schon vorbereitet - mit viel verbalem Aufwand, muss man sagen. Alle Welt fiebert ja schon nach dieser Botschaft. Wenn ich das richtig sehe, sind wir heute bei Ihnen versammelt, um die erste, die heiß ersehnte Meldung von Irgendwo von Ihnen präsentiert zu bekommen. Mein Kompliment! Das wäre der ersehnte Triumph der neuen Astrohomie. Für Sie natürlich ein Anlass zu überschwänglicher Freude!

Schdruschka wehrt mit geschmeicheltem Lächeln ab, doch es ist von Verlegenheit überschattet.

Ja, ein Anlass zur Freude, da haben Sie recht, lieber Kollege. Auch ein Beweis dafür, dass unser Freund Gernegut richtig geraten hat, als er meinte, für uns Menschen sei die Wahrscheinlichkeit, im Universum allein zu existieren, verschwindend gering, genau genommen, sogar mit Null gleichzusetzen. Seit heute früh halten wir endlich den ersehnten Beweis in Händen: Da draußen gibt es Intelligenzen, die uns gleich sind, vielleicht sogar weit überlegen. Das ist schön, ein Anlass zu Triumph und Freude, wie Sie richtig bemerken.

Aber – er zögert. Man sieht ihm die verlegene Nachdenklichkeit an, die ihn offenbar dazu nötigt, seine Worte sorgsam abzuwägen.

Aber, es gibt einen Haken, lassen Sie mich Ihnen gegenüber ganz ehrlich und offen sein. Es ist, wie soll ich sagen – er schien nach Worten zu ringen – es ist eine irgendwie besondere, kuriose, auffallende Botschaft, eine Botschaft, die mir Kopfschmerzen macht, mich in Zweifel stürzt, mich aufrüttelt und schwache Köpfe ganz aus dem Gleis werfen und an unserer Wissenschaft, der neuen Astrohomie, sogar Zweifel erwecken könnte. Das ist der Grund, warum es mir so wichtig erschien, gerade Sie zu mir einzuladen. In dieser Runde sitze ich vier Vertretern der zeitgenössischen Intelligenz gegenüber, die gelassen genug sind und auch charakterlich so gefestigt, dass sie nichts und niemand aus der Bahn werfen kann. Bevor wir es wagen, die Öffentlichkeit mit der fraglichen Botschaft bekannt zu machen, sollten wir absolut sicher sein, dass sie keine Verheerungen bewirkt, ich meine, in all den unerleuchteten Köpfen, die immer und überall in der Mehrzahl sind.

Diese Einleitung finde ich ziemlich befremdend, sogar arrogant und eigentlich überflüssig. Das ist doch nichts anderes als geschwollene Wichtigtuerei! Wenn die Botschaft wirklich gefährlich ist, dann würde jeder von uns es doch schnell genug merken!

Doch der rotwangige Prälat scheint die Besorgnis unseres Gastgebers zu teilen, jedenfalls nickte er ihm zustimmend zu. Der Mann bietet einen erfreulichen Anblick, sein Gesicht so makellos glatt, als wäre es frisch aus dem Ei gepellt. Man glaubt, einen großen, runden, stets zufrieden lächelnden Säugling vor sich zu sehen, die Wangen pausbäckig und rot, vermutlich verbringt der Prälat die meiste Zeit in ländlichem Milieu bei deftiger Nahrung. Die eigentümlich groß geratene Nase glänzt ebenfalls in freundlichem Rot - diese Färbung dürfte freilich ihre besonderen Gründe haben. Wie ich später erfuhr, gilt der Prälat als großer Kenner und Liebhaber süßen Likörs.

Absolut richtig und ehrenwert, meldet er sich zu Wort. Gott hat die Menschen verschieden erschaffen. Was Sie, werter Herr Astrohom, und was dieses akademische Gremium ohne alle geistige Anstrengung akzeptiert und versteht, das kann in den Köpfen einfacher Menschen die schrecklichste Verwirrung anrichten. Selbst die Bibel mussten wir jahrhundertelang vor dem Volk verbergen, weil es geistig einfach nicht reif genug war, ihre tiefsten Wahrheiten zu verstehen.

Bei der Ankündigung einer gefährlichen Botschaft hat Teddy Gernegut die Augen weit aufgerissen, Neugierde sprüht aus ihnen hervor. Er schaukelt nervös auf dem Stuhl.