Die Errettung des Schönen - Byung-Chul Han - E-Book

Die Errettung des Schönen E-Book

Byung-Chul Han

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Beschreibung

Eine Ästhetik des digitalen Zeitalters – Jeff Koons, iPhone und Brasilian Waxing: Warum finden wir das Glatte schön? Die Schönheit befindet sich heute in einer paradoxalen Situation. Einerseits breitet sie sich inflationär aus: Überall wird ein Kult um die Schönheit betrieben. Andererseits verliert sie jede Transzendenz und liefert sich der Immanenz des Konsums aus: Sie bildet die ästhetische Seite des Kapitals. Die Erfahrung der Negativität angesichts des Schönen wie Erhabenheit oder Erschütterung weicht komplett dem kulinarischen Wohlgefallen, dem Like. Letzten Endes kommt es zu einer Pornographisierung des Schönen. Der vorliegende Essay des bekannten Philosophen Byung-Chul Han beschwört jene Formen des Schönen, die sich als Wahrheit, als Desaster oder als Verführung manifestieren. Erschlossen werden auch jene Dimensionen des Schönen, die eine Ethik oder Politik des Schönen begründen würden.

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Byung-Chul Han

Die Errettung des Schönen

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Inhalt

[Motto]Das GlatteDer glatte KörperÄsthetik des GlattenDas DigitalschöneÄsthetik der VerhüllungÄsthetik der VerletzungÄsthetik des DesastersDas Ideal des SchönenSchönheit als WahrheitPolitik des SchönenDas pornographische TheaterVerweilen am SchönenSchönheit als ReminiszenzZeugen im Schönen

Einmal,

da hörte ich ihn,

da wusch er die Welt,

ungesehn, nachtlang,

wirklich.

 

Eins und Unendlich,

vernichtet,

ichten.

 

Licht war. Rettung.

 

Paul Celan

Das Glatte

Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt.

Der Ästhetik des Glatten folgt auch das Smartphone. Das Smartphone von LGG Flex ist sogar mit einer selbstheilenden Haut überzogen, die jeden Kratzer, also jede Verletzungsspur nach kürzester Zeit verschwinden lässt. Es ist gleichsam unverletzbar. Seine künstliche Haut hält das Smartphone immer glatt. Es ist außerdem flexibel und biegsam. Es ist leicht nach innen gebogen. So schmiegt es sich perfekt ans Gesicht und Gesäß. Diese Anschmiegsamkeit und Widerstandslosigkeit sind Wesenszüge der Ästhetik des Glatten.

Das Glatte beschränkt sich nicht auf das Äußere des digitalen Apparats. Auch die Kommunikation, die über den digitalen Apparat erfolgt, wirkt geglättet, denn es werden vor allem Gefälligkeiten, ja Positivitäten ausgetauscht. Sharing und Like stellen ein kommunikatives Glättmittel dar. Negativitäten werden eliminiert, weil sie Hindernisse für die beschleunigte Kommunikation darstellen.

Jeff Koons, wohl der erfolgreichste Künstler der Gegenwart, ist ein Meister glatter Oberfläche. Andy Warhol bekannte sich zwar auch zur schönen, glatten Oberfläche, aber seiner Kunst ist noch die Negativität des Todes und des Desasters eingeschrieben. Ihre Oberfläche ist nicht vollständig glatt. Die Serie »Death and Disaster« etwa lebt noch von der Negativität. Bei Jeff Koons gibt es dagegen kein Desaster, keine Verletzung, keine Brüche, keine Risse, auch keine Nähte. Alles fließt in weichen, glatten Übergängen. Alles wirkt abgerundet, abgeschliffen, geglättet. Jeff Koons’ Kunst gilt glatter Oberfläche und ihrer unmittelbaren Wirkung. Sie gibt nichts zu deuten, zu entziffern oder zu denken. Sie ist eine Kunst des Like.

Jeff Koons sagt, der Betrachter seiner Werke möge nur ein simples »Wow« ausstoßen. Angesichts seiner Kunst ist offenbar kein Urteil, keine Interpretation, keine Hermeneutik, keine Reflexion, kein Denken notwendig. Sie bleibt bewusst infantil, banal, unbeirrbar entspannt, entwaffnend und entlastend. Sie ist jeder Tiefe, jeder Untiefe, jedes Tiefsinns entleert. So lautet sein Motto: »Den Betrachter umarmen«. Nichts soll ihn erschüttern, verletzen oder erschrecken. Die Kunst ist, so Jeff Koons, nichts anderes als »Schönheit«, »Freude« und »Kommunikation«.

Angesichts seiner glatten Skulpturen entsteht ein »haptischer Zwang«, sie zu betasten, sogar die Lust, daran zu lutschen. Seiner Kunst fehlt die Negativität, die Distanz geböte. Allein die Positivität des Glatten löst den haptischen Zwang aus. Sie lädt den Betrachter zur Distanzlosigkeit, zum Touch ein. Ein ästhetisches Urteil setzt aber eine kontemplative Distanz voraus. Die Kunst des Glatten schafft sie ab.

Der haptische Zwang oder die Lutschlust ist nur möglich in der sinnentleerten Kunst des Glatten. Hegel, der emphatisch an der Sinnhaftigkeit der Kunst festhält, beschränkt das Sinnliche der Kunst daher auf die »theoretischen Sinne des Gesichts und Gehörs«.[1] Sie allein haben den Zugang zum Sinn. Geruch und Geschmack werden dagegen vom Kunstgenuss ausgeschlossen. Sie sind empfänglich nur für das »Angenehme«, das nicht das »Schöne der Kunst« ist: »Denn Geruch, Geschmack und Gefühl haben es mit dem Materiellen als solchem und den unmittelbar sinnlichen Qualitäten desselben zu tun; Geruch mit der materiellen Verflüchtigung durch die Luft, Geschmack mit der materiellen Auflösung der Gegenstände, und Gefühl mit Wärme, Kälte, Glätte usf.«[2] Das Glatte vermittelt nur ein angenehmes Gefühl, mit dem sich kein Sinn, kein Tiefsinn verbinden ließe. Es erschöpft sich im »Wow«.

In Mythen des Alltags weist Roland Barthes auf den haptischen Zwang hin, den die neue DS von Citroën auslöst: »Wie man weiß, ist das Glatte immer ein Attribut der Vollkommenheit, weil sein Gegenteil den technischen und sehr menschlichen Vorgang der Bearbeitung verrät: Der heilige Rock Christi war ungenäht, also ohne Nähte, so wie das makellose Metall der Science-Fiction-Raumschiffe keine Schweißnähte kennt. Die DS 19 erhebt nicht den Anspruch auf die völlig glatte Haut, trotzdem sind es die Verbindungen ihrer Flächen, die das Publikum am meisten interessieren: Eifrig betastet es die Ränder der Fenster, es streicht mit der Hand über die breiten Gummifugen, die das Heckfenster mit seiner verchromten Einfassung verbinden. Mit der DS beginnt eine neue Phänomenologie der exakten Passung, so als ginge man von einer Welt verschweißter Bauteile über in eine Welt fugenlos gefügter Elemente, die ihren Zusammenhalt einzig der Kraft ihrer wunderbaren Form verdanken, was natürlich die Vorstellung einer unbeschwerten Natur wecken soll. Was die Materie selbst angeht, so fördert sie zweifellos ein Gefühl der Leichtigkeit in einem magischen Sinne. […] Die Scheiben sind hier nicht mehr Fenster, Öffnungen, die in die dunkle Muschel gebrochen sind, sondern große Flächen von Luft und Leere, mit einer weiten Krümmung und dem Glanz von Seifenblasen.«[3] Auch die fugenlosen Skulpturen von Jeff Koons wirken wie glänzende, schwerelose Seifenblasen aus Luft und Leere. Sie vermitteln wie die fugenlose DS ein Gefühl der Vollkommenheit, ein Gefühl der Leichtigkeit in einem magischen Sinne. Sie verkörpern eine vollkommene, optimierte Oberfläche ohne Tiefe und Untiefe.

Der Tastsinn ist für Roland Barthes »unter allen der am stärksten entmystifizierende, im Gegensatz zum Gesichtssinn, der der magischste ist«.[4] Der Gesichtssinn wahrt Distanz, während der Tastsinn sie abschafft. Ohne Distanz ist keine Mystik möglich. Die Entmystifizierung macht alles genieß- und konsumierbar. Der Tastsinn zerstört die Negativität des ganz Anderen. Er säkularisiert das, was er berührt. Im Gegensatz zum Gesichtssinn ist er unfähig zum Staunen. Daher ist auch der glatte Touchscreen ein Ort der Entmystifizierung und des totalen Konsums. Er bringt hervor, was einem gefällt.

Jeffs Koons’ Skulpturen sind gleichsam spiegelglatt, so dass der Betrachter sich darauf bespiegeln kann. Bei seiner Ausstellung in der Fondation Beyeler bemerkt er zu seinem »Ballon Dog«: »Der Ballon Dog ist doch ein wunderbares Objekt. Er will den Betrachter in seiner Existenz bestärken. Ich arbeite oft mit reflektierendem, spiegelndem Material, weil es den Zuschauer automatisch in seiner Selbstgewissheit bestärkt. In einem dunklen Raum bringt das natürlich nichts. Aber wenn man direkt vor dem Objekt steht, spiegelt man sich darin und versichert sich seiner selbst.«[5] Der Ballon Dog ist kein trojanisches Pferd. Er verbirgt nichts. Es gibt keine Innerlichkeit, die sich hinter glatter Oberfläche verbärge.

Wie auf dem Smartphone begegnet man angesichts der auf Hochglanz polierten Skulpturen nicht dem Anderen, sondern nur sich selbst. Die Devise seiner Kunst lautet: »Der Kern ist immer derselbe: Lerne, dir selbst und deiner eigenen Geschichte zu vertrauen. Das will ich auch dem Betrachter meiner Arbeiten vermitteln. Er soll seine eigene Lebenslust spüren.«[6] Die Kunst eröffnet einen Echoraum, in dem ich mich meiner selbst, meiner Existenz versichere. Ganz eliminiert ist die Alterität oder die Negativität des Anderen und des Fremden.

Jeff Koons’ Kunst weist eine soteriologische Dimension auf. Sie verspricht eine Erlösung. Die Welt des Glatten ist eine Welt des Kulinarischen, eine Welt reiner Positivität, in der es keinen Schmerz, keine Verletzung, keine Schuld gibt. Die Skulptur »Balloon Venus« in Gebärstellung ist Jeff Koons’ Maria. Aber sie gebiert keinen Erlöser, keinen mit Wunden übersäten homo doloris mit Dornenkrone, sondern einen Champagner, eine Flasche Dom Pérignon Rosé Vintage 2003, die sich in ihrem Bauch befindet. Jeff Koons inszeniert sich als Täufer, der eine Erlösung verspricht. Nicht zufällig heißt die Bildfolge aus dem Jahr 1987 »Baptism« (Taufe). Jeff Koons’ Kunst betreibt eine Sakralisierung des Glatten. Er inszeniert eine Religion des Glatten, des Banalen, ja eine Religion des Konsums. Dafür soll jede Negativität eliminiert werden.

Für Gadamer ist die Negativität wesentlich für die Kunst. Sie ist ihre Wunde. Sie ist der Positivität des Glatten entgegengesetzt. Da ist etwas da, das mich erschüttert, durchwühlt, mich in Frage stellt, von dem der Appell ausgeht Du mußt Dein Leben ändern: »Es ist das Faktum dieses einen Besonderen, das das ›Mehr‹ ausmacht: daß es so etwas gibt: um mit Rilke zu sprechen: ›So etwas stand unter den Menschen‹. Dieses, daß es das gibt, die Faktizität, ist zugleich ein unüberwindlicher Widerstand gegen alle sich überlegen glaubende Sinnerwartung. Das anzuerkennen, zwingt uns das Kunstwerk. ›Da ist keine Stelle, die Dich nicht sieht. Du mußt Dein Leben ändern.‹ Es ist ein Stoß, ein Umgestoßen-Werden, was durch die Besonderheit geschieht, in der uns jede künstlerische Erfahrung entgegentritt.«[7] Vom Kunstwerk geht eine Stoßwirkung aus. Es stößt den Betrachter um. Das Glatte hat eine ganz andere Intentionalität. Es schmiegt sich dem Betrachter an, entlockt ihm einen Like. Es will nur gefallen und nicht umstoßen.

Heute wird das Schöne selbst geglättet, indem ihm jede Negativität, jede Form von Erschütterung und Verletzung genommen wird. Das Schöne erschöpft sich im Gefällt-mir. Ästhetisierung erweist sich als Anästhetisierung.[8] Sie sediert die Wahrnehmung. So ist auch Jeff Koons’ »Wow« eine anästhetische Reaktion, die jener negativen Erfahrung des Stoßes, des Umgestoßen-Werdens diametral entgegengesetzt ist. Unmöglich ist heute die Erfahrung des Schönen. Wo das Gefallen, Like, sich vordrängt, erlahmt die Erfahrung, die ohne Negativität nicht möglich ist.

Die glatte visuelle Kommunikation vollzieht sich als eine Ansteckung ohne jede ästhetische Distanz. Die lückenlose Sichtbarkeit des Objekts zerstört auch den Blick. Allein der rhythmische Wechsel von Anwesenheit und Abwesenheit, Verschleierung und Entschleierung hält den Blick wach. Auch das Erotische verdankt sich der »Inszenierung eines Auf- und Abblendens«,[9] der »Wellenbewegung des Imaginären«.[10] Die pornographische Dauerpräsenz des Sichtbaren vernichtet das Imaginäre. Paradoxerweise gibt sie nichts zu sehen.

Heute wird nicht nur das Schöne, sondern auch das Hässliche glatt. Auch das Hässliche verliert die Negativität des Diabolischen, des Unheimlichen oder des Schrecklichen und wird zur Konsum- und Genussformel geglättet. Ihm fehlt völlig der Furcht und Schrecken erregende Medusenblick, der alles versteinern lässt. Das Hässliche, von dem Künstler und Dichter des Fin de Siècle Gebrauch machten, hatte etwas Abgründiges und Dämonisches. Die surrealistische Politik des Hässlichen war Provokation und Emanzipation. Sie brach radikal mit den überlieferten Wahrnehmungsmustern.

Bataille erblickte im Hässlichen die Möglichkeit der Entgrenzung und Befreiung. Es bietet einen Zugang zur Transzendenz: »Niemand zweifelt an der Häßlichkeit des Sexualaktes. Wie der Tod bei der Opferung, so versetzt uns die Häßlichkeit bei der Paarung in Furcht. Aber je größer die Furcht […], desto mächtiger ist das Bewußtsein der Entgrenzung, das den Ausbruch der Freude bestimmt.«[11] Das Wesen der Sexualität ist demnach Exzess und Überschreitung. Sie entgrenzt das Bewusstsein. Darin besteht ihre Negativität.

Heute beutet die Unterhaltungsindustrie das Hässliche, das Ekelhafte aus. Sie macht es konsumierbar. Der Ekel ist ursprünglich ein »Ausnahmezustand, eine akute Krise der Selbstbehauptung gegen eine unassimilierbare Andersheit, ein Krampf und Kampf, in dem es buchstäblich um Sein oder Nicht-Sein geht«.[12] Das Ekelhafte ist das Nichtkonsumierbare schlechthin. Auch für Rosenkranz hat das Ekelhafte eine existentielle Dimension. Es ist das Andere des Lebens, das Andere der Form, das Verwesende. Der Leichnam ist eine skandalöse Erscheinung, denn er hat noch Form, obwohl er an sich formlos