Die Frau am Fenster - Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich - Birgit Poppe - E-Book

Die Frau am Fenster - Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich E-Book

Birgit Poppe

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Beschreibung

Dresden 1818. Caroline Bommer ist 24 Jahre alt, als sie den 20 Jahre älteren Caspar David Friedrich heiratet. Sie kennt den Maler bereits seit ihrer Kindheit, er war ein Freund der Familie, den sie stets bewundert hat. „Line“, wie Friedrich seine junge Frau zärtlich nennt, verändert das Leben des Junggesellen sehr, was auch Auswirkungen auf seine Kunst hat. Doch nach dem glücklichen Beginn ihrer Ehe, der für sie aufregenden Hochzeitsreise mit Besuch der Kreidefelsen auf Rügen und der Geburt ihrer Kinder, durchlebt Caroline auch leidvolle Zeiten.

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Birgit Poppe

Die Frau am Fenster – Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich

Roman über die wenig bekannte Frau, die großen Einfluss auf sein Leben und seine Kunst hatte. Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caspar_David_Friedrich_-_Frau_am_Fenster_-_Google_Art_Project.jpg

ISBN 978-3-8392-7848-2

Zitat

»Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.« (C. D. Friedrich)

Prolog: »Frau am Fenster«

Still und aufrecht stand Caroline in ihrem langen dunkelgrünen Kleid am geöffneten Fenster und schaute hinaus. Sie befand sich in ihrer Wohnung in Dresden im Atelier ihres Ehemannes, des Malers Caspar David Friedrich. Caroline hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss die milde Luft ebenso wie Caspars besondere Aufmerksamkeit, denn heute war sie sein Modell. Wie von ihm gewünscht, hatte sie ihm den Rücken zugewandt, weil er sie in dieser Pose malen wollte.

»Bleib so, Line, und nicht mehr bewegen!«, hatte er vorhin zu ihr gesagt und voller Elan mit seinem neuen Bild begonnen.

Jetzt verharrte sie geduldig in dieser starren Haltung, den Blick leicht nach unten auf die Elbe gerichtet. Caroline gefiel die Sicht auf das träge dahinfließende Wasser des Flusses mit den Booten, die gemächlich an ihrem Haus vorbeizogen. Am gegenüberliegenden Ufer ragten die grünen Bäume hoch in den blauen Himmel mit den weißen Wölkchen. Hinter ihr vernahm sie die leisen, emsigen Arbeitsgeräusche ihres Caspars. Ob es noch lange dauern würde, bis er fertig war mit dem Werk, das sie am Fenster zeigte?

Seit er sie hier positioniert hatte, durfte sie sich auf keinen Fall rühren. Das war auf die Dauer leichter gesagt als getan, dachte sie innerlich seufzend. Zwar war das Wetter angenehm warm, und ihr strich der Wind sanft um die Nase, aber mittlerweile empfand sie das lange Stehen als äußerst anstrengend. Das Posieren in der unbeweglichen Haltung war recht unbequem, auch langweilte Caroline sich längst.

»Caspar, wie lange …«

»Nicht reden, Line!«, unterbrach ihr Mann sie sofort.

Gern hätte sie ihn einiges zu diesem Bild gefragt oder einfach nur mit ihm geplaudert. Aber wenn Caspar sich auf seine Kunst konzentrierte, musste sie still sein. Sämtliche weiteren Versuche, ihn anzusprechen, unterband er mit einem scharf gezischten »Pssst!«. Und wenn sie sich ab und zu vorsichtig bewegte, um sich etwas zu lockern, reagierte der penible Maler mit einem unwilligen Brummen.

Nach einer weiteren, schier endlosen Zeit, wie ihr schien, räusperte sie sich und fragte mit klarer Stimme in die Stille hinein: »Wann sind wir denn hier fertig?«

»Ich möchte, dass du gleich zu mir ins Atelier kommst!«, hatte Caspar nach dem Frühstück gesagt. Er war schon fast im Flur gewesen und hatte sich im Türrahmen noch einmal zu ihr umgedreht.

Caroline hatte gerade das Geschirr abgeräumt und erstaunt zu ihm geschaut. Bis vor ein paar Minuten hatten sie in der Küche am Tisch gesessen, wo es meist still zuging, weil Caspar bei seinen Gedanken, die sich ständig um seine nächsten Bilder drehten, nicht gestört werden wollte. In der Küche hatte er jedoch noch nichts davon durchblicken lassen, dass sie ihn heute in seinem Arbeitsraum aufsuchen sollte. Wie an jedem Tag hatte er mit gutem Appetit seinen Frühstücksbrei gelöffelt, die leere Schale sorgfältig mit dem Löffel ausgekratzt und diesen dann klirrend auf den Tisch gelegt. Danach hatte er seinen Stuhl laut knarzend auf dem Dielenboden zurückgeschoben und war zur Tür gegangen. Normalerweise verschwand er nach dem Frühstück bis zum Mittagessen in seinem Atelier, einem Zimmer in der kleinen Wohnung. Nur selten ging Caroline zu ihm, denn in diesem Raum hatte seiner Ansicht nach niemand außer ihm etwas zu suchen. Die Bitte nach dem Frühstück war deshalb ungewöhnlich gewesen und hatte Caroline erfreut. Sie hatte bereits geahnt, dass Caspar sie malen wollte.

»Aber nimm vorher diese Haube ab und zieh dein grünes Kleid an«, hatte er sie angewiesen, sich abrupt abgewandt und war ohne weitere Erklärung hinüber in seinen Arbeitsraum gegangen. Dort hatte er nicht wie sonst die Tür hinter sich zugezogen, sondern sie einladend angelehnt gelassen.

Caroline hatte sich mit dem Aufräumen beeilt, denn sie war gespannt auf seine Absichten gewesen. Die leeren Kaffeetassen mit dem Blümchenmuster, die sie von ihrer Familie zur Hochzeit bekommen hatten, hatten dabei auf dem Tablett geklappert. Verblüfft über Caspars Worte hatte sie den Kopf geschüttelt. Wollte er sie wirklich malen? Das war schon vorgekommen, wenn auch nicht oft, denn Caspar war hauptsächlich ein Landschaftsmaler, und Porträts fertigte er schon gar nicht an. Sie hatte ihm zwar ein paar wenige Male als Modell gedient, aber nur für eine nebensächliche Figur in einem Landschaftsbild. Würde sich das heute ändern, hatte sie sich gefragt und ein wenig über Caspar geschmunzelt, denn solch ein unerwartetes Verhalten war bezeichnend für ihren manchmal etwas sonderbaren Mann aus dem Norden. Ob sie sich je an seinen Charakter gewöhnen würde? Er erwartete, dass sie ihm ohne Murren folgte – das Los aller verheirateten Frauen, sich stillschweigend den Wünschen ihrer Männer zu fügen. Caroline kannte es nicht anders. Caspar war es außerdem seit vielen Jahren, in denen er allein gelebt hatte, gewohnt, seine Entscheidungen ohne jemand anderen zu treffen. Mischte Caroline sich ein, wurde ihr lieber Mann recht grantig. Doch hin und wieder konnte sie sich nicht zurückhalten. Sie wünschte sich, dass er sie zumindest mehr an seiner Gedankenwelt teilhaben ließ. Wahrscheinlich war sein Verhalten typisch für einen Künstler. Ein Maler hatte eben immer nur sein nächstes Bild im Kopf. Und diesmal, hatte Caroline frohlockt, während sie ins Schlafzimmer geeilt war, um sich umzukleiden, würde sie eine wichtige Rolle dabei spielen. Vielleicht würde Caspar endlich ein schönes Porträt von ihr malen! Warum sonst sollte sie sich etwas anderes anziehen?

Sie hatte ihre Schürze abgelegt, war aus dem einfachen braunen Kleid, ihrem Alltagsgewand, geschlüpft, hatte das grüne Kleid mit dem hochgeschlossenen weißen Rüschenkragen aus dem Schrank geholt und es angezogen. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel hatte sie zufrieden genickt, denn das Kleid saß noch tadellos und roch frisch. Caroline mochte das in akkurate Falten gelegte Gewand sehr, das knöchellang und viel zu festlich für den Alltag war. Auch wusste sie, dass es ihre noch schlanke, grazile Figur betonte. Sie hatte ihre besten weißen Strümpfe und die neuen hellen Pantöffelchen dazu gewählt und schließlich ihre schlichte Haube abgenommen. Sofort hatten sich ihre braunen Locken, die sie stets nur schwer zu bändigen vermochte, wild und ungeordnet um ihren Kopf gekräuselt. Rasch hatte sich Caroline mit dem Kamm ihre Haare noch einmal frisch aufgesteckt.

Erwartungsvoll und dennoch schüchtern hatte sie an die angelehnte Tür zum Atelier geklopft. Ohne Anklopfen einzutreten, hätte sie nie gewagt. Immer wieder war sie entsetzt, wie karg es hier aussah. In Caspars Arbeitsraum fehlten die üblichen Requisiten einer Künstlerwerkstatt wie Gipsmodelle, Dekorationen oder andere Gemälde, weil nichts, so hatte er es ihr einmal erklärt, einen Maler von seinen Bildern ablenken sollte. Das galt vielleicht für ihn, denn Caroline kannte auch andere Künstlerateliers, das seines Freundes Gerhard von Kügelgen zum Beispiel, wo sich Malutensilien und sonstiges Gerümpel stapelten.

Caspar hatte bereits abwartend vor seiner Staffelei gestanden, auf die er eine neue Leinwand aufgespannt hatte. Caroline war mit seiner Arbeitsweise vertraut und wusste, dass er für ein Gemälde zuvor nicht unbedingt eine kleine Skizze oder Farbentwürfe anfertigte, denn seiner Ansicht nach »erkaltete die Phantasie« durch solche Hilfsmittel. Er zeichnete erst flüchtig mit Kreide und Bleistift, dann sauber und vollständig mit Rohrfeder und Tusche, um zum Schluss zur Untermalung zu schreiten.

Caspar hatte sie angestrahlt, energiegeladen und voller Tatendrang. »Da bist du ja endlich!«

Carolines Herz hatte geklopft vor Aufregung.

»Das wird ein ganz besonderes Bild«, hatte Caspar versprochen und Caroline aufmunternd zugezwinkert.

Zu ihrer Verwunderung jedoch sollte sie sich mit dem Rücken zu ihm ans Fenster stellen.

»Geh bitte dorthin, mach den unteren Fensterladen auf und sieh hinaus«, hatte er kurz angeordnet.

Caroline hatte einen Kommentar verschluckt und war seiner Aufforderung gefolgt. Dann hatte sie tief die frische Luft eingezogen und sich daran erfreut, aus dem dunklen Raum nach draußen in die helle Natur zu schauen.

»Ja, genau so«, hatte Caspar hinter ihr zufrieden gesagt. »Bleib dort stehen und beug dich leicht nach vorne.«

Nun gut, wenn er es so wollte, lehnte sie eben ihren Oberkörper aus dem Fenster, hatte sie gedacht.

Sofort war er ungehalten geworden: »Nein, doch nicht soo weit!«

Dass er bei der Arbeit immer so ungeduldig und streng sein musste! Aber eigentlich nicht nur bei der Arbeit, wenn Caroline ehrlich war. Sie hatte aufgeseufzt, absichtlich nicht zu leise, damit er ihren Unmut hörte.

Falls er ihren stillen Protest vernommen hatte, hatte er sich das nicht anmerken lassen. Barsch hatte er kommandiert: »Stell dich wieder gerade hin!«

Entrüstet über seinen rüden Befehlston hatte sie sich schwungvoll zu ihm umgedreht. Doch ehe sie etwas hatte sagen können, hatte schon wieder Caspar gesprochen.

Erregt hatte er mit den Armen gewedelt. »Nein, nein, Caroline, nicht zu mir schauen! Dreh dich um und guck aus dem Fenster!«

Sie hatte getan, was er sagte. Wenn ihr Mann in dieser Stimmung war, nutzte es nichts, mit ihm zu reden. Sie wusste, dass Caspar bezüglich seiner Arbeit sehr penibel war. Und sie wusste, dass es dauern konnte, bis er mit seinem Werk zufrieden war.

Mittlerweile stand Caroline schon ziemlich lange am Fenster. Auf ihre Frage, wann sie denn hier fertig seien, hatte Caspar erneut mit einem scharfen »Psst!« geantwortet. In ihrem Zustand fiel es ihr gar nicht mehr so leicht, lange zu stehen, auch wenn man noch nicht viel davon sehen konnte, dass sie guter Hoffnung war. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie beide würden bald Eltern werden!

Die Sonne befand sich inzwischen recht hoch am Himmel, es ging bereits auf die Mittagszeit zu. Caroline wurde unruhig, denn vor ein paar Minuten hatte sie die Tür gehört. Sicherlich war Anni, das junge Nachbarsmädchen, das hin und wieder ein paar Stunden bei ihnen im Haushalt aushalf, mit den Einkäufen vom Markt zurückgekommen. Ob sie alle Waren erhalten hatte, die sie ihr auf den Zettel geschrieben hatte? Caroline spitzte die Ohren, denn nebenan rumpelte es laut. Wahrscheinlich war Anni mal wieder etwas auf den Boden gefallen. Manchmal war das Mädchen ein Dussel, so ungeschickt! Immerhin war Anni flink, fügsam und mit einem bescheidenen Lohn zufrieden.

Caspar hatte wohl nichts gehört. Er schaffte es ohne Probleme, während seiner Arbeit alles um sich herum auszublenden.

Caroline hätte längst mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beginnen sollen. Ohne die Hausherrin würde Anni nicht damit anfangen. Sie würde sich untätig an den Tisch setzen und Däumchen drehen. Caroline seufzte erneut, denn das würde ihrem Mann im Nachhinein auch wieder nicht gefallen. Er meinte ohnehin, dass Caroline den Haushalt gut allein schaffen könnte, und wollte die Kosten für Annis wenige Stunden Hilfe am liebsten einsparen. Missbilligend schnalzte sie kurz mit der Zunge. Was wusste so ein Mannsbild schon, wie viel Arbeit ein Haushalt machte! Selbst wenn sie demnächst zu dritt wären, müsste sie mit ihrem Mann bestimmt weiterhin um die Haushaltshilfe feilschen. Er war eben sehr sparsam, ihr Caspar.

Caroline schloss die Augen und begann davon zu träumen, wie ihr Leben demnächst mit einem Kind werden würde. In der Ferne vernahm sie die Rufe der Elbfischer. Wie schön es doch war, dass sie so nah am Fluss wohnten. Caroline fühlte angenehm die Sonnenstrahlen auf ihrem Körper und straffte unmerklich ein wenig ihre Glieder, die sich vom langen Stehen zunehmend steif anfühlten. Aber sie hielt sich tapfer an Caspars Anweisungen, denn diese einmal gefundene Pose war wichtig für sein Werk, und es sollte ein prächtiges Bild werden. Caroline war stolz darauf, dass er sie malte, auch wenn es wieder kein Porträt werden würde.

»Du bist schön, Line«, hatte er ihr erst gestern Nacht in ihrem Ehebett leise zugeraunt. Dabei war er kein Mann von großen Worten. Deshalb freute sie sich umso mehr über solche kleinen Liebesbeweise, denn die waren selten und damit wahrlich kostbar. Wie die Tatsache, dass Caspar sie gerade künstlerisch in Öl auf Leinwand verewigte.

Angefangen hatte er jedoch nicht mit Gemälden, sondern mit Zeichnungen, Grafiken und Sepien. Erst viel später, da war er bereits über 30 Jahre alt gewesen, also bedeutend älter als sie jetzt, hatte er sich der Malerei gewidmet. Seither fertigte er viele Ölbilder an, die außergewöhnlich stimmungsvoll, gleichzeitig dunkel und mysteriös wirkten. Seine Landschaftsbilder erschienen vielen ungewöhnlich, weshalb viel über sie und Caspar gesprochen wurde. Ihr Mann hatte eben seinen eigenen künstlerischen Stil, er schuf keine gängige Kunst. Es hatte erbitterte Debatten und sogar böse Verrisse gegeben, worüber er sich sehr gegrämt hatte. Caspar konnte aber auch auf berühmte Befürworter seiner Malerei verweisen, darunter der angesehene Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe aus Weimar. Darauf war Caroline besonders stolz, denn das konnte wahrlich nicht jeder Maler von sich behaupten. Neben Goethe gab es weitere bedeutende Stimmen, die Caspar eine große Zukunft voraussagten. Und Caroline war sowieso überzeugt davon, dass ihr Mann berühmt werden würde.

Ob dieses Bild, das gerade entstand, einmal zu seinen bekannten Gemälden zählen würde? Wie schade, dass man ihr Gesicht nicht sah. Früher hatte er auch Bildnisse von seinen Angehörigen gezeichnet, aber das interessierte ihn jetzt nicht mehr.

»Weshalb malst du nicht mein Gesicht?«, fragte Caroline endlich in die Stille hinein.

Caspar antwortete nicht, sondern arbeitete konzentriert weiter.

Etwas lauter hakte sie daher nach: »Ist es dir nicht hübsch genug?«

Caspar schien seine Arbeit zu unterbrechen, denn Caroline hörte das leise Schaben der Feder über die Leinwand nicht mehr. Doch wagte sie es nicht, sich ihm zuzuwenden. Jetzt runzelt er bestimmt unwillig die Stirn über meine Worte, dachte sie, und ärgert sich darüber, dass ich immer wieder meinen Wunsch nach einem Porträt äußere.

»Line, du weißt genau, dass ich kein Porträtmaler bin«, grummelte er. »Ich will keine Bildnisse mehr anfertigen, sondern mit meiner Kunst etwas ganz anderes, viel Bedeutsameres schaffen.«

Nun drehte sie sich doch um. Auch wenn seine Feder gerade ruhte, sah Caspar sie nicht an, sondern starrte konzentriert auf die Leinwand. Einen Moment sann er vor sich hin und setzte schließlich seine Arbeit fort. Für ihn war wohl alles gesagt.

Caroline aber wollte eine konkrete Antwort, wollte wissen, worum es ihm ging. Sie überlegte einen Augenblick und provozierte ihn dann betont spitz mit der Redensart: »Ein schöner Rücken kann auch entzücken!« Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Reaktion.

Caspar hielt erneut inne, wandte sich ihr zu und musterte sie irritiert. Feinfühlig war er schon, ihr lieber Mann, bei aller Schroffheit, dachte Caroline. Aber eben auch eine eigensinnige Künstlernatur.

»Versteh doch, in meinen Bildern will ich viel mehr als nur ein schönes Gesicht zeigen.«

»Was meinst du mit ›mehr‹?« Caroline konnte nicht anders, auch wenn sie wusste, wie sehr Caspar solche Gespräche hasste.

Wie erwartet verzog er mürrisch sein Gesicht. »Ach, das verstehst du nicht.«

»Woher willst du das wissen? Erklär es mir doch!«, bat sie.

Caspar seufzte. »Nun gut, ich will es versuchen.« Er holte tief Luft. »Ich möchte in meinen Bildern die ewige Sehnsucht des Menschen zeigen. Die Verbindung seiner Seele zur Natur …«

Welch große Worte, die im Atelier widerhallten. Was meinte er damit? Caroline schaute ihn fragend an.

Und Caspar erläuterte eifrig: »Es geht mir auch um den Gegensatz von Innen- und Außenwelt. Du, liebe Line, bist hier drinnen im Raum und schaust nach draußen. Ich befinde mich hinter dir, genauso wie später die Betrachter des Bildes. Wir schauen sozusagen mit dir zusammen aus dem Fenster.« Feierlich resümierte er: »Line, in diesem Bild sehen wir auf dich und durch deine Augen die Welt.«

Caroline stutzte. »Wie soll das gehen? Keiner, der hinter mir steht, kann sehen, was ich sehe«, wandte sie ein. »Jeder schaut nur auf meinen Rücken. Und der ist nicht durchsichtig. Es wäre schöner, meine Gestalt von vorne zu sehen. Oder wenigstens von der Seite!« Als sie registrierte, wie Caspar auf ihre Worte hin resigniert den Kopf schüttelte, räumte sie ein: »Vielleicht kann man an meinem Rücken vorbei etwas von den Bäumen dahinten erblicken, oder vom blauen Himmel und eventuell …«, sie wandte sich wieder der Aussicht zu und deutete auf einen vorbeiziehenden Kahn, »… noch einen Teil von diesem Schiffsmast. Aber keiner kann von deinem Platz aus wie ich die Elbe und das gegenüberliegende Ufer sehen!«

»Ach, das verstehst du einfach nicht«, raunzte Caspar unwirsch. Er hatte keine Geduld mehr mit ihr und ihren Einwänden. »Halt jetzt still und sprich nicht weiter, sonst kann ich mich nicht konzentrieren.«

Wieder verging einige Zeit. Mittlerweile fühlte Caroline sich stark verspannt und fand, dass sie nun lange genug stillgehalten hatte.

»Sind – wir – bald – fertig?«, fragte sie, jedes einzelne Wort betonend. »Ich muss mich um Anni und um das Mittagessen kümmern.«

»Hmmm«, brummte Caspar, »gleich.«

Caroline atmete tief ein und aus. Zum Glück war das Fenster offen, denn in diesem Raum roch es immer stark nach Ölfarbe. Davon wurde ihr auch ohne Schwangerschaft übel. Dass Caspar es jeden Tag so lange hier drin aushielt! Das konnte nicht gesund sein! Ebenso wenig die Hockerei vor der Staffelei über viele Stunden hinweg in diesem Zimmer mit den unwirtlich nackten Wänden! Doch sein Atelier durfte sie nicht verändern, das hatte er von Anfang an klargestellt. Ansonsten hatte Caspar, als sie nach der Hochzeit zu ihm gezogen war, ihr gänzlich freie Hand gelassen, was die Ausstattung ihres Heimes anbelangte. Caroline musste lächeln, wenn sie daran dachte, denn an seiner Einrichtung hatte sie gesehen, dass er viele Jahre lang ein Junggeselle gewesen war, der nicht viel Wert auf Schmückendes, nicht mal auf grundlegenden Hausrat gelegt hatte.

Bald würden sie in eine größere Wohnung ziehen müssen, denn diese hier war viel zu klein für eine Familie. Carolines Hand wanderte langsam zu ihrem Bauch. Neulich hatte sie die ersten Bewegungen des Kindes gespürt. Würde es ein Sohn oder eine Tochter werden? Egal, Hauptsache, ein gesundes Kind. Auch Caspar hatte gesagt, dass ihm jede kleine Seele willkommen sei. Das hatte sie sehr gerührt.

Da ihr Mann weiterhin keine Anstalten machte, sie aus ihrer starren Pose zu entlassen, und ihr mittlerweile nicht nur die Beine wehtaten, sondern es ihr auch ganz flau war, sagte sie nun bestimmt: »Caspar, ich kann nicht mehr!«

Die Geräusche an der Leinwand verklangen und sie hörte, wie Caspar auf sie zukam. Dennoch drehte sie sich nicht um. Überraschend spürte sie seine Hand auf ihrem Rücken, die langsam und zärtlich zu ihrem Nacken hochfuhr. Sie seufzte glücklich. Ihr Caspar konnte manchmal so sanft und verständnisvoll sein.

»Meine liebe Line«, raunte er ihr leise ins Ohr. »Lass uns immer glücklich sein!«

Kapitel 1: Verliebt, verlobt, verheiratet

»Die einzige wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen kindlichen Gemütes.« (C. D. Friedrich)

Dresden 1816. Caroline im Glück

»Hast du gemerkt, wie der Mann dort drüben dich dauernd ansieht?«, flüsterte Elsa und stieß ihre Freundin an.

Caroline hatte sich gerade den beiden Kindern an ihrer Seite zugewandt. Der pummelige Karl hatte die kleine Bertha in den Arm gezwickt, weshalb das Mädchen aufheulte. Caroline nahm es tröstend auf den Schoß.

»Wen meinst du?« Sie schaute unauffällig in alle Richtungen.

»Na, den großen Blonden da, den mit dem üppigen Bart.«

Die beiden jungen Frauen befanden sich mit vielen anderen beim Bilderstellen an der Kunstakademie in Dresden. Dies war eine beliebte Freizeitbeschäftigung in der Künstlerstadt, wo Freiwillige in die Rolle von Figuren eines Gemäldes schlüpften, um die Szene des Kunstwerks zu imitieren. Meist waren auch Kinder dabei, einige kannte Caroline aus der Nachbarschaft, mit denen sie gern herumalberte. Nach Elsas Worten fühlte sie sich in ihrem Verhalten jedoch nicht mehr so unbefangen, sondern beobachtet. Nun traf ihr Blick einen großen blonden, bärtigen Mann, der zwischen den anderen Zuschauern nicht zu übersehen war. Er starrte zu ihr herüber. Sie erkannte in ihm den Maler Caspar David Friedrich, über dessen eigenartige Bilder oft gesprochen wurde und dem sie bereits in ihrer Kindheit begegnet war. In ihren Augen hatte er sich kaum verändert.

Plötzlich stand er vor ihr und begrüßte sie höflich. »Fräulein Bommer?«

Dass Herr Friedrich sich an ihre früheren Begegnungen erinnerte, verwunderte sie, freute sie aber auch. Der Künstler war vor vielen Jahren hin und wieder Gast im Haus ihrer Eltern gewesen, um mit ihrem Vater so manchen Abend beim Kartenspielen, einem guten Getränk und Gespräch zu verbringen. Erstmals hatte sie ihn als Elfjährige zufällig im Flur angetroffen. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie den blonden Hünen, den »Nordmann«, so hatte sie ihn später für sich genannt, mit seinem imposanten Backenbart und den leuchtend blauen Augen unter den buschigen Brauen offen angestarrt hatte. Der Riese hatte sich zu ihr herabgebeugt, während Caroline ihm artig die Hand gereicht und geknickst hatte, wie es sich für ein junges Mädchen gehörte. Er hatte ihre zarten Kinderfinger behutsam in seine große, warme Hand genommen, sie sanft gedrückt und Caroline angelächelt. Ganz warm war ihr da ums Herz geworden. Ja, wie hatte diese erste Begegnung mit ihm sie damals beeindruckt! Als er mit tiefer Stimme etwas zu ihr gesprochen hatte, war ihr seine Mundart jedoch fremd und unverständlich gewesen, weshalb sie schüchtern den Kopf gesenkt hatte. Über ihre vermeintliche Scheu hatte er herzlich gelacht, doch ihren Eltern war es peinlich gewesen, dass die Tochter ihm nicht geantwortet hatte. Schließlich war Caroline sonst nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen und sogar eher eine Plaudertasche. Später hatten sie ihre Tochter gescholten, sehr unhöflich gewesen zu sein.

»Ich habe ihn nicht verstanden! Was hat er denn gesagt?«, hatte sie sich verteidigt. »Was ist das für eine merkwürdige Sprache, die er spricht?«

»Das ist Platt, Caroline«, hatten ihr die Eltern erklärt. »Herr Friedrich kommt aus dem Norden, aus Greifswald, und dort in Pommern spricht man so.«

Aha, Platt. Caroline war verwirrt gewesen. Unter »Platt« und »Pommern« hatte sie sich damals nichts vorstellen können, kannte sie doch nur ihr schönes Dresden, ihre Geburtsstadt, in der sie aufgewachsen war und in der Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen lebten, darunter viele Künstler, Dichter, Musiker und Philosophen. Menschen aus anderen Orten der Welt, wo man auch oft anders sprach.

Ihr älterer Bruder Christoph Ernst hatte ihr schließlich die Herkunft des Herrn Friedrich genauer erklärt und ihr auf dem alten Globus gezeigt, woher ihr Gast ursprünglich kam. Christoph hatte ein ganzes Stück oberhalb von Dresden auf die Region um Greifswald gedeutet und auf das Meer im Norden, wo die großen Schiffe fuhren. Er hatte ihr erzählt, dass dieses Gebiet früher zu Schweden gehört hatte. Dieser Herr Friedrich aber war nicht etwa, wie Caroline geglaubt hatte, ein Bootskapitän, sondern ein angesehener Maler. Laut Auskunft ihrer Familie hatte ihm die sächsische Elbestadt bei einer Reise in den Süden gleich so gut gefallen, dass er sich 1798 hier niedergelassen hatte.

Und nun stand dieser Mann vor ihr und bat sie um einen Spaziergang am kommenden Sonntag.

»Ja, darüber würde ich mich freuen«, hörte sie sich sagen.

Daraufhin verbeugte er sich dankend noch einmal vor ihr und kündigte ihr an, zuerst noch die Erlaubnis ihres Bruders einzuholen.

Zu Hause sprach Caroline gleich mit ihrer Familie darüber. »Der Maler Caspar David Friedrich hat mich heute zu einem Spaziergang am Sonntag eingeladen.« Gespannt wartete sie auf die Reaktionen der anderen.

Die Mutter holte kurz Luft, sagte aber nichts dazu. Carolines ältester Bruder Fritz, der längst ein angesehener Handschuhfabrikant in Dresden und seit dem Tod des Vaters offiziell ihr Vormund war, sah sie forschend an. »Möchtest du ihn denn gern näher kennenlernen? Und mit ihm flanieren gehen?«

Caroline nickte eifrig, und damit war es besprochene Sache.

Am Sonntagnachmittag kam Herr Friedrich zu ihnen. Fritz bat ihn herein und sprach längere Zeit mit ihm in der Stube. Währenddessen saß Caroline mit klopfendem Herzen in ihrem Zimmer und wartete, dass man sie rief. Für diesen besonderen Anlass trug sie heute ihr schönstes Kleid und hatte einen neuen Schutenhut mit langen Bändern bereitgelegt. Entfernt hörte sie die tiefen Stimmen der beiden Männer, zwischendurch wurde auch freundschaftlich gelacht. Caroline war froh, denn das klang sehr einvernehmlich. Und endlich rief Fritz nach ihr. Herr Friedrich wartete bereits an der Haustür auf sie, und sein warmer Blick machte sie ganz verlegen. Er war einfach gekleidet, anscheinend machte er sich nicht viel aus Äußerlichkeiten. Dennoch wirkte er gepflegt, die Haare waren sauber gekämmt und der Bart getrimmt.

»Guten Tag, Fräulein Bommer«, begrüßte er sie schlicht.

»Guten Tag«, erwiderte sie leise und ärgerte sich darüber, dass sie so piepsig klang, denn eigentlich war sie gar nicht so schüchtern. Und auch längst kein kleines Mädchen mehr. Doch war dies eben eine besondere Situation.

»Lassen Sie uns an die Elbe gehen«, schlug Herr Friedrich vor und reichte ihr seinen Arm.

Es fühlte sich sehr vertraut an, und Caroline wurde ruhiger. »Gern«, antwortete sie nun mit fester Stimme.

Ihr Bruder nickte ihr aufmunternd zu und zog sich höflich zurück, danach ging sie mit Herrn Friedrich los. Die Sonne strahlte verheißungsvoll vom Himmel, und Caroline nahm das als gutes Omen.

Sie fühlte sich wohl in Herrn Friedrichs Gesellschaft, auch wenn er nicht allzu redselig war. Bald schon entdeckten sie aber eine gemeinsame Vorliebe, beide beobachteten gern die Vögel in den Bäumen. Darüber konnten sie wunderbar plaudern. Weiteren Gesprächsstoff bot ihre Heimatstadt Dresden. Herrn Friedrich begeisterte das rege kulturelle Leben und die Möglichkeit, hier viele Kontakte zu anderen Künstlern zu pflegen. Zudem erhoffte er sich bald eine Festanstellung an der renommierten Kunstakademie als Professor.

»Und wenn ich mal nicht in der Stadt sein möchte, ist Dresden der ideale Ausgangspunkt für Wanderungen in die Umgebung«, teilte er ihr mit, und seine Augen glänzten.

Es erstaunte sie allerdings, dass Herr Friedrich ihr bereits bei ihrem ersten Treffen anvertraute, dass er bald Frau und Kinder haben wollte, weil auch er aus einer großen Familie stammte. Zehn Kinder seien sie in Greifswald gewesen, von denen längst nicht mehr alle lebten. Dennoch habe er die große Familie immer genossen, mittlerweile gab es auch schon einige Nichten und Neffen. Fröhlich erzählte er ihr von seinen Verwandten und einigen ihrer Eskapaden. Weil es bei Caroline zu Hause ähnlich gewesen war, wo sich einst ebenfalls zehn Kinder getummelt hatten, konnte sie ebenso von einem turbulenten Familienleben berichten.

»Sie mögen Kinder auch sehr gern, nicht wahr?«, fragte er wie nebenbei.

Und ehe Caroline etwas antworten konnte, bohrte er weiter nach: »Viele Kinder im Haus, das ist schön, finden Sie nicht auch?« Er blieb stehen und blickte sie nun forschend an.

Caroline merkte, wie wichtig ihm dieses Thema war. Ernst antwortete sie: »Ja, ich mag Kinder sehr! Kinder sind etwas Wunderschönes!« Und das meinte sie auch so.

Daraufhin griff Herr Friedrich spontan nach ihrer Hand und drückte sie sanft.

Als es langsam Abend wurde, brachte Herr Friedrich sie zurück, wie es sich gehörte. An der Haustür fragte er sie beim Abschied leise, ob er sie am nächsten Sonntagnachmittag wieder zum Flanieren abholen dürfte. Dabei schaute er ihr tief in die Augen, so unergründlich und verheißungsvoll, dass ihr ganz blümerant wurde. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil sie auf seine Worte hin vor Freude kurz den Atem anhielt, bevor sie beglückt nickte.

»Ja, darüber würde ich mich sehr freuen.«

Daraufhin verbeugte sich Herr Friedrich formvollendet vor ihr, lächelte sie an und ging.

Caroline schaute ihm kurz nach, lief dann ins Haus, riss sich aufgeregt den Mantel vom Leib und den Schutenhut vom Kopf. Ehe die Mutter, die wartend in der Stube saß, sie irgendetwas fragen konnte, eilte sie in ihr Zimmer. Schnell schloss Caroline die Tür hinter sich und sah verwirrt in den Spiegel an der Wand, aus dem ihr ein leicht gerötetes, strahlendes Gesicht entgegenblickte. Vergnügt raffte sie ihre Röcke und tanzte schwungvoll durch das Mädchenzimmer, das sie sich mit ihrer kleinen Schwester Lotte teilte. »Ich bin ja so verliebt«, trällerte sie vergnügt vor sich hin.

Durch die geschlossene Tür würde sie hoffentlich keiner hören. Obwohl, warum eigentlich? Sollte es doch die ganze Welt erfahren, dass sie, Christiane Caroline Bommer, 23 Jahre alt, Tochter des Blaufärbers und Faktors Christoph Bommer, sich in diesen Maler aus dem Norden, diesen geheimnisvollen, wunderbaren Mann verliebt hatte!

Langsam öffnete sich die Tür, und ihre jüngere Schwester steckte kichernd den Kopf herein.

Caroline fühlte sich ertappt. »Was willst du?«

»Caroline ist ver-lie-iebt«, sang die kleine Lotte nun ebenfalls laut und hüpfte ins Zimmer. Juchzend ahmte sie die große Schwester beim Tanzen nach.

»Wirst du wohl!« Caroline tat empört, rannte aber lachend auf das Kind zu und versuchte spielerisch, es zu verscheuchen.

Daraufhin sprang Lotte flott zurück in den Flur und zog die Tür wieder zu. Draußen sang sie übermütig weiter: »Er liebt mich, er liebt mich nicht …«

Caroline musste grinsen. Es stimmte ja, sie war wirklich verliebt. In diesen Herrn Friedrich, den Maler Caspar David Friedrich aus dem pommerschen Greifswald.

Es konnte nichts anderes sein, dieses eigenartige Gefühl von Glückstaumel und flirrenden Schmetterlingen im Bauch. Bei dieser Erkenntnis klopfte ihr Herz bis zum Hals. Wer hätte das gedacht, dass dieser blonde Maler aus dem Norden ihr so den Kopf verdrehen würde? Ob es überhaupt seine Absicht war, sie für sich zu gewinnen? Aber warum sonst sollte der so zurückhaltende Herr Friedrich sie immer wieder so bedeutsam ansehen? Und sie am nächsten Sonntag erneut zu einem Spaziergang abholen wollen?

Schon nach diesem ersten Spaziergang mit Herrn Friedrich spürte Caroline, dass sich in ihrem Leben etwas veränderte. Von Sonntag zu Sonntag freute sie sich mehr auf ihn. Bevor er sie zum Promenieren abholte, stand sie stundenlang vor ihrem Schrank, um zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Während ihre kleine Schwester Lotte sie deshalb neckte, lächelte ihre Mutter verständnisvoll. Öfter als früher lud sie ihre alte Schneiderin ein, die sich rühmte, sich mit der neuen Mode auszukennen, und die das eine oder andere neue Kleid für Caroline anfertigte. Offenbar steckte Fritz seiner Mutter ab und zu etwas Geld für die Garderobe seiner Schwester zu. Caroline liebte vor allem die leichten Musselinstoffe in Pastelltönen, die so herrlich duftig fielen. Sie passten wunderbar zu ihrem schwebenden Glücksgefühl in diesem Sommer. Wenn die Schneiderin ihr die Kleider anpasste, konnte sie kaum still stehen vor Freude und Begeisterung.

»Nicht so quirlig, Caroline«, mahnte die Mutter aus dem Hintergrund. »Du machst es unserer Schneiderin wirklich schwer, wenn du so herumtänzelst.«

Die ältere Frau, die zum Nähen in ihren Haushalt kam, so lange Caroline denken konnte, stöhnte zwar über ihr lebhaftes Betragen, war aber auch nachsichtig. »Jaja, man ist nur einmal jung. Und unsere kleine Dame ist jetzt groß geworden und möchte den Herren gefallen, das ist schon richtig so.«

Nachdem Caroline eine Weile still gehalten hatte, stand die Schneiderin, die vor ihr gekniet und am Rocksaum des Kleides hantiert hatte, auf und forderte: »Dreh dich mal vorsichtig!«

Caroline tat wie geheißen und juchzte verzückt über den schwingenden Rock. »Schön ist das geworden«, jubelte sie.

Caroline fühlte sich hübsch und begehrenswert, und dies nicht nur wegen ihrer neuen Garderobe. Sie genoss Herrn Friedrichs bewundernde Blicke, umso mehr, weil die sich nicht nur auf ihr Äußeres, sondern mehr auf ihre fröhliche, ungezwungene Art bezogen. Wie liebevoll und verzaubert er sie ansah, wenn sie ihm schwungvoll die Tür öffnete und ihn strahlend begrüßte!

Auf einem der Spaziergänge fragte Caroline Herrn Friedrich, warum er sie beim Bilderstellen angesprochen und ob er sie von früher wiedererkannt habe.

»Ich muss zugeben, Fräulein Bommer, dass ich erst nach dem Hinweis eines Bekannten darauf kam«, gestand er ihr da. »Mich faszinierte aber gleich Ihr unbefangener Umgang mit den Kindern, Ihr ausgelassenes Lachen. Ich wollte Sie kennenlernen und habe besagten Bekannten gefragt, ob er wisse, wer Sie sind. Von ihm erfuhr ich Ihren Namen – und natürlich ist mir Ihre Familie noch sehr präsent, vor allem Ihr nun schon seit fast zehn Jahren verstorbener Vater. Sie habe ich allerdings als kleines, schüchternes Mädchen mit wilden braunen Locken in Erinnerung.« Dass es ihn einigen Mut gekostet hatte, auf sie zuzugehen und sie um einen Spaziergang zu bitten, würde er ihr erst viel später erzählen.

Diese gemeinsamen Sonntagsspaziergänge gehörten inzwischen für sie beide zu den Höhepunkten der Woche. Von Anfang an hatten sie sich beim Promenieren gut miteinander unterhalten, was bei den unterschiedlichen Lebenswelten von Mann und Frau nicht unbedingt selbstverständlich war. Caroline hing förmlich an seinen Lippen und amüsierte sich über seine norddeutsche Mundart, die nach den langen Jahren in Dresden mittlerweile nur noch leicht anklang. Er wiederum neckte sie schon mal bezüglich ihres breiten sächsischen Dialekts, den er jedoch gerne mochte, er sei »so heiter und gemütsvoll«, sagte er.

Sie sprachen über das schöne Dresden, ihre gemeinsame Freude an der Natur und immer wieder über Literatur und Kunst. Caroline kannte sich in den Gemäldegalerien gut aus und traute sich gewisse Kunstkenntnisse zu. Herr Friedrich hörte ihr genau zu, wenn sie über ihre Lieblingsbilder redete, und sie fühlte sich ernst genommen. Caroline lauschte ebenso interessiert seinen Worten, besonders, wenn er von seiner Heimat am Meer oder von seinen Bildern erzählte.

Trotzdem kam es für sie überraschend, als Herr Friedrich bei einem ihrer Spaziergänge an der Elbe plötzlich stehen blieb, kurz in die Ferne aufs Wasser blickte, sich dann einen entschlossenen Ruck gab und Caroline fest in die Augen sah.

Sie hielt die Luft an, denn sie ahnte, was nun kommen würde.

Herr Friedrich ergriff ihre Hand und fragte sie ernst: »Fräulein Bommer, Caroline, willst du dich mit mir verloben? Ich möchte dich gern heiraten.«

Der intimen Situation entsprechend wechselte er zum »Du«, was sich für Caroline vertraut und richtig anfühlte. Sie musste schlucken, denn sie hatte tatsächlich auf diese Frage gehofft, sie jedoch nicht so schnell erwartet. »Ja, Caspar!«, rief sie freudig aus und lächelte ihn glücklich an.

Er berichtete ihr, dass man ihn kürzlich als außerordentliches Mitglied an der Dresdner Akademie aufgenommen hatte, was mit einem festen Gehalt von 150 Talern verbunden war. »Das bedeutet für eine Ehe immerhin eine gewisse finanzielle Sicherheit. Es ist ansonsten nicht leicht für einen Künstler, sich und eine Familie zu versorgen.«

Bereits bei ihrem ersten Treffen hatte er davon gesprochen, dass ihm diese Stelle in Aussicht gestellt worden war. Caroline kannte Caspar inzwischen so gut, dass sie wusste: Trotz seiner Künstlernatur war er ein sehr verantwortungsbewusster Mann. Und eine eigene Familie war ihm sehr wichtig. Vielleicht hatte er bis jetzt nicht geheiratet, weil er kein regelmäßiges Einkommen gehabt hatte? Nun war er 42 Jahre alt, und sein Wunsch würde sich endlich erfüllen.

»Anfangs werden wir uns trotzdem einschränken müssen, denn üppig ist das Gehalt nicht. Aber ich hoffe sehr, durch die Stellung wieder mehr Bilder zu verkaufen. Und auch, dass ich bald als Professor an der Akademie Landschaftsmalerei unterrichten kann. Dann würde es uns richtig gut gehen.« Überzeugt lächelte er seine Verlobte an, immer noch hielt er ihre Hand in seiner.

Die folgenden Tage verbrachte Caroline wie im Traum, dachte aber auch viel nach. Sie konnte das alles gar nicht richtig fassen, fast ging es ihr ein wenig zu schnell. Konnte sie sich ein ganzes Leben an der Seite des Malers vorstellen?

Das Wichtigste war, dass Caspar sie als Frau ernst nahm, ihm ihre Gefühle und ihre Meinung etwas bedeuteten. Und das schien wahrlich zuzutreffen. Immerhin hatte er bezüglich der Verlobung zuerst sie und nicht, wie es Sitte war, ihren ältesten Bruder Fritz gefragt. Auch wenn mittlerweile andere Zeiten angebrochen waren, in denen Frauen mehr entscheiden durften, so wandten sich die heiratswilligen Herren meist dennoch an den entsprechenden Vormund, ehe die Braut von den Heiratsabsichten erfuhr. Normalerweise war das der Vater, in ihrem Falle jedoch, da sie Halbwaise war, ihr ältester Bruder. Doch bei ihr war es anders gewesen. Es machte sie stolz und froh, dass Caspar David Friedrich ausgerechnet mit ihr, Christiane Caroline Bommer, geboren am 14. Juli 1793 in Dresden, den Bund fürs Leben schließen wollte. Fast schüchtern hatte er gewirkt, als er sie gefragt hatte, dachte sie zärtlich, dieser große, imposante Mann, der als Maler mit seinen mysteriösen Bildern wie »Mönch am Meer« und »Abtei im Eichwald« vor einiger Zeit sogar ein wenig berühmt geworden war.

Natürlich musste er trotzdem mit ihrem Vormund darüber sprechen, der letztendlich allein die feste Zusage zu ihrer Eheschließung geben konnte. So war es eben üblich, da konnten die Frauen nur darauf vertrauen, dass alles seinen rechten Gang gehen würde. Caroline war allerdings zuversichtlich, denn sie wusste, dass Fritz und auch ihre anderen Geschwister sowie die Mutter den Maler schätzten und nichts gegen die Verlobung einzuwenden hätten.

Und in der Tat hießen alle ihn kurz darauf herzlich in ihrer Familie willkommen, nachdem Fritz seine Schwester Caroline gefragt hatte, was sie von dem Heiratsantrag halte. Auch er hatte seine Zustimmung nicht über ihren Kopf hinweg geben wollen.