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Mit dem Fahrstuhl in eine fantastische Welt Alexander fährt sowieso nicht gerne Fahrstuhl, und als er eines Tages aus Versehen den untersten Knopf drückt, landet er in einer fantastischen Welt. Die Bewohner dort leben in Angst vor dem Herrscher der Finsternis. Sie glauben, nur ein Mensch mit einem reinen Herzen kann sie befreien, und sehen in Alexander den ersehnten Retter. Oje, der ist da ganz anderer Meinung und will nur weg, aber so schnell entkommt er der fantastischen Welt nicht!
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Seitenzahl: 89
Manfred Mai
Die geheimnisvolle Tür
Mit Illustrationen vonUte Martens
Deutscher Taschenbuch Verlag
© 2012Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,KN digital– die digitale Verlagsauslieferung, StuttgarteBook ISBN 978-3-423-41017-5 (epub)ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-62509-8Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
1 Das unheimliche U
2. Fahrt in die Unterwelt
3. Die Herrin des Lichts
4. Land der Finsternis
5. Die verschwundene Prinzessin
6. Eine Falle
7. Im Schloss gefangen
8. Nur eine Chance
9. Mit List und Glück
10. Eine große Überraschung
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1.
Alexander fährt nicht gern Aufzug. Deswegen möchte er auch viel lieber im ersten Stock wohnen oder, das wäre noch besser, in einem schönen Einfamilienhaus, in dem es gar keinen Aufzug gibt. Aber er wohnt nun mal im siebten Stock eines Hochhauses, und da bleibt ihm hin und wieder nichts anderes übrig, als mit dem Aufzug zu fahren.
Zum Beispiel morgens, wenn er sich beeilen muss, weil er wieder mal nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen ist. Dann drückt er den Aufzugknopf, lauscht auf die Geräusche und schaut die Tür an. Wenn sie sich öffnet und der dicke Brackmann aus dem achten Stock drinsteht, steigt Alexander nicht ein, egal wie spät er dran ist. Der stinkt nämlich nach Zigarrenrauch, dass einem in der kleinen Kabine übel wird. Und Daniel aus dem sechsten Stock sagt immer: »Wer Zigarren raucht, frisst auch kleine Kinder.«
Wenn Alexander den dicken Bauch vom Brackmann sieht, kann er sich gut vorstellen, dass der kleine Kinder frisst. Vielleicht sogar im Aufzug, wenn er mit ihnen allein nach oben oder unten fährt. Und weil Alexander nicht in Brackmanns Bauch landen möchte, rennt er lieber die Treppe hinunter, wenn der dicke Brackmann im Aufzug steht.
Ist der Aufzug leer, steigt Alexander ein und drückt den E-Knopf. Auf dem Weg nach unten atmet Alexander kaum.
Jedes Mal stellt er sich vor, wie es wäre, wenn der Aufzug irgendwo hängen bliebe und er in diesem fensterlosen Gefängnis Stunden, Tage oder gar Wochen verbringen müsste. Noch schlimmer als diese Vorstellung ist für Alexander, wenn der Aufzug unterwegs anhält und die Tür sich öffnet. Dann macht er sich bereit zum Sprung. Man kann ja nie wissen, wer draußen steht. Es könnte zum Beispiel die alte Kreuzberger sein, die fast so gefährlich ist wie der dicke Brackmann.
Alexander glaubt zwar nicht, dass sie kleine Kinder frisst, aber sie schwallt ihm die Ohren voll und betatscht ihn dabei auch noch mit ihren dürren Vampirfingern, dass er sich richtig gruselt.
Schön ist es im Aufzug nur, wenn Lisa einsteigt. Dann wünscht sich Alexander, das Haus wäre ein Wolkenkratzer mit hundert Stockwerken und sie beide würden im hundertsten Stock wohnen. Aber Lisa wohnt leider im zweiten Stock. Deswegen fährt sie auch nicht oft mit dem Aufzug. Und wenn, dann ist die Fahrt viel zu kurz. Das findet jedenfalls Alexander.
Ob Lisa das auch findet, weiß er nicht. Er hat sie noch nie gefragt.
Weil Alexander– von wenigen Ausnahmen abgesehen– also nicht gern mit dem Aufzug fährt, muss er jeden Tag viele Treppen rauf- und runterlaufen. Auf diese Weise ist er zu einem guten Sportler geworden, denn Treppenlaufen gibt Kondition und Muskeln.
Wenn seine Mitschüler in der Sportstunde schon nach einer Stadionrunde keuchen und stöhnen, kann Alexander nur lachen. Eine Runde ist für ihn ein Klacks. Danach ist er erst richtig warm und zieht das Tempo langsam an. Und wenn die andern völlig ausgepumpt auf der Bahn liegen, läuft Alexander immer noch.
»Alexander, du hast eine Pferdelunge«, sagt Herr Simmack oft. »Du wirst mal ein richtig guter Langstreckenläufer, wenn du so weitermachst.«
Herr Simmack ist Alexanders Lehrer und ziemlich stolz auf »das große Talent«, wie er ihn nennt. Alexander hat nicht die Absicht, Langstreckenläufer zu werden. Er will lieber den Urwald erforschen, wenn er groß ist. Aber das sagt er seinem Lehrer nicht, weil der sonst enttäuscht wäre.
Alexander erzählt überhaupt selten etwas von dem, was ihn beschäftigt und was ihm wichtig ist. Wenn er zum Beispiel zugibt, dass er nicht gern Aufzug fährt, wird er ausgelacht.
Wenn er erzählt, dass er später Urwaldforscher werden will, heißt es: »Du spinnst!« Und dass er einen richtigen Vater haben möchte, der jeden Tag zu Hause ist und mit ihm spielt, das sagt Alexander schon gar nicht mehr, weil seine Mutter ihm sonst wieder lang und breit erklärt, was für miese Typen die Männer sind.
Wenn Alexander an den dicken Brackmann denkt, muss er seiner Mutter recht geben. Aber trotz ihrer Erzählungen und trotz des nach Zigarren stinkenden und kleine Kinder fressenden Brackmann sitzt bei Alexander tief drinnen noch die Hoffnung, dass es auch andere Männer gibt, wenigstens ein paar. Männer, die nett und lieb sind, die mit Kindern spielen. Und einen davon hätte er gern als Vater. Der würde ihn vor dem dicken Brackmann beschützen und vor der alten Kreuzberger mit ihren ekligen Vampirfingern.
Weil Alexander keinen Vater hat, der ihn beschützt, muss er heute mal wieder die Treppe nehmen, obwohl er spät dran ist.
Im sechsten Stock steht Daniel vor dem Aufzug. Er ist schon vierzehn, spielt sich vor Jüngeren gern auf und erzählt ihnen Schauergeschichten. Alexander mag ihn nicht und geht ihm wenn möglich aus dem Weg.
Daniel hält Alexander am Arm fest. »He, warum läufst du denn die Treppe runter und fährst nicht mit dem Aufzug?«
»Ich… äh… ich laufe gern.«
In diesem Augenblick öffnet sich die Aufzugtür. Die beiden riechen sofort den Zigarrengestank.
»Der dicke Brackmann ist schon unten«, sagt Daniel. »Du brauchst also keine Angst mehr zu haben.« Er zieht Alexander mit in den Aufzug und drückt den E-Knopf.
Während sich die Tür schließt, zeigt Daniel auf den U-Knopf und fragt: »Siehst du den?«
»Ich bin ja nicht blind.«
»Dann hör genau zu, was ich dir jetzt sage.« Daniel guckt Alexander in die Augen. »Den Knopf darfst du nie drücken.«
»Warum nicht?«
»Weißt du, was das U heißt?«, fragt Daniel. Alexander überlegt. »Untergeschoss, glaube ich.«
»So, glaubst du?« Daniel tut sehr geheimnisvoll. Er schaut sich um, als ob jemand sie hier drin beobachten könnte. »Das heißt nicht Untergeschoss.« Mehr sagt er erst mal nicht.
»Was dann?«, fragt Alexander.
Wieder schaut Daniel in alle Ecken des Aufzugs. Dann flüstert er Alexander nur ein Wort ins Ohr: »Unterwelt!«
Alexander zuckt zusammen. Er starrt vom U-Knopf zu Daniel und wieder zurück. »Glaub ich nicht«, murmelt er.
»Dann drück doch drauf«, sagt Daniel, hält jedoch sofort Alexanders Arm fest und fügt hinzu: »Aber erst, wenn ich draußen bin!«
Alexander ist froh, als der Aufzug endlich hält und sie aussteigen können. Draußen bleibt er kurz stehen. »Und was ist da unten?«, fragt er leise.
Daniel zieht die Schultern hoch. »Ich war noch nie unten und ich werde mich auch hüten, jemals da runterzufahren.«
»Woher weißt du dann…«
»Man hört so manches munkeln«, unterbricht ihn Daniel.
»Was denn?«
»Das ist nichts für kleine Jungs«, sagt Daniel und läuft zu seinen Freunden.
Alexander steht wie benommen zwischen Aufzug und Ausgang. In seinem Kopf saust nur ein Wort herum: Unterwelt! Unterwelt! Unterwelt!
»He, träumst du?«, fragt plötzlich eine Stimme.
Alexander sieht Lisa neben sich stehen. Er ist noch so mit der Unterwelt beschäftigt, dass er keinen Ton herausbringt.
»Hast du ein Gespenst gesehen?«
Alexander schüttelt den Kopf.
»Bist du krank?«
»Nein«, sagt er endlich.
»Dann los, sonst kommen wir zu spät!«, drängelt Lisa.
Auf dem Weg zur Schule erzählt Lisa von einem Krimi, in dem sie gestern Abend gelesen hat. Alexander hört sie zwar reden, aber ihre Worte erreichen sein Gehirn nicht, weil es voll und ganz mit der Unterwelt beschäftigt ist.
Auch in der Schule ist er nicht bei der Sache und Herr Simmack tadelt ihn. »Eine Pferdelunge allein reicht noch nicht für die Versetzung ins Gymnasium. Man muss auch rechnen können, die Grundregeln der Grammatik und Rechtschreibung beherrschen und über unser Land Bescheid wissen. Komm doch bitte mal nach vorn und zeig mir auf der Karte, wo München liegt.«
München? Das hat Alexander schon mal gewusst. Aber als er vor der großen Landkarte steht, weiß er nichts mehr. Sein Blick irrt von Süd nach Nord, von Ost nach West.
Auf der Karte wimmelt es nur so von roten Städtepunkten. Ein paar Namen kann Alexander lesen: Stuttgart, Frankfurt, Leipzig, Berlin, Hannover, Dortmund, Köln. Aber München ist nicht dabei.
»Ich würde mal im Süden nachsehen«, sagt Herr Simmack. »Das ist unten.«
Unten? Unten! Unterwelt!, schießt es Alexander durch den Kopf. Ist München eine Stadt in der Unterwelt? Seine Augen hangeln sich vom Bodensee über Ulm und Augsburg nach München.
»Da«, sagt Alexander erleichtert und drückt den Finger auf das M.
Herr Simmack schaut ihn verwundert an. »Was ist denn heute los mit dir?«
»Nichts«, sagt Alexander.
»Du bist so blass«, stellt Herr Simmack fest. »Ist dir nicht gut? Möchtest du an die frische Luft?«
Alexander nickt und verlässt das Klassenzimmer. Draußen setzt er sich auf die Treppe und schließt die Augen. Sofort sieht er wieder Bilder aus der Unterwelt vor sich: Kinder fressende Monster, blutsaugende Vampire, böse Hexen, fürchterliche Räuber und Banditen.
Plötzlich springt er auf, rennt kreuz und quer über den Schulhof und ruft dabei: »Weg mit euch! Haut ab! Verschwindet!«
»He, du bist wohl völlig durchgeknallt«, sagt eine ältere Schülerin, die eben aus der Toilette kommt. Und Herr Simmack, der vom Fenster aus alles beobachtet hat, ruft Alexander zu: »Ganz ruhig bleiben, mein Junge, ich hol sofort einen Arzt.«
Wenig später ist der Arzt zur Stelle. Er legt Alexander eine Hand auf die Stirn, misst seinen Puls, untersucht die Augen, leuchtet ihm in Mund und Ohren, prüft mit einem Hämmerchen die Reflexe von Händen und Beinen.
»Also ich kann nichts feststellen«, sagt er. »Der Junge scheint mir völlig gesund zu sein.«
Herr Simmack tippt sich kurz an die Stirn, um dem Arzt zu signalisieren, wo seiner Meinung nach bei Alexander etwas nicht stimmt. »Er ist wie ein Verrückter über den Schulhof gerannt und hat dabei ›Weg mit euch! Haut ab! Verschwindet!‹ gebrüllt.« Herr Simmack geht zwei Schritte auf den Arzt zu und flüstert: »Obwohl außer ihm kein Mensch auf dem Schulhof war.«
»Aha«, sagt der Arzt, hebt mit dem Zeigefinger Alexanders Kinn hoch und starrt ihm in die Augen, als wolle er ihn hypnotisieren. »Vor wem bist du weggelaufen?«, fragt er.
»Ich?«