Die Geschichte der Frau - Feridun Zaimoglu - E-Book

Die Geschichte der Frau E-Book

Feridun Zaimoglu

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Beschreibung

Ein literarisches Abenteuer, ein großer Gesang, ein feministisches Manifest: Feridun Zaimoglus neuer Roman ist ein unverfrorenes Bekenntnis zur Notwendigkeit einer neuen Menschheitserzählung – aus der Sicht der Frau. Dieses Buch erzählt eine unerhörte Geschichte. Es lässt zehn außerordentliche Frauen zur Sprache kommen vom Zeitalter der Heroen bis in die Gegenwart. Es sind Menschen, deren Sicht auf die Dinge nicht überliefert wurde. Weil Männer geboten, die Wahrheit tilgten und die Lüge zur Sage verdichteten. Diesen Frauen war es vorbehalten, schweigend unsichtbar zu bleiben oder dekorativ im Bild zu stehen. Doch nun sprechen sie – klar und laut, wie eine abgefeuerte Kugel. Feridun Zaimoglu zeigt sich in seinem neuen Roman erneut als ein Meister der Vielstimmigkeit. Was ihm dabei gelingt, ist ein regelrechtes Wunder. Die Figuren dieses Buches klingen nicht nur lebendig – sie werden es: von Antigone über Judith bis Valerie Solanas. Kraftvoll, poetisch und subversiv. Kein Friedensangebot. Keine Schmeichelei. Tabula Rasa! Folgende Frauen kommen zu Wort: Zippora 1490 v. Chr. – schwarzhäutige Frau des MosesAntigone Zeitalter der Heroen – Streiterin gegen GewaltherrschaftJudith 6. Tag nach der Auferstehung – Jüngerin Jesu, Frau des JudasBrunhild 429 – zaubermächtige Walküre, KriegerköniginPrista Frühbottin 1540 – heilkundige Frau, der Hexerei bezichtigtLore Lay 1799 – Magd, die sich vom Dichter nicht bannen lässtLisette Bielstein 1849 – rote FabrikantentochterHildrun Tilmanns 1945 – TrümmerfrauLeyla 1965 – Gastarbeiterin der ersten StundeValerie Solanas 1968 – Feministin, die zur Waffe greift

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Seitenzahl: 466

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Feridun Zaimoglu

Die Geschichte der Frau

Roman

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Feridun Zaimoglu

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

MottoZipporaAntigoneJudithBrunhildPrista FrühbottinLore LayLisette BielsteinHildrun TillmannsLeylaValerie Solanas
zurück

Nach ihren Siegen lernten die Männer, Ruhmestaten zu erdichten.

Sie schrieben, sich erlügend, ihre Sagen.

Dies ist der Große Gesang, der ihre Lügen tilgt.

Es spricht die Frau.

Es beginnt.

zurück

Moses, von Gott gesandt, ist schön im Schmerz. Es fällt Mondlicht auf seine Hände. Durch die Ritzen und Löcher des Zeltes sehe ich ihn: meinen Mann. Er kennt Worte aus Luft und Wind. Er kann die schnellenden Schatten, die uns beißen, vertreiben.

Er richtet im Namen des Richters in der Höhe. Weiß er, dass ich ihn anschaue aus dem Dunkeln heraus, dass ich in die Dunkelheit blinzele? Er weiß es, denn er blickt zurück, als könnte er mich sehen, ich höre ihn sagen: »Was tust du in deiner Heimlichkeit?« Jäh stürmt er in das Zelt, zehn Schritte ist er gegangen wie mit einem einzigen Schritt. Ich habe den Sud gerührt im Tontopf. Ich bitte ihn, sich vor mich hinzusetzen. Er setzt sich auf den Boden. Ich bitte ihn, Stock und Peitsche zur Seite zu legen. Er entwaffnet sich. Ich löse die Knoten seines atemnassen Gesichtsschurzes. Die schwarze Binde fällt ihm in den Schoß. Der Gott seiner Väter hat sich ihm gezeigt als brennende knisternde Disteln, als flammender flackernder Busch. Es leuchten die Wunden, die nie verheilen. Ich tunke die Fingerkuppen in die erkaltende Paste und streiche sie auf die gerissene Haut. Es fährt mir ein Feuer in den Leib, ich halte es aus, es erlischt. Mann meiner Liebe, wie bist du gezeichnet. Mann meiner Liebe, was entquillt deinem Angesicht, das du verhüllen musst, damit die Männer deines Stammes nicht vor Schmerz aufschreien. »Gott raste durch dich in Seinem Feuer«, sage ich, »in Seiner Stimme ist Gewalt.« Moses aber schweigt, während meine Finger Vogelflügel nachahmen. Moses, nah bei mir, fern gerückt durch seine Erwählung, knüllt das schwarze Tuch, ich küsse seine verbrannten Schläfen. Dann reibe ich mir mit Sand die Hände sauber. Er will sich erheben. Ich sage: »Bleib eine Weile.« Er will den Gesichtsschurz knoten. Ich sage: »Sprich von dem, was sich tat, als wir nach Ägypten zogen, du, deine Söhne, und ich, Jetros Tochter aus Midian.«

»Du hast es selbst gesehen«, sagt er.

Ich sage: »Was hat sich vom Himmel losgerissen? Bin ich ein krummes Holz, dass du nicht sprichst?«

»Du bist mein Weib.«

»Dann sprich davon.«

»Du musst beginnen«, sagt er, »ich folge dir.«

»Der Herr rief dich«, sage ich, »wir waren auf dem Weg. Da geschah es, Braus und Erdstoß, ich hörte das Kreischen. Wer wollte dich zerfetzen, wenn nicht ein Feind? Es war ein herabstürzender Fluch. Eine Brut fiel dich an. Aber der Schrei, ich wurde für Tage taub.«

Moses, Mann meiner Liebe, streicht den Schurz glatt. Er will nicht, dass ich ihn an diese Nacht erinnere. Als der Geist kam, ihn zu verschlingen, als er mit ihm rang, sein Haupt im Schlund des üblen Gebieters, wollt ich mit brennendem Scheit dies Tier verscheuchen. Es sollte nicht kommen über meine Kinder, die ich hinter meinen Rücken stieß. Moses, von Gott gerufen, fuhr Stück für Stück in dies Nichts, das kreischte.

Ich sagte in dieser Nacht zu meinem Kind Gerschom: »Ich werde dich zum Bluten bringen, rette deinen Vater!« Ich löste seinen Lendenschurz, ich zog die Haut über die Spitze seiner Scham und schnitt sie ab mit dem Feuerstein. Sein Blut strich ich auf Moses Füße und rief: »Du bist mir ein Blutbräutigam geworden!« Da wurden Nacht und Himmel ruhig. Beschnitten habe ich meinen Sohn, und dies Zeichen des Bundes war eine mächtige Kraft.

»Ich wäre sonst erstickt«, sagt Moses. Sein Blick ist finster.

»Wer hat dich angefallen?«

»Der Verkommene. Der Feind Evas, der Feind Adams.«

»Ist er auch jetzt hier?«, sage ich.

»Er wacht am Rand. Der Herr in unserer Mitte hält ihn ab davon einzubrechen.«

Die Zauberer, versteckt in den Zelten, rufen ihn an. Der Ruhm seiner Widerwärtigkeit blendet sie, die sie vor Stolz schwellen. Es heißt, dass sie auf ihre Stunde warten. Es heißt, dass sie auf einen dritten Aufstieg Moses zum Berge hoffen. Dann werden sie rufen: »Die Wahrheit unseres Wüstenführers ist nichts als ein großer Schwindel.« Sie werden rufen: »Wir sind an vielen großen Felsen vorbeigezogen, Moses blieb unbekümmert. Wir brauchen keine dritte Tafel der Gebote. Er hat es vollendet. Er hat Seine Worte leserlich gemacht.«

Jetzt sagt der Mann meiner Liebe: »Hüte dich vor ihnen. Sie sind im Stand der Rohheit, sie sind im Teufelsreich.« Sein Gesicht ist eine einzige Wunde, und verwundet ist er an seinen Lippen. Er knotet den Schurz, reißt abstehende Fäden von den Augenlöchern, dass er besser sehen kann.

»Geh zu Jetro, und gib ihm das«, sagt er. Er reicht mir einen Streifen Tierbalg.

»Willst du ihn verbannen?«

»Ich räche mich nicht.«

»Wird er zornig werden, wenn er deine Worte liest?«, sage ich.

»Es liegt an ihm«, sagt er und wendet sich ab. Er schaut auf unsere schlafenden Söhne, die unter Fellen liegen. Ich lege das Tuch auf mein Haupt und trete hinaus.

Tausend Zelte. Tausende Seelen. Alle Feuer sind erloschen. Die jungen kühnen Männer, leicht beflaumt, stehen Wache, von einer unbändigen Wut angespornt. Die Ferne schimmert. Es ist das Stiftszelt, Gottes Wohnung. Dort ist die unberührbare Stelle. In Silberfarben spricht der Herr. Er spricht in rotem Lehm, in Gesängen tobender Seelen. Er spricht in den Zungen der Schakale und in der Stummheit unserer Kehlen. Seine Geräusche sind hörbar für den, der dem sanften Zwang nicht widersteht. Im senkrechten Rauch ist sein Geist. Wer hineintritt, vergeht. Dies lehrte mich der verbrannte Moses, Mann meiner Liebe, in den ersten Tagen, die ich im Lager verbrachte. Und er lehrte mich: Die Männer, sie sind werdende Krieger, bald bereit zur Schlacht. Die Frauen, sie müssen im dichten Dunkel, wenn die Angst ihre Brust zuschnürt, Mut zusprechen ihren Söhnen.

Bin ich das Ebenbild meines Mannes? Das frage ich mich und wage aber selten den Widerspruch.

Vater Jetros Geflüster in seinem Zelt. Er bricht jäh ab und bittet mich einzutreten. Hat er mich gerochen? Hat er nur geraten? Mein Vater, der brechende keuchende Patriarch. Höchster Priester unseres Stammes ist er gewesen. Unter den Israeliten ist er der unbenannte Mann. Sein golddurchwirktes Gewand hat er dem Gesandten Gottes gestiftet, dass er es JHWH als Geschenk darbringe. Es wurde vom Herrn nicht angenommen, es war unheiliger Stoff. Jetzt nagt er an einer alten Wurzel, die wenigen Zähne schaben und raspeln. Ich lege das Tuch auf die Schultern, ich reiche ihm den Streifen Balg. Er liest ein Mal und ein zweites Mal, das ist seine Gewohnheit. Er sagt: »Ich soll erhören seinen Ruf und zerschmeißen meine Götter, die er Götzenbilder nennt. Sonst bin ich des Todes. Sonst bin ich in beiden Welten gleich schlecht.«

Der Herr hat den Mann meiner Liebe geschlagen mit einem rasenden Herzen. Der Palast in Midian, in dem Vater Jetro das Knie beugte vor Steinriesen, wird ein Schutthügel sein: Das hat Moses seinem alten Stamm versprochen. Die Herrscher aller Reiche, sie sind Könige der Toten. Wo wir lagern, ist das Gebiet des Herrn. Was wir tun, ist von Gott gewollt oder ungewollt. Was wir sind auf dem trockenen Boden, das bestimmt der Eine. Ich frage Vater, was ihn daran hindert, ein reiner Geist zu werden.

»Nichts«, sagt er, »mich saugt der an, den die Hebräer den Verkommenen nennen. Du hast von ihm gehört?«

»Ja, Vater.«

»Sind wir ein verstoßenes Geschlecht? Habe ich keinen frommen Mund? Die alten Bräuche hat gemordet dein Mann Moses. Die mit den Lippen Zauber trieben, sind erschlagen. Was möchte er? Mich, mich will er brechen.«

»Fällt es dir derart schwer?«, sage ich. »Du fürchtest doch nicht den Schmerz?«

Er könnte das Stück Haut hergeben. Er hat gelobt, dass kein Schermesser auf sein Haupt komme, so lange, bis das Heil ihn streift. Was müsste geschehen? Im wiederkehrenden Traum wird er zermalmt unter einem Berg, den der Höchste über ihn schweben lässt. Er saust herab, weil er schweigt. Wie deutet er den Traum? Dass er als Feind des alten Stammes gezeichnet wird, daran glaubt er fest. Eine Scherbe reißt in meiner Brust, ein jäher Schnitt, doch ich halte es aus. Ich halte es aus. Mein Vater hat sich gehärtet, wir alle sind ausgetrocknet. Ich warte so lange, bis ich in sein Schweigen hineinrage. Der Gesandte braucht keine Antwort. Es wird ihm eingegeben werden, ob Vater Jetro dem in Rauch gehüllten Einen folgen wird.

Mirjam steht an der Wasserstelle, das ist ein Riss im scharfen Felsen, er entstand durch einen Schlag mit dem Stock, den Moses vollführte. Doch der alte Stamm staunt nicht über die Wunder, er murrt über die Gebote. Die Nacht ist vergangen, das Licht dringt nicht durch. Moses Schwester Mirjam gilt als Prophetin, die Stätte der Offenbarung aber, das Zeltheiligtum, darf sie nicht betreten. Hier steht sie, gekleidet wie eine Wüstenschabe, in zerrissenen Flickenlumpen. Hier steht sie und schöpft Wasser wie eine niedere Magd. Gelegentlich schaut sie voller Furcht über die Schulter: Abseits vom Lager liegen in Sandkuhlen, in tiefen Löchern, die Männer, die Gräuel begangen haben. Sie wurden aufsässig. Es gibt Gerüchte, denen ich keinen Glauben schenke. Der Pharao ist in der Sturzwelle ertrunken. Sein verfluchter Leib verrottet auf dem Grund des Wassers. Er kann nicht geborgen und mit Duftsalben eingerieben werden, damit er ins Unterreich eingeht. Die Aufrührer hatten gerufen: »Der gerechte Gott schließt den nicht aus, der uns mit gutem Brot und gutem Fleisch belohnte. Du, Moses, bist ein grausamer Feindverschlinger!« Für diesen Frevel büßten sie mit dem Leben.

Ich höre und bleibe an Moses Seite, denn er liebt nicht das Gemetzel. Er wird in beiden Welten gepriesen. Wer den goldenen Thron besteigt als Menschengott, wird gefressen von den Fischen auf Befehl des Herrn. Wir halten uns fern von den Leichengruben. Die Toten sind zugeschüttet, es gibt keinen König, der sie beweint. Ich spüre Mirjams Furcht, die sie mit einem falschen Lachen überspielt. Ich begegne ihr ehrfurchtsvoll, spreche sie in freundlichen Worten an.

Sie zeigt auf den Himmel: Das Lager ist verborgen in einer großen Dunstwolke, unauffindbar das Volk Gottes, unauffindbar für die Krieger anderer Stämme. Wir sind verloren gegangen für alle, die uns aufspüren wollen. Mirjam sagt: »Deine Söhne, sind sie verkümmert?«

»Nein«, sage ich schroff, »beschwöre keine Krankheit.«

»Haben sie viel Wind verschluckt? Sie zerbeißen die Worte in halbe Laute.«

»Beide sind beschnitten«, sage ich, »beide sind mit Moses Mannestum beschenkt.«

»Sie gleichen dem Vater«, flüstert sie.

»Du bist mir nicht gut, Mirjam Prophetin.«

»Kennst du Balaam?«, sagt sie.

Frauen drängen zur Quelle. Wir weichen zur Seite. Sie schöpfen das Wasser, sie füllen die Schläuche, sie schweigen und lauschen.

»Ein böser Magier«, sage ich, »er stand im Dienste des Pharao.« Er diente ihm, besser als die anderen Giftmischer an seinem Hofe. Als Kind hat Moses nach der Krone des Pharao gegriffen. Da sprach Balaam: Ich weissagte, dass der König den Thronräuber aufzieht. Tötet diesen Jungen! Der Pharao beriet sich mit den anderen Magiern. Er ließ vor seinem Ziehsohn ein Kohlebecken aufstellen. Zwischen den glühenden Kohlen lag ein Stück Gold. Sie schauten auf das Kind, das geprüft wurde. Es steckte die Kohle in den Mund. Seither ist es zungenlahm.

»Es ging nicht auf meine Söhne über«, sage ich, »sie wuchsen in Midian auf. Sie müssen hier in einer anderen Zunge sprechen.«

»Die Zunge Gottes«, ruft sie, »tadelst du uns, weil wir uns von dir und deinesgleichen unterscheiden? Sind deine Söhne nach dir geraten?«

»Sie eint das Blut, im Blut ist die Seele«, sage ich.

»Ich könnte bekennen: Menschenscheu bin ich geworden, weil du und deinesgleichen mich die Geschwärzte schimpfst. Ihr erzählt: ›Die Nacht klaffte auf und gebar Moses zwei Söhne, und also sind sie Nachtgeburten.‹ Also sind sie Nachtpfützen. Ihr erzählt: ›Moses Brut keimte im Zwielicht, diese Kinder sind zwei dunkle Flecken …‹«

In mir funkelt ein finsterer Kern, der aus Groll besteht. Welche Mutter könnte ruhig bleiben, wenn man ihre Kinder halb geglückte Kinder nennt? Meine Söhne wissen von der großen Verleumdung. Seit sie und ich im Lager leben, behauptet das Volk, sei Gott dem alten Stamm nicht mehr gefällig. Die Wolke verdunste allmählich zu einem dünnen Schleier, der die Befleckten bedecke.

Zum Zeichen, dass sie mich verachtet, reibt die Frau hinter Mirjam die Handgelenke aneinander. Ich wiederhole: »Uns, Prophetin, eint das Blut, im Blut ist unsere Seele.«

»Wir sind Niemande, wir sind entbehrlich«, sagt sie.

»Wessen Weib bin ich, Mirjam? Wessen Söhne sind meine Söhne?«

»Rührt er dich denn noch an? Ich glaube nicht. Du bist die Tochter eines Priesters, der dem fauchenden Abgott diente.«

Die Hohnworte der beistehenden Frauen prasseln auf mich nieder: hündisch lauernde Buhle, kalte Männin, Weib, das Gott umwerfen will, Weib, das den Wüstenführer verlockt.

Ich fülle die Krüge. Böse Flüche füllen ihnen die Kehlen. Mein Name erlischt, aus diesem Leben werde ich genommen. Ich tauche die Hand in den Krug und wische das Wasser über die Stirn. Es fährt jäh ein Wind hinein in die Weiberschar, die Frauen zerstreuen sich zischend.

Aaron, Moses Bruder, kommt aus dem Haus der Heiligkeit, sein Antlitz blank und ohne Wunden, mächtiger heftiger Mann, im Licht des Herrn, ein rächender Eifer ist ihm eingegeben. Er trägt die Spur der schimmernden Ferne, des Lichts, das in der Ferne glüht. Ich danke ihm, der die Spötter gebrochen hat.

»Moses ist sanftmütig«, sagt er, »der Stock in seiner Hand müsste auf Köpfe sausen. Er wurde nicht durch das Los gewählt. Gottes Geist hat ihn begabt. Jetzt bedrängen sie ihn und dich.«

»Meines Mannes Schwester, Mirjam«, sage ich, »sie sieht an mir einen großen Makel.«

»Habt ihr euch gezankt?«

»Ich hüte mich vor Zank.«

»In ihr ist keine Bosheit«, sagt er.

»Gern folge ich der Prophetin«, sage ich, »wenn sie es zulässt.«

»Früher, in Ägypten, suchten wir in den Gebüschen nach Schlangen. Ein Biss brachte den Tod. Wonach suchen wir, da wir rasten und weiterziehen, rasten und aufbrechen? Alles, was da draußen ist, hungert nach uns.«

»Ich verstehe dich nicht, Aaron Prophet.«

»Viele von uns sind kalte Tiere«, sagt er, »narbennasig, zu Tode erschrocken.«

»Aber nicht Mirjam«, sage ich.

»Hunger und Kummer zehren an ihr.«

»Ja, Prophet.«

»Was willst du mich noch fragen?«

»Wie lange noch dauert die Wanderung?«, sage ich.

»Priestertochter aus Midian«, sagt er laut, »bist du aus sündigem Samen gemacht? Bist du dürr im Geist? Mach dich nicht schuldig!«

Die vollen Krüge werden schwer und schwerer in meinen Händen. Der Angstschweiß rinnt mir in die Augen. Ich erinnere mich an meine Unterweisung am ersten Tage meines Lebens im Lager: »Es ist gut, bezwungen zu werden, von dem Einen und Seinem Gesetz. Lerne, dass es richtig ist: Das Weib Zippora aus Midian wird zernichtet, ihr Wohlstand ist zerronnen. Zippora, Weib des Moses, von Gott geführt, ist neu entstanden. Diese Worte sollen eingehen in deinen Leib.« Ich erinnere mich und beuge das Haupt. Aaron verbietet mir, das zu verkehren, was Schrift geworden sei. Will ich mich um meinen Gewinn bringen?

»Nein, Prophet«, sage ich.

»Du weißt um die Toten in dieser trockenen Erde?«, sagt er.

»Sie kümmern mich nicht.«

»Ein geschändetes Grab war eines jeden Mund. Jetzt liegen sie in ihren Gräbern. Der Verkommene beleckt ihre offenen Augen. Wir Lebenden fragen uns, wenn wir eine Aasfliege sehen: Worauf hat sie sich gesetzt? Auf Unreinlichkeit. Auf das feuchte Lendentuch. In der Sünde stirbt der Leib. In der Sünde sind sie zweifach gestorben. Die große Fliege beleckt diese Toten, und sie können die Augen nicht schließen. Vergiss das nicht, Weib meines Bruders.«

Kraft ist mir gegeben, Kraft ist mir genommen, ich werde bestehen für Gerschom, den ich auf dem Weg beschnitt, und für Elieser, den Aaron weihte in der Wüste. Ich weiche vor ihm, dem Wortlehrer des Volkes. Die Schnurzipfel seines Haupttuchs verfangen sich an seinem Bart, er wischt die Schnüre aus dem Gesicht. Er lässt mich gehen ohne eine weitere Mahnung.

Zwischen den Zelten sitzen die Frauen und Mädchen an den kleinen Feuern, sie rühren in Töpfen. Mit dem Wasser in den Schläuchen könnte ich zehn Feuer löschen. Ich könnte rufen: »Seht her, womit der Herr mich begabte! Ich beschere euch kalte Pfannen und kalte Räucherpfännchen! Mit der Nadel meiner Silberspange könnte ich Löcher reißen in eure Röcke, die ihr nicht nähen könntet. Denn es wären midianitisches Silber und midianitische Worte, die den Stoff zerfetzten!«

Mir ist verboten, die Sprache meiner Mädchenkindheit zu sprechen. Elieser, meine Zweitgeburt, lernte einen Zauberspruch bei Vater Jetro. Zur Strafe musste er fasten im südlichsten Zelt, ausgesetzt dem Geflüster der Schlangen und der Hyänen. Sie folgten uns. Sie wollten Elieser aufreißen und sich einrollen auf seiner Leber. Er schweigt seit seiner Rückkehr, die Tage im Bußzelt haben ihn gehärtet. Der Geschmack am Gesetz kommt über den Gebrauch, lehrt Moses. Hat mein schweigender Sohn Geschmack an den Geboten gefunden?

Es ist heiß im Zelt. Ich fülle eine Schüssel mit klarem kaltem Wasser, Elieser trinkt und trinkt. Ich erzähle ihm, der am Boden kauert, von den Frauen mit Wohlgeruch. Von ihren Haarspitzen tropft Duftharz und hinterlässt eine Spur aus kleinen Sandklumpen, das ist das Alphabet der Ameisen und Käfer, das ist der herabgeperlte Schweiß der Luftgeister, die uns Kühle an die Schläfen fächeln. Von der Tochter des Mannes, der in Ägypten behänd Ziegel stach und dessen zwei Finger der Aufseher aus Neid brach.

»Seine Tochter will jedes Mal, wenn sie mich sieht, dich an meiner Seite entdecken. Sie könnte vor Gram bald erblinden. Sie könnte glauben, dass du dich im tiefen Schlaf verloren hast! Du hast mit ihr gesprochen, das war, als der alte Stamm das zwölfte Mal das Lager aufschlug. Sie vermisst dich. Sie kämmt sich für dich. Sie kleidet sich mit dem besten Rock, den sie besitzt, für dich. Schmeckt dir das Gesetz bitter am Gaumen?«

»Nein«, sagt er leise.

»Endlich brichst du dein Schweigen. Was ist mit dir, Elieser?«

»Am zweiten Tag im Bußzelt … da kam einer der Neffen von Korach, verflucht sei sein Name.«

»War es Bechorat?«, sage ich.

»Ja. Es war Bechorat«, sagt er, »bewehrt mit einer Riemenpeitsche und mit einem Messer. Er sprach: ›Ich bin hier, um mich zu rächen an dem Tod meines Onkels. Ich habe die Klinge am Wetzstein geschärft.‹«

»Du hast mit ihm gerungen und ihn besiegt.«

»Nein, Mutter«, sagt er, »ich habe ihm die Kehle dargeboten wie das Brandopfer.«

»Er ließ dich am Leben. Warum? Wegen deiner Sanftmut?«

»›Ägypten hat sich geleert, wir sind ausgezogen, seitdem brennen wir und brennen.‹ Das waren Bechorats Worte.«

»Er wiegelt dich auf«, sage ich, »er macht dich zum Messer wider deinen Vater.«

»Mein Vater zieht an tausend Kälberstricken«, sagt er, »und tausend Kälber folgen dem Propheten.«

Korach, der schlafende Götze. Der reichste Mann der Hebräer, sein Besitz wurde beim Auszug auf die Rücken von siebzig Maultieren geschnallt. Sein Gold, sein Geld, seine Söhne, sie haben ihn nicht vor dem Tod bewahren können. Zu seinen Lebzeiten sprach man: »Korach, der hohe Herr, wollte die ganze Welt fressen. Er hat ein großes Maul, es wird ihm gelingen. Gebt ihm zehn Jahre, und er stößt den Pharao vom Thron und herrscht fortan über Ägypten.« Nun verwest er in seiner tiefen Sandhöhle. Und er flüstert den jungen Kriegern seiner Sippe ein, dass Moses mit Feuergewalt zu bändigen sei. Der tote König Korach schickt seine Meuchler aus.

Ich sage: »Warum hat er dich nicht erstochen?«

»Ich weiß es nicht«, sagt Elieser.

»Wirst du dich mit ihm treffen?«

»Hunde kleiden sich in Schäbigkeit«, ruft er, »ich bin kein Verräter.«

»Prophetensohn Elieser, das bist du, nichts anderes bist du«, sage ich, »dein Onkel Aaron ist Prophet, deine Tante Mirjam ist Prophetin. Diese Macht bekämpfen sie.«

»Wer?«

»Korachs Sippe. Der Verkommene. Jene, denen ich missfalle, weil ich schwarzhäutig bin.«

Die Leichen sind Behältnisse, sie werden gefüllt mit bösen Wünschen. In höhlendunklen Zelten halten allnächtlich die Magier Wache. Sie sprechen: »Verehre ich das Gefäß? Oder verehre ich die Kraft, die dies Gefäß füllt?« Sie machen aus den Leichen Helden. Sie machen aus den Gräben und Gräbern Tempel. Sie träumen von Blut und Ruhm. Der Traum ist der Boden, dem Bitternis entwächst. Der Traum ist das böse Ägypten, das die Alten und ihre junge Brut lockt und lockt. Sie brechen das Brot in kleine Happen, werfen sie auf den silbernen Teller, lesen aus der Stellung der Stücke den Tag der Rückkehr. Wie wird sie der Nachfahr des von Gott ertränkten Pharao empfangen? Wird er in eines jeden Mund einen Klumpen Gold legen? Wird er sie beschenken mit Brustleder und Beinschienen? Der Mann meiner Liebe spricht: »Wer Götzen verehrt, hat Tierblut in den Adern. Wer sich nach alter Sklavenherrlichkeit sehnt, hat keinen Verstand.«

Ich tue alles mit kleinem Geschick, ich lasse nicht nach. Ich schaue ihn an. Elieser sitzt mit überkreuzten Beinen nah an der Zeltklappe, er blickt blind durch eine Ritze hinaus. Ich kämme das Haar meines Sohnes in langen Strichen, das Haar, das ihm in die Rinne zwischen den Schulterblättern fällt. Er hat kupferfarbene Haut, und wie Kupfermünzen leuchten seine Augen. Wir durchstreifen dies Land, er wird auf einem anderen Boden heimisch werden. Er genügte dem Brauch der Büßer, doch ihn überfiel Korachs Brut. Er möchte nicht träumen. Der Gottesrausch seines Vaters ist ihm unheimlich. Er gleicht dem Fellhaar, das der Wüstenwind ins Gestrüpp geweht hat. Am Himmel kreisten zu Mittag Totenvögel: Der Verkommene ist im Fluch, es ist sein Handwerk, uns zu bedrängen.

»Sehnst du dich auch nach der verlorenen Üppigkeit, Elieser?« sage ich.

»Ich habe nicht unter dem Pharao gelebt«, sagt er.

»Männer erzählen dir keine Geschichten aus der Zeit?«

»Kein Mann in meinem Alter kennt dies Leben. Unsere Väter waren allesamt Diener, in den Augen der Ägypter galten sie weniger als Vieh.«

»Dein Vater war der Ziehsohn des Königs«, sage ich.

»Erst verließ er den Palast«, sagt er, »dann verließ er mit dem alten Stamm das Land.«

Das ist auch meine Geschichte, mein Erstgeborener und meine Zweitgeburt wollen sie nicht hören. Sie fiebern und sie sind erschrocken über die kommenden Gemetzel. Zeruja, die Tochter des Ziegelstechers, taucht jeden Morgen ihre Finger ins Salbgefäß, schaut in den Spiegel aus poliertem Silber: Sie sieht darin das Gesicht der Frau Eliesers. Sie ist jung, ihre Schwestern spielen mit Lumpenpuppen. Doch Zeruja gleicht dem Strudel eines tiefen Wassers. Zwischen Rücken und Bauch sitzt ihre feste Seele. Elieser steht jäh auf und verlässt das Zelt. Er braucht keinen Beistand, um Bisse und Stiche zu überleben. Die Einöden locken ihn. Er sieht Rauch über den Gebieten, die wir Feindesland nennen. Ich muss meine Zunge zähmen, dass ich die Männer meines Zeltes nicht vergraule.

Auf einer kahlen Anhöhe wird ein Gerechter bestattet, der nach einem Schlangenbiss aufquoll und starb. Neben der Hand des Toten stehen eine Schale mit Wasser und eine Schale mit Körnern in Wein. Sein Leichenkittel ist fadenscheinig. Eine Kette aus Kalksteinsplittern liegt ihm auf der eingefallenen Brust. Ein Ältester aus der Sippe Korachs hält einen Stab aus Nilpferdzähnen hoch, zeichnet einen Kreis in die Luft. Zum Zeichen des Kummers haben die Frau und die Söhne des Toten die Gesichter geschwärzt: schwarze Masken aus Fleisch. Sie treten vor zur Segnung. Der Älteste ruft seine blinden Diener, das ist das Bild, das ich sehe. Ich taumele zwei Schritte zurück. Ich sage: »Es ist mir, Moses Weib, befohlen, es ist meiner Zunge befohlen, dass ich euch warne. Ihr sollt ablassen von ägyptischen Bräuchen. Ihr sollt sprechen ein Gebet der Ergebenheit.«

»Schweig!«, ruft die Witwe.

»Wer bist du, dass du uns befiehlst?«, sagt der Älteste, »bist du erhoben in unserem Stamm, Schwarzhäutige? Scharfe Tatzen hast du. Zum Schwanzstummel ist dir der Steiß gewachsen.«

»Deshalb bedeckst du deinen Rücken mit wallendem Stoff.«

»Warum bist du bei uns?«, sagt die Witwe.

»Dein Mann war ein Gerechter«, sage ich leise.

»Schickt dich der Prophet? Schickt dich sein Gott?«

»Die Macht ist erschienen im Stiftszelt«, sage ich, »er wurde geweckt und gerufen.«

»Verrate mir doch, Weib des Führers«, ruft der Älteste und lacht auf, »was ist unser Glaube?«

»Wir glauben ohne Bildnis.«

»Der Bund ist uns verheißen, nicht dir. Du bist aus Midian, dem Land der Nachkommen Kains. Eine Männin kann nicht ihre Hände dem Herrn weihen. Eine Männin des Feindesstammes Midian kann nur den Boden entweihen, auf dem sie steht und geht. Du ringst um einen Rang, der dir nicht zusteht. Dieser Gerechte ist mein Blut, du bist es nicht. Schweig still! Sonst ritz ich dir mit diesem Stab ein Mal in die Stirn.«

»Ich spei vor dir aus«, sagt Gerschom an meiner Seite, »dein Name werde zermahlen im Maul des Verkommenen …«

»Halbbrut, nimm deine Mutter und scher dich fort!«

»Wir ehren den Gerechten«, sage ich.

»Er ehrt euch nicht«, schreit die Witwe.

»Lehm ist er gewesen, Lehm ist er geworden«, könnte ich rufen, doch ich schweige und stehe neben meinem Sohn. Die Witwe weiß: Die Totenspeise in der Schale ist Lästerung. Wen will sie speisen? Ihn, der keinen Bissen zermahlen kann. Wovor soll ihn die Splitterkette schützen? Die in Stein gehauenen Gottheiten Midians und Ägyptens sind Schlamm der Unterwelt. Ein Götze erbricht den nächsten Götzen. Keine Opfergaben. Kein Weihrauch auf dem Opfertisch. Kein Priester im Pantherfell, der die Sklaven wie Hunde von der Schwelle scheucht. Sieht sie es nicht, diese Frau aus der Gefangenschaft? Jetzt reibt sie Ruß vom Gesicht auf den Handrücken, sie sagt: »Leicht ist es, dir zu ähneln. Leicht ist es, mich zu waschen. Dir aber ist Reinheit verwehrt.«

»Verfluche mich nicht«, sage ich, »der Fluch fällt auf dein Blut zurück.«

»Sie droht mir, das darfst du nicht dulden«, sagt sie zu dem Ältesten.

Er greift zu einem Stein zu seinen Füßen und wirft nach mir, der Stein trifft mich hart an der Wange. Ich taumele, ich falle, Gerschom hält mich. Der Älteste buckelt, als habe man ihn in die Enge getrieben. Der Älteste schreit wie ein Blinder in Bedrängnis. Aus seiner Brust ragt die Spitze eines Eisendorns, sein Fleisch klafft auf, Pinhas zieht die Lanze mit einem Ruck aus seinem Rücken und stößt ihn auf den Leichnam.

»Wer wagt es?«, ruft er, »wer erhebt sich über Moses Weib Zippora? Wer will mich einlullen mit dem Gerede der Vorfahren? Der Mistkäfer, der eine Dungkugel rollt, ist weiser als ihr. Der Menschengötze ist gefällt. Mindert eure Schande und sprecht das Gebet.«

Die Lanze in der Linken, das Schwert in der Rechten, der Führer der Krieger lauscht, sie beten: »Herr, der Höchste, Lehm ist er gewesen, Lehm ist er geworden, nur Dein Atem ist in ihm gewaltig. Lehm sind wir, dein Atem in uns ist lebendig. Schütze ihn vor dem Verkommenen. Schone ihn, wenn Du Gericht hältst. Schenke ihm Grabesruhe. Herr, der Höchste, ewig und ohne Schwäche.«

Pinhas reißt die Kette vom Hals des Toten, er führt uns aus der Höhle hinab ins Wüstental, und während mir das Gesicht zerfließt vor Blut, spricht er mit donnernder Stimme: »Rückkehr ist unmöglich, dies ist der Gang mit Gott, wer wagt es, wer will sich von uns trennen? Die Wahrsager haben vor Angst feuchte Achseln, denn ich bin der Mann, der die Eisenlanze stößt, der die bösen Augen aussticht. In den Kornkammern Ägyptens hausen die Ratten, in den Totentempeln stapelt sich das Aas, und doch schreiben die Knechte des neuen Pharao, mit der Binse auf die Palette, dass der König mächtig sei, dunkle Wirbel auf die Sonne zu zaubern, und die Zerlumpten in meinem Stamm fragen: ›Stimmt es, dass man in seinem Reich Affen im Hause hält?‹ Sie fragen: ›Stimmt es, dass man im Schatten der Palmenhaine in Wein getränkte Beeren isst? Stimmt es, dass die freien Frauen Alabasterpulver aufs Gesicht streuen, dass es sich straffe?‹ ›Wer wagt es‹, rufe ich, Pinhas, und möchte sie zertreten, sie erinnern sich an die Stühle mit den gedrechselten Stierhufen, haben sie darauf gesessen, ihre Väter waren Knechte, geringer als Ziegelstaub, sie kennen dies Leben aus den Fabeln, und doch flüstern sie: ›Ich erinnere mich.‹ Wie sie doch alle träumen von Üppigkeit, Besitztum ist Trug, das lehrt mein Lehrer Moses, erhoben vom Herrn, wir brauchen keine Graphitschreine, wir brauchen keine Priester, die mit der Mittelrippe des Palmwedels Götzengeraune niederschreiben, überall im Land ein Leuchten, sehen sie das nicht, ich komme über sie, denn ich bin Moses Zorn in der Gestalt eines Kriegers, er hat sie gewarnt vor Magie, und was machen die Zerlumpten, sie greifen Staub von der Fußspur des Gesandten und streuen ihn in den Wind, wer wagt es, bald wird die Ferne schwinden, bald wird der Himmelsstrich schmelzen, das ist dem Stamm versprochen, und du, hohe Zippora, die du nicht ihre Hochgesänge anstimmst, dein Stamm in Midian ist aus Inzucht entstanden, doch du bist gereinigt, du bist bei uns, du weißt es, sie wissen es nicht: Wir haben uns erhoben …«

Gerschom fällt ihm in die Rede, er sagt: »Nimm mich auf in die Schar deiner Krieger, Herr.«

Ich falle im Zelt auf die Knie, ich weine still. Wird meinen Sohn das erste Bogengeschoss fällen? Wird er mir genommen, weil der Herr die Erstgeborenen an sich reißt, weil Er sie mit Seiner Liebe sengt? Wer trifft ihn im Genick, wer schlägt ihn mit Fäusten nieder?

Wird ihn die brausende Macht anfallen, wie sie es tat bei seinem Vater? Dies ist keine Landschaft, die Feinde liegen im Hinterhalt, außerhalb des Dunstes, der uns verbirgt. Alles vertan, wir sinken herab.

Ich schaue auf: Im Eingang steht Moses, unerbittlich, makellos. Im letzten Licht des Tages flammt er auf. Sein Gesichtsschurz ist schweißgetränkt. Im Krug habe ich verschlossen ein bitteres Gewürz, er bricht das Siegel, streift ab eine tiefe Fingerspur, streicht es auf die Zunge. Bitternis in seinem Mund, und doch kann er freier sprechen. Ich will ihm den Schurz aufknoten, er weicht ins Dunkel.

»Ich habe deine Füße mit Blut berührt«, sage ich.

»Was sprichst du wieder davon?«

»Meine Zweitgeburt durfte ich nicht bei seinem Namen rufen, ein Jahr lang. Wir schützten ihn. Er sollte nicht angefallen werden von einem Helfer des Verkommenen.«

»Elieser«, sagt Moses.

»Hier knurren die Mägen meiner mageren Söhne«, sage ich.

»Was der Stamm leidet, leiden wir auch.«

»Gerschom hat sich Pinhas angeschlossen. Elieser grollt dir.«

»Meine Feinde umstellen ihn«, ruft er, »sie sprechen: ›Einst wuchs uns das Unsere unter den Stauden, unter den Wurzeln. Was wir aus der Erde herausschlugen, war essbar …‹ Verliere ich ihn an meine Feinde?«

»Er verrät dich nicht, niemals.«

»Wenn er den Herrn verlässt, führe ich ihn vor das Auge des Volkes«, sagt er, »ich gebe ihm Galle zur Speise.«

»Mein Sohn widersteht«, sage ich.

Er spricht: »Nicht Elieser, noch Gerschom wird den Stamm nach mir führen, das hat der Herr mir eingegeben.« Er spricht mahlend, als brannte die glühende Kohle in seinem Mund. Die Brunst schwächt, er schmiegt sich nicht an mich, ich bin ihm bedrohlich und verboten. Er sagt, dass sein heißes Blut nicht mir gehört. Bin ich ein Tier? Ängstigt ihn die Schmalheit meines Gesichts, dass er meine Nähe meidet? Ich habe mich von meiner Wurzel gelöst, das ist eine meiner Taten. Ich habe aufgehört, zerstoßenen Kupferspat auf die Augenlider zu reiben, das ist eine meiner Taten.

Als Priestertochter stand es mir damals zu, eine Perücke mit aufgesetztem Harzkegel zu tragen, er schmolz und zerfloss. Midian übernahm den Brauch der edlen Ägypterinnen. Ich legte ab die Perücke, ich trug kein teures Gewand, ich schwor ab der Art und Sitte der Edlen der Paläste.

Das ist eine meiner Taten. Ich töte den Hunger. Ich töte meine Neugier. Ich töte meinen Hass. Die Feinde im Lager, in den Zelten in der Nachbarschaft, verfluchen jeden midianitischen Mutterschoß: Sie sind blutfeuchte Flöhe, sie können mich nicht kränken. Der Mann meiner Liebe trägt einen Lendengurt um die Lenden, dass er sich schütze vor mir bei Tage. Ich achte es nicht, das ist eine meiner Taten. Kälber und Tauben, Silberbarren, hohle Elefantenzahnspitzen, gefüllt mit Weihrauch und Räucherharz. Steckkämme mit langen Zähnen: Ich hinterließ sie den Dienerinnen im Tempel. Was gewann ich? Einen gesichtsverhüllten Gesandten, krumm von der Last, betend und bebend, ins andere Land entrückt, das er Gottes Gegenwart nennt. Ich festige ihn, er lässt sich von der Macht erheben.

In der Stille und der Dunkelheit des Zeltes erzählt er: »Ich habe zurückgeschaut, vom Ufer aus, wir hatten die Wasserschneise durchschritten, ich schaute zurück auf den Mann, der mich aufgenommen und zum obersten Höfling gemacht hatte. Die Männer und Frauen meines Stammes waren Knechte unter ihm. Von Aufgang und Untergang der Sonne haben sie Lehm zu Ziegeln geknetet. Wofür? Für die Tempel des Gottkönigs. ›Herrenhuldigung, niemals!‹, das schrie ich seiner Schwester Bithiah ins Gesicht. Dann. Dann, nach all den Jahren … dann begann es. Ich hob den Stab in die Höhe, der starke Ostwind fuhr ins Wasser, das sich teilte. Wir zogen durch die Furt. Ich stand am Ufer, dankbar dem Einen Heiligsten. Ich schaute auf den Pharao. Er stieß die Lanze in die Sturzwoge, die ihn verschlang. Aller Glanz erlosch, die Verwüstung war vollkommen. Dann …«

»Was dann, Moses?«, sage ich.

»Seine offenen Augen … der Gottlose bereute im Tod.«

»Wird ihm verziehen?«

»Er war hochmütig«, ruft er, »leg an das Festgewand. Folge mir.«

Die Häupter der siebzig Sippen stehen in einer Reihe, sie blicken auf das Heiligtum, in das der Herr eingezogen ist. Moses tritt vor den ersten Ältesten, er legt die Hand auf den Scheitel des Mannes, er sagt: »Geweiht dem Höchsten. Du sollst das Böse aus unserer Mitte wegtun.« Der Älteste fällt auf die Knie. Moses schreitet zum nächsten Sippenhaupt.

Die Krieger aus Korachs Rotte lauern am Rand. Ihr totes Oberhaupt ist geächtet, seine Seele ist geächtet. Ließe man ihnen ihren Willen, sie würden Pinhas bei lebendigem Leibe häuten. Doch der Führer der Schar schützt Moses Rücken. Ich sehe Gerschom in seiner Nähe, zwei Messer am Gurt, die Stirn geschwärzt, er hat sich gezeichnet mit dem Mal des bewehrten Streiters. Das ist die Stunde der Entzweiung. Die einen nehmen an das Leben für Blut und Ruhm, sie schwächen die anderen, die in das alte Leben sinken. Ich will den Mann meiner Liebe nicht beschämen, deshalb habe ich mich unter die Frauen gemischt. Wir stehen abseits von den Männern. Moses schreitet die Reihe ab, hundertvierzig Knie im Sand. Siebzig Weihungen. Siebzig Blicke. Die Mütter und Töchter entzünden zur Feier Lichter. Der Geist, der auf die Ränder des Lagers ausgewichen ist, wird aus siebzig Wunden bluten. Ich zucke zusammen, als mich Mirjam berührt. Sie spricht: »Wir sind gesegnet.«

»Prophetin«, sage ich und gehe einen Schritt zur Seite.

»Licht erhellt uns«, sagt sie, »denn diese Männer werden erhoben.«

»Ich sehe nur Frauen, die brennende Scheite schwenken«, sage ich.

»Sie erleuchten die Nacht, dass wir den Geist schweifen sehen.«

»Der Herr braucht die kleinen Flammen nicht.«

»Ist Er dir erschienen?«, sagt sie und lacht auf, »hat Er dir den Schmerz der Sterblichkeit genommen? Bist auch du mit der Seherei begabt?«

»Nein, Prophetin«, sage ich und wende den Blick ab. Der heiße Wind beißt mir in die Augen.

»Und doch«, sagt Mirjam, »birst dir die Brust nicht vor Freude. Weshalb?«

»Die Ältesten haben Enthaltsamkeit gelobt«, sage ich, »wenn diese Frauen nachts die Vereinigung wünschen, werden die Männer sie schmähen. Es gibt keinen Grund zu feiern.«

»Wir gleichen nicht euch«, sagt sie hart, »man muss uns nicht mit dem Viehstachel zähmen, dass wir die Lust besiegen.«

Es friert mir das Gotteslob am Gaumen. Mirjam hält den Scheit an die Fackel in der Hand der Mutter Zerujas. Im Flammenschein steht Vater Jetro, die Leihgabe eines anderen Königtums. Bald wird er vernichtet, bald ist er verschwunden. Eine Windgestalt in der Nacht der Leuchten. Er betet, er schwankt auf den Fußballen, er betet. Älter als unsere Sünden ist die Welt. Vater Jetro betet um seine Heimkehr in die ungestörte Düsternis. Ich bange um meine hungrigen Söhne. Sie haben verstanden und bekennen: Der Herr ist kein Wesen, das tastbar ist. Gerschom und Elieser, Mirjam liebt sie, denn ihre Herzen brennen wie glühende Kohlen. Was aber hasst sie mich? Es sprudeln keine Lügen aus meinem Mund. Ich scheide das Reine vom Befleckten, ich übertrete nicht das Gesetz, ich bin kein Freund der Welt. Der alte Stamm erregt sich vor Bitterkeit bei meinem Anblick.

Es ist vollzogen. Die Ältesten sind erwählt, die Krieger bringen brennenden Weihrauch in den Räucherpfannen als Opfergabe dar. Jammer und Jubel der alten Zeit sind überwunden, das Joch ist abgeworfen. Der Himmel ist frei gefegt vom Nachwuchs des bösen Engels, die Gerechten sind geschützt. Die Frauen, die Alten, die Kinder: Sie schwenken Stöcke mit bunten Fetzen, Freudenbänder, verblichene Fahnen. Die Söhne und Töchter Korachs, des maßlosen Mannes, den Pinhas mit einem Stoß durchbohrte, blicken mich an. Sie sehen mich als den wahren Mörder. Ich wende mich ab: Geschrieben auf die Tafeln sind die Gebote, Wort für Wort. Der Leib ist mir eine fürchterliche Enge, ich fliehe. Der Verkommene gibt mir Gedanken ein: »Die Ältesten sind Moses Hofstaat. Bald wird er sich mit den Herrschaftszeichen Pharaos, mit Krummstab und Geißel, schmücken.«

Ich spüre die Fallwinde und schaue hoch: Es regnet Taumolke auf unsere Scheitel. Zehrung, ein Geschenk des Herrn, herabfallend ohne Laut und Wirbel. Ich stimme das Gotteslob an und greife nach dem Himmelsbrot am Boden. Wo sind meine mageren Söhne? Zwischen den Zelten, abseits vom jauchzenden Volk, finde ich Zeruja, die ein Stück vom Manna rupft und auf Eliesers Zunge legt. Beschäme ich sie, wenn ich mich ihnen nähere? Sie hat mich entdeckt, sie kommt mir entgegen, mein Sohn folgt ihr, er spricht beim Kauen Dankesworte.

»Was ist das?«, sagt Zeruja und zeigt auf das Manna auf ihrem Handteller.

»Tauflocken, die erst im Mund zerschmelzen«, sage ich.

»Was ist das wirklich?«

»Die am alten Leben hängen, glauben: Es sind getrocknete Lotosknospen. Ich hörte den Schmied, den Gerechten, sagen: ›Es ist verdicktes Engelsgespei.‹«

»Fabeln«, ruft Elieser.

»Die alten Frauen erzählen eine andere Geschichte«, sage ich, »die Urmutter Eva hat im Kessel Milch aufgekocht, im Garten in Gottes Nähe, kurz vor der Stunde der Vertreibung. Die Milch ist geronnen und verflockt. Tausend Jahre blieb die dicke Milch im Kessel. Jetzt streut sie über uns der Herr aus Gnade.«

»Ich hörte von einer dunklen Geschichte«, sagt Zeruja, »die Seelen, die ins Gottesreich eingehen, verletzen sich. Was wir essen, ist der Schorf ihrer Wunden.«

»Nichts als Fabeln«, sagt Elieser.

»Und was ist wahr und nicht erfunden?«, ruft Zerujah und hält das Gottesbrot hoch, »wir pflücken es nicht vom Strauch. Wir streifen es nicht ab von der Borke. Wir kratzen es nicht vom Fels. Es fällt zwischen die Zelte auf das Land …«

Sie stimmt eine Beschwörung an wie ein Kind. Sie wird reifen. Ich blicke auf die Männer, die das Manna wie Beutestücke gierig in den Beutel tun. Bärtige Saatvögel. Der Mann meiner Liebe, der sein Brandmal mit dem Geschichtsschurz bedeckt, hat die Ältesten gezählt und genannt. Es kümmern ihn nicht prasselnde Wüstenbrote, er wendet sich ab. Ich gehe zu ihm, ich sage: »Wer will dich umwerfen? Den Schmutz des Leibes hast du gewaschen. Rein atmest du. Wer will dir das glühende Wort in deinem Mund löschen? Du bist mein Blutbräutigam.« Er spricht: »Bis der vierte Schweiß trocknet, muss ich hier wachen. Ich wehre den Verkommenen ab. Er streift den Saum der Siedlung. Nimm die Söhne und geh ins Zelt, Zippora.«

Er bittet mich, ich erfülle seinen Wunsch. Schön ist er im Schmerz, schön ist er, wenn er mich bei meinem Namen nennt. Gerschom und Elieser folgen mir ins Zelt. Ich breche Gottes Brot in Stücke. Ich fülle die Tonschale mit Wasser. Sie essen und sprechen von den dünnen Furchen im Sand. Sind es Abdrücke? Sind es Zeichen, die die Abergläubischen mit zitternden Fingern gezeichnet haben? Die Lügner dichten ihnen Halbheit an. Sie sind nicht schlechtes Blut, sie sind mein Fleisch.

Heimlich. Nicht hastig. Von einer Schattenpfütze in die andere. Vorbei an den Bruchsteinen, die gespalten und verwittert sind. Ich gerate nicht in das Unlicht, mit dem sich der Verkommene tarnt. Hinter mir der brennende Dunst. Ich höre Geheul, die Leere beißt. Ich höre die Schreie der versengten Kehlen. Mein Herz rührt sich, doch ich fliehe nicht. Keine Erscheinung stellt sich mir in den Weg. Ich sehe: grob abgezogenes Fell an einer Stange, Lockaas für Fliegen und Getier. Ich sehe: Die Krüppel und die Verfluchten, hinkend, stürmend, stürzen auf das Aas, reißen es herunter, heulen Laute. Fast kehre ich um, fast sprengt es mir die Brust.

Fünf Schritte, zwölf Schritte, dann stehe ich vor der Reisiglaube mit Wänden aus rissigen Tüchern. Ich trete ein, ich sehe: ein Schrecknis, milchweiß gefleckt, ihr Angesicht, an den Wimpernspitzen gespießter getrockneter Schlafseim. Die Prophetin, durch den Fluch aus dem Mund des Gesandten gebleicht. Ihr ist der helle Tag in eine finstere Nacht umgewandelt. Ihre Schultern sind voller Flecken, Flechten und Grinde. Sie zupft an einem Lumpenbündel, ich setze mich ihr gegenüber. Sie spricht: »Die Wunde an deiner Wange ist verheilt.«

»Ja, Prophetin«, sage ich und stelle die kleine Schale mit Trockenbeeren auf das Bündel.

»Es ist mir zum Ekel geworden, das Manna, und der Sand, und bei Tage der Himmel, der wie ungemünztes Silber blendet«, flüstert sie.

»Iss von den Beeren, Prophetin.«

»Meine Zähne brechen beim Kauen. Ich werde sie später im Mörser zerstampfen.«

»Es ist schlimm«, sage ich.

»Ja, das ist es. Ich speie das Manna aus vor Ekel. Ich höre meine Haare. Ich höre, wie sie sich vor Ekel von der Kopfhaut lösen.«

Sie schweigt, und ich teile mit ihr die Stille. Die Aussätzigen sind das Volk hinter Gottes Rücken. Sie haben die Farbe der Sünde angenommen. Sie riechen nach Lehm ohne den Atem des Höchsten. Das Volk ohne Helligkeit. Es gilt als unter jedem Rang und unter jeder Würde. Zum verdammten Volk gehören die Fallsüchtigen. Die Scheeläugigen, die vor Neid zerspringen. Die Männer, die jauchiges, blutiges Wasser schwitzen. Die Aufsässigen, die das Gemetzel überlebten. Sie sind die Überbleibsel des Mordes, der Zerstückelung, mit einem Daumen hängen sie am Leben. Sie sind auf Lebenszeit verbannt. Stapelte man sie alle übereinander, wären sie ein himmelhoher Menschenturm. Der Turm würde einstürzen, weil ihre Nasen und Zehen und Finger und Ohren abfielen. Sie taugten nicht zu Sprossen, und nicht zu Griffmulden. Sie sind unfest, wenn sie gehen. Sie sind unfest, wenn man sie aufeinanderlegt.

»Ist das ein Kinderspiel der Krüppel?«, sage ich.

»Sie fallen zurück in die Zeit der Zauberei«, flüstert sie, »sie raunen ihre Sünden in das Aas, dann zerreißen sie es. Hast du je Ägypten gesehen?«

»Nein, Prophetin.«

»Die Magier schürzen Knoten, sie bewegen Winde und Wolken. Es heißt: Zehn Maße Zauberei kamen in die Welt. Neun Maße raffte Ägypten, ein Maß nur blieb übrig für die anderen Völker.«

»In Midian besprachen die Priester gegossene und gehauene Bilder«, sage ich, »diese Welt ist mir versunken … Stimmen die Gerüchte?«

»Sie sind wahr«, sagt Mirjam, »ich klagte den Gesandten an. Ich sprach: ›Weshalb, Moses, willst du das Lager nicht mit deinem Weib teilen? Ist Zippora derart schmutzig, dass sie dich verschmutzt? Bin ich schmutzig, weil ich bei meinem Mann liege?‹ Auch mein Bruder Aaron stritt mit ihm. Da fluchte er mir das Mal an den Leib. Dies ist meine Strafe: Ich werde erdrückt von meinem Gewicht.«

»Du bist vom Makel nicht befleckt, Prophetin.«

»Meine Nachbarin ist eine durch Ausfluss Unreine«, sagt sie, »sie wurde gestraft, weil sie geronnenes Blut aß …«

»Im Blut ist die Seele«, rufe ich.

»Sie musste das Lager verlassen. Sie betet: ›Bald ist eine andere Jahreszeit. Bald ist ein anderes Land.‹«

»Glaubt sie an die Heimkehr?«

»Sie glaubt an das Land vor uns«, sagt sie.

»Dann soll sie einziehen in dies Land«, sage ich.

»Ich habe sie gehört, ich habe sie gehört, die Heuschrecken in Schwärmen. Die Springfüße und die Flügel rieben sie aneinander. Ein böser Sturm, der den Pharao traf. Ein Nichts war er, seine Höflinge waren Nichtse. Große Macht der Gottheit haben sie ihm angedichtet. Zernagt hat das Heer der Schrecken sein Reich.«

Ich kenne die Geschichten, der Mann meiner Liebe hat sie mir erzählt: der alte Stamm, der dem Pharao die abgöttische Räucherung verwehrte. Es träumen die Frauen und Männer seit dem Auszug von der mächtigen gelben Wolke, die sich auf Feld, First und Früchte legte. Ein Geschwür ist Ägypten. Und was ist mir Midian? Ich sage: »Vater Jetro hat eine kniende Steingottheit zerschlagen, kurz vor seiner Flucht.«

»Dem König und den Edlen ging er voran«, flüstert sie, »er besprengte zur Reinigung den Weg mit Milch. Es ist gut, dass er herausfand aus seiner Knechtschaft.«

»Er leidet, Prophetin.«

»Keiner von uns wird geschont«, sagt sie und erhebt sich langsam. Ich will sie stützen, sie wehrt mich ab. Sie legt den Lumpen über ihr Haupt, verlässt das Zelt, ich gehe ihr nach.

Draußen winseln Krüppel, ich höre fremde Laute. »Habt keine Angst«, ruft Mirjam, »es ist überwunden, wir sind neu gemacht, zankt nicht um das Aas. Begrabt das gehäutete Tier. Ihr seid nicht schuldig …«

Ich kehre zurück. Die Ferne schimmert. Ich sehe einem Vogelschwarm nach. Dies ist eine reine Nacht, der Dunst ist unsere Kuppel. Der Mond schält sich wie Schorf vom Himmel und fällt. Die Prophetin treibt den Aussätzigen die Schlangenbannsprüche der alten Zeit aus. Den Hunger nach gesäuertem Brot, nach schwarzen Feigen. Hinter dem trockenen Gestrüpp sehe ich auf Knien Moses, Gesandter, an den Herrn gebunden. Ein Brand ist in mir, ich will ihn anfallen wie ein böser Geist. Ich bleibe stehen: Er hat um sich einen Kreis gezogen. Barhäuptig ist er, barfüßig ist er. Die Schürzenbänder wischen über seinen Nacken, er betet.

»Was hast du getan, Moses?«

»Du hast das Verbot missachtet«, sagt er und richtet sich auf.

»Das Fleisch der Prophetin fällt in Knoten ab«, schreie ich, »ist das gerecht?«

»Nein«, sagt er leise.

»Du sprachst: ›Man muss dem Herrn sein Brot weihen, und Korn und Salz, und die geschnürten Schuhe, und den Pflug, und alles, was uns belebt.‹ Hat Mirjam je gegen dies Gebot verstoßen?«

»Nein«, sagt er.

»Ist es Sünde, dass sie atmet? Hat sie einen Treueschwur an einen Götzen geleistet?«

»Sie wird geliebt.«

»Liebst du sie nicht?«, sage ich.

Er tritt heraus aus dem Kreis, wickelt die Schürzenbänder um die Ohren, schnürt die Sandalen.

Ich sehe die leeren Lederscheiden am Gurt, die Messer hat er im Zelt abgelegt. Die Worte Mirjams hallen nach: »Die Wunden wurden uns geschlagen, weil wir nicht alles bedacht haben. Weil wir im Nachsinnen fehlerhaft waren.« Der Fluch bedeckt die Prophetin, sie ist die Herrin über die Spottfratzen. Die Verdammten sehen aus wie gebändigte Sturmdämonen. Ist es Sünde, dass sie atmen? Der Zucht Gottes sind sie ausgesetzt, und der Nachtdurst quält sie. Rostige, verbeulte Näpfe halten sie vor sich, sie betteln um Körner. Das alles erzähle ich dem Mann meiner Liebe. Ich erzähle: »Mirjam, von Gott geliebt, wachsen am Unterarm kleine Zitzen. Welpen können sich an ihnen festsaugen. Werde auch ich mit Ausschlag bestraft, weil ich sie heimlich besuchte?«

»Sieben Tage wird sie leiden«, sagt Moses, »der Herr gewährt ihr Gnade.«

»Er soll ihr die Seelenseuche nehmen, noch in dieser Stunde!«

»Ich flehte Ihn an. Es ist beschlossen.«

»Bete für sie«, sage ich.

»Das werde ich tun«, sagt er und tritt wieder in den Kreis.

Was gilt die Bitte eines schwarzen Weibes? Bei dem Gerechten Moses gilt sie viel. Die jungen Mütter vor den Zelten blicken mich hart an. Sie haben sich mit Fettasche Schlangen gestochen in die Haut. Sie bedecken diese Zauberzeichen mit Stofffetzen. Aber ich bin ihnen ein Schauspiel. Es wiegt nicht viel, dass ich allen Gräueln abschwor. Sie denken: »Glanz strahlte aus Moses Antlitz, als er auf dem Berge Sinai aus der Wolke trat. Was verdunkelt er sich mit der Geschwärzten?« Auf dem Weg zum Zelt höre ich ihr höhnisches Zischeln.

Elieser tritt an meine Seite. Von den Hunden will er sprechen. Von den Hunden aus dem Lager der Aussätzigen, den Hunden, die seitwärts bellen. Die schnappen und schnappen und Luft zerkauen. Von unreinen Tieren, die den Unreinsten verbellen, die böse Kraft am Rand der Siedlung. Von einem Hund spricht er, der sich die vordere rechte Pfote zerbiss, weil sie schwärte. Ein dreipfotiger geheilter Hund folgt ihm hinkend. Viele Steine haben ihn getroffen, und er hat überlebt. Ich halte aufgeweichte Körner vor die Hundeschnauze, das Tier frisst und leckt mir die Hand.

Der Mitternachtswind weht die Schreie der Krüppel herbei. Das Land düstert sich ein.

Im ersten Tageslicht erhebe ich mich und trete hinaus aus dem Zelt. Moses, alte Zunge, alte Füße, kniet im Kreis. Er hat zu den Ältesten gesprochen: Das Volk soll sich fürchten und nicht vermessen sein. Hat ihn die Furcht niedergerungen? Der wievielte Schweiß trocknet ihm auf der Stirn? Ich flüstere: »Gerechter, hörst du mich?« Er richtet sich auf, ich stütze ihn.

»Sie leidet keine Schmerzen mehr«, sagt er.

»Segen auf die Prophetin«, sage ich.

»Kreidebleiche Mirjam.«

»Du hast sie gesehen, Moses?«

»Im Traumbild sah ich sie, und sie sah mich.«

»Was ist euch geschehen?«

»Wir sprachen nicht«, sagt er, »wir schauten, wie eine Schlange in die Ferne glitt. Taunass war sie, schön war sie. Eine Schlange hat keine Bleibe, sie gleicht dir und mir. Sie war nicht die Gestalt einer Kraft. Sie glitt dahin, und wir sehnten uns, auch zu gleiten.«

»Was ist das für ein Zeichen?«, sage ich.

»Wir sind gemacht aus Sand und Menschenlauten, wir locken die Feinde und Tiere. Eine Königsschlange, die züngelnd herankriecht, weil sie uns gerochen hat … das wäre ein unheilvolles Bild. Im Traum waren Mirjams Finger und Hüften eingebogen. Und da wurde sie zum Baum, deren Frucht tragende Äste sich senkten. Die Früchte, sie waren von Tau benässt. Sie glänzten wie geölte glänzende Glatzen. Da zerfiel der Traum.«

»Moses«, sage ich leise.

»Habe ich nicht genug verraten?«, ruft er, »was willst du noch von mir?«

Ich streite mit ihm: Erträglich und angenehm soll er es Mirjam machen. Nicht länger soll er seine Kehle füllen mit dem Fluch. Rinnsale Schweiß soll er vergießen, dass er ihr von Herzensgrund vergebe. Ich flüstere ihm ins Ohr: »Knechte können Kanaan nicht erobern, Mann meiner Liebe, das hast du mir gesagt. Die Haufen ordnen sich zum Heer, du wirst sie nicht führen. Wer führt uns Frauen, wenn nicht eine Frau? Stärke sie.«

»Ich tu es«, sagt er.

»Schwörst du es beim Blut deiner Söhne?«

»Bei ihrem und bei deinem Blut, Zippora.«

Silbern glüht der Himmelsstrich. In den kalten Gebieten, außerhalb des Dunstes, warten die Horden der Feinde. Die Fabeln der Vorfahren sind wertlos wie die mehrfach durchlöcherten Münzen, mit denen sich die Abergläubischen behängen. Aaron, verehrt vom Stamm, der gute Redner, sagt: »Die Demütigung der Prophetin hat Moses tief ins Herz gestochen. Auch ich muss Sühne leisten …« Hat er sich des üblen Geredes schuldig gemacht? Warum wurde ihm verziehen, und warum verbringt Mirjam Tage des Leids? Ich streife durch das Lager, ich sehe vor den Zelten Kreise im Sand. Die Ältesten ahmen den Gesandten nach.

Gerschom wird Krieger. Zeruja betört Elieser. Vater Jetro wird, von Reue geplagt, sterben. Wer ist mir gut? Die Prophetin, wieder erweckt nach dem siebten Tag, ist meine Glut. Die Krüppel und Kranken gehorchten, sie ließen ab von der Reißerei am Aas. Gott ist Gast, und die Schlangen pfeifen leise im Wüstenwind.

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Teiresias naht. Der blinde Seher Thebens eilt herbei mit wankendem Leib. Beschenkt ist er mit der Geistesgabe. Beschenkt ist er mit der Fertigkeit, Toten Worte zu pressen. Kein Mann und keine Frau ist er. Nicht genug von diesem, nicht genug von jenem. Halbmann, Frau ohne Busen. Das böse Gerücht: Er spiegelt sich an jedem Wasser, ohne das Bild zu sehen, er wackelt mit dem Steiß. Sein Unterkleid hat einen ungehörigen Ausschnitt. Sein Überwurf reicht ihm nur bis zu den Knien. Wen schwärmt er an? Den Knaben, den Blindendiener, der nach Veilchenbalsam riecht. Teiresias umfasst mit grober Hand des Dieners Schulter. Das Gerücht: Der Seher wäscht sich die Hände und trocknet sie an den Haaren des Jünglings. Ein Knabe mit lockigem Haar, ein Blinder mit geölten Knien. Wer das Kommende kennt, wird geduldet und geschützt hinter Thebens Mauern. Übelkeit. Viertelmann mit dem Widerrist einer Frau. Er weiß, dass ihn die Schimpfnamen überleben. Er sagt laut: »Ich rieche deine Gedanken.«

»Du hörst die Leichenschaben«, sage ich, »du hörst ihr Gesumm.« Er steht vor mir, hinter ihm die Stadt. Glatt sind seine Wangen. Es wächst ihm kein Bart. Die langen Wimpern sind ein Vorhang aus Spinnenbeinen. Sie verdecken die hohlen Höhlen. Seltsam, dass er mit einem Ruck innehält. Seltsam, dass er sich die Augen reibt. Der Diener krümmt bei der Verbeugung ungeschickt den Leib – ist es Absicht? Er riecht es, er ist verschreckt. Der Seher entlässt ihn: Sie haben sich abgesprochen, sie spielen ein Spiel, um mich einzuweihen in die Kunst der heimlichen Gebärden.

»Beschreibe mir den toten Polyneikes«, sagt Teiresias.

»Mein Bruder liegt auf dem Rücken«, sage ich, »ein Hieb mit dem Schwertknauf hat ihm die Nase verrückt. Sie liegt wie die Falte eines schweren Tuchs auf seinem Gesicht. Das Brustleder ist gespalten. Er sieht aus wie in zwei Hälften geteilt.«

Der Seher ermahnt mich: Mit ganzem Leib gehen wir ein in die Unterwelt. Auch wenn wir zerstückelt werden, ich solle es nicht vergessen. Ich werde es vergessen.

»Seine Beine und Füße sind nackt, Seher. Die Wächter haben ihn seiner Sandalen beraubt.«

»Das Schwert?«

»Die Spitze abgebrochen«, sage ich.

»Es war ein harter Kampf. Eteokles gegen Polyneikes, Bruder gegen Bruder.«

Ich habe sie verloren in derselben Stunde. Nicht weinen werde ich vor dem Seher um meine Verluste. Nicht vergessen werde ich die Würde meines Standes. Jäh schüttelt er sich, als wittere er den Hinterhalt des Weibes. Bei der Kälte frieren ihm die Knochen. Er zerrt und zupft am Tuch, bis es seine Knie bedeckt. Ich denke: Der Diener könnte mit harten Griffen seine Waden reiben. Er könnte seinen Überwurf um des alten Mannes Hals legen.

»Was siehst du noch?«, sagt er.

»Er gleicht einem Schaustück«, sage ich, »ich erkenne ihn, auch wenn ihm der Geist entwich.«

»Freue dich, Antigone. Freue dich, dass man ihn als Krieger ehrt.«

»Ein erlegtes Wild«, rufe ich, »mehr ist er nicht. Er wird im Tod verspottet.«

»Wurde er geschändet?«, sagt er, »haben die Sieger auf seine Stirn das Mal des Sieges geschnitten?«

»Er war gesprenkelt von Käfern, ich fegte seine Brustwehr frei und die nackten Beine.«

»Königstochter.« Teiresias spricht dies eine verbotene Wort und verstummt.

Das bin ich gewesen: die Tochter meines Bruders, der sich mit unserer Mutter vereinte. Seither bin ich ein Krug voller Asche. Ich speie die Götter an. Kein Hochgesang zu ihrem Ruhme lässt mich beben. Ich erinnere mich: Heute in der Früh war mein Bruder bedeckt von einer Haut aus Tau, die beim ersten Lichte schmolz.

Teiresias flüstert: »Du fragst dich, ob Polyneikes noch bei uns ist? Hat er sich seiner Muskeln, seiner Sehnen entwunden? Ist er entkleidet?«

»Wären nicht die klaffenden Schnitte, ich würde glauben, dass er aufsteht, dass der Sand vom Leib zu Boden rieselt.«

»Welcher Sand?«

»Der, mit dem ich ihn bestreut habe«, sage ich.

»Du brichst das Gesetz?«, sagt er, »du missachtest König Kreon?«

»Bewohnbar nur für Aasfresser ist mein Bruder«, rufe ich, »der Tote ist ein gefällter Baum. Was fürchtet Kreon? Dass ihm der Wipfel grünt, dass ihm ein Dutzend Wurzeln wachsen? Macht er den Verrat ungeschehen?«

»Polyneikes verriet Thebens helle Erde«, schreit der Seher, »seine eigene Stadt.«

»Ich erkenne seine Schande.«

»Dann erkenne auch deine eigene«, sagt er, »unser König hat geheißen: ›Der Thebener, der Theben bekriegte, soll vor den Toren der Stadt verrotten. Wer ihn begräbt, ist des Todes.‹ Kreon wird nicht zögern, Antigone.«

Entwaffnet ist mein toter Bruder ihm nicht geheuer, meinem Onkel Kreon, dem Tyrannen. Spräche ich diese Worte aus, würde sie Teiresias dem Herrscher überbringen. Wegen seiner Ungestalt bleibt er erpressbar. Die Bürger staunen ihn an: Wie kann er bei den Gottheiten in Gunst stehen? Zerstoßene Muscheln mischt er in die Kraftspeise, jeden Morgen. Um Reiz und Wert ist dieser alte Mann gebracht. Wie kann er, der den Tuchsaum knüllt, im Gehen wie im Sitzen, wie kann dieser Beutel Knochen angesehen sein bei den Mächtigen?

Er sagt leise: »Der Morgentau ist der Speichel der Nacht. Wir sind tüchtig im Träumen, es bedarf aber der Tatkraft …«

Was will er mir aufzeigen? Ich gelte als fest und frostig, meine Magerkeit stößt die Männer ab. Ich deute nicht die Spuren im Schlaf.