Die Innerste Erzählung - Raabe, Wilhelm - kostenlos E-Book

Die Innerste Erzählung E-Book

Wilhelm, Raabe

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The Project Gutenberg EBook of Die Innerste, by Wilhelm RaabeThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Die Innerste       ErzählungAuthor: Wilhelm RaabeRelease Date: November 13, 2015 [EBook #50445]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE INNERSTE ***Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna, Jens Sadowski,and the Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Wilhelm Raabe Bücherei Erste Reihe Band 12

Wilhelm RaabeBücherei

Erste Reihe: Kleinere Erzählungen

Zwölfter Band

Berlin-Grunewald Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst / Hermann Klemm

Wilhelm Raabe

DieInnerste

Erzählung

Dritte Auflage 11.-16. Tausend

Berlin-Grunewald Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst / Hermann Klemm

Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig

Die Innerste

Erstes Kapitel.

Diese Geschichte handelt von einem Bach und zwei Mühlen und ist wahr. Es hat sich alles so zugetragen, wie es erzählt werden wird: wer da meint, daß es anders hätte zu Ende gehen können, der erzähle es anders.

Es waren drei Fräulein vor etwa hundertundzwanzig Jahren, und sie leben heute noch und heißen die Leine, die Ihme und die Innerste. Sie sind im Laufe der Zeiten reguliert worden; aber hübscher sind sie nicht dadurch geworden. Vor hundertundzwanzig Jahren war ihnen allen dreien nicht zu trauen; doch die Innerste war die schlimmste und ist es bis auf den jetzt vorhandenen Tag geblieben. Wenn wo das alte Wort Gültigkeit hat, daß schlechter Umgang gute Sitten verdirbt, so ist es in diesem Falle.

Man sagte wohl im Lande umher: „Die Leine ist falsch! Die Leine ist ein böses Wasser! Die Leine ist tückisch!“ und es war ein gut Stück Verleumdung in jeglichem landläufigen Diktum. Die Leine war nicht besser, als sie war; aber von Natur aus war sie jedenfalls besser als ihr Ruf. Von Natur ein braves Wasser, ein gutes Wasser, ein gutmütiges Wasser, wurde sie durch die Innerste verdorben.

Im Hildesheimschen Amt Rethen vereinigt sich die Innerste mit der Leine, und nachher ist’s freilich zu Ende mit den guten Sitten der letzteren, und die Stadt Hannover hat zweifelsohne mancherlei zu erzählen von ihrer üblen Laune und Heimtücke.

Von der Ihme brauchen wir eigentlich nichts zu erzählen. Reißend und sumpfig zugleich, voll von Wirbeln und Drehkuhlen, faulen Bäumen, Pfählen und Klötzen, stinkend von den Flachsrotten der Anwohner und überall sehr trübe, lassen wir sie laufen und sagen nur noch, daß auch ihre schlechten Eigenschaften die arme Leine auf ihre Rechnung zu nehmen hat, nachdem sie, die Ihme oder der Ricklinger Bach, vom lieblichen Deister heruntergekommen ist, die freundlichen Dörfer Bredenbeck und Vörie und die Landwehrschenke im Amt Kalenberg passiert und gleichfalls ihre Sehnsucht nach der Stadt Hannover befriedigt hat. Wer mehr von dem Wasser wissen will, schlage nach in Grupens hannöverschen Altertümern.

Jetzo wenden wir uns zur Innerste.

Von ihrem Ursprunge mitten im wilden Harzgebirge an bis zu ihrer Ausmündung im Amt Rethen verschlechtert sich ihr Charakter von Schritt zu Schritt, und alle Glocken und alle Pfaffengesänge von Hildesheim treiben ihr die bösen Teufel nicht wieder aus. Selten aber auch geriet ein unschuldig hellblickend, klaräugig Bergwässerlein und Quellnixlein sofort bei seinem Austritt aus dem dunklen Schoß der Erde in so schmutzige Hände und an solch schwarz schweflicht Handwerk als diese arme hercynische Najade oder Nymphe. Wahrlich, ihr sind niemals Öl, Wein, Milch und Blumen geopfert worden! Wildemann nimmt sie beim Schopfe, Lauthenthal und Langelsheim mit ihren Hütten und Pochwerken tun ihr alle erdenkliche Schmach an, und so ist es kein Wunder, daß sie bei Ringelheim schon vollständig verderbt ist und bei Himmelstür frech, boshaft und scheußlich in die Ebene hervorgeht, und daß trotz allen Hildesheimschen Pfaffengesängen und Glockenklängen bei Sarstedt die schlimmsten Gerüchte von ihr im Schwange sind. Es hilft ihr nichts, daß sie da zur Leimoniade, zur Wiesennymphe wird: wild, heimtückisch und blutdürstig bleibt sie. Mit dem Auswurfe des Harzes, dem verderblichen Puchsande geschwängert, bleiben ihre Begierden unordentlich und wird sie von Zeit zu Zeit von unheimlichen Gelüsten ergriffen, und dann schreit sie.

Der Erzähler hörte sie schreien, der junge Müller Albrecht Bodenhagen gleichfalls. Nun aber wollen wir von der einen Mühle reden und nachher von der andern.

Zwischen Groß-Förste und Sarstedt war die eine Mühle gelegen, heute ist sie nicht mehr vorhanden. Die Gebäude sind längst niedergebrochen, der Garten ist wieder zur Wiese geworden; wo die junge Müllerin unter dem Flieder saß und spann, wächst manneshohes Schilf. Die Innerste ärgert sich hier nicht mehr an dem lustigen Rade, das sich sonst an dieser Stelle drehte; sie hat sich über ganz andere Dinge zu erbosen; der harzische Bergmann quält sie nicht allein mehr; es ist manche nichtswürdige Fabrik an ihrem Laufe entstanden seit dem Jahre 1760, und von Rechts wegen müßte sie heute da heulen, wo sie sonst nur schrie.

Im Jahre 1760 drehte sich das Rad, klapperte das Werk und war alles im Gange, wie das Säkulum selber. Es war eine muntere Zeit. Eine vollständige Tressenbesetzung für eine Mannsperson kostete, wenn man sie billig kaufte, ihre sechsundsiebzig Reichstaler; aber kaum der dritte Teil der meisten Städte war bewohnt, und zwei Teile bestanden aus wüsten Stellen und leeren Häusern. Zwar führte jedermann seinen Haushalt wie die Patriarchen im Alten Testamente, ein jeglicher zwischen seinen eigenen vier Pfählen mit eigenem Acker, Garten und Vieh; aber es war denn auch danach. Nur einige Mal in der Woche kochte man und fraß sich durch die schwere Zeit an Brei, Hülsenfrüchten und gemeinen Kohlarten. Wer sich recht gütlich tun konnte, hielt sich zum Neide der Nachbarn an das eingeschlachtete, entweder geräucherte oder gepökelte Fleisch, wer aber ganz und gar sardanapalisch schlampampen wollte und nach frischem Fleische lechzte, der hatte sich mit einem gleichen Schwelger zum Ankauf eines Stück Viehs zu einigen. Auf gut Glück schlachtete kein Metzger.

Das war die gute alte Zeit, wo niemand von dem andern etwas nötig hatte, die gute alte Zeit des Siebenjährigen Krieges, wo man, wenn die Einquartierung es litt, sich früh zu Bett legte und spät wieder aufstand, und wo man bei festlichen Gelagen Honigkuchen in eine Schale Branntwein brockte und je nach der politischen Meinung entweder den König Fritz oder die Kaiserin-Königin hoch leben ließ in dem olympischen Göttertranke; immer selbstverständlich dabei vorausgesetzt, daß die Einquartierung nicht hinderlich dabei in den Weg trat und den bürgerlichen Nektar in die eigene ausgepichte Kriegsgurgel hinüberfließen ließ.

So war es in Hannover, so war’s in Göttingen und in Hildesheim, und so war’s auch in Sarstedt an der Innerste. Trotz allem eine wunderlich real-geheimnisvolle Zeit voll seltsamer Schwingen und Flüge! Wer da etwa glauben möchte, daß heutzutage hinter den Stirnen und unter den Schädeln mehr in den Menschenköpfen vorgehe als damals, der irrt sich bedeutend. Ja wahrlich, jeder gegenwärtige Augenblick ist stets ein novus homo, ein Emporkömmling; und die Vergangenheit, selbst mit dem Zopf und der Beutelperücke und im Reifrock auf den hohen Stöckelschuhen, erscheint merkwürdig als der vornehme Herr und die erlauchte gnädige Dame. Sie tun aber meistens so, als lachten sie darüber, die Leute des Tages, und beweisen gerade durch ihr Lachen nur die niedrigere Beschaffenheit ihres Standes. Wer wahrhaft vornehm ist, hat immer Respekt, wo er hingehört, der Pöbel nicht.

Die Franzosen waren im Lande, und der Herzog Ferdinand lag gegen sie zu Felde. Bei Bergen war er von Broglio zurückgedrängt worden, und bei Minden sollte er über Contades siegen. Zwischen den beiden Schlachten, also im Jahre 1759, und gerade in der schönsten Sommerzeit hebt unsere Historie an.

Zweites Kapitel.

Damals saß noch ein alter Müller mit seiner ebenso alten Müllerin in der Mühle und der nachherige Herr war noch in der Fremde — fern und verschollen, wenn er noch lebte. Die ihn genau gekannt hatten, erwarteten ihn gar nicht zurück; es gab mehr als einen handfesten Galgen in der Welt, und mehr als ein würdiger, ehrenfester Sarstedter Bürgersmann legte, wenn die Rede auf den Jungen aus der Mühle, Albrecht Bodenhagen, kam, den Finger an die Nase und gab seine Meinung dahin ab, daß niemand wissen könne, wo der sich im Winde drehe; daß er sich aber im Winde drehe, das sei sicher.

Der brave Albrecht hatte es seinerzeit in der Stadt und der Umgegend, weit über Groß-Förste hinaus, nicht danach gemacht, daß man sich nach ihm sehnte, und die alten Eltern wußten nichts von dem einzigen Sohn. Seit dem Beginn des Krieges hatten sie ihn nicht zu Gesicht gekriegt. Eines Morgens hatte er seine Pelzmütze geschwenkt.

„Vivat Fridericus! Adjes, Herr Vater! Adjes, Frau Mutter! Aushalten tu ich’s nicht länger zu Hause. Wär’ ich nicht zu gut gewesen, so hätt’s der Herr Vater nicht zu schlimm mit mir gemacht. Adjes!“

Und dann war er mit einem Sprunge über die nächste Hecke weg gewesen, und die Sarstedter Jungfern hatten mit den Eltern das Nachsehen nach dem angenehmsten Junggesellen der Gegend gehabt. Nachher sind nur Gerüchte über ihn und sein Verbleiben nach Hause gekommen, und es stand jedem frei, dieselbigen zu glauben oder nicht.

Da hat mit ihm einer in einem berüchtigten Freibataillon Schulter an Schulter gestanden; ein anderer hat mit ihm nach der Schlacht bei Leuthen vor Schweidnitz gelegen, und wieder ein anderer hat ihn Spießruten laufen sehen im Lager vor Olmütz. Ein Vierter jedoch, und der war, wie viele meinen wollten, der einzige Glaubwürdige — Barthold Dörries aus Dielmissen behauptete, Albrecht Bodenhagen habe freilich zuallererst sein Glück in dem preußischen Freibataillon probiert, doch nicht lange. Nach Kollin sei er desertiert, und droben im Harz zwischen Wildemann und Lautenthal, gleichfalls an der Innerste, sei auch eine Mühle gelegen, und die Tochter daselbst, die wisse vielleicht am meisten von dem Albrecht! Er — Barthold Dörries — habe auf der Wanderschaft daselbst das Handwerk angesprochen und eine Nacht allda genächtiget, aber kein Teufel kriege ihn wieder unter das Dach, denn da könne man zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang mehr erleben als in einem ganzen Feldzug des Königs Fritz, zwischen dem ersten Aufbruch aus den Winterquartieren und der letzten Schlacht vor dem ersten Schnee.

Dem Meister und der Meisterin sprach der gute Müllerknappe nicht hiervon, denn der Alte hatte ihm beim ersten Wort das Maul verboten, wohl aber erzählte er den Mühlgästen, die ihm ein offenes Ohr liehen, und das taten sie alle, wenn die Rede auf den tollen Albrecht kam. Das ging denn wie der Laufer um das Mühleneisen, und wenn nur der Bodenstein irgend feste lag, so gab’s ein erklecklich fein Mehl.

Es war ein feiner Meisterssohn, dieser Barthold, und mit Grausen war er aus dem wilden Harz hervorgekommen. Wie gesagt, verschwur er sich am Schlusse jeder Rede jedesmal hoch und teuer, daß ihn nie wieder einer in die wüsten Berge unter das wüste Volk da kriegen tun täte. Von der Waldmühle, ihren Leuten und Gästen aber erzählte er, daß dem Hörer die Haare sich sträubten — und da — da sollte dieser Albrecht Bodenhagen immer noch sitzen, und die Müllerstochter, die rothaarige Doris Radebrecker, sollte sein Liebchen sein!

„Das ist freilich ein Ort für den bösen Jungen!“ murmelten die Leute aus dem Mühlenbann zwischen Sarstedt und Groß-Förste und sahen mit melancholischem Kopfschütteln auf den alten Vater und die alte Mutter Bodenhagen, und die Gerüchte wurden immer schlimmer.

Nun stand einmal im Juli des Jahres 1759 der alte Müller Bodenhagen an seinen Gartenzaun gelehnt und sah verdrossen auf die leise an demselben hinfließende Innerste, und schien die Blasen zu zählen, die vom Grunde des Flüßchens emporstiegen, zerplatzten und anderen Platz machten. Es sollen aber diese Luftblasen von dem Atem der Wassergeister in der Tiefe herrühren, und was viele Leute auf Hörensagen hier weiter sprechen, das wußte der alte Christian Bodenhagen ganz genau. Er sprach aber nicht gern davon und zog meistens ein finsteres Gesicht und verlor sich hinter dem Dampf seiner schwarzen Tonpfeife, wenn die Rede darauf kam. Er kannte sein Mühlwasser genau und wußte, daß nicht mit ihm zu spaßen war.

Die Morgensonne schien, die Lerchen sangen in der blauen Luft, auf den Wiesen lag das Heu in Haufen, und der leichte Wind trug den Duft her; doch die Wassergeister schienen schwere und heftige Atemnot zu haben. Die Blasen perlten in Stößen auf, und der Meister Bodenhagen zog seinen Atem gleichfalls bedrückt aus der Tiefe der Brust herauf und stieß ihn in Seufzern von sich. Sein altes Weib hatte ihm wieder mal des verlorenen Sohnes wegen von Mitternacht an den doch schon so kümmerlichen Schlaf ganz verscheucht und dann sich natürlich an ein gesundes Schnarchen gegeben und ihn wachen lassen.

„Und kann ich denn dafür?“ murmelte er jetzo. „Liegt es nicht seit der Schwedenzeit auf dem Dach und dem Rade? Ich habe nicht gezählt, wie viele Räder die Innerste dreht, vom Ursprung an bis zum Eingang in die Leine; aber daß sie auf dieses seit vielen hundert Jahren trotz aller guten Nahrung einen besonderen Groll hat, das weiß ich, und mein Vater und mein Großvater haben ihn auch verspüren müssen. Sie sagen, seit der Schlacht bei Lutter am Barenberge, allwo der General Tilly und der König von Dänemark aneinander waren, hat sich alles geheime Volk in Wasser, Wald und Luft hier in der Gegend mit dem Menschen überworfen. Gott soll mich behüten, darauf nachzusagen, aber die Bodenhagen-Mühle weiß das Ihrige davon. Vor der Bataille soll dieses alles nicht gewesen sein. Zwerg, Nix und Waldspuk hat wohl auch sein Wesen getrieben, aber mit Gutmütigkeit und im Spaß. Nachher erst sind sie giftig geworden — sie mögen wohl ihre Gründe gehabt haben — und begnügen sich nicht mehr mit dem bloßen lustigen Schabernack; sondern —“

Er brach ab und sah sich scheu um und legte die Hand auf den Mund. Beinahe hätte er von dem Herzeleid gesprochen, was insbesondere die Innerste ihm und seinen Vorfahren in der Mühle angetan haben sollte; allein er besann sich noch zur rechten Zeit und schwieg. Es ist gewissen Mächten gegenüber stets sicherer, zu schweigen, als sich zu beklagen; aber recht hatte der alte Meister doch in betreff der Charakterveränderung des geheimnisvollen Volkes seit dem Dreißigjährigen Kriege.

Schon lange ging man nicht mehr mit einem bloßen Grusel oder gar einem behaglichen Lächeln zu Bett, wenn man am Winterabend hinter dem warmen Ofen ein neues Histörchen von ihm vernommen hatte. Seit der Schlacht bei Lutter am Barenberge, wo die Liguisten den Dänenkönig klopften und sein Heer ausreuteten, und gar seit der Schwedenzeit hatte sich das gründlich zum Schlimmen und Bösen geändert. Mit der Menschennatur verwandelte sich in jener greulichen Zeit auch der Sinn der Geister in allen Elementen. Wo sie schalkhaft gewesen waren, wurden sie nun boshaft. Ihr spaßig Lachen wurde zu hämischem Grinsen, und wie der Mensch fanden auch die Geister nunmehr ihre Lust an der Grausamkeit, dem Elend, dem Verderben. Es war die Axt an alles harmlose Behagen gelegt worden, und die Leine und die Ihme sahen viel zu viele niedergeschlagene Wälder und verbrannte Wohnstätten der Menschen an ihrem Wege, um bleiben zu können, was und wie sie waren. Was aber die Innerste anbetraf, so gab ein Müller Bodenhagen die Überlieferung, daß ihr nicht zu trauen sei, weiter an den andern. Es ging kaum ein Jahr vorbei, ohne daß man sie schreien hörte — kein Auftauen des Winterschnees, ohne daß sie das Land weit und breit überflutete. Die Leute in der Mühle jedoch hielten das Schreien für das Schlimmere und Unheimlichere.

Gegenüber dem Mühlengarten zog sich am andern Ufer ein ziemlich dichtes, ineinander geflochtenes und gewirrtes Erlen- und Weidengebüsch hin, und gerade dem Orte gegenüber, allwo der alte Meister Bodenhagen an seinem Zaune lehnte, hatten die Wirbel das Erdreich unter einem knorrigen Stamme weggespült, der Baum hatte sich gesenkt, lag mit dem Gezweig im Wasser und streckte sein verworren Wurzelwerk in die Luft: die Nixen spielten auch den Baum- und Buschnymphen ihre Streiche, wo sie es konnten.

„Guten Morgen, Herr Vater!“ sprach es plötzlich von dort herüber, und der Alte, von den Wasserperlen der Innerste mit einem heftigen Schrecken in die Höhe sehend, hielt sich mit beiden Händen am Zaune.

„Schmeckt Ihm sein Pfeifchen wie sonsten? Es soll mich freuen,“ erscholl es wieder, und die Pfeife wäre fast dem Munde des Müllers Bodenhagen entglitten. Er griff aber doch noch danach, wie der Held der Pfeffelschen Ballade, und legte die zitternde linke Hand über die Augen — traute ihnen noch immer nicht und starrte wortlos über sein Mühlenwasser nach dem Weidenstamm hin.

Da saß auf dem klumpigen Wurzelwerk, das in der Tat einen recht bequemlichen Sitz bildete, ein Mensch, der sich immer noch nicht wie ein Phantom in dem flimmernden Sonnenschein auflösete oder in das Wasser, aus dem er auch vielleicht aufgestiegen sein konnte, zurücksank. Ein Mensch, ein richtiger Mensch, aber nicht gar erfreulich anzuschauen! Er trug einen zerlumpten blauen Rock mit schmierigen roten Aufschlägen, Kragen und Futter; er trug gelblich-schmutzige Kniehosen und zerfetzte Gamaschen; und den dreieckigen alten Soldatenhut trug er schräg über das eine Auge gedrückt, über dem andern eine Binde. Wie der greise, weiße, reinliche alte Müller hielt er auch eine Tonpfeife zwischen den Zähnen, und jetzo legte er militärisch grüßend die Hand an den Hut und rief von neuem über die Innerste:

„Ich wünsche dem Herrn Vater den allerschönsten guten Morgen und rekommandiere mich fürs geschlachtete fette Kalb. Ich bin’s, Herr Vater, und frage an, ob Er und die Frau Mutter was dagegen einzuwenden haben, daß ich über den Steg laufe und den lieben Eltern mit Tränen in die Arme renne?“

Der Alte stieß ein Gestöhne aus; aber zu antworten vermochte er noch nicht.

„Nun, wie ist’s?“ fragte der Blaurock von jenseits her. „Soll es heißen: Pardon, Grenadier; oder gebt Ihr kein Quartier? Hunger, Durst und einen zerschlagenen Kopf bringe ich mit, ich komme aus dem Westfalenland, und es ist uns als wie den hohen Alliierten und dem Herzog Ferdinand herzlich schlecht ergangen. Sage Er Quartier, Herr Vater — ich bringe zu allem übrigen ein gebessert Gemüte und weiß nun aus der Erfahrung, daß es zu Hause bei der Frau Mutter am besten ist. Mache Er ein Ende, Vater, und lasse Er mich wieder ein; es ist mein blutiger Ernst, und ich habe beides satt, den Krieg wie das Wandern!“

„Ist Er es? Oh!“ ächzte der Alte; aber er antwortete den Fragen von dem anderen Ufer der Innerste auch jetzt noch nichts. Er ließ den Zaun los und drehte sich um und wackelte dem Hause zu durch den engen Gartenweg, beide Hände mit ausgespreizten Fingern vor sich hinstreckend, als müsse er seinen Weg durch eine dicke Finsternis tasten. Aus dem Garten trat er in die Küche, wo seine graue Frau am Herde wirtschaftete, und er setzte sich stumm auf die Bank neben dem Herde, und die Müllerin ließ erschreckt ihren Topf und Löffel und schrie:

„Jesus Christus, Vater, was ist? was ist los? was ist geschehen?“

„Ja, Vater, Vater, Vater!“ murmelte der Müller Bodenhagen; und drüben auf dem Weidenstamme hob der zerlumpte Kriegsmann den Dreiecker vom wirren Haarwulst, ließ ihn wieder fallen und sagte zwischen den Zähnen: