Die Janus-Kammer - Sasha Grey - E-Book

Die Janus-Kammer E-Book

Sasha Grey

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Beschreibung

Eigentlich wollte Catherine mit ihrem Verlobten ein ganz normales Leben als Journalistin führen. Doch ihr Alltag füllt sie nicht aus. Weder beruflich noch privat. Das ändert sich schlagartig, als sie eine Reportage über das kürzlich verstorbene Topmodel Inana Luna schreiben soll. Die Recherchen zu dieser faszinierenen Frau erwecken verloren geglaubte Wünsche und Begierden in ihr zu neuem Leben. Wird sie ihre Leidenschaft wiederfinden? Oder sich in ihrer Lust verlieren?

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Seitenzahl: 490

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Das Buch

Einige Jahre sind vergangen, seit Catherine die Juliette Society verlassen hat, aber die Dinge haben sich anders entwickelt als geplant. Das Leben mit ihrem Verlobten Jack ist vorhersehbar und langweilig geworden, vor allem im Schlafzimmer. Auch in ihrem Job als Journalistin fehlt ihr die Inspiration – bis sie beginnt, über den Tod des berühmten und beliebten Models Inana Luna zu schreiben. Das wilde Leben, das sie geführt hat, erweckt in Catherine den erneuten Wunsch nach Unabhängigkeit und freier Sexualität. Was als ganz normale Reportage begonnen hat, entwickelt sich schnell zu einer regelrechten Besessenheit. Catherine begibt sich auf die Spuren dieser faszinierenden Frau und stößt dabei auf prickelnde sexuelle Vorlieben, ein ganze Reihe attraktiver Männer und die ein oder andere erotische Intrige …

Die Autorin

Sasha Grey war eine der erfolgreichsten Stars der amerikanischen Pornoindustrie. Seit sie 2009 die Welt der Erwachsenenunterhaltung verließ, spielte sie in der HBO-Serie Entourage und in Steven Soderberghs Kinofilm The Girlfriend Experience. Sie ist außerdem als Musikerin und DJ aktiv.

Lieferbare Titel

Die Juliette Society

SASHA GREY

DIE

JANUS-

KAMMER

EROTISCHER ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Daniel Müller

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe

THE JANUS CHAMBER

erschien 2016 bei Cleis Press, an imprint of Start Midnight,

LLC, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 by Sasha Grey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Brill

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock/gorbelabda

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-17074-5V002

www.heyne-hardcore.de

Prolog

Fragen Sie sich doch mal Folgendes:

Angenommen, Sie besäßen einen Schlüssel, der Ihnen Zugang zu den Geheimnissen dieser Welt verschafft, würden Sie diesen nicht benutzen wollen?

Und angenommen, Sie könnten die Reichen und Mächtigen mit heruntergelassenen Hosen erwischen, quasi in flagranti, und deren kinky – sprich: unkonventionelle – Vorlieben und Perversionen aufdecken, würde Sie das nicht reizen?

Falls Sie diese Vorstellung interessiert, dann kommen Sie mit mir.

Ich muss Sie allerdings warnen: Wenn Sie diese Grenze einmal überschritten haben, wird nichts mehr so sein wie zuvor.

Sie werden nicht mehr so sein wie zuvor.

Ich bin es nämlich auch nicht mehr.

Vor fast vier Jahren schaute eine Pan-Statue dabei zu, wie die Essenz meines Wesens auf einer steinernen Plattform offenbart wurde, als einer der mächtigsten Männer der Welt mich als seinesgleichen markierte. Nein, nicht als seinesgleichen, sondern als eine der Seinen. Und sosehr ich mich auch dagegen wehrte, es half nichts: Mein moralischer Kompass hatte mich in denselben dunklen Raum geführt, in dem sich DeVille befand. Ich konnte nicht mehr leugnen, dass ein Teil von mir auch dort hingehörte. Ein Teil von mir mochte es, ihn zu würgen, ihm die Kehle zuzudrücken.

Ein Teil von mir ist dort geblieben und schwebt durch einen Himmel so blau wie seine vom Sauerstoffmangel verfärbten Lippen.

Es ist ein Teil von mir, der weiß, dass ich nicht so bin wie andere Menschen, nicht so wie Jack.

Sondern wie DeVille und die Mitglieder der Juliette Society.

Aber der andere, der größere Teil von mir hat dieses Erlebnis tief in meinem Inneren vergraben. Es ist leichter so. Leichter, so zu tun, als wäre es nie geschehen – ganz besonders, weil ich Anna nie mehr wiedergesehen habe.

Ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr an sie gedacht.

Anfangs hatte ich bei den Vorlesungen von Marcus das Gefühl, Annas leerer Platz in der Reihe hinter mir hätte eine eigene Anziehungskraft entwickelt – so schwer wogen meine Erwartungen und Hoffnungen und meine Frustration darüber, dass sie nicht zurückkehrte. Und irgendwann begann ich, ihr das verdammt übel zu nehmen.

Nach ihrem Verschwinden flüchtete ich mich in Verbitterung. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ein derart pulsierendes Wesen wie Anna einfach so von jemandem ausgelöscht werden konnte, der weder ihr inneres Feuer noch den kurvigen Körper, in dem es loderte, zu würdigen wusste. Sie war so viel mehr als die bloße Verkörperung von Lust und Schmerz. Eingesperrt in einen Käfig und von anderen zum Lustgewinn benutzt, glich sie einer atomaren Explosion.

Sie zu sehen, wie sie mit dem Rest von uns zitterte und bebte, war so, als würde man auf eine bereits brennende Lunte schauen. Man konnte den Blick nicht von ihr wenden, und wenn man es doch tat, dann nur, um in die Gesichter derer zu sehen, die um sie herumstanden. Um ihre Reaktionen auf das, was sie sahen, abschätzen zu können und das eigene Verhalten entsprechend anzupassen. Um besser beurteilen zu können, was man selbst ohne Risiko preisgeben konnte.

Menschen wie Anna verweilen nicht lange im Leben anderer.

Es wird einen Grund gegeben haben, warum sie meine Anrufe ignorierte. Es muss einen Grund gegeben haben.

Warum sollte sie plötzlich verschwinden, nachdem sie mich mit einem Lebensstil in Berührung gebracht hatte, den sie so viel intensiver lebte, als ich es jemals tat?

War das vielleicht der Grund? Konnte sie unter der Oberfläche spüren, dass ich mich abwenden, alle Erinnerungen auslöschen und gegen ein normales Leben mit Jack eintauschen würde?

Wandte sie sich von mir ab, weil ihre Enttäuschung zu groß war? Ihr Verschwinden empfand ich als eine Ablehnung, die mehr schmerzte als all die zerbrochenen Beziehungen in meinem Leben.

Ich musste mich dazu zwingen, die unkomplizierte Freundschaft hinter mir zu lassen, die uns verbunden hatte. Offensichtlich hatte ich ihr nicht so viel bedeutet wie angenommen. Ich vermutete, dass sie weiterhin Kontakt mit den anderen Menschen in ihrem Leben hielt. Nur ich war ihr nicht wichtig genug für einen Anruf, und so entschied ich mich, sie ebenfalls zu vergessen. Ein paar Monate später schon fühlten sich die wilden Dinge, die wir zusammen unternommen hatten, nicht mehr wie Erinnerungen, sondern eher wie Träume an.

Gut möglich, dass unsere gemeinsamen Erlebnisse derart intensiv und unwirklich waren, dass es mir leichter schien, sie als eingebildet und ersponnen abzutun und tief in mir zu vergraben.

Ich machte meinen Abschluss, fand einen Job als Journalistin bei einer Zeitung und tauchte tiefer in mein Leben mit Jack ein. Allerdings waren wir beide zu beschäftigt, zu sehr von unserer Arbeit vereinnahmt, als dass wir ein Datum festlegen konnten, um uns ganz offiziell die ewige Treue zu schwören. Dabei hatte ich mich schon längst für ihn entschieden. Normalität und Bequemlichkeit legten sich wie eine warme Decke über meine Erinnerungen an Anna und die Juliette Society, und irgendwann kam es mir vor, als wären es die Erinnerungen einer anderen Person.

Das Leben geht weiter. Wir entwickeln uns, lassen die Menschen zurück, die wir kannten, und auch die Personen, die wir selbst einmal waren, ganz besonders in diesem Alter.

Und wir lassen auch die hinter uns, mit denen wir nachts stöhnten und seufzten.

Widerfährt das allen Menschen, die sich auf eine Entdeckungsreise der Sinne begeben? Verschwinden sie alle irgendwann, weil sie zu viel entdeckt und erlebt haben?

Ich denke nicht oft an Anna. Die Enttäuschung sitzt zu tief.

Und doch …

Es ist eine unbequeme Wahrheit, wenn du in den Spiegel schaust und dich das, was du da siehst, zusammenzucken lassen müsste – was du aber nicht kannst, weil du das Geschehene nicht ungeschehen machen würdest. Denn dafür hat es sich einfach zu gut angefühlt. Und so kriecht das Wissen um das Geschehene über deine Haut und bleibt dort haften wie getrockneter Seifenschaum, den du in der Dusche nicht von deinem Körper gewaschen hast. Ein ständiger Begleiter, der dich immer wieder daran erinnert, deine Bewegungen einzuschränken, damit du die Tatsache ignorieren kannst, dass sich deine Haut zu eng anfühlt. Es ist so, als wärst du bis zum Rand gefüllt von diesem Verlangen nach mehr, und früher oder später wird es dich auseinanderreißen und aus dir herausbrechen.

Vier Jahre sind eine lange Zeit, um sich zu verändern, sich zu entwickeln und zu wachsen. Vier Jahre sind genug Zeit, um die Erinnerungen so tief zu begraben, dass nicht viel mehr als ein Abdruck auf den Knochen von ihnen bleibt. Genug Zeit, um beinahe zu vergessen, dass man selbst einmal die Person war, die sich nach ebenjenen Erfahrungen verzehrte.

Beinahe …

Unterwirft sich der Charakter dem Verlangen?

Werden wir von unseren Sehnsüchten getrieben? Oder ist es so, dass sie uns vollständig lenken?

1

Menschen, die in Hotels arbeiten, vermeiden es normalerweise, in Hotels zu übernachten, und folgen damit einem weitverbreiteten Trend innerhalb der Dienstleistungsbranche. Flughafenangestellte zum Beispiel haben eine ähnliche Regel, indem sie sich stets gut verpackte Pausensnacks von zu Hause mitbringen und niemals an den Imbissständen des Flughafens essen. Sie wissen nämlich etwas, das wir nicht wissen. Sie wissen, dass all die Essensreste, die aus den ankommenden Fliegern gekippt werden, Unmengen an Viehzeug, Ungeziefer und Kakerlaken anziehen.

Ähnlich läuft es bei den Hotelangestellten. Die übernachten nämlich nur in Hotels, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt, und dann vorzugsweise in großen. Je größer, desto besser – am besten in einer dieser riesigen Re-sortanlagen mit tausend Zimmern oder mehr. Warum?

Sie wissen, dass sie nur so eine Chance gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit haben.

Lassen Sie mich das kurz erläutern.

In jedem Hotel war irgendwann im Laufe der Jahre mal jemand zu Gast, der zwar ein-, aber nicht wieder ausgecheckt hat. Genauer gesagt hat er zwar ausgecheckt, aber nie die Rechnung bezahlt.

Wenn Sie schon mal in einem Hotel waren, wissen Sie, dass dies ein sehr unwahrscheinliches Szenario ist – außer man wurde eingeladen. Und in unserem Fall, so viel darf ich vorwegnehmen, wurde niemand eingeladen. Damit stehen wir vor einem Paradoxon, das sich nur auflösen lässt, wenn der Gast eine ganz bestimmte Bedingung erfüllt: Er ist während des Hotelaufenthalts aus dem Leben geschieden.

Wissenschaftler haben statistische Untersuchungen zu diesem Thema angestellt – die Zahl der in Hotelzimmern verstorbenen Menschen, die Anzahl der Hotels, in denen Menschen starben, und so weiter und so fort. Was ich sagen will: Es ist eine Tatsache. Es handelt sich nicht um einen gelegentlichen Unglücksfall, und es kommt viel häufiger vor als angenommen. Es passiert fast täglich.

Wenn wir zum Beispiel von einer Rentnergruppe ausgehen, die im Rahmen einer Pauschalreise in einem Hotel eincheckt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens einer dieser Rentner zwar aus dem Bus aus-, aber nie wieder einsteigt, verdammt hoch. Gut möglich sogar, dass er oder sie noch nicht mal mehr dazu kommt, eine komplette Runde Minigolf zu spielen.

Dem Internet zufolge gibt es weltweit ungefähr 17,3 Millionen Hotelzimmer in 187000 Hotels. Das bedeutet: Ganz gleich, wohin die Reise geht und welche Hotelkategorie gewählt wird, ob während oder außerhalb der Hochsaison – die Chancen, mit den Toten zu nächtigen, stehen bei 1:93.

Sie mögen nun denken, dass es sich um ein akzeptables Risiko handelt, eine Wahrscheinlichkeit, mit der Sie leben könnten.

Moment …

Sie wissen nämlich nicht, wie die Person ums Leben kam.

Es gibt verschiedene Szenarien, und ich warne Sie besser jetzt schon, denn es wird von Mal zu Mal schlimmer.

Zuerst sind da die natürlichen Tode. Dazu zählen Fälle plötzlich eintretender und tödlich verlaufender Krankheiten sowie Tod durch Viren, Superbakterien, Herzinfarkte, Aneurysmen, Embolien, massive Hirnblutungen oder – und jetzt bitte anschnallen – spontane menschliche Selbstentzündung.

Lachen Sie besser nicht, von Fällen dieser Art wird immer wieder berichtet. Der Spaß hört spätestens dann auf, wenn man selbst die Person ist, die anschließend die Schweinerei wegmachen darf. Aber dazu kommen wir gleich.

Dann gibt es noch Tod durch Unfall. Ein ungeschickter Handgriff mit dem Elektrogerät im Badezimmer, und ein heftiger Stromschlag kann tödliche Folgen haben. Einmal ausgerutscht nach einer langen Nacht an der Hotelbar, und ein schweres Schädeltrauma, eine heftig blutende Platzwunde oder ein abgetrenntes Körperglied setzen dem Hotelaufenthalt ein Ende. Ein letzter Drink, um den Medikamentencocktail vor der Nachtruhe runterzuspülen, und der Weckruf am nächsten Morgen bleibt unbeantwortet.

Bei Selbstmord gibt es ein paar Aspekte, die im Allgemeinen als, und ich bitte Sie, diese unglückliche Wortwahl zu entschuldigen, todsicher gelten dürften. Erstens, der Tod tritt definitiv im Zimmer selbst ein, weil eine Leiche für gewöhnlich nicht das Fenster öffnet, um sich davonzustehlen. Zweitens, die gewählte Methode muss angesichts der geringen Anzahl der in Hotelzimmern zur Verfügung stehenden Utensilien sowohl kreativ als auch effektiv sein. Drittens, die Leiche wird erst relativ spät gefunden, denn Personen, die sich entscheiden, in einem Hotelzimmer aus dem Leben zu treten, hängen als Allererstes ein »Bitte nicht stören«-Schild an den Türknauf.

Schlussendlich bleibt noch Mord. Statistisch gesehen rangiert das Hotelzimmer als Tatort hinter der häuslichen Umgebung auf Platz zwei. Aber vielleicht überspringen wir einfach die blutigen Details und überlassen den Rest Ihrer Vorstellungskraft. Eines dürfte uns allen allerdings klar sein: Ein schnöder Mord ist niemals eine sonderlich schöne Angelegenheit.

An dieser Stelle sollten wir uns kurz etwas Zeit nehmen, um an die Person zu denken, die das Zimmer nach dem Desaster aufräumen und säubern muss – das Zimmermädchen. Was Jobs angeht, ist der des Zimmermädchens ein äußerst undankbarer. Man könnte sogar sagen, dass er richtig, richtig beschissen ist.

Menschen, die Tatorte säubern, werden als Spezialisten auf ihrem Gebiet angesehen. Sie reinigen Fußbodenbeläge, Teppiche, Bettwäsche und Einrichtungsgegenstände, entfernen unansehnliche Flecken, desinfizieren die gesamte Umgebung und sorgen für einen allgemeinen Wohlgeruch. Haben sie ihre Arbeit getan, sieht alles so aus, als wäre nie etwas geschehen. Deshalb haben die Besten unter ihnen auch ein sechsstelliges Jahreseinkommen. Selbst der arme Trottel, der nach einem Pornodreh sauber machen muss – und von allen insgeheim nur »jizz mopper« (sprich: der Wichsewischer) genannt wird –, bekommt ein akzeptables Gehalt.

Ein Zimmermädchen hingegen muss die gleiche Arbeit in weniger Zeit und bis zu dreißig Mal am Tag verrichten, und zwar zum Mindestlohn, zuzüglich der kleinen Aufmerksamkeiten, die einige Gäste unterm Kopfkissen hinterlassen – was nicht immer Geldscheine sein müssen.

Aber wenn das Zimmermädchen gute Arbeit geleistet hat, gibt es zwei Fragen, die Ihnen als Gast beim ersten Betreten des Zimmers garantiert nicht durch den Kopf gehen. Die erste lautet: Wer ist hier gestorben? Und die zweite ist: Wer hat zuletzt in diesem Bett gefickt?

Und bei diesem Stichwort kommen wir zu einer allerletzten Kategorie. Einer Kategorie, die aufgrund ihrer Besonderheiten definitiv eine nähere Betrachtung verdient: der finale Fick.

Falls Sie sich für dieses Thema interessieren – und Sie werden sich bereits denken können, dass ich mich sehr dafür interessiere –, dann sprechen Sie mit einem beliebigen Hotelangestellten. Von denen hat nämlich jeder eine deftige Geschichte auf Lager, die er gerne zum Besten geben will. Sie müssen bloß ein bisschen stochern. Ganz im Ernst, vom finalen Fick wird so oft berichtet, dass er sich in eine Art urbane Legende verwandelt hat. Sehen Sie mir also nach, wenn ich das Ganze hier und da ein wenig ausschmücke.

Die Story beginnt mit einem Mann und einer Frau, die in ein Hotel einchecken. Sie nehmen das beste Zimmer, die Penthouse Suite. Was er genau macht, ist nicht so wichtig. Er könnte Risikoanleger sein, Unternehmensanwalt, IT-Entrepreneur, vielleicht sogar Schwarzmarkthändler. Von Bedeutung ist lediglich, dass er reich ist – sehr reich sogar – und die Welt ihm zu Füßen liegt. Das ist gut für ihn, denn nur durch Aussehen oder Ausstrahlung allein würde er nie und nimmer einen Treffer landen.

Wenn man das Wort unattraktiv visualisieren müsste, bräuchte man sich nur dieser Kerl anzuschauen: groß, aber im grotesken Maße übergewichtig, mit dauerroter Gesichtshaut, kleinen Schweinsaugen und einem dünnen, leeren Lächeln. Außerdem hat er ein, nun ja, nennen wir es Transpirationsproblem: Er schwitzt. Viel. Daraus folgt, dass er von einer permanent übel riechenden Wolke umgeben ist und im Grunde stinkt wie eine vernachlässigte Herrentoilette.

Die Frau ist seine Freundin – aber nur für diese Nacht, wenn Sie verstehen – und das komplette Gegenteil von ihm. Sie ist so zierlich, dass sie glatt drei Mal in seinen Körper passen würde, und die personifizierte Sexyness. Ihr blondes Haar fällt ihr in süßen Shirley-Temple-Locken auf die Schultern und bildet einen perfekten Rahmen für ihr herzförmiges Gesicht und ihre vollen, weichen Lippen. Ein Körper wie ein Kunstwerk. Mit seiner perfekten S-Kurve ähnelt er der Venus von Milo: kleine, kesse Titten, schmale Taille und ein großer, kurviger Hintern, in dem jeder gern mal sein Gesicht versenken möchte.

Und just in diesem Moment, dem Zeitpunkt, an dem wir in diese Geschichte eintauchen, tut er genau das. Sie ist nackt, auf allen vieren, auf einem Doppelbett. Er befindet sich direkt hinter ihr und presst sein Gesicht in ihren Arsch (was, Sie werden es sich bereits gedacht haben, ihm auch im Alltag zur Routine geworden ist). Wie ein Trüffelschwein fährt er mit seiner Nase die Ritze ihres Hinterteils auf und ab, um alle Nuancen ihres Dufts einzusaugen. Der Geruch dieses Arschs, gepaart mit dem Aroma ihrer Muschi, ähnelt dem von Honigklee, süß und herb zugleich, und macht ihn wahnsinnig.

Dieser Kerl fühlt sich wie im siebten Himmel. Er ist am Ziel seiner Träume angelangt und hat sprichwörtlich alle Hände voll zu tun. Er kann sein Glück kaum fassen, denn er treibt es mit diesem superheißen Girl, das ihn unter normalen Umständen nicht eines Blickes würdigen, geschweige denn ihm einen zweiten schenken würde. Und das Beste ist, dass sie darauf abfährt, auf jede seiner Bewegungen und jeden seiner Stöße reagiert – scheinbar zumindest.

Schon bald reitet sie ihn. Sie stöhnt und keucht, reibt und rekelt sich und zieht eine richtige Show ab, in die sie alles hineinlegt, damit er endlich kommt. Denn obwohl es anders scheint, ekelt er sie gewaltig an, und sie will nur eins: unter die Dusche und sich den Kerl vom Leib waschen. Aber dieser Kerl, er will einfach nicht kommen.

Gut, dass sie da diesen Trick hat, den sie nur unter ganz besonderen Umständen anwendet, ihr Ass im Ärmel, eine Art letzter Ausweg, wenn nichts mehr hilft. Momentan will sie nur, dass die Nummer schnell zu Ende geht, eigentlich sofort, und so entscheidet sie sich, vorzuspulen und ihre Geheimwaffe einzusetzen. Aber dieser Trick wirkt nur aus einem Moment der Überraschung heraus.

Sie manövriert sich in die passende Position, Reiterstellung mit dem Rücken zu ihm, sodass er nur noch diesen prächtigen Arsch sehen kann, der wie der Pumpenkopf einer Erdölförderanlage in einer flüssigen Bewegung auf und ab schwingt. Sie lehnt sich nach vorn, um ihm eine noch bessere Aussicht zu bieten, und wartet auf das Zeichen – dieses leise, angestrengte Stöhnen, das Typen manchmal entfährt, wenn sie die Kontrolle verlieren. Als sie es hört, rammt sie ihren Mittelfinger tief in seinen Arsch hinein. Und dreht ihn im Kreis.

Wenn das Timing bei diesem Manöver nicht stimmt, kann das ein richtiger Lustkiller sein, weil Männer für gewöhnlich ziemlich schnell ziemlich komisch werden, wenn man ihrem Arsch zu nahe kommt. Überrascht man sie aber, kommen sie so schnell, dass sie überhaupt nicht wissen, was genau passiert. Danach verlieren sie kein Wort über die Sache und tun so, als wäre nichts gewesen. Wie die Hotelangestellten und die Flughafenbelegschaft weiß auch die Lady aus unserer Story etwas, das andere nicht wissen:

Kerle mögen das, sind aber nicht imstande, es zuzugeben.

Dieses Mal schiebt sie ihren Mittelfinger bis zum Anschlag rein, nur um absolut sicherzugehen. Und es funktioniert besser als gedacht, besser sogar als jemals zuvor. Auf einmal spritzt der Kerl nämlich ab, und BÄNG – im selben Moment explodiert sein Herz.

Da bekommt der Ausdruck gleichzeitiger Orgasmus doch eine ganz neue Bedeutungsebene, oder?

Zu dieser Geschichte gibt es noch eine andere Version. Dabei ist die Ausgangslage identisch, bis auf ein kleines Detail: die Position. Dieses Mal liegt er auf ihr, rammelt und stößt, was das Zeug hält, während sie mit der Hand über seine Lende nach hinten fährt und ihm den Finger ins Loch jagt. Wieder gibt sein Motor auf – pifff, einfach so –, und er klappt wie ein riesiger Monolith über ihr zusammen. Den Rest können Sie sich sicherlich denken.

Wer diese Leute waren, spielt eigentlich keine Rolle. Ihre Namen werden aus dem Gästeregister entfernt, als hätten sie niemals existiert. Anschließend erfindet man eine einigermaßen plausible Story, um die Würde der Verstorbenen zu wahren und den Hinterbliebenen die Schande der näheren Umstände zu ersparen. Die ganze Geschichte wird unter den Teppich gekehrt, und niemand wird jemals etwas spitzkriegen.

Sie wollen wissen, warum?

Weil Hotels wie Botschaften sind. Brutstätten für allerlei verdeckte Aktivitäten, außerhalb der Reichweite von Recht und Gesetz. Panzerschränke für Geheimnisse und Verfehlungen. Orte, an denen keine Spuren zurückgelassen werden.

Nun werden Sie sich bestimmt schon fragen: Wohin soll das alles führen? Gute Frage. Dazu wollte ich nämlich gerade kommen.

Sehen Sie, Inana war ein Mensch mit Zugang zu sehr exklusiven Kreisen. Wie die Blondine aus der eben erwähnten Geschichte war auch sie eine Expertin auf ihrem Gebiet, ein Profi – im Gegensatz zu der Blondine aber keine Professionelle. Sie tat es, weil sie es genoss, weil sie die Grenzen der weiblichen Begierde besser verstehen und sich selbst kennenlernen wollte. Bald schon hatte sie sich eine gewisse Reputation erworben und wurde von einigen der mächtigsten Männer der Welt begehrt. Und aufgrund dieser Reputation erfuhr sie von ebenjenen Geheimnissen und Grenzüberschreitungen, die Hotels unbedingt geheim halten wollen.

Vielleicht hielt Inana Arbeit und Privatleben getrennt, weil sie auf diese Weise, genau wie Einstein im Berner Patentamt, in der Lage war, eine andere Perspektive einzunehmen und in eine komplett fremde Welt einzutauchen, um sich von dieser inspirieren zu lassen.

Vielleicht gibt es in diesem einen Hotel, dem letzten Ort, an dem Inana bekanntermaßen arbeitete, aber auch ein Geheimnis. Dafür spräche, dass ich es in keiner verschissenen Suchmaschine oder Online-Karte finden konnte.

Sicher weiß ich nur, dass Inana nicht mehr da ist, um für sich selbst zu sprechen. Und dass ich mehr über sie herausfinden muss, weil ich das Gefühl habe, ihre Erfahrungen gleichen den meinen. Möglicherweise hält sie all die Antworten parat, die ich über mich selbst suche.

Dieses Hotel ist so exklusiv, dass es weder in Reiseführern noch in Karten auftaucht. Selbst wenn man wollte, könnte man dort kein Zimmer buchen. Und das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es sich vielleicht anhören mag.

Tatsächlich ist das ein weiteres Geheimnis der Hotelbranche. Überall auf der Welt werden an versteckten Orten Hotels gebaut, die ganz und gar nicht nach Hotels aussehen. Steht man in einem dieser Hotelzimmer und blickt aus dem Fenster, würde man schwören, in Paris, Rom, New York, Tokio oder einer anderen glamourösen Metropole zu sein. Tatsächlich aber befindet man sich, gut versteckt vor neugierigen Blicken, in irgendeinem trostlosen Kaff in China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, in einem Zimmer ohne Aussicht, dessen Fenster wie bei alten Filmkulissen auf die Wand gemalt oder mit Bildern verkleidet sind. Das Zimmer selbst ist ein exaktes Modell, ein Prototyp für ein noch zu bauendes Hotel, an dem die Architekten neue Verfahren und Designs ausprobieren, um sie an die speziellen Anforderungen ihrer Kunden anpassen zu können.

Ebenso gibt es irgendwo in der Pampa von Louisiana oder North Dakota Siedlungen, die wie Dörfer aus dem Nahen Osten aussehen. Dort laufen dann als Einheimische verkleidete Statisten herum und verkaufen billige Coca-Cola-Imitate. Alles in diesen Siedlungen ist bis ins kleinste Detail der Realität nachempfunden, nur um es dann mit der neuesten Waffentechnologie in die Luft jagen zu können – eine perfekte Möglichkeit, um neue Militärstrategien ohne eigene Verluste testen und verfeinern zu können, bevor man sie auf dem Schlachtfeld einsetzt.

Diese Hotels, von denen wir sprechen, arbeiten nach demselben Prinzip – allerdings ohne Waffen, Munition und Kunstblut. Sie ermöglichen es, Fehler zu machen und daraus zu lernen, damit diese nicht in der realen Welt passieren.

2

Seine Hände arbeiten sich streichelnd an meinen Schenkeln nach oben, wecken mich zärtlich, als würde sein Körper dem meinen ein Geheimnis erzählen, und ich bleibe still liegen, tue so, als ob ich schlafe, damit er weitermacht mit diesem sanften Akt der Gewalt. Wenn ich aufwache, das weiß ich, wird sein Griff fordernd, aber nicht fordernd genug, und im Moment möchte ich einfach nur Jacks Hände spüren, wie sie mich ohne Hast berühren.

Aufgrund seiner langen Arbeitszeiten finden wir neuerdings nur noch mit hungrigen Händen zueinander, tatschen und grapschen zielorientiert, verschlingen gierig, anstatt zu geben. Wir benutzen einander, um zum Höhepunkt zu kommen. Unsere Zweisamkeit hat etwas Fieberhaftes, als würden wir einander noch schnell Lebewohl sagen müssen, bevor wir in das Unterbewusstsein des Schlafs abtauchen. Aber jetzt will ich ausnahmsweise einmal ein zärtliches, zögerndes Hallo.

Er streicht mein Haar nach hinten über meine Schulter und küsst meine geschmeidige Haut an der Stelle, wo Hals und Unterkiefer aufeinandertreffen. Ich linse durch meine Wimpern und sehe die roten Zahlen des Weckers, wie sie mich anstarren. 02:37 Uhr. Es ist mitten in der Nacht, und Jack schleicht sich in unser Bett, stiehlt sich Küsse, als wäre er jemand anders – oder als wäre ich jemand anders.

Der Dieb der Lust gehört mir für sein Vergehen. Mir kribbelt es in den Fingern, und ich spüre das plötzliche Verlangen, nach seinen Hoden zu greifen, nachzuschauen, ob er schon hart ist oder nur mit dem Gedanken an einen Liebesakt spielt, bevor er sich der Müdigkeit ergibt und einschläft.

Doch dann merke ich, wie etwas über die schlafwarme Haut meiner Schenkel nach oben kriecht. Es ist Jacks harter Schwanz. Warum nur sind harte Männerschwänze so unglaublich geschmeidig? Ist es möglich, dass die Reibung beim Masturbieren wie ein Peeling wirkt?

Ich stöhne und strecke meinen Hintern raus, lade ihn ein, ein wenig näher zu kommen, um meine glühende Haut und die feuchte Hitze zwischen meinen Schenkeln zu genießen.

Seine Berührungen mäandern auf der Rückseite meines Beins nach oben, kitzeln meine Haut und verbrennen mich fast mit ihrer Leichtigkeit. Einmal nur, das wünsche ich mir, einmal nur soll er mich wachficken. Keine zärtlichen Finger, die um Erlaubnis bitten und warten, bis ich so weit bin. Ich will, dass er mich hart und schnell und tief nimmt, will von seinem Schwanz durchbohrt aufwachen, so überrascht, dass ich kurz brauche, um zu realisieren, dass er es ist.

Aber Jack ist zu nett, zu gut, um nicht von dieser Fantasie geschockt zu sein. »Was, wenn ich dir wehtue?«, hatte er bei der letzten Diskussion über dieses Thema gefragt, und ich hatte die Vorstellung tief in mir begraben.

Manchmal will ich eben, dass es wehtut. Aber ich hatte es ihm nicht gesagt, weil ich nicht das Entsetzen auf seinem Gesicht sehen wollte. Er glaubt, ich hätte »all das« schon vor Jahren hinter mir gelassen.

»Cath«, flüstert er leise und nimmt mein Ohrläppchen in den Mund.

Ich stöhne.

»Bist du wach?«

Und dahin ist die Fantasie. Ich nicke und rücke näher an ihn ran, während er sich in Löffelchenstellung an mich schmiegt und mich in einen meiner Nippel kneift.

Ich wollte den zärtlichen Jack, aber jetzt, wo ich ihn habe, will ich mehr. Ich will immer mehr von Jack. Ganz plötzlich wird mir bewusst, wie sehr ich ihn liebe, und ich drehe mich um, presse meine Lippen auf seinen Mund und küsse ihn innig, während er sich sanft auf mich legt und der steife Stoff seines Hemds leicht über meine Nippel reibt. Es gefällt mir, aber ich möchte die Wärme seiner Haut auf meinem Körper spüren.

Er richtet sich auf, streift das Hemd ab und beugt sich dann zu meinem Bauch hinunter, von wo aus er sich küssend zu meinem heißen Dreieck vorarbeitet und dabei leicht mit den Schultern gegen meine Schenkel stupst.

Ich spreize die Beine für ihn, bin begierig, seine heiße Zunge an meinem Kitzler zu spüren. Er hebt meine Beine über seine Schultern und leckt mich lang und langsam, und ich kann nicht anders, als meine Fersen in seinen Rücken zu drücken, denn ich will, dass er es noch mal macht, mit mehr Druck.

Er überrascht mich allerdings, indem er einen Finger in mein feuchtes Inneres schiebt, die Fingerspitze krümmt und meinen G-Punkt drückt. Ich fahre mit den Händen durch sein Haar, greife ihn fest und versuche ihn in dieser Position zu halten, während ich meine Hüften kreisen lasse wie eine Dancehall Queen.

Dann dringt er mit der Zunge in mich ein, während seine Finger meine Klitoris bearbeiten. Ich seufze und stöhne vor Lust, denn ich will, dass er weiß, wie gut sich das anfühlt. Und wie glücklich ich darüber bin, auf diese Weise geweckt zu werden. Und dass ich einfach nur noch mehr will, mehr von ihm, mehr von uns, mehr von alldem hier.

»Fick mich, Jack. Fick mich richtig hart.«

Er fährt mit seiner Zunge in einer langen Linie von meiner Muschi hoch zu meinem Mund. Dann verschlingen sich unsere Zungen, und während mein Verlangen in seinem Kuss aufgeht, stößt er mit einer harten, tiefen Bewegung seine Lenden nach vorn.

Mein Kopf fällt nach hinten. Ich öffne mich wie eine Blüte, die bereit ist, gepflückt zu werden, und dann schlinge ich meine Beine um seinen Rücken und presse die Schenkel zusammen.

Ich möchte, dass er in mich schlüpft, mich überzieht und als Kostüm trägt, um all das zu tun, was er schon immer tun wollte, wenn er für eine Nacht die Chance hätte, in meinem Körper zu sein und mich als eine Verkleidung in Menschengestalt zu tragen, eine Hülle für sein Vergnügen.

Was ich tun würde, wenn ich für einen Tag in Jacks Körper schlüpfen könnte?

Alles.

Ich würde mich ficken, um zu erfahren, wie es sich in mir drin anfühlt.

Ich würde im Stehen pinkeln.

Ich würde wichsen und alles aus meinem Schwanz herausholen, bis auf den letzten Tropfen, um zu sehen, wer die besseren Orgasmen hat – Männer oder Frauen.

Ich würde diese unglaublich scharf gewürzten Chicken Wings essen, die sich Jack von Zeit zu Zeit gönnt – und bei denen sich bei mir die Mundschleimhaut löst –, um zu sehen, wie es ist, etwas zu genießen, das ich normalerweise nicht ausstehen kann.

Ich würde durch die Gegend marschieren, stark und männlich, mit breiten Schultern und kerzengerade, und niemand würde sich mit mir anlegen.

Ich würde mir die Bartstoppeln so lange stehen lassen, wie ich es aushalte, und sie dann abrasieren, um zu schauen, ob sich mein Gesicht dadurch anders anfühlt.

Würde auch Jack bei einem Körpertausch derart willkürlich irgendwelche Dinge ausprobieren?

Ich presse meinen Unterleib gegen seinen Schwanz und bin wahnsinnig angetörnt von der Vorstellung, dass Jack meinen Körper benutzt, um das Unmögliche zu erforschen.

Was würde er mit mir anstellen?

Angenommen, wir würden uns beim Körpertausch lieben, was würde das offenbaren oder gar verändern? Was wäre, wenn ich den Sex in seiner Haut so viel mehr genießen würde als in meiner, dass ich es nie mehr vergessen könnte? Würde ich ihn verabscheuen? Würde er mich im umgekehrten Fall verabscheuen?

Ich möchte ihn fragen, was er tun würde, wenn er für einen Tag in meinem Körper wäre. Ich will hören, was er alles anstellen würde, und sehen, ob es meinen Vorstellungen entspricht. Meine Lippen öffnen sich, um die Frage auszusprechen, aber er küsst mich tief und innig, und als im gleichen Moment sein Schwanz in mich eintaucht, spielen meine Fragen keine Rolle mehr.

Ganz gleich, wer in wessen Hülle steckt, Jack würde meinen Körper jederzeit zum Singen bringen.

Er verschränkt seine Finger mit meinen, drückt meine Arme über den Kopf nach hinten ins Laken zurück und schaut zu, wie meine Titten hüpfen, während er so hart und intensiv seinen Schwanz in mich hineinstößt, wie John Bonham auf seine Snare eindrosch.

Seine Eier sind überzogen von meinem Saft und klatschen mit jedem Stoß heftiger gegen meinen Hintern. Als ich merke, dass ich Jack auch in meinem Arsch will, vollführt er einen eigenartigen Seitwärtsruck mit den Hüften, der mich vollkommen überrascht. Im nächsten Moment beginnt sich in meinem Kopf alles im Kreis zu drehen, und ich spüre, wie ein Orgasmus in mir nach oben steigt, während meine Muschi sich um seinen Schwanz zusammenschließt und seine Stöße abbremst.

Dann kommt es, scharf, intensiv und zauberhaft zugleich, von einem krampfartigen Schmerz im Bauch begleitet. Ich will verdammt sein, wenn dieses Gefühl nicht anhält, wenn er nicht alles tut, dass es länger dauert, als es sollte – am besten ewig. Und während ich immer noch unter ihm zittere, füllt er mich mit einer gigantischen Ladung. Heiß und dickflüssig, fast schon zäh, schießt er es in meinen Körper hinein wie mit einer Super Soaker.

Ich will, dass er es als Gleitmittel benutzt, um als Nächstes meinen Arsch zu ficken.

Das ist meine liebste Art des Recyclings.

Wie so viele andere bin auch ich mit Mitte zwanzig zur Umweltschützerin geworden.

***

Danach schleppe ich meinen wunderbar wunden Arsch ins Wohnzimmer, um mir einen Film anzuschauen, ohne Jack beim Schlafen zu stören. Sex ist schon eine eigenartige Sache, und manchmal kommt es mir vor, als wären wir Menschen wie Akkus, die sich dabei laden und entladen. Mitunter treiben wir unsere Körper beim Sex schneller zur Erschöpfung als mit einem Work-out, verfügen danach aber über mehr Energie als zuvor und fühlen uns, als könnten wir einen Marathon laufen. Ein anderes Mal geben wir uns einem nachmittäglichen Schäferstündchen mit all der Energie dieser Welt hin und brechen danach zusammen, als hätten wir seit Tagen nicht geschlafen. Vielleicht stimmt es ja, dass wir Energie auf den Körper des anderen übertragen, indem wir uns berühren, indem wir Lust schenken und empfangen.

Wie dem auch sei, ich weiß jedenfalls, dass ich so schnell kein Auge zubekomme, und so durchstöbere ich das Filmregal im Wohnzimmer, in dem unsere eklektischen Geschmäcker in einer eigenwilligen Kollektion zusammengepresst sind. Oft denke ich, dass es eine gewisse Erniedrigung für meine Sammlung ausländischer Filmkunstwerke ist, dort auf Jacks Actionstreifen zu treffen, aber im Grunde mag ich die Sachen auch, die er sich ansieht – diese testosteronbefeuerten Abenteuer voller Bromances und alternder Helden.

Außerdem trage auch ich meinen Teil dazu bei, das Niveau des Filmregals mit ein paar romantischen Komödien, größtenteils Klassiker aus den Neunzigerjahren, nach unten zu ziehen. Junkfood fürs Gehirn.

Momentan ist mir allerdings nicht nach leichter Unterhaltung. Stattdessen sehne ich mich nach einem gehaltvollen Streifen, etwas Neuem mit Substanz, das ich genießen kann. Doch ich kann einfach nichts finden … bis ich auf L’amore in città – Liebe in der Stadt stoße, eine sechsteilige Sammlung aus den Fünfzigern, die Segmente von sieben italienischen Regisseuren vereint. Ich habe den Film noch nicht gesehen. Jack hat ihn mir zu Weihnachten geschenkt, aber ich wollte mir diesen Leckerbissen für einen verregneten Tag aufsparen. Mag sein, dass ich ein wenig sadomasochistisch veranlagt bin, was meine nächtlichen Filmvorlieben angeht, aber nach allem, was ich über meine Lieblingsfilmemacher weiß, sind sie das ebenfalls – beziehungsweise sie waren es.

Nun, Geduld ist endlich, und ich habe wahrlich lang genug gewartet.

Ich reiße die Folie von der DVD-Hülle, lege den Film ein und mache es mir mit einem Glas Wasser auf der Couch gemütlich.

Die Anfangsmusik klingt etwas verzerrt, und der Vorspann läuft vor einem Asphalthintergrund – eine Referenz an den Titel.

Ich springe zum Beitrag von Antonioni, Tentato Suicidio – Selbstmordversuch. Ich muss ihn mir einfach als Erstes ansehen. Andernfalls würde ich mir die ganze Zeit erwartungsvoll das Hirn zermartern – über die bevorstehende Antonioni-Episode und die Frage, in welchem Verhältnis sie zu den anderen Beiträgen steht – und keine Konzentration für die Filme der restlichen Regisseure aufbringen können. So genieße ich seinen Beitrag zuerst und schaue die Sammlung anschließend von Anfang an.

Ich weiß nicht genau, warum mich gerade Antonionis Arbeit in letzter Zeit so sehr fesselt, aber ein Aspekt fasziniert mich an Schwarz-Weiß-Filmen ganz besonders: Es gibt nicht viel, was das Auge ablenken könnte.

Wir alle haben Vorlieben, wenn es um Schattierungen, Stoffe oder Wände geht.

Der Teppich muss zu den Vorhängen passen. Und der richtige Blauton kann sich an einem klaren Tag wie der Himmel selbst anfühlen. Er lässt uns tief und genussvoll einatmen und sorgt dafür, dass fluffige Wolken durch unsere Gedanken schweben. Und natürlich haben wir alle unser ganz persönliches Lieblingsoutfit, das unsere Augen betont und ein bisschen Stolz und Schwung in unseren Gang bringt.

Das falsche Grün hingegen erinnert an die Wände des Krankenhauszimmers, in dem wir als Kind die schlimmsten vierundzwanzig Stunden unseres Lebens verbrachten, während unsere Eltern sich fragten, ob das Fieber jemals wieder runtergehen würde.

In der Schwarz-Weiß-Welt hingegen gibt es nur Licht und Schatten und jede Menge Grautöne. Oberflächen werden wichtiger, genauso wie Muster, und es findet keine Ablenkung durch geschmacklos grelle Farben im Hintergrund statt.

Es kann aber auch schwieriger sein, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen. In jedem Fall mussten sich die Requisiteure damals mehr ins Zeug legen – auch wenn sie keine Gedanken an harmonierende Farbtöne zu verschwenden brauchten. Ein zur Lippenstiftfarbe der Hauptdarstellerin passendes Kissen für das subtile farbliche Echo im Hintergrund mussten sie jedenfalls nicht suchen.

Die Figuren gehen an einer großen, nach innen gewölbten, weißen Wand entlang, und während von links immer mehr Personen ins Bild kommen, vermischen sich Schauspieler und Schatten und sind für ein paar Sekunden nicht auseinanderzuhalten. Ich weiß, dass Antonioni das bewusst so arrangiert hat.

Alles, was er tat, basierte auf bewussten Entscheidungen. Das Leben lässt sich nicht steuern oder lenken, aber er war in der Lage, die Abläufe auf der Leinwand mit einem bemerkenswerten Fluss zu kontrollieren. Und das bewundere ich.

In seinem Beitrag geht es um Menschen, die nach einem Selbstmordversuch über die Motive für ihre Tat sprechen. Der Erzähler erklärt, dass all diese unterschiedlichen Personen das starke Bedürfnis haben, über ihre Erfahrungen zu reden, was wie ein Widerspruch zum damaligen Umgang mit dem Tabuthema Suizid wirkt.

Vielleicht hatten diese Menschen ja deshalb ein so starkes Bedürfnis, mit anderen darüber zu sprechen. Um ihren Gefühlen Ausdruck verleihen zu können, ohne von der Gegenseite als verrückt oder labil abgestempelt zu werden. Vielleicht dachten sie, diese Zusammenkunft könnte ihnen selbst und auch anderen dabei helfen, das Ganze zu verarbeiten.

Sie wirken so bedrückt, in ihren perfekt aufeinander abgestimmten Anzügen und Jacken, wie sie nur Italiener zusammenstellen können. Der singende Tonfall in der Stimme des Erzählers lässt mich einmal mehr bedauern, dass ich so wenig Italienisch spreche, aber es ist ein unbegründetes Bedauern. Tatsächlich überrascht es mich immer wieder, wie viele Wörter und Wendungen ich allein durch italienische Filme aufgeschnappt habe.

Der Erzähler erklärt, dass Selbstmord die einzig wirklich irreparable Handlung im Leben eines Menschen darstellt.

Alle Charaktere in Tentato Suicidio hatten ihre Gründe, um aus dem Leben scheiden zu wollen. Bei den Gesprächen schauen sich manche von ihnen sehr mitfühlend an und scheinen sich umarmen zu wollen, nur um dann in der Bewegung innezuhalten – als würde eine zärtliche Berührung wie diese sie in Stücke reißen.

Vielleicht würde sie das tatsächlich.

Ich kann den Wunsch verstehen, den Schmerz beenden zu wollen, aber der Erzähler hat recht – es ist ein irreparabler Akt. Unabhängig davon, ob uns ein allmächtiger Gott an der Himmelspforte empfängt oder eine große Leere auf uns wartet, wenn wir für immer die Augen schließen, stellt sich doch die Frage, warum wir eine Abkürzung zum Ende dieses einen und sehr wahrscheinlich einzigen Lebens nehmen sollten. Schulden wir es uns nicht selbst, so viele Erfahrungen wie möglich in die uns zur Verfügung stehende Zeit zu packen?

Für mich ist es einer der egoistischsten aller Auswege. Denn jede Person lässt liebende Menschen zurück. Vielleicht ist das aber auch nur die Perspektive eines Menschen, der den »irreparablen Akt« noch nicht begangen oder versucht hat.

In der Vergangenheit musste ich mich für diverse Artikel mit Selbstmorden beschäftigen. Eine sehr unerfreuliche Aufgabe, da es meist mit Unmengen an Schmerz und rohen Emotionen getränkte Geschichten sind. Ich kann nicht anders, als dabei an die Suizid- und Vermisstenfälle zu denken, die damals meinen Uni-Campus und ganz Amerika bis ins Mark erschütterten. Viele Menschen sind überrascht, dass die Mehrheit der Selbstmörder keinen Abschiedsbrief für Familie oder Freunde zurücklässt. Tatsache ist allerdings, dass kein Brief den Schmerz derer lindern kann, die mit dem übermächtigen »Warum?« weiterleben müssen.

Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, ob eine Erklärung tatsächlich hilft oder das Ganze nur noch schlimmer macht. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass ein Abschiedsbrief anklagende Worte enthält. Aber was, wenn das doch der Fall ist und ausgerechnet du selbst der Grund für den Schmerz des Selbstmörders bist? Wie schrecklich würde sich das anfühlen? Im Allgemeinen halte ich es in den meisten Fällen nicht für eine gute Idee, einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. Nichts von dem, was der Selbstmörder in diesen Zeilen sagt, wird ihn wieder zurückbringen oder die Hinterbliebenen mit einem besseren Gefühl zurücklassen. Diese Worte erzeugen lediglich Schuldgefühle, und die Zurückgelassenen werden sich damit quälen, dass sie zu wenig gesagt oder zu wenig getan haben, dass sie sich nicht hätten trennen, sondern weiter kämpfen, weiter aushalten sollen.

Dieses »Ich liebe dich« noch einmal zu hören täte sicherlich gut. Allerdings wäre es trotz allem behaftet von dem, was folgt. Es ist nur schwer zu glauben, dass man von einer Person geliebt wird, wenn ebendiese Person sich dafür entscheidet, aus dem Leben zu treten. Für den hinterbliebenen Partner ist es schwierig bis unmöglich, den Akt des Selbstmords nicht als Kritik oder Vorwurf an sich selbst zu interpretieren. Tatsächlich geht es allerdings nicht um dich, den Zurückgelassenen, und auch nicht um deine Gefühle. Menschen, die sich für den Freitod entscheiden, denken mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an die, die sie zurücklassen. Falls sie in dieser Situation überhaupt an irgendetwas denken.

Sie sind so sehr auf ihren Schmerz fokussiert und auf die Möglichkeit, diesem zu entkommen, dass sie alles andere ausblenden. Es ist Egoismus, ja, aber in seiner wohl unbewusstesten Form. Es geht diesen Menschen nicht darum, anderen Schmerzen zu bereiten, sondern ihrem eigenen Schmerz ein Ende zu setzen.

Und trotzdem richtet es die Zurückgelassenen zugrunde.

Schmerz ist Energie. Energie kann nicht zerstört werden oder verloren gehen – und ein Selbstmord lässt den Schmerz nicht verschwinden. Er wird lediglich an die Hinterbliebenen weitergegeben. Newton hatte recht, zumindest mit dieser Sache.

Die Darstellerin der Rosanna verhält sich unentschlossen, fast schon scheu. Dabei wirkt sie so authentisch, dass man leicht glauben könnte, sie wäre gar keine Schauspielerin, sondern eine Person, die all das erlebt hat. Ihre Geschichte ist unglaublich traurig.

Ich lege eine Pause ein und informiere mich online über die Frau. Mit dem Ergebnis: Sie war keine Schauspielerin. Bei den Darstellern handelte es sich um echte Menschen, die wirklich Suizidversuche hinter sich hatten und für diesen Film von Antonioni angeleitet wurden. Einige von ihnen wurden nach diesem Projekt zu richtigen Schauspielern. Das bedeutet, dass dieser Film der große Durchbruch für sie war und der Selbstmordversuch ihr Karrieresprungbrett.

Ich weiß nicht, ob es das Ganze schlimmer oder besser macht.

Aber das ist auch das Großartige an Antonioni: Es spielt keine Rolle, ob die Protagonisten im Film richtige Schauspieler waren oder nicht – was zählt, ist die Geschichte selbst und welche Emotionen sie in dir auslöst. Kunst sollte die Menschen zum Hinterfragen und Nachdenken anregen.

Die Darsteller in diesem Film sprechen nicht einfach nur über ihre Erlebnisse, sondern vollziehen sie in einem Schauspiel nach, um dem Publikum zu zeigen, was genau passiert ist. Wie sich das wohl angefühlt hat, die schrecklichsten emotionalen Momente des eigenen Lebens noch einmal zu durchleben? Es läuft mir kalt den Rücken runter.

Eine andere Frau ist fast schon aggressiv in der Schilderung ihrer verschiedenen Suizidversuche und beschreibt, wie diese fehlschlugen oder von anderen Menschen unterbunden wurden.

Dann kommt eine Frau zu Wort, bei der es scheint, als würde sie sich noch immer den Tod wünschen. Allerdings beantwortet sie die Frage, ob sie im Moment glücklich sei, mit Ja.

Ist es möglich, dass es in der Tiefe ihrer Gedanken immer noch diesen halb offenen Notausstieg gibt, der einerseits einladend und verlockend wirkt und Trost verspricht und andererseits durch seine bloße Existenz für Depressionen sorgt?

In diesen Filmen sieht das Rauchen immer so gottverdammt elegant aus. Es juckt mir förmlich in den Fingern, eine dieser schlanken weißen Zigaretten zwischen ihnen hin- und herzurollen, den warmen Qualm aus meinem Mund strömen zu lassen und meinen Atem für andere sichtbar zu machen. Noch so eine Fantasie, über die ich mit Jack sprechen muss. Er hasst Zigaretten.

Ist es ein Zeichen von Ungeduld, von Schwäche? Oberflächlich, tiefgründig?

Eine der Frauen besitzt diesen schläfrigen Blick durch halb geöffnete Augen, wie Lauren Bacall ihn damals perfektioniert hat, und spricht davon, Schauspielerin zu werden. Aber auf dem offiziellen Weg, mit Schauspielunterricht.

Die Kunst zieht eine große Zahl labiler Individuen an – manche wissen es nur besser zu kaschieren als andere. Vielleicht fällt es denjenigen, die mit derart intensiven Emotionen zu kämpfen haben, ganz einfach leichter, sich zu verstellen. Am Set erscheinen sie aufgeräumt und auf die Arbeit konzentriert, während ihrer drehfreien Zeit allerdings wachsen Leid und Kummer ins Unerträgliche. Zweifel und Leere gewinnen die Oberhand, und sie stürzen sich in Laster und verantwortungslose Verhaltensmuster.

Unter den Personen, die anfangs an der weißen Wand entlanggehen, um von ihren Geschichten zu erzählen, sind Frauen und Männer. Im Film selbst berichten aber nur Frauen von ihren Erlebnissen. Warum? War es eine bewusste Entscheidung von Antonioni, nur die Geschichten einiger weniger Menschen in seinen Beitrag aufzunehmen, nur die Erlebnisse der Frauen, oder hat sich das einfach so ergeben? Meldeten sich nur Frauen bei ihm, als er konkretisierte, wonach er suchte?

Wollte er zeigen, wie das schwächere Geschlecht auf gescheiterte Liebesbeziehungen reagiert? Wollte er ein Statement abgeben – nicht notwendigerweise ein besonders gutes – und aufzeigen, dass Männer sich nicht so sehr von Emotionen beeinflussen lassen?

Es heißt, er hätte die Authentizität und Spontaneität von Frauen aus der Arbeiterklasse bewundert und zudem seine Mutter geliebt und geachtet. Ganz gewiss hätte er die Darstellung dieser Menschen nicht für andere Zwecke benutzt.

Wer waren dann die Männer, die Begleitungen der Frauen im Film? Freunde, Familienangehörige, Partner? Normale Menschen oder Schauspieler? Vielleicht eine Mischung? Hatten die Frauen diese Männer möglicherweise selbst mitgebracht, als man ihnen sagte, dass jede von ihnen das Recht auf eine Begleitung hätte? Wollten sie diese Männer am Ende damit beeindrucken, dass sie in einem Film mitspielten? Komm mit, Süßer, und schau mir zu, wie ich vor der Kamera über dieses eine Mal erzähle, als ich mich umbringen wollte.

Eine verdammt abgefahrene Veranstaltung für ein Date.

Ich skippe zurück und schaue den Film von Anfang an.

3

Manchmal kriegt man die besten Szenen eines Films erst dann zu sehen, wenn der Abspann vorbei und das Licht wieder an ist. Wenn man aus dem Kinosaal schlurft, immer noch leicht desorientiert vom emotionalen Ritt, den dir der Regisseur geboten hat. Manchmal flackert es dann noch mal kurz auf der Leinwand, und sie erwacht zu neuem Leben. Man merkt, dass es das noch nicht gewesen ist, und sprintet wieder zurück, in der verzweifelten Hoffnung auf eine Schlüsselszene und ein vollständigeres Verständnis des Streifens. Für gewöhnlich kommt man zu spät und verpasst diesen Moment, das vermeintlich letzte Puzzleteil. Oftmals sitzen die Superhelden auch einfach nur herum und essen Schawarma.

Was wirklich passiert, lässt sich allerdings nur herausfinden, wenn der eigene Arsch im Kinosessel verharrt, und zwar bis zum bitteren Ende, bis die Filmrolle durchgelaufen ist. Manchmal muss man einen Film auch öfter ansehen, um die subtilen Veränderungen beim Plot und in den Charakteren erfassen zu können. Ändert sich vielleicht die Belichtung, wenn die Figur glücklich ist? Oder verliert die Protagonistin die Kontrolle über sich selbst, und die durchgeknallte beste Freundin ist ein Symbol für ihren zunehmenden Wahnsinn?

Beim Journalismus verhält es sich in vielen Bereichen ähnlich. Die Details zum Beispiel: Man muss auf jede Kleinigkeit achten, Dinge, die von den meisten Leuten übersehen werden. Die kleinen Details stellen nämlich oft Verbindungen her, die anderen bei einer oberflächlichen Betrachtung nicht auffallen. Man muss sich zum Kern der Geschichte vorarbeiten und die Leser dazu bringen, sich für Fremde zu interessieren und Empathie zu entwickeln. Der Job bringt lange Arbeitszeiten mit sich, in denen man sich mit jeder Menge schlechtem Kaffee nach vorn pusht – das gilt besonders für jemanden wie mich, der noch am Anfang seiner Karriere steht.

Und doch hat diese Brutalität, die dem Ganzen innewohnt, diese pure Ausbeutung der Fakten, etwas, das diesen Job für mich attraktiv macht. Hinzu kommt das Konzept der Pressefreiheit, das mich schon immer angezogen hat. Denn damit gelangt man überall hin und erhält Zutritt zu den Bereichen hinter den Vorhängen.

Und dann liegt es an einem selbst, diese Informationen aufzubereiten und sie unters Volk zu bringen. Du musst die Wahrheit spannend machen oder sie ein bisschen ausschmücken, damit sie lustvolle Untertöne bekommt und interessant klingt. Fakten sind trocken. Es liegt an dir, die Menschen dazu zu bringen, sich für die Geschichte zu interessieren – und das ist dieser Tage leichter gesagt als getan.

Printmedien unterscheiden sich zwar grundsätzlich vom Film, aber sie teilen ein gemeinsames Ziel: Man will den Leuten die Augen für das öffnen, was man selbst sieht, und eine emotionale Reaktion in ihnen hervorrufen. In puncto Schöpfungsprozess ist es bei den gedruckten Medien sicherlich etwas trockener, aber ich habe trotzdem schon viel gelernt. Wenn man nicht mit Bildern arbeiten kann, um eine Geschichte zu erzählen, lernt man, kreativ zu werden. Es ist gewiss nicht das, was ich für den Rest meines Lebens machen will – idealerweise bin ich in ein paar Jahren Filmemacherin –, aber es ist eine sinnvolle Tätigkeit und darüber hinaus ein Job, der mit meinem Traumberuf verbunden ist.

Gut, es ist kein todsicheres Sprungbrett für eine Karriere in der Filmwelt, hat aber auch viel mit Storytelling zu tun, und das ist es, was mich interessiert. Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass die Jobbezeichnung »Amateur-Filmemacherin« nicht mit einem Gehalt einhergeht, von dem sich der Kühlschrank füllen lässt. Aber eines Tages werde ich es schaffen – ich muss nur weiter an meinen Fähigkeiten feilen, ein paar Kontakte knüpfen und noch mehr Erfahrung sammeln.

Es ist später Abend, und ich sitze im Newsroom an meinem vollgekramten Arbeitsplatz. In der Hoffnung, auf etwas zu stoßen, das mir die Augen öffnet und mich packt, starre ich unzufrieden auf den Computermonitor und scrolle stumpf durch einen Artikel nach dem anderen. Das erste Mal seit längerer Zeit fühlt sich meine Arbeit tatsächlich wie richtige Arbeit an. Seit Wochen bereits suche ich nach einer Story, zapfe Quellen an, überprüfe alte Geschichten auf aktuelle Entwicklungen. Dabei weiß ich, dass ich nach etwas Neuem Ausschau halten sollte.

Ich werde wahrscheinlich erst wissen, was es ist, wenn ich es sehe, und so überfliege ich viel zu viele Artikel. Die Storys vermischen sich und bilden einen Teppich makabrer Gleichgültigkeit, der sich über meine Schultern legt und mich runterzieht. Und trotzdem sauge ich jedes Detail auf.

Es scheint mir im Wesen zu liegen, denn bei der Recherche zu meinen Artikeln gehe ich genauso akribisch vor. Das Filmstudium hat mich gelehrt, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, um die Details zu sehen, die ich sehen soll.

Was steckt hinter dem Offensichtlichen?

Der Ehemann, von dem ich wusste, dass er schuld am Verschwinden seiner Frau war, weil er in die auf ihn gerichteten Kameras starrte, als würde er selbst verschwinden wollen.

Der Stadtplaner, dem ich Korruption nachweisen konnte, indem ich mich auf die eine Sache konzentrierte, die er nicht beachtete – seine Sekretärin.

Ich bin verdammt gut in meinem Job, aber in letzter Zeit inspiriert mich einfach nichts mehr – eine Malaise, die wie kalte Zugluft durch den Türspalt gekrochen kam und meine Neugier eingefroren hat. Ich bin Teil einer neuen Journalistengeneration. Man kann seine Karriere heutzutage nicht mehr auf dieser von idealistischen und hehren Absichten geprägten Berichterstattung aufbauen, deren einziges Ziel es ist, der Öffentlichkeit Gerechtigkeit und Wahrheit zu bringen. Stattdessen laviere ich ständig zwischen dem Geistreichen und dem Trivialen. Anders kann man sich keinen Respekt erarbeiten.

Anstatt nach der nächsten großen Story zu suchen, habe ich mich in den letzten Wochen vermehrt für meine Kollegen interessiert. Büros sind eigenartige Mikrokosmen voller sexueller Energie, in denen Menschen aufeinandertreffen, die unter keinen Umständen einen derart engen und ausgedehnten Kontakt haben sollten.

Da ist zum Beispiel Mike, ein klassischer Vertreter der Spezies hypermaskuliner Reporter. Das sind Typen, die zu viel Rasierwasser auftragen und Hemingway sehen, wenn sie in den Spiegel schauen. Dabei ist das einzige Kriegsgebiet, das Mike jemals betreten wird, das Gedränge an den hart umkämpften Probiertischen im Costco-Supermarkt. Er schreibt ein Buch (insgeheim, aber nicht so insgeheim, dass er es uns nicht erzählt hätte), das allerdings nie jemand liest, weil er es in diesem Leben nicht zu Ende bringen wird. Mike ist der Typ Mann, der sich unter dem Schreibtisch einen in die Kaffeetasse der analfixierten Finanzbuchhalterin runterholt und sich dabei seinen Namen auf einer Pulitzerpreis-Medaille vorstellt. Er ist beides, Schwanz und Muschi – eine Dichotomie, die mich fasziniert. Ironischerweise verachtet er jede Art von Ruhm und würde sehr wahrscheinlich einen einflussreichen Filmemacher verklagen, weil dieser ihm eine alte Drehbuchidee geklaut hat, die er allerdings, wir ahnen es bereits, nie fertiggestellt oder umgesetzt hat.

Dann ist da Sanders, Absolvent einer Elite-Uni und nur eine Stufe über diesen typischen Studentenverbindungs-Heinis der Marke Dude-Bro. Er will tatsächlich ein ernsthafter Journalist werden, hat aber durch den Geschmack des Goldlöffels in seinem Mund eine reichlich verdrehte Perspektive. Es wird gut zwanzig Jahre dauern, bis er das erkennt und irgendetwas von Substanz und Wert zu Papier bringen kann. Unser Kontakt ist eher begrenzt, aber wenn wir mal miteinander sprechen, stellt er mir mit todernster Miene bohrende Fragen, scheint allerdings nie meine Antworten zu hören. Gerüchten zufolge hat er einen Fetisch für Flower-Flipping entwickelt – was ausnahmsweise mal kein sexueller Terminus ist, auch wenn Sex dabei definitiv eine Rolle spielt (sofern er in der Lage ist, seine Erektion aufrechtzuerhalten). Der gute alte Sanders ist seit seiner Studienzeit stark auf Antidepressiva, vergisst aber regelmäßig bei seinen zweiwöchentlichen Therapiesitzungen zu erwähnen, dass er neben seinen Medikamenten zusätzlich noch Pilze und Ecstasy kombiniert (aka Flower-Flipping), und das in rauen Mengen. Er schmeißt Partys und lädt dazu junge, geldgeile Girls ein – einige davon sind bezahlt, andere kommen wegen der kostenlosen Drogen. Mit Anfang dreißig hat Sanders bereits ernsthafte Erektionsstörungen und ist dazu übergegangen, sich von den Girls anpinkeln zu lassen, um sich dabei einen von der Palme zu wedeln. Mit Plastiklaken und allem Drum und Dran. Wenn der Rausch dann nachlässt und den Mädchen langweilig wird, raucht er eine fette Sportzigarette und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Nicht verwunderlich also, dass sein Büro nach Patschuli, Zigaretten und zu viel Parfüm riecht.

Dann ist da noch ein Mädchen namens Lucy, ein richtiges Püppchen, das den Job nur bekommen hat, weil ihr Vater mit irgendjemandem in der Chefetage befreundet ist. Sie will eigentlich keine Journalistin sein – eher ein Star mit viel TV-Präsenz, aber als Wetterfee ist sie sich auch zu schade. Ihren gegenwärtigen Job sieht sie nur als eine Sprosse auf der Karriereleiter. Leider weiß sie noch nicht, dass ihre TV-Laufbahn mit vierunddreißig vorbei sein wird. Spätestens dann wird sie nämlich von einem dieser Kerle aus ihren Klatsch-Storys schwanger sein, und der Sender wird sie nach der Geburt auf keinen Fall zurückhaben wollen, denn diesen für ihre TV-Präsenz so wichtigen, kindlich-naiven Gesichtsausdruck dürfte sie als stillende Mutter mit maximal zwei Stunden Schlaf am Stück definitiv einbüßen. Bei uns schreibt sie viele unwichtige Artikel über allerlei Nebensächlichkeiten, sogenannte Fluff Pieces. Wie ich kürzlich erfahren habe, war sie bei einigen von Sanders’ Flower-Flipping-Partys dabei, und ehrlich gesagt hätte ich auch nichts dagegen, ihre großen festen Brüste auf meiner geschmeidigen Haut zu spüren. Ich habe sogar eine Fantasie dazu: Sie kommt zu spät zur Arbeit, wie so oft, und ich befehle ihr, die Seidenbluse auszuziehen, worauf ihre feine Unterwäsche und ihre prallen, hervorstehenden Titten zum Vorschein kommen. Dann befehle ich ihr, zwanzig Liegestütze zu machen, die sie aber mit ihren rotsohligen Louboutins kaum zustande bringt. Sie bettelt mich an, die Stöckelschuhe ausziehen zu dürfen, aber ich sage ihr, dass sie die Dinger noch brauchen wird. Als sie dann schwitzt und vor Anstrengung zu zittern beginnt, muss sie mich ausziehen und ihre Titten über meinen Körper reiben. Ich streife mit der Zunge über ihre Nippel, langsam zuerst, und dann versenke ich ihre Prachtbrüste, eine nach der anderen, in meinem Mund. Anschließend muss sie ihre Möse an meiner reiben, bis ich fertig bin. Danach rufe ich den Rest der Bürobelegschaft herein, damit sie sie vollpumpen. Ich spucke sie an und gehe wieder an meine Arbeit, während sie noch eine Runde weiterjapst. Es ist schon ziemlich sexy, ein Klischee zu erniedrigen. Ich glaube, Lucy fickt so gut wie nie, und nach dem Zementlook in ihrem Gesicht zu urteilen, hat sie es bitter nötig.

Die besten Journalisten sind diejenigen, die man nicht wahrnimmt. Sie sind in der Lage, in den Hintergrund zu treten und dort zu verschwinden, als wären sie allwissende Möbelstücke. Wenn sie dann im Gespräch eine Frage stellen oder einen Kommentar machen, damit man weiterspricht, zuckt man unwillkürlich zusammen, als hätte die Lampe in der Ecke plötzlich angefangen zu sprechen. Von der Sorte haben wir nur ein paar bei uns. Sie sind diejenigen, zu denen ich aufschaue, denn ihre Artikel sind tiefgründig und wertvoll. Ihre Zeilen unterhalten nicht einfach nur. Sie lehren und vermitteln, reißen die Fassaden der Realität ein, damit die Leserschaft einen Blick dahinter werfen kann.

Das möchte ich auch tun. Ich möchte erfolgreich sein, als unabhängige Journalistin mit eigenen Themen. Artikel über die neuesten Promi-Babynamen sind mir nicht genug, auch wenn ich weiß, dass man damit Zeitungen an den Mann bringt. Wir sind keine Klatschpostille, aber süße Babys und Promigeschichten verkaufen sich nun mal.

News sind aber nicht nur ein Geschäft, sondern eben auch ein Informationsmedium.

In der sonderbaren Geschichte, die ich als Nächstes finde, verschmelzen diese beiden Bereiche miteinander.

Inana Luna: Sechs Monate nach dem Freitod der Provokateurin.

Der Artikel ist bereits drei Monate alt, aber das Wort »Provokateurin« erregt meine Aufmerksamkeit.

Ich lese die Geschichte einer Frau, die verschwunden ist, ganz offenbar spurlos, und irgendetwas in dieser Geschichte löst ein eigenartiges Gefühl in mir aus. In einem anderen Artikel, der kurz nach Inanas Verschwinden erschien, kommt ihre Schwester Lola zu Wort und wendet sich an die Öffentlichkeit. Sie bittet um Mithilfe und Informationen bei der Suche nach ihrer Schwester. Darüber hinaus räumt sie ein, dass Inanas Lebensstil nicht sonderlich beständig wirken mag, sie aber stets Kontakt zu ihr hielt.

Am Ende des Artikels fügt die Autorin einige Seiten aus Inanas Tagebuch ein.

Was ist das bloß? Die Spitze meiner Zunge rollt sich nach hinten und drückt gegen meinen Gaumen. Das kommt mir alles so vertraut vor …

Ich muss an Szenen aus Antonionis L’Avventura – Die mit der Liebe spielen denken, dabei ist es Jahre her, dass ich den Streifen das letzte Mal gesehen habe. Bilder in Schwarz-Weiß von sich auftürmenden Meereswellen. Deshalb fühlt sich das alles so vertraut an: Der Film beginnt mit der verzweifelten Suche nach einer vermissten Frau.

Anna.

Aber alles scheint verschwommen. Halb vergessen.

Eine urwüchsige Emotion kriecht meine Wirbelsäule hinauf und sorgt für ein Kribbeln auf meiner Kopfhaut.

Die Anna von Antonioni brachte Claudia und Sandro zusammen. Dann verschwand sie.

Meine Anna allerdings brachte mich nicht mit einer Person zusammen. Sie stellte mir eine ganze Welt vor.

Für einen Moment sind meine Sinne von Erinnerungen an Anna bestimmt. Ihr Geruch, ihr Lachen. Anna war keine Verführerin. Sie war eine Brücke, die dich an einen dunklen Ort in deinem Inneren führte, die du aber aus freien Stücken und eigenem Willen überqueren musstest.

Menschen wie sie erinnern uns an diese Orte, diese Brücken, die darauf warten, überquert zu werden, wenn wir wieder einmal vor Spannung den Atem anhalten.

Menschen wie Inana Luna. Ihre Geschichte interessiert mich, denn sie bringt Erinnerungen an Anna in mir hoch.