Die Kalorienlüge - Hans-Ulrich Grimm - E-Book

Die Kalorienlüge E-Book

Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Kaum ist die Chipstüte geöffnet, gibt es kein Zurück mehr. Künstliche Aromen, Geschmacksverstärker & Co. regen einen komplexen Vorgang im Gehirn an, der dafür sorgt, dass unser Appetit unersättlich bleibt. Kein Wunder, denn natürlich sind Lebensmittelfirmen daran interessiert, uns mehr Produkte zu verkaufen als wir brauchen. Und unser natürliches Sättigungsgefühl wird dabei geschickt ausgetrickst – die Folge sind überflüssige Pfunde. Hans-Ulrich Grimm, der bekannteste Kritiker der Lebensmittelindustrie, erklärt, wie man deren Tricks durchschauen und ein für alle Mal diesem Teufelskreis entkommen kann. »Spannender Stoff für alle, die sich nicht mit einfachen Erklärungen zum Übergewicht zufriedengeben wollen.« fit FOR FUN

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Hans-Ulrich Grimm

Die Kalorienlüge

Wie uns die Nahrungsindustrie dick macht

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wären Sie auch gerne ein bisschen schlanker? Und dennoch treibt »es« Sie immer wieder an den Kühlschrank? Wer ist schuld? Unser Gehirn. Es regelt, wie viel wir essen und es entscheidet über unsere Figur. Hormone und Botenstoffe liefern hierzu die nötigen Informationen. Chemikalien im Essen können jedoch unser Gehirn manipulieren und falsche Botschaften aussenden. Dann wird auf Hunger geschaltet und wir zum Essen verleitet. Die Folge: überflüssige Pfunde.

 

Hans-Ulrich Grimm erklärt wie Aromen, Geschmacksverstärker und Co. unser Essverhalten beeinflussen, und was wir tun können, um den unheimlichen Dickmachern aus dem Supermarkt zu entkommen.

Inhaltsübersicht

1. Störer im KopfDer schwierige Kampf gegen die unheimlichen Dickmacher2. Dicke LügeDer fragwürdige Krieg gegen das Fett – und die wahren Schuldigen3. Stille PostWie die Hormone unser Leben formen – und sogar die Figur4. Völlerei wider WillenDie Ausschaltung der Essbremse und die verhängnisvollen Folgen5. Herumliegende SpritzenHormonchemie für Sieger: Die verführerische Welt des Dopings6. Spitze FingerWie die Hormone aus der Plastikwelt den Körper manipulieren7. Unstillbarer AppetitKünstliche Zutaten in industrieller Nahrung können dick machen8. Perfide TricksWie Kinder auf Übergewicht programmiert werden – schon im Mutterleib9. Kerniger SpeckDie Landwirtschaft als heimlicher Dickmacher10. Angefeindet und geschnittenDer Kampf um die Fakten: Wer schützt die Konsumenten?11. Messer im BauchDas fragwürdige Geschäft mit den Hoffnungen der Dicken12. Hört die SignaleGanz einfach: Der Weg zum ganz persönlichen IdealgewichtLiteraturA. BücherB. Artikel und AufsätzeQuellenhinweis
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1. Störer im Kopf

Der schwierige Kampf gegen die unheimlichen Dickmacher

Abnehmen am Pool mit Meerblick / Selbst James Bond war schon mal hier / Warum, zum Teufel, klappt es mit den Diäten nicht? / Wir sind nicht allein: Milliarden von Menschen auf der Welt sind zu dick / Fette Leber: Was macht die Milch und was die Cola? / Vergessen Sie die Kalorien! / Ist da eigentlich irgendwas drin, das uns zum Essen treibt?

Abnehmen kann so schön sein, vor allem hier, mit Blick aufs Meer. Ein idealer Ort für den Neustart in ein besseres Leben. Es sieht aus wie ein komfortables Urlaubshotel, mit einem kleinen Park, Palmen, grünem Rasen. Doch das, woran die beiden Gäste zur Mittagszeit nippen, auf der Terrasse überm Pool, sieht eher mager aus.

Sie: »Das war ein Maracujasaft. Und da waren ein paar Waldbeeren drin.«

Er: »Drei waren’s. Drei Stück.«

Sie: »Drei Heidelbeeren.«

Friedhelm Gülz stammt aus Köln, seine Frau Renate Coppeneur-Gülz aus Luxemburg. »Ich will abnehmen«, sagt Gülz. Er hatte das Rauchen aufgegeben, und dann waren schnell ein paar Kilo extra auf den Rippen. Seine Frau begleitet ihn bei dem Projekt, und vielleicht hat sie ja auch was davon: »Wenn ich zwei, drei Kilo verliere, ist mir das recht.«

Die Buchinger-Klinik im spanischen Marbella: Manche spotten ja über solche Orte, an denen für viel Geld magere Kost geboten wird. Andere schwören darauf und kommen immer wieder: Sean Connery, der frühe James Bond, war hier regelmäßig Gast, und der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, und auch die Reeder-Erbin Christina Onassis, die hier zur Legende wurde, auch deshalb, weil sie immer Cola-Dosen gehortet hatte. Die sind hier natürlich streng verboten. Aus der ganzen Welt kommen sie hierher. Auf der ganzen Welt ist das Gewicht zum Problem geworden.

Aus der Schweiz kommt die junge, hübsche Frau. Ihr Name? Tut nichts zur Sache, meint sie: »Sagen wir einfach: Tina.« Sie hat vor sich: Ein Glas mit einem Säckchen drin. Es ist: Fencheltee. Riecht ein bisschen seltsam. »Ich muss abnehmen, das ist klar.«

Sie sieht kräftig aus, sehr groß, blond, hübsch. Schlank ist sie nicht im engeren Sinne. Sie sagt es so: »Ich bin schon übergewichtig, da muss schon was weg.« Direkte gesundheitliche Gründe hat sie eigentlich nicht: »Es ist eher so dieses Wohlfühlthema«, sagt Tina.

Aus Saudi-Arabien ist Azzam Al Mutair angereist, ein junger Mann von kräftiger Statur, aber eigentlich nicht übermäßig dick. Er betreibt ein Steakhaus in der Hauptstadt Riad, kam auf Empfehlung eines Freundes, der »Location Manager« ist bei Burger King, zuständig für Nordafrika und den Mittleren Osten. Worauf es ankommt, das weiß er schon: »Du musst dir einen Plan machen und die schlechten Gewohnheiten abwerfen. Alkohol. Fettiges Essen. Junkfood.«

Die Buchinger-Klinik hier in Spanien, Schwesterhaus der gleichnamigen Einrichtung am Bodensee, ist eine Art Schonraum, in dem die Menschen sozusagen geschützt sind vor ihren »schlechten Gewohnheiten« – aber auch vor dem, was manche die »giftige Umgebung« nennen, mit den Nahrungsmitteln, die die Schönheit der Figur gefährden. Manche ziemlich schnell und andere sehr langsam, subtil, und die Waage zeigt immer mehr an, und keiner weiß, woran es eigentlich liegt.

Manche dieser Stoffe können sogar den Körper umprogrammieren und so dafür sorgen, dass der Mensch mehr isst, als er braucht – sogar schon im Mutterleib.

Das könnte erklären, warum es auf der Welt plötzlich ein Problem gibt, das die Natur bisher nicht kannte: Abnehmen. Kein Löwe fühlt sich zu dick. Kein Bär macht Diät. Kein Adler ist zu schwer, um sich in die Lüfte zu erheben. Nur der Mensch, die Krone der Schöpfung, hat plötzlich ein Problem mit dem Gewicht.

Abnehmen ist zum globalen Großprojekt geworden. Es geht fast jeden an. Abnehmen, das ist eine Frage der Schönheit. Weil schlank einfach besser aussieht, wie viele finden. Abnehmen, das ist auch eine Frage der Gesundheit, weil ja Übergewicht krank machen soll. Abnehmen, das sollen jetzt bereits Kinder, weil die ja auch schon zu moppelig sind. Abnehmen, das ist schon zum Zwang geworden. Die Medien üben Druck aus und manchmal auch die Freunde, sogar die Kassiererin im Supermarkt. Die Krankenkassen.

Der Diät-Terror. Wer ein paar Kilos zu viel hat, fühlt sich nicht nur unwohl, sondern auch schuldig. Die Dicken formieren sich schon zur Gegenwehr.

Abnehmen, das ist natürlich auch ein Geschäft geworden. Allein in den USA macht die Abspeckindustrie einen Umsatz von 58 Milliarden Dollar (43 Milliarden Euro). Und auch hierzulande sind die Supermärkte voll mit Produkten, die aufs Abnehmen zielen. Ganze Regale voll mit den angeblichen Schlankmachern. Die Frauenzeitschriften propagieren das und freuen sich über die Anzeigen dafür. Auch bei den Medizinern ist das Thema jetzt ziemlich in Mode, nicht zuletzt deshalb, weil viel Geld zu verdienen ist mit Pillen gegen den Speck – von denen viele wegen gefährlicher Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden müssen. Inzwischen kommen sie sogar mit Gewaltmaßnahmen. Die Dicken müssen unters Messer, sich operieren lassen. Mit Folgen fürs Leben. Aber erst wenn sonst gar nichts mehr hilft, sagen die Ärzte, die in dem neuen Geschäftsfeld tätig sind.

Warum hat bisher nichts geholfen? Klar, die Diäten. Der Jo-Jo-Effekt. Hinterher zeigt die Waage das Gleiche wie vorher. Dazwischen ging es leicht runter, das Gewicht.

Vielleicht sind es gerade die Abspeckprogramme, die die Menschen in einen Teufelskreis treiben und immer noch dicker machen. Es ist der Stress, der die Menschen immer dicker macht, auch der Stress mit dem Abnehmen. Sagen Wissenschaftler. Doch es sind auch die Nahrungsmittel, die den Körper unter Stress setzen. Die die natürlichen Mechanismen manipulieren, die bei allen Lebewesen sonst das Gewicht regulieren. Die dazu führen, dass das Gewicht außer Kontrolle gerät.

Es sind womöglich die modernen Nahrungsmittel aus dem Supermarkt, die Produkte der Food-Industrie, die den Körper überlisten. Schon im Mutterleib umprogrammieren. Den Regler fürs persönliche Gewicht einfach verschieben, und zwar nach oben. Das Hungergefühl manipulieren, so dass man mehr isst als nötig und sich nie richtig satt fühlt. Die Forscher identifizieren immer mehr Bestandteile dieser modernen Nahrung, die die Abläufe stören.

Die Frage lautet: Wer ist schuld daran? Und was ist zu tun, damit wir endlich wieder schlanker werden, das »Wohlfühlgewicht« erreichen? Und damit diese neue »Epidemie« sich auf der Welt nicht weiter ausbreitet?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Fettleibigkeit zur globalen Epidemie erklärt – eine Menschheitsgeißel wie einst die Pest, wie Typhus und Cholera. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist übergewichtig: insgesamt 2,1 Milliarden Menschen nach einer weltweit angelegten, von der Bill & Melinda Gates Foundation finanzierten Untersuchung, die 2014 im britischen Medizinerjournal The Lancet veröffentlicht wurde. Und das Thema geht offenbar jeden an: »Fettleibigkeit ist ein Problem, das Menschen jeden Alters und Einkommens betrifft«, sagt Christopher Murray, Chef des Instituts an der Universität von Washington, das an der Studie mitgewirkt hat.

Tatsächlich werden alle Bevölkerungsgruppen immer dicker. In den Vereinigten Staaten von Amerika gelten 69 Prozent der erwachsenen Bevölkerung als übergewichtig oder fettleibig. Dort hat Übergewicht die Lebenserwartung schon um vier bis neun Monate verkürzt, so eine Studie des Nationalen Gesundheitsinstitutes (NIH). In Brasilien ist es die Hälfte der 200 Millionen Einwohner. Dort gelten die »obesos« (Fettleibigen) schon als »Menschen mit besonderen Bedürfnissen«, für die es spezielle Plätze in den Bussen gibt, eigene Kassen in Supermärkten, Schalter in den Behörden und extrabreite Sitze in den Fußballstadien: 78 statt 44 Zentimeter breit.

In Deutschland hat das Berliner Robert Koch-Institut die Lage analysiert. Das Institut ist traditionell für Seuchen zuständig, auch für die neueste. Ergebnis: Die Deutschen gehören zu den dicksten Europäern. 67 Prozent der Männer sind demnach übergewichtig und 53 Prozent der Frauen.

Sogar im Süden werden die Kinder fetter: Nach einer EU-Untersuchung sind unter den Sieben- bis Elfjährigen in Spanien, Italien, Portugal und Malta mehr als 30 Prozent übergewichtig. In Großbritannien sind 60 Prozent der Erwachsenen und ein Drittel aller Kinder übergewichtig oder fettleibig. Dort hält man nach einem Regierungsbericht das Übergewicht für ähnlich verhängnisvoll wie den Klimawandel. Mitte des Jahrhunderts würden die Folgekosten für das Gesundheitssystem bei 50 Milliarden Pfund liegen (knapp 62 Milliarden Euro). 140 Milliarden Dollar kostet nach Angaben der Münchner Rückversicherung das Übergewicht pro Jahr in den USA, dem Land auf der Welt mit den meisten Dicken, Ursprungsland der Supermärkte, der industriellen Landwirtschaft, Heimat von Fastfood und Coca-Cola.

Besorgt sind die Forscher vor allem über die Folgen für die Kinder: David Ludwig vom Children’s Hospital in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts formuliert es drastisch: »Wir können die Übergewichts-Epidemie bei Kindern vergleichen mit einer großen Tsunami-Welle, die auf die USA zurollt. Wenn wir das Wasser an der Küste sehen, ist es zu spät für Vorsorgemaßnahmen.« Das gab es wohl noch nie: »Das Ausmaß an Fettleibigkeit unter Kindern wird dazu führen, dass die Lebenserwartung zum ersten Mal seit 200 Jahren wieder zurückgeht«, sagte Colin Waine, Chef des britischen Nationalen Übergewichtsforums: »Diese Kinder werden vor ihren Eltern sterben.«

Es ist ein merkwürdiges Phänomen, das in der Welt bislang völlig unbekannt war. Bisher war ja eher der Hunger ein Problem.

Klar: Dicke gab es schon immer. Bei manchen war schon der Opa dick. Die ganze Familie. Und es gab auch schon immer das, was man »Kummerspeck« nennt, und die Schokolade als Seelentröster. So etwas spielt vermehrt eine Rolle, wenn Ängste auf der Seele lasten, oder Stress, oder auch die üblen Sprüche, mit denen die Dicken konfrontiert sind. Der Körper schaltet dann auf Nahrungsaufnahme, um sich mit einem gewissen Polster selbst zu schützen. Es kann aber auch die moderne Art von Nahrung sein, mit allerlei Zusätzen, mit denen der Körper nicht zurechtkommt. Die sein Signalsystem stören.

Plötzlich gibt es da etwas, das die Menschen zum Essen zwingt, ohne dass sie das wollen. Etwas, das sie wie eine fremde Macht wahrnehmen. Die deutsche Journalistin Susanne Fröhlich nannte es das »Moppel-Ich«. Es ist so etwas wie ein anderes Ich, das sie unbarmherzig dazu zwingt, ein Moppel zu werden. Susanne Fröhlich ist nach eigenem Bekunden ein »Langzeit-Moppel«. Sie wäre gern schlank, aber sie schafft es nicht immer: das Moppel-Ich ist zu mächtig. Sie kann nichts dagegen tun. Das Moppel-Ich ist stärker. Es wirkt irgendwie über das Unterbewusstsein.

Das Moppel-Ich ist so eine Art Antreiber, gegen dessen Einflüsterungen der eigene Wille machtlos ist. »Nie sagt das Moppel-Ich: ›Lass das, du bist fett genug, weißt du überhaupt, wie viele Kalorien in einem Croissant strecken? Außerdem: Dein Hintern bietet schon jetzt mehr Fläche als die Startbahn West am Frankfurter Flughafen.‹ Nein, es flüstert einem nur jene Dinge zu, die man gern hören möchte und die dazu führen, dass man mitten in der Nacht in der Küche steht und eine halbe Schwarzwälder Kirsch in sich hineinstopft, weil das Moppel-Ich einem zwei Stunden lang versichert hat, dass Essen, bei dem einem keiner zusieht, eigentlich nicht zählt.«

Das Moppel-Ich: Es ist nicht die Erfindung einer phantasievollen Journalistin. Es ist ganz real. Und es sitzt offenbar im Gehirn.

Achim Peters, Professor in Lübeck, ist sozusagen dem Moppel-Ich auf der Spur. Er erforscht jene Antriebskräfte im Unterbewusstsein, die den Appetit steuern – und immer häufiger in die Irre führen. Professor Peters zählt zu jener seltenen Sorte von Medizinern, die nicht gleich eine Pille erfinden, sondern zunächst einmal die Vorgänge im Körper verstehen wollen. Er ist einer der international führenden Forscher, die sich auf ein völlig neues Gebiet gewagt haben: die Steuerung des Appetits. Was ist es, das den Menschen zum Essen treibt? Und warum isst er plötzlich so viel? Und warum, zum Teufel, klappt es mit den Diäten nicht?

Die Frauenzeitschriften sind ja voll davon: »Die Bauch-weg-Woche!«, ruft Bild der Frau aus, offenbar erfolglos, denn kurz darauf proklamiert das Blatt: »20 Pfund weg bis Pfingsten«. Sogar die Sonderhefte »Schlank & Fit«: nutzlos. Sonst müsste es sie ja nicht stets aufs Neue geben. Häufig mit sogenannten Workouts, also schlankmachenden Körperübungen, etwa in Women’s Health. »Sexy in den Sommer«, verheißt Joy: »In sechs Wochen zur Bikinifigur.« Und Brigitte kennt sogar »Das Geheimnis einer guten Figur«. Die Zeitschrift kommt ja alle Jahre wieder mit einer neuen Brigitte-Diät heraus – was auch nicht gerade ein Zeichen für nachhaltigen Erfolg ist.

»Alle Diäten sind zum Scheitern verurteilt. Und schuld daran ist nicht der Mensch, schuld ist immer die Diät!«, sagt Peters.

Er ist ein schlanker, ruhiger Mann, der in einem Haus am See wohnt, auf dem Land nahe Lübeck, 20 Kilometer von der Ostsee. Peters und seine Kollegen sorgten für Aufsehen mit ihren Forschungen über das »egoistische Gehirn« (im modernen Wissenschaftsenglisch »Selfish Brain« genannt).

Eine Diät sei »aus Sicht der Hirnregionen, die für die Energieversorgung zuständig sind, zweifelsohne eine Krise«, und zwar eine sehr ernst zu nehmende, meint Peters. Denn das Gehirn bekommt das Signal: Essen wird knapp. Ein Alarmsignal.

Das Gehirn ist ja für die Versorgung zuständig. Es wird allerdings nicht allein tätig, sondern arbeitet mit den anderen Körperteilen zusammen, die ja auch versorgt werden müssen. Alles zusammen bildet ein fein abgestimmtes, überlebenswichtiges System. Ungezählte Botenstoffe organisieren die Nahrungsaufnahme, sorgen dafür, dass der Hunger kommt, dass gegessen wird, dass die Nahrung ordentlich verdaut und ordnungsgemäß verstaut wird – und dass der Mensch auch wieder aufhört zu essen.

»Viele Elemente im Körper sind beteiligt«, sagt Peters. »Aber das Gehirn ist der Chef.«

Wenn allerdings plötzlich viel zu viel gegessen wird, wenn ein Speckgürtel wächst, die Waage immer mehr anzeigt? Dann scheint ja irgendetwas nicht mehr zu stimmen. Dann hat der »Chef« dort im Kopf die Lage offenkundig nicht mehr im Griff.

Was also läuft schief im Kopf?

Kann es sein, dass der Chef manipuliert wird? Wenn die Boten ankommen und irreführende Nachrichten streuen? Falsche Bedarfsmeldungen abgeben, ständig falsche Hungersignale senden, Sättigungsbotschaften unterschlagen? Irgendetwas kann ja nicht stimmen, wenn die Leute überall zunehmen. Was ist es, das die Menschen dick werden lässt? Sogar innerlich verfetten, und schließlich krank werden und vorzeitig sterben?

Bis jetzt ist es so, dass einer die Schuld auf den anderen schiebt. Der US-Professor Robert Lustig konstatiert: »Jeder macht einen anderen verantwortlich für das, was geschehen ist. Auf keinen Fall ist es ihre Schuld. Big Food sagt, es ist der Bewegungsmangel durch Computer und Videospiele. Die TV-Industrie sagt, es ist das Junkfood. Die Atkins-Leute sagen, es sind die Kohlenhydrate.« Andere sagten, es sei zu viel Fett. Und wieder andere, es sei die Cola. Und so geht es weiter, meint Lustig: Die Cola-Leute entgegnen, es sei »der Saft. Die Schulen sagen, es sind die Eltern. Die Eltern sagen, es ist die Schule. Und weil nichts sicher ist, wird nichts gemacht.«

»Postleitzahl kann dick machen«, melden die Nachrichtenagenturen. Nach einer Studie der US-amerikanischen University of Washington sind Bewohner ärmerer Gegenden im Schnitt deutlich übergewichtiger als die Menschen in teureren Vierteln. Die Forscher hatten Postleitzahlen, Immobilienpreise und das Gewicht der Bewohner verglichen. Mit jedem Anstieg der Immobilienpreise um 100000 Dollar sank die Übergewichtsrate um zwei Prozent.

In Deutschland gilt das ganz genauso, jedenfalls in Leipzig, wie eine 2014 vorgestellte Studie der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur ergab. »In benachteiligten Ortsteilen zu wohnen, wirkt sich schon bei Vorschulkindern auf deren Gewicht aus«, sagte der Leipziger Professor Elmar Brähler. Mit mehr als zwölf Prozent moppeliger Kinder lag deren Anteil in den ungünstigen Ortsteilen (Kategorie 4) mehr als doppelt so hoch wie im privilegierten Ortsteil aus der Kategorie 1.

Das würde, wenn die Forscher recht hätten, bedeuten: Ein simpler Umzug in eine bessere Gegend kann den Speck abschmelzen. Und tatsächlich: Ein Umzug kann das Gewicht reduzieren. Das ergab eine aufwendige US-Untersuchung, für die die Daten eines einzigartigen sozialen Experiments ausgewertet wurden. Dabei durften die Bewohner armer Stadtquartiere auf Staatskosten in eine bessere Gegend umziehen (Projektname: Moving To Opportunity, kurz MTO). Tatsächlich nahmen viele nach dem Umzug an Gewicht ab – allerdings nur in »bescheidenem« Ausmaß, wie die Studie ergab, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde.

Man könnte vielleicht auch einfach Papa aufs Abendgymnasium schicken. Denn der Kieler Forscher Manfred James Müller meint herausgefunden zu haben, dass der Bildungsstand der Eltern ganz entscheidend für das Gewicht der Kinder sei. Mit Essen hat es nach Müllers Meinung nichts zu tun, ob einer dick wird: Es gebe »keine Beziehung« zwischen dem Essen und dem Übergewicht: »Die Gewichtsunterschiede von Kindern werden im Wesentlichen durch Unterschiede der körperlichen Aktivität (Fernsehkonsum), vor dem Hintergrund sozialer Faktoren (Schulbildung der Eltern) und auch eines möglichen genetischen Risikos (Gewicht der Eltern) erklärt.«

Das würde bedeuten, wenn Müller recht hätte: Wenn nur Papa endlich das Abitur nachholt, schmelzen meine Pfunde.

Die Süddeutsche Zeitung meldete auf Seite 1: »Dicke Freunde machen dick«. Zwei Forscher aus San Diego und Harvard hatten herausgefunden: Wenn ein enger Freund dick wird, liegt das eigene Risiko, ebenfalls dick zu werden, bei 57 Prozent. Unter Geschwistern nur bei 40 Prozent. Da freute sich die Bild-Zeitung: »Von wegen Schokolade, Chips und Bonbons. Die wahren Dickmacher sind dicke Freunde.«

Auch mehrere amerikanische Studien bestätigten den Einfluss von Freunden, Eltern und Nachbarschaft aufs Gewicht: Etwa eine Untersuchung aus dem Jahr 2013 mit 2793 Heranwachsenden aus dem Bundesstaat Minnesota. Fazit: Wer sich ständig mit dicken, faulen Freunden umgibt, wird sozusagen angesteckt. In Wahrheit sind es wohl nicht die Freunde, sondern das, was sie essen. Oder die Lebensumstände. Meint jedenfalls der Lübecker Professor Peters.

Für ihn ist es der Stress im Alltag. Er meint: »Menschen werden dick, weil sie arm sind oder sich vor Armut fürchten, weil sie Angst um ihre Jobs haben oder weil ihnen das Familienleben, die Kindererziehung mit endlosen Kämpfen über den Kopf wächst. Weil sie einsam und isoliert leben oder weil sie sich von ihren Kollegen gemobbt fühlen; weil Partnerschaften zerbrechen, Mütter mit Kindern allein zurückbleiben und weil niemand da ist, der diese Mütter auffängt.« Außerdem, weil »im Beruf immer mehr verlangt wird und man sich überlastet fühlt«, oder »weil in der Familie eine schwere Erkrankung auftritt«: Alzheimer, Depression, Alkoholabhängigkeit.

In seiner Forschungsgruppe »Selfish Brain« (»Das egoistische Gehirn«, so auch der Titel seines Erfolgsbuches) hat Peters mit 36 Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen und 100 Doktoranden die einschlägigen Erkenntnisse etwa aus der Hirnforschung zusammengetragen und auch eigene Studien angestellt. Stress, so das Ergebnis, veranlasst das Gehirn, dafür zu sorgen, dass mehr gegessen und an Gewicht zugelegt wird, als Schutzmaßnahme sozusagen für die unerfreuliche Situation. Es sind die Hormone, die den Vorgang steuern.

Normalerweise habe der Mensch ein »Neutralgewicht«, das sich im Laufe des Lebens verändern könne, aber innerhalb enger Grenzen. Eine Fülle von Hormonen und Botenstoffen sorgt dafür, dass dieses Gewicht erhalten bleibt. Wenn der Mensch dauerhaft unter Stress steht, dann schaltet das Gehirn um – und der Körper legt an Gewicht zu.

Dies betrifft nicht nur die Armen und Ausgegrenzten – Dicke gibt es in allen Kreisen, und es werden immer mehr, so eine OECD-Studie. Und nicht nur belastende Lebenssituationen sorgen für Stress – es können auch die Lebensmittel sein, die den Körper belasten. Sie können dick machen, und sie können krank machen. Und manchmal kommt auch beides zusammen. Das jedenfalls stellt eine wachsende Zahl von wissenschaftlichen Studien fest.

Es stimmt etwas nicht mit den Nahrungsmitteln aus dem Supermarkt, aus der Tankstelle, aus der Kantine, dem Kiosk, der Cafeteria. Dabei sind sie eigentlich »signifikant sicherer und qualitativ deutlich besser geworden«, sagt Gaby-Fleur Böl, Leiterin der Abteilung Risikokommunikation am staatlichen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. »Die Qualität der Lebensmittel in Europa ist sagenhaft«, schwärmt sogar die Süddeutsche Zeitung.

Es gibt, jedenfalls in den »zivilisierten« Ländern, weithin keine Epidemien durch die klassischen Krankheitserreger mehr: Viren, Bakterien. Auf der anderen Seite breiten sich die sogenannten Zivilisationskrankheiten aus: Herzleiden, die Zuckerkrankheit (Diabetes), Schlaganfall, Alzheimer, Krebs. Die sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten (»non communicable diseases«, kurz NCD), an denen pro Jahr weltweit geschätzt 35 Millionen Menschen sterben. Und bei 30 Millionen davon steht die Nahrung im Vordergrund.

Nahrung, die vollkommen sicher ist? Aber zugleich die Gesundheit in zuvor nicht gekanntem Ausmaß bedroht?

Allein die süßen Softdrinks sollen nach einer Studie der renommierten Harvard-Universität für weltweit 180000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich sein. Und dabei sind sie doch vollkommen »sicher«. Natürlich gibt es keine Viren in der Cola. Aber sie gehört zu der Form von Nahrung, die die natürlichen Regulationsmechanismen des Körpers aus dem Ruder laufen lässt.

Manche werden dick. Andere krank. Manche beides.

Dick zu sein ist keine Krankheit. Mehr noch: »Dicksein an sich ist nicht ungesund.« Sagt Professor Peters. Es gibt auch Dicke, die sind, nach ihren »inneren Werten« sozusagen, den Blutwerten, völlig gesund. Immerhin jeder vierte Dicke zählt dazu. Sie sind »rund und gesund«, ganz nach dem Slogan der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Sie verweist auf Statistiken, nach denen sogar die überwiegende Mehrheit, also um die 80 Prozent der Dicken, »kerngesund« sei. Für die gesunden Dicken ist ihr Gewicht kein Problem.

Und es gibt Dünne, die innerlich verfettet sind – und damit auch erhöht krankheitsgefährdet. Das sind die sogenannten TOFIs: »thin outside and fat inside« – außen dünn, innen fett. Sie haben das gleiche Risiko wie die krankheitsgefährdeten Dicken. Sie haben viel »viszerales« Fett, wie die Mediziner das Fett im Bauchraum nennen. 15 Prozent der Normalgewichtigen sollen davon betroffen sein. Auf Deutsch heißen sie »die dünnen Dicken«.

Bei normalgewichtigen Männern schwankt diese viszerale Fettmenge zwischen 0,6 und 3,7 Litern, wie britische Wissenschaftler vom Imperial College in London nachgemessen haben. Auch bei den dünnen Dicken ist es die Nahrung, die zu einer Zunahme des viszeralen Fetts geführt hat. Die Nahrung, die es an jeder Ecke gibt – und die manche Wissenschaftler schon als »Gift« bezeichnen.

Der US-Professor Robert Lustig von der Universität von Kalifornien in San Francisco verwendet den Begriff »giftige Umgebung« (Toxic Environment), den der Yale-Forscher Kelly Brownell (Autor des Buches Food Fight) geprägt hatte. Dazu gehört insbesondere der Zucker. »Übergewicht ist keine Verhaltens-Verirrung, keine Charakterschwäche oder Fehlreaktion«, sagt Lustig. Es ist nicht der Mensch, der verantwortlich ist, sondern die Nahrung, die, völlig unmerklich, eingreift in die Regelungsmechanismen des Körpers. Und sogar den Willen manipuliert, auf chemische Weise, im Gehirn. »Unsere Nahrungs-Umgebung hat unsere Biochemie verändert und so diese globale Katastrophe befördert.«

Lustig glaubt, dass »uns die amerikanische Ernährungsweise tötet, die jetzt die globale industrielle Ernährungsweise ist.« Immer mehr Weltgegenden haben sich an diese Ernährungsweise angepasst. Statt natürlicher Nahrung gibt es industrielle Produkte.

Der Übergang vom natürlichen Essen zum industriellen Essen: »nutrition transition« heißt im globalen Experten-englisch dieser Prozess, an dessen Ende die sogenannte »Western diet« steht, die westliche Ernährungsweise mit Fastfood und Fertigkost aus dem Supermarkt.

Die Nahrung von heute ist industriell optimiert, für die Welt der Supermärkte. Die Nahrungsindustrie hat die Natur ihren Bedürfnissen entsprechend verwandelt. Es geht darum, die Rohstoffe aus der Natur den industriellen Abläufen anzupassen. Sie müssen den Belastungen in der Fabrik standhalten, die Transporte überstehen und schließlich den oft mehrjährigen Aufenthalt im Supermarkt überleben. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, ob die Lebensmittel gut und bekömmlich sind, sondern darum, dass sie billig und haltbar sind.

Die industrielle Umwandlung der Rohstoffe aus der Natur, von Kartoffeln, Milch, Huhn, Blumenkohl zu industriellen Nahrungsmitteln wie Tütenpüree, Instantnudeln und 5-Minuten-Terrinen, hat zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte völlig neue Kriterien eingeführt. Das globale industrielle System der Nahrungsproduktion hat weniger die menschliche Lebenserwartung im Sinn als das, was die Internationale der Food-Konstrukteure das »shelf life« nennt, die Lebenserwartung der Packungen im Supermarktregal. Dafür gibt es chemische Hilfsmittel, Konservierungsstoffe, ganz neue, künstliche Zutaten, maßgeschneidert für die Bedürfnisse des industriellen Food-Business. Diese Umwandlung der Natur aber kann das Zusammenspiel der Hormone empfindlich stören. Viele Bestandteile der Supermarktnahrung können das System der Körpersignale irritieren.

»Are we designed for what we eat?«, fragte schon ein Industrieexperte in einem britischen Branchenblatt. Sind wir geschaffen für das, was wir essen?

Die Antwort lautet: Leider nein. Und es geht nicht um die Kalorien. Die standen ja bisher im Vordergrund, wenn es ums Dickwerden ging. Und ums Abnehmen. Kalorienzählen ist zum Volkssport geworden. Die Kalorien sind die Basis für zahlreiche Diäten – und ein Grund für ihren Misserfolg.

Dick wird, wer mehr Kalorien aufnimmt, als er verbraucht. So verkündeten es bisher alle, von der Regierung bis zur Allgemeinen Ortskrankenkasse. Eine Kalorie ist eine Kalorie. Und zu viel Kalorien machen dick. Eine ziemlich simple Vorstellung. Und leider falsch.

Kalorien zählen heißt, die Lebensmittel nach ihrem Brennwert zu beurteilen. Die Kalorien sind das Maß dafür. Eigentlich ein absurdes Kriterium. Es bewertet völlig verschiedene Lebensmittel nur nach einem einzigen Gesichtspunkt: wie gut sie als Heizmaterial taugen. Das ist, als ob man einen Konzertflügel in der Oper auf die Bühne stellte und daneben einen Stapel Brennholz. Und beide danach beurteilte, wie gut sie den Saal heizen.

Eine absurde Methode. Und vor allem: Eine völlig überholte Methode, die die Qualität der Lebensmittel ignoriert und auch die jeweilige Rolle, die sie für den Körper spielen. Dabei ist eigentlich sonnenklar, dass eine Sahnetorte eine andere Bedeutung für den Körper hat als ein Apfel oder ein Fisch oder ein Steak.

Die Kalorienzählerei führt in die Irre – weil sie die Funktion der Nahrungsmittel ignoriert, und das, was sie im Körper anrichten können.

Das wichtigste Beispiel für den Irrweg der Diätlehren auf Kalorienbasis: Fett und Zucker. Ein Gramm Fett hat neun Kalorien, ein Gramm Zucker vier. Daraus haben die Ernährungsexperten, die Wissenschaftler, die Frauenzeitschriften den Schluss gezogen: Zucker ist halb so schlimm. Hat ja im Vergleich zum Fett weniger als halb so viele Kalorien. Ein verhängnisvoller Fehlschluss. Denn Zucker löst im Körper eine ganze Kaskade von Folgen aus, an deren Ende die Waage ein paar Kilos mehr zeigt. Fett hingegen hat eine andere Bedeutung für den Körper als Zucker. Fette können überraschenderweise das Gewicht eher stabilisieren – oder sogar zum Abnehmen beitragen.

Der Körper braucht die Lebensmittel nicht nur zur Energiegewinnung. Er braucht sie, um Haare wachsen zu lassen und Fingernägel, um die Haut zu erneuern und sich, ganz generell, innerlich zu regenerieren. Verschiedene Lebensmittel erfüllen dabei unterschiedliche Aufgaben.

Ihr Brennwert ist dabei ein allzu simpler Maßstab. Die Kalorientheorie ist daher überholt. Sie führt in die Irre – und taugt nicht als Werkzeug, wenn es um die Frage geht, was dick macht und was beim Abnehmen helfen kann. Viele Wissenschaftler haben das jetzt erkannt. Seltsam, dass Zeitschriften, Ernährungsberaterinnen, Diätfirmen überhaupt noch davon reden. Denn es führt ja zu nichts. Es schadet eher. Und verhindert, dass das Abnehmprojekt funktioniert. Höchste Zeit also, die Irrlehre von den Kalorien, von der Nahrung als Brennstoff, auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

»Vergessen Sie die Kalorien«, sagt Professor Wieland Kiess. Er stammt aus Süddeutschland und leitet die Kinderklinik der Universität Leipzig. Auch er behandelt an seiner Klinik »zunehmend häufiger« Kinder mit der Zuckerkrankheit Diabetes. Auch Kiess gehört zu jener internationalen Wissenschaftlerelite, die sich mit den bisherigen plumpen Erklärungen für die globale Übergewichtsepidemie nicht zufriedengibt. Er forscht zusammen mit Wissenschaftlern von renommierten Instituten aus Amerika und Großbritannien, aus Frankreich, Schweden, Dänemark und auch aus China. Das Problem sei »viel komplexer«.

Es hat mit dem System der Botenstoffe zu tun und mit der Nahrung, die zum sogenannten »westlichen Lebensstil« gehört. Verschiedene Nahrungsmittel wirken völlig unterschiedlich auf den Körper. Eine dänische Studie wies nach, dass beispielsweise der Körper auf Milch ganz anders reagiert als auf Cola – und das bei praktisch identischen Kalorien. Beide hatten ungefähr gleich viele, die (fettarme) Milch sogar mit 454 Kilokalorien mehr als die Cola mit 430. Und dennoch hatte der Fettgehalt in der Leber durch die Milch um ein Prozent abgenommen, sich durch die Cola aber um 135 Prozent erhöht. Das zeigt: Eine Kalorie ist nicht eine Kalorie. Warum aber wirkt Milch anders als Cola?

Für den US-Professor Lustig ist der Fall klar: Es ist der Zucker. Er ist »ein Gift an sich, unabhängig von den Kalorien« (siehe Hans-Ulrich Grimm: Garantiert gesundheitsgefährdend). Daneben können aber auch die allgegenwärtigen industriellen Aromen den Körper in die Irre führen und als Dickmacher wirken (siehe Hans-Ulrich Grimm: Die Suppe lügt).Und schließlich der sogenannte Geschmacksverstärker Glutamat (siehe Hans-Ulrich Grimm: Die Ernährungslüge).

Und es gibt in der Nahrung immer mehr Bestandteile aus der Welt der Kunststoffe. Die können aus der Fabrik stammen, aus den Röhren dort. Oder aus der Verpackung, den Folien. Oder aus dem Deckel auf dem Bier oder dem Babygläschen. Aus der Innenbeschichtung, etwa von Coladosen, Energydrinks, Fischbüchsen. Sie wurden schon in Softdrinks wie Red Bull gefunden, in Fanta, im Bier aus Dosen, auch in Nescafé aus der Dose, Heringsbüchsen von Rewe. In Käse, in Plastikmilchflaschen und Plastikbeuteln.

Manchmal berichten die Medien über solche Funde, die sie oft »Weichmacher« nennen, was harmlos klingt, ja sympathisch. Dabei wirken sie auf besonders heimtückische Weise. Können den Körper umprogrammieren. Oft schon vor der Geburt. Sie können das Sexualsystem beeinflussen und dafür sorgen, dass es immer häufiger Probleme gibt mit dem Kinderkriegen.

Sie geraten aber auch als potenzielle Mit-Auslöser der modernen Zivilisationskrankheiten in Verdacht. Und: als Dickmacher. Möglicherweise sind sie es, die dafür sorgen, dass die Menschen mehr essen als nötig – und mehr Fett eingelagert wird.

Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt zunehmende Besorgnis über diese Stoffe. Es sind Substanzen, die wie Geschlechtshormone wirken – und da einiges durcheinanderbringen beim Menschen.

Schon jetzt findet die Pubertät immer früher statt – und wird nach Einschätzung deutscher Wissenschaftler bei Mädchen bald mit neun Jahren beginnen. Auch bei den Jungs gibt es Veränderungen. In Dänemark, so ergaben Untersuchungen etwa des berühmten Fruchtbarkeitsexperten Niels Skakkebaek, hatten die Jungs schon bei der Geburt ein geringeres Hodengewicht, ein langsameres Hodenwachstum, und es gab auffällige Veränderungen bei verschiedenen Sexualhormonen.

In Indien haben nur noch 30 Prozent der Männer normal entwickelte Spermien. Und der Durchschnittseuropäer büßte von 1940 bis 1990 knapp die Hälfte seiner Spermien ein, hat statt früher 133 Millionen nur noch knapp 66 Millionen pro Milliliter Samenflüssigkeit.

Es scheint einen Zusammenhang mit den Plastikhormonen zu geben: Bei 188 Männern, die mit unerfülltem Kinderwunsch in eine amerikanische Klinik kamen, war, wie ein Forscherteam der amerikanischen Harvard School of Public Health herausfand, die Spermakonzentration umso geringer, je höher die Belastung mit den sogenannten Phthalaten war. Auch so eine Chemikalie, die wie ein Hormon wirkt – und sich jetzt plötzlich im Essen findet.

Womöglich droht den Menschen die »chemische Kastration«, wie die amerikanische Zoologin und Pharmazeutin Theodora Colborn drastisch formuliert. »Deswegen hat man solchen Respekt vor dem Zeug«, sagt die Forscherin Margret Schlumpf von der Universität Zürich. »Es bedrückt mich«, sagt Frau Schlumpf, die eigentlich eine lustige Person ist. »Vor allem im Hinblick auf den Fortbestand von Mensch und Tier.« Sie hatte sich zunächst mit den Wirkungen der Plastikhormone auf die Fortpflanzung beschäftigt – und sich dann den Effekten als heimliche Dickmacher zugewandt. Denn was aufs Geschlecht wirkt, hat auch Folgen für die Figur. Und bei der Ausbreitung des weltweiten Übergewichts.

Und so wurde es ganz still im Publikum, als ein Neurobiologe während eines Kongresses über einen dieser Stoffe sprach. Es war der Kongress der wichtigsten amerikanischen Wissenschaftlervereinigung, der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in San Francisco. Professor Frederick vom Saal kam von der Universität von Missouri. Er ist ein Experte für Hormone, genauer: für Hormonstörer (im Wissenschaftsenglisch: »endocrine disruptors«). Das sind Chemikalien, die die hormonellen Abläufe im Körper durcheinanderbringen, zum Beispiel die Fortpflanzung stören oder für Missbildungen an den Sexualorganen sorgen. Das sogenannte Bisphenol A ist eine dieser Substanzen – eine Allerweltschemikalie, die millionentonnenfach alljährlich produziert wird, unter anderem vom deutschen Chemie-Giganten Bayer und dem US-Multi Dow Chemical. Hormonstörer können in winzigsten Mengen wirken. Zum Beispiel in der Nahrung.

Vom Saal hatte zum ersten Mal vor einer größeren Öffentlichkeit den Zusammenhang hergestellt zwischen Hormonstörern und der Ausbreitung des Übergewichts. Offiziell galt Bisphenol A bisher als eher harmlos. Die europäischen Behörden haben im Jahr 2007 die Grenzwerte sogar noch entschärft – im Jahr 2014 allerdings einen Rückzieher gemacht. Die europäische Lebensmittelbehörde Efsa will jetzt wieder strengere Grenzwerte.

Es gibt nicht nur dieses Bisphenol A. Es gibt, nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation, 800 solcher Hormonstörer. Auch die Pestizide gehören dazu, mit denen die Bauern ihre Pflanzen spritzen. Der Kontakt mit Hormonstörern, so vom Saal, findet »kontinuierlich« statt. Und er fängt früh an: Sogar in Babygläschen von Hipp und anderen Herstellern wurden solche Plastikhormone schon gefunden. Da reagierten die Hersteller natürlich schnell.

Hormonstörer können nicht nur den Kinderwunsch torpedieren. Sie können im Gehirn die Schalter umlegen, bestimmte Abläufe manipulieren und einen nachts an den Kühlschrank treiben. Das »Moppel-Ich« ist also womöglich deshalb so mächtig, weil im Hintergrund künstliche Hormone ihr Unwesen treiben.

Das epidemisch auftretende Übergewicht ist also nicht in erster Linie eine Folge der falschen Ernährung, sondern der mit Kunsthormonen und anderen Störfaktoren belasteten Nahrung. Die Nahrung zwingt die Menschen sozusagen, sich falsch zu ernähren. Weil sie ihr Unterbewusstsein manipuliert.

Noch krasser hat es der Hormonforscher vom Saal ausgedrückt, laut Süddeutscher Zeitung, die in einem Artikel mit der Überschrift »Die Dickmacher« über seinen aufsehenerregenden Auftritt in San Francisco berichtete: »Die wachsende Zahl übergewichtiger Menschen in den Industrienationen hat nicht allein etwas mit persönlichem Fehlverhalten der Betroffenen zu tun, sondern ist vielmehr eine zivilisatorische Vergiftungserscheinung, ausgelöst durch Chemikalien.«

Fett durch Chemikalien im Essen. Bisher hatten die Ernährungspäpste immer behauptet, nur Fett macht fett. Und so schneiden Millionen von Frauen und auch Männern sorgfältig den Fettrand vom Schinken ab, sezieren sogar noch die Hähnchenbrust, greifen im Supermarkt zu fettarmer Milch und fettarmem Joghurt. In den Regalen sieht es so aus, als habe schon ein Wettbewerb um den geringsten Fettgehalt begonnen. Das cremeartige Produkt namens Miracel Whip So leicht kommt auf 4,9 Prozent Fett, Milram Frühlingsquark leicht auf 2,4 Prozent. Edekas Gut & günstig fettarmer Fruchtjoghurt Schwarzkirsche geht mit 1,8 Prozent ins Rennen, unterboten vom hauseigenen Konkurrenten Pfirsich-Maracuja mit 1,5 und dem Optiwell Vanilla Pudding mit Schokosoße mit 0,9 Prozent Fett. Sogar das vermeintlich naturnahe Label »Berchtesgadener Land« ist am Start mit seinem Produkt namens Cremiger Quark mit frischem Joghurt, und »0,2 Prozent Fett absolut«, gleichauf mit Exquisa Quark Genuss klassisch Erdbeere. Noch magerer sind beispielsweise Danones Actimel Classic und Der große Bauer, Geschmacksrichtung Kirsche, mit dem kleinen Fettwert von jeweils 0,1 Prozent. Gipfel des Fettwahns sind natürlich die Klassiker von »Du darfst« mit der »Halbfettbutter« oder einem sogenannten Streichfett mit dem »extra Frische Kick«. Oder dem Fertigpackerl Rinderroulade aus dem Plastiknapf mit »magerem Fleisch«, versteht sich. Und Nürnberger Rostbratwürstchen, offenbar abgemagert, aber dafür mit einem halben Chemielabor als Beigabe, laut Zutatenliste.

Das Fett als Geschmacksträger wird eliminiert, der Geschmack kommt fortan von chemischen Zutaten wie etwa den »Aromen«. Oder vom Zucker.

Zum Beispiel bei den Abspeck-Klassikern von den Weight Watchers, der Lasagne Bolognese, dem Jägerrahmschnitzel mit Champignons, dem Frischen Dressing »Sylter Art«. Die Suppen haben sogar »fast 0 Prozent« Fett.

Genutzt hat das alles nichts. Schlanker werden die Leute dadurch nicht. Es ist ein schönes Geschäft, klar, der Erfolg ist nachhaltig – bei den Herstellern. Bei den Kunden hingegen bleiben die gewünschten Effekte aus. Sie kaufen nur eine Hoffnung. Eine trügerische Hoffnung.

Doch die Menschen erwerben die Produkte immer weiter, ohne jeden Nutzen. Man könnte sogar sagen: Die Nutzlosigkeit seiner Produkte ist sozusagen die Geschäftsgrundlage eines ganzen Wirtschaftszweigs.

Niemand wird schlanker durch die Diäterzeugnisse. Auch die Fettarm-Propaganda der Ernährungsexperten, der Frauenzeitschriften hat nichts gebracht. Fettarm essen: ein Irrweg. Ein höchst profitabler Irrweg.

Wer ist eigentlich schuld daran? Wer hat die Menschheit auf diesen Irrweg geschickt?

Kaum zu glauben, dass es ein einziger Mann war. Ein Mann, der zum Star wurde. Ein Weltstar der Wissenschaft. Der Regierungen und Forscher weltweit hinter sich brachte. Den Beifall der Medien auf sich zog. Den Alltag von Generationen von Abnehmwilligen beeinflusste. Dessen Macht bis auf den Frühstückstisch reichte. Jahrzehntelang. Bis zum heutigen Tag. Obwohl dieser Mann, wie sich zeigte, in Wahrheit ein Fälscher war. Seine Zahlen: getürkt. Seine Statistiken: frisiert.

Dieser Mann war, wie seine Kritiker jetzt sagen, die Hauptfigur im größten Wissenschaftsbetrug aller Zeiten.

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2. Dicke Lüge

Der fragwürdige Krieg gegen das Fett – und die wahren Schuldigen

Weltstar der Wissenschaft – und zugleich ein abgefeimter Betrüger / Früher wertvoll, heute Teufelszeug? / Magere Argumente für die Furcht vor Butter und Sahne / Cholesterin im Ei: Und so was legt Mama Huhn dem Küken ins Nest? / Abenteuer Wissenschaft: Als wir mit dem Jeep über die Küstenstraße bretterten / Wer fetter isst, wird schlanker

Er war ein Mann von großem Einfluss, vor allem auf die Frauen. Er hat dafür gesorgt, dass sie zum Salat am liebsten magere Putenbrust bestellen und den Joghurt in der Light-Version kaufen, mit 0,1 Prozent Fett.

Die Angst vor den Fett: Er hat sie geschürt. Die Furcht vor dem Cholesterin, ja sogar vor dem Frühstücksei: Sie ist sein Beitrag zur Weltgeschichte des Alltags.

Er war ein Weltstar, ein Medienliebling. Ein Jet-Setter der Medizin, einer der Einflussreichsten seines Faches – und zugleich der größte Betrüger, den die Wissenschaft je sah. Er hat tragischerweise vor allem jene Menschen auf einen Irrweg gelockt, die sich besonders um ihre Gesundheit bemühen und auch um ihre Figur, und die deswegen für seine Lehren besonders empfänglich waren. Sie haben damit sich, ihrer Gesundheit und ihrer Figur womöglich eher geschadet. Doch seine Behauptungen wurden niemals widerrufen – im Gegenteil: Sie gelten noch heute als Maximen der Ernährung.

Er ist die Schlüsselfigur für das Ernährungsverhalten ganzer Generationen. Wohl noch nie, niemals vor ihm und auch nie nach ihm, gab es einen Wissenschaftler, der solch einen Einfluss auf das alltägliche Leben der Menschen auf diesem Planeten hatte – einen verhängnisvollen Einfluss. Denn: Wer sich nicht an sein Dogma hielt, lebte gesünder – und blieb sogar schlanker, sagen seine Kritiker. Die sich jetzt erst aus der Deckung wagen.

Die Lehre vom bösen Fett, vom schädlichen Cholesterin: Sie ist wohl die folgenreichste Irrlehre, die es in Sachen Ernährung je gegeben hat. Und sie wird weiter propagiert, von Ernährungsberatern, Medizinern, Medien, sogar staatlichen Einrichtungen und Behörden.

Sie ist auch ein großes Geschäft.

Ihr Urheber hat mit seinen Theorien Umsätze bewegt, die in die Billionen gingen. Er hat ganze Geschäftsimperien beeinflusst: Die Light-Industrie mit ihren fettarmen Produkten. Die Abspeckindustrie, das Diätbusiness. Sogar die Pharmaindustrie: Cholesterinsenker sind die Blockbuster der Branche.

Er war der einflussreichste Wissenschaftler für den Alltag der Menschen – und er war die Zentralfigur im größten Wissenschaftsbetrug aller Zeiten. Er hat die Fakten gerade so zurechtgebogen, wie es ihm gefiel. Statistiken geschönt, Grafiken frisiert.

Ancel Keys, geboren am 26. Januar 1904, ein Kind minderjähriger Eltern, ein Abenteurer und Weltenbummler, Professor an der Universität von Minnesota und der erste Medienstar der Medizin.

Er war »Mister Cholesterin«. So hatten ihn die Medien genannt, in Europa und in Amerika; das Magazin Time machte ihn am 13. Januar 1961 sogar zum Titelhelden. Im weißen Kittel, mit Krawatte und Brille sowie strengem Blick. Im Hintergrund ein menschliches Herz, Blutadern und die Silhouette eines Mannes, der auf der Waage steht, den Blick bang auf die Anzeige gerichtet.

Erst jetzt, im 21. Jahrhundert, formiert sich in der Fachwelt die Kritik an Keys’ Thesen – und auch an den fragwürdigen Methoden, mit denen er es schaffte, das Erfahrungswissen der Menschheit auf den Kopf zu stellen, und das, was jahrtausendelang als gut und wertvoll galt, plötzlich zu verteufeln.

Fett ist für den Körper sehr wichtig. Die Menschheit hat seit Jahrtausenden das Fett als etwas Gutes, Wertvolles, Körperfreundliches betrachtet. Der Ausdruck »Fettlebe« steht im Deutschen laut Duden für »üppiges Leben, Wohlleben«. Sahne und Speck, die fette Gans und das fette Huhn gehörten über Generationen zur Idee vom erstrebenswerten Dasein.

Ancel Keys hat den Menschen die Furcht vor dem Fett sozusagen ins Gehirn implantiert – mit nachhaltigem Erfolg. Er hat die Ernährungslehre seit einem halben Jahrhundert dominiert. Sogar die Ernährungsempfehlungen der höchsten Institutionen der Weltgemeinschaft. Und das Alltagsverhalten von Milliarden Menschen auf dem Planeten. Vom Supermarkt bis zum Frühstückstisch.

Die Folgen? Dramatisch.

Die Furcht vor dem Fett hat die Menschen nicht gesünder gemacht, und nicht schlanker. Im Gegenteil: Sie hat die Menschen noch dicker gemacht – und oft krank dazu.

 

Es war die folgenreichste Ernährungsempfehlung, und die schädlichste. Das weisen jetzt die Kritiker nach – die es auch früher schon gegeben hatte.

Doch gegen die Wucht der Fett-Phobie hatten Kritiker – die es durchaus auch früher schon gab – keine Chance. Das ist ein weiteres folgenschweres Verdienst von Ancel Keys, von »Mister Cholesterin«: Dass die Andersdenkenden in Wissenschaft und Medizin keine Chance mehr hatten, und zwar weltweit. Das Fett galt als Bösewicht – und der Zucker, auf der anderen Seite, als völlig harmlos.

Inzwischen melden sich mehr und mehr Wissenschaftler zu Wort, die das für Unsinn halten, für schädlich sogar. Und jetzt kommen auch die Tricksereien ans Licht, mit denen Ancel Keys und seine Gefolgsleute der Theorie vom bösen Fett an die Macht verholfen haben.

»Nur Fett macht fett«, das verkündeten die Jünger von Ancel Keys auch hierzulande. So versandte beispielsweise die Firma Coca-Cola gern ein Info-Blättchen der Süßgetränke-Lobby, in dem ein junger Professor namens Hans Hauner diese These verbreitete: »Je höher der tägliche Fettanteil im Essen ist, desto höher ist in der Regel das Gewicht. Im Gegensatz dazu gibt es derzeit keinen Beleg für einen Zusammenhang zwischen zuckerreicher Ernährung und Übergewicht.«

Das war im Jahr 1997. Heute ist Hauner einer der führenden Experten für Fettleibigkeit in Deutschland.

Der prominenteste Prophet dieser Glaubensrichtung war ein Mann namens Pudel, Volker Pudel, Professor an der Universität Göttingen, zeitweilig Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der einflussreichen Fachgesellschaft. Sie ist Ansprechpartner der Regierung auf dem Felde der Ernährung, tonangebend bei den Ernährungsberaterinnen im Lande und natürlich auch bei den Medien.

»Nur Fett macht fett«, propagierte auch Professor Pudel. So verkündete er landauf, landab. Was kein Fett enthält, macht auch nicht dick. Denn er war der »Fettaugenexorzist«, wie Der Spiegel einmal schrieb.

Pudel wurde immer wieder von Journalisten angerufen, vom Stern, auch vom Hamburger Abendblatt. Sein Kernsatz war der von den Gummibärchen. »Wer abnehmen will, kann so viel Gummibärchen essen, wie er will.« Denn Gummibärchen enthielten kein Fett und könnten deshalb gefahrlos genascht werden. »Wie süß!«, titelte daraufhin zum Beispiel das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Die SZ-Leute hatten sich von Professor Pudel die Sache mit dem Übergewicht mal erklären lassen und verkündeten dann: »Die Sensation: Zucker macht nicht dick.«

Das passte einerseits ganz gut in die Zeit, denn es war Weihnachten, und da hört man ja gerne, dass Naschwerk und Plätzchen nicht dick machen.

Andererseits war es das Jahr 2002. Kurz zuvor war die Theorie vom bösen Fett wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. »Was, wenn alles bloß eine dicke, fette Lüge war?«, fragte damals die New York Times.