Die Kunst, als Paar zu leben - Hans Jellouschek - E-Book

Die Kunst, als Paar zu leben E-Book

Hans Jellouschek

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Beschreibung

Wenn die Liebe verblasst, kann man nichts dagegen machen – ganz im Gegenteil. Jedes Paar kann Bedingungen schaffen, die bewirken, dass die Liebe wieder erwacht und an Tiefe gewinnt. Anhand zahlreicher Fallbeispiele zeigt Jellouschek, wie Beziehung in der ständigen Spannung zwischen Selbstbestimmung und Bindung, Job und Familie, Lust und Alltag erfüllend gelingen kann. Der Longseller des bekannten Paartherapeuten

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Das Buch

Wir erleben in unserer Gesellschaft ein massenhaftes Scheitern von Paarbeziehungen und sehnen uns gleichzeitig nach einer Liebe, die dauerhaft ist. Wie eine solche Liebe gelingen kann, beschreibt der erfahrene Paartherapeut anschaulich in diesem Buch. Dabei zeigt er, welche Ideale und Erwartungen Beziehungen heute gefährden und wie wir zu einem neuen und erweiterten Liebesverständnis finden, das lebbar ist. Gleichzeitig vermittelt der Autor, welche Bedingungen Paare schaffen können, damit ihre Liebe lebendig bleibt und weiterwächst. Die Kunst der Partnerliebe, so Jellouschek, lässt sich für jeden von uns erlernen und umfasst zum Beispiel die Aufmerksamkeit für Kleinigkeiten genauso wie die Notwendigkeit, Inseln der Zweisamkeit zu schaffen, auf denen sich die individuelle »Vision« einer Liebe immer wieder neu entfalten kann.

Ein Buch, das ein tieferes Verständnis von Paarbeziehungen ermöglicht und viele neue Wege zu Glück und Erfüllung weist.

Der Autor

Dr. Hans Jellouschek (1939–2021) war Eheberater, Psychotherapeut und Lehrtherapeut für Transaktionsanalyse und systemisch-integrative Paartherapie. Als einer der bekanntesten Paartherapeuten im deutschsprachigen Raum verfasste er mehr als 20 Bücher rund um das Thema Paarbeziehung und Paartherapie.

Titel der Originalausgabe: Die Kunst, als Paar zu leben

© Kreuz Verlag in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1992

ISBN 978-3-7831-2614-3

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagmotiv: © Malte Mueller / GettyImages

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN 978-3-451-03380-3

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82779-2

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1

Verliebt in die Liebe

Liebe als Liebeserlebnis

Kapitel 2

Ohne dich kann ich nicht leben

Liebe als Verschmelzung

Kapitel 3

Ich bin ich – und du sollst für mich da sein!

Liebe als Selbstverwirklichung

Kapitel 4

Du bist mein Ein und Alles

Liebe als Totalanspruch

Kapitel 5

All you need is love

Liebe als sexuelle Lust

Kapitel 6

Dazu brauchen wir doch nicht zu heiraten!

Liebe als Wachstumsprozess

Kapitel 7

Gott nicht, Priester nicht, Kirche nicht – dann wenigstens du!

Liebe als Religion

Schluss

Anmerkungen

Literatur zum Thema des Buches

Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,

versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wussten nicht weiter.

Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort

und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort.

Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner, 19291

Einleitung

Dieses Buch ist die stark erweiterte Fassung eines Vortrags, den ich vor einigen Jahren im Evangelischen Bildungswerk Stuttgart gehalten habe. Der Titel war der gleiche: »Die Kunst, als Paar zu leben.« Der Untertitel – gleichsam als dunkle Folie dazu – lautete: »Warum heute viele Ehen scheitern.« – Zu diesem Vortrag kamen über 1000 Menschen. Ich war von dem Ansturm völlig überrumpelt, denn ich hatte nicht damit gerechnet, mit dieser Thematik ein so zentrales Interesse zu berühren.

Es war wohl zweierlei: Zum einen sprach ich hier das Scheitern in Paarbeziehungen an, das wir heute massenweise erleben. Die Zahl der Scheidungen scheint sich bei uns auf hohem Niveau, etwa bei einem Drittel aller Ehen, einzupendeln, in Großstädten ist die 50-Prozent-Marke nicht mehr fern.

Dabei erfasst keine Statistik die Trennungszahlen bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, und niemand kennt die Zahl derer, denen es so ergeht wie dem Paar in Kästners Gedicht, dessen Partner zwar äußerlich zusammenbleiben, aber sich innerlich schon lange voneinander verabschiedet haben.

Zum andern legte der Vortrag nahe, dass das Leben als Paar eine Kunst sei, das heißt, dass es hier, in bestimmten Grenzen zwar und mit einiger Mühe, ein Können zu erwerben gebe, mit dessen Hilfe sich ein Scheitern vermeiden lasse.

Dass so viele Menschen aus dem Überangebot eines Großstadt-Programms ausgerechnet diesen Vortrag wählten, scheint mir ein Hinweis zu sein, dass die hohen Scheidungsziffern keineswegs besagen, dass wir die Paarbeziehung heute nicht mehr so ernst nehmen wie frühere Generationen. Eher das Gegenteil scheint zu stimmen. Der auf Dauer angelegten Liebesbeziehung der Geschlechter wird heutzutage ein zentraler Stellenwert eingeräumt. Vor allem darin suchen wir unser individuelles Glück, wir suchen es und finden es sehr oft nicht. Warum das so ist, darauf werde ich in diesem Buch eingehen. Wenn wir der Paarbeziehung aber einen so hohen Stellenwert für unsere individuelle Lebenserfüllung einräumen, wie kommt es dann, dass wir, wie das große Interesse an dem Vortrag zu zeigen scheint, diese Kunst erst noch zu lernen haben?

Früher waren die Ehen jedenfalls viel haltbarer. Heißt das, dass man damals diese Kunst besser beherrschte als heute? Ich meine: nein. Denn früher war das Leben als Paar keine Kunst, sondern eher ein Schicksal, dem man sich zu fügen hatte. Über die Verliebtheitsphase hinaus, die dazu noch keineswegs als Voraussetzung der Ehe angesehen wurde, spielte die Zweierbeziehung kaum eine Rolle. Sie war eingebettet in die Familie. Paarbeziehung als eigene Lebensform gab es als Regelfall nicht. Nicht zufällig redeten sich noch unsere Eltern gegenseitig sehr oft mit »Mutter« und »Vater« an, nicht mit Vor-, geschweige denn mit Kosenamen. Ich verwendete für meine Mutter eine fremde Sprache, die sie nicht verstehen konnte, als ich ihr vor Jahren von meinen Problemen in der Ehe erzählen wollte. Für sie gab es nur eines: »zusammenhalten«, das war klar, alles andere spielte für sie eine untergeordnete Rolle. Die Paarbeziehung war so gut wie identisch mit der Elternbeziehung.

Aber es gab noch weitere Gründe, die eine eigene Kunstfertigkeit für das Leben zu zweit nicht erforderlich machten. Die Ehen wurden durch andere Faktoren zusammengehalten. Ein wesentlicher davon war die wirtschaftliche Situation. Sie machte es für die große Mehrzahl der Menschen undenkbar, sich zu trennen. Die Ehe war eine Wirtschaftsgemeinschaft, notwendig für das Überleben. Natürlich spielen auch heute wirtschaftliche Überlegungen noch immer eine große Rolle und verhindern manchmal eine Trennung, auch wenn die Eheleute sonst nichts mehr verbindet. Aber der wachsende Wohlstand und die immer häufigere Berufstätigkeit der Frauen machen es möglich, auch als getrennte Partner und als Teilfamilien zu überleben. Die ökonomische Situation büßt ihren stabilisierenden Einfluss auf die Mehrzahl der Ehen immer mehr ein.

Ein weiterer Faktor, der eine Kunst in Sachen Paarbeziehung unnötig machte, war die festgeschriebene und klar eingespielte Rollenaufteilung zwischen Frau und Mann. Diese Rollenaufteilung war auf Ergänzung angelegt. Die Frauen waren für alles zuständig, was mit der Ernährung und Pflege zu tun hatte, die Männer dagegen für den Lebenskampf. Diese Rollenaufteilung wurde im Industriezeitalter extrem vereinseitigt und polarisiert, weil die Existenzsicherung und Erwerbsarbeit ausschließlich zur Sache der Männer wurde und die Frauen sich auf den Binnenraum der Familie, auf Haushalt, Kinder und »Gefühlsarbeit« einzugrenzen hatten. Diese Rollenaufteilung bewirkte, dass der Mann die Frau und die Frau den Mann »brauchte«, um als Mensch vollständig zu sein. Heute dagegen erobern sich die Frauen in der Gesellschaft so gut wie alle traditionellen Männerrollen, und Männer lernen in immer größerer Zahl, was früher ausschließlich Sache der Frauen war. Im Phänomen des Hausmanns wird nur besonders deutlich, was sich auf viel breiterer Front an Neubestimmung der Männerrolle heutzutage vollzieht. Damit fällt ein weiteres, früher äußerst haltbares Band für die eheliche Gemeinschaft weg. Denn in diesem Sinn »braucht« man einander nicht mehr.

Damit sind aber die ehestabilisierenden Faktoren, die früher eine Kunst der Partnerliebe unnötig machten, noch immer nicht erschöpft. Ein weiteres bindendes Element war die weltanschauliche Fundierung. In der katholischen Kirche ist die Ehe, weil Sakrament, unauflöslich. Nach protestantischer Lehre ist sie zwar »ein weltlich Ding«, steht aber ethisch genauso wenig zur Disposition wie ihre katholische Schwester. Früher bestimmten diese Lehren das Bewusstsein der Menschen selbst dann, wenn sie individuell Zweifel daran hatten, und vor allem bestimmten sie die gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Auch als es juristisch die Möglichkeit der Scheidung schon gab, wurden Geschiedene gesellschaftlich manchmal regelrecht geächtet. Diese weltanschauliche Fundierung der Ehe schwindet heute immer mehr und mit ihr die gesellschaftlichen Sanktionen. Auch Christen, selbst viele Katholiken, akzeptieren die offizielle Lehre ihrer Kirche nicht mehr so ohne weiteres und verstehen die biblischen Imperative höchstens noch als Zielgebot oder als Ideal-Anspruch, an dem man sich orientiert, den man aber nicht als ein juristisch gefasstes Gesetz anwenden kann. Dementsprechend wird auch das Leben als Geschiedene(r), allein, in einer Teil- oder Stieffamilie, etwas immer Normaleres. Auch der Stabilitätsfaktor weltanschauliche Ideologie verliert also immer mehr an Bindekraft.

Schließlich waren es noch die gemeinsamen Kinder, die eine Ehe zusammenhielten, auch wenn die Liebesbeziehung schon längst erkaltet war. Der Kinder wegen meinten und meinen auch heute noch viele Paare, zusammenbleiben zu müssen, weil sie den Kindern nicht das Elternhaus rauben, vielmehr ihnen beide Eltern als Bezugspersonen erhalten wollen. Aber auch dieses Band wird schwächer. Denn das Bewusstsein wandelt sich: Man macht die Erfahrung, dass es neben der traditionellen Kleinfamilie auch andere Lebensformen gibt, die Kindern ein gedeihliches Aufwachsen ermöglichen, und immer mehr Partner lernen die Paarebene von der Elternebene zu unterscheiden, als Eltern weiterhin für die Kinder zu sorgen und konstruktiv zu kooperieren, auch wenn sie sich als Paar getrennt haben. Die Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechtes macht – ab gesehen von der Frage, ob es praktikabel ist oder nicht – diesen Bewusstseinswandel deutlich. Man ist auf immer breiterer Front davon überzeugt, dass eine faire Trennung, die den Kontakt beider Eltern zu den Kindern sicherstellt, viel weniger negativ auf die Kinder wirkt als die vergiftete Atmosphäre einer destruktiven Ehebeziehung.

Alle diese Faktoren – Einbindung der Paarbeziehung in die Familie, wirtschaftliche Notwendigkeit, komplementäre Rollenaufteilung, weltanschauliche Fundierung und gemeinsame Elternschaft – fallen in wachsendem Ausmaß heute dahin. Was übrig bleibt, sind die beiden Partner und ihre persönliche Verbundenheit miteinander. Diese persönliche Verbundenheit, ihre »Liebe« zueinander, was auch immer darunter zu verstehen ist, wird immer mehr zum Einzigen, was den Bestand einer Dauerbeziehung sichert und auch rechtfertigt. Es kommt immer mehr darauf an, dass es den Partnern gelingt, diese liebende Verbundenheit zwischen sich zu erhalten und zu vertiefen, damit die Ehe nicht scheitert. Was früher eine glückhafte, keineswegs nötige Beigabe war, wird heute zum entscheidenden Kriterium für das Gelingen.

Freilich ist damit allein noch nicht klar, dass die Paarbeziehung eine Kunst ist, ein Können, das man, teilweise jedenfalls, erlernen kann und muss. Denn unter der liebenden Verbundenheit, auf die allein es ankommt, kann man sich ja alles mögliche vorstellen. Tatsächlich wird heute sehr vieles darunter verstanden, das es keineswegs nahelegt, von einer Kunst der Partnerliebe zu sprechen. Vielmehr erscheint die erotische Liebe im Verständnis der meisten Menschen als ein emotionales Naturereignis, das eintritt oder auch nicht, bleibt oder – leider viel häufiger – »plötzlich abhanden kommt, wie anderen Leuten ein Stock oder Hut«, wie es bei Kästner heißt.

Wir können hinter unsere heutige Zeit nicht mehr zurück. Vorausgesetzt, die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern sich nicht radikal, wird die auf Dauer angelegte Liebesbeziehung zwischen den Geschlechtern niemals wieder durch die erwähnten äußeren Faktoren in ihrem Bestand gesichert sein. Die liebende Verbundenheit von Mann und Frau wird das einzig entscheidende Kriterium bleiben. Allerdings gilt es, sich damit auseinanderzusetzen, ob das, was heute vielfach darunter verstanden wird, dem, was zwischen Frau und Mann möglich ist, tatsächlich gemäß ist. Meine Überzeugung und Erfahrung ist es, dass sich im modernen Ideal der geschlechtlichen Liebe eine ganze Reihe von »Ideologien« verbergen, die – verinnerlicht – Einstellungen schaffen sowie Erwartungen und Bedürfnisse wecken, die eine lebendige und dennoch dauerhafte Paarbeziehung tatsächlich im Übermaß belasten. Das heutige Ideal der Geschlechterliebe – ich nenne es hier das »neo-romantische Beziehungsideal« – lässt Liebe einerseits und Ehe andererseits als einen unvereinbaren Widerspruch erscheinen. Das Anliegen dieses Buches ist es, diesen Widerspruch aufzulösen. Natürlich bleibt es damit heute immer noch schwieriger als früher, die Stabilität einer Ehe zu sichern, weil sie eben nach wie vor nur mit der liebenden Verbundenheit der Partner als dem einzigen Band zu sichern ist. Aber diese ist, so meine Überzeugung, im Wesen etwas völlig anderes, als uns das neoromantische Beziehungsideal nahelegt.

Darum geht es mir in diesem Buch: Ich will jene Überzeugungen oder Ideologien möglichst klar herausarbeiten, die mir im neo-romantischen Beziehungsideal unserer Zeit enthalten scheinen. Ich will sie analysieren und kritisch hinterfragen, und ich möchte sie schließlich modifizieren, anreichern oder auch alternative Überzeugungen dagegenstellen. Dabei will ich zeigen, dass das, was wir alle heute suchen und was uns so schwer gelingt, nämlich eine lebendige erotische Liebe und eine verlässliche Dauerhaftigkeit, keine Widersprüche sind, vielmehr dass beide aus dem Wesen der Geschlechterliebe heraus sogar notwendig zusammengehören.

Dabei entstehen freilich keine Patentrezepte, die nach dem Motto »Man nehme …« anzuwenden wären. Was ich erreichen will, ist die Wandlung von Sichtweisen, Einstellungen, Wünschen und Erwartungen. Diese bestimmen ja, so machen uns heute viele Wissenschaften nachdrücklich bewusst, unser ganz praktisches Verhalten erheblich. Außerdem bin ich als Paartherapeut zu sehr Praktiker, um mich allzu lange in philosophischen Höhen aufzuhalten. Darum kommt das ganz konkrete Verhalten in den folgenden Kapiteln immer wieder zu seinem Recht, auch wenn der Akzent des Buches eher auf dem Verstehen liegt als auf dem Handeln.

In sieben Kapiteln möchte ich sieben »Ideologien« besprechen, die, zusammengenommen, meiner Erkenntnis nach das neo-romantische Liebesideal ausmachen. Die Kapitel sind jeweils gleich aufgebaut. Zuerst charakterisiere ich jeweils eine Seite dieses Ideals, dann setze ich mich kritisch damit auseinander, und schließlich entwickle ich – manchmal auch verflochten mit dem kritischen Teil – ein alternatives Verständnis. Im Zusammenhang damit gebe ich dann jeweils, wo es angebracht erscheint, praktische Hinweise für die Paare.

Ich habe für dieses Buch zahlreiche Anregungen von vielen Kollegen verarbeitet. Rosemarie Welter-Enderlin und Bert Hellinger möchte ich dabei ausdrücklich und dankbar erwähnen. Entscheidend für meine eigenen Erkenntnisse waren jedoch meine eigenen Beziehungserfahrungen und die praktische therapeutische Arbeit mit vielen Paaren, einzeln oder in Gruppen, im Rahmen der eigenen Praxis oder in den Workshops, die ich zusammen mit meiner Frau Margarete Kohaus-Jellouschek seit Jahren im Odenwald-Institut durchführe. Darum möchte ich vor allem diesen Paaren hier herzlich danken und der Hoffnung Ausdruck geben, dass dieses Buch vielen Leserinnen und Lesern zu einer Hilfe auf ihrem weiteren Weg wird.

Der Autor hat diese Einleitung im Jahr 1992 geschrieben; er ist 2021 leider verstorben.

Kapitel 1

Verliebt in die Liebe

Liebe als Liebeserlebnis

Die Liebe zwischen Frau und Mann wird heute durchgängig gleichgesetzt mit dem emotionalen Liebeserlebnis. Wenn wir sagen: »Die beiden lieben sich«, dann meinen wir ganz selbstverständlich, dass es ihnen so geht, wie es das Märchen von Jorinde und Joringel schildert: »Sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern«, wobei »Vergnügen« alles heißen kann, von der zarten Zuneigung bis hin zur sexuellen Ekstase. Auf jeden Fall ist immer ein erotisches Erlebnis gemeint, das die beiden im Hier und Jetzt erfüllt.

Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Auffassung von Liebe aus dem Verliebtheitserlebnis stammt. Was man hier erfahren hat, wird festgehalten als Partnerliebe schlechthin. Es wird mit dem Anspruch auf ein »ewiges Hier und Jetzt« über die ganze Länge einer Dauerbeziehung hin ausgedehnt. Liebe als Verliebtheit auf Dauer: Das ist nach heutigem Verständnis die Liebe zwischen Frau und Mann.

Es hat sich eingebürgert, diese Auffassung von Liebe als »romantisch« zu bezeichnen. Einmal passt das zur gängigen Bedeutung des Wortes »romantisch«, und zum anderen bezeichnet es den Ursprung dieser Liebesauffassung: Im Zeitalter der deutschen Romantik wurde sie zum Ideal der Liebe zwischen Frau und Mann, auch in einer Dauerbeziehung, erhoben.2 Ich spreche lieber vom »neo-romantischen Liebesideal«, denn so wie es uns heute begegnet, stammt dieses Ideal auch noch aus anderen Quellen: aus der Psychoanalyse, vor allem aus den Schulen, die auf den Freud-Schüler Wilhelm Reich zurückgehen, aus der humanistischen Psychologie, aus dem Neo-Marxismus und Existenzialismus der 68er Jahre und schließlich noch aus der Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte.

Es handelt sich bei diesem neo-romantischen Ideal der Liebe um eine sehr berechtigte Gegenbewegung und einen verständlichen Protest gegen die bürgerlich-patriarchale Ehe, die als erstarrt und leblos, nur noch aus äußerer Form und glatter Fassade bestehend, erlebt wurde – hauptsächlich auf Kosten der jeweils beteiligten Frauen. Dieser Zerrform der Geschlechterbeziehung wurde das Ideal der gleichberechtigten Paarbeziehung als »leidenschaftliche, umfassend geistig-gefühlsmäßig-sexuelle Zuneigung zwischen Mann und Frau« gegenübergestellt.3

Aber lässt sich das »emotionale Liebeserlebnis« mit der Partnerliebe überhaupt identifizieren? Was geschieht, wenn dieser Anspruch zum Ideal der Paarbeziehung überhaupt erhoben wird? Das Liebeserleben ist etwas Momenthaftes, das zwar immer wieder erfahrbar werden kann, vor allem am Beginn einer Beziehung. Aber aller Erfahrung nach ist es kein Dauerzustand. Die Hochstimmung des Liebeserlebnisses vergeht, die Gefühle sind starken Schwankungen unterworfen, und die Intensität lässt im Laufe der Zeit aufs Ganze gesehen nach. Wenn aber die Partnerliebe mit dem Liebeserlebnis gleichgesetzt wird, dann bedeutet dies, dass bei dessen Verlust zugleich die Liebe verloren geht. So wird es tatsächlich von vielen gesehen. Wenn sie radikal und konsequent sind, lassen sie sich dann scheiden, suchen die Liebe im Liebeserlebnis mit einem neuen Partner, machen wieder dieselbe Erfahrung, dass diese Liebe nicht »hält«, trennen sich nochmals und nochmals oder resignieren schließlich. Die Scheidungshäufigkeit hat sich in den letzten 25 Jahren in Deutschland verdreifacht. Ein wesentlicher Faktor für diese Situation ist zweifellos die Auffassung von Liebe als emotionalem Liebeserlebnis.

Aber auch für weniger radikale Menschen, die die Beziehung nicht gleich abbrechen, hat dieses Liebesideal Folgen. Sie halten zwar die Ehe aufrecht, suchen aber das Liebeserlebnis in Außenbeziehungen. Darüber gibt es keine Statistiken, aber die Zahl solcher Außenbeziehungen scheint Legion zu sein. Oft wechseln die Partner, oft werden sie geheim gehalten, und diese Sondersituationen bringen es mit sich, dass das Momenthafte und Emotionale, das dem romantischen Liebesideal entspricht, leichter immer neu erlebt werden kann. Es sieht dann so aus, als ob die wirkliche Liebe zwischen Frau und Mann eigentlich nur ein flüchtiger Moment sei und das Dunkel des Verborgenen oder gar Verbotenen brauche, um lebendig zu bleiben. Liebe und Dauerbeziehung aber werden dann zum Widerspruch.

Noch weniger radikale Menschen trennen sich weder, noch gehen sie fremd, sondern sie resignieren. Sie trauern im grauen, liebeleeren Alltag besseren Zeiten nach, phantasieren sich sehnsüchtig einen Märchenprinzen, der Dornröschen einmal wach küssen, oder eine Märchenprinzessin, die den Frosch zum Prinzen machen wird. In der Realität aber leben sie nebeneinanderher und suchen Trost im Essen, Trinken und anderen Ablenkungen, oder sie setzen ihren Frust in psychosomatische Leiden um und pflegen dann manchmal gegenseitig ihre Wehwehchen statt ihre Liebe.

Die Auffassung von Liebe als romantisches Liebeserleben hat eine weitere fatale Konsequenz: Wenn das Liebeserlebnis verblasst, kann man nichts dagegen machen. Es ist aus und vorbei. Denn was soll ich tun, wenn der andere mich nicht mehr fasziniert? Liebreiz und Attraktivität lassen nach. Wir können es uns gar nicht verübeln, dass wir uns nicht mehr so anziehend finden. Im Laufe der Jahre sind unsere Körper schlaffer geworden, und wir sehen bei uns selbst und beim andern hinter die Fassade der Persönlichkeit, wo sich manches gar nicht so glänzend ausnimmt, wie wir es gerne wahrhaben möchten. Wie soll da jenes Liebeserlebnis wiederhergestellt werden können?