Die Maske - Klaus-Peter Wolf - E-Book

Die Maske E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Wer ist die mysteriöse ›Maske‹, die in unterschiedlichen Verkleidungen brutale Kaufhausüberfälle begeht? Während Jan Silber mit seinen Freunden dem Geheimnis immer weiter auf den Grund geht, wird er erst zum Verdächtigen und schließlich selbst zum Gejagten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 204

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Klaus-Peter Wolf

Die Maske

Treffpunkt Tatort

FISCHER E-Books

Inhalt

Dies ist ein Roman. [...]+ + + kapitel 001 + + ++ + + kapitel 002 + + ++ + + kapitel 003 + + ++ + + kapitel 004 + + ++ + + kapitel 005 + + ++ + + kapitel 006 + + ++ + + kapitel 007 + + ++ + + kapitel 008 + + ++ + + kapitel 009 + + ++ + + kapitel 010 + + ++ + + kapitel 011 + + ++ + + kapitel 012 + + ++ + + kapitel 013 + + ++ + + kapitel 014 + + ++ + + kapitel 015 + + ++ + + kapitel 016 + + ++ + + kapitel 017 + + ++ + + kapitel 018 + + ++ + + kapitel 019 + + ++ + + kapitel 020 + + ++ + + kapitel 021 + + ++ + + kapitel 022 + + ++ + + kapitel 023 + + ++ + + kapitel 024 + + ++ + + kapitel 025 + + ++ + + kapitel 026 + + ++ + + kapitel 027 + + ++ + + kapitel 028 + + ++ + + kapitel 029 + + ++ + + kapitel 030 + + ++ + + kapitel 031 + + ++ + + kapitel 032 + + ++ + + kapitel 033 + + ++ + + kapitel 034 + + ++ + + kapitel 035 + + ++ + + kapitel 036 + + ++ + + kapitel 037 + + ++ + + kapitel 038 + + ++ + + kapitel 039 + + ++ + + kapitel 040 + + +

Dies ist ein Roman. Er spielt in Köln. In meinem Köln. Einige Orte, wie z.B. die Hans-Bödecker-Schule, habe ich erfunden. Andere Orte wiederum sind real. Ich war dort einkaufen, habe dort Eis gegessen und sie aus meiner Erinnerung wiedergegeben. Die handelnden Figuren dagegen entstammen alle meiner Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

 

Klaus-Peter Wolf

+ + + kapitel 001 + + +

Zunächst bemerkte Jan Silber den Überfall gar nicht. Er stand unschlüssig im Supermarkt und verglich zwei Haargels miteinander. Das eine war zwei Euro billiger und steckte in einer größeren Verpackung, obwohl genauso viel Gel drin war wie in dem anderen.

Jan konnte sich über solche Mogelpackungen aufregen. Da kaufte er aus Protest lieber das andere Mittel, auch wenn es teurer war. Obwohl das Zeug auf der Haut juckte und manchmal sogar seine Augen davon tränten.

Jan reckte sich und schielte zu der süßen blonden Auszubildenden an der Kasse. Wenn er sich nicht täuschte, hatte sie ihm vorhin zugezwinkert. Sie sah aus wie fünfzehn, aber Jan vermutete, dass sie älter war. Sonst würde man ihr doch nicht die Verantwortung für die Kasse geben, dachte er.

Er hatte ihren Namen auf dem Schildchen an ihrer Brust gelesen: Melanie Maas. Jan mochte die Art, wie sie sich die nachblondierten Strähnchen ins Gesicht kämmte, sodass ihre Augen fast davon verdeckt wurden. Es gab ihrem Blick etwas Geheimnisvolles.

Als er hereingekommen war, hatte er bei ihr einen leicht spöttischen Zug um den Mund registriert. Aber jetzt hatte sie den Kopf in den Nacken gelegt. Die Haare fielen nach hinten. Ihre Stirn und ihre seegrünen Augen lagen frei.

Sie starrte entsetzt auf den Lauf einer schwarzen Waffe. Die Mündung war auf sie gerichtet. Sie reckte ihre Arme hoch und zeigte ihre leeren Hände.

Genau wie Melanie wusste Jan sofort, dass die Waffe echt war. Dazu musste man nichts von Pistolen verstehen. Das hier war kein Scherz. Auch wenn die Nonne mit der Donald-Duck-Maske ihn an Umzüge im Kölner Karneval erinnerte, ließ ihr energisches Auftreten keinen Zweifel an ihrer Gefährlichkeit aufkommen.

Die zweite Supermarktkasse schien nicht besetzt zu sein, doch bei genauem Hinsehen entdeckte Jan zwei weibliche Beine in hautfarbenen Nylonstrümpfen, die merkwürdig verrenkt am Boden lagen. Den Oberkörper der Frau konnte er nicht sehen.

»Mach die Kasse auf und gib mir das Scheißgeld!«, krächzte eine Stimme unter der Donald-Duck-Maske. Entweder versuchte da eine heisere Frau wie ein Mann zu klingen oder ein heiserer Mann wie eine Frau.

Melanie griff in die Kasse, raffte alle Scheine zusammen und hielt sie hoch. Sie sah Donald nicht an. Stattdessen guckte sie zu Jan. Ihr Blick hatte etwas Flehendes. Jan sah die Todesangst in ihrem Gesicht. Er duckte sich und pirschte zwischen den Regalen näher zur Kasse.

»Das soll alles sein? Willst du mich verarschen?«, zischte der Räuber.

»D…die Kassen werden alle paar Stunden geleert und …«

»Quatsch keine Opern! Wo ist das Geld, du blöde Kuh?«

Melanie fing an zu schluchzen.

»Reiß dich zusammen! Wo ist die Kohle?«

»Hinten. Wir haben hinten noch einen Raum, da …«

Jan tastete nach seinem Handy. Vorhin hatte er noch einen Akkustrich auf dem Display gehabt, aber jetzt war die blöde Batterie leer. Er brauchte unbedingt ein neues Handy. Der Akku gab ständig den Geist auf.

Für einen Moment überlegte er, der Nonne das Handy an den Kopf zu werfen, aber dann entschied er sich doch lieber für eine Dose Mexikanischen Bohneneintopf.

Jan war zwar klein, aber beim Basketball galt er als guter Werfer. Einen maskierten Gangster hätte er vermutlich mit der Dose am Kopf getroffen, aber eine Nonne … Sein Unterbewusstsein spielte ihm einen Streich. Als er ausholte, wollte er noch voll treffen, aber dann verriss er den Wurf.

Jan ließ sich augenblicklich fallen. Das Ding konnte nicht treffen. Die Dose krachte vor der Kasse auf den Boden.

Donald Duck schlug Melanie Maas hart ins Gesicht. Unter- und Oberlippe platzten auf. Blut tropfte auf ihr Kinn und auf ihre Brust.

»Komm da raus oder ich knall sie ab!«

Jan hörte kaum noch etwas. Sein Herz raste so heftig, dass es in seinen Ohren dröhnte, als würden in seinem Brustkorb Buschtrommeln geschlagen.

Werd jetzt bloß nicht ohnmächtig, ermahnte er sich selbst.

Er kroch ein Stückchen nach vorne, um zwischen den Regalen einen Blick auf die Situation an der Kasse zu erhaschen.

Melanies Augen waren weit aufgerissen. Sie öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Ihr Speichel zog lange Fäden. Sie rechnete damit, erschossen zu werden, so fest drückte die Nonne den Lauf der Pistole gegen ihre rechte Schläfe. Melanie neigte den Kopf nach unten, traute sich aber nicht, dem Druck durch eine schnelle Bewegung auszuweichen. Sie wollte nichts tun, was die Nonne provozieren könnte abzudrücken.

»Bitte! Zeig dich! Der macht Ernst. Der legt mich um!«, jammerte sie.

Jan Silber wusste nicht, ob das, was er jetzt tat, richtig oder falsch war. Er tat es einfach. Mit erhobenen Händen trat er vor.

»Bitte tun Sie ihr nichts. Ich habe geworfen.«

Das Maskengesicht blieb unergründlich. Trotzdem glaubte Jan, darunter den blanken Hass zu spüren, als ob der durch die Maske nach außen dringen würde.

Die Nonne nahm die Waffe von Melanies Kopf und richtete sie auf Jan.

Jan hatte oft gelesen, dass in solchen Momenten das ganze Leben wie im Schnelldurchgang an einem Menschen vorbeizieht. Ihm ging es nicht so. Er, der alte Star-Wars-Fan, fragte sich zunächst, was Luke Skywalker jetzt wohl tun würde, und dann dachte er daran, dass er die nächste Mathearbeit vielleicht nicht mitschreiben müsste. Wenn das keine gute Ausrede war: Jan Silber kann zum Test nicht antreten. Er wurde bei einem heldenhaften Einsatz getötet.

Die Pistole zitterte in der Hand der Nonne. Offensichtlich wollte sie schießen.

Da fragte Jan: »Soll ich Ihnen das Geld von hinten holen?«

Melanie Maas guckte ihn an, als wäre er irre. Jetzt fuchtelte Donald Duck wild mit der Waffe herum. Das sah zwar gefährlich aus, aber immerhin zielte er nicht mehr auf Jans Kopf.

Der Räuber flüsterte mit Melanie Maas. Dann sagte Melanie zu Jan: »Du sollst ihm dein Handy geben, falls du eins hast.«

Jan legte sein Handy auf den Boden und ließ es zur Nonne hinübersausen. Die stoppte es mit dem Fuß und trat mit der Hacke darauf. Das Plastikgehäuse platzte knirschend.

Na bitte, jetzt war eh ein neues Handy fällig. Die Entscheidung war ihm abgenommen worden.

Dann hielt Melanie einen Schlüsselbund hoch. Sie warf ihn Jan zu. »Der mit dem roten Kopf. Das Geld ist in dem Stahlschrank neben dem Flipper.«

Jan Silber wollte losrennen, aber Donald Duck schüttelte den dicken Entenkopf.

»Du sollst dich ausziehen!«, rief Melanie. »Und er sagt, wenn du die Bullen rufst oder irgendwelche Tricks versuchst, legt er mich um!«

Rasch pellte sich Jan aus seiner Hose. Schon nach wenigen Sekunden stand er nur noch mit seinen gelb-rot gestreiften Boxershorts da.

Zum Glück habe ich heute nicht meine Micky-Maus-Unterhose an, dachte Jan. Wer weiß, wie Donald das finden würde.

Aus seiner Position konnte Jan jetzt die andere Verkäuferin sehen, die hinter der zweiten Kasse zusammengebrochen war. Es war eine ältere Dame. Sie lag so eigenartig verrenkt da, dass Jan sich Sorgen machte.

»Ich glaube«, sagte er, »es geht ihr nicht so gut. Darf ich mal nach ihr sehen?«

Donald Duck zischte Melanie etwas zu

»Beeil dich lieber! Er sagt, wenn hier Leute reinkommen, legt er sie alle um!«, rief Melanie.

Jan lief mit dem Schlüssel nach hinten.

Komisches Büro, dachte er kurz. Mit Flipper und einer halb vollen Flasche Sekt auf dem Schreibtisch. Er sah die Telefonanlage. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, die Polizei zu rufen, aber dann öffnete er lieber den Stahlschrank und packte die Geldbündel. Er stellte sofort fest, dass hier sehr viel Geld herumlag. Mehr, als er mit zwei Händen tragen konnte.

Er sah sich nach einer Tüte um. Er fand keine, also leerte er den Papierkorb aus und warf alle Scheine und Münzen hinein. Es war viel Kleingeld. Eine Menge Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine, aber auch ein Stapel Fünfziger und ein paar grüne Hunderter. Sogar ein lila Fünfhunderter war dabei. So einen Schein hatte Jan noch nie vorher in der Hand gehabt.

Mit dem Papierkorb rannte Jan zur Kasse zurück. Melanie Maas saß zusammengekauert auf ihrem Stuhl und weinte still. Ihre Kollegin lag noch immer ohnmächtig da. Sie hatte sich trotz der unbequemen Haltung noch nicht bewegt. Jan fragte sich, ob sie überhaupt noch lebte. Vielleicht hatte sie einen Herzinfarkt bekommen?

Donald Duck nahm den Papierkorb und den Schlüssel und deutete Jan mit der Waffe an, er könne sich wieder anziehen. Dann bückte sich die falsche Nonne nach einer Plastiktüte, stopfte alles Geld hinein und winkte Jan heran.

Die Zeit dehnte sich endlos. Jan hätte nicht sagen können, ob dieser Albtraum seit einer halben Stunde oder erst seit drei Minuten lief. Jetzt war Jan bei der Nonne. Sie gab Melanie Maas den Fünfhunderter. Melanie hielt Jan den Schein hin.

»Häh? Was? Ich versteh nicht …«

»Du sollst das Geld nehmen, sagt er, als Entschädigung für deine Mitarbeit.«

Jan sah Donald Duck an. Er fragte sich, ob er das richtig verstanden hatte. Die Nonne zeigte mit der Waffe auf den Schein und dann auf Jan. Vorsichtig, mit spitzen Fingern, nahm Jan die fünfhundert Euro und steckte sie sich in die Tasche.

Hauptsache, ich kriege keinen Ärger mit Donald, dachte Jan. Besser, er belohnt mich, als dass er mich erschießt.

Dann verließ Melanie ihre Kasse und ging voran. »Du sollst mir folgen. Mach keinen Scheiß. Tu, was er sagt.«

Jan ging hinter Melanie her. Komisch, dachte Jan, sie spricht immer von er. Aber Jan war sich gar nicht sicher, ob sich unter dem Nonnenkostüm ein Mann befand.

Die Nonne stieß Jan den Lauf der Waffe in den Rücken und schob ihn und Melanie in die Damentoilette. Sie schloss hinter ihnen ab, griff noch in die Zigarettenbox und steckte sich ein paar Päckchen Luckies ein. Dann verließ sie den Supermarkt hinten durch den Notausgang. Draußen warf sie den Schlüssel in den Glascontainer, nahm die Maske ab, unter der es bei diesem Wetter viel zu heiß war, und schlüpfte aus der schwarzen Nonnentracht.

+ + + kapitel 002 + + +

Obwohl sie sich gar nicht kannten, hielten sich Jan und Melanie auf der Toilette fest umklammert. Beide weinten, ein bisschen vor Freude, überlebt zu haben, und ein bisschen, weil es so schlimm gewesen war.

Melanies Wunde blutete noch immer. Jetzt hatte Jan rote Flecken auf seinem Hemd. Er riss ein paar Blatt Toilettenpapier ab und versuchte, die Blutung damit zu stillen.

»Wir müssen hier raus«, sagte Jan knapp. Er drückte die Türklinke runter. »Wir sind eingeschlossen.«

Melanie nickte. »Das sind Kundentoiletten. Wer rein will, muss sich bei uns an der Kasse einen Schlüssel holen.«

Jan schob Melanie sanft zur Seite.

»Was hast du vor?«

»Ich trete die Tür ein.«

Melanie versuchte, Jan aufzuhalten. »Nicht! Bist du verrückt? Was, wenn er da draußen wartet? Er hat gesagt, wir sollen uns zehn Minuten ganz still verhalten.«

Jan tippte sich gegen die Stirn. »Erstens hat er mir das nicht gesagt, und zweitens glaube ich kaum, dass der vor der Tür steht, um zu gucken, ob wir uns daran halten. Der ist doch nicht bescheuert. Der sitzt längst in seinem Fluchtauto.«

Jan trat mit voller Wucht gegen die Tür. Aber sie sprang nicht auf. Dafür schmerzte jetzt sein rechter Fuß, als ob er sich den Knöchel gebrochen hätte. Oder wenigstens verstaucht.

Das Mistding war stabiler, als er gedacht hatte. Er stemmte sich gegen die Wand und drückte mit beiden Beinen gegen die Tür. Jan stöhnte. Der Schmerz jagte jetzt vom rechten Fuß die Wirbelsäule hoch bis in sein Gehirn. Es trieb ihm das Wasser in die Augen. Er fuhr Melanie an: »Warum hilfst du nicht mit?«

Da griff Melanie in ihren Kittel und zog einen Schlüssel mit dickem Anhänger heraus. »Versuch es mal damit. Das ist der Kundenschlüssel.«

+ + + kapitel 003 + + +

Kommissar Lohmann mochte den neuen Kollegen auf Anhieb, denn auch er war von seiner Freundin sitzen gelassen worden. Gleich am Kennenlernabend waren die beiden sich nach dem dritten Glas Kölsch einig geworden, dass Frauen ganz schrecklich gemeine Biester sein konnten. Hinterlistig, berechnend und verletzend.

Lohmann erzählte von seiner blonden Gabi und ihrem neuen Typen, Heiner. Lohmann war sich ganz sicher: Sie liebte Heiner gar nicht, sie hatte ihn nur genommen, weil er ein reicher Schönling war. Sonnenbankgebräunt, fitnessstudiotrainiert und Frauen gegenüber unterwürfig wie ein Schoßhündchen.

»Sie geht mit ihm in all unsere alten Stammlokale. Ich kann mich nicht mal mehr bei meinem Lieblings-Italiener blicken lassen. Die grinsen doch in der Küche über mich.«

Die Art, wie Carsten Gemüsemeier mit der rechten Hand wissend abgewunken hatte, ließ Lohmanns Herz weit für ihn aufgehen.

»Kenn ich«, sagte Carsten. »Kenn ich. Genau wie bei uns. Was meinst du, warum ich um die Versetzung von Bremen nach Köln gebeten habe?«

Lohmann hatte ihm die Hand gereicht und noch zwei Kölsch bestellt. Seitdem waren die beiden Freunde oder zumindest auf dem besten Weg, welche zu werden.

Carsten Gemüsemeier hatte einen sehr starken Bartwuchs. Er rasierte sich zweimal täglich. Morgens, direkt nach der Nassrasur, schimmerte die Gesichtshaut bläulich. Er hatte dichte, buschige Augenbrauen und einen festen Händedruck. Er wirkte sportlich, durchtrainiert, aber an der gelblichen Nikotinfärbung zwischen Zeige- und Mittelfinger konnte man unschwer ablesen, dass er Kettenraucher war. Und sein Golf war in einem noch schlechteren Zustand als der Wagen von Lohmann.

 

Für Annette Köster wurde das Leben nicht einfacher, als Garsten Gemüsemeier zum Team stieß. Zunächst mochte sie die Art nicht, wie er sie mit Blicken abtastete. Sie gefiel ihm anscheinend. Zumindest baggerte er sie sofort an – er fragte sie doch tatsächlich im Beisein von Lohmann, ob sie Lust hätte, mit ihm in die Sauna zu gehen. Er habe so viel Gutes über die Claudius-Thermen gehört, oder gäbe es in Köln noch bessere Orte zum Schwitzen?

Sie sah Lohmann grinsen und fühlte sich unwohl. »Ich gehe nicht in die Sauna«, log sie, um aus der unangenehmen Situation herauszukommen.

»Warum nicht?«, hatte Lohmann nachgehakt. »Haben Sie ein Problem damit, nackt herumzulaufen?«

Lohmann und Gemüsemeier zwinkerten sich zu.

Gemüsemeier setzte noch eins drauf. Geradezu großzügig und gönnerhaft gab er sein Urteil ab: »So, wie Sie aussehen, brauchen Sie sich doch wirklich nicht zu genieren.«

Noch am gleichen Tag hatte Annette Köster um Versetzung in eine andere Gruppe gebeten. Sie wollte Gemüsemeiers dämliche Bemerkungen keine Sekunde länger ertragen, und Lohmanns frauenfeindliche Blondinenwitze gingen ihr schon lange auf den Geist – auch wenn er sie immer mit dem Zusatz garnierte: »Warum guckst du denn so böse, Annette? Du bist doch nicht blond.«

Sie hatte Glück. Es gab ein Projekt zur Eindämmung der Jugendkriminalität. Dort nahmen die Kollegen sie mit offenen Armen auf.

Sie arbeitete also noch im gleichen Gebäude wie Lohmann und Gemüsemeier, aber in einem anderen Büro mit netteren Kollegen. Außerdem war sie dort nicht die einzige Frau im Team. Sie war es endgültig leid, hinter Lohmann herzuräumen und seine Launen zu ertragen.

 

Carsten Gemüsemeier erschien ziemlich abgehetzt im Büro. Als Entschuldigung für sein Zuspätkommen sagte er: »Die Anwältin meiner Ex macht mir die Hölle heiß. Mein Anwalt in Bremen war eine taube Nuss. Hoffentlich ist der hier besser! Es geht um meine Existenz!«

Lohmann verstand die Situation sofort und hatte Mitleid mit dem Kollegen. Irgendwie war er froh, Gabi nicht geheiratet zu haben. So konnte sie sich wenigstens nicht von ihm scheiden lassen. Mit den vielen schönen Urlauben, teuren Reisen und guten Restaurants hatte er sich schon ohne Ehe für sie restlos verschuldet.

»Das Weib saugt mich aus wie ein Vampir!«, zischte Carsten Gemüsemeier noch. Da klingelte Lohmanns Telefon.

Lohmann ging ran. Die Kollegen von der Schutzpolizei meldeten einen bewaffneten Überfall auf einen Supermarkt in Köln-Mülheim.

Lohmann stöhnte auf. »Auch das noch!« Er fand, seinen Aufgabenbereich könnten sich locker sechs bis sieben Kollegen teilen.

Freundschaftlich klopfte Carsten Gemüsemeier ihm zwischen die Schulterblätter. »Lass nur. Ich fahr hin.« Gemüsemeier deutete mit einer knappen Geste auf Lohmanns überladenen Schreibtisch.

Eigentlich sollten sie immer zu zweit losziehen, wie die Tatort-Kommissare, aber bei ihrer Arbeitsüberlastung war das praktisch unmöglich. Lohmann lächelte Gemüsemeier dankbar zu und widmete sich seinem Aktenberg. In zwei Stunden hatte er einen Termin vor Gericht. Als Kommissar musste er ständig bei Strafprozessen Aussagen machen. Die Anwälte der Angeklagten versuchten ihn mit schöner Regelmäßigkeit auseinanderzunehmen und ihm Verfahrensfehler oder Dienstvergehen nachzuweisen. Um ihre Klienten reinzuwaschen, bewarfen sie ihn mit Schmutz.

Lohmann begann diese Bande von Strafverteidigern immer mehr zu hassen. Sein Lieblingswitz war im Moment: »Was unterscheidet Prostituierte von Anwälten? Ganz einfach: Prostituierte machen für Geld nicht alles.« Er las sich die Protokolle von der Verhaftung noch einmal genau durch. Vor Gericht wollte er keinen unvorbereiteten Eindruck machen. Die Sache lag fast zwei Jahre zurück, und er musste sich gleich an jedes Detail ganz genau erinnern, als sei es gestern gewesen. Das kleine Einmaleins der Polizeiarbeit.

+ + + kapitel 004 + + +

Endlich traf der Notarzt bei der ohnmächtigen Kassiererin ein. Als Dr. Kiefer sie ansprach, öffnete sie die Augen. Kurz danach übergab sie sich.

Die zwei Schutzpolizisten ließen sich von Jan Silber und Melanie Maas eine Täterbeschreibung geben, nahmen sie aber nicht so recht ernst.

»Wieso sagen Sie, dass es ein Mann war, wenn Sie weder sein Gesicht noch seinen Körper unter dem Nonnenkostüm gesehen haben?«, fragte der jüngere Beamte mit dem Schnauzbart.

»Er roch wie ein Mann und er hat sich so benommen«, antwortete Melanie Maas.

Dann kam Carsten Gemüsemeier in den Supermarkt. Er stellte sich höflich vor und übernahm die Zeugenbefragung.

»Wie groß war der Täter?«, fragte Carsten Gemüsemeier.

»Ich kann schlecht schätzen«, sagte Melanie, »aber ungefähr so groß wie Sie.«

Jan widersprach: »Nein, er war größer!«

»Wie sah denn diese Donald-Duck-Maske aus?«

»Na ja, wie Donald Duck eben.«

Carsten Gemüsemeier schien die Antwort wenig Spaß zu machen. »Hey, kommt. Ihr seid doch clever. War das Ding so groß oder so? War es so eine billige Maske aus Plastik, wie es sie in jedem Kaufhaus gibt, oder so eine große, plüschige wie aus einem Disney-Themenpark?«

Gemüsemeier sprach eindringlich. Die jungen Leute sollten das hier auf keinen Fall für einen Witz halten.

»So ’n Mittelding«, sagte Melanie Maas zaghaft, während der Notarzt sich ihrer Platzwunde widmete.

Gemüsemeier verzog das Gesicht: »Mittelding? Halb Plastik, halb Stoff, oder was?«

Jan Silber wusste natürlich genau, was Melanie meinte. Er antwortete für sie. »Also, die Figuren aus den Themenparks sind viel größer. Aber so ein billiges Kaufhausding war es auch nicht. Die Maske wirkte irgendwie … edel. Dick. Die Stimme hörte sich dadurch an wie unter einer Decke. Die Maske war ungefähr so groß. Der ganze Kopf steckte drin. Sie war nicht mit einem Gummiband befestigt.«

»Ihr konntet also den Hinterkopf auch nicht sehen? Keine Haarfarbe – nichts?«

Beide nickten.

Carsten Gemüsemeier zeigte auf die zweite Kassiererin. »Und was ist mit ihr?«

»Sie war die ganze Zeit ohnmächtig und lag da hinter der Kasse«, sagte Jan.

Die Kassiererin nickte nicht mal mit dem Kopf. Sie hatte Angst, bei der kleinsten Bewegung könnte ihr wieder schlecht werden. Sie schlug als Zeichen der Zustimmung nur die Wimpern nieder.

Sie saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt neben dem Eingang zur Toilette. Die Beine hatte sie von sich gestreckt, als ob sie nicht zu ihr gehören würden. Sie wollte nicht auf einem Stuhl sitzen, weil sie Angst hatte herunterzufallen. Ihr Kreislauf spielte noch verrückt.

Dr. Kiefer suchte eine Vene in ihrer Armbeuge, um ihr einen Tropf anzulegen. Aber sobald die Spitze der Nadel in ihre Haut stach, schien die Ader auf wundersame Weise zu verschwinden. Es war nun schon der dritte Versuch und langsam wurde er selbst nervös.

»Wodurch hat Donald Duck denn geguckt?«

Jan und Melanie antworteten gleichzeitig.

»Durch die Augen«, sagte Melanie.

»Durch den Schnabel«, behauptete Jan.

Carsten Gemüsemeier schaute zunehmend gereizt drein.

Jan versuchte, es zu erklären. »Also, der Entenschnabel war so offen. Ich habe darin seine Augen gesehen.«

Gemüsemeier hielt sich die Hand zwanzig Zentimeter über den Kopf: »Dann kann er also zwischen eins siebzig und eins neunzig groß gewesen sein, je nachdem, wie hoch die Maske war.«

Melanie nickte zustimmend. Jan schüttelte den Kopf.

»Na, ihr seid klasse Zeugen. Gibt es überhaupt etwas, an das ihr euch genau erinnern könnt?«

Melanie und Jan sahen sich an. Der Ton des Kommissars gefiel Jan nicht.

»Wie viel Geld hat der Täter mitgenommen?«, fragte Carsten Gemüsemeier.

Melanie zuckte mit den Schultern. »Alles, was in der Kasse war, und dann hinten das Geld, das er aus dem Tresor geholt hat.« Sie zeigte auf Jan.

Irgendwie kam Jan sich plötzlich blöd vor, so beschuldigt. Es hatte mit dem Blick vom Kommissar zu tun.

Der glaubt uns kein Wort, dachte Jan.

Jetzt wollte der Kommissar auch noch, dass Jan alles aus seiner Sicht erzählte.

Jan musste plötzlich zur Toilette. Immer wenn er in Bedrängnis geriet, spielte seine Blase verrückt. Das war bei ihm schon so gewesen, als er noch ein kleiner Junge war. Es reichte schon, dass sein Vater ihn streng ansah, und er musste dringend aufs Klo. Sein Vater sagte dann: »Ach, hast du ein schlechtes Gewissen?«

Jan fand seinen Harndrang verräterisch, aber er konnte nichts dagegen tun. Irgendwie sah er in Gemüsemeier nicht nur einen Kommissar, sondern auch noch seinen Vater, und das machte Jan fertig.

»Ich muss mal.«

Carsten Gemüsemeier grinste. »Warst du nicht lange genug auf der Toilette eingeschlossen? Komm, erzähl, was los war. Ich möchte bald Feierabend machen.«

Jan bezweifelte, dass der Kommissar ihn daran hindern durfte, zur Toilette zu gehen. Aber er protestierte nicht. Er versuchte nun, alles schnell hinter sich zu bringen.

»Ich stand bei den Haargels. Da habe ich gesehen, wie diese Nonne ihr eine Pistole an den Kopf gedrückt hat.«

»Wie?«

Jan machte es vor.

»Und warum hast du nicht sofort die Polizei gerufen?«

»Wollte ich ja …« Jan kniff die Beine zusammen. Er hatte echt Angst, sich gleich in die Hose zu machen. »… aber mein Akku war leer.«

»Ach, sein Akku war leer«, spottete Carsten Gemüsemeier. Er tat so, als würde er das zu einer anderen Person sagen, die unsichtbar hier im Supermarkt neben ihnen stand und die, ebenso wie er selbst, Jan Silber kein Wort glaubte.

»Ja. So war es eben.«

»Und was hast du dann gemacht?«

»Ich habe eine Konservendose nach ihm geworfen.«

Carsten Gemüsemeier zog die Augenbrauen hoch. »Eine Konservendose hat unser junger Held geworfen – sieh an, sieh an.«