Die Muse von Florenz - Manuela Terzi - E-Book

Die Muse von Florenz E-Book

Manuela Terzi

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Beschreibung

Florenz, 1426. Die Notarstochter Juliana genießt ein privilegiertes Leben im väterlichen Palast, bis eine Begegnung mit einem außergewöhnlichen Künstler alles verändert. Sie verliebt sich in den Bildhauer Dario und kennt fortan nur noch ein Ziel: Sie will ihm und Baumeister Filippo Brunelleschi bei der Erfüllung ihres Traums helfen - dem Bau der großen Kuppel der Santa Maria del Fiore. Aus Liebe zu Dario bricht Juliana alle Konventionen. Doch die Florentiner Gesellschaft duldet keine Schwäche und auf Julianas Familie lastet ein dunkles Geheimnis …

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Manuela Terzi

Die Muse von Florenz

Historischer Roman

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Alle Rechte vorbehalten

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Francesco_di_Giorgio_Martini_(attributed)_-_Architectural_Veduta_-_Google_Art_Project.jpg

und Master1305 / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-6904-6

Widmung

Für meine Mutter

Du hast immer an mich geglaubt.

Grazie mille, mamma!

Zitat

»Selig sind,

die nicht sehen und

doch glauben!«

Johannes Kapitel 20, Vers 29

Kapitel 1

Es versprach, der heißeste Tag des Jahres zu werden. Das tat der Freude und Ausgelassenheit der Menschen auf der Piazza del Duomo keinen Abbruch, da war Juliana sich sicher. Zu Hunderten würden sich die Florentiner seit den frühen Morgenstunden auf dem riesigen Platz zwischen dem Dom und dem Battistero drängen, dessen glänzende Außenmauern seine Betrachter stets so herrlich blendeten.

Juliana sehnte sich danach, zu den unzähligen Menschen zu gehören, die dort der Hitze des Maitages trotzten. Längst wollte sie sich inmitten der neugierigen Scharen aufhalten, stattdessen saß sie angespannt auf dem Bett in ihrer Kammer. Bereit, dem erlösenden Aufruf ihres Vaters zu folgen. Seit Stunden wartete sie ungeduldig auf ihn, den notario Ferdinando Serrati, der ihr am Morgen versprochen hatte, sie zu begleiten. Nach vielen Wochen des Flehens hatte ihr Vater endlich eingelenkt.

Weit nach der Mittagszeit schallte seine erzürnte Stimme durch die Casa Serrati. Die ungewohnte Schärfe darin weckte Julianas Neugier. Es ging um die cupola. So viel hatte sie verstanden, obwohl mehrere Männer durcheinanderredeten.

Der überraschende Besuch mehrerer Ratsmitglieder, die sich im Audienzzimmer des Notars eingefunden hatten, versetzte das ganze Haus in Aufruhr. Ihr Vater saß gewiss in dem unbequemen Stuhl nahe der Tür. Seine Besucher standen seit ihrem Eintreffen an jener Stelle, die vom heißen Sonnenlicht erfasst wurde. Sicherlich stand ihnen der Schweiß auf der Stirn, während ihr Vater sich kühle Luft mit einem Fächer verschaffte. Die Hitze in dem Raum des sonst kühlen Hauses rechtfertigte ihr Vater damit, dass die kalte Luft den Verträgen in den Truhen schade. Sie liebte den Raum mit seiner reich verzierten Holzdecke, der sie demütig werden ließ. Im Kindesalter hatte sie sich immer in einer Ecke versteckt, von wo aus sie die Verhandlungen ihres Vaters beobachten konnte. Unbemerkt, denn der handbemalte Schrank, eine Hochzeitsgabe ihres nonno, voller privater Urkunden ihres Vaters, hatte ein kleines Mädchen bestens verborgen.

Sie lächelte. Heute gelänge es ihr nicht mehr, sich dort unbemerkt zu verstecken. Auch verstand sie, warum ihr Vater bei seinen Verhandlungspartnern gnadenlos war. Beim notario gingen viele Verträge und Vereinbarungen über den Tisch. Kostbare Gemälde, Bauwerke und Skulpturen, alles bedurfte eines Vertrags, auf dessen genaue Einhaltung ihr Vater achtete. Mancher Künstler vollendete ein Gemälde, ohne den vereinbarten Lohn zu erhalten. Andere vergaßen den Tag der Lieferung, weil sie sich von einer Frau ablenken ließen oder sie neue Ideen von der Arbeit abhielten.

Laute Stimmen drangen durch die geöffneten Fenster ins Innere ihrer Kammer. Die ungewöhnliche Hitze hielt außerhalb des Hauses niemanden davon ab, die Mittagspause abzuwarten. Immer mehr Menschen zogen unter den Fenstern der Casa Serrati in der Via Porta Rossa vorbei. Sie alle wollten das Wagnis sehen. Geheimnisvolles wähnte Juliana deshalb auf der Piazza del Duomo, in deren Mitte das prächtige Kirchenschiff der Santa Maria del Fiore stand. Der Bau der cupola war in aller Munde, in der Casa Serrati wurde er totgeschwiegen. Bis heute.

»Brunelleschi wird den Tag des Triumphes nicht erleben!«, donnerte Ferdinando in diesem Moment. Ihr Vater ahnte nicht, dass sie auf die offene Loggia oberhalb des Audienzsaales getreten war.

Wühlte nur der Zorn ihren Vater so auf oder drohte er dem capomaestro wahrhaftig? Dem Mann, der kaum Zeit zum Schlafen fand, weil er beinahe rund um die Uhr arbeitete, um diese Kuppel zu bauen.

»Mögt Ihr Eure Gulden für dieses törichte Bauwerk verschwenden«, setzte ihr Vater nach.

Giovanni Baldachi, sein alter Freund, widersprach ihm heftig. Sein dichter, ockerfarbener Bart wippte bei jedem Wort sicherlich mit, was Juliana in Kindertagen erheitert hatte. »Es wird nicht das Geld sein, worum du dich sorgst, Ferdinando. Mach deine Arbeit, bevor ich mir einen anderen notario suche.«

»Was hat er dir versprochen, der kleine Wicht? Einen Stein in der vermaledeiten cupola, der deinen Namen trägt, Giovanni?« Ferdinando machte eine eindringliche Pause, um sich der Aufmerksamkeit der Männer zu vergewissern.

Die Anwesenden murmelten zögerliche Worte des Widerspruchs. Niemand wagte, laut zu werden und sich den Unmut des einflussreichen notario zuzuziehen.

»Eines Tages werdet ihr euch an meine Worte erinnern, dann ist es zu spät. Unsere Stadt wird nicht mehr dieselbe sein. Krankheiten und Seuchen werden vor den Stadttoren nicht haltmachen, uns heimsuchen. Niemand, der klaren Verstandes ist, fordert Gottes Zorn heraus.«

»Serrati, bei allem Respekt. Brunelleschis Modell zeigt, dass es durchführbar ist! Der Bau ist beschlossene Sache. Ihr waltet federführend bei den Vertragsunterzeichnungen und versucht neuerdings, den capomaestro in Misskredit zu bringen?« Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Florenz schwieg Antonio, Vaters Assistent, nicht. War der junge Genuese etwa vor dem Zorn des notario gefeit? Seit dem Frühjahr lebte er in ihrem Haus, hatte bisher nie die Stimme gegen seinen capo erhoben, der ein guter Freund seines eigenen Vaters war. Im Gegenteil. Juliana ärgerte die Unterwürfigkeit, mit der ihm der junge Mann begegnete. Noch mehr verabscheute sie Antonios seltsames Gehabe, wenn er zu Tisch kam. Er tänzelte und strich ständig über sein glänzendes, glattes Haar. So spiegelglatt wie der Arno im Sommer. Was trieb ihn zu diesem Widerspruch?

Juliana neigte ihren Kopf über die Balustrade und hoffte, einen Blick auf die Streithähne zu erhaschen. Ihr Blick erreichte lediglich das staubige Pflaster der Via Porta Rossa.

»Was? Gott bloßzustellen? Wäre es denkbar, verehrter Antonio, dass Ihr selbst den Verstand verloren habt?«

Armer Antonio! Niemand widersetzte sich ungestraft ihrem Vater. Sie wusste oft nicht, worüber sie mit Antonio beim Abendmahl sprechen sollte. Deshalb vermied sie es, ihm fern des Essens zu begegnen. Stets verhielt er sich beschämt, wenn er ihretwegen seine Arbeit unterbrach und von ihrem Vater deshalb einen Tadel erhielt. War sie gar der Grund für seine Scheu? Juliana sah ihn vor sich, wie er sich verlegen dafür einsetzte, dass man Brunelleschis Arbeit wertschätzte.

»Brunelleschi …«

»Schweigt, Antonio, bevor ich vergesse, aus welchem Grund Ihr unter meinem Dach lebt!« Vaters Stimme hallte bis auf die Straße hinaus. Plötzlich sprach er bedrohlich verhalten, verharrte am Fenster, genau unterhalb der Stelle, an der sie stand. »Niemand spricht den Namen länger in meiner Gegenwart aus.«

Juliana erschrak, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

»Was suchst du hier? Die Zusammenkunft ist nicht für deine Ohren bestimmt, mein Kind.«

Hatte ihre Mutter schon lange dagestanden? Ungeduldig zog sie an Mutters Hand, bis die Sonne Dina Serratis helle Haut in glänzendes Licht tauchte.

»Hört selbst, Mutter! Vater droht dem capomaestro! Was hat er gegen ihn? Assunita sagt, in der Stadt redet man bereits über Vaters Jähzorn.« Juliana wagte nicht, ihre Mutter anzusehen, während sie sprach. Mit ihren achtzehn Jahren war sie weder Kind noch Frau, pflegte Dina zu sagen. An der Tür zu lauschen, stand einem Mädchen ihres Standes nicht zu, auch wenn sie die Unvernunft des freien Geistes quälte.

»Es war ein aufregender Morgen, Juliana. Ruh dich aus und sag deiner Freundin, sie soll dir nicht solchen Unfug erzählen«, schalt ihre Mutter sanft und nahm sie liebevoll in ihre Arme. »Zeig mir lieber deinen neuen Surcot, den Vater extra in Mailand für dich hat anfertigen lassen.«

Juliana folgte ihrer Mutter in ihre Kammer, während sie gedankenverloren eine ihrer widerspenstigen goldblonden Locken drehte. Der Stoff in der Farbe des Meeres, den sich Juliana über den Kopf streifte, betonte ihre blauen Augen. Stolz auf das prachtvolle Gewand wirbelte sie durch die Kammer, bis die Deckenmalerei zu einem bunten Einerlei verschwamm.

»Ein herrliches Material, das deine Vorzüge betont, Liebes.« Mutters Blick traf sie strafend, weil Juliana ausgelassen auf dem Bett landete. »Dein Vater ist uneinsichtig in so mancher Hinsicht, doch er liebt dich über alles.« Ein Schatten überzog das anmutige, schöne Gesicht Dina Serratis, die am offenen Fenster verharrte. Zierliche, hohe Wangenknochen und volle, weiche Lippen, die Vater so gern küsste. Mutters Bewegungen wirkten stets bedacht und sanft. In ihnen lag eine Stärke, die ihre stolze Herkunft verriet. In der Gegenwart ihrer Mutter fühlte Juliana sich oftmals unscheinbar, unsicher in allem, was sie tat und sagte.

Julianas Blick wanderte unschlüssig zu dem schicksalhaften Ort, der in den letzten Monaten ihrer aller Leben verändert hatte. Sie dachte an die Männer, die dort ihre Arbeit verrichteten, und fragte sich, ob sie von derselben Ungewissheit des nächsten Tages belastet waren wie sie. Natürlich, sie besaß alles, was ein junges Mädchen aus gutem Hause begehren konnte. Dennoch verspürte sie manchmal eine schmerzliche Leere, die zu füllen sie von Tag zu Tag stärker verlangte.

Vater betonte gern, dass seine einzige Tochter ihrer Mutter mit ihrer blassen Haut und dem wachen Blick ähnlich sei. Er schätzte sich glücklich, eine ansehnliche Tochter mit guter Erziehung zu haben. In den letzten Wochen hatte er es immer öfter erwähnt. Bei den sonntäglichen Spaziergängen zog Juliana bereits große Aufmerksamkeit auf sich. Anders als die Mädchen in ihren Kreisen, die beim Sticken und Singen von nichts anderem sprachen, verabscheute Juliana jeglichen Gedanken an ihre Zukunft, an Ehe. Die Blicke fremder Männer ängstigten sie. Erst neulich hatte sie bemerkt, dass sich ihr Körper veränderte. Die sanften Hügel ihrer mädchenhaften Brust wuchsen im Gegensatz zu ihrem Interesse, dem anderen Geschlecht zu gefallen. Darum war sie froh, wenn Vater die Arbeit öfter von gemeinsamen Ausgängen abhielt. Oder gab es einen anderen Grund, weshalb er sich kaum mit ihr auf der Straße zeigte? Schämte er sich ihrer, weil sie unverheiratet in der Casa Serrati weilte? Lieber hing sie romantischen Hirngespinsten nach, statt ihrer Mutter beim Sticken Gesellschaft zu leisten. Selbst Assunita, ihre treue Freundin und Verbündete im Herzen, war seit Kurzem einem befreundeten Bäckermeister in Fiesole versprochen. Aus heiterem Himmel. Bald würde die vertraute Freundin nicht mehr da sein. Das ruhige Mädchen mit einem Herz aus Gold würde am Ende des Herbstes in ein neues Leben ziehen, Ehefrau eines Mannes sein, der dann die Macht über ihr Schicksal in den Händen hielt. Juliana schauderte. Sie war nicht undankbar oder ungehorsam, doch predigte Vater nicht ständig, Florenz sei die Stadt der Freigeister? Warum wurden dann Assunita oder sie zu etwas gedrängt, das sie nicht wollten? Viel lieber wäre sie frei und ungezwungen wie die Künstler in der Dombauhütte hinter der Santa Maria del Fiore. Ja, sie neidete ihnen,dass sieihre gewagten Ideen ausleben konnten.

»Was hat Vater gegen den capomaestro? Je mehr Menschen in die Stadt kommen, desto mehr Arbeit fällt ihm zu.«

Ihre Mutter zog Juliana sanft zu sich. »Dein Vater hat genug zu tun, sei unbesorgt. Er meint nicht, was er sagt.«

Juliana blickte über die nahe gelegenen Dächer zur Kathedraleund lächelte ihre Mutter verschwörerisch an. »Darf ich heute endlich das Modell von der cupola sehen, von dem Antonio gesprochen hat? Vater hat es mir versprochen.«

Die Gemüter in Vaters Arbeitszimmer erhitzten sich offenbar in diesem Augenblick erneut. Die zorngefärbten Stimmen verunsicherten auch ihre Mutter, die auf die Tür zusteuerte. Ihre Augen verdunkelten sich. »Wir sprechen darüber, sobald sich dein Vater beruhigt hat«, sagte sie und verließ mit eiligen Schritten die Kammer.

Der besorgte Klang in der Stimme ihrer Mutter bereitete Juliana Sorgen. Nie hatte sie ihren Vater so wütend erlebt, dass er sogar seinen besten Freund des Hauses verwies, wie er es soeben tat.

Juliana verließ ihre Kammer im Piano nobile, ging in das darunterliegende Stockwerk, um besser sehen zu können, und blickte über die Balustrade der Galerie in den kühlen Innenhof, wo sie ihren Vater am Eingangsportal entdeckte. Die hastigen Schritte der Männer auf den Cotti, die den Boden des Innenhofes auskleideten, schallten. Schulter an Schulter gingen Vaters Freunde. Hatten sie Angst, der notario würde ihnen aus Zorn den rettenden Ausgang versperren? Ängstlich musterte Juliana die schweren Querbalken und vergitterten Fenster des Hofs.

»Sucht Euch einen anderen, der diesen Unfug beurkundet!« Der hagere Mann mit den wachsamen Augen ballte die Faust. »Einen, der für ein paar lumpige Gulden bereit ist, seinen Ruf zu verspielen. Wie dieser eingebildete capomaestro den seinen!«

»Deine Selbstherrlichkeit und deine Unvernunft bringen dich in den Bargello, werter Freund«, sagte Giovanni. »Die Schuldscheine versprechen ein einträgliches Geschäft, und dem Volk schenken sie die Möglichkeit, an diesem einzigartigen Bau teilzuhaben.«

Juliana schauderte. In den Bargello? In dieses trutzige, dunkle Gefängnis, aus dessen Toren die Männer nach Tagen und Wochen mit bleichen Gesichtern und unsicheren Schritten herauswankten?

Zornig sahen sich die beiden Männer an, bis Giovanni das Zeichen zum Aufbruch gab. Mit einer unheilvollen Geste verließ er das Haus. Sogar er, Vaters bester Freund, der so manche Nacht bei Wein und Geschäften in der Casa Serrati verbracht hatte, entzog Vater das Vertrauen. Die anderen Ratsmitglieder folgten ihm und zogen den verunsicherten Antonio mit sich. Später würde er wieder im Arbeitszimmer ihres Vaters stehen. Er konnte schließlich nicht anders, da er im Einvernehmen der Familienoberhäupter in die Casa Serrati geschickt worden war. Antonio war gezwungen, vor dem notario zu erscheinen, wann immer dieser danach verlangte, die anderen Männer zeigten sich erleichtert, das Treffen beendet zu wissen.

Ein Windstoß zog durch das Haus und schlug die Tür von Vaters Arbeitszimmer krachend gegen die Wand. Juliana fuhr herum. Eines der Talglichter auf dem Pult ihres Vaters flackerte auf. Ein Funke sprang auf das reich mit Intarsien verzierte Holz über, wo Vater vor dem überraschenden Besuch seine Arbeit unterbrochen hatte. Juliana eilte rasch näher. Große Bögen Papier lagen ausgebreitet auf dem rindenbraun gebeizten Tisch. An einer Seite fraß das junge Feuer bereits gierig eine Spur. Beherzt schlug sie mit einem schmalen Buch die Flammen aus. Dunkle Ringe blieben von dem kleinen Brand. Beim Zusammenschieben der Papiere hielt sie überrascht inne. Vor ihr lagen Pläne, übersät mit Zahlen und Berechnungen, die sie verwirrten. Und erstaunten.

Auf der Treppe tobte ihr Vater. »Soll Antonio fortbleiben, wenn es ihm beliebt. Undankbar wie sein Vater. Warum habe ich mich auf den unsinnigen Vorschlag eingelassen, den vorlauten Bengel unter meine Fittiche zu nehmen?«

Dina versuchte, ihren Mann zu beruhigen. »Antonio lebt nur aus einem Grund hier, das weißt du genau, mein Lieber. Julianas wegen. Hast du gemeint, du könntest mich täuschen? Er tut den ganzen Tag so, als verstünde er nicht, was du ihm erklärst, und verstummt, sobald er unsere schöne Tochter sieht. Glaubst du wahrhaftig, ich wüsste nicht, weshalb du Antonio nach Florenz geholt hast? Es war nicht wegen der vielen Verträge für die Künstler, deren Werdegang du mit genügend Gulden aus deinem eigenen Tresor so liebend gern unterstützt.«

»Du redest wirr«, sagte Ferdinando aufbrausend. »Ich gebe mein Kind doch nicht diesem einfältigen Jungen! Morgen soll er gehen.«

Julianas Lächeln erstarb. Warum war sie so blind gewesen, Vaters Absichten nicht zu durchschauen? Antonio als ihr Ehemann? Niemals! Sie wollte sich nichts und niemandem unterwerfen. Besonders nicht einem Genuesen, der nichts von ihr wusste, außer dass sie einen vermögenden Vater hatte. Sicherlich war Antonio mehr an Vaters florierenden Geschäften interessiert als an ihr.

»Ferdinando, nimm Vernunft an. Was willst du seinem Vater denn sagen, wenn du Antonio plötzlich heimschickst? Dass er dir nicht nach dem Mund reden wollte?«

Meist gelang es Mutter, ihren aufbrausenden Mann zu umgarnen, doch nicht heute. Allen guten Worten abgeneigt, polterte ihr Vater die Treppe hinauf.

Betroffen von dem, was sie gehört hatte, wich Juliana von der Tür zurück. Vaters grimmiges Gesicht warnte sie deutlich, nicht hier, an diesem verbotenen Ort, von ihm entdeckt zu werden. Hastig suchte sie nach einem Fluchtweg und schlüpfte in letzter Sekunde in den Schrank. Unbequem und stickig war ihre Zuflucht. Etwas Hartes drückte gegen ihren Rücken, mit Vaters Zorn verglichen schien es jedoch das kleinere Übel. Kaum hatte sie die Schranktür zugezogen, fiel die Tür hinter dem Paar ins Schloss. Juliana blinzelte atemlos durch einen kleinen Spalt.

Dina verharrte mit Tränen in den Augen vor ihrem Mann.

»Was ist mit dir, Liebster?«

Vaters Blick ging ins Leere. »Hast du nicht gehört, wie sie mich verspotten?«

»Niemand tut das, Ferdinando. Vielleicht solltest du ein wenig ausruhen und …«

Mit einer unwirschen Handbewegung unterbrach er sie. »Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, Florenz zu verlassen.«

*

Der Tag, auf den Juliana sehnsüchtig gewartet hatte, war endlich da. Wie lang war ihr diese Woche erschienen, in der sie auf Vaters Einlösung des Versprechens gewartet hatte. Es war alles anders gekommen. Seit Vaters Disput mit Baldachi und seinen Freunden verlangten immer mehr Ratsmitglieder und Patrizier Einlass zum notario Serrati. Seit Tagen wurden die Forderungen lauter. Fürchteten die Männer um den Fortbestand ihrer Verträge, weil sie entgegen Vaters Überzeugung an Brunelleschi glaubten? Die Rufe jener, die Vaters Äußerungen missbilligten, waren in den letzten Stunden durch das geschlossene Tor und an Julianas Ohr gedrungen. Doch ihr stand nach erfreulicheren Dingen der Sinn. Am späten Nachmittag brach sie mit ihrem Vater zur Piazza del Duomo auf. Das Kirchenschiff spendete nur kurz erholsamen Schatten, denn sie mussten sich weit hinten ans Ende der langen Schlange reihen, die sich bereits vor der Basilika gebildet hatte. Vermutlich war das der einzige Ort, an dem niemand den notario vermutete. Juliana war verwirrt und enttäuscht. Verdankte sie die Erfüllung seines Versprechens der Beharrlichkeit ihrer Mutter oder dem Umstand, dass ihr Vater dem unerwünschten Besucherstrom in der Casa Serrati entfliehen wollte? Lange hielt ihre Unsicherheit jedoch nicht an. Schließlich stand sie auf der Piazza del Duomo und beobachtete überglücklich die vielen Menschen, wie sie es sich seit Tagen wünschte.

Überwältigt blickte sie zu der mächtigen Kathedrale Santa Maria del Fiore im Herzen der Stadt und hörte kaum das Lachen und Jubeln der Menschen um sie herum. Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete sie den mannesbreiten Tambour, einen Ring aus Stein, die Basis für das Unvorstellbare, das Unglaubliche. Er allein sollte den Cupolone tragen, die große Kuppel, ohne ein schützendes Gerüst darunter. Die Gewissheit, in wenigen Momenten einen Blick auf das Modell aus Holz und Stein von capomaestro Filippo Brunelleschi zu erhaschen, den Vater einen Träumer schimpfte, ließ Julianas Knie zittern.

Die engen Gassen spuckten unaufhörlich Schaulustige auf die überfüllte Piazza. Würde sie heute nur verschwitzte Häupter sehen? Längst glich die Piazza einer riesigen Baustelle, nicht dem Vorplatz eines heiligen Ortes. Um mehr Platz zu schaffen, waren sogar Bäume umgesägt worden. Den Arbeitern blieben nur wenige Orte, an denen sie ihre spärlichen Arbeitspausen im wohltuenden Schatten verbringen konnten. An besonders heißen Tagen glühte der Boden unter ihren Füßen. Sie hasteten so schnell sie konnten barfuß darüber. An den Längsseiten der Häuser, die die Piazza säumten, reihten sich Stapel langer Holzbretter und roter Backsteinziegel, so weit das Auge reichte. Abenteuerlich anmutende hölzerne Konstruktionen entstanden nach Brunelleschis Bauplänen. Damit würde die schwere Last in die Höhe gehievt, ohne dass die Arbeiter unter der Bürde zusammenbrachen, erklärte ihr Vater mit einem Kopfschütteln. Juliana lauschte verblüfft dem Knirschen der Zahnräder und Seile, die große Steinblöcke und Körbe mit Ziegeln in die Lüfte hoben. Bisher hätten die Männer schwer beladen schmale, gewundene Stufen bezwingen müssen, die hinauf zum Tambour führten, erklärte ihr Vater weiter.

»Hätte ich dich bloß nicht mitgenommen«, murmelte Ferdinando Serrati. Ungeduldig drängte er sie weiterzugehen, doch Juliana blieb versteinert stehen.

Irgendwo fiel der Name des Baumeisters. Filippo Brunelleschi. Ein Arbeiter hatte nach dem capomaestro gerufen. Allein die Erwähnung seines Namens ließ die umstehenden Menschen verstummen. Über die Mauern der Stadt hinaus kannte man den eigenbrötlerischen capomaestro und lobte seine Bauwerke. Nur in Florenz, wo er Tag für Tag eine Armee von Arbeitern befehligte, wusste man auch weniger Gutes über ihn zu berichten. Von übermäßigem Ehrgeiz war die Rede, dabei fand Filippo zahlreiche Befürworter. Besonders laut waren deren Stimmen geworden, nachdem er den Wettbewerb der Dombauhütte für sich entschieden hatte, die für den Bau der gigantischen Kuppel verantwortlich zeichnete. Juliana wusste nicht viel darüber, doch die Aufregung, die seit Anbeginn der Arbeiten auf der Piazza herrschte, war ihr nicht verborgen geblieben. Viele Steinmetze, Maurer und Hilfskräfte hatten sich in die Arbeitsregister eingetragen und wurden aus den unzähligen Bewerbern ausgewählt. Ihrem Vater oblag es, die Verträge mit den Dutzenden Handwerkern abzuschließen und dafür zu sorgen, dass alle Vereinbarungen mit der Dombauhütte, der Opera del Duomo, eingehalten wurden.

»Es ist unglaublich. Sie lassen den aufgeblasenen Träumer hochleben.« Ihr Vater beschirmte seine Augen mit einer Hand und wies gen Norden. Hinter den mächtigen Stadtmauern warteten Schlangen von Menschen bis über die Hügel nach Prato oder Fiesole. Alle wollten einen Blick auf die Bauarbeiten werfen, von denen man sich überall erzählte. Ein Bauwerk, das alles übertreffen und Florenz zur Königin der Künste machen sollte. »Das nennen sie arbeiten? Faules Pack, das sich dieser Verrückte angelobt hat.«

Juliana folgte dem Blick ihres Vaters und lächelte milde. Es war unerträglich heiß. Sie sehnte sich danach, ihr Tuch abzunehmen und die sanfte Brise auf ihrem Kopf, auf ihrem Gesicht zu spüren, doch das schickte sich nicht. Viele der Arbeiter waren erschöpft in den spärlichen Schatten geflüchtet. Hastig tranken sie kühles Wasser, um sich die Hitze erträglicher zu machen. Sie bissen in frisches Brot und aßen köstlich duftenden Schinken. »Nicht jeder kann sich in die Kühle seines Palazzo zurückziehen und ein Loblied auf den Tag singen«, antwortete Juliana und beobachtete die erschöpften Männer. Unmittelbar neben ihr trat ein breitschultriger Mann aus einem Bretterverschlag hervor. Sein schmutziges Hemd triefte vor Schweiß und roch übel. Verunsichert trat sie einige Schritte zurück.

»Nicht jeder ist so mutig, dem notario zu widersprechen«, flüsterte der Arbeiter mit einem spöttischen Lächeln und deutete eine Verbeugung an. »Schade, dass nicht Ihr an seiner Stelle seid und der Signoria die Augen öffnet, bevor der notario alle ins Verderben stürzt.«

Bevor Juliana etwas sagen konnte, empfahl sich der Mann und sah ihren Vater verärgert an. Obwohl das Verhalten des Fremden unentschuldbar war, konnte sie nicht umhin, über seine Worte nachzudenken. Nicht jeder konnte Vaters Freund oder Fürsprecher sein. Ferdinando Serrati suchte keine Freunde, sondern Bewunderer, die ihm Beifall klatschten und sein Urteil niemals infrage zu stellen wagten. Sie wusste, ihr Vater war in seinen Entscheidungen hart, beinahe grausam. Schließlich vertrat er die Rechte jener, die ihn berufen hatten und darauf beharrten, dass sich der notario nicht vom Glanz Hunderter Gulden blenden ließ. Immerhin verhalf er auch dem einfachen Künstler zu seinem gerechten Lohn, falls ihm dieser von einem launischen Patrizier vorenthalten wurde. Manchmal wurde die Wache gerufen, um ihren Vater zu beschützen. Dennoch schaffte der notario vieles zum Wohle der Stadt, auch wenn das mancher Florentiner anders empfand.

Juliana liefen Tränen über die Wangen. Umringt von Dutzenden Menschen fühlte sie sich allein. Verstohlen wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht und straffte den Rücken. Was immer geschah, sie würde heute das Modell sehen! Assunita würde gewiss vor Neid platzen, wenn Juliana ihr später jedes Detail genau schildern konnte. Meistens erzählte die Freundin, was sie brühwarm in der Bäckerei ihrer Eltern von Gerüchten und Ereignissen in der Stadt erfuhr. Heute war es Juliana, die etwas zu berichten hatte. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln wandte sie sich ihrem Vater zu, dessen Aufmerksamkeit sich auf ein neues Ärgernis richtete.

»Gott steh uns bei!«

Hatte nicht ihr Vater, der notario, den Kuppelbau zu beaufsichtigen und hatte er nicht in den Sitzungen des Rats immer wieder das Wort für den capomaestro ergriffen und ihn verteidigt? Woher kam Vaters plötzliche Sorge um das Scheitern des Baumeisters?

»Brunelleschi suhlt sich in Gottes Gnade und wird einem Engel gleich triumphieren«, wiederholte sie jene Worte, die er ihr bis vor Kurzem Abend für Abend gepredigt hatte. Was immer ihren Vater zweifeln ließ, es war zu spät. Die Fortschritte an der cupola ließen sich nicht leugnen, glaubte man den Aussagen von Brunelleschis treuen Gefolgsleuten. Vaters seltsames Verhalten lastete Juliana der schwülen Hitze an. Er verhielt sich jedoch seit Wochen sonderbar, lange bevor es so heiß geworden war, überlegte sie.

»Du hast recht, Liebes. Heute ist nicht der Tag für die Hirngespinste eines alten Mannes. Lass uns endlich sehen, was dir den Schlaf raubt, meine schöne Tochter.« Die dicken Sorgenfalten schienen verschwunden. Er beugte sich über sie und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Es wird nicht lange dauern, bis alles einstürzt und du begreifst, dass du närrisch und blind warst«, fügte er hinzu.

Juliana seufzte, endlich stand die lang ersehnte Betrachtung des Modells unmittelbar bevor. Aufgeregt wandte sie sich dem Treiben rund um die Basilika zu. Vergessen war die Beklommenheit, die Vaters Worte in ihr ausgelöst hatten. Sie folgte ihm und zwang sich, kleinere Schritte zu gehen. Ihre Ungeduld kannte keine Grenzen mehr. Die unbändige Freude der Menschen, der Stolz, mit dem sie sich brüsteten, ein solches Bauwerk in ihrer Stadt zu haben, erfasste sie ebenso. Oft hatte sie versucht, sich die vollendete Kuppel vorzustellen, und war am bloßen Gedanken daran gescheitert.

Sie glaubte, dass nur ein Mann ein genaues Bild der cupola im Kopf hatte: Filippo Brunelleschi. Der energische Bauherr war voller Ideen, wenn auch mit einem gewissen Maß an Eigensinn, und er schien allen Widrigkeiten zu trotzen. Er plane die Wölbung aus Mauerwerk und Holz, hatte Juliana von Bernardo erfahren, einem Diener in der Casa Serrati. Der junge Mann mit dem bleichen Gesicht ließ sich von ihrem Lächeln stets zu leicht betören und hatte keine Widerrede gewagt, wenn sie ihn weiter ausgefragt hatte. Zudem hatte sie ihn einmal dabei ertappt, wie er sich in der Küche an den Knöpfen einer Magd zu schaffen gemacht hatte. Bernardos Angst, in Ungnade zu fallen und seine Arbeit zu verlieren, überstieg seine Sorge, ihr Vater könnte von ihren zweifelhaften Tauschgeschäften erfahren. Bernardo war mit einigen der Handwerker befreundet und hörte so manches, was er Juliana über ihre Kinderfrau Maria ausrichten ließ.

Brunelleschis Entwurf, nicht frei von Zweifel und Gefahr, hatte sich in der letzten Zusammenkunft der Signoria, dem Rat der Obersten der Stadt, durchgesetzt. Gegen Vaters Willen, der in dem Gremium als notario für Recht und Ordnung zu sorgen hatte, was beschwerlich und manchmal schwierig war. Der capomaestro verstand jegliche Widerworte gegen sein Meisterstück als Kritik an seiner Person. Das führte zu kleineren oder größeren Auseinandersetzungen zwischen den Anwesenden. Manchmal verlor Brunelleschi derart die Beherrschung, dass man ihn aus Sitzungen im Palazzo della Signoria tragen musste, weil er sich weigerte, den Saal zu verlassen. Ein prachtvoller Saal mit riesigen Gemälden in goldenen Rahmen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Sie seufzte leise. Am Kuppelbau spalteten sich wahrhaftig die Gemüter der Florentiner.

Je näher Juliana und ihr Vater der Basilika kamen, desto schlimmer wurde das unsanfte Gedränge. Dicht an dicht standen die Menschen inzwischen vor dem Eingang. Sie reckten ihre Hälse und sahen jenen nach, die mit verklärtem Blick aus dem Portal traten. Das Modell in der Kühle des Domes diente nicht nur dazu, die Neugier vieler zu stillen. Es sollte selbst den ungläubigsten Zweiflern zeigen, warum Brunelleschi den ausgeschriebenen Wettbewerb zu Recht für sich entschieden hatte. Zu hartnäckig waren seine Bemühungen, zu ausgeklügelt seine Pläne, zu stark seine Überzeugung gewesen, den richtigen Weg gefunden zu haben, als dass er hätte abgewiesen werden können.

»Sei nicht enttäuscht, wenn du das Modell heute nicht siehst«, murmelte ihr Vater beschwichtigend. Er fasste sie bei den Schultern und schob sie als schützendes Schild vor sich her durch die Menschenmassen. »Es wäre besser gewesen, dich in der Obhut deiner Kinderfrau zu belassen. Warum nur habe ich zugestimmt?«

Viele hatten den einflussreichen notario inzwischen erkannt. Sie wichen zurück, sodass eine schmale Gasse entstand, die vor dem Seitenportal der Basilika endete. So erreichten sie den Eingang unverhofft rasch. Juliana missfiel die ungewollte Aufmerksamkeit, doch so kurz vor dem Ziel umkehren zu müssen, wäre schrecklicher, als die seltsamen Blicke der Menschen zu ertragen. An der Seite ihres Vaters stehend, focht sie innerlich einen Kampf mit sich aus. Lieber wollte sie der Menge entfliehen und unbeobachtet von Vaters Argusaugen das Modell betrachten. Nicht jeder schien ihnen freundlich gesinnt, doch es gab kein Zurück mehr. Allein, um dieser schweren Arbeit Anerkennung und dem capomaestro den verdienten Respekt zu zollen, konnte sie nicht anders. Sie musste heute in das Innere der Basilika. Der Tag, an dem sie das unbeobachtet würde tun können, lag in weiter Ferne, falls er überhaupt jemals kommen sollte.

Unter lautem Jubel wurden Weinbeutel herumgereicht. Vom einfachen Handwerker bis zum Patrizier wanderten sie, bis die Beutel ihren Vater erreichten, just bevor sie die Basilika betreten wollten.

»Trinkt, Serrati! Es ist auch Euer Verdienst, dass wir heute hier stehen und feiern!«, rief einer der Handwerker, von oben bis unten mit Schmutz und Mörtel überzogen. Die anderen Männer verloren ihre Scheu. Sie scharten sich sofort um Juliana und ihren Vater und johlten begeistert. Für einen Tag vergaßen sie, dass dieser Mann nicht ihresgleichen war, sondern aus der Zunft der Arte dei Guidici e Notari stammte. Ungeduldig warteten sie, dass er einen Schluck nahm und ihnen Lob aussprach. Einen kräftigen Zuspruch an die vielen geschundenen Hände ausrief, die unermüdlich Steine schleppten und sie kunstvoll auf dem Tambour versetzten, der bald die höchsten Geschlechtertürme der Stadt überragen würde.

»Trinkt lieber mit ihnen, Vater«, flüsterte Juliana lächelnd. Dass es diesem beredten und wortgewandten Mann die Sprache verschlug, musste sie beim Abendbrot unbedingt ihrer Mutter erzählen. Ihr Vater nickte zustimmend und führte den Weinbeutel unter dem Jubel der Arbeiter an seinen Mund. Juliana nutzte die Gelegenheit und floh durch die Porta della Mandorla ins kühle Innere der Basilika, getrieben von Ungeduld und Neugier.

Kapitel 2

Dunkelheit empfing Juliana im Inneren der prachtvollen Basilika, in deren Bauch sie sich unendlich klein fühlte. Hinter ihr drängten die Menschen ungestüm nach, so schritt sie blindlings weiter. Es dauerte einige Zeit, bis sich ihre Augen an die Düsternis im Gotteshaus gewöhnt hatten und sie das Modell im sanften Lichtschein erkannte, der durch die große Öffnung in der Decke fiel. »Der Cupolone!« Sie bekreuzigte sich ehrfürchtig und starrte durch das klaffende Loch über ihr, das in ferner Zukunft die vollendete cupola verschließen sollte. Der glänzende Marmorboden klebte vor Schmutz und Staub, doch das hielt Juliana nicht davon ab, weiter auf das Modell zuzugehen und überwältigt auf die Knie zu sinken.

Ein paar Männer abseits der staunenden Menschen stritten heftig miteinander und beachteten den Entwurf des gewaltigen Bauwerks und die Besuchermenge kaum. Ihre Stimmen überschlugen sich vor Zorn in dem Gewölbe, bis die Besucher ihre Köpfe zu ihnen drehten. Juliana war es egal. Einzig und allein dem Modell galt ihre ganze Aufmerksamkeit. Ihre Finger zitterten. Sie widerstand nicht länger der Versuchung und streckte die Hand aus, bis sie die dünnen Streben berührte. Die Augen auf das Modell gerichtet, beugte sie sich tiefer, bis sie von unten durchblickte. Wer konnte ein solches Wagnis eingehen, ohne Angst vor dem eigenen Versagen? Der immer heftiger werdende Disput störte ihre Beobachtung. Sie zischte verärgert, aber die Männer verstummten nur für einige Atemzüge. Während sie sich weiter mit Flüchen belegten, wähnte sich Juliana am höchsten Punkt der vollendeten Kuppel, meinte, den Wind in ihrem Haar zu spüren. Ihr Blick glitt über das breite Flussbett des Arno, das tosende Wasser und die sandbraunen Ufer. Die Farbe des Flusses wandelte sich in funkelnde dunkle Augen. Jemand packte sie an der Hand und riss sie hoch.

»Seid Ihr närrisch? Wollt Ihr das Modell zerstören? Das bringt Unglück!« Ein Handwerker, der offenbar das Modell bewachte, umklammerte ihre Hand. Wutschnaubend stand er vor ihr, entschlossen, sie zu bestrafen.

Entrüstet riss sie sich los und stieß dabei mit ihrer Hand gegen das Tischlein, auf dem das Modell stand. Durch den Stoß brach die Miniatur auseinander. Der größere Teil mit der gewölbten Kuppel neigte sich bedrohlich zur Seite und entblößte das Innenleben des Bauwerks. Jeden steinernen Bogen, jede hölzerne Rippe konnte sie trotz des schummrigen Lichts genau erkennen. Sie begriff, wie wagemutig das Unternehmen tatsächlich war. Dem Grätengeflecht eines Fischs gleich sollten rote Backsteine ineinander versetzt verlaufen. So wurde ein beinahe unzerstörbares Mauerwerk gebildet, das sich in der Mitte zunehmend wölbte. Und darunter? Ungläubig trat sie näher, sank wieder auf die Knie, suchte nach einem stützenden Fundament, Balken, doch da war nichts. Nichts? Vertraute Brunelleschi tatsächlich darauf, dass Gott ihm treu ergeben war? Dann verschlug es ihr den Atem. Die cupola! Schwebend. Anmutig in kühn angesetzten Bögen aus Holz und Stein geformt, von der wagemutigen Hand des capomaestro. Die Streben und Querbalken verschwammen vor ihren Augen, wurden ergänzt durch Berechnungen und unverständliche Formeln. Sie hatte diese Pläne in den Händen gehalten! Fassungslos starrte sie auf ihre Handflächen und dann auf das Modell. Warum verwahrte ihr Vater die Pläne der cupola auf seinem Pult?

Die laute Entrüstung und das Staunen der Besucher unterbrachen den Streit der Männer. Neugierig traten sie näher und klatschten Beifall, sobald sie erkannten, was geschehen war. Jäh schreckte Juliana aus ihren Gedanken hoch und blickte in die Augen des Handwerkers vor ihr. Jemand hatte ein Talglicht entzündet, um den Schaden an dem Modell näher zu betrachten. Nun erkannte sie den Handwerker. Es war jener Mann, der sie an der Baustelle für ihren Mut gelobt hatte, dem notario zu widersprechen. Erinnerte er sich an sie, an ihren einflussreichen Begleiter? Sie holte tief Luft und sah sich um. Wäre es nicht besser zu gehen, statt Gefahr zu laufen, sich mehr seines Zornes aufzuladen?

»Ist dir das Beispiel genug, Dario, dafür, dass sich dein capomaestro maßlos überschätzt?«, fragte ein Mann den Handwerker spöttisch. Juliana fiel seine außergewöhnlich tiefe Stimme auf. »Bereits die ungeschickte Hand eines Mädchens bringt die Kuppel zum Einsturz!«

Dario presste die Lippen zusammen und schwieg, während seine Gesichtsmuskeln mahlten. »Ihr werdet mit eigenen Augen sehen, was Euer Verstand nicht zu begreifen vermag. Ihr seid geblendet von Eurem Hochmut, Roberto Mazaretto.«

Juliana betrachtete die entblößten, ineinander versetzten Querstreben und Pfeiler, die sanft geschwungenen Bögen und Rippen, die über dem Tambour des Modells angebracht waren. Den Handwerker neben sich hatte sie beinahe vergessen, wenngleich sie den Schweiß schwerer Arbeit roch. Roberto Mazaretto setzte zu einer Erwiderung an, doch Juliana kam ihm zuvor. »Es bedarf einer Muse, um dieses Werk zu vollenden«, flüsterte sie und wagte nicht, sich zu bewegen. Darios Gesicht dicht an ihrem spürend, streifte sein heißer Atem ihre Wangen.

»Eine Muse, meint Ihr?« Erstaunt sah er sie an. Mit dem Abstand weniger Zoll zwischen sich und dem aufbrausenden Mann erkannte sie die Bartstoppeln in seinem schmalen Gesicht. Seine braunen Augen glühten vor Ärger. Eine Braue zog sich leicht nach oben. »Ich werde es ihm ausrichten, doch, bei Gott, ein Weib ist das Letzte, was Pippo braucht!« Er zischte verächtlich. »Raus mit euch! Alle! Geht! Kommt morgen wieder!«

Der Mann, der Dario ausgelacht hatte, nickte mit dem Kopf zum Portal, worauf seine Begleiter die Basilika verließen. Er selbst verharrte. Sein Blick glitt über Julianas Gestalt. »Von Darios Liebchen lasse ich mir nicht ins Wort fallen! Geh mir aus dem Weg, Mädchen, bevor mir eine gerechte Strafe für dich einfällt«, blaffte er.

»Darios …« Juliana verstummte. Er hielt sie wohl für eine von den Frauen, die sich für Geld auszogen. Bevor sie sich verteidigen konnte, stellte sich Dario schützend vor sie.

»Fürchtet Ihr ein unschuldiges Mädchen so, dass Ihr ihm den Mund verbieten wollt?«

Juliana holte entsetzt Luft. Was um Himmels willen veranlasste die beiden Männer, über ihren Kopf hinweg zu sprechen, ohne ihr ein Wort zuzubilligen? Warum klärte Dario den Irrtum nicht auf? Wer war dieser eingebildete Mann, der glaubte, ihr Befehle erteilen zu dürfen? Und Dario – nur allzu deutlich zeigte sich, dass er den Patrizier von schmächtigem Wuchs und dieser abscheulich tiefen Stimme hasste. Doch er ließ ihn im Glauben, sie sei eine Dirne. Im Halbdunkel erkannte sie deutlich Darios Missbilligung. Er blieb unbeirrt an ihrer Seite und wartete darauf, dass dieser ungehobelte Kerl verschwand.

»Wie man hört, habt Ihr einen neuen Förderer gewonnen. Schade, dass Ihr sein Geld ausgegeben habt …« Er nickte mit einem hämischen Lächeln in Julianas Richtung. »Und solchen leichtfertigen Männern vertraut die Opera dieses Bauwerk an.«

»Hochmut kommt vor dem Fall, Mazaretto, merkt Euch das. Solange Filippo nichts anderes sagt, habt Ihr hier nichts zu befehlen«, murmelte Dario. »Wenn Ihr jetzt die Basilika verlassen wollt.« Er deutete eine Verbeugung an und wies Roberto spöttisch den Weg. Doch Juliana entging nicht Darios verletzter Gesichtsausdruck. Dennoch verwunderte sie die Verbitterung in seiner Stimme, mit der er dem Patrizier widersprach.

Roberto verabschiedete sich mit einem Lächeln, als wäre nichts geschehen.

»Wer war der Mann?«

Dario hörte sie nicht. Er starrte geistesabwesend auf das Modell. »Sie glauben, ein paar Beutel mit Münzen schmälern ihr Unrecht, doch sie täuschen sich. Wir brauchen ihr schmutziges Geld nicht.« Mit wenigen Handgriffen setzte er die scheinbar zerbrochene Kuppel wieder zusammen.

Wie sanft der muskulöse Mann die Teile behandelte. Beinahe zärtlich und mit einer Anmut, die sie diesem grobschlächtigen Handwerker nicht zugetraut hätte. Dennoch!

»Ihr habt die Leute im Glauben gelassen, ich hätte das Modell zerstört, und schlimmer noch, dieser Mann denkt, ich wäre …!« Julianas Stimme brach.

»Mazaretto? Ein sonderbarer Mann. Niemand weiß, woher seine Familie stammt. Plötzlich war er da und drängte sich überall auf. Ihn musst du nicht fürchten, Kindchen.«

Kindchen? Aufgewühlt kehrte sie Dario den Rücken. Der über den marmornen Boden gleitende Surcot verschluckte Julianas hastige Schritte zum rettenden Ausgang. Sie bahnte sich einen Weg durch die enttäuschte Menge, die ihretwegen auf den nächsten Tag vertröstet worden war. Sie spürte Darios Blick und zwang sich, sich nicht umzudrehen. Niemals wollte sie diesem Mann die Genugtuung geben, gesiegt zu haben. Noch trennte sie ein Dutzend anderer Köpfe von der Begegnung mit ihrem Vater, der sicher wachsam ihre Schritte verfolgte. Neugierig würde er sie fragen, ob es ihr gefallen hatte. Zögernd blieb sie unmittelbar vor dem Ausgang stehen. So konnte sie ihrem Vater nicht gegenübertreten. Ihre Wangen brannten. Ob vor Scham oder Zorn, vermochte sie nicht zu sagen, so durcheinander war sie wegen dieses, dieses Arbeiters, der weiß Gott einen Eimer Wasser brauchte! Maria, ihre tatkräftige Kinderfrau, hätte ihn gepackt und in den Arno gezerrt, wäre sie dabei gewesen.

»Wartet.«

Sie spürte etwas in ihren Händen, doch das durch die offene Tür einfallende Sonnenlicht blendete sie. So konnte sie nicht ausmachen, was es war. Das Ding war schwer und hatte eine raue Oberfläche.

»Schließt Pippo in Eure Gebete ein. Vielleicht braucht er tatsächlich eine Muse, um seine Zweifler zu überzeugen«, murmelte Dario, dann verschwand er in der Menge.

Juliana trat ins Freie. Zu spät bemerkte sie den Patrizier, der im Schatten des Seitenportals stand und sie beobachtete. Robertos hasserfüllter Blick fiel auf den Stein, den sie unbeholfen und verwirrt umklammerte.

»Was für eine Verschwendung«, sagte er, dann wanderte sein Blick weiter zur unvollendeten Kuppel. »Jeder Gulden, der in diesen Bau wandert, ist mit Blut befleckt. Ihr macht Euch mitschuldig, wenn Ihr das nicht begreift, dummes Ding. Wärt Ihr mein Weib, ich wüsste, auf welche Weise ich Euch zur Vernunft bringe!«

*

Ein kalter Schauer lief Juliana über den Rücken. Verwirrt schaute sie auf den rötlich schimmernden Backstein in ihren Händen – ein Stein aus dem Cupolone! Neidvolle Blicke trafen sie. Hastig verbarg sie den Stein unter ihrem Arm und hielt nach ihrem Vater Ausschau. Der notario stand wenige Schritte von der Basilika entfernt und trank vor den Augen des Herrn, ohne sich zu mäßigen. Nur mühsam hielt er sich auf den Beinen und torkelte zur Freude der Handwerker, die ihm immer wieder den Beutel antrugen. Besorgt neigte sie sich über ihren Vater, der in diesem Moment auf die Knie gesunken war und nur mühsam seine Tränen zurückhielt.

»Es ist ein Fluch, glaubt mir!«

»Vater! Steht auf! Wenn jemand vom Rat Euch so sieht!« Hatten ihm gar die Arbeiter so übel mitgespielt in ihrer Trunkenheit?

»Zum Teufel mit diesem Verräter!«, schrie ihr Vater von Sinnen und schleuderte den halb leeren Beutel von sich.

Beschämt, weil der sonst so auf seinen Ruf bedachte Mann dem Wein so eifrig zugesprochen hatte und sich die gehässigen Rufe der Zuschauer mehrten, wandte sich Juliana ab. Ekel überkam sie vor dem eigenen Vater, dem der Trunk aus dem Mund quoll. Er war unfähig, auch nur ein klares Wort über die Lippen zu bringen. Warum hatte er sich in der kurzen Zeit, die sie in der Kirche gewesen war, dermaßen betrunken? Sie entriss dem Arbeiter, der ihr am nächsten stand, einen weiteren Weinbeutel. »Wie könnt ihr meinem Vater das antun?« Sie zitterte vor Zorn, hakte sich bei ihrem Vater unter und versuchte, ihn aus dem Blickfeld der hämischen Leute zu schaffen. Manche spuckten vor ihnen auf den Weg oder warfen ihnen Steine nach. Was war mit diesen Menschen los? Es sollte ein Tag der Freude, des Triumphes werden für alle Florentiner, auch für sie. Die eben empfundene Freude über Brunelleschis Modell rückte in weite Ferne. Nichts war geblieben von ihrer Aufregung, das Modell endlich gesehen zu haben. Nur die Erinnerung an eine schmerzvolle Begegnung mit zwei Männern, die sie verachteten – jeder auf seine Weise. Tränen brannten in Julianas Augen. Mehr als einmal segelte ein Stein nur knapp an ihr vorbei und sie wollte sich umdrehen, um den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Was hatte sie getan oder ihr Vater, dass sie Derartiges über sich ergehen lassen musste? Schwer atmend hing der notario an ihrem Arm und stieß unflätige Flüche aus. Sie musste ihm beistehen und fragte sich, was in den wenigen Minuten, in denen sie in der Santa Maria del Fiore das Modell bewundert hatte, geschehen war. Vom einst stolzen notario zu einem gebrochenen Mann wegen ein paar Schlucken Wein?

»Sie werden sich dafür verantworten, jeder Einzelne, nicht wahr, Vater? Niemand behandelt notario Serrati so.«

»Es ist zu spät, Kind. Ich habe in des Teufels Antlitz gesehen.«

Juliana verstand sein Gestammel kaum. Ihr Vater schwankte, gebärdete sich, als sei er ein weinerliches Kind, und wurde aufbrausend, weil sie versuchte, ihn auf den Heimweg zu bringen. Ein übler Gestank entströmte seinem Wams und seiner Hose. Endlich erreichten sie das Ende der Piazza. Juliana hob den Kopf, hoffte auf ein bekanntes Gesicht, jemanden, der ihnen half, das letzte Stück des Weges nach Hause leichter zu bewältigen. Inzwischen dämmerte ihr, dass der Gestank nicht vom Wein herrührte, sondern dass er sich beschmutzt hatte. Sie war plötzlich Mutter und musste sich um ihren sonst so starken, kämpferischen Vater kümmern, als wäre er ein Kind. Scham entflammte ihre Wangen. Was die Leute wohl über das sonderbare Vater-Tochter-Gespann dachten?

Plötzlich drückte ihr Vater sie an sich. »Ich würde alles für dich tun, alles, hörst du? Glaube ihm nichts. Nichts, was er dir erzählt, ist wahr!«, zischte er und stieß sie unsanft beiseite.

»Geh jetzt heim, lauf, Kind, bevor es zu spät ist!«

Verwirrt starrte Juliana ihren Vater an. Hatte er vollends den Verstand verloren? Er wirkte, als hätte er einen Geist gesehen. Ihr Vater bedrängte sie weiter, ihn allein zurückzulassen, und sah fieberhaft um sich. »Geh, nur zu!« Dann erstarrte er, wurde kreidebleich im Gesicht und umklammerte Julianas Hand. »Hast du das Modell gesehen, ja?«

»Geht ruhig, ich kümmere mich um Euren Mann. Gewiss bekommt ihm die Hitze nicht«, bot jemand an und griff ihrem Vater unter die Arme.

Juliana wollte sich für die diskrete Hilfe bedanken, dann erkannte sie den Mann. Zorn flammte in ihr auf. »Ihr?«

Roberto Mazarettos Lächeln glich einer Maske. Er tat, als erkenne er sie nicht, und packte ihren Vater am Oberarm, bevor dieser zu Boden stürzen konnte. »Wir sollten ihn an einen ruhigeren Ort bringen, meint Ihr nicht auch?«

Doch ihr Vater gebärdete sich wie wild, wollte sich losreißen.

»Lasst mein Weib, Ihr …«

Kapitel 3

Der Backstein war nicht besonders. Einer von unzähligen Steinen, die unweit der Stadt zu Hunderten und Aberhunderten gebrannt wurden. Dieser Stein hatte ein ungewöhnliches Zuhause gefunden. Am Boden einer Truhe in Julianas Kammer lag er. Stummer Zeuge einer Begegnung, von der ihr sonst allwissender Vater nichts ahnte. Kein Wort war beim Morgenmahl über den gestrigen Tag und den sonderbaren Mann gefallen, dem sie den Stein verdankte. In einigen Momenten, in denen sich ihr Vater unbeobachtet gewähnt hatte, war ein dunkler Schatten über ihn geglitten, den auch Mutters Fürsorge nicht vertreiben konnte. Wie hatte sie es nur geschafft, ihren Vater nach Hause zu bringen? Die überraschende Hilfe von Darios Widersacher, diesem Roberto, verunsicherte sie. Immer wieder brannte die Erinnerung an diese schrecklichen Stunden des vergangenen Tages schmerzhaft in ihr auf. Robertos schamlose Blicke hatten sie erzürnt. Fand er Gefallen an dieser peinlichen Situation, in der sie und ihr Vater gänzlich von seiner Unterstützung abhängig gewesen waren? Er hatte die stillen Seitengassen gemieden und sie damit gezwungen, sich den hämischen Blicken der Nachbarn auszusetzen. Auf der Piazza della Signoria hatte er sich besonders viel Zeit gelassen, während Juliana gebetet hatte, dass Vaters Freunde und die meisten der Ratsmitglieder sich in die kühlen Räume des Palazzo zurückgezogen hatten und von dem ungewöhnlichen Schauspiel nichts bemerkten.

»Sie haben mit Steinen nach uns geworfen, Assunita. Mit Steinen«, flüsterte sie und schmiegte sich an die Freundin. Erleichtert, sich endlich jemandem anvertrauen zu können.

Assunita strich über Julianas Kopf, küsste sie sanft auf die Stirn. »Es sind Dummköpfe. Sie geben deinem Vater, dem notario, die Schuld für die Not.« Assunita konnte niemandem böse sein. In allem und jedem sah sie Gutes. Wäre ihr Haar hell wie Flachs und nicht dunkel, hätte man glauben können, sie wäre ein Engel. Reinen Herzens und voller Verständnis.

»Von wem sprichst du?« Juliana sah verwirrt zu ihrer Freundin hoch.

»Die Arbeiter bekommen Schuldscheine, die sie später einlösen können, wenn die cupola vollendet ist. Nicht alle Patrizier unterstützen diese Idee.«

»Die Patrizier, Mitglieder des Rats meinst du?«

»Dummchen, du kennst es nicht anders. Nicht jeder kann es sich wie dein Vater leisten, eine Büste anzufertigen, die mehr kostet, wie ein eifriger Anwalt in einem einzigen Jahr verdient. Oder in einem solch prachtvollen Haus zu wohnen.«

Juliana seufzte. Warum hatte sie ihrer Freundin bloß von dieser dummen Büste erzählt, die ein Künstler aus der Dombauhütte von ihrer Mutter anfertigen sollte? Unschlüssig hob sie die Schultern und lächelte traurig. Was verstand sie von Geld oder dem, warum Vater diese Büste anfertigen ließ? Diese Büsten und Statuen wurden zu Ehren wichtiger Persönlichkeiten geschaffen, vergeblich suchte sie nach deren Sinn. Die Aufregung um Vaters Etablissement der Künste, einen großen Saal voller Skulpturen und Statuen, die außer ihm niemand sehen durfte, verstand Juliana auch nicht. Selbst die feinsten Patrizier ließ er nicht in dieses Reich. Stundenlang verweilte er darin und trug den Schlüssel dafür an einer Kette um seinen Hals.

Juliana blickte zu der dunkel gebeizten Truhe, in der sie seit Kurzem nicht nur ihre Surcots und Unterkleider aufbewahrte. »Es ist nicht Vaters Schuld, dass sie reich sind.«

Assunita schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre dunklen Locken umhersprangen. »Einen Teil dazu hat dein Vater gewiss beigetragen. Meinst du, ich würde nicht gern in einem Palazzo wie dem euren wohnen? Dummchen! Ihr habt fließendes Wasser und die Köchin fährt euer Essen durch dieses Loch …«

»Das nennt man Fahrstuhl.« Juliana schniefte verlegen. Die beiden Mädchen waren sich so nah in ihren Gedanken, dass Juliana oftmals vergaß, aus welch einfachen Verhältnissen ihre Freundin stammte. Die Tochter des hiesigen Bäckers musste zwar nicht Not leiden, doch die Casa Serrati mit ihren kunstvollen Wandmalereien und dem kostbaren Mobiliar aus aller Welt musste ihrer Freundin einem Märchen gleich erscheinen. Umso mehr freute sie sich über Julianas abgetragene Kleider, auch wenn sich kaum Gelegenheit bot, diese auszutragen. Juliana hielt inne. Durfte sich ihre Familie glücklich schätzen? Sie dachte an den schweren Tresor, den Vater streng bewachen ließ. Oft saß er nachts neben diesem Kasten und starrte auf die schweren Ketten und Schlösser. Sie seufzte leise. Niemand sah in all dem Reichtum und der prunkvollen Casa ihre Fesseln und den goldenen Käfig, der alles von ihr fernhielt, was sie so gern erleben würde.

»Juliana?«

Längst war sie mit ihren Gedanken bei der Piazza, der Basilika und den sehnigen Händen des ungehobelten Handwerkers. Darios Anblick verfolgte sie, wenn sie ihre Augen schloss, und so tat sie, als blende sie die Sonne, um nicht Assunitas Aufmerksamkeit zu wecken. Ob die Freundin verstehen würde, was ihr selbst unerklärlich war? Sie war ein Kind für den erfahrenen Mann. Gewiss hatte er ihre kurze Begegnung längst vergessen. Juliana hingegen konnte an nichts anderes denken.

»Zeig ihn mir. Nur ein einziges Mal, bitte!«

Das hatte Assunita mehrmals gesagt, Juliana hatte das Flehen ihrer neugierigen Freundin nicht gehört. Gedankenversunken blickte sie auf die dicken Stadtmauern, die Florenz umringten. Ihre Ungeduld wuchs, der Enge des Elternhauses für ein paar Stunden zu entfliehen. Sie brannte darauf, die Stadt zu erkunden. Vielleicht begegnete sie ihrem unverhofften Retter aus dem Duomo?

»Gehen wir zu den Stadtmauern oberhalb von San Niccolò?«, fragte sie Assunita unbedarft und tat, als interessiere sie der Backstein und dessen Überbringer nicht länger. Der Wachturm von San Niccolò lag am Ufer des Arno. Er war unzählige Ellen breit. Im Schatten der Stadtmauern konnten sie sich meist unbehelligt aufhalten. Im Dickicht der silbrig glänzenden Olivenbäume entkamen sie oft der brütenden Hitze in den engen Gassen und konnten die stickigen Kleider bis über die Knie raffen. Trotz eines Regenschauers, der zumindest in der Nacht für Abkühlung gesorgt hatte, versprach der klare Morgen einen weiteren heißen Tag. Von dem Wachturm bot sich ein unvergesslicher Ausblick über die Stadt und ihren dichten Kern, dessen Herz Santa Maria del Fiore bildete. Wie prächtig die Kuppel über der Stadt thronen würde, wenn sie fertig war. Auf dem Weg zum Wachturm würden sie unweigerlich die Piazza del Duomo überschreiten, und wer weiß, vielleicht trafen sie wahrhaftig Dario.

Juliana wandte sich fragend um. Assunita kniete bereits mit einem erwartungsvollen Lächeln vor der geöffneten Truhe. Kaum hatte Juliana zustimmend genickt, glitten die Hände ihrer Freundin unter den sorgsam gefalteten Stapel Kleider.

»Ich verstehe nicht, was es damit auf sich hat.« Assunita betrachtete den Backstein belustigt von allen Seiten, dann sah sie bestürzt auf ihre rot gefärbten Hände. »Vielleicht möchte er dich einladen, gemeinsam mit ihm die cupola zu bauen?« Kaum hatte sie das gesagt, bekreuzigte sie sich und senkte den Blick. »Verzeih. Was auch immer diesen Mann dazu bewogen haben mag.«

Juliana horchte auf. »Kennst du Dario?«

»Das ist nicht möglich. Er ist geizig und eigenbrötlerisch, aber verschwenderisch im Verteilen fremder Geldscheine.« Assunita sog überrascht die Luft ein. »Dario gab dir diesen Backstein? Niemals hätte er dir erlaubt, dich dem Modell zu nähern. Er ist gefühlskalt und rau, der Freund deines capomaestro.«

»Sein Freund, sagst du?« Juliana schüttelte ungläubig den Kopf. Auch mochte Dario vieles sein, gewiss nicht gefühlskalt. Sie lächelte verträumt. Die Leidenschaft, mit der er das Modell und sie vor Roberto beschützt hatte, verriet, dass Assunitas Behauptungen nicht zutrafen. Sie hätte nicht gewagt, sich nach dem Mann zu erkundigen, der offenbar ein Vertrauter des capomaestro war, und ausgerechnet Assunita wusste, was es mit ihm auf sich hatte? Angespannt wartete sie darauf, dass Assunita weitersprach.

Um den Mund ihrer Freundin zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab. »Du hast keine Vorstellung! Viele Männer rühmen sich, an der Seite Brunelleschis helfen zu dürfen, die Kuppel zu bauen!« Sie genoss Julianas Ungeduld, dann lachte sie lauthals auf. »Ich habe eine Idee, allerdings musst du all deinen Mut zusammennehmen.«

»Niemals, Assunita! Ich kann Vater nicht fragen, ob er ihn kennt! Dann müsste ich ihm beichten, dass ich Dario so nah war.« Dario, nahe. Sie hielt inne. Es klang vertraut.

Sofort erntete sie furchtsame, gar bestürzte Blicke. »Juliana Serrati! Es ist hoffentlich nichts passiert, dessen du dich schämen musst, oder?«

»Was, wenn es so wäre?«, flüsterte Juliana erstickt. Ihr Herz schlug so heftig gegen die Rippen, dass es wehtat. »Assunita. Was weißt du noch über …?«

»Juliana!« Harsch erklang die Stimme ihres Vaters über die Galerie, die den Innenhof an drei Seiten umrahmte.

Beschämt blickte Juliana zur Tür, wo Maria, ihre Kinderfrau, sie rügend ansah. »Was hast du wieder angestellt?«

Hastig entriss Juliana ihrer Freundin den Backstein und legte ihn in die Truhe zurück. Ungestüm schlug sie den Deckel zu und hätte Assunita beinahe die Finger eingeklemmt. »Ich bin die Tochter meines Vaters, Maria«, gab sie leichthin zurück und warf Assunita einen besorgten Blick zu.

»Er kann dir keinen Vorwurf machen. Nicht nachdem …«, sagte Assunita.

Sich keiner und aller Schuld bewusst, wich Juliana Marias Umarmung aus und eilte über die knarrende Galerie.

»Verzeiht, Vater!«, rief sie in den Salon, wo ihr der Vater verärgert entgegensah.

»Ich dulde deine Eskapaden nicht länger, Juliana. Du bringst in meinem Arbeitszimmer die Akten durcheinander, und kaum drehe ich dir den Rücken zu, läufst du aus dem Haus.«

Verwirrt blickte Juliana ihre Mutter an. »Ich bin seit dem Morgen in meiner Kammer, Vater! Assunita ist hier.«

»Sei nicht so streng mit ihr, Ferdinando.« Dina schmiegte sich an ihren Mann und küsste ihn sanft.

Er erwiderte die Zärtlichkeiten nicht. »Es ist meine Pflicht, mich um Julianas Wohl zu sorgen.«

»Bewahrst du Juliana vor Unheil oder ist sie es, die dich beschützt? Gespottet haben sie, weil dein Kind dich heimbringen musste!«

Mit aufrechtem Rücken saß ihr Vater hinter dem mit kostbaren Schnitzereien verzierten Tisch und nickte ergeben. »Wer war dieser Mann? Ich glaube, ihn zu kennen.«

»Er heißt Roberto Ma…«

Dina unterbrach ihre Tochter. »Wie auch immer, du hast Juliana gerufen, mein Lieber. Was wolltest du denn?« Offenbar hatte auch sie bemerkt, dass seine Gedanken in eine weit entfernte Welt glitten.

Nachdem ihre Mutter ihn ermahnt hatte, sah er auf und fand in die Casa Serrati zurück. »Geh, bevor ich etwas sage, das mir leidtut. Geh mit Assunita raus. Das wolltest du fragen, nicht wahr?«

Juliana brachte ein klägliches Nicken zustande. Zu bitter schmeckte ihr Triumph, geboren auf ihres Vaters Niederlage.

»Danke, Vater, ich sage es gleich Assunita!«, presste sie hervor. Aus dem Schatten der Galerie sah sie zurück. Vaters Gesicht neigte sich verzerrt nach oben. Was quälte ihn nur, dass er die Sorge um ihr Wohlbefinden neuerdings so übertrieb?

*

Juliana seufzte. Ungeduldig blickte sie auf die Via Porta Rossa zurück, wo Assunita zögernd stehen geblieben war. »Wenn du Angst hast, das Gebet zu verpassen, dann bleib hier, Assunita.« Da Vater ihr erlaubt hatte, die Casa zu verlassen, konnte Juliana es kaum erwarten, durch die Straßen zu laufen und die Neuigkeiten, die man sich über Brunelleschi erzählte, selbst zu erfahren.

»Sie läuft dir nicht davon, diese Kuppel«, murmelte Assunita verärgert, aber ihre treue Begleiterin folgte Juliana, wie sie es immer tat.

Das vom nächtlichen Regen dunkel gefärbte Mauerwerk der Casa Serrati wirkte bedrohlicher als die Strafpredigt, die Juliana erwartete, wenn ihr Vater von ihrem wahren Ziel erfahren würde. Verträumt stellte sie sich vor, mit Dario am Arno entlang zu streifen, bis die Abendglocken mahnten, die Porta al Prato zu passieren, bevor das Tor über Nacht geschlossen wurde. Allein die Vorstellung trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, dabei regierte kühlender Schatten zwischen den Zinnen der Geschlechtertürme. Bald schon würde die Hitze ihr blondes Haar kräuseln. Unwillig schüttelte sie den Kopf, weil Assunita erneut ihr Tempo verlangsamte und vor dem sechseckigen Turm der Badia stehen blieb.

»Ich kann nicht so schnell, Juliana«, jammerte sie.

»Komm weiter!« Die Erwartung spornte Juliana an. So sehr, dass sie kaum dazu kam, sich um die Freundin zu sorgen, die neuerdings öfter seltsam bleich im Gesicht und rasch außer Atem war.

»Man hat ihn wieder aus der Sitzung geworfen!«, rief Assunita wohl in der Hoffnung auf eine kurze Pause bei einem Brunnen.

»Brunelleschi?« Juliana vergaß, dass sie ihre Freundin antreiben wollte, worauf Assunita schmollte und weiterging.

»Die Kuppel. Immer nur diese Kuppel. Kaum erwähne ich sie oder den capomaestro, ist mir deine Aufmerksamkeit sicher. Hast du nicht von der neuen Fehde gehört?«

Just in diesem Moment passierten die beiden Mädchen den Bargello. Hier fanden die Sitzungen der Priori delle Arti statt, eines Teils der Signoria. In den tiefer gelegenen Kellerverliesen darbten die Gefangenen, die von goldglänzenden Gulden, Licht und Sonne nur träumen konnten. Juliana schluckte.Wenn der capomaestro seinen Zorn nicht mäßigte, landete er im Gefängnis, und was passierte dann mit dem Bau der Kuppel? Und Vater? Auch ihn warnten seine Freunde, dass sein Jähzorn ein böses Ende finden könnte.

Nein, heute wollte sie nichts von Fehden hören oder gar Trübsal blasen, wo ihr Bernardo am Morgen nach dem Frühstück von einer neuen Lieferung Marmor berichtet hatte. Erst gestern waren schwere Karren durch die Gassen gepoltert. Schwer beladen mit frisch gebrannten Ziegeln, Tausende und Abertausende, die Woche für Woche hergebracht wurden. Einen Teil davon brannten die Arbeiter in der Via Ghibellina. Sie kamen mit dem kleinen Brennofen kaum hinterher, die Backsteine waren schneller verputzt als geliefert. Sie dachte an den, der in der Truhe in ihrer Kammer lag und sie stetig an den Mann erinnerte, der ihr dieses ungewöhnliche Geschenk gemacht hatte. Ihr Herz schlug schneller.

»Kaum endet eine Fehde, beginnt eine neue«, meinte Juliana daher geistesabwesend und überging die Frage ihrer Freundin. Die Streitigkeiten der großen Familienclans, der Lippi und Baretti, Catalani und Medici, interessierten sie nur, wenn sie mit der Arbeit ihres Vaters zu tun hatten. Gelegentlich bedurften solche Lappalien und größere Zwiste eines notario. Viel spannender war für Juliana, was auf den Baustellen zwischen der Via dell’Oriuolo und der Via dei Servi vor sich ging. »Hörst du, Assunita? Sie arbeiten wieder.« Sie genoss den Klang des gleichmäßigen Aufeinandertreffens von Äxten und Holz.

Kaum eine Straße konnten sie nahe der Piazza del Duomo durchqueren, ohne auf Arbeiter oder unvollendete Baustellen zu treffen. Brunelleschis Absicht forderte wohl auch den Ehrgeiz anderer heraus. An den Hauswänden, mehrere Braccia hoch gestapelt, ließen Bretter und Backsteine die Gassen so beengt werden, dass die Fuhrwerke kaum hindurchpassten. An der Zahl der Wagen und Händler, die bereits die Stadttore passiert hatten und zum mercato fuhren, ahnte Juliana, dass sie viel Zeit vergeudet hatten. Warum musste Assunita über die Via del Colomero laufen, wo andere Abzweigungen viel leichter zu passieren wären?

»Schneller!«, rief sie Assunita ungeduldig zu.

»Nicht mal Brunelleschi treibt seine Ochsen so an! Du bist ihm nicht unähnlich. Verbohrt.«

»Ochsen? Die ließe man nicht in die Kirche.« Juliana lachte, verlangsamte ihre Schritte aber kaum.

»Der capomaestro hat Maschinen erfunden, an denen Ochsen stundenlang im Kreis laufen. Da staunst du, was?«, erklärte Assunita erhobenen Hauptes. Sie genoss es, Julianas Neugier geweckt zu haben. »Der Mann sitzt ganze Nächte über Plänen und baut Maschinen, die niemand zuvor gekannt hat.«

Juliana hatte davon bislang nur gehört, denn bei ihrem kurzen Ausflug mit Vater war ihr dieser Anblick verborgen geblieben. »Da siehst du es wieder, Assunita! Ochsen! Es kommen so viele Gelehrte in unsere Stadt, die sehen wollen, was Brunelleschi erschaffen will. Überall wird gebaut. Gelehrt. Und du sagst das, als wären solche Apparate das Gewöhnlichste auf der Welt.« Sie dachte an das Modell, das sie gesehen hatte. »Brunelleschi wird zeigen, dass seine Kuppel kein Hirngespinst ist.«

»Siehst du, verbohrt!« Assunita schnaufte heftig, denn Julianas Schritte wurden größer und gewannen an Tempo, je näher sie der Piazza del Duomo kamen. Vor einem kleinen Brunnen blieb Assunita erschöpft stehen. »Genug! Ich will nicht länger in der Hitze herumlaufen.«

Juliana blinzelte. Nicht mehr lange, dann waren sie endlich am Ziel. Assunita durfte ihre Pläne nicht zunichtemachen. Juliana konnte ihre Ungeduld kaum noch zügeln. »Wir könnten uns später Abkühlung gönnen«, sagte sie flehend.

»An unserem Platz hinter der letzten Brücke? Oder unter der Ponte Vecchio?« Assunita lächelte. »Zwischen den Abfällen?«

»Ein Stück weiter oben, wenn du die Stelle nicht wieder verrätst.«

»Was passiert, wenn uns jemand dabei ertappt?«

»Was passiert, wenn du so fett wie unsere Köchin wirst? Bei Gott.«

Assunitas Lächeln schwand. Erst als Juliana ihre Freundin mit kühlem Brunnenwasser bespritzte, ließ sie das Grübeln sein.

»Wir gehen später zum Fluss, wirklich.« Juliana lächelte. »Bitte, Assunita!«

Mit einem lauten Seufzer erhob sich die Freundin und folgte ihr ergeben. Kurze Zeit später kicherten die beiden Mädchen und liefen eingehakt weiter. Assunita berichtete ihr vom neuesten Tratsch und Klatsch aus der elterlichen Bäckerstube. Das Lachen ihrer vertrauten Freundin bekümmerte Juliana. Assunita mochte ein schweres Los ertragen, dafür konnte sie unbedarft aus dem Haus gehen beim Brotaustragen. Wenn Assunita die Stadt verließ, war sie allein. Mit ihren Ängsten, ihren Träumen. Juliana schauderte plötzlich trotz der heißen Sonnenstrahlen, die auf ihre weiße Haut brannten.

*

»Wie kann er es wagen, mich derart zu hintergehen? Giovanni wird sich dafür erklären müssen. Antonio, setz sofort einen Brief auf.«