Die Rechte der Pferde - Marlitt Wendt - E-Book

Die Rechte der Pferde E-Book

Marlitt Wendt

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was bedeutet artgerechte Haltung und Pferdewohl? Welche Gesetze, Regeln und Rechte gibt es? Dieses Buch widmet sich den vieldiskutierten Fragen nach Individualitäts- und Persönlichkeitsrechten von Tieren und gibt Anregungen für eine artgerechte Haltung, bei der das Wohl des Pferdes im Mittelpunkt steht. Mit besonderem Blick auf die Regeln des Reitsports erklärt Autorin Marlitt Wendt, weshalb wir unser Verhältnis zu unseren Pferden überdenken sollten und wie ihre Bedürfnisse im Einklang mit Recht, Ethik und Moral geachtet und gewahrt werden können

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 177

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Die Rechte der Pferde

Ein Plädoyer für Tierwohl und Ethik

Marlitt Wendt

KOSMOS

Impressum

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen. Sorgfalt bei der Umsetzung ist indes dennoch geboten. Verlag und Autoren übernehmen keinerlei Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die aus der Anwendung der vorgestellten Materialien und Methoden entstehen könnten. Dabei müssen geltende rechtliche Bestimmungen und Vorschriften berücksichtigt und eingehalten werden.

Distanzierungserklärung

Mit dem Urteil vom 12.05.1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Dies kann, so das Landgericht, nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Wir haben in diesem E-Book Links zu anderen Seiten im World Wide Web gelegt. Für alle diese Links gilt: Wir erklären ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten in diesem E-Book und machen uns diese Inhalte nicht zu Eigen. Diese Erklärung gilt für alle in diesem E-Book angezeigten Links und für alle Inhalte der Seiten, zu denen Links führen.

Unser gesamtes Programm finden Sie unter kosmos.de.

Über Neuigkeiten informieren Sie regelmäßig unsere Newsletter kosmos.de/newsletter.

Umschlagsabbildung: © Christiane Slawik

© 2023, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG

Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50838-1

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Vom Reiterglück und PferdeleidGemeinsam sind wir starkDas Pferd als LebensbegleiterPferdeverhalten erkennenZurück zur Natur?Das Glück der PferdeDie Natur des PferdesWas bedeutet artgerecht und pferdegerecht?PersönlichkeitsrechtePferdeschutz und TierschutzgesetzFreiheit von Hunger und DurstFreiheit von UnbehagenFreiheit von Schmerzen, Verletzungen und KrankheitenFreiheit zur Auslebung arttypischen VerhaltensFreiheit von Angst und LeidBusiness as usualPferdeethik verstehenFragen und Folgen des HandelnsDie Ethischen Grundsätze des PferdefreundesLeitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter TierschutzgesichtspunktenLeitlinien zum Tierschutz im PferdesportSanfte Pferdeausbildung im Fokus: Die LIMA-RegelPferdeschutzkriterien und ihre DefinitionenSchmerzenStress als Ursache für Unwohlsein und LeidPersönlichkeitstypen und ihr Umgang mit StressWohlbefinden ist mehr als die Abwesenheit von LeidGewalt im ReitsportWie ist Gewalt definiert?Psychische Gewalt in der ReiterweltPhysische Gewalt durch Hilfsmittel und TrainingsmethodenVerharmlosung von Gewalt Welche Umgangsformen sind ethisch vertretbar?Emotionsforschung im Dienste des PferdeschutzesKönnen Pferde fühlen und denken?Ein Blick in die wissenschaftliche EmotionsforschungSelbstreflektionBei sich selbst beginnen – gar nicht so einfachDie Sache mit den ungünstigen MomentaufnahmenGefühle wissenschaftlich analysiertEthologische Aspekte: Verhalten klassifizierenVerhaltensstörungen als KenngrößenAusdrucksverhalten und Mimik als Spiegel der EmpfindungenPhysiologische Aspekte, Wohlbefinden und Leid zu klassifizierenWerden Stressmerkmale im Turniersport nicht ernst genommen?Tierschutz im PferdesportDer Tierschutzgedanke im Freizeitsektor und SportPferdeschicksale und EinzelfälleEmpathie und VerantwortungAnreize und Gegenentwürfe für mehr PferdewohlMeine Vision: Erfolg neu definiertBe the change!Für eine bessere PferdeweltMein Plädoyer für mehr TierwohlTierwohl – ein gesellschaftlicher ZugewinnErgänzung und Überarbeitung des Bestehenden

VOM REITERGLÜCK UND PFERDELEID

Die Reiterwelt ist tief erschüttert und gespalten. Es häufen sich kleinere, mittlere und riesige Skandale, oft wird zu Recht das Tierwohl im Pferdesport infrage gestellt. Manche dieser Skandale haben ihren Ursprung im Bereich der Profi-Reiterei, der vorgeworfen wird, nur den Profit und den sportlichen Erfolg zu sehen. Die Sportszene und deren Anhängerschaft zeigt wiederum bildlich gesprochen mit dem Finger auf die sogenannten Freizeitreiter, die ihre Pferde aus Unwissenheit vermeintlich pferdegerecht am langen Zügel und ohne Sattel, dafür mit weggedrücktem Rücken und ohne Ausbildung kaputt reiten würden und aus falscher Tierliebe dick und rund füttern. Diverse Tierschutzorganisationen stellen sogar die gesamte Reiterei und die Tierhaltung in menschlicher Hand komplett infrage und fordern Verbote.

Das Dilemma dabei ist, dass jede Fraktion in irgendeinem Punkt gute Gründe für diese Meinung und jene Ansicht haben und dass diese oft einfach als unumstößliche Tatsache vorgetragen wird, ohne konstruktiv aufeinander zuzugehen, die einzelnen Themenfelder und Aspekte sachlich zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Veränderungen entstehen allerdings nicht durch Schuldzuweisungen und dadurch, dass sich scheinbar unüberwindbare Fronten bilden, sondern aus einem ehrlichen Dialog heraus, einem wertschätzenden Miteinander, davon bin ich fest überzeugt. Und genau hier möchte ich mit diesem Buch ansetzen.

Ein Dialog kann nur funktionieren, wenn als Basis auch Fakten von Wünschen und Idealen getrennt und vor allem das wichtigste Gut in den Mittelpunkt gerückt wird: Die Rechte des Pferdes.

Darum soll es in den folgenden Kapiteln gehen. Die ethischen Grundlagen sollen ebenso zum Thema gemacht werden wie die vielen, wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Leid und das Wohlbefinden des Pferdes und die so schwierige Situation, die sich für alle Pferdeliebhaber durch die vielfältigen Ansprüche aus eigenen Wünschen, Haltungsfragen oder gesellschaftlichem Druck stellt. Denn eins ist klar: Das Thema ist hoch komplex.

Jede Situation ist anders, jedes Pferd-Mensch-Team tickt anders und jede Disziplin hat ihre eigenen Themenfelder. Daher soll das Buch vor allem zum Nachdenken anregen, nicht vorschnell zu urteilen, sondern die Gründe zu verstehen, warum es oft nicht ausreicht, etwas gut machen zu wollen, sondern es auch wirklich in Taten umzusetzen.

Als Verhaltensbiologin sehe ich meine Arbeit als die einer Botschafterin zwischen Forschung und Praxis, zwischen wissenschaftlichen Daten und der möglichen Interpretation. Als Vermittlerin setze ich mich an erster Stelle für die Rechte des Pferdes ein, da es ohne menschliche Vermittler keine Stimme hätte. Pferde sind uns insofern ausgeliefert, dass sämtliche Lebensbereiche von uns kontrolliert werden. Wir Menschen steuern das Pferdeleben schon vor der Geburt mit der Auswahl der Zuchttiere, um dann mit unseren Entscheidungen den gesamten Lebensweg mal mehr, mal weniger bewusst zu lenken.

Von der Wahl der Haltungsform, über Fragen zur Fütterung, Ausrüstung oder zu der präferierten Reitweise: Wir sind diejenigen, die Entscheidungen treffen und mit diesen ganz entscheidend zum Wohl unseres Pferdes beitragen können. Und das nicht nur auf unser eigenes Pferd bezogen, sondern auf das Pferdewohl insgesamt. Die gesamte Pferdebranche lebt von den Entscheidungen Einzelner. Wenn bestimmte Veranstaltungen nicht mehr besucht werden, überholtes Equipment nicht mehr nachgefragt wird und das psychische und physische Wohlbefinden des Pferdes im Vordergrund steht, dann wird sich nach und nach auch im Großen etwas verändern. Wir haben es alle in der Hand, etwas zu bewegen.

Gemeinsam sind wir stark

Mein Buch soll also auch dazu dienen, sich gegenseitig anzunähern und neugierig zu werden auf das Wissen rund um die Natur des Pferdes. Denn wir Pferdefreunde haben ja etwas gemeinsam: unsere Faszination für diese wundervollen Tiere. Teil dieser Faszination ist aus meiner Sicht auch, dass man nie auslernt, wie vielfältig das Wesen und das Verhalten der Pferde ist. Jedes Pferd ist anders und hat dementsprechend auch ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Dadurch ist es sehr spannend, die verschiedenen Bedürfnisse mit den diversen Ansprüchen und Wünschen von der menschlichen Seite her zu beleuchten, denn oft ist es gar nicht so leicht, das in Einklang zu bringen.

In den letzten Jahren der Recherche für dieses Buch habe ich mich intensiv mit diesem Spannungsfeld beschäftigt. Dabei interessiert mich besonders der Aspekt der Kommunikation zwischen Mensch und Pferd, Fragen nach den Empfindungen des Tieres und der großen Frage, ob und wie überhaupt eine Haltung und Nutzung des Pferdes noch zeitgemäß ist. Ist Reiten ethisch vertretbar? Welche Bedürfnisse können wir Pferden vorenthalten? Was ist der Preis dafür, sich von der Natur des Pferdes zu entfernen?

Aus Fragen wie diesen entstehen beim Lesen des Buches persönliche Antworten, aber auch ein Verständnis dafür, dass die Antworten bei einem anderen Menschen durchaus etwas anders ausfallen können. Eben weil er oder sie in einer anderen Lebenssituation ist und sich viele Fragen letztlich gar nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen, sondern mit einem vielschichtigen „Ja, aber“ oder einem „Sowohl als auch“.

Eindimensionale Antworten führen nur dazu, Grabenkämpfe ums Prinzip zu führen. Erst durch die Betrachtung der vielen Aspekte und der komplexen Verflechtung der einzelnen Themen entsteht dieser Dialog, durch den wiederum schlussendlich weitere allgemeine Leitlinien entwickelt werden, die dann als Grundlage das Leben der Pferde verbessern können. Es gibt zwar, wie wir später sehen werden, bereits Leitlinien, Gesetze und auch Gebote in unterschiedlicher Ausführung. Oft sind diese aber nicht weitreichend und präzise genug, lassen daher viel Spielraum für Interpretationen, oder sie werden kaum in der Praxis umgesetzt.

Was der eine als pferdegerecht empfindet, kann so von anderen als ungenügend bezeichnet werden. Zu einer Weiterentwicklung der bereits bestehenden ethischen Grundsätze zum Pferdewohl möchte ich mit diesem Buch beitragen. Ich wünsche mir sehr, dass es mehr Diskussion über die Prioritäten einzelner Themenfelder gibt, dass auch weitere allgemeingültige Kriterien zur Bewertung des Tierwohls entwickelt werden und dass diese auch entsprechend in die Lebensrealität in der Reiterwelt Einzug erhalten. Dazu müssen alle Personengruppen bereit sein zu lernen und sich auszutauschen. Freizeitreiter ebenso wie Tierärzte, Trainer und Therapeuten; Profireiter genauso wie Stallbetreiber, Sattler oder Hufbearbeiter. Oft entstehen erst aus dem Austausch der unterschiedlichen Standpunkte und Sichtweisen konstruktive Lösungen.

Das Pferd als Lebensbegleiter

Nur so kann auch der Unterschied zwischen der Sicht auf das Pferd als reines „Sportgerät“ und der Sicht auf unseren vierbeinigen Freund als „Lebensbegleiter“ beleuchtet werden, denn zumeist ist das Pferd alles Mögliche gleichzeitig. Nur selten wird es als reines Nutztier, sondern eher als Freund oder wenigstens als Teampartner gesehen.

Vor allem in Bezug auf das Reiten ist es offenkundig, dass sich viele, viele Fragen ergeben, in welchem Maße diese Form der Nutzung Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Pferdes hat und haben darf, denn auch das sind ja zwei unterschiedliche Dinge. Zum einen die aktuelle Situation zu erfassen und zu bewerten und zum anderen daraus Thesen zu entwickeln, wie es sein könnte und im Sinne des Pferdes auch sein sollte. Das Pferd kann seine Aufgabe als Reittier nur dann ausfüllen, wenn es gründlich ausgebildet und behutsam trainiert wird.

Oft verlieren wir uns in der gegenwärtigen Diskussion darin, Vorwürfe hin- und herzuschieben, ohne die tatsächliche Situation zu beleuchten und faktenbasiert zu beschreiben und daraus tragfähige Zukunftsvisionen zu entwickeln. Alles, was wir gemeinsam als Pferdemenschen erreichen könnten, wird so aufgerieben auf dem Mahlstein der Schuldzuweisungen. Die Energie und unserer Leidenschaft für Pferde verpufft so nach und nach, jede Fraktion kapselt sich in der eigenen kleinen Welt ab und umgibt sich nur noch mit gleichdenkenden Menschen.

Pferdeverhalten erkennen

Wir brauchen alle Energie, die wir haben, um nicht nur auf die vielen aktuell existierenden Missstände aufmerksam zu machen, sondern auch um weiteren Missbrauch am Pferd zu verhindern. Dazu ist es wichtig, auf möglichst vielen verschiedenen Ebenen anzusetzen. Wir alle müssen dazu beitragen, dass es keinen Platz für Tierquälerei unter dem Deckmantel des Pferdesports gibt. Dazu gehört auch, dass alle involvierten Personen – von den Reitkindern, die eine Partnerschaft mit dem Pferd gerade erst entdecken, bis hin zu den Berufsreitern – die Grundlagen kennen, an welchen Merkmalen man Wohlbefinden und Leid erkennen kann.

Wie sieht ein Pferd aus, das Schmerzen hat? Woran erkenne ich, dass es gestresst ist? Und wann fühlt es sich wohl, und wie kann ich erreichen, dass es sich möglichst häufig wohlfühlt? Auch darauf möchte ich in diesem Buch eingehen, da es inzwischen eine breite Basis an unterschiedlichen Informationsquellen und wissenschaftlichen Studien zu diesen Themengebieten gibt. Gemeinsam mit dem Verlag habe ich mich im Gegensatz zu meinem bereits erschienenen Buch „Was fühlt das Reitpferd?“ mit vielen Fotos und Illustrationen zur Mimik und Körpersprache des Pferdes für dieses Buch dafür entschieden, mit einem Textbuch einen Schritt weiter in der Erörterung der multikausalen Zusammenhänge und der offenen Fragen in Bezug auf Pferdeethik, Ethologie und Missstände in der Pferdebranche zu gehen.

Wie so oft im Leben sind jedoch die einfachen Antworten zumeist die falschen oder vereinfachen die Problematik so stark, dass sie nichts mehr mit der vorhandenen Realität gemein haben. Wir dürfen aber bei der enormen Komplexität des Phänomens Pferd auch nicht in eine alles tolerierende Beliebigkeit verfallen, denn die modernen ethologischen Erkenntnisse sagen uns häufig eindeutig, was richtig und was falsch ist, wenn wir uns für das Tierwohl einsetzen.

Bei dieser Debatte geht es mir darum, das stille Leid mit Worten zu illustrieren und Wege aufzuzeigen, den Status quo auch für sich selbst immer wieder neu zu definieren. Es geht also nicht darum, Extrembeispiele für Missstände im Pferdebereich aufzulisten oder einzelne Personen, Verbände oder Institutionen persönlich anzugreifen, sondern darum, die Zwischentöne zu erkennen.

Jene Details zu benennen, welche oft übersehen werden, aber welche den Alltag des Pferdes um so viel bereichern würden, denn oft sind es Nuancen, die zwischen einem gut gedachten und einem gut gemachten Haltungs- oder Trainingskonzept liegen. Vermeintliche Kleinigkeiten haben häufig große Auswirkungen. Um diese Feinheiten soll es in diesem Buch auch gehen, damit jeder Leser bei sich selbst beginnen kann, Schritt für Schritt bei sich selbst und im eigenen Umfeld diese Punkte zu verbessern.

Zurück zur Natur?

Pferde leben heute gemeinsam mit uns unter anderen Bedingungen, als die Wildpferde in den unterschiedlichen Regionen der Erde. Wir können dem Pferd nicht dasselbe bieten, was die Natur ihm zur Verfügung stellt. Wobei sich selbst da die Frage stellt, ob ein „Zurück zur Natur“ wünschenswert wäre. Auch das ursprüngliche Pferdeleben ist in der Natur mitnichten permanent rosarot und frei von Stress.

Hier gilt es aus meiner Sicht auch wieder, sich mit einem gesunden Mittelmaß mit den grundlegenden Bedürfnissen der Tierart Pferd zu beschäftigen, aber eben auch die beschränkten Möglichkeiten der heutigen Pferdehaltung nicht aus den Augen zu verlieren und vor allem auch das Potenzial für die Zukunft zu sehen. Es war in der Vergangenheit nicht alles besser, und es ist in der Gegenwart nicht alles schlecht oder umgekehrt, sondern es gilt, das Beste aus allen Epochen herauszufiltern, um auf dieser Basis die Zukunft des Pferdes positiv gestalten zu können. Unser immenses Wissen hilft uns heute dabei, dem Pferd ein artgerechtes, lebenswertes und glückliches Pferdeleben zu ermöglichen.

Es liegt an uns, wie die Zukunft des Pferdes aussieht, wir sind ihres Glückes Schmied.

Marlitt Wendt

DAS GLÜCK DER PFERDE

Wohlbefinden und damit auch das Pferdeglück hat viele Gesichter: Es kann sich beim zufriedenen Grasen Seite an Seite mit den anderen Herdenmitgliedern ebenso zeigen wie beim genüsslichen Wälzen im trockenen Sand. Was Glück eigentlich genau bedeutet, ist selbst für den Menschen nicht ganz leicht zu definieren. Einig sind sich die Forscher des neuen Zweiges der wissenschaftlichen Glücksforschung darin, dass Glück ein Gefühl von Zufriedenheit, ein Erleben eines gelungenen Moments mit eindeutigen physiologischen Reaktionen korreliert und dies auch bei unseren Pferden zu beobachten ist.

Glücksgefühle umfassen dabei alle positiven Empfindungen von stillen Momenten der Ruhe bis zu euphorischen Zuständen. Glücksgefühle entstehen aus der Freude an der eigenen Aktivität, aus dem Wohlbefinden des eigenen Zustands heraus oder aus einer erfüllenden Beziehung. Analog dazu können wir auch das Glück der Pferde auf vielen unterschiedlichen Ebenen betrachten: Auf der Ebene der Tierart Pferd ist es interessant sich zu vergegenwärtigen, wie das Pferd in der Natur lebt und wie es dort den Zustand der Zufriedenheit erreicht. Auf der Ebene des Individuums ist es beispielsweise wichtig, sich immer wieder zu fragen, welche Bedürfnisbefriedigung für dieses einzigartige Pferd wichtig ist. Und schließlich müssen wir uns unserer eigenen zentralen Rolle und Verantwortung stellen, wie wir auf der Ebene der Pferd-Mensch-Interaktion das Pferdeglück maßgeblich beeinflussen.

Was können wir aktiv tun oder unterlassen, damit unser Zusammensein auch vom Pferd als positiv und bereichernd empfunden wird? Im Folgenden soll es nun immer wieder um die oft falsch verstandene Natur des Pferdes gehen wie auch um das Konfliktfeld aus Wünschen und Ansprüchen des Menschen und dem Recht der Pferde auf ein pferdegerechtes Leben.

Die Natur des Pferdes

Wenn wir uns nun dem Phänomen Pferd annähern möchten, werden wir mit einer Vielzahl verschiedener Erklärungsmodelle konfrontiert, die sich alle auf den vermeintlichen Naturzustand oder das romantisierte Erbe der Wildpferde beziehen.

Aber schon bereits bei dem Begriff Wildpferd muss sich unweigerlich die Frage ergeben, welches Wildpferd denn da eigentlich gemeint sein soll? Die bereits ausgestorbenen Vorfahren unseres Hauspferdes, ein naher Verwandter wie das Przewalski-Pferd oder aber ein verwildertes Hauspferd wie der Mustang? Sie alle gemeinsam einfach als Wildpferde zu bezeichnen und somit auf das wilde Erbe unserer Hauspferde zu schließen, widerspricht der wissenschaftlich belegten Realität. Alle heute frei lebenden Pferde sind nun mal keine „echten“ Wildpferde mehr. Es sind verwilderte Hauspferde, also die Nachfahren ehemals domestizierter Tiere. Manche können als relativ ursprünglich gelten wie etwa die Exmoorponys in Südengland, andere wie die Namib-Pferde in der Wüste Namib, leben erst seit etwa einhundert Jahren frei und weitgehend ohne den Einfluss des Menschen. So neigte der vermutlich älteste von Menschenhand gezüchtete Pferdetyp, der orientalische Steppentyp, den wir heute zum Beispiel stark im Arabischen Vollblut wiederfinden, zu sehr engen Familienverbänden. Dagegen bildeten einige der ursprünglich aus den Kaltsteppengebieten der Erde stammenden Nordpferdetypen nur schwach ausgeprägte Herdenstrukturen aus und lebten fast wie Einzelgänger in lockeren temporären Kleinstverbänden.

Einige Pferdetypen bevorzugen also aufgrund ihrer Mentalität sehr große Gemeinschaften, andere dagegen meiden die Gesellschaft ausufernder Herdenverbände. Es gab Pferde, die weite Strecken zurücklegten und je nach Umweltbedingungen jahreszeitlich abhängige Wanderungen dem Futterangebot entsprechend ausführten und andere Pferdetypen, die aufgrund des vorherrschenden Klimas ihrer Heimat treu blieben und nur regional sehr begrenzt wanderten.

Es ist daher wenig plausibel, die Aussage zu treffen, dass sich unsere heutigen Hauspferde beispielsweise so verhalten wie Wildpferde es auch getan hätten, wenn man sich der ungeheuren Variation der ursprünglichen Pferdetypen bewusst ist.

Immer muss die Frage gestellt werden, um was für ein Pferd es sich denn handelt, über das man gerade spricht. So wird ein typisches Pony etwa seiner Herkunft entsprechend tendenziell einen geringeren Individualabstand tolerieren als ein blutgeprägtes Warmblut, welches doch eher einen größeren räumlichen Freiraum bevorzugt. Allgemeingültige Aussagen, die auf jede Situation und auf jedes Pferd zutreffen, sind kaum möglich, da es ebenso große Unterschiede zwischen den genetischen Anlagen der Tiere gibt. Wenn aber Pferdetrainer einfach willkürlich bestimmte Merkmale des Wildtyps herauspicken, um diese unseren heutigen Pferden überzustülpen, so widerspricht das der Natur unserer Haustiere und wird ihren Bedürfnissen nicht angemessen gerecht werden. „Das“ eine Pferd kann es nicht geben, sondern wir müssen auch immer sein genetisches Erbe wie auch seine ganz individuelle Ausprägung berücksichtigen.

Was bedeutet artgerecht und pferdegerecht?

Egal ob das Thema Haltung, Fütterung oder Nutzung von Pferden diskutiert wird, immer stößt man auf den Begriff „artgerecht“. Jedes Pferd soll laut Tierschutzgesetz ebenso wie jedes andere sogenannte Nutz- oder Haustier einen Anspruch auf ein „artgerechtes“ Leben haben. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Die aktuellen Missstände in der Fleischindustrie zeigen einmal mehr, dass der Begriff „artgerechte“ Haltung zumindest in Bezug auf Hühner oder Schweine eine sehr fragwürdige Auslegungspraxis offenbart und ganz sicher nicht dem entspricht, was sich der Laie unter diesem Begriff vorstellt.

Und wie können wir für unsere Pferde in unserer stark urbanisierten Kulturlandschaft wirklich artgerechte Lebensbedingungen ermöglichen? Welche Haltungsform ist denn eigentlich artgerecht? Was ist pferdegerechte Fütterung? Ist der Anspruch zu reiten vereinbar mit dem Anspruch an ein pferdegerechtes Leben? Bedeutet „artgerecht“ „zurück zur Natur“, und wo finden wir Pferdeliebhaber uns dann in Bezug auf den Kontakt mit Pferden wieder?

Fragen über Fragen und die Beantwortung jeder dieser Fragen wirft immer neue Fragen auf. Ein so komplexes Thema kann immer nur in Aspekten behandelt werden und muss immer wieder neu ausgehandelt und durchdacht werden, um den vielen unterschiedlichen Ansätzen und Interessen gerecht werden zu können.

Oft ist die erste Assoziation, den Begriff „artgerecht“ eins zu eins mit dem Begriff „natürlich“ gleichzusetzen. Das wäre allerdings eine zu starke Vereinfachung, denn bei der Begriffsfindung ging es darum, unter „artgerecht“ etwas zu umschreiben, was zwar an die Natur erinnert und dem Tier das Ausleben seiner angeborenen, tierartspezifischen Verhaltensweisen ermöglicht, aber sich auf die menschliche Obhut bezieht. So gesehen kann „artgerecht“ nicht „natürlich“ entsprechen, denn die Natur hat Tierhaltung nicht vorgesehen. Wir sehen hier schnell, dass der Begriff der Natürlichkeit ein künstliches Ideal voraussetzt, welches wir in unserer modernen Welt nicht mehr angemessen für das Pferd verwirklichen könnten, selbst wenn wir es wollten. Es gibt in Mitteleuropa vermutlich kaum die Möglichkeit, riesige Hunderte Hektar große, möglichst naturnahe Areale zu umzäunen, um unserem Pferd seine eigene kleine Wildnis zu schaffen.

Wie können wir nun dennoch ein erfülltes Pferdeleben fernab der Wildnis in unserer modernen Gesellschaft verwirklichen? Unser angestrebtes Ziel eines glücklichen und erfüllten Pferdelebens können wir nur dann erreichen, wenn wir ihnen ihre Rechte nicht vorenthalten. Das bedeutet: Pferdegerecht ist ein Umgang und ein Umfeld, das ihre mentale Entwicklung und ihre kognitive und emotionale Persönlichkeitsentfaltung fördert und die physische Gesundheit der Pferde gewährleistet.

Dazu müssen Bedürfnisse des Pferdes auf sehr vielen unterschiedlichen Ebenen und in Bezug auf viele Lebensbereiche einzeln definiert und in der Folge auch wirklich gedeckt werden. Es geht nicht nur um das, was die Tierart Pferd mindestens braucht, um sich wohlzufühlen, sondern gerade um das Quäntchen, was das einzelne Individuum darüber hinaus zu dem macht, was es von Natur aus sein sollte: eine einzigartige Persönlichkeit. Dazu braucht es noch viel mehr Forschung, um essenzielle Faktoren zu erkennen, wie sich genau einzelne Rassen und Pferdetypen voneinander in ihren Merkmalen und Lebensweisen unterscheiden. Die Ansprüche, die ein ursprüngliches Mongolenpony aus dem Steppenklima Zentralasiens an eine Haltung im eher gemäßigt feuchten Klima bei uns in Mitteleuropa stellt, werden andere sein als die eines Vollblutarabers aus den trockenen Wüstengegenden des Nahen Ostens. Die Hengsthaltung an sich bedeutet, andere Herausforderungen zu managen, als die in einer gleichgeschlechtlichen Stutengruppe.