Die Strafe der Königin - Barbara Cartland - E-Book

Die Strafe der Königin E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Königin Viktoria hat genug vom ausschweifenden Gehabe des Marquis von Weybourne, als er sich erneut mit dem Ehemann einer seiner Mätressen duelliert. Deshalb kommandiert sie den gutaussehenden Aristokraten dazu, die schöne Lady Clotilda nach Balutien zu begleiten, dessen König, eine gute politische Partie, sie heiraten soll. Während er diese Aufgabe zuerst mit Abscheu erfüllt, kommen sich die beiden auf der abenteuerlichen Seefahrt langsam näher. Kann es ein gutes Ende nehmen?

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I ~ 1860

»Stanwin, Darling, wenn wir nur heiraten könnten! Wie glücklich würden wir miteinander sein!«

Der Marquis lag bequem in die Seidenkissen zurückgelehnt. Er fühlte sich ein wenig erschöpft und gab keine Antwort.

Er hatte diese oder ähnliche Worte schon zu oft aus dem Mund einer Frau gehört, als daß er sich noch etwas daraus gemacht hätte.

Und um ehrlich zu sein, war das zärtliche Wesen, dessen Kopf hingebungsvoll an seiner Schulter ruhte, die letzte Frau, die er zu heiraten wünschte.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemals einen Liebhaber gegeben hat, der so wundervoll ist wie du, gleichgültig, was die Dichter in ihren Werken auch behaupten mögen.«

Auch das hörte der Marquis nicht zum ersten Mal, und er antwortete auf dieses Kompliment nur damit, daß er Lady Hester Dendall noch ein wenig fester an sich zog.

Während sie an seiner Brust ruhte, erinnerte er sich mit Zufriedenheit daran, daß der Gatte Lady Hesters sich auf einer Sondermission in Paris befand und keine Gefahr bestand, in eine ähnlich peinliche Lage zu geraten wie vor vierzehn Tagen, als der Earl von Castleton völlig unerwartet in sein Haus in der Park Lane zurückkehrte und den Marquis in einer sehr eindeutigen und kompromittierenden Situation mit seiner Gattin vorfand.

Der Earl hatte den Marquis aufgefordert, auf der Stelle sein Haus zu verlassen.

Ungeachtet der Tatsache, daß die Königin und der Prinzgemahl keine Ehrenhändel und Duelle mehr wünschten, war es zu einer Begegnung im Green Park gekommen, aus der der Earl von Castleton eine Armverletzung davontrug, wohingegen der Marquis gänzlich ungeschoren davonkam.

Was den Marquis betraf, so endeten Duelle für ihn gewöhnlich auf diese Weise, was weder seine Sekundanten noch seine Freunde in Erstaunen versetzte.

Natürlich war der Earl nach dem Ausgang des Treffens noch ergrimmter als zuvor und hatte dem Marquis geschworen, daß er ihm die doppelte Niederlage früher oder später heimzahlen werde.

Durch Freunde war der Marquis von dieser Drohung unterrichtet worden.

Kaum ein Mann, warnten sie ihn, sei als Feind so gefährlich wie der Earl von Castleton, und der Marquis tue gut daran, vor ihm höllisch auf der Hut zu sein.

Die Sorge der Freunde war echt, dennoch hatte der Marquis nur ein belustigtes Lächeln dafür.

Es geschah immer wieder, daß der eine oder andere gehörnte Ehemann ihm auf die Schliche kam und wilde Drohungen gegen ihn ausstieß. Und oft genug war es dann auch zum Duell gekommen. Aber ein Meisterschütze wie der Marquis hatte diese Art von Auseinandersetzungen nicht zu fürchten.

Stets war er aus diesen Waffengängen als Sieger hervorgegangen, und gegenüber späteren Rachedrohungen zeigte er sich völlig ungerührt.

»Ich liebe dich, ich liebe dich!« stieß Lady Hester leidenschaftlich hervor. »Aber wenn du mir noch ein einziges Mal untreu wirst, wie vor zwei Wochen mit Sheila Castleton, ich glaube, dann werde ich dich töten.«

Der Marquis lachte.

»Womit denn, meine Liebe? Mit Pfeil und Bogen?«

»Sei nicht so gemein zu mir«, sagte Lady Hester heftig. »Du weißt, lieber Stanwin, daß ich dich anbete. Schon allein der Gedanke, daß du eine andere Frau auch nur angeschaut hast, gibt mir einen Stich ins Herz.«

Seltsam, dachte der Marquis, während er eine bequemere Lage suchte, daß Frauen sich nie mit dem zufrieden geben, was sie haben, daß sie stets mehr wollen und darüber jeden Sinn für die Wirklichkeit verlieren.

Wenn Hester Treue von ihm forderte, war das fast so, als wünsche sie, daß die Niagarafälle austrockneten oder die Gezeiten nach einem anderen Rhythmus abliefen.

Sein ganzes Leben lang hatte der Marquis ein schönes Frauenantlitz unwiderstehlich gefunden, und obwohl er sehr wählerisch und anspruchsvoll war, trieb ihn ein rätselhafter Ehrgeiz, gerade die Frau für sich zu gewinnen, die einen anderen hatte abblitzen lassen.

In den meisten Fällen waren seine Bemühungen äußerst erfolgreich. Denn die gesellschaftliche Stellung, die er einnahm, verschaffte ihm gegenüber seinen Konkurrenten beträchtliche Vorteile, und die meisten Damen waren ihm schon bei der ersten Begegnung regelrecht verfallen.

Unangenehm nur, daß das, was für ihn flüchtige Liebesromanzen waren, für die Frauen zu Existenzfragen wurden.

Aus der anfänglichen Verliebtheit wurde sehr schnell Liebe, und die Welt brach für sie zusammen, wenn das Interesse des Marquis an ihnen erlahmte und er ihnen den Laufpaß gab.

»Ich liebe dich, ich liebe dich!«

Er hörte diese Worte zu oft. So oft, daß er sich nichts mehr dabei dachte. Sie waren ihm so vertraut wie der Wind, der des Nachts ums Haus strich, oder wie das Singen der Vögel in den Bäumen.

»Stell dir vor, wie glücklich wir sein könnten!« hörte er Lady Hester neben sich sagen. »Wir wären zweifellos das hübscheste Paar in ganz London, und mit dem Weybourne-Diadem würde ich bei der Parlamentseröffnung sämtliche Peersfrauen in den Schatten stellen.«

Ihr Einfallsreichtum beeindruckte ihn nicht weiter, denn der Marquis hatte sich die Äußerung mit fast den gleichen Worten bereits aus dem Mund zahlreicher anderer Damen anhören müssen.

Gelangweilt schloß er die Augen und fühlte, wie Müdigkeit ihn überkam. Höchste Zeit, daß er sich auf den Weg nach Hause machte, sich so rasch wie möglich ins eigene Bett begab.

»Ich muß dich verlassen, Hester«, sagte er mit träger, schleppender Stimme, die ihm völlig unverständlich auf Frauen eine ganz unwiderstehliche Wirkung ausübte.

»Verlassen?« '

Lady Hesters Stimme hatte einen schrillen Ton angenommen, und ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Entsetzen und Gereiztheit.

»Oh nein! Du kannst mich doch jetzt noch nicht alleinlassen. Das werde ich unter keinen Umständen dulden. Bitte, Stanwin, bleib doch noch hier! Gib mir einen Kuß! Oh bitte, Stanwin, Liebling, küß mich!«

Ungerührt richtete der Marquis sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Dabei kam ihm der Gedanke, daß die Luft im Raum sehr verbraucht war und daß Lady Hester wie üblich zu viel von ihrem französischen Lieblingsparfüm darin versprüht hatte.

Gewiß, der Duft war sehr exotisch, gleichzeitig jedoch sehnte sich der Marquis mit einem Mal nach der Frische der Nacht, nach dem Wind, der mit der Morgendämmerung vom Fluß hinaufwehte.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, daß sein Körper die athletischen Formen einer griechischen Götterstatue aufwies, ging er zu dem Stuhl, auf dem er seine Kleidung abgelegt hatte, und begann sich anzuziehen.

Lady Hester hatte sich aufgesetzt. Das Haar hing ihr lang über die Schultern. Sie starrte ihn gebannt an und beobachtete hingebungsvoll jede seiner Bewegungen.

Sie war sehr schön.

Die schönste Brünette in ganz London, und da sie irischer Abstammung war, leuchteten ihre Augen in einem intensiven Blau.

In jedem Ballsaal, den sie betrat, konnte sie sicher sein, daß sich alle Köpfe nach ihr umdrehten und die Augen der Herren einen fiebrigen Glanz bekamen.

Als Tochter eines verarmten irischen Earl hatte sie eine, wie man es nannte, brillante Partie gemacht: der reiche Sir Anthony Dendall war ein junger, vielversprechender Politiker.

Man hatte im White's Club bereits hohe Wetten abgeschlossen, daß er zu den Männern gehören würde, die das nächste Kabinett bildeten.

Sir Anthony hatte sich nach der Heirat Hals über Kopf in seine schöne junge Frau verliebt. Doch da er ausgeprägte politische Ambitionen besaß, hatte er rasch die Feststellung gemacht, daß ihn mehr Dinge außerhalb als innerhalb seines Hauses interessierten.

Die Vernachlässigung seiner jungen Frau nach einem anfänglich hell lodernden Strohfeuer führte auf ihrer Seite dazu, daß sie sich eine ansehnliche Anzahl von Liebhabern zulegte, die es jedoch, wie sie sich selbst eingestand, mit dem Marquis von Weybourne weder in puncto Ansehen noch in puncto Attraktivität aufnehmen konnten.

Dies war ihr in dem Augenblick aufgegangen, da sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Und der Entschluß, ihn zu ihrem alleinigen und ausschließlichen Liebhaber zu machen, war eine Sache von Sekundenbruchteilen gewesen.

Es dauerte ein ganzes Jahr, bis der Marquis ihrem Werben endlich nachgab. Er gab ihr allerdings weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt das Versprechen, keine andere Frau mehr anzuschauen oder reizvoll zu finden.

Für die leidenschaftliche Lady Hester bedeutete es die Hölle, zu wissen, daß der Marquis sie nicht mit der gleichen Ausschließlichkeit liebte wie sie ihn. Er ließ sich nicht kontrollieren, und sie wußte nie, wo er sich gerade aufhielt oder was er trieb.

Die Nachricht von seinem Duell mit dem Earl von Castleton hatte sie wie ein Blitz getroffen. Und während sie sich immer wieder sagte, daß sie nach einer solchen Treulosigkeit jede Verbindung zu dem Marquis rigoros abbrechen sollte, erkannte sie zugleich, daß sie zu einer so konsequenten Handlungsweise niemals fähig sein würde.

Also verzieh sie ihm, obwohl sie wußte, daß sie diesen Verrat niemals vergessen würde.

Eine gewisse Gereiztheit lag in ihrer Stimme, als sie ihn nun fragte: »Wirst du morgen abend mit mir dinieren?«

»Ich kann es noch nicht sagen«, erwiderte der Marquis beiläufig, während er sein Frackhemd anzog.

»Was willst du damit sagen?« erkundigte sich Lady Hester scharf.

»Ich erinnerte mich schwach, daß ich mich für morgen abend mit Devonshire oder sonst jemand verabredet habe.«

»Wenn es eine Dinnerparty ist, bin ich vielleicht auch eingeladen«, meinte Lady Hester nicht sehr hoffnungsvoll. »Aber in jedem Fall kann ich doch nachher mit dir rechnen, oder?«

Eine Pause entstand, während sich der Marquis vor dem Spiegel über dem Kaminsims die Krawatte band.

»Soll ich sagen, daß ich mir's überlegen werde?« meinte er mit einem Lächeln, als ihm bewußt wurde, daß Lady Hester auf eine Antwort wartete.

»Wie kannst du nur so grausam und kalt zu mir sein?«

Bei diesen Worten sprang Lady Hester aus dem Bett. Nackt und mit bis über die Schultern fallenden Haaren eilte sie zu ihm hin und schlang die Arme um seinen Hals.

Sie sah hinreißend aus, aber der Marquis faßte sie bei den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich fort.

»Die Schwierigkeit mit dir ist«, sagte er, »daß du so unersättlich bist. Du willst nicht nur einen Mann, du möchtest am liebsten ein ganzes Regiment von der Sorte.«

»Ja, wenn sie so gut aussehen und so gut lieben können wie du, könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen«, gab Lady Hester zurück.

Sie warf den Kopf in den Nacken und schaute zu dem Marquis auf. In ihrem Blick war der Ausdruck leidenschaftlichen Verlangens. Sie wartete darauf, daß er sie küßte.

Er blickte auf sie hinab.

In seinen Augen blitzte es belustigt und seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.

Dann nahm er sie auf die Arme, trug sie quer durchs Zimmer und ließ sie aufs Bett fallen.

»Benimm dich, Hester!« sagte er. »Wenn du sehr lieb bist, werde ich entweder morgen abend spät zu dir kommen, oder wir dinieren übermorgen zusammen.«

Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus und streckte ihm die Arme entgegen.

»Küß mich noch einmal, bevor du gehst, Stanwin, Liebling!« bat sie.

Der Marquis überhörte ihre Bitte. Er kehrte zu dein Stuhl zurück, auf dem seine Kleider lagen, nahm das Jackett seines Abendanzugs und zog es über.

Es saß wie angegossen, ohne das kleinste Fältchen über den breiten Schultern.

Der Schnitt betonte die Taille und ließ ihn noch eleganter aussehen als sonst.

Lady Hester zog hörbar den Atem ein.

Sie brauchte den Marquis nur anzusehen, um hinzuschmelzen. Auch jetzt spürte sie, wie ihr Herz heftiger schlug und ihr Atem schneller ging.

»Bitte, Stanwin, küß mich!« wiederholte sie ihre Bitte.

»Auf diese Weise bin ich schon oft festgehalten worden«, erwiderte der Marquis.

Er wußte sehr gut, daß er verloren war, wenn Hester ihn erst einmal zu sich aufs Bett gezogen hatte. Wenn er erst wieder bei ihr lag, würde es kein Entkommen für ihn geben.

Also ergriff er nur eine ihrer Hände, die sie ihm sehnsüchtig entgegenstreckte und drückte einen leichten Kuß darauf. Dann wandte er sich zum Gehen. Ohne noch ein Wort zu sagen, verließ er den Raum und schloß geräuschlos die Tür hinter sich.

Als seine Schritte auf dem Korridor verhallten, stieß Lady Hester einen Laut der Verärgerung aus, dann schlüpfte sie unter die Bettdecke.

Es ist immer dasselbe, dachte sie. Wenn der Marquis mich verläßt, weiß ich nie, wann ich ihn wiedersehe!

Sie konnte sich tausendmal sagen, daß er sie genauso sehr liebte wie sie ihn, der Gedanke an die Affäre mit Sheila Castleton vor vierzehn Tagen ließ sich nicht so einfach verdrängen. Und Hester hielt es nicht für ausgeschlossen, daß es vorher schon andere Frauen in seinem Leben gegeben hatte.

»Ich liebe ihn, ich liebe ihn!« rief sie trotzig. »Und ich schwöre, daß ich ihn nie einer anderen überlassen werde.«

Indes schritt der Marquis die dunkle Treppe hinunter und trat in die Nacht hinaus.

Er war unzufrieden mit sich, und der Gedanke ergriff immer stärker Besitz von ihm, daß Lady Hester von Tag zu Tag aufdringlicher wurde. Sie hängte sich an ihn wie eine Klette, und ihre Forderungen wurden immer maßloser.

Früher oder später mußte Dendall Verdacht schöpfen und hinter ihr Verhältnis kommen. Es gab genug Wichtigtuer, Schwätzer und Ohrenbläser, die nur darauf warteten, ihm brühwarm zu erzählen, womit sich seine schöne Frau während seiner Abwesenheit die Zeit vertrieb.

Kein Zweifel, sagte sich der Marquis, ich muß in Zukunft etwas vorsichtiger sein. Ein Duell, wie er es kürzlich mit dem Earl von Castleton ausgetragen hatte, mußte sich nicht unbedingt wiederholen.

Der Marquis hatte gewußt, wie leichtsinnig es von ihm gewesen war, die Einladung Sheila Castletons zum Supper anzunehmen.

Zinn Teufel, er hatte gewußt, daß der Earl sich in England aufhielt. Auf die Auskunft seiner Frau, daß ihr Gemahl erst am folgenden Tag zurückkehren werde, hätte er sich nicht verlassen dürfen.

In ganz London kannte man die Eifersucht des Earls, und jedermann wußte, daß Castleton es fertigbrachte, früher als erwartet nach Hause zurückzukehren, nur um herauszufinden, wie sich Lady Sheila während seiner Reisen die Zeit vertrieb.

Ich kann noch von Glück reden, dachte der Marquis, daß ich bereits wieder angezogen und im Begriff war, das Schlafzimmer der Komtess zu verlassen, als der Earl hereinstürmte.

Die Komtess allerdings hatte splitternackt im Bett gelegen, und der Anblick ihres Gatten kam derart überraschend für sie, daß sie sich ruckartig aufrichtete und einen schrillen Schreckensschrei ausstieß, was die Situation nur noch verschlimmerte.

Der Marquis war sich darüber im Klaren, daß der Earl, hätte er eine Waffe in der Hand gehabt, unweigerlich abgedrückt hätte.

Stattdessen hatte ihm der Earl mit einer, gemessen an seinen verletzten Gefühlen, bewundernswerten Selbstbeherrschung befohlen, auf der Stelle sein Haus zu verlassen. Allerdings nicht, ohne ihm vorher unmißverständlich klarzumachen, daß er sich beim Morgengrauen in der üblichen Weise an der gewohnten Stelle im Green Park für die ihm angetane Schmach zu rächen gedenke.

»Ich werde Sie töten, Weybourne«, sagte er eisig. »Falls Sie also den Wunsch haben, vorher noch Ihre Sache mit Gott zu ordnen, sollten Sie gleich damit beginnen!«

Der Marquis hielt es für geraten, den Earl unter den gegebenen Umständen nicht noch mehr zu reizen.

Ohne Entgegnung verließ er das Schlafgemach und stieg mit betonter Langsamkeit die Treppe hinunter in die Halle.

Er wußte, daß der Earl ihn dabei von der Empore aus beobachtete, und er bemerkte auch das leichenblasse Gesicht des Nachtdieners, der ihm mit zitternden Händen die Tür des Haupteingangs öffnete, um ihn nach draußen zu lassen.

Nachdem der Marquis zu Hause die Kleidung gewechselt hatte, weckte er zwei seiner Freunde und bat sie, seine Sekundanten zu sein. Danach war es höchste Zeit, wenn er pünktlich zur angegebenen Zeit im Green Park eintreffen wollte.

»Warum, in Drei-Teufels-Namen, willst du dich unbedingt mit Castleton schießen?« hatte Harry Melville gefragt.

Er kannte den Marquis von Kindheit an. Sie waren zusammen in Eton gewesen, hatten im selben Regiment gedient, und er war in der Tat der einzige Mensch, der das uneingeschränkte Vertrauen des Marquis besaß.

»Du kennst die Antwort bereits«, erwiderte der Marquis lässig.

»Ich wußte, daß Sheila Castleton es auf dich abgesehen hatte«, sagte Harry Melville. »Das war nicht verwunderlich. Aber du hättest wissen müssen, wie eifersüchtig und rachsüchtig der Earl ist. Verdammt, es war ein Fehler, ihn dir zum Feind zu machen. Ist dir das klar?«

Der Marquis zuckte die Achseln.

»Er ist nur einer von vielen«, antwortete er ungerührt. »Er hätte sich mehr um seine Frau kümmern müssen, wenn er nicht wollte, daß sie sich ihre Langeweile auf diese Weise vertreibt.«

Harry Melville lachte.

»Wirklich, Stanwin, du weißt so gut wie ich, daß es so einfach nicht ist, eine Frau zu hüten. Falls man ihr keinen Keuschheitsgürtel anlegt, bevor man das Haus verläßt, gibt es keine Möglichkeit, sie daran zu hindern, sich einem anderen Mann in die Arme zu werfen.«

Der Marquis antwortete nicht.

Er brüstete sich nie mit seinen Eroberungen, und selbst Harry gegenüber widerstrebte es ihm, davon zu reden.

Andererseits jedoch war er immer wieder gezwungen, sich dem Freund zu offenbaren, denn seine Schwierigkeiten mit eifersüchtigen Ehemännern schienen nicht abzureißen. So wurden Harrys Dienste für ihn von unschätzbarem Wert.

»Das ist jetzt dein viertes Duell in den letzten zwei Jahren«, hätte Harry ihn erinnert. «Und offen gesagt, Stanwin, ich bin es langsam satt, ständig aus meinem warmen Bett geholt zu werden, um dabei zu sein, wenn du einem gehörnten Ehemann Gelegenheit gibst, seine verletzte Ehre zu verteidigen. Dabei ist der Ausgang dieser Ehrenhändel immer derselbe. Dein Kontrahent trägt drei bis vier Wochen den Arm in der Binde, während du ungeschoren die Walstatt verläßt, um dich in ein neues Abenteuer zu stürzen.«

»Castleton gilt als ausgezeichneter Schütze«, versetzte der Marquis.

»Ist er auch«, entgegnete Harry, »aber dir kann er das Wasser nicht reichen.«

Er sollte mit seiner Überzeugung recht behalten.

Oft fragte sich der Marquis, ob diese Art zu leben sich lohne. Aber gleichzeitig wußte er, daß es sein Schicksal war, denn selbst, wenn er sich entschloß, die Finger von schönen Frauen zu lassen, würden sie niemals damit aufhören, Jagd auf ihn zu machen.

Das Verhältnis zu Hester war von ungewöhnlich langer Dauer gewesen. Allerdings war dies in erster Linie ihr Verdienst. Hester war hartnäckig, und sie besaß auch sonst einige nicht zu verachtende Vorzüge für eine Geliebte.

Sie konnte sehr anziehend sein, war auf eine recht witzige und geistvolle Art amüsant, und in der Liebe gebärdete sie sich wild und leidenschaftlich wie eine Raubkatze.

Sheila Castleton hatte sich mit Hester nicht auf eine Stufe stellen können. Im Vergleich mit ihr wirkte sie sogar langweilig. Eine Enttäuschung, wenn der Marquis ehrlich war.

Gewiß, es gab keinen Zweifel daran, daß Sheila eine Schönheit war. Aber sie hatte es nie vermocht, das gleiche Feuer in ihm zu entfachen wie Hester.

Was ihn, den Marquis, betraf, brauchte der Earl von Castleton keine Befürchtungen mehr zu haben. In Zukunft würde er die Finger von Sheila Castleton lassen. Sie reizte ihn nicht mehr.

Da Sir Anthony Dendalls Haus in der Park Street nur ein kleines Stück von seinem Haus am Grosvenor Square entfernt lag, hatte der Marquis seinen Wagen zurückgeschickt und schlenderte nun zu Fuß durch die nächtlichen Straßen.

Er genoß die Bewegung, die frische Nachtluft und das Gefühl des Freiseins, das ihn erfüllte.

Endlich keine nackten Frauenarme mehr, die ihn umschlangen, keine hungrigen Blicke und keine wie im Wahnsinn geflüsterten Worte!

Dieses Gefühl des Freiseins überfiel ihn oft nach dem Ende einer Liebesnacht.

Er fühlte sich ausgeglichen und unbeschwert. Glücklich darüber, sich wieder mit den Dingen beschäftigen zu können, die ihn tatsächlich ausfüllten: seine Pferde und die großen Rennen, die er mit ihnen zu gewinnen hoffte.

Während der Marquis in dieser Nacht gemächlich durch die Straßen schritt, schwor er sich, Hester eine Zeitlang zu vergessen. Er war ihrer überdrüssig, und unter keinen Umständen mochte er sie am nächsten Tag schon wieder um sich haben.

Also kein gemeinsames Dinner am frühen Abend und kein Stelldichein in der darauffolgenden Nacht!

Das wird ihr nicht gefallen, dachte er.

Mit einer Handbewegung wischte er seine Bedenken zur Seite und ertappte sich bei dem Gedanken an eine bildhübsche junge Tänzerin, die ihn beim Besuch des neuen Balletts im Covent Garden am vergangenen Abend aufgefallen war.

Sekundenlang spielte er mit der Idee, sie am nächsten Tag nach der Aufführung zum Essen einzuladen. Er war sicher, sie würde seine Einladung annehmen, egal, welche Verabredungen sie schon getroffen haben mochte.

Doch dann fiel ihm ein, daß auch sie nach näherem Kennenlernen die gleiche Enttäuschung sein würde wie alle ihre Vorgängerinnen.

Es stimmte ihn traurig, als er daran dachte, wie viele schöne Frauen ihm bei der ersten Begegnung anziehend und begehrenswert erschienen und wie schnell sich die anfängliche Begeisterung in Langeweile und Überdruß verwandelte.

Oft genug verloren die Frauen ihren Reiz schon mit dem Ablegen der Kleider, und immer wieder mußte er feststellen, daß es eigentlich pure Zeitverschwendung war, sich mit ihnen zu beschäftigen.

»Was will ich eigentlich?« fragte er sich selbst. »Wonach bin ich auf der Suche?«

Er schalt sich einen Träumer und Idealisten und führte seine Stimmung und seinen Weltschmerz auf die Tatsache zurück, daß er sich wieder einmal völlig unnötig eine Nacht um die Ohren geschlagen hatte.

Ja, er war müde. Und das war kein Wunder. Hester war eine verteufelt anstrengende Geliebte.

Die Lippen des Marquis kräuselten sich beim Gedanken an Hester Dendall zu einem zynischen, leicht verächtlichen Lächeln, das seine Freunde so gut an ihm kannten. Im gleichen Augenblick hatte er sein Haus am Grosvenor Square erreicht, und das Geräusch seiner Schritte veranlaßte den Nachtdiener, zur Tür zu eilen und ihm zu öffnen.

Es hatte ihn einige Mühe gekostet, sich wachzuhalten, um die Heimkehr seines Herrn nicht zu verpassen.

Und nun, da der Marquis die Halle betrat und ihm Hut und Stock gab, dachte der Mann, daß er mit etwas Glück doch noch ein paar Stunden Schlaf finden würde, bevor die Hausmädchen mit ihrer allmorgendlichen Säuberungsaktion begannen.

»Gute Nacht, Henry«, sagte der Marquis und stieg die Treppe hinauf.

»Gute Nacht, M'lord«, erwiderte Henry respektvoll.

Er deponierte Hut und Stock des Marquis auf einer Eichentruhe, schloß die Vordertür ab und kehrte zu seinem bequemen Lehnstuhl im Pförtnerraum zurück.

Sorgfältig breitete er die dicke Wolldecke über seinen Knien aus und lehnte sich aufseufzend zurück. Er schloß die Augen und war nach wenigen Minuten eingeschlafen.

Der Marquis dagegen, obwohl wieder im eigenen Bett, machte die Feststellung, daß er unerwarteterweise hellwach war.

Der Aufenthalt in London langweilte ihn.

Wenn ich für ein paar Tage nach Weybourne Park fahre, dachte er, wird mir das bedeutend besser bekommen als die Teilnahme an all den Partys, Bällen und Empfängen, die einen wesentlichen, aber auch lästigen Bestandteil der Londoner Rennsaison bildeten.

Einige der Gastgeberinnen würden allerdings aufs Höchste verärgert sein, wenn er ohne eine Mitteilung und ohne Entschuldigung ihren Ballveranstaltungen fernblieb. Und diejenigen, die ihn zum Dinner eingeladen hatten, würden tödlich gekränkt sein.

Allen voran Hester Dendall.

Gleichmütig zuckte er die Schultern.

Hester würde ihn vermissen, und es tat ihm leid, wenn er sie vor den Kopf stieß.

Doch gleichzeitig wußte er mit untrüglicher Gewißheit, daß ihre Affaire de Coeur, ihre Liebesbeziehung, zu Ende war. Es war typisch für den Marquis, daß er seine Affären rasch und mit einem scharfen Schnitt beendete.

Einfach, weil es ihm unmöglich war, Gefühle vorzutäuschen, die es nicht mehr gab.

Bei allen Dingen; die ihn umgaben, erwartete er Vollkommenheit. Und daher war er, was seine Beziehungen zu Frauen anging, längst ohne jegliche Illusion.

Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, daß es unrealistisch war, auf diesem Gebiet allzu hochgespannte Erwartungen zu hegen und etwas Sensationelles zu verlangen.

Seine Ansprüche hatte er im Laufe der Zeit stark heruntergeschraubt, und er wußte, wann das Feuer seiner Leidenschaft niedergebrannt war.

Bei Hester kam noch hinzu, daß sie nicht nur immer fordernder, sondern auch langweiliger geworden war. Außerdem hatte sie damit begonnen, aus dem, was einmal zwischen ihnen gewesen war, gewisse Rechte, abzuleiten.

Hester war wie eine Klette, und das wurde dem Marquis von Tag zu Tag lästiger.

Als starke Persönlichkeit wollte er selbst der dominierende Teil sein. Und er haßte es, wenn eine Frau versuchte, das Heft in die Hand zu nehmen und damit begann, ihn zu gängeln und herumzukommandieren.

Er wollte der Jäger sein, nicht der Gejagte.

Und da Hesters Gefühle zu ihm so übermächtig waren, hatte sie die Initiative in der Liebe übernommen, und das war etwas, das er einfach unerträglich fand.

»Ich werde aufs Land fahren«, entschied er, und er wußte, es würde den Schock für Hester abschwächen, wenn sie erkannte, daß er sie nicht länger mehr begehrte.

Sie würde ihn zweifellos mit Briefen bombardieren, auf die zu antworten er natürlich nicht gewillt war. Aber er hoffte, daß sie allmählich dennoch zu der Erkenntnis gelangte, daß es für ihre Verbindung keine Chance mehr gab und es endgültig aus zwischen ihnen war.

»Ich werde das neue Gespann nehmen, wenn ich morgen mittag aufbreche«, beschloß der Marquis und schlief ein.

Der nächste Morgen jedoch machte dem Marquis einen dicken Strich durch die Rechnung.

Punkt acht Uhr zur üblichen Zeit betrat sein Diener das Schlafzimmer.

Der Marquis wollte ihm eben auftragen, dafür zu sorgen, daß sein Wagen in genau einer Stunde abfahrbereit vor dem Haus stehe, als Havers sagte: »Soeben wurde für Eure Lordschaft ein Schreiben aus dem Palast abgegeben.«

»Aus dem Palast?« fragte der Marquis erstaunt.

Havers reichte dem Marquis ein silbernes Tablett, auf dem ein weißes Kuvert mit dem Wappen des Königshauses lag.

Der Marquis fragte sich, was das bedeuten mochte.

Ein wenig neugierig öffnete er den Umschlag, entfaltete den Briefbogen und stellte fest, daß es sich um eine Nachricht des Privatsekretärs der Königin handelte.

Der Privatsekretär hatte den Brief eigenhändig unterzeichnet und teilte dem Marquis mit, daß Ihre Majestät ihm am heutigen Mittag eine Audienz gewähren werde.

Da der Marquis nicht um eine Audienz bei der Königin nachgesucht hatte, wußte er, daß es sich hier tun einen Befehl von allerhöchster Stelle handelte.

Mit einem Gefühl des Unbehagens sagte er sich, daß er mit einer solchen Aufforderung eigentlich hätte rechnen müssen.

Der Marquis, war ein sehr scharfsinniger und ungewöhnlich intelligenter Mann; ohne daß es ihm jemand hätte verraten müssen, war ihm klar, daß der Earl von Castleton hinter dem Ganzen steckte. Der Mann hatte einen subtileren Weg gefunden, sich an ihm zu rächen, als er es ihm ursprünglich angedroht hatte.

Der Marquis wußte, daß der Earl es nicht nötig gehabt hatte, zur Königin zu gehen und sie von dem Vorgefallenen zu unterrichten, um sein Ziel zu erreichen. Es hatte genügt, seinen Freund Lord Toddington ins Vertrauen zu ziehen, und er hatte sichergehen können, daß man an allerhöchster Stelle in kürzester Zeit genauestens über den Fehltritt des Marquis informiert sein würde.

Lord Toddington war Königlicher Kammerherr und galt in ganz London als Erzschwätzer und unerreichter Meisterzuträger. Er war innerhalb und außerhalb des Palastes gefürchtet wie eine Giftschlange, und man erzählte sich, daß es einfach nichts gebe, was er nicht an den Prinzgemahl oder an die Königin weitererzähle.

Verdammt, dachte der Marquis, als er die Zeilen überflog, ich wette, das ist Toddingtons Werk!

Natürlich war er sich darüber klar, daß er seinen Plan, die Stadt zu verlassen und aufs Land zu fahren, fürs Erste aufgeben mußte.

Während er sich sorgfältig für seinen Besuch im Buckingham-Palast ankleidete, kam er sich ein wenig vor wie ein Internatszögling, der zu seinem Direktor gerufen wurde, um sich dort eine Rüge abzuholen.

Die Königin hatte zweifellos auf Betreiben des Prinzgemahls schon des Öfteren unmißverständlich darauf hingewiesen, daß sie keine Duelle und Ehrenhändel mehr wünsche, obwohl ihre Einstellung allerorts auf große Kritik gestoßen war. Duelle waren bisher als die einzige Möglichkeit gehandhabt worden, einen Streit unter Gentlemen ohne großes Aufheben beizulegen. Schon George IV. hatte diesen Weg benutzt, und sein Nachfolger hatte ihn stillschweigend geduldet.

Hier und da war es vorgekommen, daß einer der Duellanten den Tod fand, aber dieses Ende einer Auseinandersetzung blieb die Ausnahme, und in einem solchen Fall war es üblich, daß der Sieger die Insel verließ und einige Monate auf dem Festland zubrachte, bis Gras über die Sache gewachsen war.

Der Marquis war ein viel zu guter Schütze, als daß ihm etwas Derartiges hätte zustoßen können: Er schoß seinem Kontrahenten in den Arm, und damit hatte es sich.

Ich hätte wissen müssen, daß Castleton zu der rachsüchtigen Sorte gehört, dachte der Marquis. Diese Leute wollen stets Genugtuung haben.

Da der Marquis eine gewisse Verärgerung nicht nur über die Handlungsweise des Earls, sondern auch über die Einmischung der Königin empfand, machte er seinem Unwillen dadurch Luft, daß er mit seiner Chaise zum Palast fuhr, die er obendrein auch noch selbst lenkte. Von einem Gentleman, der der Königin einen Besuch abstattete, wurde nämlich der Etikette gemäß erwartet, daß er in einem geschlossenen Wagen und nicht auf dem Kutschbock sitzend zur Audienz vorfuhr.

Der Marquis kutschierte die offene, zweirädrige Kalesche, die von einem Paar feuriger Rappen gezogen wurde, durch das Eisentor mit den zwei Wachen.

Unter dem Säulenvorbau hielt er die Tiere an und warf seinem Pferdeknecht die Zügel zu. Mit einem eleganten Satz sprang er aus dem Wagen und ging aufrecht und gemessenen Schrittes durch das Portal, das zu den Audienzsälen führte.

Die Diener in ihrer königlichen Livree blickten ihm bewundernd nach. Der Marquis war kein Unbekannter für sie. Sie alle verfolgten die Siege seiner Pferde mit größtem Interesse, und sie alle verdankten den Farben des Weybourne-Gestüts manch ansehnlichen Wettgewinn.

Als der Marquis die mit einem roten Teppich belegte Treppe hinaufstieg, meinte einer der Lakaien zu seinem Nebenmann: »Ich wünschte, ich besäße den Schneid, den Marquis um einen guten Tip für Ascot zu bitten.«

»Ja, verflixt«, erwiderte der andere, »das wäre eine einmalige Gelegenheit.«

Aber die beiden verharrten reglos am Fuß der Treppe und beobachteten, wie der Marquis oben von zwei Adjutanten der Königin in Empfang genommen wurde.

Flankiert von den beiden Offizieren, schritt der Marquis den breiten Korridor entlang, der vor den Privatgemächern der Königin endete.

Hier empfing ihn der Majordomus, der ihm mit einer knappen Handbewegung einzutreten bedeutete.

Von den Gemächern aus hatte man einen herrlichen Blick über den Garten auf der Rückseite des Palastes, und der Marquis sah, nachdem er angemeldet worden und eingetreten war, daß die Sonne den Raum mit goldenem Glanz erfüllte.

Er näherte sich der Königin, die an der gegenüberliegenden Wand auf einem leicht erhöhten Thronsessel saß, und stellte fest, daß sie ihm mit ernster, unbeweglicher Miene entgegenblickte.

Kein Zweifel, er mußte auf eine unbehagliche Viertelstunde gefaßt sein.

Was die Königin betraf, so liebte sie schöne Männer. Allen am Hof war noch deutlich in Erinnerung, wie sehr sie in der ersten Zeit nach ihrer Thronbesteigung für den eleganten, aber moralisch ein wenig bedenklichen Lord Melbourne geschwärmt hatte.

Nun, da der Marquis näher kam, spürte sie den männlichen Charme, der von ihm ausging, und unwillkürlich dachte sie, daß es in Hofkreisen wohl keinen Mann gab, der so gut aussah wie er.

Das an den Schläfen leicht angegraute, dichtgewellte Haar, die markant geschnittenen edlen Züge und der athletische, sportgestählte Körper, an dem keine Unze überflüssiges Fett zu sehen war, hätten überall in der Welt Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich gezogen.

Vor allem die Frauen konnten sich der Faszination dieser Erscheinung nicht entziehen. Und die Königin war eine Frau.

Obwohl es ihr in diesem Augenblick nicht anzumerken war, beeindruckte sie dieser Mann. Und wie bei jeder anderen Frau wirkte die Sicherheit und Überlegenheit, mit der er auftrat, faszinierend auf sie. Nichts schien ihn einschüchtern oder aus der Fassung bringen zu können.

Er betrachtete die Welt und die Menschen aus der Distanz seiner zynischen Lebenseinstellung. Immer spielte ein überlegenes und zugleich amüsiertes Lächeln um seine Lippen, das seiner Umgebung völlige Unverwundbarkeit und Selbstsicherheit zu signalisieren schien.