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Beschreibung

Astronomen kundschaften die Vorgänge im All immer genauer aus. Mit Suchkampagnen möchten sie letzte Rätsel wie das der Dunklen Energie lösen. Doch je besser sie unsere galaktische Nachbarschaft kennen, umso mehr seltsame Beobachtungen und theoretische Schwierigkeiten rütteln an den Grundpfeilern der Kosmologie. Einige Forscher verabschieden sich bereits von lange akzeptierten Konzepten – etwa für die Entwicklung gleich nach dem Urknall oder die noch immer nicht aufgespürte Dunkle Materie – und wenden sich radikal anderen Ideen zu. Ambitionierte Theoretiker wagen sich sogar an die fundamentale Struktur von Raum und Zeit. Sie entwickeln neue Ansätze für die wohl größte Herausforderung der Physik: Quantenmechanik und Relativitätstheorie zu verbinden.

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Seitenzahl: 158

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EDITORIALELEGANZ TRIFFT AUF WIRKLICHKEIT

Von Mike Beckers, Redakteur dieses Hefts

[email protected]

Zu Beginn des Jahrtausends hat mich der Stringtheoretiker Brian Greene mit seinem Bestseller »Das elegante Universum« begeistert. Alles vom Urknall bis zur Teilchenphysik sei auf schwingende eindimensionale Strukturen sowie mikroskopisch eingerollte Extradimensionen zurückzuführen. Die komplizierte Mathematik dahinter verstand ich nicht, doch Greenes Euphorie überzeugte mich, es könne nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Physiker mit Hilfe der Stringtheorie die letzten Rätsel lösen.

Heute stelle ich ernüchtert fest: Die einzigen experimentell überprüfbaren Vorhersagen aus der Stringtheorie, nämlich das Auftreten bestimmter Teilchen in leistungsfähigen Beschleunigern, haben sich bislang nicht erfüllt. Und für das inzwischen entdeckte kosmische Phänomen der so genannten Dunklen Energie verrenkt man sich mit der Stringtheorie kaum weniger als im klassischen Weltbild. Genau wie die Anhänger des etablierten Standardmodells mussten die Stringtheoretiker angesichts neuer Beobachtungen ihre Konstruktionen anpassen. Das elegante Gedankengebäude bekam sperrige Anbauten.

Wenn Vertreter einer Theorie immer wieder an verschiedenen Parametern schrauben und zusätzliche Mechanismen erfinden, bis alles mit den Messdaten übereinstimmt, ist es leicht, das als eine Schwäche des Modells abzutun. Vielleicht führt die Suche nach einer eleganteren Alternative aber auch in die Irre. Pragmatisch gesprochen könnten wir ja zufrieden sein, wenn das Standardmodell trotz einiger noch zu entdeckender Teil­chen alle Vorgänge im Kosmos ganz passabel beschreibt.

Doch das tut es nicht. Schwarze Löcher sind das bekannteste Beispiel für Umstände, unter denen heute fundamentale Theorien hoffnungslos versagen. Im Zentrum dieser Gebilde liefert Einsteins Relativitätstheorie unendliche Werte, und in ihrer Umgebung widersprechen sie der Quantenmechanik. Wir brauchen ein Formelwerk ohne solche Inkonsistenzen.

Hier sieht es derzeit für die Stringtheorie wieder besser aus. Das verdankt sie Impulsen aus einem Gebiet, das in den letzten Jahren wegen erstaunlicher technischer Fortschritte boomt: der Quanteninformatik. Die Experten beider Fachrichtungen hoffen in einem Gemeinschaftsprojekt darauf, die mathematischen Entdeckungen ihrer jeweiligen Bereiche zu verbinden (S. 46). Möglicherweise führt das zu Ansätzen für eine Theorie der Quantengravitation und zu überprüfbaren Modellen für kosmische Rätsel – erste Ideen gibt es bereits bei der so genannten Dunklen Materie (S. 76). Das würde mich mit der Stringtheorie versöhnen und meine Ernüchterung erneut durch Zuversicht ersetzen.

Erwartungsvoll, Ihr

INHALT

STRUKTUR DES ALLS

URKNALL

INFLATION IN DER KRITIK

Hat sich der Kosmos kurz nach seiner Entstehung schlagartig enorm aufgebläht? Die Bedenken an diesem Modell wachsen.

Von Anna Ijjas, Abraham Loeb und Paul J. Steinhardt

LANIAKEA

UNSER KOSMISCHES ZUHAUSE

Die Milchstraße ist Teil eines Galaxiensuperhaufens, der eines der größten Gefüge im uns bekannten Universum bildet.

Von Noam I. Libeskind und R. Brent Tully

SUPERVOID

DIE GROSSE LEERE

Ein kalter Fleck auf der Karte der Hintergrundstrahlung deutet auf eine gewaltige Region im All hin, die kaum Materie enthält.

Von István Szapudi

GERÜST DER RAUMZEIT

EMPIRIE

DIE QUANTENGRAVITATION AUF DEM WEG ZUR WISSENSCHAFT

Lange entzogen sich die Modelle zur Schwerkraft auf Quantenebene einer Untersuchung. Doch Effekte könnten sich bald feststellen lassen.

Von Sabine Hossenfelder

WURMLÖCHER

VERSCHRÄNKTE SCHWARZE LÖCHER

Möglicherweise sind seltsame Verknüpfungen aus der Quantenmechanik mit Raumzeit-Abkürzungen aus der Relativitätstheorie verwandt.

Von Juan Maldacena

GRAVITATIONSTHEORIE

MIT QUANTENBITS ZUR RAUMZEIT

Physiker untersuchen in einem Gemeinschaftsprojekt, wie kosmische Phänomene mit subatomaren Gesetzen zusammenhängen.

Von Clara Moskowitz

AUFBRUCH INS UNSICHTBARE

KOSMOLOGIE

BRISANTE DUNKLE ENERGIE

Eine geheimnisvolle Kraft treibt das Universum auseinander – mit ungewissem Ausgang.

Von Adam G. Riess und Mario Livio

ASTRONOMIE

DAS DUNKELSTE GEHEIMNIS

Mit Experimenten wollen Physiker der Ursache der beschleunigten Expansion des Kosmos nachspüren.

Von Joshua Frieman

INTERFEROMETRIE

GRAVITATIONSWELLEN NACHGEWIESEN

Forscher haben Verzerrungen der Raumzeit erstmals direkt gemessen. Damit werden zukünftig völlig neue Blicke ins Universum möglich.

Von Felicitas Mokler

DUNKLE MATERIE

DER VERBORGENE KOSMOS

Viele Beobachtungen legen nahe, dass es neben den sichtbaren Teilchen noch eine andere Komponente geben müsste. Dafür stehen einige Kandidaten bereit.

Von Bogdan A. Dobrescu und Don Lincoln

MOND-HYPOTHESE

GEGENWIND FÜR DIE DUNKLE MATERIE

Die meisten Physiker glauben an die Wirkung noch unentdeckter Massen. Ein Kollege widerspricht – und belebt mit neuen Ansätzen eine alte Debatte.

Von Natalie Wolchover

EDITORIAL

IMPRESSUM

Titelbild: iStock / sakkmesterke;

KOSMOLOGIEINFLATIONSMODELL IN DER KRITIK

Die meisten Astronomen nehmen an, direkt nach dem Urknall habe sich das Universum schlagartig enorm aufgebläht.

Doch neue Messungen und theoretische Bedenken erschüttern die Grundlagen dieser Hypothese.

AUF EINEN BLICKZEIT FÜR EINE ANDERE KOSMOLOGIE

1 Neuere Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung wecken Zweifel am gängigen Inflationsmodell, das am Beginn des Universums eine kurze Phase rapider Aufblähung postuliert.

2 Denn das passt nicht gut zum Muster der Temperaturunterschiede in der Hintergrundstrahlung. Außerdem müsste die Inflation urtümliche Gravitationswellen erzeugen – die bisher nicht nachgewiesen wurden.

3 Angesichts der Beobachtungsdaten sollten die Kosmologen das herrschende Paradigma überdenken und andere Modelle für die Anfänge des Alls in Betracht ziehen.

Am 21. März 2013 präsentierte die Europäische Weltraumorganisation in einer internationalen Pressekonferenz die neuesten Resultate des Planck-Weltraumteleskops. Der Satellit hatte mit bislang unerreichter Detailgenauigkeit die unmittelbar nach dem Urknall vor mehr als 13 Milliarden Jahren ausgesandte kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung vermessen. Wie die Veranstalter den Journalisten mitteilten, erhärten die neuen Daten eine Theorie, die den Kosmologen seit drei Jahrzehnten lieb und teuer ist. Ihr zufolge gab es direkt nach dem Urknall eine kurze Phase extrem beschleunigter Expansion, die so genannte kosmische Inflation. Die plötzliche Aufblähung bügelte quasi das Universum so gründlich aus, dass der Weltraum noch Milliarden Jahre später überall und in jeder Richtung nahezu gleichförmig ist – und obendrein »flach«, das heißt nicht im Großen gekrümmt wie die Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel oder eine Sattelfläche. Auf dieser eintönigen Bühne treten nur winzige Unterschiede in der Konzentration der Materie auf; sie stellen die bekannte Hierarchie von Sternen, Galaxien und Galaxienhaufen dar.

Die Kernaussage der Pressekonferenz war: Die Planck-Daten passen perfekt zu den einfachsten Inflationsmodellen. Das verstärkte den Eindruck, die Theorie sei fest etabliert und weitere kosmologische Debatten würden sich erübrigen. Wir drei diskutierten diese Aussage am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge (Massachusetts). Ijjas war damals eine deutsche Gaststudentin. Steinhardt verbrachte gerade ein Sabbatjahr an der Harvard University; er hatte das Inflationsmodell in den 1980er Jahren mitbegründet, äußerte aber später ernste Zweifel an seiner theoretischen Basis. Loeb war als Leiter der Astronomieabteilung der Harvard University unser Gastgeber. Übereinstimmend lobten wir die ungemein präzisen Beobachtungen des Planck-Teams, ohne jedoch die Interpretation der Ergebnisse zu teilen. Nach unserer Überzeugung sprechen die Daten eher gegen die einfachen Inflationsmodelle und verschärfen die hartnäckigen Probleme der Theorie. Es gibt gute Gründe, konkurrierende Ideen über Ursprung und Entwicklung des Universums in Betracht zu ziehen.

Seither haben das Planck-Weltraumteleskop und andere Instrumente noch präzisere Daten geliefert, die unseren Standpunkt unterstützen. Dennoch weigern sich die meisten Kosmologen, die Inflationstheorie unvoreingenommen zu betrachten und deren Kritiker ernst zu nehmen. Die Mehrheit meint, sie liefere die einzige einfache Erklärung für die beobachteten Eigenschaften des Universums. Doch in Wahrheit erschüttern die Planck-Daten diese Behauptung; hinzu kommen theoretische Mängel.

Die Inflationstheorieim Licht der neuen Satellitendaten

Um die Schwächen des Modells zu demonstrieren, wollen wir zunächst annehmen, es treffe zu und die Inflation habe tatsächlich stattgefunden. Was genau folgt daraus für die weitere Entwicklung des Universums? Wenn das Modell wirklich eine simple Erklärung der Welt liefert, müssen wir damit die Befunde des Planck-Teleskops einigermaßen vorhersagen können.

Zu einem gewissen Zeitpunkt gleich nach dem Urknall gab es also in einem winzigen Raumgebiet eine exotische Energieform, die eine rapide beschleunigte Expansion dieses Gebiets auslöste. Die meisten in Materie und Strahlung enthaltenen Energieformen verlangsamen die Ausdehnung des Universums, weil die Gravitationsanziehung bremst. Die Inflation verlangt hingegen, dass das All anfangs von einer hochverdichteten Energie mit abstoßender Wirkung erfüllt war, welche die Expansion verstärkte und beschleunigte. Allerdings ist diese inflationäre Energie eine reine Hypothese, für die es kein direktes Indiz gibt. In den vergangenen 35 Jahren haben Forscher Hunderte von Vorschlägen für das Wesen der Inflationsenergie gemacht, aus denen höchst unterschiedliche Werte für Beschleunigung und Ausdehnung folgen. Ganz offensichtlich ist die Inflation keine präzise Theorie, sondern ein flexibler Rahmen, in den viele Möglichkeiten passen.

Was lässt sich unabhängig von der speziellen Art der Inflationsenergie über alle Modelle sagen? Aus unserem Grundwissen über die Quantenphysik können wir schließen, dass Temperatur und Materiedichte nach dem Ende der Inflation örtlich ein wenig variieren mussten. Aus zufälligen subatomaren Dichtefluktuationen der Inflationsenergie entstanden durch den plötzlichen Wachstumsschub astronomisch große Regionen unterschiedlicher Energie. Der Theorie zufolge endete die beschleunigte Expansion, als die Inflationsenergie in gewöhnliche Materie und Strahlung zerfiel. Dort, wo die Dichte der Inflationsenergie etwas größer war, dauerte die beschleunigte Expansion ein wenig länger, und an diesen Orten des Universums lagen Dichte und Temperatur nach dem Zerfall der Inflationsenergie etwas höher. So entstand aus den Quantenfluktuationen der Inflationsenergie ein Muster von etwas wärmeren und kälteren Flecken in der kosmischen Hintergrundstrahlung, das noch heute von der Inflationsphase kündet. In den folgenden 13,8 Milliarden Jahren kondensierten die winzigen Dichte- und Temperaturunterschiede unter dem Einfluss der Gravitation zu einem Muster von Galaxien und großräumigen Strukturen.

Ein Schnappschuss des frühen Universums

Das Planck-Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumorganisation hat die bislang genaueste Karte der kosmischen Hintergrundstrahlung geliefert, ein Bild vom Kosmos kurz nach seiner Entstehung. Die blauen und roten Flecken bezeichnen Gebiete geringerer und höherer Strahlungstemperatur; sie geben indirekt Auskunft über die Verhältnisse kurz nach dem Urknall. Die Verfechter des Inflationsmodells behaupten, der Kosmos habe sich damals plötzlich aufgebläht und das beobachtete Fleckenmuster stütze dieses Modell. Tatsächlich lassen sich aus der Inflationstheorie fast beliebige Verteilungen herleiten – vorzugsweise solche, bei denen die Temperatur stärker variiert als auf der Karte des Planck-Teleskops. Außerdem suchen Forscher in der Hintergrundstrahlung bisher vergeblich nach Anzeichen für urtümliche Gravitationswellen, die bei einer inflationären Dehnung der Raumzeit hätten entstehen müssen. Die aktuelle Datenlage lässt weiterhin alternative Modelle zu.

Das klingt plausibel, wenngleich etwas vage. Können wir auf Grund dieses Szenarios die Anzahl und räumliche Verteilung der Galaxien vorhersagen? Die Krümmung des Raums? Die Menge der Materie oder anderer Energieformen, aus denen das heutige Universum besteht? Nein. Die Inflation ist eine derart flexible Idee, dass sie jedes Ergebnis zulässt. Erklärt sie dann, warum der Urknall stattfand oder wie das anfängliche Raumstück erzeugt wurde, aus dem schließlich das heute beobachtete Universum hervorging? Auch darauf lautet die Antwort nein.

Aus dem Inflationsmodell lässt sich nicht viel über die warmen und kalten Flecken vorhersagen, die der Planck-Satellit vermessen hat. Das beobachtete Fleckenmuster erweist sich als selbstähnlich oder »skaleninvariant«: Seine körnige Struktur bleibt bei immer stärkerer Vergrößerung fast dieselbe. Nach den neuesten Planck-Daten beträgt die Abweichung von perfekter Skaleninvarianz bloß wenige Prozent, und die durchschnittliche Temperatur der Flecken variiert nur um 0,01 Prozent. Verfechter der Inflation betonen gern, es sei möglich, ein derartiges Muster zu erzeugen. Doch dabei verschweigen sie einen wichtigen Punkt: Die Inflation lässt viele andere Muster zu, die nicht nahezu skaleninvariant sind und viel größere Temperaturunterschiede aufweisen. Das heißt, Skaleninvarianz ist möglich, aber ebenso auch eine große Abweichung von ihr, sowie allerlei dazwischen; das hängt ganz von den Details der angenommenen Inflationsenergiedichte ab. Deshalb können die Planck-Daten nicht als Bestätigung der Inflation herhalten.

Es gibt ein weiteres Indiz, das wir ziemlich sicher in den Planck-Daten finden müssten, da alle einfachen Varianten des Inflationsszenarios darin übereinstimmen. Die urtümlichen Quantenfluktuationen erzeugen nicht nur Zufallsschwankungen der Inflationsenergie, sondern auch zufällige Raumverzerrungen, die sich am Ende der Inflationsphase als Gravitationswellen durch das All ausbreiten. Sie verursachen ebenfalls warme und kalte Flecken im kosmischen Strahlungshintergrund, die sich aber durch einen deutlichen Polarisationseffekt auszeichnen. Das heißt, die Gravitationswellen zwingen der elektromagnetischen Strahlung eine bevorzugte Schwingungsrichtung auf, die davon abhängt, ob die Strahlung von einer warmen oder kalten Stelle oder von einem Ort dazwischen ausgeht.

Leider blieb die Suche nach inflationären Gravitationswellen bisher erfolglos. Seit die Kosmologen 1992 mit dem Satellit COBE der NASA erstmals warme und kalte Flecken in der Hintergrundstrahlung entdeckten, haben sie deren Vermessung bis zu neueren Planck-Daten von 2015 immer mehr verfeinert. Dennoch finden sie trotz intensiver Suche keinerlei Anzeichen für Gravitationswellen aus der Ära der kosmischen Inflation. Zwar verkündeten Forscher des BICEP2-Experiments am 17. März 2014, sie hätten kosmische Gravitationswellen nachgewiesen, doch stellte sich bald heraus, dass sie nur einen vom Staub der Milchstraße verursachten Polarisationseffekt beobachtet hatten (siehe »Wellenschlag des Urknalls« von Lawrence M. Krauss, Spektrum März 2015, S. 46). Wohlgemerkt, diese Suche hat nichts mit den im heutigen Universum durch die Vereinigung Schwarzer Löcher erzeugten Gravitationswellen zu tun, die das LIGO-Observatorium 2015 entdeckte.

Es ist bemerkenswert, dass der Planck-Satellit einerseits eine unerwartet geringe Abweichung von der perfekten Skaleninvarianz des Fleckenmusters findet und andererseits trotz intensiver Suche keine kosmischen Gravitationswellen. Damit fehlt den einfachsten Inflationsmodellen, obwohl sie längst in Lehrbüchern stehen, der Beleg durch Beobachtungen. Natürlich haben sich die Theoretiker beeilt, das Inflationsszenario flugs zurechtzuflicken, aber das führt nur zu obskuren Modellen für die Inflationsenergie und schafft neue Probleme.

Zwei Versionen der Inflationstheorie

In den üblichen Szenarien wird die Inflation durch ein hypothetisches »Inflatonfeld« verursacht, das kurz nach dem Urknall den Raum erfüllte. Verschiedene Varianten der Theorie postulieren unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Feldstärke und Energiedichte des Inflatonfelds. Hier sind zwei solche Verläufe in einem Diagramm kombiniert. Die blaue Kurve (links) entspricht der üblichen Lehrbuchversion. Die rote Kurve (rechts) erfordert sehr spezielle Anfangsbedingungen und erscheint darum weniger plausibel. Der Vergleich mit zwei Schipisten verdeutlicht, warum die zweite Variante unwahrscheinlicher ist, obwohl sie besser zu den neuen Daten passt als die erste.

1Herkömmliche Variante

Die einfache Abfahrt entspricht dem ursprünglichen Inflationsmodell, das mit wachsender Feldstärke eine steile Zunahme der Energiedichte vorsieht. Die Inflation setzt bei einem hohen Anfangswert der Inflationsenergie ein, symbolisiert durch das obere Ende des Schilifts, und führt glatt ins Tal. Die Planck-Daten widersprechen diesem Modell jedoch.

2Plateaumodell

Neue Versionen erfordern hingegen höchst unwahrscheinliche Anfangsbedingungen: Das Inflatonfeld muss zur rechten Zeit einen ganz bestimmten Wert annehmen, damit die Inflation beginnen kann. Das entspricht einem Schifahrer, der vom Helikopter abspringen und auf einem präzisen Punkt des Plateaus landen muss. Dann folgt eine besonders schwierige Talfahrt.

Eine Schifahrt über die Pisten des Inflatonfelds

Um die Bedeutung der Planck-Messungen richtig einzuschätzen, wollen wir die gängigen Inflationsmodelle näher betrachten, ohne ihre Mängel zu beschönigen. Die Inflationsenergie soll aus einem hypothetischen Feld namens Inflaton hervorgehen, das den Raum erfüllt und an jedem Punkt eine bestimmte Stärke besitzt. Damit das Inflaton eine beschleunigte Expansion des Alls verursacht, postulieren die Theoretiker, es wirke wie eine abstoßende Schwerkraft. Die lokale Stärke des Inflatonfelds bedingt die jeweilige Inflationsenergiedichte. Die Beziehung zwischen Feldstärke und Energiedichte lässt sich als hügelige Kurve darstellen (siehe »Zwei Versionen der Inflationstheorie«, links). Jedes der vielen Inflationsmodelle ergibt eine Hügellandschaft, welche die Eigenschaften des Alls nach dem Ende der Inflation festlegt – insbesondere, ob das Universum wie das unsere nicht gekrümmt ist und fast skaleninvariante Temperatur- und Dichteunterschiede aufweist.

Seit der Veröffentlichung der Planck-Daten stehen die Kosmologen vor einer Situation, die folgendem Szenario ähnelt: Angenommen, Sie leben in einem schwer zugänglichen Dorf, das von hohen Bergen umschlossen ist und in dem jeder jeden kennt. Doch eines Wintertags taucht ein Fremder auf, und nun rätseln die Einwohner, wie er ins Dorf gelangt sein kann. Die meisten meinen, der Fremde habe Schier benutzt. Es gibt aber nur zwei, höchst unterschiedlich schwere Abfahrten ins Dorf.

Die leichtere Piste ist mit einem Schilift ausgestattet, führt gleichmäßig bergab, bietet freie Sicht und gute Schneeverhältnisse. Ganz anders die zweite Abfahrt: Sie beginnt auf einem flachen Plateau, das plötzlich in eine Steilwand übergeht; es gibt keinen Lift, und obendrein herrscht Lawinengefahr. Wer unbedingt diese Abfahrt wagen will, muss mit dem Fallschirm aus einem Hubschrauber abspringen und punktgenau und mit exakt passender Geschwindigkeit auf einer bestimmten Stelle des Plateaus landen. Der kleinste Fehler lässt den Schifahrer in ein Nebental abstürzen oder auf dem Plateau steckenbleiben; schlimmstenfalls erfasst ihn eine Lawine.

Sofern die Überzeugung der Dorfbewohner zutrifft, dass der Fremde auf Schiern gekommen ist, drängt sich unweigerlich der Schluss auf, er habe die leichte Piste benutzt. Doch dann fällt ihnen auf: Der Fremde trägt keine Liftkarte bei sich! Das zwingt zu der unwahrscheinlichen Folgerung, dass er die schwierige Abfahrt genommen hat – oder gar nicht auf Schiern unterwegs war.

Wenn wir analog glauben, das Universum hätte sich mittels Inflation zu seinem gegenwärtigen Zustand entwickelt, erwarten wir eine einfache Kurve der Inflationsenergiedichte: überall gleichmäßig, möglichst wenige freie Parameter und weitgehend unabhängig von den Anfangsbedingungen. Tatsächlich präsentieren fast alle Lehrbücher der Inflationskosmologie derart simple, glatte Kurven. Insbesondere nimmt bei solchen Verläufen die Energiedichte mit wachsender Feldstärke stetig zu. Das ermöglicht einen Anfangswert des Inflatonfelds, bei dem die Inflationsenergiedichte der so genannten Planck-Dichte entspricht; sie bezeichnet die Gesamtenergiedichte unmittelbar nach dem Urknall und ist 10120-mal so hoch wie heute. Unter dieser günstigen Anfangsbedingung gibt es nichts als Inflationsenergie, und die beschleunigte Expansion setzt sofort ein. Im weiteren Verlauf nimmt die Energiedichte langsam und gleichmäßig ab, bis sie am Ende der undramatischen Talfahrt ein Minimum erreicht, das unserem heutigen Universum entspricht. Das Inflatonfeld gleitet problemlos längs der Kurve bergab wie unser Schiläufer auf der leichten Anfängerpiste. Das ist zumindest die klassische Lehrbuchversion der Inflationsgeschichte.

Doch laut den Beobachtungen des Planck-Teleskops kann diese Geschichte nicht stimmen. Einfache Inflationskurven erzeugen einerseits warme und kalte Flecken, die deutlicher von der Skaleninvarianz abweichen als beobachtet, und andererseits Gravitationswellen, deren Stärke für einen Nachweis ausreichen müsste. Falls wir auf dem Inflationsmodell beharren, folgt aus den Daten eine komplizierte Kurve für die Energiedichte des Inflatonfelds, die der schwierigen Schiabfahrt gleicht. Diese Energiekurve steigt von ihrem Minimum aus nicht gleichmäßig an, sondern als steile Klippe, die oben plötzlich in ein flaches Plateau übergeht. Die dort herrschende Energiedichte ist billionenfach kleiner als die unmittelbar nach dem Urknall verfügbare Planck-Dichte und reicht somit bei Weitem nicht aus, eine sofortige Inflation des Universums zu verursachen.

Da die Inflation ausbleibt, kann das Inflatonfeld mit jedem beliebigen Ausgangswert starten und sich in halsbrecherischem Tempo verändern – wie der vom Helikopter abspringende Schifahrer. Die Inflation beginnt erst, wenn das Inflatonfeld schließlich einen Wert annimmt, der einem Punkt auf dem Plateau entspricht, und sich danach nur sehr langsam ändert. So wie es dem Schifahrer kaum gelingt, nach dem Absprung aus großer Höhe mit der richtigen Geschwindigkeit auf dem flachen Plateau zu landen, um die Abfahrt stetig fortzusetzen, so ist es dem Inflatonfeld fast unmöglich, just so schnell auf exakt den richtigen Wert zu fallen, dass die Inflation beginnen kann.

Das ist noch nicht alles. Da das Universum sich nicht gleich nach dem Urknall inflationär ausdehnt, unterbleibt anfangs das für die Inflation typische Ausbügeln räumlicher Inhomogenitäten. Das bedeutet, im gesamten Univer-sum nehmen alle anfänglichen Ungleichmäßigkeiten der Energieverteilung weiter zu; ab einer gewissen Größe ver-hindern sie – unabhängig von der Entwicklung des Infla-tons – den Start der Inflation. Das gleicht einem Lawinen-unglück, das den Schifahrer an der Abfahrt hindert, ob-wohl ihm der Absprung vom Helikopter gelungen ist.

Zusammengefasst heißt das: Sofern man am Inflationsmodell festhält, zwingen die Planck-Daten zu dem seltsamen Schluss, dass die Inflation mit einer plateauförmigen Energiedichtekurve begann – trotz aller damit verbundenen Probleme. Sollte man da nicht lieber das ganze Inflationsmodell in Frage stellen?

Statt blind an die Inflation zu glauben, sollten die Kosmologen die Theorie daran messen, wie gut sie zu den beobachteten Eigenschaften des Universums passt. So gesehen gibt es zu denken, dass die verfügbaren Daten die einfachsten Inflationsmodelle ausschließen und nur unwahrscheinlich komplizierte zulassen. Außerdem verschärfen die neuesten Beobachtungen gewisse Probleme, welche die Inflationstheorie seit jeher plagen.

Passendes Raumgebiet verzweifelt gesucht