Die Stunde der Schuld - Nora Roberts - E-Book
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Die Stunde der Schuld E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Sie änderte ihren Namen, sie änderte ihr Leben – aber jemand will sie nicht gehen lassen ...

Naomi Carson war elf, als sie ihrem Vater eines Nachts in den Wald folgte. Sie vermutete dort ihr Geburtstagsgeschenk, ein neues Fahrrad. Stattdessen machte sie eine grausige Entdeckung, die ihre Welt zerbrechen ließ – denn ihr Vater war nicht der Mann, für den ihn alle hielten. Trotz allem wuchs Naomi zu einer starken jungen Frau heran und bereiste als erfolgreiche Fotografin die Welt. Nun hat sie beschlossen, ihr unstetes Leben aufzugeben und endlich sesshaft zu werden. Sie verliebt sich in ein altes Haus an der Küste – und in den attraktiven Xander Keaton, doch als im Wald bei ihrem Haus eine Frauenleiche auftaucht, scheint der Albtraum von Neuem zu beginnen …

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Buch

Naomi Carson war elf, als sie ihrem Vater eines Nachts in den Wald folgte. Sie vermutete dort ihr Geburtstagsgeschenk, ein neues Fahrrad. Stattdessen machte sie eine grausige Entdeckung, die ihre Welt zerbrechen ließ – denn ihr Vater war nicht der Mann, für den ihn alle hielten. Trotz allem wuchs Naomi zu einer starken jungen Frau heran und bereiste als erfolgreiche Fotografin die Welt. Nun hat sie beschlossen, ihr unstetes Leben aufzugeben und endlich sesshaft zu werden. Sie verliebt sich in ein altes Haus an der Küste – und in den attraktiven Xander Keaton, doch als im Wald bei ihrem Haus eine Frauenleiche auftaucht, scheint der Albtraum von Neuem zu beginnen …

Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane. Von Nora Roberts bei Blanvalet bereits erschienen:

Mitten in der Nacht ∙ Das Leuchten des Himmels ∙ Ein Haus zum Träumen ∙ Im Sturm der Erinnerung ∙ Im Schatten der Wälder ∙ Die letzte Zeugin ∙ Ein dunkles Geschenk

Die Irland-Trilogie: Töchter des Feuers ∙ Töchter des Windes ∙ Töchter der See

Die Templeton-Trilogie: So hoch wie der Himmel ∙ So hell wie der Mond ∙ So fern wie ein Traum

Die Sturm-Trilogie: Insel des Sturms ∙ Nächte des Sturms ∙ Kinder des Sturms

Die Insel-Trilogie: Im Licht der Sterne ∙ Im Licht der Sonne ∙ Im Licht des Mondes

Die Zeit-Trilogie: Zeit der Träume ∙ Zeit der Hoffnung ∙ Zeit des Glücks

Die Ring-Trilogie: Grün wie die Hoffnung ∙ Blau wie das Glück ∙ Rot wie die Liebe

Die Nacht-Trilogie: Abendstern ∙ Nachtflamme ∙ Morgenlied

Die Stern-Trilogie: Sternenregen · Sternenfunken · Sternenstaub

Die Blüten-Trilogie: Rosenzauber ∙ Lilienträume ∙ Fliedernächte

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.instagram.com/blanvalet.verlag

Nora Roberts

Die Stunde der Schuld

Roman

Deutsch von Margarethe van Pée

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »The Obsession« bei Berkley, an imprint of Penguin Random House LLC, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2016 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe

© 2017 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Leena Flegler

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagabbildungen: Mauritius Images/Teo Moreno Moreno/Alamy;

www.buerosued.de

LH · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-20168-5V003

www.blanvalet.de

Für Elaine, Jeanette, JoAnne, Kat, Laura, Mary, Mary Kay, Nicole, Pat und Sarah – und die eine traumhaft schöne Woche im Jahr, wenn wir alle zusammen sind.

Belichtung

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort …

Korinther 13,12

1

29. August 1998

Sie hätte nicht sagen können, was sie geweckt hatte, und ganz gleich, wie oft sie die Nacht in Gedanken wieder durchlebte, ganz gleich, wohin der Albtraum sie jedes Mal jagte, sie kam nie dahinter.

Der Sommer verwandelte die Luft in nassen, brodelnden Eintopf: einen Eintopf, der nach Schweiß und aufgeweichtem Grünzeug roch. Der summende Ventilator auf ihrer Kommode rührte lediglich darin herum, trotzdem war es, als schliefe man in dem Dampf, der aus dem Topf aufstieg.

Aber sie war daran gewöhnt, auf sommerfeuchter Bettwäsche zu liegen, bei weit geöffneten Fenstern, durch die das unermüdliche Zirpen der Grillen drang – in der schwachen Hoffnung, dass eine leichte Brise durch die Jalousien wehen würde.

Es war nicht die Hitze, die sie weckte, auch nicht das leise Donnergrollen des Gewitters, das sich in der Ferne zusammenbraute. Naomi war mit einem Mal hellwach, als hätte jemand sie geschüttelt oder ihr ins Ohr geschrien.

Sie setzte sich auf, blinzelte in die Dunkelheit und hörte trotzdem nichts außer dem Surren des Ventilators, dem hohen Gesang der Zikaden und dem trägen, wiederholten Schu-hu einer Eule: alles ländliche Sommergeräusche, die sie so gut kannte wie ihre eigene Stimme. Kein Grund also für dieses bange Gefühl, das ihr auf einmal die Kehle zuschnürte.

Wach spürte sie plötzlich die Hitze, wie in heißes Wasser getauchte Gaze legte sie sich um jeden Körperteil. Sie wünschte sich, es wäre bereits Morgen und sie könnte sich hinausschleichen und sich im Fluss abkühlen, bevor die anderen wach würden.

Aber zuerst die Pflicht, so lautete die Regel. Nur war es soheiß, dass sie das Gefühl hatte, die Luft wie einen Vorhang auseinanderziehen zu müssen, um überhaupt einen Schritt vor den anderen setzen zu können. Und es war Samstag (oder würde es alsbald sein), und manchmal lockerte Mama an Samstagen die Regeln ein bisschen – sofern Daddy gute Laune hatte.

Auf einmal grollte der Donner. Entzückt sprang sie aus dem Bett und stürzte ans Fenster. Sie liebte Gewitter. Wie sich die Bäume im auffrischenden Wind bewegten, wie der Himmel dunkel und unheimlich wurde, wie die Blitze zuckten und leuchteten.

Vielleicht würde dieses Gewitter ja Regen, Wind und kühlere Luft bringen. Vielleicht …

Sie stützte die Arme auf das Fensterbrett und richtete den Blick fest auf die Mondsichel, die dunstig durch die Hitze und die Wolken schimmerte.

Vielleicht …

Sie wünschte es sich so sehr – ein Mädchen, das in zwei Tagen zwölf würde, aber immer noch an Wünsche glaubte. Ein schweres Gewitter, dachte sie, mit Blitzen und Donner wie Kanonengrollen.

Und einer Unmenge Regen.

Sie schloss die Augen, hob ihr Gesicht und versuchte, die Luft zu riechen. Dann stützte sie das Kinn auf und musterte die Schatten.

Wieder wünschte sie sich, es wäre bereits Morgen, und da Wünsche nichts kosteten, wünschte sie sich auch gleich, es wäre schon der Morgen ihres Geburtstags. Sie wünschte sich so sehr ein neues Fahrrad. Sie hatte diesbezüglich unzählige Andeutungen fallen gelassen.

Sie stand eine Weile da, in ihrem Sabrina-total-verhext-T-Shirt, ein großes, schlaksiges Mädchen, dem – obwohl sie es täglich überprüfte – immer noch keine Brüste wuchsen. In der Hitze klebten ihr die Haare im Nacken. Sie schob sie über die Schulter. Am liebsten hätte sie sie kurz geschnitten – so richtig kurz, wie diesen Pixie-Schnitt in ihrem Märchenbuch, das die Großeltern ihr geschenkt hatten, bevor sie einander nicht mehr hatten treffen dürfen.

Aber Daddy fand nun mal, Mädchen müssten lange Haare haben und Jungen kurze. Deshalb wurden ihrem kleinen Bruder in Vick’s Barbershop in der Stadt auch regelmäßig die Haare geschnitten, während sie selbst ihr Haar nur zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden durfte.

Andererseits wurde Mason ihrer Meinung nach ohnehin maßlos verwöhnt, weil er eben ein Junge war. Er hatte einen Basketballkorb mit Korbbrett und einen offiziellen Wilson-Basketball zum Geburtstag bekommen. Und er durfte in der Little League Baseball spielen, was nach Daddys Regeln ebenfalls nur Jungen vorbehalten war (und das rieb Mason ihr auch ständig unter die Nase), und da er dreiundzwanzig Monate jünger war (das wiederum rieb sie ihm immer unter die Nase), hatte er auch nicht so viele Pflichten.

Es war nicht fair, aber wenn sie das laut sagte, bekam sie nur umso mehr Pflichten auferlegt und riskierte ein Fernsehverbot.

Aber all das war ihr egal – solange sie nur ein neues Fahrrad bekäme!

Es blitzte leicht auf – nur ein schwaches Schimmern tief am Himmel. Es würde kommen, sagte sie sich. Das Wunschgewitter würde kommen und Kühle und Nässe mit sich bringen. Wenn es in Strömen regnete, würde sie im Garten kein Unkraut jäten müssen.

Die Vorstellung begeisterte sie so sehr, dass sie beinahe das nächste Aufblitzen verpasst hätte. Allerdings war es diesmal kein Blitz. Es war der Strahl einer Taschenlampe.

Ihr erster Gedanke war, dass jemand hier herumstrolchte und womöglich sogar versuchen wollte einzubrechen. Sie war schon drauf und dran, zu ihrem Vater zu rennen.

Doch dann sah sie, dass es ihr Vater war. Er bewegte sich vom Haus weg in Richtung Waldrand, schnell und zielsicher im Schein der Taschenlampe.

Vielleicht lief er gerade zum Fluss, um sich dort abzukühlen? Würde er böse werden, wenn sie jetzt auch dort hinginge? Wenn er gute Laune hätte, würde er lachen.

Sie überlegte nicht lange, griff zu ihren Flip-Flops, steckte ihre kleine Taschenlampe ein und huschte aus dem Zimmer.

Sie wusste genau, welche Stufen knarrten – das wussten alle –, und vermied sie schon aus alter Gewohnheit. Daddy mochte es nicht, wenn sie oder Mason nach dem Schlafengehen noch mal runterliefen, um etwas zu trinken.

Erst an der Hintertür schlüpfte sie in ihre Flip-Flops, dann zog sie die Tür gerade so weit auf, dass sie nicht quietschte, und schlich hinaus.

Eine Minute lang befürchtete sie, sie hätte den Lichtstrahl aus den Augen verloren, aber dann sah sie ihn wieder und lief ihm nach. Sie würde sich so lange nicht zeigen, bis sie die Laune ihres Vaters abschätzen könnte.

Er entfernte sich vom flachen Band des Flusses und bewegte sich tiefer in den Wald hinein.

Wohin war er unterwegs? Neugier trieb sie an und die Aufregung, mitten in der Nacht durch den Wald zu laufen. Das Donnergrollen und die zuckenden Blitze trugen zu dem Abenteuer bei.

Sie hatte keine Angst, auch wenn sie sonst nie so tief in den Wald vordrang, weil es ihr verboten worden war. Würde sie dabei ertappt, würde ihre Mutter ihr das Fell gerben, also ließ sie sich besser nicht erwischen.

Ihr Vater bewegte sich schnell und mit sicheren Schritten. Offensichtlich wusste er genau, wohin er ging. Sie hörte das Rascheln des trockenen Laubs unter seinen Stiefeln und blieb ein ganzes Stück zurück, damit er sie nur ja nicht hörte.

Ein lautes Kreischen ließ sie zusammenzucken. Sie schlug die Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu unterdrücken. Nur eine Eule auf nächtlicher Jagd.

Wolken verdeckten den Mond. Sie wäre beinahe gestolpert, als sie mit dem nackten Zeh gegen einen Stein stieß, und wieder schlug sie die Hand vor den Mund, diesmal jedoch, um einen leisen Schmerzensschrei zu ersticken.

Als ihr Vater stehen blieb, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie stand stocksteif da, wie eine Statue, und traute sich kaum zu atmen. Zum ersten Mal fragte sie sich, was sie tun sollte, wenn er sich jetzt umdrehte und auf sie zukäme. Rennen könnte sie nicht, dachte sie, das würde er ganz sicher hören. Vielleicht könnte sie ins Gebüsch kriechen und sich dort verstecken? Und einfach hoffen, dass dort keine Schlangen schliefen?

Als er weiterlief, blieb sie noch einen Augenblick lang stehen. Womöglich sollte sie besser nach Hause gehen, bevor sie ernsthafte Schwierigkeiten bekäme. Doch das Licht wirkte auf sie wie ein Magnet und zog sie geradezu magisch an.

Einen Moment lang schwankte es auf und ab. Sie hörte ein Knacken und Kratzen, und irgendwas quietschte – wie die Hintertür ihres Hauses.

Und plötzlich war das Licht verschwunden.

Sie stand inmitten des dunklen Waldes, atmete flach, und trotz der heißen, schweren Luft kroch Kälte über ihre Haut. Sie machte einen Schritt zurück, dann noch einen, und mit einem Mal verspürte sie den unbändigen Drang davonzulaufen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie konnte kaum noch schlucken. Die Dunkelheit schien sich um sie zu legen – und zwar viel zu eng.

Lauf nach Hause, lauf! Leg dich wieder ins Bett, und mach die Augen zu!

Die Stimme in ihrem Kopf überschlug sich regelrecht. Sie war schrill wie das Zirpen der Zikaden.

»Angsthase«, murmelte sie vor sich hin und schlang die Arme um den Oberkörper. »Sei doch kein Angsthase!«

Sie schlich vorwärts, musste sich den Weg beinahe ertasten. Die Wolken zogen über sie hinweg, und fahles Mondlicht fiel auf eine verfallene Hütte.

Als hätte es hier mal gebrannt, dachte sie, sodass nur die Grundmauern und ein alter Schornstein stehen geblieben waren.

Der kurze Moment der Angst war verflogen, sobald sie fasziniert beobachtete, wie das bleiche Mondlicht über die rußschwarzen Steine und die verkohlten Balken glitt.

Wieder wünschte sie sich, es wäre schon Morgen. Da hätte sie sich genauer umsehen können. Wenn sie sich tagsüber hier herschleichen würde, könnte dies ihr Ort werden. Ein Ort, an den sie sich mit ihren Büchern zurückziehen könnte, um zu lesen – ohne dass ihr Bruder ständig an ihr herumnörgelte. Und sie könnte in Ruhe zeichnen oder einfach nur dasitzen und träumen.

Irgendjemand hatte hier einmal gelebt, also gab es vielleicht ja sogar Geister hier. Die Vorstellung begeisterte sie. Sie würde schrecklich gern mal einem Geist begegnen.

Aber wo war ihr Vater hingegangen?

Dann fiel ihr das Klappern und Knarren wieder ein. Vielleicht war es wie eine andere Dimension, und er hatte eine Tür geöffnet, um dort hineinzugelangen?

Er hatte Geheimnisse – aber das hatten wohl alle Erwachsenen. Geheimnisse, die sie mit niemandem teilten, Geheimnisse, die ihren Blick hart werden ließen, wenn man die falschen Fragen stellte. Vielleicht war er ja ein Forscher, jemand, der durch eine magische Tür in eine andere Welt ging?

Es würde ihm sicher nicht gefallen, dass sie so etwas dachte, denn von anderen Welten, Geistern und Hexen stand nichts in der Bibel. Aber vielleicht würde es ihm auch nur nicht gefallen, dass sie so dachte, weil es wahr war.

Sie riskierte noch ein paar Schritte, wobei sie angestrengt auf jedes Geräusch lauschte. Aber sie hörte nur den Donner, der näher kam.

Als sie sich erneut den Zeh anstieß, entschlüpfte ihr doch ein leiser Schmerzensschrei, und sie hüpfte auf einem Bein auf und ab, bis der Schmerz nachließ. Blöder Stein,dachte sie und blickte nach unten.

Dann sah sie im bleichen Schein des Mondes, dass es gar kein Stein, sondern eine Tür gewesen war. Eine Tür in der Erde! Eine Tür, die knarren würde, wenn sie sie öffnete. Vielleicht eine Zaubertür?

Sie ließ sich auf alle viere nieder, fuhr mit den Händen darüber – und handelte sich prompt einen Splitter ein.

Von Zaubertüren bekam man keine Splitter. Das hier war bloß ein alter Erdkeller oder ein Sturmschutz. Aber obwohl sie enttäuscht an ihrem wehen Finger saugte, war es immer noch eine Tür in der Erde – im Wald, an einer alten ausgebrannten Hütte!

Und ihr Vater war dort hinuntergegangen …

Ihr Fahrrad! Vielleicht hatte er ihr Fahrrad hier unten versteckt und baute es gerade zusammen! Selbst auf die Gefahr hin, sich einen weiteren Splitter einzuziehen, presste sie ein Ohr auf das alte Holz und kniff die Augen zusammen.

Sie glaubte zu hören, wie er unten auf und ab marschierte. Und er gab grunzende Laute von sich. Sie stellte sich vor, wie er ihr Fahrrad zusammenbaute – glänzend neu und rot – und wie er mit seinen großen Händen das richtige Werkzeug auswählte, während er durch die Zähne pfiff, wie er es immer tat, wenn er an etwas arbeitete.

Er war dort unten und tat etwas Besonderes für sie. Sie würde sich den ganzen Monat lang mit keiner Silbe über ihre Pflichten beschweren (was sie sowieso nur in Gedanken tat).

Wie lange brauchte man, um ein Fahrrad zusammenzubauen? Sie sollte besser nach Hause zurücklaufen, damit er nicht merkte, dass sie ihm gefolgt war. Aber sie wollte es so gern sehen – nur ganz kurz!

Vorsichtig kroch sie auf die ausgebrannte Hütte zu und kauerte sich hinter den alten Schornstein. Er würde bestimmt nicht lange brauchen – er konnte gut mit Werkzeug umgehen. Wenn er wollte, könnte er sogar eine eigene Werkstatt haben. Er arbeitete nur deshalb für das Kabelunternehmen in Morgantown, damit es seiner Familie gut ging.

Sagte er jedenfalls ständig.

Als ein Blitz über den Himmel zuckte, blickte sie auf. Der Donner, der folgte, war eher ein Krachen als ein Grollen. Sie hätte wirklich besser nach Hause laufen sollen – aber inzwischen ging das nicht mehr. Er würde jeden Moment aus dem Erdkeller rauskommen, und dann würde er sie bestimmt einholen.

Wenn er sie jetzt erwischte, dann gäbe es garantiert kein glänzendes rotes Fahrrad zum Geburtstag. Wenn jetzt das Gewitter losbräche, würde sie eben nass werden. Es wäre eine wunderbare Abkühlung.

Er würde ja doch höchstens noch fünf Minuten unten bleiben, redete sie sich ein, und als die Minuten verstrichen waren, gab sie ihm weitere fünf. Dann musste sie pinkeln. Sie versuchte einzuhalten, versuchte, es zu ignorieren und zurückzudrängen, gab schließlich auf und kroch ein Stück rückwärts zwischen die Bäume.

Sie verdrehte die Augen, zog die Shorts hinunter und hockte sich hin, die Füße so weit wie möglich auseinander, damit sie sich nicht nass machte. Danach zappelte sie so lange, bis sie wieder halbwegs trocken war. Gerade als sie ihre Shorts wieder hochziehen wollte, ging knarrend die Luke in der Erde auf.

Mit der Shorts um die Knie, dem nackten Hintern nur Zentimeter über dem Boden und fest zusammengepressten Lippen, um die Luft anzuhalten, hielt sie stocksteif inne.

Beim nächsten Blitz sah sie ihn ganz deutlich. Er sah wild aus – sein kurz geschnittenes Haar fast weiß im Wetterleuchten, die Augen dunkel und die Zähne zu einem breiten Grinsen gebleckt.

Halb erwartete sie, dass er im nächsten Augenblick den Kopf zurückwerfen und wie ein Wolf heulen würde. Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie echte Angst, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

Als er sich zwischen den Beinen rieb, brannten ihre Wangen heiß wie Feuer. Dann warf er die Luke zu, die mit einem Knall ins Schloss fiel, und schob den Riegel vor – ein hartes, kratzendes Geräusch, das ihr durch Mark und Bein ging. Ihre Knie zitterten von der ungewohnten Haltung, während er trockenes Laub über die Luke schob.

Er blieb noch einen Moment lang stehen – die Blitze zuckten jetzt direkt über ihren Köpfen – und ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über die Luke wandern. Von seinem Gesicht waren nur die Konturen zu erkennen, und mit seinem kurzen weißen Haar sah es aus wie ein Totenschädel mit dunklen, seelenlosen Höhlen statt der Augen.

Er blickte sich um, und einen schrecklichen Moment lang befürchtete sie, er würde sie direkt ansehen. Dieser Mann, das wusste sie instinktiv, würde ihr wehtun, er würde seine Hände und Fäuste gegen sie einsetzen wie jener andere Vater, der seine Hände und Fäuste einsetzte, um für die Sicherheit seiner Familie zu sorgen, es nie getan hätte.

Ein hilfloses Wimmern stieg in ihr auf, als sie dachte: Bitte, Daddy, bitte!

Aber er wandte sich bloß ab und ging mit langen, zielsicheren Schritten den Weg zurück, den er gekommen war.

Erst als sie nichts mehr hörte außer den Geräuschen der Nacht und dem aufkommenden Brausen des auffrischenden Winds traute sie sich, ihre schmerzenden Glieder zu bewegen. Das Gewitter war im Anmarsch, aber ihr Vater war weg.

Sie zog ihre Shorts hoch, richtete sich auf und wischte sich Kiefernnadeln und Blätter von den Beinen.

Der Mond war wieder hinter dicken Wolken verschwunden, und das Gefühl des Abenteuers war in schreckliche Angst umgeschlagen.

Ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt. Sie eilte auf die mit Blättern bedeckte Luke im Boden zu, die für sie nur deshalb zu erkennen war, weil sie wusste, dass sie da war.

Sie hörte ihren eigenen Atem. Die Luft war kühl geworden, jetzt hätte sie es lieber warm gehabt. Ihr war eiskalt, wie im Winter, und ihre Hand zitterte, als sie sich bückte, um die dicke Laubschicht wegzuschieben.

Sie starrte auf den Riegel, der schwer und verrostet quer über der alten Holzluke lag. Ihre Finger glitten darüber. Eigentlich wollte sie ihn gar nicht aufschieben. Lieber wollte sie wieder daheim sein, in Sicherheit, und in ihrem Bett liegen. Und sie wollte dieses wilde Gesicht ihres Vaters nicht mehr vor Augen haben.

Trotzdem zerrten ihre Finger wie von selbst an dem Riegel, und als er sich nicht bewegte, nahm sie beide Hände und biss die Zähne zusammen, bis er mit einem schabenden Geräusch zurückglitt.

Dort unten stand garantiert ihr Fahrrad, sagte sie sich, während sich ein schreckliches Gewicht auf ihre Brust legte. Ihr glänzendes rotes Geburtstagsfahrrad. Das würde sie dort unten vorfinden.

Langsam hob sie die Luke an und spähte hinab in die Dunkelheit. Sie schluckte, angelte die kleine Taschenlampe hervor und richtete den schmalen Lichtkegel auf die Treppe.

Als sie hinunterstieg, fürchtete sie schon, das Gesicht des Vaters würde in der Öffnung über ihr auftauchen. Dieser wilde, schreckliche Ausdruck. Und er würde die Luke zuschlagen und sie einschließen. Beinahe wäre sie wieder hinaufgeklettert – als sie das Wimmern hörte.

Sie erstarrte.

Dort unten war ein Tier. Warum sollte ihr Daddy ein Tier hier unten halten? Einen Hund etwa? War das ihre Geburtstagsüberraschung? Der Welpe, den sie sich immer gewünscht hatte, aber nie hatte haben dürfen? Selbst Mason hatte keinen Hund bekommen.

Tränen brannten in ihren Augen, als sie auf den festgetretenen Lehmboden sprang. Sie würde um Vergebung bitten müssen für ihre schrecklichen Gedanken über ihren Vater – Gedanken waren schließlich genauso sündig wie Taten.

Mit Staunen und aufkeimender Freude im Herzen ließ sie den Lichtkegel der Taschenlampe herumwandern – es war das Letzte, was sie für lange Zeit fühlen sollte. Denn wo sie einen kleinen Hund erwartete, der in einer Kiste saß und winselte, sah sie plötzlich eine Frau vor sich.

Ihre Augen waren weit aufgerissen und glänzten wie Glas, aus dem sich Tränen lösten. Hinter dem Klebeband über ihrem Mund würgte sie schreckliche Laute hervor. Ihr Gesicht und ihr Hals waren von Schrammen und blauen Flecken übersät.

Sie trug keine Kleider am Leib – gar nichts –, versuchte aber auch nicht, sich zu bedecken.

Nein, sie konnte nicht, konnte sich nicht bedecken. Ihre Hände – blutig von den offenen Stellen an den Handgelenken – waren mit Stricken an die Metallpfosten über der alten Matratze gefesselt, auf der sie lag. Und auch die weit gespreizten Beine waren an den Knöcheln gefesselt.

In einem fort drangen grässliche Laute aus ihrem Mund, taten in den Ohren weh, rumorten im Bauch.

Naomi bewegte sich wie in Trance. In ihren Ohren brauste es, als wäre sie zu lange unter Wasser gewesen und könnte nicht mehr an die Oberfläche zurück. Ihr Mund war so trocken, dass die Worte in ihrer Kehle kratzten.

»Nicht schreien. Du darfst jetzt nicht schreien, okay? Er könnte dich hören und zurückkommen. Okay?«

Die Frau nickte und blickte sie aus geschwollenen Augen flehend an.

Naomi schob ihre Fingernägel unter den Rand des Klebebands. »Du musst leise sein«, flüsterte sie. Ihre Finger zitterten. »Bitte sei leise.«

Dann zog sie das Klebeband ab.

Das Geräusch war fürchterlich. Obwohl jetzt eine raue rote Stelle auf ihrem Gesicht prangte, schrie die Frau nicht auf.

»Bitte …« Ihre Stimme klang eingerostet. »Bitte, hilf mir. Bitte lass mich nicht hier.«

»Du musst hier weg. Du musst weglaufen.«

Naomi blickte zur Luke. Was, wenn er jetzt zurückkäme? O Gott, was sollte sie machen, wenn dieser wilde Mann, der wie ihr Vater ausgesehen hatte, zurückkäme?

Sie versuchte, die Fesseln aufzuknoten, aber die Knoten waren zu fest gezogen. Frustriert rieb sie sich die Finger. Dann wandte sie sich ab und sah sich mithilfe ihrer kleinen Taschenlampe um.

Sie entdeckte eine Flasche Schnaps – bei ihnen zu Hause den Regeln des Vaters zufolge verboten – und weitere Stricke, die sauber aufgerollt am Boden lagen. Eine alte Decke, eine Laterne. Zeitschriften mit nackten Frauen auf dem Umschlag, eine Kamera und … Oh nein. Nein, nein. Fotos von Frauen an der Wand. Genau wie diese Frau: nackt und gefesselt, blutüberströmt und panisch.

Und Frauen, die mit toten Augen in die Kamera starrten.

Ein alter Stuhl, Kanister und Dosen mit Lebensmitteln auf einem Regal an der Wand. Ein Haufen Lumpen – nein, Kleider, zerrissene Kleider –, und die Flecken darauf waren Blut.

Sie konnte das Blut riechen.

Und Messer waren da. So viele Messer.

Naomi schaltete regelrecht ab. Sie griff sich ein Messer und begann, an den Fesseln zu sägen.

»Du musst ganz still sein, ganz still.«

Sie erwischte die Haut der Frau, die jedoch keinen Mucks von sich gab.

»Beeil dich. Bitte, beeil dich. Bitte, bitte.« Sie unterdrückte ein Stöhnen, als ihre Arme endlich frei waren und unbeherrscht zitterten, sowie sie sie herunternehmen wollte. »Es tut so weh … O Gott, o Gott, es tut so weh!«

»Denk nicht darüber nach. Denk einfach nicht darüber nach. Da tut es nur noch mehr weh.«

Es tat weh, ja, es tat weh nachzudenken. Auch sie würde nicht über das Blut nachdenken, über die Bilder, den Haufen mit den zerrissenen, schrecklichen Kleidern.

Naomi machte sich daran, die Fußfesseln durchzuschneiden. »Wie heißt du?«

»Ich … Ashley. Ich bin Ashley. Wer ist er? Wo ist er?«

Sie hätte es nicht sagen können. Sie hätte es nicht aussprechen können. Wollte es nicht mal denken. »Er ist wieder zu Hause. Ein Gewitter ist aufgekommen. Kannst du es hören?«

Auch sie war zu Hause, redete Naomi sich ein, während sie auch die zweite Fußfessel löste. Zu Hause im Bett, und das alles war bloß ein schrecklicher Traum. Es gab keinen alten Erdkeller, in dem es nach Schweiß, Urin und Schlimmerem roch, es gab keine Frau, keinen wilden Mann. Sie würde in ihrem eigenen Bett aufwachen, und das Gewitter hätte Abkühlung gebracht.

Alles würde wieder sauber und kühl sein, wenn sie aufwachte.

»Du musst aufstehen. Du musst hier raus. Du musst laufen.«

Laufen, laufen, laufen, in die Dunkelheit, weglaufen. Das hier ist nie passiert.

Über Ashleys geschundenes Gesicht strömte der Schweiß, als sie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine wollten sie nicht tragen. Sie fiel zu Boden, ihr Atem ging pfeifend.

»Ich kann noch nicht laufen – meine Beine … Es tut mir leid, es tut mir leid! Du musst mir helfen. Bitte, hilf mir, hier rauszukommen.«

»Dir sind nur die Beine eingeschlafen.« Naomi schnappte sich die Decke und legte sie um Ashleys Schultern. »Du musst versuchen aufzustehen.«

Mit Naomis Hilfe stand Ashley schließlich auf.

»Stütz dich auf mich. Ich schieb dich die Leiter hoch, aber du musst versuchen zu klettern. Du musst es versuchen.«

»Ich schaffe es. Ich schaffe es.«

Langsam hangelten sie sich die Leiter hinauf. Regen peitschte herein, und beinahe wäre Ashley ausgerutscht. Naomis Muskeln brannten von der Anstrengung, das Gewicht der Frau zu halten und sie hochzuschieben. Am Ende sackte Ashley keuchend auf dem Waldboden zusammen.

»Du musst weglaufen …«

»Ich weiß nicht, wo ich bin. Es tut mir leid, ich weiß nicht mal, wie lang ich dort unten in dieser Höhle war. Ein, zwei Tage … Ich hab nichts zu essen und nichts zu trinken gekriegt, seit er … Ich bin verletzt.«

Tränen strömten über ihr Gesicht, aber sie schluchzte nicht, sie sah Naomi nur unverwandt an.

»Er … Er hat mich vergewaltigt, er hat mich gewürgt, und er hat mich mit dem Messer verletzt und geschlagen. Irgendwas ist mit meinem Knöchel. Ich kann nicht auftreten. Kannst du mich hier wegbringen? Zur Polizei?«

Der Regen rauschte nur so herab, und die Blitze machten den Himmel morgenhell.

Trotzdem wachte Naomi nicht auf.

»Warte kurz …«

»Geh nicht wieder nach unten!«

»Warte.«

Sie kletterte wieder hinunter, an diesen schrecklichen Ort, und griff sich ein Messer. Nicht alles Blut daran war frisch. Manche Blutflecken waren auch alt und vertrocknet, und es war viel. Obwohl ihr schlecht davon wurde, durchwühlte sie den Haufen Kleider und fand ein T-Shirt und eine zerrissene Shorts.

Dann kletterte sie wieder nach oben. Als Ashley die Kleidungsstücke sah, nickte sie. »Okay. Du bist clever.«

»Schuhe hab ich keine gesehen, aber mit dem Shirt und der Shorts wird es leichter für dich. Die Sachen sind zerrissen, aber …

»Das spielt keine Rolle.«

Ashley biss die Zähne zusammen, als Naomi ihr in die Shorts half und Ashleys Arme behutsam in das T-Shirt hob.

Dann hielt sie inne, als sie sah, dass die Bewegung die Schnitte auf Ashleys Oberkörper aufgerissen hatte. Frisches Blut sickerte aus den Wunden.

»Du musst dich auf mich stützen.«

Weil Ashley so sehr zitterte, legte Naomi ihr wieder die Decke um die Schultern.

Tu es einfach, sagte sie sich. Denk nicht nach, tu es einfach.

»Du musst laufen, auch wenn es wehtut. Wir halten Ausschau nach einem guten, dicken Stock, aber wir müssen jetzt los. Ich weiß zwar nicht, wie spät es ist, aber am Morgen sehen sie in meinem Zimmer nach. Wir müssen bis zur Straße kommen. Danach sind es noch gut zwei Kilometer bis in den Ort. Du musst laufen …«

»Wenn es sein muss, krieche ich auch.«

Mit Naomis Hilfe richtete Ashley sich auf. Es ging nur langsam voran, und an ihren mühsamen Atemzügen merkte Naomi, dass das Laufen der Frau große Schmerzen bereitete. Sie fand einen abgebrochenen Ast, auf den sie sich stützen konnte, was ein bisschen half, wenn auch nicht viel, weil der Pfad durch den Regen völlig aufgeweicht war.

Sie überquerten den Fluss – der durch den Regen zu einem reißenden Strom geworden war – und liefen weiter.

»Es tut mir leid, es tut mir so leid … Ich weiß noch nicht mal deinen Namen.«

»Naomi.«

»Das ist ein hübscher Name … Ich muss mal eine Minute stehen bleiben.«

»Okay, aber wirklich nur eine Minute.«

Ashley lehnte sich an einen Baum. Keuchend stützte sie sich auf den abgebrochenen Ast. Schweiß und Regen liefen ihr übers Gesicht.

»Ist das ein Hund? Ich höre Hundegebell.«

»Das ist wahrscheinlich King. Die Hardys wohnen direkt dort drüben.«

»Können wir nicht zu ihnen laufen? Wir könnten die Polizei anrufen und Hilfe holen.«

»Nein, das ist zu nah.«

Mr. Hardy war genau wie ihr Vater Presbyter in der Kirche. Er würde erst ihren Vater anrufen, bevor er die Polizei alarmierte.

»Zu nah? Ich hab das Gefühl, wir wären schon meilenweit gelaufen.«

»Noch nicht mal zwei Kilometer.«

»Okay …« Ashley schloss einen Moment lang die Augen und biss sich auf die Lippe. »Okay. Kennst du den Mann? Den, der mich gefangen genommen hat? Der mir wehgetan hat?«

»Ja. Wir müssen jetzt weitergehen. Wir müssen einfach weitergehen.«

»Wie heißt er?« Ashley stieß sich mühsam vom Baum ab und humpelte weiter. »Ich halte besser durch, wenn ich den Namen weiß.«

»Sein Name ist Thomas Bowes. Thomas David Bowes.«

»Thomas David Bowes. Wie alt bist du?«

»Elf. Am Montag werde ich zwölf.«

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Du bist wirklich clever. Stark und mutig. Du hast mir das Leben gerettet, Naomi. Du hast noch vor deinem zwölften Geburtstag ein Menschenleben gerettet. Vergiss das nie!«

»Nein. Das werde ich nicht vergessen. Das Gewitter hat aufgehört.«

Sie hielt sich im Wald. So dauerte es zwar länger, als wenn sie die Straße entlanggegangen wären, aber sie wusste jetzt, was Angst war, und deshalb hielt sie sich bis an die Ortsgrenze von Pine Meadows lieber im Wald.

In Pine Meadows ging sie zur Schule und zur Kirche, und ihre Mutter machte dort auf dem Markt ihre Einkäufe. Im Büro des Sheriffs war sie noch nie gewesen, aber sie wusste, wo es war.

Im Osten wurde der Himmel bereits hell, und das erste Licht spiegelte sich in den Pfützen, als sie an der Kirche vorbeiliefen und die schmale Brücke überquerten, die sich über den Fluss spannte. Ihre Flip-Flops machten klatschende Geräusche auf dem Asphalt, und Ashleys Stock schlug bei jedem angestrengten Humpelschritt fest auf.

»Wo sind wir hier?«

»In Pine Meadows.«

»Wo liegt das? Ich war in Morgantown, ich geh an der WVU aufs College.«

»Das ist vielleicht zwanzig Kilometer von hier weg.«

»Ich hab trainiert. Laufen. Ich bin Marathonläuferin, ob du es glaubst oder nicht. Und ich hab trainiert, wie jeden Morgen. Er hatte am Straßenrand geparkt. Die Motorhaube war auf, als hätte er eine Panne. Ich musste mein Tempo ein bisschen verlangsamen, und da hat er mich gepackt. Er hat mich mit irgendwas geschlagen. Und dann bin ich in diesem Erdloch aufgewacht. Ich muss wieder stehen bleiben.«

Nein, nein, nicht stehen bleiben, nicht nachdenken, nur weitergehen!

»Wir sind gleich da. Siehst du, dort unten an der Straße, das weiße Haus – siehst du das Schild dort vorn?«

»Sheriff-Büro Pine Meadows. Gott sei Dank! Oh, Gott sei Dank!« Ashley begann zu weinen, ein raues Schluchzen, das sie beide schüttelte, als Naomi ihren Arm um Ashleys Taille legte, sie erneut stützte und den Rest des Wegs mit sich schleifte.

»Wir sind gleich in Sicherheit. Jetzt kann nichts mehr passieren.«

Als Ashley auf der schmalen Veranda zu Boden sackte, wickelte Naomi die Decke fest um sie und hämmerte an die Tür.

»Ist um diese Uhrzeit überhaupt schon jemand da? Ich glaube nicht, es ist zu früh …«

»Ich weiß nicht …« Naomi klopfte noch einmal.

Der junge Mann mit den zerzausten Haaren, der die Tür aufmachte, kam Naomi vage bekannt vor.

»Was soll das?«, fragte er – und sein Blick fiel auf Ashley. »Du lieber Himmel!« Er riss die Tür auf und ging neben Ashley in die Hocke. »Ich bringe Sie rein.«

»Hilfe, helfen Sie uns!«

»Es ist alles gut. Es wird alles gut.«

Naomi fand ihn schmächtig, aber er hob Ashley hoch, als wäre sie eine Feder – und errötete ein wenig, als die Decke verrutschte und das zerrissene T-Shirt die linke Brust entblößte.

»Liebes«, sagte er zu Naomi, »mach uns die Tür auf. Hattet ihr einen Unfall?«

»Nein«, antwortete Naomi. Sie hielt ihnen die Tür auf und dachte für einen Augenblick darüber nach, ob sie weglaufen oder hineingehen sollte. Sie ging hinein.

»Ich setze Sie jetzt hierhin … Geht’s?« Er musterte die Blutergüsse an Ashleys Hals und kniff die Augen zusammen. »Liebes, siehst du den Wasserspender dort drüben? Holst du bitte … Wie heißen Sie überhaupt?«

»Ashley. Ashley McLean.«

»Holst du Ashley bitte ein Glas Wasser?« Er drehte sich zu ihr um und sah das Messer, das Naomi immer noch festhielt. »Das gibst du besser mir, ja?«, sagte er in unverändertem Ton. »Genau, so.«

Er nahm das Messer aus Naomis schlaffer Hand und legte es hoch oben auf ein Regal.

»Ich muss sofort ein paar Leute anrufen. Einer davon ist Arzt. Er wird kommen und Sie untersuchen. Aber wir werden ein paar Fotos machen müssen. Verstehen Sie?«

»Ja.«

»Und ich rufe den Sheriff an. Er wird Ihnen Fragen stellen. Sind Sie dazu in der Lage?«

»Ja.«

»Gut. Trinken Sie einen Schluck Wasser. So ist es gut«, sagte er zu Naomi und strich ihr liebevoll über die nassen Haare, als sie Ashley den Pappbecher hinhielt.

Er nahm ein Telefon vom Schreibtisch und tippte ein paar Zahlen ein.

»Sheriff, ich bin’s, Wayne. Ja, ich weiß, wie spät es ist. Wir haben eine verletzte Frau hier. Nein, Sir, kein Unfall. Sie ist augenscheinlich überfallen worden und muss gründlich untersucht werden.« Dann wandte er sich ab und redete leise weiter, doch Naomi konnte hören, wie er sagte: »Verdacht auf Vergewaltigung … Ein Kind hat sie hierhergebracht. Ich glaub, es ist die Kleine von Tom und Sue Bowes.«

Ashley ließ den Becher sinken und starrte Naomi an. »Bowes …«

»Ja, Naomi Bowes. Du musst trinken.«

»Du auch, Baby.« Dann stellte Ashley den Becher weg und zog Naomi an sich. »Du auch …«

Als sie zusammenbrach, als in ihr mit einem Mal alles zusammenbrach, legte Naomi den Kopf an Ashleys Schulter und weinte.

Ashley blickte Wayne über Naomis Kopf hinweg an. »Ihr Vater hat mir das angetan. Es war Thomas David Bowes, der das getan hat. Und es war Naomi, die mich gerettet hat.«

Wayne keuchte auf. »Sheriff, Sie sollten sich beeilen.«

2

Als der Sheriff kam, zog sich Wayne mit Naomi in ein anderes Zimmer zurück und spendierte ihr einen Schokoriegel und eine Cola. So was war bei ihnen zu Hause verboten, aber Naomi widersprach nicht. Wayne holte einen Erste-Hilfe-Kasten und versorgte die Schnitte und Kratzer, die sie sich bei der langen Wanderung durch den Wald zugezogen hatte, ohne dass sie es bemerkt hätte.

Er roch nach Fruchtkaugummi – ein gelbes Päckchen ragte aus seiner Brusttasche.

Von diesem Morgen an würde sie diesen Kaugummi für immer mit Freundlichkeit verbinden.

»Naomi, hast du vielleicht eine Lieblingslehrerin?«

»Äh, ich weiß nicht … Miss Blachard vielleicht.«

»Wenn du willst, kann ich sie anrufen und bitten herzukommen, damit sie bei dir bleibt.«

»Nein … Schon okay. Sie wird es sowieso erfahren. Alle werden es erfahren.« Ihr Brustkorb schmerzte bei dem Gedanken, und sie wandte den Blick ab. »Aber ich will nicht dabei sein, wenn sie es erfahren.«

»Schon gut. Gleich kommt eine nette Krankenschwester, um Ashley ins Krankenhaus zu begleiten. Möchtest du auch so jemanden? Vielleicht jemanden, der dich nicht kennt?«

»Ich will niemanden. Was passiert jetzt überhaupt?«

»Der Sheriff unterhält sich noch eine Weile mit Ashley, und dann bringen sie sie ins Krankenhaus nach Morgantown, um sie wieder gesund zu machen.«

»Sie hat sich den Knöchel verstaucht.«

»Das richten sie schon wieder, keine Sorge. Willst du vielleicht einen anderen Schokoriegel?«

Naomi blickte auf das Snickers hinab, das sie nicht angerührt hatte. »Nein, Sir. Ich hatte einfach noch nie Süßigkeiten zum Frühstück.«

»Auch nicht an Ostern?« Lächelnd klebte er ein Pflaster auf eine kleine, aber tiefe Schramme.

»Das ist ein heiliger Tag. Er ist zum Beten da und nicht für Osterhasen.«

Während die Worte ihres Vaters noch in ihrem Kopf widerhallten, sah sie das Mitleid in den Augen des Deputys. Aber er sagte nichts, sondern tätschelte nur ihr Bein. »Gut. Wir besorgen dir gleich ein anständiges Frühstück. Kommst du hier eine Minute allein zurecht?«

»Bin ich verhaftet?«

Dieses Mal war es nicht Mitleid, sondern wieder diese Kaugummi-Freundlichkeit, als er sanft wie eine Mutter die Hand auf ihre Wange legte. »Warum solltest du verhaftet werden, Liebes?«

»Ich weiß nicht … Sie werden meinen Daddy verhaften.«

»Darüber brauchst du dir jetzt keine Gedanken zu machen.«

»Ich hab ihn gesehen. Ich hab ihn gesehen, als er aus diesem Keller im Wald kam, und er sah irgendwie falsch aus. Ich hatte Angst.«

»Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«

»Was ist mit meiner Mama und mit meinem Bruder?«

»Ihnen geht es gut.« Er wandte den Kopf, als die Tür aufging. Sie kannte Miss Lettie – sie ging in ihre Kirche –, aber sie hatte ganz vergessen, dass sie auch im Sheriff-Büro arbeitete.

Lettie Harbough kam mit einer roten Tasche herein. Sie hatte ein trauriges Lächeln auf ihrem runden Gesicht.

»Hallo, Naomi. Ich hab ein paar trockene Sachen für dich mitgebracht. Sie gehören meiner Tochter. Sie ist zwar nicht so groß wie du und auch nicht so schlank, aber sie sind zumindest sauber und trocken.«

»Danke, Miss Lettie.«

»Aber gerne. Wayne, der Sheriff braucht dich. Naomi und ich kommen fürs Erste allein klar. Du kannst dich im Waschraum umziehen, okay?«

»Ja, Ma’am.«

Die Kleider waren ihr zu weit, aber es war ein Gürtel dabei, mit dem sie die Jeans festschnüren konnte.

Als sie wiederkam, saß Lettie an dem kleinen Tisch und trank Kaffee aus einem großen blauen Becher. »Ich hab dir auch eine Bürste mitgebracht. Ist es dir recht, wenn ich dir die Haare bürste? Sie sind ganz durcheinander.«

»Danke.«

Naomi setzte sich hin, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie angefasst werden wollte. Nach den ersten Bürstenstrichen jedoch entspannte sie sich.

»So schöne Haare …«

»Das ist doch nur langweiliges Blond.«

»Nein, wirklich nicht. Es sind alle möglichen Blondtöne enthalten, und jetzt sind vom Sommer auch noch Strähnchen drin. Und deine Haare sind so schön und dick … Ich werd dir jetzt ein paar Fragen stellen, Süße, vielleicht auch schwere Fragen. Aber es ist wichtig.«

»Wo ist Ashley?«

»Sie bringen sie jetzt ins Krankenhaus. Sie hat nach dir gefragt, ob wir dich zu ihr bringen können. Möchtest du?«

»Ja, Ma’am, bitte. Ich möchte zu ihr.«

»In Ordnung. Aber jetzt muss ich dich zuerst fragen, ob dein Vater dir je wehgetan hat. Ich weiß, dass es schlimm ist, so etwas zu fragen.«

»Er hat Mason oder mich nie angerührt. Meine Mama verhaut uns, wenn wir was falsch gemacht haben, aber das hat nichts zu bedeuten. Sie hat nicht das Herz, uns richtig zu verprügeln, deshalb tun wir alle drei nur so, als ob es schlimm wäre. Daddy sagt nämlich: Wer sein Kind liebt, züchtigt es.«

»Der Spruch hat mir noch nie gefallen. Aber ich muss dich auch noch fragen, ob er dich jemals auf eine schlimme Art berührt hat.«

Naomi starrte geradeaus, während Lettie ihr die Haare bürstete. »Sie meinen, wie das, was er mit Ashley gemacht hat. Er hat sie vergewaltigt. Ich weiß, was Vergewaltigung ist, Ma’am. In der Bibel werden die Sabinerinnen vergewaltigt. Das hat er nie bei mir gemacht. Er hat mich nie unzüchtig berührt.«

»Gut. Hat er deiner Mutter jemals wehgetan?«

»Ich glaube nicht. Manchmal …«

»Schon in Ordnung.« Mit einer geübten Bewegung drehte Lettie ein Band um Naomis Pferdeschwanz. »Du musst mir nur die Wahrheit sagen.«

»Manchmal hat er so ausgesehen, als würde er ihr wehtun wollen, aber er hat es nie getan. Wenn er richtig böse wurde, ist er einfach für ein oder zwei Tage verschwunden. Um sich abzukühlen, hat Mama immer gesagt. Ein Mann braucht Zeit für sich, um abzukühlen. Sie wusste es nicht, Miss Lettie. Mama wusste nicht, dass er Leuten wehtat, sonst hätte sie Angst gehabt. Noch mehr Angst.«

»Leute?«

Naomi sah sie nicht an, als Lettie sich wieder hinsetzte. »Ashley meinte, sie wäre ein, zwei Tage lang dort unten gewesen. Aber da waren noch mehr Stricke und Fotos – an der Wand hingen Fotos von anderen Frauen, die genauso gefesselt waren wie Ashley. Schlimmer als sie. Ich glaube, einige von ihnen waren tot. Mir wird schlecht …«

Lettie kümmerte sich um sie, hielt ihr die Haare zurück, als sie sich über die Toilette beugte, und wischte ihr das Gesicht mit einem kühlen Waschlappen ab, als sie fertig war.

Dann gab sie Naomi etwas Minziges, damit sie sich den Mund ausspülen konnte, und küsste sie leicht auf die Stirn.

»Das war wohl alles ein bisschen viel. Womöglich solltest du dich jetzt ein bisschen ausruhen.«

»Nach Hause kann ich nicht, oder?«

»Noch nicht, tut mir leid, Liebes. Aber ich kann dich mit zu mir nach Hause nehmen, wenn du willst, und dort kannst du dich ins Gästezimmer legen und dich ausschlafen.«

»Kann ich nicht einfach hierbleiben, bis Mama und Mason kommen?«

»Ja, natürlich, wenn du willst. Was hältst du davon, wenn ich dir ein bisschen Toast hole, damit du endlich etwas in den Magen bekommst? Den Snickers-Riegel kannst du dir ja für später aufheben.«

»Danke.«

Lettie stand auf. »Was du getan hast, war richtig, Naomi. Mehr noch, es war sehr mutig. Ich bin wirklich stolz auf dich. Ich bin nur ganz kurz mal weg. Willst du Tee mit Honig zu deinem Toast?«

»Das wäre schön, danke.«

Als sie wieder allein war, legte Naomi den Kopf auf den Tisch, konnte sich aber trotzdem nicht entspannen. Sie nahm einen Schluck Cola, aber die war ihr zu süß. Am liebsten wollte sie Wasser – kaltes, klares Wasser. Der Wasserspender fiel ihr wieder ein, und sie stand auf, trat aus dem kleinen Raum und wollte gerade nach jemandem rufen und fragen, ob es in Ordnung wäre, wenn sie sich einen Becher Wasser holte, als sie mit einem Mal sah, wie der Deputy ihren Vater quer durchs Zimmer auf eine schwere Metalltür zuschleppte. Seine Hände waren mit Handschellen hinter seinem Rücken gefesselt, und auf seiner rechten Wange hatte er eine blutige Schramme.

Er sah kein bisschen wild mehr aus, auch nicht aufgebracht oder reuevoll. Er hatte ein höhnisches Grinsen im Gesicht – wie immer, wenn jemand ihm vorhielt, er hätte unrecht.

Er sah sie – und sie rechnete bereits mit Wut, mit Hass, mit Groll.

Doch er warf ihr nur einen gleichgültigen Blick zu, bevor er durch die Metalltür ging. Dann war er weg.

Der Raum war voller Leute, Lärm und etwas, was düster in der Luft hing. Sie hatte das Gefühl zu schweben – als hätte sie auf einmal keine Beine mehr und würde in der Luft schweben.

Sie hörte unzusammenhängende Worte, blecherne Stimmen.

FBI, Serienmörder, Spurensicherung, Opfer.

Nichts davon ergab einen Sinn.

Niemand bemerkte sie: ein dünnes Mädchen in zu weiter Kleidung und mit großen, weit aufgerissenen Augen im geisterhaft blassen Gesicht. Ein Mädchen unter Schock.

Niemand sah in ihre Richtung, und sie fragte sich schon, ob die Blicke wohl über sie hinweggleiten oder durch sie hindurchgleiten würden, so wie der Blick ihres Vaters.

Vielleicht war aber auch nichts von alledem real. Vielleicht war sie nicht real.

Nur der Druck auf ihrer Brust, der war real. Als wäre sie vom Ast der alten Eiche gestürzt und bekäme keine Luft mehr. Als würde sie nie wieder Luft bekommen.

Langsam begann der Raum sich zu drehen, und das Licht verblasste. Eine Wolke schob sich vor den Mond.

Wayne, der Bowes in eine Zelle gesperrt hatte, kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Naomi die Augen verdrehte. Schreiend schnellte er auf sie zu. Er war schnell, aber nicht schnell genug, um sie aufzufangen, ehe sie auch schon zu Boden stürzte.

»Holt Wasser! Wo ist der verdammte Arzt? Was zum Teufel macht sie hier draußen?«

Er hockte sich neben sie, nahm sie in die Arme. Sanft klopfte er ihr auf die Wangen, die durchscheinend blass waren.

»Es tut mir leid! O gnädiger Gott … Sie brauchte etwas zu essen. Ich wollte ihr nur schnell etwas zu essen holen.« Mit einem Becher Wasser ging Lettie neben ihr in die Hocke.

»Hat sie ihn gesehen? Hat sie gesehen, wie ich den Scheißkerl reingebracht habe?«

Lettie schüttelte den Kopf. »Ich war höchstens drei Minuten weg. Sie kommt wieder zu sich! Da bist du ja wieder, Baby. Naomi, Liebes, schön durchatmen. Du bist ohnmächtig geworden. Trink einen Schluck Wasser.«

»War ich krank?«

»Jetzt ist alles wieder gut. Trink einen Schluck.«

In ihrem Kopf überschlug sich alles, und sie schloss wieder die Augen, die ihre Mutter immer als flaschengrün bezeichnet hatte. »Warum ist er nicht wütend auf mich? Warum ist es ihm egal?«

Sie drängten sie zu trinken, und dann trug Wayne sie wieder ins Hinterzimmer. Sie brachten ihr Tee und Toast. Sie aß, so viel sie konnte, und allmählich verzog sich jenes schwebende Gefühl.

Der Rest rauschte wie im Flug an ihr vorbei. Dr. Hollin kam und untersuchte sie. Ständig war jemand bei ihr – und Wayne überredete sie zu einer weiteren Flasche Cola.

Irgendwann kam der Sheriff ebenfalls ins Zimmer. Sie kannte ihn – Sheriff Joe Franks –, weil sie mit Joe junior in dieselbe Klasse ging. Er hatte breite Schultern und einen stämmigen Körper, ein kantiges Gesicht und einen dicken Hals. Wenn sie ihn sah, musste sie immer an eine Bulldogge denken.

Er setzte sich ihr gegenüber. »Wie geht es dir, Naomi?« Seine Stimme knirschte wie ein Kiesweg.

»Ich weiß nicht … Äh … Ganz okay, Sir.«

»Ich weiß, die Nacht war anstrengend, und dieser Tag ist ganz bestimmt nicht weniger anstrengend für dich. Weißt du, was hier gerade passiert?«

»Ja, Sir. Mein Daddy hat Ashley wehgetan. Er hat sie in diesem alten Erdkeller im Wald an der ausgebrannten Hütte festgehalten. Er hat ihr wehgetan, und er hat auch anderen wehgetan. Dort unten waren Bilder von ihnen. Ich weiß nicht, warum er das getan hat. Ich weiß nicht, warum jemand so etwas tun sollte …«

»Warst du vor gestern Nacht je bei diesem Keller?«

»Ich wusste nicht mal, dass es ihn gibt. Wir dürfen nicht so weit in den Wald gehen, nur bis zum Fluss und auch nur, wenn wir die Erlaubnis haben.«

»Und warum bist du gestern Nacht dort hingegangen?«

»Ich … Ich bin aufgewacht, und es war so heiß. Ich hab am Fenster gestanden und gesehen, wie Daddy loslief. Ich dachte, vielleicht geht er ja runter zum Fluss, um sich abzukühlen, und da wollte ich auch gern hin. Ich hab meine Taschenlampe geholt und meine Flip-Flops und bin rausgeschlichen. Eigentlich darf ich das nicht.«

»Ist schon gut. Du bist ihm also gefolgt.«

»Ich dachte, vielleicht würde er das lustig finden. Das hätte ich ihm angesehen, bevor ich mich zu erkennen gegeben hätte. Aber er ging gar nicht zum Fluss, und ich wollte einfach wissen, wo er hinging. Und als ich die alte Hütte und den Keller gesehen habe, hab ich gedacht, er würde dort vielleicht ein Fahrrad für meinen Geburtstag zusammenbauen.«

»Hast du heute Geburtstag, Süße?«

»Am Montag. Und ich habe mir ein Fahrrad gewünscht. Also hab ich gewartet – ich wollte nur einen Blick daraufwerfen. Ich hab mich versteckt und gewartet, bis er wieder rauskam, aber …«

»Was?«

Einen Moment lang dachte sie, es wäre leichter, wenn sie wieder schweben würde, einfach weiterschweben … Aber der Sheriff hatte freundliche, geduldige Augen. Er würde sie auch noch aus diesen freundlichen Augen ansehen, wenn sie wegschwebte.

Und irgendjemandem musste sie es ja sagen.

»Er sah nicht richtig aus, Sheriff. Er sah nicht richtig aus, als er zurückkam, und das hat mir Angst gemacht. Ich hab gewartet, bis er weg war, weil ich sehen wollte, was dort unten war.«

»Wie lange hast du gewartet?«

»Ich weiß nicht … Es hat sich lange angefühlt.« Sie wurde rot. Sie würde ihm nicht erzählen, dass sie im Wald gepinkelt hatte. Manche Dinge behielt man besser für sich. »An der Luke war ein Riegel, und ich musste mich anstrengen, um ihn aufzuschieben, aber als die Luke aufging, hab ich ein Wimmern gehört. Erst dachte ich, es wäre ein Hund. Wir durften nie einen Hund haben, aber ich dachte, vielleicht ja doch. Und dann hab ich Ashley gesehen.«

»Was hast du gesehen, Liebes? Das hier ist schwer, ich weiß, aber wenn du es mir ganz genau erzählst, dann wird uns das sehr helfen.«

Also erzählte sie es ihm genau. Sie nippte an ihrer Cola, auch wenn sich ihr der Magen beim Erzählen umdrehte.

Er stellte weitere Fragen, und sie tat ihr Bestes. Als er fertig war, tätschelte er ihr die Hand.

»Das hast du wirklich gut gemacht. Ich hol jetzt deine Mama.«

»Ist sie hier?«

»Sie ist hier.«

»Und Mason?«

»Er ist drüben bei den Huffmans. Mrs. Huffman passt auf ihn auf. Er spielt mit Jerry.«

»Das ist gut. Er und Jerry spielen gern zusammen. Sheriff Franks, geht es meiner Mama gut?«

Er schien mit sich zu ringen. »Sie hat einen schlimmen Tag hinter sich.« Er schwieg für einen Moment. »Toll, wie stark du geblieben bist, Naomi.«

»Ich fühl mich aber nicht so. Mir war schlecht, und ich bin ohnmächtig geworden.«

»Du kannst mir glauben, Süße, ich bin Justizbeamter.« Er lächelte schief. »Du bist wirklich stark. Und deshalb erzähl ich dir jetzt auch, dass dir noch andere Leute Fragen stellen werden. Das FBI … Weißt du, was das ist?«

»Ja, Sir. So ungefähr.«

»Sie werden dir Fragen stellen. Und Reporter werden kommen und mit dir reden wollen. Dem FBI gegenüber wirst du alle Fragen beantworten müssen, aber mit irgendwelchen Reportern brauchst du nicht zu reden.« Er verlagerte das Gewicht und fischte eine Karte aus seiner Gesäßtasche. »Hier stehen meine Telefonnummern drauf – die von hier, und die von zu Hause steht auf der Rückseite. Du kannst mich jederzeit anrufen – ganz egal, um welche Uhrzeit. Wenn du mit mir reden musst, rufst du mich an. In Ordnung?«

»Ja, Sir.«

»Steck die Karte gut weg. Ich geh jetzt deine Mama holen.«

»Sheriff Franks?«

Er blieb an der Tür stehen und drehte sich zu ihr um. »Ja, Süße?«

»Muss mein Daddy ins Gefängnis?«

»Ja, Liebes.«

»Weiß er das?«

»Das nehme ich an.«

Sie blickte auf ihre Cola und nickte. »Okay.«

Ihr Daddy würde ins Gefängnis kommen. Wie sollte sie hier länger zur Schule gehen, zur Kirche oder auch bloß auf den Markt mit ihrer Mutter? Das hier war noch viel schlimmer als bei Carrie Potters Daddy, der für zwei Monate ins Gefängnis gemusst hatte, weil er in der Billardkneipe eine Schlägerei angezettelt hatte. Sogar noch schlimmer als bei Buster Kravitts Onkel, der im Gefängnis saß, weil er Drogen verkauft hatte.

In einer Woche käme sie in die siebte Klasse, und jeder würde wissen, was passiert war. Was ihr Daddy getan hatte. Was sie getan hatte. Sie wusste nicht, wie sie …

Die Tür ging auf, und ihre Mutter stand da.

Sie sah krank aus – als wäre sie schon tagelang schlimm krank. Sie sah dünner aus als am Vorabend, als Naomi ins Bett gegangen war. Tränen standen in ihren Augen, die rot und angeschwollen waren. Ihr Haar war zerzaust, als hätte sie sich nicht gekämmt, und sie hatte das weite Kleid in verblichenem Rosa an, das sie sonst hauptsächlich zur Gartenarbeit trug.

Naomi stand auf. Am liebsten hätte sie sich an die Brust ihrer Mutter gedrückt, um sich von ihr trösten zu lassen. Doch aus den Augen ihrer Mutter strömten unablässig Tränen, und sie schluchzte heftig. Dann sank sie zu Boden und schlug die Hände vors Gesicht.

Also trat das Kind auf die Mutter zu, nahm sie in den Arm, streichelte und beruhigte sie. »Es kommt schon alles in Ordnung, Mama. Es wird alles gut.«

»Naomi, Naomi … Sie sagen schreckliche Dinge über deinen Daddy. Und sie behaupten, du hättest all das erzählt.«

»Es wird alles gut.«

»Das kann doch nicht wahr sein, das kann einfach nicht wahr sein!« Susan löste sich aus der Umarmung ihrer Tochter und umfasste ihr Gesicht. Eindringlich sagte sie zu ihr: »Du hast dir das nur eingebildet. Du hattest einen schlimmen Traum.«

»Mama. Ich hab es gesehen.«

»Nein, das hast du nicht. Du musst ihnen sagen, dass du dich geirrt hast.«

»Ich hab mich nicht geirrt. Ashley – das Mädchen, das er gefangen gehalten hat – ist im Krankenhaus.«

»Sie lügt. Sie lügt bestimmt. Naomi, er ist dein Daddy, er ist dein Blut. Er ist mein Ehemann. Die Polizei … Sie durchsuchen im Moment das ganze Haus. Sie haben deinem Daddy Handschellen angelegt und ihn weggebracht.«

»Ich hab ihr die Fesseln aufgeschnitten …«

»Nein, das hast du nicht! Du musst auf der Stelle aufhören zu lügen und allen sagen, dass du dir das bloß ausgedacht hast!«

In Naomis Kopf fing es an, dumpf zu pochen, und ihre Stimme klang auf einmal hohl und monoton. »Ich hab das Klebeband von ihrem Mund abgezogen. Ich hab ihr aus dem Kellerloch geholfen. Sie konnte kaum noch laufen. Sie hatte keine Kleider an.«

»Nein …«

»Er hat sie vergewaltigt.«

»Sprich nicht so!« Susans Stimme war schrill geworden. Sie packte Naomi und schüttelte sie. »Wag es nicht!«

»Da waren Fotos an der Wand – viele Fotos … von anderen Frauen, Mama! Da waren Messer mit getrocknetem Blut, Stricke und …«

»Ich will das nicht hören!« Susan hielt sich die Ohren zu. »Wie kannst du so was sagen? Ich kann das nicht glauben – er ist mein Mann! Ich lebe seit vierzehn Jahren mit ihm zusammen. Ich hab ihm zwei Kinder geboren. Ich hab Nacht für Nacht im selben Bett wie er geschlafen.« Dann zerfiel ihre Heftigkeit in tausend Splitter, und Susan ließ erneut den Kopf auf Naomis Schulter sinken. »Was sollen wir denn jetzt machen? Was soll aus uns werden?«

»Wir schaffen das schon«, sagte Naomi hilflos. »Es wird alles gut, Mama.«

Sie würden erst nach Hause gehen dürfen, sobald Polizei und FBI das Haus freigegeben hätten. Lettie brachte ihnen allen Kleidungsstücke, Zahnbürsten und was sie sonst noch brauchten, und dann machte sie für Naomi und ihre Mutter ihr Gästezimmer fertig. Mason brachte sie im Zimmer ihres Sohnes unter.

Der Arzt gab ihrer Mutter ein Schlafmittel, und das war gut. Naomi duschte, zog endlich eigene frische Kleidung an, band sich die Haare zurück und fühlte sich nach Langem wieder wie sie selbst.

Als sie aus dem Badezimmer kam, zog sie die Tür zum Gästezimmer einen Spaltbreit auf, um nach ihrer Mutter zu sehen. Ihr kleiner Bruder saß am Bett.

»Weck sie nicht auf!«, zischte Naomi. Als er sich umdrehte und sie ansah, tat ihr der scharfe Tonfall, den sie angeschlagen hatte, augenblicklich leid.

Auch er hatte geweint. Sein Gesicht war ganz fleckig, und er sah sie aus rot geränderten Augen verloren an. »Ich guck sie doch nur an …«

»Komm jetzt raus, Mason. Wenn sie aufwacht, fängt sie nur wieder an zu weinen.«

Widerspruchslos tat er, was sie sagte – was bislang selten vorgekommen war. Er trat auf sie zu und schlang seine Arme um sie.

Sie hatten sich zuvor selten umarmt, aber es fühlte sich gut an, deshalb erwiderte Naomi die Geste.

»Sie sind einfach in unser Haus gekommen. Wir haben noch geschlafen. Ich hab Dad und andere Leute schreien hören und bin rausgerannt. Ich hab gesehen, wie Daddy mit dem Deputy gekämpft hat, aber sie haben ihn an die Wand gedrückt. Mama hat geschrien und geweint, und dann haben sie Daddy Handschellen angelegt, genau wie im Fernsehen. Hat er eine Bank überfallen? Niemand will es mir sagen.«

»Nein, er hat keine Bank überfallen.«

Unten hätte Miss Lettie sie gehört, daher setzte sie sich direkt vor der Tür mit ihrem Bruder auf den Boden.

»Er hat Leuten wehgetan, Mason. Frauen.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht, aber er hat es getan.«

»Vielleicht war es ja ihre Schuld.«

»Nein. Er hat sie an einen Ort im Wald gebracht, sie eingesperrt und ihnen wehgetan.«

»Was war das für ein Ort?«

»Ein schlimmer Ort. Er muss deswegen ins Gefängnis.«

»Ich will nicht, dass Daddy ins Gefängnis geht.« Erneut traten ihm Tränen in die Augen.

Naomi legte ihm den Arm um die Schulter. »Er hat den Leuten schlimme Dinge angetan, Mason. Er muss ins Gefängnis gehen.«

»Muss Mama auch ins Gefängnis?«

»Nein, sie hat ja niemandem etwas getan. Sie wusste nicht mal, dass er den Frauen wehgetan hat. Aber frag sie besser nicht danach. Und du darfst dich deshalb auch nicht prügeln. Die Leute werden bald gewisse Dinge über Daddy sagen, und dann willst du sie bestimmt am liebsten verprügeln, aber das geht nicht. Es ist nämlich wahr, was sie sagen.«

Trotzig verzog er das Gesicht. »Woher willst du wissen, dass es wahr ist?«

»Weil ich es gesehen habe. Weil ich es weiß. Ich will jetzt nicht länger darüber reden. Ich hab heute schon genug darüber geredet. Ich wünschte mir bloß, es wäre alles schon vorbei. Ich wünschte mir, wir wären irgendwo anders.«

»Ich will nach Hause.«

Naomi wollte nicht nach Hause. Sie wollte nie wieder in dieses Haus zurück, jetzt, da sie wusste, was dahinter im Wald geschehen war. Weil sie inzwischen wusste, wer da mit ihnen im selben Haus gelebt und am selben Tisch gesessen hatte.

»Miss Lettie hat erzählt, sie haben Nintendo unten im Wohnzimmer.«

Ein hoffnungsvoller Ausdruck huschte über Masons Gesicht. »Dürfen wir damit spielen?«

»Sie hat gesagt, ja.«

»Haben sie auch Donkey Kong?«

»Wir können ja mal gucken.«

Zu Hause hatten sie weder Videospiele noch einen Computer, aber sie beide hatten genügend Freunde, um darüber Bescheid zu wissen. Und Naomi wusste, wie sehr Mason Videospiele liebte. Mit Miss Letties Hilfe setzte sie ihn im Wohnzimmer vor den Bildschirm – und dann konnte Miss Lettie auch noch ihren Sohn im Teenageralter dazu überreden, mit Mason zu spielen.

»Ich mach uns mal eine Limonade. Naomi, willst du mit in die Küche kommen und mir helfen?«

Das Haus war hübsch. Sauber und hübsch, mit Farbe an den Wänden und auf den Möbeln. Naomi wusste, dass Mr. Harbough Englisch und Literatur an der Highschool unterrichtete, während Miss Lettie für den Sheriff arbeitete. Von Naomis Warte aus betrachtet, sah das Haus reich aus.

In der Küche gab es sogar eine Spülmaschine – zu Hause musste sie immer per Hand Geschirr spülen –, und mitten im Raum stand eine schneeweiße Theke mit einem zweiten Spülbecken darin.

»Ihr Haus ist wunderschön, Miss Lettie.«

»Danke. Freut mich, dass es dir gefällt. Ich will, dass ihr euch hier wohlfühlt.«

»Was glauben Sie, wie lang wir hierbleiben müssen?«

»Ein oder zwei Tage.« Miss Lettie erhitzte Zuckerwasser in einem Topf. »Hast du schon mal Limonade selbst gemacht?«

»Nein, Ma’am.«

»Die ist wirklich lecker. Es dauert ein bisschen, aber es lohnt sich.«

Lettie lief in der Küche auf und ab. Naomi war überrascht, dass sie keine Schürze trug, sondern sich lediglich ein Küchenhandtuch in den Hosenbund gesteckt hatte. Daddy hatte es nie gemocht, wenn Mama Hosen getragen hatte. Frauen mussten Röcke und Kleider tragen.

Sowie sie an ihren Vater dachte und seine Stimme in ihrem Kopf hörte, drehte sich ihr erneut der Magen um. Sie musste sich dazu zwingen, an etwas anderes zu denken.

»Miss Lettie, was machen Sie im Büro des Sheriffs?«

»Ich war der erste weibliche Hilfssheriff in Pine Meadows, Schätzchen, und seit sechs Jahren immer noch die einzige Frau, die so was macht.«

»Dann sind Sie so was wie Deputy Wayne?«

»Ganz genau.«

»Dann wissen Sie bestimmt, was als Nächstes passiert. Sagen Sie es mir?«