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Das E-Book enthält die 'Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919' (Weimarer Verfassung) mit allen Änderungen, die in den Fußnoten untergebracht sind. Im Artikel 17 dieser Verfassung heißt es: 'Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben.' Demzufolge wurden in allen Ländern zwischen 1919 und 1923 neue Verfassungen erlassen, die auch in diesem E-Book publiziert werden. Die Länder sind im einzelnen: Anhalt, Baden, Bayern, Braunschweig, Bremen, Danzig, Hamburg, Hessen, Lippe, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Preußen, Sachsen, Schaumburg-Lippe, Thüringen und Württemberg.
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Seitenzahl: 472
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Das E-Book erhält die »Verfassung des Deutschen Reichs« vom 11.8.1919 (»Weimarer Verfassung«); die Änderungen bis 1933 sind als Fußnoten vermerkt. Außerdem enthält es auch alle Länderverfassungen aus der Zeit der Weimarer Republik, und zwar die von Anhalt, Baden, Bayern, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Hessen, Lippe, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Preußen, Sachsen, Schaumburg-Lippe, Thüringen und Württemberg. Als Ergänzung sind einige weitere Gesetzestexte eingebunden, und zwar das Gesetz über die vorläufige Verfassung für den Freistaat (Republik) Hessen vom 20. Februar 1919, das »Groß-Berlin-Gesetz« von 1920, der Gemeinschaftsvertrag über den Zusammenschluss der thüringischen Staaten vom 4. Januar 1920 und das Gesetz, betreffend die Vereinigung Coburgs mit Bayern.
Die Texte sind auch auf der CD-ROM »Deutsche Verfassungen« zu finden, die in unserem Verlag im Jahr 2004 erschienen ist.
heptagon Verlag Pappelallee 55 10437 Berlin
Die »Verfassung des Deutschen Reichs« von 1919 (»Weimarer Verfassung«) geht auf einen Entwurf des Liberalen Hugo Preuß zurück, in dem er sich stark an der Paulskirchenverfassung orientiert hat. Nach Überarbeitungen durch die verfassungsgebende Nationalversammlung, die ab Februar 1919 in Weimar tagte, zeigt sie sich als ein Kompromiss zwischen den liberalen, sozialistischen und katholischen Konzeptionen der drei staatstragenden Parteien, die nach der Wahl vom Januar 1919, an der erstmals auch Frauen teilnahmen, etwa 76% der Stimmen erhalten hatten. Das Plenum nahm sie am 31. Juli mit 282 gegen 75 Stimmen an. Am 11. August wurde die Verfassung vom Reichspräsidenten Ebert verkündet und trat am 14. August in Kraft.
Der ursprüngliche Verfassungsentwurf hatte die Auflösung Preußens und der anderen Länder und die Untergliederung des Reiches in größere Selbstverwaltungsbezirke vorgesehen; diese Neugestaltung scheiterte allerdings an einem Widerstand, der sowohl in der Bürokratie als auch in der Bevölkerung und quer durch alle Parteien vorhanden war. Stattdessen blieben die Länder weitestgehend so erhalten, wie sie bereits 1871 existiert hatten. Eine Ausnahme war die Gründung des Landes Thüringen im Jahre 1920 aus den vorherigen Ländern Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Reuß.
Preußen blieb das dominante Land, da es etwa 4/7 sowohl der Fläche als auch der Bevölkerung des Deutschen Reichs umfasste; allerdings durfte nach Artikel 61 der Weimarer Verfassung kein Land mit mehr als 2/5 der Stimmen im Reichsrat vertreten sein. Im Jahre 1925 beispielsweise setzte sich der Reichsrat folgendermaßen zusammen: 26 Vertreter aus Preußen, 11 aus Bayern, 7 aus Sachsen, 4 aus Württemberg, 3 aus Baden, je 2 aus Thüringen, Hessen und Hamburg und je einer aus Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe, Braunschweig, Lippe, Lübeck, Bremen, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt und Oldenburg.
Im Artikel 5 der Weimarer Verfassung heißt es, dass Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder aufgrund der Landesverfassungen geregelt werden, und nach den Artikeln 12 und 13 behalten Länder das Recht der Gesetzgebung, wo kein Reichsrecht gilt. Nach Artikel 17 muss jedes Land eine freistaatliche Verfassung haben; die Wahl der Volksvertretung muss in allgemeiner, gleicher unmittelbarer und geheimer Wahl erfolgen. Tatsächlich gaben sich alle Länder in den Jahren 1919 bis 1923 neue Verfassungen. Vergleichbar mit der heutigen Situation gab es auch in der Weimarer Republik neben dem Reichstag einen Reichsrat, der sich aus Repräsentanten der Länder zusammensetzte; allerdings hatte der damalige Reichsrat in der Legislative nicht so starke Gewalt wie der heutige Bundesrat; seine Mitsprache beschränkte sich auf ein suspensives Einspruchsrecht.
Die »Weimarer« Länderverfassungen sind heterogener als die heutigen Länderverfassungen der Bundesrepublik: Beispielsweise hat sich die Verfassung Badens stark an der damaligen schweizerischen Verfassungsordnung orientiert, in der Lübeckischen fehlen völlig die plebiszitären Elemente und in der Verfassung von Lippe gibt es keine Minister, sondern ein »Landespräsidium« als »Staatsoberhaupt«. Die Hamburger Verfassung zeigte sich als besonders modern: Der Großteil wurde in die heutige Länderverfassung Hamburgs übernommen. Das Land Sachsen befand sich während der gesamten Weimarer Zeit in der Krise, es gab nur Minderheitsregierungen, z.B. setzte der Reichspräsident am 28. Oktober 1923 die sächsische Regierung ab, an der die KPD beteiligt war. Am 20. Juli 1932 löste er die Regierung Preußens – bestehend aus SPD, DDP und Zentrum unter dem Ministerpräsidenten Otto Braun – auf (»Preußenschlag«). Die fadenscheinige Begründung war, dass die Bekämpfung der Kommunisten durch die preußische Polizei nicht energisch genug erfolge. Als Reichskommissar für Preußen wurde von Papen ernannt, gleichzeitig der Ausnahmezustand über Berlin verhängt und die vollziehende Gewalt dem Reichswehrkommandeur übertragen.
Aufgrund der »Gleichschaltungsgesetze des Reichs« (vom 31. März 1933 und vom 7. April 1933) sowie dem »Reichsgesetz über den Neubau des Reiches« vom 30. Januar 1934 waren die Länderverfassungen obsolet geworden.
Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben.
1
Die »Weimarer Verfassung« wurde an folgenden Tagen geändert: 22.9.1919 (s. Nationalversammlung-Drs., Nr. 1793, S. 14), 6.8.1920 (RGbl. 1920, S. 1565), 27.11.1920 (RGbl. 1920, S. 1987), 24.3.1921 (RGbl. 1921, S. 440), 27.10.1922 (RGbl. 1922 I, S. 801), 15.12.1923 (RGbl. 1923 I, S. 1185), 18.3.1924 (RGbl. 1924 I, S. 287), 22.5.1926 (RGbl. 1926 I, S. 243), 17.12.1932 (RGbl. 1932 I, S. 547).
Artikel 1.
Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Artikel 2.
Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder. Andere Gebiete können durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden, wenn es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechts begehrt.
Artikel 3.
Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.1
Artikel 4.
Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts.
Artikel 5.
Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Länderverfassungen ausgeübt.
Artikel 6.
Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
1. die Beziehungen zum Ausland;
2. das Kolonialwesen;
3. die Staatsangehörigkeit, die Freizügigkeit, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4. die Wehrverfassung;
5. das Münzwesen;
6. das Zollwesen sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die Freizügigkeit des Warenverkehrs;
7. das Post- und Telegraphenwesen einschließlich des Fernsprechwesens.
Artikel 7.
Das Reich hat die Gesetzgebung über:
1. das bürgerliche Recht;
2. das Strafrecht;
3. das gerichtliche Verfahren einschließlich des Strafvollzugs sowie die Amtshilfe zwischen Behörden;
4. das Paßwesen und die Fremdenpolizei;
5. das Armenwesen und die Wandererfürsorge
6. das Presse-, Vereins- und Versammlungswesen;
7. die Bevölkerungspolitik, die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge;
8. das Gesundheitswesen, das Veterinärwesen und den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge
9. das Arbeitsrecht, die Versicherung und den Schutz der Arbeiter und Angestellten sowie den Arbeitsnachweis;
10. die Einrichtung beruflicher Vertretungen für das Reichsgebiet
11. die Fürsorge für die Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen;
12. das Enteignungsrecht;
13. die Vergesellschaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen Unternehmungen sowie die Erzeugung, Herstellung, Verteilung und Preisgestaltung wirtschaftlicher Güter für die Gemeinwirtschaft
14. den Handel, das Maß- und Gewichtswesen, die Ausgabe von Papiergeld, das Bankwesen sowie das Börsenwesen;
15. den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie mit Gegenständen des täglichen Bedarfs;
16. das Gewerbe und den Bergbau;
17. das Versicherungswesen;
18. die Seeschiffahrt, die Hochsee- und Küstenfischerei;
19. die Eisenbahnen, die Binnenschiffahrt, den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie den Bau von Landstraßen, soweit es sich um den allgemeinen Verkehr und die Landesverteidigung handelt;
20. das Theater- und Lichtspielwesen.
Artikel 8.
Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen.2
Artikel 9.
Soweit ein Bedürfnis für den Erlaß einheitlicher Vorschriften vorhanden ist, hat das Reich die Gesetzgebung über:
1. die Wohlfahrtspflege;
2. den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.
Artikel 10.
Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für:
1. die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften;
2. das Schulwesen einschließlich des Hochschulwesens und des wissenschaftlichen Büchereiwesens;
3. das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften;
4. das Bodenrecht, die Bodenverteilung, das Ansiedlungs- und Heimstättenwesen, die Bindung des Grundbesitzes, das Wohnungswesen und die Bevölkerungsverteilung;
5. das Bestattungswesen.
Artikel 11.
Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie erforderlich sind, um
1. Schädigung der Einnahmen oder der Handelsbeziehungen des Reichs,
2. Doppelbesteuerungen,
3. übermäßige oder verkehrsbehindernde Belastung der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren,
4. steuerliche Benachteiligungen eingeführter Waren gegenüber den eigenen Erzeugnissen im Verkehre zwischen den einzelnen Ländern und Landesteilen oder
5. Ausfuhrprämien auszuschließen oder wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren.
Artikel 12.
Solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrechte keinen Gebrauch macht, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung. Dies gilt nicht für die ausschließliche Gesetzgebung des Reichs.
Gegen Landesgesetze, die sich auf Gegenstände des Artikel 7 Ziffer 13 beziehen, steht der Reichsregierung, sofern dadurch das Wohl der Gesamtheit im Reiche berührt wird, ein Einspruchsrecht zu.
Artikel 13.
Reichsrecht bricht Landrecht.
Bestehen Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar ist, so kann die zuständige Reichs- oder Landeszentralbehörde nach näherer Vorschrift eines Reichsgesetzes die Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Reichs anrufen.3
Artikel 14.
Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.
Artikel 15.
Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht.
Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist ermächtigt, zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden und mit ihrer Zustimmung zu den unteren Behörden Beauftragte zu entsenden.
Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Reichsregierung Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu beseitigen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann sowohl die Reichsregierung als die Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anrufen, falls nicht durch Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt ist.4
Artikel 16.
Die mit der unmittelbaren Reichsverwaltung in den Ländern betrauten Beamten sollen in der Regel Landesangehörige sein. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Reichsverwaltung sind auf ihren Wunsch in ihren Heimatgebieten zu verwenden, soweit dies möglich ist und nicht Rücksichten auf ihre Ausbildung oder Erfordernisse des Dienstes entgegenstehen.5
Artikel 17.
Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung muß in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Die Landesregierung bedarf des Vertrauens der Volksvertretung.
Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die Gemeindewahlen. Jedoch kann durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von der Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden.6
Artikel 18.
Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderung des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz.
Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, so bedarf es nur eines einfachen Reichsgesetzes.
Ein einfaches Reichsgesetz genügt ferner, wenn eines der beteiligten Länder nicht zustimmt, die Gebietsänderung oder Neubildung aber durch den Willen der Bevölkerung gefordert wird und ein überwiegendes Reichsinteresse sie erheischt.
Der Wille der Bevölkerung ist durch Abstimmung festzustellen. Die Reichsregierung ordnet die Abstimmung an, wenn ein Drittel der zum Reichstag wahlberechtigten Einwohner des abzutrennenden Gebiets es verlangt.
Zum Beschluß einer Gebietsänderung oder Neubildung sind drei Fünftel der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit der Wahlberechtigten erforderlich. Auch wenn es sich nur um Abtrennung eines Teiles eines preußischen Regierungsbezirkes, eines bayerischen Kreises oder in anderen Ländern eines entsprechenden Verwaltungsbezirkes handelt, ist der Wille der Bevölkerung des ganzen in Betracht kommenden Bezirkes festzustellen. Wenn ein räumlicher Zusammenhang des abzutrennenden Gebiets mit dem Gesamtbezirke nicht besteht, kann auf Grund eines besonderen Reichsgesetzes der Wille der Bevölkerung des abzutrennenden Gebiets als ausreichend erklärt werden.
Nach Feststellung der Zustimmung der Bevölkerung hat die Reichsregierung dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz zur Beschlußfassung vorzulegen.
Entsteht bei der Vereinigung oder Abtrennung Streit über die Vermögensauseinandersetzung, so entscheidet hierüber auf Antrag einer Partei der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich.7
Artikel 19.
Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig
Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.8
Artikel 20.
Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
Artikel 21.
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
Artikel 22.
Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein.
Das Nähere bestimmt das Reichswahlgesetz.9
Artikel 23.
Der Reichstag wird auf vier Jahre gewählt. Spätestens am sechzigsten Tage nach ihrem Ablauf muß die Neuwahl stattfinden.
Der Reichstag tritt zum ersten Male spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
Artikel 24.
Der Reichstag tritt in jedem Jahre am ersten Mittwoch des November am Sitze der Reichsregierung zusammen. Der Präsident des Reichstags muß ihn früher berufen, wenn es der Reichspräsident oder mindestens ein Drittel der Reichstagsmitglieder verlangt.
Der Reichstag bestimmt den Schluß der Tagung und den Tag des Wiederzusammentritts.
Artikel 25.
Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß.
Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt.10
Artikel 26.
Der Reichstag wählt seinen Präsidenten dessen Stellvertreter und seine Schriftführer. Er gibt sich seine Geschäftsordnung.11
Artikel 27.
Zwischen zwei Tagungen oder Wahlperioden führen Präsident und Stellvertreter der letzten Tagung ihre Geschäfte fort.
Artikel 28.
Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude aus.12 Ihm untersteht die Hausverwaltung; er verfügt über die Einnahmen und Ausgaben des Hauses nach Maßgabe des Reichshaushalts und vertritt das Reich in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung.
Artikel 29.
Der Reichstag verhandelt öffentlich. Auf Antrag von fünfzig Mitgliedern kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Artikel 30.
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags, eines Landtags oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Artikel 31.
Bei dem Reichstag wird ein Wahlprüfungsgericht gebildet. Es entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft verloren hat.
Das Wahlprüfungsgericht besteht aus Mitgliedern des Reichstags, die dieser für die Wahlperiode wählt, und aus Mitgliedern des Reichsverwaltungsgerichts, die der Reichspräsident auf Vorschlag des Präsidiums dieses Gerichts bestellt.
Das Wahlprüfungsgericht erkennt auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung durch drei Mitglieder des Reichstags und zwei richterliche Mitglieder.
Außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgerichte wird das Verfahren von einem Reichsbeauftragten geführt, den der Reichspräsident ernennt. Im übrigen wird das Verfahren von dem Wahlprüfungsgerichte geregelt.13
Artikel 32.
Zu einem Beschlusse des Reichstags ist einfache Stimmenmehrheit erforderlich, sofern die Verfassung kein anderes Stimmenverhältnis vorschreibt. Für die vom Reichstag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.
Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt.
Artikel 33.
Der Reichstag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit des Reichskanzlers und jedes Reichsministers verlangen.
Der Reichskanzler, die Reichsminister und die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu den Sitzungen des Reichstags und seiner Ausschüsse Zutritt. Die Länder sich berechtigt, in diese Sitzungen Bevollmächtigte zu entsenden, die den Standpunkt ihrer Regierung zu dem Gegenstande der Verhandlung darlegen.
Auf ihr Verlangen müssen die Regierungsvertreter während der Beratung, die Vertreter der Reichsregierung auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden.
Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden.
Artikel 34.
Der Reichstag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich erachten. Die Öffentlichkeit kann vom Untersuchungsausschuß mit Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen werden. Die Geschäftsordnung regelt das Verfahren des Ausschusses und bestimmt die Zahl seiner Mitglieder.
Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; die Akten der Behörden sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.
Auf die Erhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäße Anwendung, doch bleibt das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis unberührt.14
Artikel 35.
Der Reichstag bestellt einen ständigen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, der auch außerhalb der Tagung des Reichstags und nach der Beendigung der Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritte des neuen Reichstags tätig werden kann. Die Sitzungen dieses Ausschusses sind nicht öffentlich, wenn nicht der Ausschuß mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit beschließt.
Der Reichstag bestellt ferner zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung gegenüber der Reichsregierung für die Zeit außerhalb der Tagung und nach Beendigung einer Wahlperiode einen ständigen Ausschuß.
Diese Ausschüsse haben die Rechte von Untersuchungsausschüssen.15
Artikel 36.
Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 37.
Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags kann ohne Genehmigung des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen ist.
Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit erforderlich, die die Ausübung des Abgeordnetenberufs beeinträchtigt.
Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
Artikel 38.
Die Mitglieder des Reichstags und der Landtage sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordneten Tatsachen anvertrauen, oder denen sie in Ausübung ihres Abgeordnetenberufs solche anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Auch in Beziehung auf Beschlagnahme von Schriftstücken stehen sie den Personen gleich, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht haben.
Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des Reichstags oder eines Landtags nur mit Zustimmung des Präsidenten vorgenommen werden.16
Artikel 39.
Beamte und Angehörige der Wehrmacht bedürfen zur Ausübung ihres Amtes als Mitglieder des Reichstags oder eines Landtags keines Urlaubs.
Bewerben sie sich um einen Sitz in diesen Körperschaften, so ist ihnen der zur Vorbereitung ihrer Wahl erforderliche Urlaub zu gewähren.17
Artikel 40.
Die Mitglieder des Reichstags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf allen deutschen Eisenbahnen sowie Entschädigung nach Maßgabe eines Reichsgesetzes.18
Artikel 41.
Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt.
Wählbar ist jeder Deutsche, der das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet hat. Das nähere bestimmt ein Reichsgesetz.19
Artikel 42.
Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem Reichstag folgenden Eid:
»Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.«
Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.
Artikel 43.
Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig.20
Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstags durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluß des Reichstags erfordert Zweidrittelmehrheit. Durch den Beschluß ist der Reichspräsident an der ferneren Ausübung des Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl und hat die Auflösung des Reichstags zur Folge.
Der Reichspräsident kann ohne Zustimmung des Reichstags nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Artikel 44.
Der Reichspräsident kann nicht zugleich Mitglied des Reichstags sein.
Artikel 45.
Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.
Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz.
Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags.
Artikel 46.
Der Reichspräsident ernennt und entläßt die Reichsbeamten und die Offiziere, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Er kann das Ernennungs- und Entlassungsrecht durch andere Behörden ausüben lassen.21
Artikel 47.
Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reichs.22
Artikel 48.
Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.
Der Reichspräsident kann wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen
Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen.
Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen.
Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.23
Artikel 49.
Der Reichspräsident übt für das Reich das Begnadigungsrecht aus. Reichsamnestien bedürfen eines Reichsgesetzes.
Artikel 50.
Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister. Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen.
Artikel 51.
Der Reichspräsident wird im Falle seiner Verhinderung zunächst durch den Reichskanzler vertreten. Dauert die Verhinderung voraussichtlich längere Zeit, so ist die Vertretung durch ein Reichsgesetz zu regeln.24
Das gleiche gilt für den Fall einer vorzeitigen Erledigung der Präsidentschaft bis zur Durchführung der neuen Wahl.
Artikel 52.
Die Reichsregierung besteht aus dem Reichskanzler und den Reichsministern.25
Artikel 53.
Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.26
Artikel 54.
Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.
Artikel 55.
Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Reichsregierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.27
Artikel 56.
Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.
Artikel 57.
Die Reichsminister haben der Reichsregierung alle Gesetzentwürfe, ferner Angelegenheiten, für welche Verfassung oder Gesetz dieses vorschreiben, sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Reichsminister berühren, zur Beratung und Beschluß fassung zu unterbreiten.
Artikel 58.
Die Reichsregierung faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
Artikel 59.
Der Reichstag ist berechtigt, den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anzuklagen, daß sie schuldhafterweise die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz verletzt haben. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens hundert Mitgliedern des Reichstags unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit. Das Nähere regelt das Reichsgesetz über den Staatsgerichtshof.28
Artikel 60.
Zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs wird ein Reichsrat gebildet.
Artikel 61.
Im Reichsrat hat jedes Land mindestens eine Stimme. Bei den größeren Ländern entfällt auf eine Million Einwohner eine Stimme. Ein Überschuß, der mindestens der Einwohnerzahl des kleinsten Landes gleichkommt, wird einer vollen Million gleichgerechnet. Kein Land darf durch mehr als zwei Fünftel aller Stimmen vertreten sein.
Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluß an das Deutsche Reich das Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner Bevölkerung entsprechenden Stimmenzahl. Bis dahin haben die Vertreter Deutschösterreichs beratende Stimme.
Die Stimmenzahl wird durch den Reichsrat nach jeder allgemeinen Volkszählung neu festgesetzt.29
Artikel 62.
In den Ausschüssen, die der Reichsrat aus seiner Mitte bildet, führt kein Land mehr als eine Stimme.
Artikel 63.
Die Länder werden im Reichsrat durch Mitglieder ihrer Regierungen vertreten. Jedoch wird die Hälfte der preußischen Stimmen nach Maßgabe eines Landesgesetzes von den preußischen Provinzialverwaltungen bestellt.
Die Länder sind berechtigt, so viele Vertreter in den Reichsrat zu entsenden, wie sie Stimmen führen.30
Artikel 64.
Die Reichsregierung muß den Reichsrat auf Verlangen von einem Drittel seiner Mitglieder einberufen.
Artikel 65.
Den Vorsitz im Reichsrat und in seinen Ausschüssen führt ein Mitglied der Reichsregierung. Die Mitglieder der Reichsregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Reichsrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung auf Verlangen jederzeit gehört werden.
Artikel 66.
Die Reichsregierung sowie jedes Mitglied des Reichsrats sind befugt, im Reichsrat Anträge zu stellen.
Der Reichsrat regelt seinen Geschäftsgang durch eine Geschäftsordnung.
Die Vollsitzungen des Reichsrats sind öffentlich. Nach Maßgabe der Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne Beratungsgegenstände ausgeschlossen werden.
Bei der Abstimmung entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden.31
Artikel 67.
Der Reichsrat ist von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem laufenden zu halten. Zu Beratungen über wichtige Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse des Reichsrats zugezogen werden.
Artikel 68.
Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags eingebracht.
Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.
Artikel 69.
Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung bedarf der Zustimmung des Reichsrats. Kommt eine Übereinstimmung zwischen der Reichsregierung und dem Reichsrat nicht zustande, so kann die Reichsregierung die Vorlage gleichwohl einbringen, hat aber hierbei die abweichende Auffassung des Reichsrats darzulegen.
Beschließt der Reichsrat eine Gesetzesvorlage, welcher die Reichsregierung nicht zustimmt, so hat diese die Vorlage unter Darlegung ihres Standpunkts beim Reichstag einzubringen.
Artikel 70.
Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichs-Gesetzblatt zu verkünden.32
Artikel 71.
Reichsgesetze treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Reichs-Gesetzblatt in der Reichshauptstadt ausgegeben worden ist.
Artikel 72.
Die Verkündung eines Reichsgesetzes ist um zwei Monate auszusetzen wenn es ein Drittel des Reichstags verlangt. Gesetze, die der Reichstag und der Reichsrat für dringlich erklären, kann der Reichspräsident ungeachtet dieses Verlangens verkünden.
Artikel 73.
Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es bestimmt.
Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem Drittel des Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterbreiten, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.
Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zu Grunde liegen. Er ist von der Reichsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist.
Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.
Das Verfahren beim Volksentscheid und beim Volksbegehren regelt ein Reichsgesetz.33
Artikel 74.
Gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze steht dem Reichsrat der Einspruch zu.
Der Einspruch muß innerhalb zweier Wochen nach der Schlußabstimmung im Reichstag bei der Reichsregierung eingebracht und spätestens binnen zwei weiteren Wochen mit Gründen versehen werden.
Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen Beschlußfassung vorgelegt. Kommt hierbei keine Übereinstimmung zwischen Reichstag und Reichsrat zustande, so kann der Reichspräsident binnen drei Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid anordnen. Macht der Präsident von diesem Rechte keinen Gebrauch, so gilt das Gesetz als nicht zustande gekommen. Hat der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit entgegen dem Einspruch des Reichsrats beschlossen, so hat der Präsident das Gesetz binnen drei Monaten in der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen.
Artikel 75.
Durch den Volksentscheid kann ein Beschluß des Reichstags nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt.
Artikel 76.
Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.
Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.
Artikel 77.
Die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften erläßt, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, die Reichsregierung Sie bedarf dazu der Zustimmung des Reichsrats, wenn die Ausführung der Reichsgesetze den Landesbehörden zusteht.
Artikel 78.
Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reichs.
In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge bedürfen der Zustimmung des Reichs.
Vereinbarungen mit fremden Staaten über Veränderung der Reichsgrenzen werden nach Zustimmung des beteiligten Landes durch das Reich abgeschlossen. Die Grenzveränderungen dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen, soweit es sich nicht um bloße Berichtigung der Grenzen unbewohnter Gebietsteile handelt.
Um die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich für einzelne Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer benachbarten Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, trifft das Reich im Einvernehmen mit den beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen und Maßnahmen.
Artikel 79.
Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache. Die Wehrverfassung des deutschen Volkes wird unter Berücksichtigung der besonderen landsmannschaftlichen Eigenarten durch ein Reichsgesetz einheitlich geregelt.34
Artikel 80.
Das Kolonialwesen ist ausschließlich Sache des Reichs.
Artikel 81.
Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte.
Artikel 82.
Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von einer gemeinschaftlichen Zollgrenze.
Die Zollgrenze fällt mit der Grenze gegen das Ausland zusammen. An der See bildet das Gestade des Festlandes und der zum Reichsgebiet gehörigen Inseln die Zollgrenze. Für den Lauf der Zollgrenze an der See und an anderen Gewässern können Abweichungen bestimmt werden.
Fremde Staatsgebiete oder Gebietsteile können durch Staatsverträge oder Übereinkommen dem Zollgebiete angeschlossen werden.
Aus dem Zollgebiete können nach besonderem Erfordernis Teile ausgeschlossen werden. Für Freihäfen kann der Ausschluß nur durch ein verfassungsänderndes Gesetz aufgehoben werden.
Zollausschlüsse können durch Staatsverträge oder Übereinkommen einem fremden Zollgebiet angeschlossen werden.
Alle Erzeugnisse der Natur sowie des Gewerbe- und Kunstfleißes, die sich im freien Verkehre des Reichs befinden, dürfen über die Grenze der Länder und Gemeinden ein-, aus- oder durchgeführt werden. Ausnahmen sind auf Grund eines Reichsgesetzes zulässig.
Artikel 83.
Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden verwaltet.35
Bei der Verwaltung von Reichsabgaben durch Reichsbehörden sind Einrichtungen vorzusehen, die den Ländern die Wahrung besonderer Landesinteressen auf dem Gebiete der Landwirtschaft, des Handels, des Gewerbes und der Industrie ermöglichen.
Artikel 84.
Das Reich trifft durch Gesetz die Vorschriften über:
1. die Einrichtung der Abgabenverwaltung der Länder, soweit es die einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Reichsabgabengesetze erfordert;
2. die Einrichtung und Befugnisse der mit der Beaufsichtigung der Ausführung der Reichsabgabengesetze betrauten Behörden;
3. die Abrechnung mit den Ländern;
4. die Vergütung der Verwaltungskosten bei Ausführung der Reichsabgabengesetze.
Artikel 85.
Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.36
Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt.
Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, sie können in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind Vorschriften im Reichshaushaltsgesetz unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Reichs oder ihrer Verwaltung beziehen.
Der Reichstag kann im Entwurfe des Haushaltsplans ohne Zustimmung des Reichsrats Ausgaben nicht erhöhen oder neu einsetzen.
Die Zustimmung des Reichsrats kann gemäß den Vorschriften des Artikels 74 ersetzt werden.
Artikel 86.
Über die Verwendung aller Reichseinnahmen legt der Reichsfinanzminister in dem folgenden Rechnungsjahre zur Entlastung der Reichsregierung dem Reichsrat und dem Reichstag Rechnung. Die Rechnungsprüfung wird durch Reichsgesetz geregelt so.37
Artikel 87.
Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Reichs dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.38
Artikel 88.
Das Post- und Telegraphenwesen samt dem Fernsprechwesen ist ausschließlich Sache des Reichs.
Die Postwertzeichen sind für das ganze Reich einheitlich.
Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Verkehrseinrichtungen festsetzen. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den Reichspostminister übertragen.
Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehrs und der Tarife errichtet die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats einen Beirat.
Verträge über den Verkehr mit dem Ausland schließt allein das Reich.39
Artikel 89.
Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen in sein Eigentum zu übernehmen und als einheitliche Verkehrsanstalt zu verwalten.
Die Rechte der Länder, Privateisenbahnen zu erwerben sind auf Verlangen dem Reiche zu übertragen.
Artikel 90.
Mit dem Übergang der Eisenbahnen übernimmt das Reich die Enteignungsbefugnis und die staatlichen Hoheitsrechte, die sich auf das Eisenbahnwesen beziehen. Über den Umfang dieser Rechte entscheidet im Streitfall der Staatsgerichtshof.
Artikel 91.
Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen regeln. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den zuständigen Reichsminister übertragen.40
Artikel 92.
Die Reichseisenbahnen sind, ungeachtet der Eingliederung ihres Haushalts und ihrer Rechnung in den allgemeinen Haushalt und die allgemeine Rechnung des Reichs, als ein selbständiges wirtschaftliches Unternehmen zu verwalten, das seine Ausgaben einschließlich Verzinsung und Tilgung der Eisenbahnschuld selbst zu bestreiten und eine Eisenbahnrücklage anzusammeln hat. Die Höhe der Tilgung und der Rücklage sowie die Verwendungszwecke der Rücklage sind durch besonderes Gesetz zu regeln.41
Artikel 93.
Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs und der Tarife errichtet die Reichsregierung für die Reichseisenbahnen mit Zustimmung des Reichsrats Beiräte.42
Artikel 94.
Hat das Reich die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen eines bestimmten Gebiets in seine Verwaltung übernommen, so können innerhalb dieses Gebiets neue, dem allgemeinen Verkehre dienende Eisenbahnen nur vom Reiche oder mit seiner Zustimmung gebaut werden. Berührt der Bau neuer oder die Veränderung bestehender Reichseisenbahnanlagen den Geschäftsbereich der Landespolizei, so hat die Reichseisenbahnverwaltung vor der Entscheidung die Landesbehörden anzuhören.
Wo das Reich die Eisenbahnen noch nicht in seine Verwaltung übernommen hat, kann es für den allgemeinen Verkehr oder die Landesverteidigung als notwendig erachtete Eisenbahnen kraft Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Länder, deren Gebiet durchschnitten wird, jedoch unbeschadet der Landeshoheitsrechte, für eigene Rechnung anlegen oder den Bau einem anderen zur Ausführung überlassen, nötigenfalls unter Verleihung des Enteignungsrechts.
Jede Eisenbahnverwaltung muß sich den Anschluß anderer Bahnen auf deren Kosten gefallen lassen.
Artikel 95.
Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs, die nicht vom Reiche verwaltet werden, unterliegen der Beaufsichtigung durch das Reich.43
Die der Reichsaufsicht unterliegenden Eisenbahnen sind nach den gleichen vom Reiche festgesetzten Grundsätzen anzulegen und auszurüsten. Sie sind in betriebssicherem Zustand zu erhalten und entsprechend den Anforderungen des Verkehrs auszubauen. Personen- und Güterverkehr sind in Übereinstimmung mit dem Bedürfnis zu bedienen und auszugestalten.
Bei der Beaufsichtigung des Tarifwesens ist auf gleichmäßige und niedrige Eisenbahntarife hinzuwirken.
Artikel 96.
Alle Eisenbahnen, auch die nicht dem allgemeinen Verkehre dienenden haben den Anforderungen des Reichs auf Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Landesverteidigung Folge zu leisten.
Artikel 97.
Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden Wasserstraßen in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen.44
Nach der Übernahme können dem allgemeinen Verkehre dienende Wasserstraßen nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung angelegt oder ausgebaut werden.
Bei der Verwaltung, dem Ausbau oder dem Neubau von Wasserstraßen sind die Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit den Ländern zu wahren. Auch ist auf deren Förderung Rücksicht zu nehmen.
Jede Wasserstraßenverwaltung hat sich den Anschluß anderer Binnenwasserstraßen auf Kosten der Unternehmer gefallen zu lassen. Die gleiche Verpflichtung besteht für die Herstellung einer Verbindung zwischen Binnenwasserstraßen und Eisenbahnen.
Mit dem Übergange der Wasserstraßen erhält das Reich die Enteignungsbefugnis, die Tarifhoheit sowie die Strom- und Schiffahrtspolizei.
Die Aufgaben der Strombauverbände in bezug auf den Ausbau natürlicher Wasserstraßen im Rhein-, Weser- und Elbegebiet sind auf das Reich zu übernehmen.
Artikel 98.
Zur Mitwirkung in Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den Reichswasserstraßen nach näherer Anordnung der Reichsregierung unter Zustimmung des Reichsrats Beiräte gebildet.45
Artikel 99.
Auf natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für solche Werke Einrichtungen und sonstige Anstalten erhoben werden, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind. Sie dürfen bei staatlichen und kommunalen Anstalten die zur Herstellung und Unterhaltung erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Die Herstellungs- und Unterhaltungskosten für Anstalten, die nicht ausschließlich zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur Förderung anderer Zwecke bestimmt sind, dürfen nur zu einem verhältnismäßigen Anteil durch Schiffahrtsabgaben aufgebracht werden. Als Herstellungskosten gelten die Zinsen und Tilgungsbeträge für die aufgewandten Mittel.
Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes finden Anwendung auf die Abgaben, die für künstliche Wasserstraßen sowie für Anstalten an solchen und in Häfen erhoben werden.
Im Bereiche der Binnenschiffahrt können für die Bemessung der Befahrungsabgaben die Gesamtkosten einer Wasserstraße, eines Stromgebiets oder eines Wasserstraßennetzes zu Grunde gelegt werden.
Diese Bestimmungen gelten auch für die Flößerei auf schiffbaren Wasserstraßen.
Auf fremde Schiffe und deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu legen als auf deutsche Schiffe und deren Ladungen, steht nur dem Reiche zu.
Zur Beschaffung von Mitteln für die Unterhaltung und den Ausbau des deutschen Wasserstraßennetzes kann das Reich die Schiffahrtsbeteiligten auch auf andere Weise durch Gesetz zu Beiträgen heranziehen.
Artikel 100.
Zur Deckung der Kosten für Unterhaltung und Bau von Binnenschifffahrtswegen kann durch ein Reichsgesetz auch herangezogen werden, wer aus dem Bau von Talsperren in anderer Weise als durch Befahren Nutzen zieht, sofern mehrere Länder beteiligt sind oder das Reich die Kosten der Anlage trägt.
Artikel 101.
Aufgabe des Reichs ist es, alle Seezeichen, insbesondere Leuchtfeuer, Feuerschiffe, Bojen, Tonnen und Baken in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen. Nach der Übernahme können Seezeichen nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung hergestellt oder ausgebaut werden.
Artikel 102.
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Artikel 103.
Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
Artikel 104.
Die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden auf Lebenszeit ernannt. Sie können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung Richter in den Ruhestand treten.
Die vorläufige Amtsenthebung, die kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch nicht berührt.
Bei einer Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke kann die Landesjustizverwaltung unfreiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht oder Entfernungen vom Amte, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehalts, verfügen.
Auf Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden diese Bestimmungen keine Anwendung.
Artikel 105.
Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt. Die militärischen Ehrengerichte sind aufgehoben.
Artikel 106.
Die Militärgerichtsbarkeit ist aufzuheben, außer für Kriegszeiten und an Bord der Kriegsschiffe. Das Nähere regelt ein Reichsgesetz.46
Artikel 107.
Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen.47
Artikel 108.
Nach Maßgabe eines Reichsgesetzes wird ein Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich errichtet.48
1
Siehe dazu die Verordnung des Reichspräsidenten über die deutschen Flaggen vom 11. April 1921 (RGBl., S. 483) und vom 5. Mai 1926 (RGBl. I, S. 217) und die Bekanntmachung des Reichspräsidenten betreffend das Reichswappen und den Reichsadler vom 11. November 1919 (RGBl., S. 1877).
2
Hierzu die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGBl., S. 1993), das Finanzausgleichsgesetz i.d.F. vom 27. April 1926 (RGBl. I, S. 252) sowie das Besteuerungsgesetz vom 10. August 1925 (RGBl. I, S. 252).
3
Zuständig war das Reichgericht nach dem Gesetz zur Ausführung des Art. 13 Abs. 2 der Reichsverfassung vom 8. April 1920 (RGBl., S. 510), in Finanz- und Steuersachen der Reichsfinanzhof gemäß dem Finanzausgleichsgesetz i.d.F. vom 23. Juni 1923 (RGBl. I, S. 494).
4
Hierzu das Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 (RGBl., S. 905)
5
Hierzu das »landsmannschaftliche Prinzip« im Wehrgesetz vom 23. März 1921 (RGBl., S. 329)
6
Hierzu Übergangsbestimmung in Artikel 178 Abs. 2 Satz 3 dieser Verfassung.
7
Hierzu das Gesetz zur Ausführung des Art. 18 der Reichsverfassung vom 8. Juli 1922 (RGBl. I, S. 545), sowie die Neugliederungsordnung vom 29. Dezember 1922 (RGBl. 1923 I, S. 26).
8
In Bayern, Württemberg, Thüringen, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg wurden eigene Staatsgerichtshöfe gebildet; für Lübeck war das Hanseatische Oberlandesgericht zuständig; in den übrigen Ländern galt der Artikel 19. Hierzu das Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 (RGBl., S. 905)
9
Hierzu das Reichwahlgesetz vom 27. April 1920 (RGBl., S. 627) und Reichsstimmordnung vom 14. März 1924 (RGBl. I, S. 173)
10
Der Reichstag wurde aufgelöst durch Verordnung des Reichspräsidenten vom 13. März 1924, vom 20. Oktober 1924, vom 31. März 1928, vom 18. Juli 1930, vom 4. Juni 1932, vom 12. September 1932, vom 1. Februar 1933 und vom 14. Oktober 1933.
11
Hierzu die Geschäftsordnung des Reichstags vom 12. Dezember 1922 (RGBl. 1923 II, S. 101).
12
Hierzu das Reichsgesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage (Bannmeilengesetz) vom 8. Mai 1920 (RGBl., S. 909)
13
Ein Reichsverwaltungsgericht wurde nicht errichtet; an deren Stelle war nach Artikel 166 der Verfassung das Reichsgericht zuständig Hierzu auch die Wahlprüfungsordnung vom 8. Oktober 1920 (RGBl., S. 1773).
14
Das Verfahren der Untersuchungsausschüße war in dem Arbeitsplan vom 16. Oktober 1919 geregelt, der noch von der Nationalversammlung beschlossen worden war.
15
Durch Gesetz vom 15. Dezember 1923 (RGBl., S. 1185) wurde im Artikel 35 Absatz 2 nach den Worten »und nach Beendigung einer Wahlperiode« die Worte »oder der Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritt des neuen Reichstags« eingefügt.
16
Hierzu auch § 97 der Strafprozessordnung vom 1. Februar 1877 (RGBl., S. 253) i.d.F. vom 22. März 1924 (RGBl. I, S. 299)
17
Hierzu das Wehrgesetz vom 23. März 1921 (RGBl. I, S. 329), das den Soldaten die politische Betätigung verbot.
18
Durch Gesetz vom 22. Mai 1926 (RGBl., S. 243) wurde nach dem Artikel 40 folgender Artikel eingefügt: »Art. 40a. Die Vorschriften der Artikel 36, 37, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 gelten für den Präsidenten des Reichstags, seine Stellvertreter und die ständigen und ersten stellvertretenden Mitglieder der im Artikel 35 bezeichneten Ausschüsse auch für die Zeit zwischen zwei Tagungen (Sitzungsperioden) oder Wahlperioden des Reichstags. Das gleiche gilt für den Präsidenten eines Landtags, seine Stellvertreter und die ständigen und ersten stellvertretenden Mitglieder von Ausschüssen eines Landtags, wenn sie nach der Landesverfassung außerhalb der Tagung (Sitzungsperiode) oder Wahlperiode tätig werden können. Soweit Artikel 37 eine Mitwirkung des Reichstags oder eines Landtags vorsieht, tritt der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung an die Stelle des Reichstags und, falls Ausschüsse des Landtags fortbestehen, der vom Landtag bestimmte Ausschuß an die Stelle des Landtags Die im Abs. 1 bezeichneten Personen haben zwischen zwei Wahlperioden die im Artikel 40 bezeichneten Rechte.«
19
Hierzu das Gesetz über die Wahl des Reichspräsidenten vom 4. Mai 1920 (RGBl., S. 849)
20
Hierzu das Gesetz über das Ruhegehalt des Reichspräsidenten vom 31. Dezember 1922 (RGBl. 1923 I, S. 53)
21
Hierzu Verordnung über Ernennung und Entlassung von Reichsbeamten vom 14. Juni 1922 (RGBl. I, S. 577)
22
Hierzu Verordnung betreffend Übertragung des Oberbefehls über die Wehrmacht auf den Reichswehrminister vom 20. August 1919 (RGBl., S. 1475) und das Wehrgesetz vom 23. März 1921 (RGBl. I, S. 329).
23
Durch Gesetz vom 17. Dezember 1932 (RGBl., S. 547) erhielt der erste Satz des Artikels 51 folgende Fassung: »Artikel 51. Der Reichspräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten des Reichsgerichts vertreten.« Hierzu auch Gesetz über die Stellvertretung des Reichspräsidenten vom 10. März 1925, das die Stellvertretung nach dem Tode des Reichspräsidenten Ebert regelte.
24
Obwohl der 33. Deutsche Juristenkongress bereits 1924 davor warnte, dass der Erlass dieses Gesetztes »ohne schwere Gefahren für den Bestand der verfassungsmäßigen Rechtsordnung« nicht weiter verzögert werden kann, ist eimn solches Gesetz nie erlassen worden.
25
Hierzu der Erlaß über die Errichtung und Bezeichnung der obersten Reichsbehörden vom 21. März 1919 (RGBl., S. 327)
26
Der Reichstag ist in der Geschichte der Weimarer Republik insgesamt acht Mal aufgelöst worden: Am 13.3.1924, 20.10.1924, 31.3.1928, 18.7.1930, 4.6.1932, 12.9.1932, 1.2.1933 und 14.10.1933.
27
Hierzu Geschäftsordnung der Reichsregierung vom 3. Mai 1924 und Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichministerien vom Juli 1924.
28
Hierzu das Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 (RGBl., S. 905)
29
Durch Gesetz vom 24. März 1921 (RGBl., S. 440) erhielt Artikel 61 Absatz 1 Sätze 2 und 3 folgende Fassung: »Bei größeren Ländern entfällt auf 700.000 Einwohner eine Stimme. Ein Überschuß von mindestens 350.000 Einwohnern wird 700.000 gleichgerechnet.« Der zweite Absatz des Artikels 61 wurde durch das Protokoll vom 22.9.1919 (RGBl, S. 832) unter Bezugnahme auf den Vertrag von Versailles für nicht anwendbar erklärt.
30
Hierzu das preußische Gesetz über die Bestellung der Mitglieder des Reichsrats durch die Provinzialverwaltungen vom 3. Juni 1921 (GS S. 379).
31
Hierzu die Geschäftsordnung des Reichsrats vom 20. November 1919.
32
Hierzu auch das Reichsgesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 (RGBl I, S. 959).
33
Hierzu das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (RGBl., S. 790).
34
Hierzu das Wehrgesetz vom 23. März 1921 (RGBl. I, S. 329).
35
Hierzu das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 1919 (RGBl., S. 1591) und die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGBl., S. 1993).
36
Durch Reichspostfinanzgesetz vom 18. März 1924 (RGBl., S. 287) wurde der Verwaltungsrat der Deutschen Reichspost anstelle von Reichsrat und Reichstag in den Artikeln 85 bis 87 vom 1. April 1924 an eingesetzt. Siehe hierzu auch die Reichshaushaltsordnung vom 31. Dezember 1922 (RGBl. 1923 II, S. 17).
37
Siehe Fußnote 34.
38
Siehe Fußnote 34 und die Reichsschuldenordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl. I, S. 95).
39
Durch Reichspostfinanzgesetz vom 18. März 1924 (RGBl. I, S. 287) wurden die Absätze 3 und 4 des Artikels 88 außer Kraft gesetzt. Siehe auch das Gesetz über das Postwesen des Reiches vom 28. Oktober 1871 (RGBl., S. 347) und das Reichspostfinanzgesetz vom 18. März 1924 (RGBl. I, S. 287)
40
Hierzu die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 17. Juli 1928 (RGBl. II, S. 514) und Eisenbahnverkehrsordnung vom 16. Mai 1928 (RGBl. II, S. 401)
41
Hierzu das Reichsbahngesetz vom 30. August 1923 (RGBl. II, S. 272) und 13. März 1930 (RGBl. II, S. 369)
42
Hierzu die Verordnung über die Beiräte für die Deutsche Reichsbahn vom 24. April 1922 (RGBl. II, S. 77)
43
Hierzu das Gesetz über die Eisenbahnaufsicht vom 3. Januar 1920 (RGBl., S. 13)
44
Hierzu ein Staatsvertrag zum Übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich vom 29. Juli 1921 (RGBl., S. 961)
45
Hierzu die Verordnung über die Beiräte für die Reichswasserstraßen vom 26. Januar 1925 (RGBl. II, S. 5)
46
Hierzu das Gesetz betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. August 1920 (RGBl., S. 1579)
47
Verwaltungsgericht wurde nicht errichtet; stattdessen war nach Artikel 166 der Verfassung das Reichsgericht zuständig.
48
Hierzu das Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 (RGBl., S. 905)
Artikel 109.
Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.
Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.
Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden.
Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.
Artikel 110.
Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren. Jeder Angehörige eines Landes ist zugleich Reichsangehöriger.
Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst.1
Artikel 111.
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen bedürfen eines Reichsgesetzes.2
Artikel 112.
Jeder Deutsche ist berechtigt, nach außerdeutschen Ländern auszuwandern. Die Auswanderung kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden.
Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des Reichsgebiets Anspruch auf den Schutz des Reichs.
Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden.
Artikel 113.
Die fremdsprachigen Volksteile des Reichs dürfen durch die Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien, volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht, sowie bei der inneren Verwaltung und Rechtspflege beeinträchtigt werden.3
Artikel 114.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig.
Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen ihre Freiheitsentziehung vorzubringen.
Artikel 115.
Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig
Artikel 116.
Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.
Artikel 117.
Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden.
Artikel 118.
Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht.
Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.4
Artikel 119.
Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.
Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausreichende Fürsorge.
Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.
Artikel 120.
Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.
Artikel 121.
Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Artikel 122.
Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige oder körperliche Verwahrlosung zu schützen. Staat und Gemeinde haben die erforderlichen Einrichtungen zu treffen.
Fürsorgemaßregeln im Wege des Zwanges können nur auf Grund des Gesetzes angeordnet werden.5
Artikel 123.
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis zu versammeln.
Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.6
Artikel 124.
Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen.
Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grund versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt.7
Artikel 125.
Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das Nähere bestimmen die Wahlgesetze.8
Artikel 126.
Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam ausgeübt werden.
Artikel 127.
Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze.
Artikel 128.
Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen.
Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.
Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetze zu regeln.
Artikel 129.
Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung werden gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen.
Die Beamten können nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilen oder endgültig in den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden.
Gegen jedes dienstliche Straferkenntnis muß ein Beschwerdeweg und die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die Nachweise über die Person des Beamten sind Eintragungen von ihm ungünstigen Tatsachen erst vorzunehmen, wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich über sie zu äußern. Dem Beamten ist Einsicht in seine Personalnachweise zu gewähren.
Die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche werden besonders auch den Berufssoldaten gewährleistet. Im übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz geregelt.9
Artikel 130.
Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.
Allen Beamten wird die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet.
Die Beamten erhalten nach näherer reichsgesetzlicher Bestimmung besondere Beamtenvertretungen.
Artikel 131.
Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.
Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.
Artikel 132.
Jeder Deutsche hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten.
Artikel 133.
Alle Staatsbürger sind verpflichtet, nach Maßgabe der Gesetze persönliche Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten.
Die Wehrpflicht richtet sich nach den Bestimmungen des Reichswehrgesetzes. Dieses bestimmt auch, wieweit für Angehörige der Wehrmacht zur Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Erhaltung der Manneszucht einzelne Grundrechte einzuschränken sind.10
Artikel 134.
Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei.
Artikel 135.
Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.
Artikel 136.
Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
Artikel 137.
Es besteht keine Staatskirche.
Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgemeinschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
Artikel 138.
Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.
Artikel 139.
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung gesetzlich geschützt.
Artikel 140.
Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren.
Artikel 141.