"Dieser Weg wird kein leichter sein,,," - Gerald Asamoah - E-Book

"Dieser Weg wird kein leichter sein,,," E-Book

Gerald Asamoah

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Beschreibung

Als Kind kickte er, meist barfuß spielend, in Ghana alles, was annähernd rund war; als Erwachsener trug er auf dem Nationaltrikot den deutschen Adler. Was nach einer Traumkarriere klingt, war ein steiniger Weg. Gerald Asamoah erzählt von seiner Kindheit in Afrika und seinem schwierigen Start als Gastarbeiterkind in Deutschland; eiserner Wille und Talent machten ihn schließlich zum Vereinsspieler der Bundesliga und zum deutschen Nationalspieler. Er berichtet, wie er sich mit Kampfgeist und Gottvertrauen gegen das jähe Karriere-Aus wegen seines schweren Herzfehlers stemmte und wie er mit Beharrlichkeit allen rassistischen Anfeindungen trotzte. Ein Selbstporträt, das Gerald Asamoah zeigt, wie er ist: sympathisch, offen und unverwüstlich optimistisch.

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Seitenzahl: 273

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Nutzungsrecht Titel: Dieser Weg, Musik & Text Xavier Naidoo/Philippe van Eecke ©2005 Edition Wortgewandt, mit freundlicher Genehmigung von Hanseatic Musikverlag GmbH & Co. KG

Bildnachweis Textteil: Alle Abbildungen aus dem Archiv des Autors, außer: Gerald Asamoah Stiftung für Herzkranke Kinder: 5, 10; ullstein bild – Pressefoto Ulmer: 7; ullstein bild – Sven Simon: 11

Bildnachweis Farbbildteil: Alle Abbildungen aus dem Archiv des Autors, außer: Gerald Asamoah Stiftung für Herzkranke Kinder: 12, 14, 15; Peter Großmann: 17; ullstein bild – Pressefoto Ulmer: 10; ullstein bild – Sven Simon: 11

© für die Originalausgabe und das eBook:

2013 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagbild: picture-alliance Frankfurt, Jan Haas

eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger

& Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7766-8144-4

www.herbig-verlag.de

Inhalt

Geleitwortvon Manuel Neuer

Vorwort

Unleugbar –meine afrikanischen Wurzeln

Unwägbar –Aufbruch in der neuen Heimat

Unfassbar –»Du bist nicht Deutschland«

Unbestreitbar –echte Herzensangelegenheiten

Unersetzlich –die schönsten Jahre meiner Laufbahn

Unvergesslich –meine Weltmeisterschaften

Unverzichtbar –was mir Familie bedeutet

Unaufhaltsam –ein Fußballleben geht weiter

Unerschütterlich –was mich stark macht

Nachwort

Dank

Steckbrief

Bildteil

Lesetipp

Geleitwortvon Manuel Neuer

»Gerald ist Mr. 100 Prozent«

Ich stand als 13-Jähriger mit meinen Freunden im alten Gelsenkirchener Parkstadion, als eines Tages bei Schalke Gerald Asamoah auflief. Er hatte für uns Jungs sofort das Zeug zum Idol. Wir spielten in der Jugend von Schalke 04 und konnten uns nicht satt sehen an der Art, wie er spielte.

Gerald war kein »feiner Fußballer« und sich somit für nichts zu schade. Ein kraftvoller Stürmer, der mit seinem Einsatz alle überzeugte. Besonders mich. Denn ich war in Gelsenkirchen-Buer aufgewachsen. Dort war man froh über jeden, der sich für unseren Verein auf dem Platz zerriss.

Dann lernte ich ihn persönlich kennen. Denn sein Bruder spielte ebenfalls mit mir in der Jugend und Gerald kümmerte sich rührend um ihn, war wie ein zweiter Vater. Er besuchte auch seine Spiele und so sah ich schnell, wie Gerald war: hilfsbereit, ohne Allüren, mit einem großen Herzen für den Fußball und auch für seine Mitmenschen.

Später, nachdem sein Sommermärchen mit der Fußballnationalmannschaft 2006 zu Ende war, wurde ich bei Schalke Stammkeeper und setzte mich durch. Nicht zuletzt wegen Gerald, der mir und allen jungen Spielern in der Anfangszeit viele wichtige Tipps gab. Er war so etwas wie ein Mentor. Zu ihm konnte man immer kommen.

Ich erinnere mich gut an eine Geschichte: Gerald hatte wohl gemerkt, dass ich es mit meinem Talent einmal weit bringen könnte, und bot mir an, mich zu managen. Üblicherweise für 15 Prozent. Ich überlegte und schlug ihm daraufhin folgenden Deal vor: Ich würde ihm alles abtreten, was ich in der Zukunft so verdiente, wenn er mir alles gäbe, was er hat. Da hat Gerald einen Rückzieher gemacht. Vielleicht, weil er sich meiner Karriere doch nicht ganz so sicher sein konnte? Wir lachen noch heute darüber und flachsen, was für das Konto des jeweils anderen wohl besser gewesen wäre.

Wir hatten auf Schalke eine tolle Zeit zusammen, auch wenn er dort manch schwere Phase zu überstehen hatte – mal weil er verletzt war, mal weil er beim Trainer keine Berücksichtigung fand. Aber mit seinem Optimismus überwand er nicht nur seine persönlichen Krisen, sondern steckte uns damit meist noch an.

Als er Schalke verließ, riss das Band unserer Freundschaft nicht ab. Und als er eine Zeit lang ohne Verein dastand, habe ich den Hut gezogen, wie er mit seinem ureigenen Willen und voller Zuversicht davon überzeugt war, dass seine Karriere noch nicht zu Ende ist. Ich bin wirklich froh darüber, dass Gerald noch spielt. Das ist ein Typ, der durch seine Spielweise und seine Ausstrahlung die Liga prägt.

Ich hoffe, dass unsere Freundschaft bestehen bleibt. Und noch eines soll sich nicht verändern: dass Gerald, wenn er gegen mich spielt, nicht ins Tor trifft. Das hat er nämlich bisher noch nicht geschafft!

»Glück auf«, Gerald!

Dein Manuel Neuer

Vorwort

»Dieser Weg wird kein leichter sein« – als ich dieses Lied von Xavier Naidoo erstmals 2006 in der Kabine der deutschen Fußballnationalmannschaft auflegte, hatte ich einige meiner Wege schon hinter mir. Als erster Schwarzafrikaner überhaupt war ich Fußballnationalspieler und zudem Teil des Teams, als Deutschland ein Sommermärchen feierte. Ich war der DJ für diejenigen, die den Adler trugen, hatte immer gute Laune und war selbst stolz wie Bolle. Schließlich war ja auch ich ein Adler! So manchen Moment wollte man für immer festhalten, nicht mehr loslassen. Ein großes Ziel war erreicht. Beinahe wären wir Weltmeister geworden. Wir! Deutschland mit mir.

Aber in der großen Euphorie dieser Tage gab es auch nachdenkliche Momente. Denn tatsächlich waren nicht alle meine Wege leicht, sondern mitunter auch steinig und schwer. Es gab Menschen, die haben mich sofort gemocht, andere haben mich gehasst, zum Teil wegen meiner Hautfarbe, meistens aber wegen meines blau-weißen Trikots. Ganz so wie in Xaviers Lied. Und dennoch ist dieses Leben ein unglaubliches Glück.

Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, weil das Leben schon zu Ende ist. Wie auch mit 34 Jahren und noch viel Zukunft? Nein, ich wollte einfach alles loswerden, was mich als Mensch glücklich und traurig gemacht hat. Ich möchte erzählen von meiner Kindheit in Ghana, meiner Karriere als Fußballer, von den Anfeindungen, denen ich ausgesetzt war, nur weil ich schwarz bin, von meiner Krankheit und meinem Glauben an Gott. Ich denke, dass ich etwas weitergeben kann – in der Hoffnung, dass man versteht, dass Dinge, die passieren, nie umsonst sind und im Zweifelsfall einfach weggelacht werden können. Denn ohne ein Lachen wäre mein Leben nicht denkbar.

»Der steht morgens auf und lacht, der geht abends ins Bett und lacht, den ganzen Tag lacht der, du siehst nur seine weißen Zähne.«

Rudi Assauer über Gerald Asamoah

Unleugbar –meine afrikanischen Wurzeln

Ich bin ein stolzer Krieger

Gestatten, ich bin es: »Asa« oder »Blondie«, wie die Fans auf Schalke und mein Manager Rudi Assauer mich gerne augenzwinkernd riefen. Mein Cousin nannte mich »Gerry« und ein Mitspieler sogar »Silberrücken«, weil meine Rückenmuskulatur sehr ausgeprägt war und der eines Gorillas zugegebenermaßen nicht unähnlich sah. Meine Spielkameraden in Ghana verpass­ten mir den Spitznamen »Striker«, also Stürmer, und meine Freude benutzen ihn dort übrigens heute noch. Aber egal, wie ich auch genannt wurde, man meinte damit immer mich und es meistens auch gut mit mir. Das hat seinen Grund.

Viele, die mich auf dem Fußballplatz gesehen und beobachtet haben, wissen, dass ich mich immer richtig »reingehängt« habe, wie man im Fußball so schön sagt. Ich habe mit Einsatz und Willen genauso viel erreicht wie andere, die mit feiner Technik glänzten. Denn das war mein Spiel nicht. Immer dabei sein, nie aufgeben, auch wenn die Situation aussichtslos erscheint – das war eher meine Einstellung.

Oft habe ich mich gefragt, woher das kommt. Dieser Wille, auch in ausweglosen Situationen noch etwas zu versuchen. Ein Wesenszug, der mich mein bisheriges Leben begleitet hat und von dem ich hoffe, dass er mich nie im Stich lässt. Sicher haben meine Eltern ihre Anteile, aber ich spüre immer mehr, dass da noch mehr sein muss. Etwas, was man nicht fassen kann mit normaler Vererbungstheorie, etwas, was über allem steht. Vielleicht sind es ja die Werte und die Tradition, die mir mein Geburtsland Ghana mitgegeben hat. Und der Stamm, zu dem ich gehöre.

Ich bin ein Ashanti und gehöre zu einem Stamm in Ghana, von dem man sagt, er habe in der Vergangenheit stolze Krieger hervorgebracht. Die Stadt Mampong, in der ich ohne Eltern groß geworden bin, liegt mitten im Ashanti-Land im Landesinneren am Rande eines einzigartigen Hochlands. Heute zählt sie etwa 20 000 Einwohner. Mampong war der erste Ort auf dem afrikanischen Festland, an dem man erfolgreich Kakao anbaute. Plantagenbauern kümmern sich bis heute um die Ernte von Kakao, Kaffee und Tabak. Bedeutender aber ist, dass Mampong neben Kumasi die zweitwichtigste Residenz der traditionellen Könige der Ashanti war. Diese stellten die reichsten Könige von Westafrika, ihr Palast in Kumasi ist immer noch eine große Sehenswürdigkeit. Ebenso einmalig sind die traditionellen Gebäude der Ashanti, die in den weiter nördlich gelegenen Dörfern immer noch gepflegt werden und auf der UNESCO-Liste als Weltkulturerbe stehen. Früher herrschte dieser Stamm über das ganze Gebiet des heutigen Ghana und regierte über ein Königreich, das den Europäern im 18. Jahrhundert in einigen Kriegen tapfer die Stirn geboten und sich gegen die Invasoren gewehrt hatte. Am Ende aber ging es den Ashanti wie vielen Stämmen in Afrika zu dieser Zeit. Die Übermacht und Waffengewalt der Europäer war zu groß, auch die Ashanti mussten kapitulieren. Als Kind musste ich oft an den Mut der Krieger denken, wenn die Alten im Dorf von der Vergangenheit erzählten, und ich spürte, dass ich dazugehören werde, mein ganzes Leben lang.

Zeugnisse dieser großen Kultur meines Stammes gibt es im Übrigen noch heute, zum Beispiel die Kente-Kunst, die Kleider hervorbrachte, welche früher ausschließlich von Königen getragen wurden. Die Kleidungsstücke wurden aus Baumwolle oder Seide hergestellt und ihre Anfertigung war ein wohlgehütetes Geheimnis von speziellen Webern und Nähern. Sie zeigten geometrische Motive, die Fischen, Vögeln, Früchten, Blättern, Sonnenuntergängen, Regenbogen und anderen Anblicken in der Natur glichen. Heute können alle diese Kleider anziehen und sich ein bisschen wie die Könige damals fühlen.

Ohne Eltern

Meine Oma nannte ich liebevoll »Nana« und sie war meine Königin. Denn bei ihr wuchs ich auf, sie kümmerte sich um mich und meine beiden Schwestern, als erst mein Vater und zwei Jahre später dann auch meine Mutter nach Deutschland gingen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben nicht zuletzt auch für uns Kinder. Aber davon wusste ich damals noch nichts.

Mein Vater William verließ uns und seine Heimat als Erster, allerdings nicht ganz freiwillig. Denn obwohl Ghana heute zu den politisch stabileren Ländern in Afrika zählt, gab es Ende der 1970er-Jahre eine Zeit, in der auch mein Heimatland politisch etwas unruhiger war. In meinem Geburtsjahr 1978 putschte das Militär. Mein Vater, der damals bei der Ghanaian Times arbeitete, war aktives Mitglied der oppositionellen People Front Party, bekam eine Warnung, dass es gefährlich für ihn werden könnte, da es demnächst Verhaftungen geben sollte. William Asamoah floh also Hals über Kopf aus dem Land – und war plötzlich aus meinem Leben und dem meiner Familie verschwunden. Über Italien und Polen gelangte er nach Deutschland, wo er nicht als Journalist, sondern als Straßenkehrer und Fabrikarbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente. Es muss hart für ihn gewesen sein, seine kleinen Kinder zurückzulassen, um seine Familie durch seine Flucht zu schützen. Aber er hatte wohl keine andere Wahl. Auch wenn ich mich an diese Zeit natürlich nicht mehr erinnern kann – schließlich steckte ich noch in den ­Windeln –, prägte mich dieses Ereignis sehr. Es ist vielleicht auch der Grund dafür, dass ich in späteren Jahren von meinem Vater mehr Aufmerksamkeit bekommen wollte, als es für Jugendliche üblich ist. Ich wollte ihm einfach zeigen, dass ich jemand bin, der stark und selbstständig ist und in seine Fußstapfen treten kann.

Doch noch war ich klein, verstand von solchen psychologischen Dingen herzlich wenig und hatte noch weniger Ahnung davon, was alles auf mich zukommen sollte. Aber eines wusste ich genau: Meine Nana würde mich und meine beiden Schwestern schon beschützen. Priscilla war jünger und Rexmond älter als ich. Damals wusste ich noch nicht, dass ich sogar noch einen älteren Bruder gehabt habe, der im Alter von drei Jahren gestorben war. Er war auf einen Lastwagen geklettert und hinuntergefallen. Dabei hatte er sich am Kopf verletzt, aber meiner Mutter aus Angst davon nichts erzählt – so wie Kinder nun mal sind, wenn sie keinen Ärger riskieren wollen. Als es ihm dann plötzlich schlechter ging, merkte meine Mutter, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmen konnte und wollte mit ihm sofort ins Krankenhaus fahren. Wir aber lebten in Afrika und das nächste Hospital war natürlich weit weg und es gab keine Krankenwagen. Da selbst das herbeigerufene Taxi nicht kam, starb mein großer Bruder, ohne dass ihm geholfen werden konnte. Meine Eltern sprechen bis heute nicht über dieses tragische Ereignis, ich aber denke oft daran, denn ich hätte gerne einen größeren Bruder gehabt. So aber war ich immer der größte Mann bei den Asamoahs, trug als solcher jede Menge Verantwortung und musste mich schon früh um viele Dinge kümmern.

Gestatten, ich heiße Dienstag

Den Namen »Gerald« hatte mein Vater für mich ausgesucht. Wenn Menschen in Deutschland in der ersten Zeit hörten, wie ich heiße, tippten sie entweder auf den Einfluss einer deutschen Kolonie oder auf deutsche Vorfahren. Was gar nicht so schlecht geraten war, denn beides gibt es in Afrika ja relativ häufig. Aber es ist viel einfacher und banaler: Mein Vater war ein riesiger Fan des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Gerald Ford. Und schon hatte ich meinen Vornamen weg.

In der Tat gäbe es auch eine historisch motivierte Erklärung für einen deutschen Vornamen, denn am 6. März 1957 wurden die Goldküste und das Ashanti-Land unter Premierminister Nkrumah als Ghana unabhängig. Nach einer Volksabstimmung trat auch das britische Mandatsgebiet Britisch-Togoland, also der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unter britischer Verwaltung stehende Teil der ehemaligen deutschen Kolonie Togo, dem neuen Staat bei. Die Folge war, dass sich heute viele deutsch klingende Vornamen in Ghana finden lassen. Otto Addo ist so ein Beispiel, ein guter Freund, der mit mir in Hannover Fußball gespielt hat. Anthony Yeboah hingegen, mein großes Vorbild und auch der Grund, warum ich unbedingt Fußballer werden wollte, verdankt seinen Vornamen dem kolonialen Einfluss der Engländer.

Wäre es allerdings nach ghanaischer Tradition gegangen, würden mich heute alle »Dienstag« nennen. Denn in Ghana heißen Mann und auch Frau automatisch wie der Tag, an dem man geboren wurde. In meinem Falle also Kwabena Asamoah, Dienstag Asamoah! Kaum vorstellbar, Jürgen Klinsmann oder Huub Stevens hätte mich vor einem Spiel zu sich gerufen und dann gesagt: »Dienstag, du spielst am Mittwoch.«

Da war ich echt lieber Gerald oder wie mich Fans und Mitspieler später nannten: Asa. Und weil wir gerade dabei sind: In Ghana gibt es Asamoah auch als Vorname. Asamoah Gyan ist beispielsweise ein aktueller Nationalspieler meines Heimatlandes. Theoretisch wäre also bei mir auch der Name Asamoah Asamoah möglich gewesen. Da bin ich natürlich froh, dass mein Vater auf Gerald bestand. Wobei das in Ghana nicht heißt, dass die Namensgebung für alle verbindlich ist. Die Mutter meines Vaters nämlich nannte mich hartnäckig »Kwasi«. Man kann sich vorstellen, dass ich als Kind ziemlich verwirrt war, da mich in der Regel sonst alle »Gerald« riefen. Irgendwann dachte ich fast schon, ich hieße tatsächlich so. Aber bevor ich in eine große Identitätskrise fiel, lüftete mein Vater dieses Geheimnis. »Kwasi« ist der ghanaische Vorname meines Vaters; meine Oma wollte es sich wohl so einfach wie möglich machen und nannte mich genauso. So ist das eben in Ghana.

Diese Oma väterlicherseits besuchten wir Kinder immer sonntags nach dem Gottesdienst. Da hatte sie stets frisches Brot gebacken. Den Duft kann ich heute noch riechen. Frisches warmes Brot: lecker! Aber auch der Muff der schicken Sachen, die wir immer dann für den Gottesdienst anziehen mussten, liegt mir noch in der Nase. Die Anzüge waren nämlich die Woche über in einem alten Koffer verstaut und kamen nur sonntags an die frische Luft. Selbstverständlich durften wir an diesem Tag nichts dreckig machen. Fußball war also verboten, bis nach dem Mittagessen die Erlösung kam: Umziehen und ran an den Ball! Bei diesen Sonntagstreffen begegnete ich übrigens auch immer meiner Ur-Oma, die, man will es nicht für möglich halten, 106 Jahre alt geworden ist. Ich hoffe, dass auch ich die Asamoah-­lang-lebe-Gene habe.

Auf dem Dorf

Meine Schwestern und ich wohnten in Mampong bei meiner Oma mütterlicherseits in einem typischen quadratischen ­Dorfhaus mit Innenhof. Um uns herum war alles so, wie man sich Afrika gemeinhin vorstellt: rote Lehmhütten, die traditionell rund gebaut waren, dazwischen roter Lehmboden, der bei Regengüssen zu großen Matschseen mutierte. Im Dorf selbst gab es keinen Laden für den Einkauf, dafür aber einige Bauernhöfe, wo man sich mit dem Nötigsten versorgen konnte – natürlich nur, wenn man das Geld dafür hatte. In der näheren Umgebung befanden sich auch kleine Dschungelgebiete und Wälder, die nicht nur uns Kindern als große Abenteuerspielplätze dienten, sondern den Dorfbewohnern in der Hitze auch wertvollen Schatten spendeten.

1 So bin ich aufgewachsen – ein typisches Haus in meinem Heimatdorf Mampong.

Unser Haus bestand aus einigen Zimmern. Wir bewohnten eines mit vier Personen. Für ghanaische Verhältnisse war das schon fast Luxus. Wir schliefen auf dem Boden und meine Nana hatte als Einzige ein Bett. Da sich das ganze Leben im Grunde draußen abspielte, war das Zimmer tatsächlich nur zum Schlafen da. Gekocht wurde im Innenhof, in dem man auch die anderen Bewohner des Hauses traf. Eine eigene Toilette hatten wir nicht, doch im Dorf gab es zwei Plumpsklos. Nachts wollte man da als Kind natürlich nicht alleine hin. Meine Geschwister und ich malten uns oft aus, was für Gefahren dort auf uns lauern könnten. Spinnen und Schlangen gibt es in Ghana nämlich genug, und giftige noch dazu. Dass in unserer Vorstellung auch noch schreckliche Monster und andere unheimliche Wesen das Klo bevölkerten, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Deshalb hielt meine Oma auch immer ein »Töpfchen« für uns Kinder bereit, das wir aber nur benutzt haben, wenn die Fantasie zu groß war und es gar nicht anders ging. Man hatte ja schließlich seinen Stolz, auch wenn wir noch kleine Kinder waren. Und neben dem Stolz war da auch noch eine andere unangenehme Sache, die uns den Moment der Erleichterung so lange wie möglich rauszuschieben half: Saubermachen mussten wir die »mobile« Toilette selbst. Und derjenige, der sie benutzt hatte, hatte außerdem den Müll wegzubringen, in dem der Töpfcheninhalt schluss­endlich landete. Das war geruchstechnisch nicht immer eine Wohltat. Ich war dementsprechend eine lange Zeit Weltrekord­halter im Aushalten.

Wir Kinder waren generell für die Müllbeseitigung zuständig. Das ging bei uns aber nicht nach dem Motto: Ab in den Eimer und warten, bis er abgeholt wird. Nein, wir mussten schon ungefähr vier Kilometer laufen, bis wir am zentralen Müllplatz ankamen. Das bedeutete im Klartext: Müllsack auf den Kopf und los ging der wilde Marsch. Ich vermute fast, dass damals der Grundstein für meinen Dickkopf und für meine unerschütterliche Fitness gelegt wurde.

Eine ähnliche Aktion blühte mir übrigens, wenn wir mal wieder kein Wasser im Haus hatten, was leider relativ häufig vorkam. Dann musste ich zum Wasserholen losziehen. Das sah dann exakt so aus, wie man sich das in Europa vorstellt: Ein großer, verbeulter Kanister tanzte auf meinem Kopf. Mir machte das Ganze nichts aus, sondern richtig Spaß. Denn auf dem Weg zur Wasserstelle kamen ich und meine Freunde immer an Hirten vorbei, die unserer Meinung nach einen echten Traumjob hatten. Wenn es überhaupt für mich als Kind einen anderen Berufswunsch als den, eines Tages ein großer Fußballstar zu werden, gegeben hat, dann war es zweifellos Kuhhirte. Ehrlich, die hatten es richtig gut! Die passten nämlich mit ihren Stöcken auf eine überschaubare Zahl von Kühen auf und strahlten dabei eine herrliche Ruhe aus. Wenn es nur irgendwie ging, sind wir mit selbst geschnitzten Stöcken hinter den Kühen hergerannt und waren plötzlich selber kleine Hirten. Nur zwei Personen fanden das meist nicht so lustig: der Hirte, dessen Herde wir ordentlich durcheinanderbrachten, und meine Oma.

Sie misstraute den Hirten, die aus Somalia stammten und meistens Moslems waren. Als Christ war da, sagen wir mal vorsichtig, in ihren Augen eine gewisse Zurückhaltung geboten. Das lag vermutlich daran, dass es bei uns in Ghana nur sehr wenige Moslems gab und schon gar nicht in meinem Heimatdorf. Meiner Oma waren sie daher ein bisschen suspekt. Außerdem haben wir bei unserem munteren Kuh-Treibe-Spiel regelmäßig die Zeit vergessen. Oft sind wir mehrere Kilometer gelaufen, über Felder, Steppe und durch Wälder, meist ohne Schuhe. Wer weiß, dass es in Ghana auch giftige Skorpione gibt, der kann verstehen, dass meiner Oma meine Gesundheit nicht völlig egal war. Ich aber vergaß allzu gerne alle Verbote, wenn es darum ging, zu laufen und herumzutollen. Damals waren es die Kühe, später der Ball – irgendetwas gab es immer zu jagen. Zugegeben, ich habe nie darüber nachgedacht, dass meine Oma Todes­ängste ausgestanden haben könnte, wenn mal wieder eine wilde Kuhverfolgung anstand. Schließlich hatte meine Nana meinen Eltern versprochen, dass dem kleinen Gerald nichts passieren würde. Und so war sie auch in anderen Belangen für mich als Kind ab und zu eine echte Spaßbremse.

Schwimmen verboten

Zum Beispiel beim Schwimmen. Die meisten Afrikaner können nicht schwimmen und da bilden die Ghanaer keine Ausnahme. Das lernt man einfach nicht, weil es einem schlichtweg niemand beibringt. Es gibt keine Förderung, keinen Unterricht, keine Schwimmbäder und vor allem hat das Wasser in Afrika einen anderen Stellenwert. Es ist kein Element für den Spaß, sondern ein Lebenselixier. Als ich eines Tages in der Zeitung lesen musste, dass viele Afrikaner auf ihrer Flucht nach Europa vor der Küste Spaniens ertrunken sind, weil die Schlepperschiffe gerne ihre hilflosen »Kunden« hundert Meter vor der Küste ins Wasser »abladen«, war ich erschüttert. Sie alle konnten nicht schwimmen – wie ich damals in Afrika.

Erst mit 16 habe ich in Deutschland schwimmen gelernt. Wie peinlich wäre das gewesen: Papa Gerald geht mit seinen Kindern schwimmen und … kann nicht! Gut, dass ich die Kurve noch einmal bekommen habe.

Für ein Kind in Ghana übt das Wasser natürlich einen eigenartigen Reiz aus. Man will hinein und weiß doch, es ist gefährlich, weil man ja nicht schwimmen kann. Einmal, ich erinnere mich noch genau, sind meine Freunde und ich nach dem Fußballspielen zu einem See in der Nähe gelaufen. Wir wollten ein bisschen planschen und waren ziemlich aufgeregt. Wer weiß schon, welches wilde Tier da auf uns wartete, um uns zu verschlingen. Herrlich war das, dieses Kribbeln im Magen! Wir zogen uns nackt aus und legten unsere Sachen am Ufer ab. Doch als ich im Wasser spielte, stahl irgendein Witzbold meine Kleider und brachte sie nach Hause zu meiner Oma. Was gab das für ein Theater! Meine Oma war völlig aufgelöst, denn natürlich dachte sie, mir wäre etwas passiert. Für mich aber war die Lage viel schlimmer: Ich musste irgendwie nackt zurück ins Dorf! So rannte Klein Gerald, so schnell wie er konnte, nach Hause, immer im Schutze von Bäumen, Sträuchern und Häusern. Vor unserem Heim trafen sie dann aufeinander: eine Oma voller Panik und ein splitterfasernackter Gerald voller Scham. Eine Gemengelage, die, wie man sich denken kann, in Wutausbrüchen und Tränen endete – und in der Tatsache, dass ab diesem Zeitpunkt Planschen im See nur noch mit Oma als Aufpasserin am Ufer möglich war. Sie können sicher verstehen, dass dies nicht nur nervig, sondern für das Spiel fast tödlich war. Doch der Überwachungsskandal in Mampong zeigte eine nachhaltige Wirkung: Als ich später ins Internat in die Küstenstadt Accra kam, sah ich zum ersten Mal das große Wasser, das Meer. Allerdings war ich nie drin in dem salzigen Nass. Das hatte die Oma schließlich verboten.

Mama zu Besuch

Da meine Eltern relativ früh nach meiner Geburt Ghana verlassen hatten, kannte ich sie kaum. Die Erinnerung an sie war sehr schwach. Erst als ich fünf Jahre alt war, habe ich meine Mutter erstmals bewusst gesehen, als sie aus Deutschland zu Besuch kam. Wie schön sie war, wie stolz ich war! Da konnte ich es verschmerzen, dass Papa nicht mitgekommen war. Ihn lernte ich erst mit zehn Jahren kennen, als ich schon im Internat in Accra war.

Meine Mutter brachte natürlich viele Geschenke mit, nicht nur für mich, sondern auch für die ganze Familie und meine Freunde. So ist das in Ghana: Wer etwas hat, gibt es ab! Der absolute Held bei meinen Kumpels aber wurde ich, als meine Mutter erstmals Bälle im Gepäck hatte. Der fußballverrückte Gerald musste also nicht mehr mit zusammengeknüllten Socken spielen. Das war eine Wonne!

Komischerweise waren meine Freunde nie neidisch auf mich, wenn meine Mutter mich und meine Schwestern mit Geschenken verwöhnte. Vielleicht weil sie wussten, dass sie auch etwas von den Keksen und den anderen schönen Sachen abbekommen würden. Im Grunde haben sie sich eher für mich gefreut. Selbst an dem Tag, an dem ich als einer der Ersten im Dorf ein Fahrrad bekam. Da haben meine Freunde und ich nicht nur gemeinsam viel Spaß mit dem Drahtesel gehabt – keiner konnte damit umgehen! –, sondern wurden auch gleich richtig geschäftstüchtig. Wir verliehen das Fahrrad nämlich kurzerhand an Jung und Alt gegen Gebühr. Meistens hieß die Währung »Keks«. Für eine Handvoll Kekse gab es als Gegenleistung eine bestimmte Zeit mit dem Fahrrad. In der Regel waren alle mit dem Geschäft glücklich und zufrieden: Die Fahrer hatten ein flottes Fortbewegungsmittel und wir Kinder schlugen uns mit dem Gebäck den Magen voll.

Und noch etwas fällt mir ein. Wir waren wahrscheinlich die einzigen Kinder in ganz Ghana, für die ein Katalog ein buntes Märchenbuch war. Auf ihren Besuchen brachte meine Mutter gerne den aktuellen Otto-Katalog mit. Darin suchten wir Kinder uns dann Geschenke aus. Leider ging keiner unserer Wünsche je in Erfüllung. Aber das Blättern im großen Spielzeugtraumbuch aus dem fernen Deutschland war eine unserer liebsten Beschäftigungen. Was für ein Traumland musste dieses Deutschland bloß sein, wenn es dort Sachen in den verschiedensten Ausführungen und Modellen gab, die man in Ghana gar nicht kannte?

Manchmal beneidete ich meine Mutter, wenn sie wieder in dieses Paradies abreiste. Das machte mich traurig – aber nur für kurze Zeit. Denn ich wusste, dass meine Nana weiter für mich da sein würde. Sie war eben zu dieser Zeit meine Mutter.

Ohne Schuhe geht es auch

Bis zum neunten Lebensjahr ging ich im Dorf zur Schule und hoffte jeden Tag, sie möge bald vorbei sein, dieser blöde und langweilige Unterricht. Denn eigentlich interessierte mich nur Fußball – und der bestimmte den restlichen Tagesablauf. Immer und überall, wann und wo es ging, rollte der Ball über ein improvisiertes Spielfeld und ich jagte ihm hinterher. Der Rest der Welt konnte mir in diesen Augenblicken gestohlen bleiben.

Da Fußball in Ghana meistens barfuß gespielt wird, dienten meine Schuhe häufig als Torpfosten. Dass ich welche hatte, war echter Luxus. Ohne Neid freuten sich auch meine Spielkameraden darüber, denn so mussten wir nicht lange nach geeignetem Material zum Torbau suchen. Und dann spielten wir mit allem, was annähernd rund war, und ich begann glücksbeseelt zu träumen: von einer Karriere wie sie Anthony Yeboah gemacht hatte, der in Deutschland zu dieser Zeit ein toller Stürmer war. Leider endeten meine Träume dann meistens plötzlich und unsanft – mit einer Ohrfeige von meiner Nana. Denn oft genug ging ich jubelnd als Sieger nach Hause, was ich aber vergessen hatte, waren meine guten Schuhe. Das passierte nicht nur einmal und führte dazu, dass ich nicht nur eine Backpfeife kassierte, sondern auch ohne Schuhe zur Schule gehen musste. Das allerdings war für mich keine wirkliche Strafe und durchaus zu verkraften. Denn die meisten meiner Mitschüler hatten ja auch keine. Meiner Oma jedenfalls versprach ich, sollte ich einmal groß und berühmt sein, mit einem Lastwagen voller Schuhe vor ihrer Tür vorzufahren. Noch muss ich dieses Versprechen einlösen. Denn immer, wenn ich in Ghana bin und meine Nana treffe, fragt sie mich augenzwinkernd: »Na, Gerald, wann kommt denn endlich mein Lastwagen!« Ich glaube, ich muss jetzt endlich einmal einen mieten.

Überhaupt ist meine Oma eine tolle Frau. Zwar mochte sie Fußball aus den oben genannten Gründen nicht so gerne wie ich, dennoch war sie in gewisser Weise verantwortlich für meine fußballerische Verrücktheit. Warum? Nun, sie führte ein kleines Restaurant, wo nicht nur ich Essen bekam, sondern jeden Sonntag nach seinem Spiel das komplette Team von Ashanti Mampong. Der Name sagt natürlich allen deutschen Fußballfans relativ wenig, aber Mampong spielte zu dieser Zeit in der ersten ghanaischen Liga. Mein Held im Team hieß Aduro. Er besaß ein Haus in unserem Dorf und immer, wenn das Training anstand, joggte er auf dem Weg zum Trainingsplatz an unserer Haustür vorbei. Stolz haben meine Freunde und ich ihm jedes Mal zugejubelt, denn als Stürmer war er verantwortlich für die Tore. Immer wenn sein Verein spielte, liefen wir zum Stadion und drückten uns an den Bambusgittern, die als Absperrung dienten, die Nase platt. Geld für den Besuch des Spiels hatten wir natürlich nicht. Doch wir wussten, dass die Ordner bisweilen ein Herz für uns kleine Fans hatten. Kurz vor Schluss des Spiels wurden wir Kinder umsonst in das Stadion gelassen. Tore sahen wir dann meistens nicht mehr, aber zumindest Aduro in voller Aktion, den bulligen Stürmer, der sich so geschmeidig bewegte. Schnell war für mich klar: So wie er wollte auch ich werden.

Ab diesem Zeitpunkt setzte ich mir in den Kopf, nur noch das zu essen, was Aduro bekam. Und so futterte ich Fufu, was mein Magen aushielt– ein Gericht, das Kinder mit Kohlenhydraten nahezu mästet. Fufu oder Foufou ist ein fester Brei aus Maniok oder Yams, gemischt mit Kochbananen. Er ist in ganz Westafrika und vor allem in Ghana Hauptbestandteil oder Beilage vieler Gerichte. Das Ziel der Annäherung an mein Idol habe ich erreicht. Auch ich bin ein bulliger Stürmer geworden. Nur mit Fufu musste ich irgendwann aufhören, da man mich sonst auf den Platz hätte rollen müssen.

Mafu, der Chef

Immer noch sind mir viele Dinge aus meiner Kindheit in Erinnerung. Mit Vorliebe denke ich an meine Freunde und an die schöne Zeit der Spiele zurück. Verstecken war besonders beliebt, das kostete nichts und war immer aufregend. Mal versteckten wir uns selbst, mal spielten wir Pilulu, ein Spiel, bei dem Stöcke versteckt werden, die dann ein anderer finden muss. Manche Tage sammelten wir Bierdeckel und alte Zigarettenschachteln und bastelten uns daraus das, was wir definitiv nicht hatten: Geld! Eine Marlboro-Schachtel war unser 20-Cedi-Schein (Cedi heißt die ghanaische Währung), der umgerechnet ungefähr zehn Euro wert ist – eine unvorstellbare Summe, von der manche Familien ganze Wochen leben können. Je mehr Schachteln man besaß, umso mehr machte unser kleines Kaufmannspiel Spaß.

Im Grunde war es uns eigentlich völlig egal, wie oder was alles zu Spielmaterial umfunktioniert wurde. Das galt auch für den Fußball. Socken, Dosen, alles, was irgendwie zu treten war, wurde benutzt. Jeder spielte mit und jeder hörte auf ein Kommando – und das hatte nicht ich, obgleich ich schon damals ein guter Fußballer war. Nein, der Chef auf dem Platz war eindeutig Mafu, und das, obwohl er seine Beine nicht bewegen konnte, weil sie gelähmt waren. Wie spielt man dann Fußball? Ganz einfach: Er lief auf seinen Armen und zog seine gelähmten Beine hinter sich her, seine Arme waren seine Beine. Mafu spielte immer mit und war verdammt schnell, er war wirklich der beste von uns allen, trotz seiner Behinderung, die bei uns überhaupt keine Rolle spielte. Wir hatten sogar gehörigen Respekt vor ihm. Denn auch wenn wir ihn foppten, gekriegt hat er uns immer.

Mafu ist der einzige Name, an den ich mich noch erinnere, und ein Freund, den ich auch später noch einmal getroffen habe. Da es für ihn immer schwerer wurde, sich auf diese Art fortzubewegen, habe ich ihm einen Rollstuhl geschenkt, auf den er fürchterlich stolz ist. Bei unserem Treffen konnten wir viel zusammen lachen, über Kinderstreiche, schöne Fußballspiele und auch darüber, was für einen Beruf er gefunden hatte: Er ist Schuhmacher geworden!

Unwägbar –Aufbruch in der neuen Heimat

Auf nach Deutschland

Mit zehn Jahren wechselte ich von meiner Dorfschule auf ein Internat in der Hauptstadt Accra. Dort teilte ich fast alles mit meinen Schulfreunden: den Tagesablauf, das Essen, den Schlafsaal. Nur in einem Punkt war ich eine Ausnahme. Sie alle hatten ihre Eltern vor Ort oder zumindest in der Nähe. Nur ich war ein Besuchskind.

Das aber sollte sich dann bald ändern. Denn am 11. November 1990, am Geburtstag meiner Mama, flog ich mit meinen Schwestern nach Deutschland. Zwölf Jahre hatte es gedauert, bis ich das Land zu sehen bekam, in dem meine Eltern mittlerweile Fuß gefasst hatten. Das war ungelogen ein großer Moment, denn ich würde nun auch meinen Bruder kennenlernen, der inzwischen in Deutschland zur Welt gekommen war. Überhaupt Deutschland. Ich hatte wenig Vorstellung von diesem Land. Sicherlich, meine Mutter hatte bei ihren Besuchen in Afrika immer wieder davon erzählt, aber ich konnte mir nie ein richtiges Bild machen. Nur eines wusste ich ganz genau: Deutschland wurde 1990 Fußballweltmeister. Ich hatte zwar kein Spiel gesehen, aber im Radio davon gehört. Mein Traum war, Fußballer zu werden, und nun reiste ich in das Land des Fußballweltmeisters ein!

In Ghana hatten wir uns von allen herzlich verabschiedet, es flossen Tränen der Rührung, aber ich spürte keinen Schmerz. Die Vorfreude auf meine neue Heimat war zu groß. Alleine der Flieger! Ich war noch nie geflogen und hatte mächtig Angst – wie meine Schwestern natürlich auch. Alle winkten uns zu, als das Flugzeug zur Startbahn rollte. Ich winkte zurück, war aber mit meinen Gedanken ganz woanders. Da, wo mein neues Zuhause sein sollte.