Dr. Mabuse, der Spieler - Jacques, Norbert - kostenlos E-Book

Dr. Mabuse, der Spieler E-Book

Jacques, Norbert

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The Project Gutenberg EBook of Dr. Mabuse, der Spieler, by Norbert JacquesThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Dr. Mabuse, der SpielerAuthor: Norbert JacquesRelease Date: October 22, 2015 [EBook #50285]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DR. MABUSE, DER SPIELER ***Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the OnlineDistributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net, incelebration of Distributed Proofreaders' 15th Anniversary.

Dr. Mabuse / der Spieler

Ullstein-Bücher

Eine Sammlung zeitgenössischer Romane

Dr. MabusederSpieler

RomanvonNorbert Jacques

Im Verlag Ullstein / Berlin

Alle Rechte, einschließlich des Rechts der Übersetzung, vorbehalten Amerikanisches Copyright 1920 by Ullstein & Co., Berlin

I

Der alte vornehme Herr stellte sich selber vor. Wie üblich, verstand niemand den Namen. Aber er war elegant und in diskretes bestes Tuch gekleidet. Er hatte als Vorstecknadel eine einfache weiße Perle, etwas barock, aber von der Weiße eines blonden Frauenrückens, wie Karstens sagte, und legte gleich so gegen 20000 Mark vor sich auf den Spieltisch.

Der junge Hull, Stämmling eines Industrie-Millionen-Vermögens, an dem sein Vater ihn reichlich teilnehmen ließ, hatte ihn mitgebracht.

Man begann gleich zu spielen. Der Gast nahm mit einer stummen Verbeugung das Spiel an, das man vorschlug: Einundzwanzig. Die Sätze waren unbegrenzt. Ritter hielt die Bank als erster.

Zunächst zeigte das Spiel durchaus nichts Ungewöhnliches. Verlust, Gewinn gingen reihum.

Aber bald begann es, daß Hull verlor. Das begann fast mit demselben Augenblick, da die Reihe, die Bank zu halten, an den alten Herrn kam. Hull verlor zuerst Hundertmarkscheine. Er spielte gelassen und in sein Pech ergeben. Vor dem alten Herrn mischten sich kleinere Noten in den Haufen der Tausender, die er vor sich hingelegt hatte.

Nur nach außen spielte Hull gelassen. Innerlich befand er sich in einer heißen Erregung. Es gingen Schleier vor seinem Hirn hin und her. Seine Noten chassierten zu dem Gast hinüber, ohne daß er es eigentlich merkte. Seine Sinne waren wie von einem feinen und unsichtbaren Spinnweb belegt, das ihn immer mehr einengte.

Er trank einige Kognaks und ließ sich dann eine Flasche Sekt bringen. Das half aber zu nichts weiterem, als daß er das Fach seiner Brieftasche wechselte und zu den Tausendern griff. Er hatte sie nachmittags von der Bank geholt.

Sein Spielpech wurde unwahrscheinlich. Hatte er gute Karten, so war ihm, als ob aus irgendeinem in Dunkel verhüllten Winkel seines Innern heraus eine mahnende Hand sich auf seinen Mund legte. Er verließ die Höhe seiner Einsätze und nannte eine geringfügige Summe.

Der alte Herr sollte nun die Bank weitergeben. Aber er erbot sich, Hull zuliebe sie noch zu behalten. Er sagte:

„Wenn die Herren einverstanden sind, so behalte ich die Bank noch einige Runden. Sie sehen, wie sich vor mir das Geld häuft. Ich bin der Gast Ihres liebenswürdigen Klubs. Tragen Sie meinen peinlichen Gefühlen gegen Herrn Hull Rechnung, und gestatten Sie mir, um was ich Sie bitte.“

Aber obgleich das in bescheidener Redeform gesagt wurde, klang es doch herrisch, jede Abweisung fortschiebend.

Der Klubdiener beäugte den Gast argwöhnisch. Aber er spielte mit den Karten, die der Klub selber stellte und die stets eben erst aus der Hülle gebrochen wurden.

Das Spiel feuerte in den Kreis. Man trank auch viel. Ein leichter Rausch umsponn den Tisch. Der Gast schloß sich beim Trinken nicht aus. Er benahm sich in keiner Weise auffällig. Er hatte einen ruhigen, lang in jedem Auge, das ihn anschaute, verweilenden Blick, große graue Augen, die etwas Herrenhaftes hatten und die das Spiel kaum zu begleiten schienen. Seine Hände waren groß, massiv und ruhig, als seien sie aus Holz. Den andern, viel jüngern, zitterten schon die Finger vom Widerschein innerer Erregtheit.

Hull spielte weiter, obgleich er seine Tasche immer dünner werden spürte.

Was ist los? fragte er sich immer. Er wollte aufstehen und ein Spiel vorübergehen lassen, um an einem Fenster Luft zu schöpfen und einmal in die Stille der Nacht hinauszuschauen, aus der er einen Strom Ruhe für sich selber atmen zu können hoffte. Aber er saß wie gefesselt auf dem Leder, preßte die Ellbogen auf den roten Filz, und alle Gedanken fielen unbeherrscht aus ihm in eine Leere, wie in die Dimensionslosigkeit eines Schlafs.

Sonst war er nicht gerade ein leichtsinniger Spieler. Er überlegte, verfolgte den Gang des Glücks und war immer dran, ihn auszunutzen, wenn er ihm günstig war, oder sich zu dämpfen, wenn ein anderer an der Reihe war.

Doch an diesem Abend kannte er bald keine Hemmungen mehr. Keine Note hatte einen Wert für ihn. Ja, es war fast als ob er mit Lust verlöre. Mit Genuß seine Noten hinüberwechseln sah. Es mußte nur immer etwas geschehen. Man teilte die Karten viel zu träg. Man verzögerte ins Endlose das Nennen der Einsätze. Das Geld schlich um den Tisch für ihn wie kranke Kröten.

Dazu trank er, und alle Sinne, über die er die Herrschaft verloren hatte, wurden feurig wie Vollbluthengste, die auf einer Heide dem Kutscher durchbrennen. Sie rannten mit ihm in eine Wüste. Es gab keinen Menschen und keinen Weg mehr. Ja, die Luft schien weggeatmet. Er fiel nur hin im Spiel.

Man begann sein Pech zu besprechen. Er bekam schlechte Karten, das war gewiß, aber er spielte auch schlecht. Er war unvernünftig. Man begann von befreundeter Seite aus das Spiel zu zügeln und sprach von letzten Runden.

Hull erfaßte das Wort zuerst nicht. Man mußte es ihm begreiflich machen. Da lehnte er sich auf. Er ward unvermittelt jähzornig, schrie und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Das große Auge des Unbekannten zog sich da leicht etwas von ihm und den andern zurück, und es schien, als glitte es nach innen. Leis erlosch etwas von dem Glanz. Der Gast legte die Karten hin und stopfte das Geld in die Tasche; doch tat er das nur so nebensächlich, als sei es ein Taschentuch. Es stand aber noch eine Runde.

Hull schrie:

„Va banque!“

Der alte Herr gab die Karten. Hull deckte die seinigen rasch für sich auf. Er hatte 21.

Da geschah etwas in ihm, etwas ganz Unverständliches, Widersinniges ... er warf seine Karten mit den Bildern nach unten auf das Paket der andern, beiseite geschobenen und rief:

„Ich habe wieder verloren.“

Rasch deckte der alte Herr seine Karten auf. Sein Auge erflammte wieder, hastig und blitzschnell verlöschend. Er zählte die Summe, nannte eine Zahl und warf seine Karten mitten auf den Tisch.

Hull geschah es, als fiele er von einem schwankenden Brett, das irgendwo in einer Finsternis schwebte, in unsichtbare Dinge aufgehängt.

Wo war ich? fragte er sich zaghaft und verblüfft.

Er begann, alles um sich neu zu sehen, so als träte er jetzt erst in den Kreis: die drei Glühbirnen, rund, matt unter dem Schirm, das rote, lichtbeschienene Tuch, seine Freunde, den fremden, alten Herrn, zerstreute Karten und Geld.

„Wo war ich? Wo war ich?“ stammelte er.

Seine Gedanken erwachten, wurden aus einem nebelhaft Umfangenen zu einer kleinen, nüchternen Klarheit. Es war so, als ob er Behänge von ihnen fortzöge, um sie zu entkleiden.

Dann wurde er von einem plötzlichen Mißtrauen gegen sich selber erfaßt, das ihn krank machte. Eine Weile grub er den Kopf in die Fäuste, badete die Augen in den Handhöhlen, die wie mit eisigem Reif belegt sich anfühlten, und sich aufrichtend, sagte er:

„Was habe ich getan? Ich hatte 21! Da hat jemand mit meiner Stimme gesagt: Ich habe wieder nichts! ... Da ...“

Er riß die fortgeworfenen Karten vom Haufen und deckte sie auf.

Es war ein As, eine Zehn und ein Bube!

Einundzwanzig!

Der alte Herr zog seine großen grauen Augen nun ganz in sich hinein. Sie wurden klein und sahen aus, als ob sie in einer großen Ferne stünden. Durch den Körper des Fremden ging sichtbar ein gewaltsames Reißen — rasch, hastig besiegt. Dann dehnte sich der Brustkorb, und der Atem ging einige Male tief und schwer, als müsse er Luft unmittelbar in die Seele pumpen.

„Zu spät!“ sagte er dann leis und streng.

Hull schüttelte nur den Kopf.

„Meine Bemerkung ging nicht gegen Sie,“ antwortete er wieder gefaßt, „sondern gegen mich. Wieviel schulde ich?“ fragte er liebenswürdig.

„30000!“

Hull leerte seine Brieftasche.

„Sie müssen sich bis morgen nachmittag vier Uhr mit 10000 Mark begnügen und einem Schuldschein natürlich. Wollen Sie die Freundlichkeit haben, mir Adresse und Summe in mein Notizbuch zu schreiben!“

Als Hull sein Buch zurückbekam, stand darin:

Balling Hotel Excelsior, Zimmer 15.

Er übergab mit einer lächelnden Verbeugung seinen Schuldschein dagegen.

„Zur Revanche bereit, Herr Hull!“ sagte Balling, indem er sich erhob. „Meine Herren, darf ich Ihnen für die Gastfreundschaft des Abends danken? Gute Nacht!“

Er sagte das in einem fast unhöflichen Ton, aber mit einer Entschiedenheit, die die anderen Herren auf die Beine brachte.

Karstens bot ihm sein Auto an.

„Nein, danke, mein eigenes erwartet mich unten.“

Er ging etwas steif, als sei er ermattet, hinaus, ohne weitere Höflichkeitsbezeugung. Der Klubdiener führte ihn zur Haustür.

„Hull, du bist verrückt,“ sagte Karstens, als der Fremde den Raum verlassen hatte.

„Was ist nun eigentlich geschehen?“ fragte Hull ruhig dagegen.

„Frage deinen Geldbeutel!“

„Meine Geldtasche ist leer. Wer hat mein Geld gewonnen?“

„Dein Freund!“ machte Karstens, indem er zur Tür hinaus zeigte.

„Wieso mein Freund? Ich sehe den Mann zum erstenmal. Wie kam er hierher?“

„Hull, entschieden, du brauchst die Adresse von einem guten Arzt. Emil, Telephonbuch!“

Karstens blätterte:

„Da, Dr. Schramm, psycho-pathologische Behandlung, Ludwigstraße 35 ...“

„Ich verstehe deine Scherze nicht, lieber Karstens!“

„Wer hat denn diesen herrlichen Einundzwanzig-Spieler mitgebracht? — Du!“

„Das ist nicht wahr, Karstens!“

„Ludwigstraße 35, mein Teurer! Rasch!“

„Natürlich haben Sie ihn hergebracht, Hull,“ sagte ein anderer.

„Ich? Ich? Ich erinnere mich jedenfalls nicht mehr. Es kann sein.“

Hull zog sich dann zurück, erschlafft, erstaunt, grübelnd über das Rätsel, das dieser Abend so unerwartet und brutal über ihn geworfen hatte.

Gegen Morgen, als er einmal erwachte, kam ihm eine blasse, rasch vergehende Erinnerung, als ob der fremde alte Herr an einem Tisch im Café Bastin mit ihm gesessen und als ob sie zusammen gesprochen hätten, und zwar über das Theater. Aber was sie gesagt, wußte er nicht mehr, noch über welches Theater gesprochen wurde. Das dunkle Gewebe seines Hirns hielt nur noch die blitzende Empfindung eines schrillen Scheinwerfers fest, der ihn während des Gespräches bestrahlte. Er bohrte sich, nicht mehr zum Schlaf kommend, hinter den grauen Fetzen dieser Erinnerungen her; aber mehr bekam er nicht mehr zusammen.

*

Das Erlebnis gewann nicht an Klärung durch das, was Hull am Nachmittag des dem Spieltag folgenden Tages widerfuhr.

Er hatte bis vier Uhr die 20000 Mark flüssig gemacht und brachte sie ins Hotel Excelsior.

Man telephonierte ins Zimmer Nr. 15.

Herr Balling sei da, hörte Hull, und bitte um die Karte des Herrn. Die gab er und fuhr bald hinauf.

Mitten im Zimmer Nr. 15 stand ein Mann, den Hull in seinem Leben noch nicht gesehen hatte. Ein kleiner, dicker, glatt rasierter Mann mit amerikanischen Zügen. Er machte auch eine puritanische Verbeugung.

„Ich bin wohl falsch geführt worden. Verzeihen Sie!“ sagte Hull zu ihm. „Ich wollte ins Zimmer Nr. 15.“

„Da sind Sie!“ antwortete der andere.

„Dann hat Herr Balling mir eine fremde Nummer aufnotiert.“

„Ich heiße Balling!“

Diesmal träume ich nicht. Ich bin ganz bei Sinnen. Ich spiele nicht einundzwanzig, sagte sich Hull und fuhr dann laut redend zu dem Fremden fort: „Aber das Rätsel wird sich ja gleich lösen. Haben Sie dies geschrieben?“

Er hielt Balling sein Notizbuch hin, in das der Fremde von gestern Abend Namen und Adresse eingetragen hatte.

„Nein!“ antwortete der Dicke.

„Dann bin ich Ihnen auch nicht beim Einundzwanzig 20000 Mark schuldig geblieben?“

„Meine Zeit ist kurz bemessen. Ich erwarte einen Geschäftsfreund,“ sagte der Dicke und zog seine Uhr.

„Ich überlasse Sie sofort Ihrem Freund, mein Herr, und bitte nur noch eine Frage stellen zu dürfen. Es ist nicht meine Schuld, daß ich Sie belästige. Ich bin irgendwie irregeführt worden.“

Der andere nickte.

Hull fuhr fort: „Ist Ihnen dann vielleicht ein Herr bekannt, der große graue Augen hat, etwa sechzig Jahre, weiße Favorites, grauer Zylinder, elegant diskret gekleidet, große Nase, und der auch Herr Balling heißt?“

„Ich kann Ihnen immer nur nein sagen!“ antwortete Balling von Zimmer Nr. 15.

Da empfahl sich Hull. Er fragte unten, ob nicht ein zweiter Herr Balling im Hotel wohne?

Nein!

Ob Zimmer Nr. 15 nicht vielleicht von einem inzwischen verreisten Herrn Balling ...?

Nein!

Ob die Schrift hier bekannt sei?

Nein!

Zum ersten Male in meinem Leben kann ich eine Spielschuld nicht an den Mann bringen, sagte sich Hull, als er das Hotel verließ.

Allmählich aber wurde er unruhig.

Welche geheimnisvollen Zusammenhänge! So etwas war ihm nie geschehen. Er hatte gewonnen ... verloren ... viel und wenig. Er war in Geldnöten gewesen. Er hatte Pech mit einem Mädchen gehabt. Er hatte sich einmal seriös auf Pistolen geschossen. Aber das konnte man alles mit der Hand greifen sozusagen ...

Doch diese Geschichte mit dem Herrn Balling und den 20000 Mark flatterte immer irgendwie hinter einem. Er hatte vergessen, daß er selber den Fremden in den Klub gebracht. Er hatte gespielt, als habe er den Kopf in einem Sack. Er war 20000 Mark schuldig geblieben; der andere gibt eine Adresse an, die zwar besteht, aber nicht die seinige ist, und auch das Geld will er nicht haben ...?

Wenn nicht Hull gerade ohne Geliebte gewesen wäre, so hätte er sich mitteilen können. Nun fraß er es in sich hinein, während er über den Lenbachplatz und die Promenade hinaufschlenderte und allen Menschen ins Gesicht schaute, ob nicht vielleicht zufällig der alte vornehme Herr unter ihnen komme. Er ging ins Café Bastin und schaute jedem, der dort saß, unter die Nase. Er setzte sich hin und wartete darauf, ob nicht vielleicht, wie er sich sagte, der genius loci seinen Erinnerungen unter die Arme greife.

Aber es endigte alles in einem wüsten Durcheinander. Er fand sich immer weniger zurecht und bekam allmählich mit einer kleinen, aber zähen Beunruhigung zu tun. Es war ihm, als liefe unsichtbar neben ihm eine zweite Kraft, die mit ihm nichts zu tun hatte, als daß sie darauf drang, auf ihn aufzuhocken wie ein Affe und ihn zu irgendwelchen bösen Abenteuern zu führen.

Hull drückte sich daran vorbei, in seine einsame Junggesellenwohnung zu gehen. Da traf er Karstens. Er rief ihn erleichtert an.

Aber Karstens fragte:

„Nun, ist dir die Erinnerung gekommen?“

„Mein Lieber, mir geht es böse!“

„Mit den 20000?“

„Da sind sie!“ Er klopfte auf die Brusttasche. „Nein, die will keiner haben, denke dir. Im Zimmer Nr. 15 im Excelsior wohnt ein Herr Balling, aber es ist nicht der meinige. Wir haben uns nie gesehen. Er hat nie Einundzwanzig gespielt, und niemand ist ihm 20000 Mark schuldig. Ich werde die 20000 Mark nicht los! Aber dafür bekomme ich das Gruseln. Es geschieht etwas mit mir. Wer ist um mich? Und ich sehe ihn nicht! Mit mir wird es noch böse gehen!“

„Auf in den Klub! Vielleicht kommt dein Herr Balling, sich heute sein Geld selber holen!“

„Und der wirkliche Herr Balling von Zimmer 15 im Excelsior?“

„Ja, Mensch, du hast Sorgen! Ich gestehe dir’s zu. Komm!“

„Gut! Vielleicht kommt er.“

Abends im Klub kam es nicht zum Spiel. Der Fall regte die Phantasien dermaßen auf, daß niemand den Pfeffer des Hasards nötig hatte. Man überhäufte Hull mit dummen oder gleichgültigen Ratschlägen.

„Emil,“ fragte einer den Diener, „wie war denn sein Auto?“

„Förstklassig, Herr Baron, etwa ein Zwanziger zumindest, geschlossen, elegant, eine Karosserie wie die Wiege eines Kronprinzen, wenn man diesen Vergleich heute noch machen darf, so ... gerundet, geschweift, so ... so ... Er setzte mit einem Sprung von fünf Metern an und fort war er. Seine 24 hatte der Wagen. Aber auf die Finger habe ich ihm geschaut, wie er das Sauglück gegen den Herrn von Hull gehabt hat. Reinlich gespielt hat er.“

Mehr erfuhr man nicht über den Fremden. Es meldete sich niemand weder im Klub noch bei Hull, um die 20000 Mark einzukassieren oder Revanche zu geben.

Hull lernte tagsdarauf ein Mädchen kennen, das in der Bonbonniere Grotesktänze aufführte. Sie war halb mexikanischer Abstammung, sagte sie. Sie beschäftigte ihn sofort in ausgiebigem Maße, lenkte ihn ab, und bei ihr befreite er sich rasch vom Druck der 20000 Mark, die er nicht an den Mann bringen konnte.

„Es war halt bestimmt, daß du sie an die Frau bringen solltest,“ sagte ihm Karstens, als er diesen von der wieder zurückgekehrten Sorglosigkeit unterrichtete.

II

Etwa vierzehn Tage später waren die Kreise der Menschen, in denen das Leben des Tages nur ein langweiliges Verplempern von Zeit ist, vor Anbruch der Stunde des Spiels, in der die Nerven aus dem Blut Spannung, Leben und Kraft pumpen, mit der Märe eines Fremden erfüllt, der, wo er in einen Spielsaal eindrang, sich mit Geld belud.

Es war immer ein anderer. Es war bald ein junger Sportsmensch, bald ein gesetzter Provinzpapa, bald ein blondbärtiger, wie ein Künstler zurechtgemachter Mann, bald ein entsprungener Raubmörder ... bald ein entthronter Fürst ... heute Franzose, morgen aus Leipzig ... er verschob im Nebenberuf Steinkohlen von der Saar über die Schweiz nach Bayern oder machte Valutageschäfte mit Neuyork und Rio de Janeiro. Es war immer ein anderer, aber die Phantasie legte die verschiedenen Bilder übereinander und machte eines daraus.

Geschlossene Gesellschaften gab es ja nicht mehr. Das Geld war ein Schlüssel auf alle Schlösser, ein Pelzmantel bedeckte jeden Beruf, wenn man ihn anhatte, und eine Brillantennadel überstrahlte jeden Charakter. Man kam, in welche Gesellschaft man wollte.

So war keiner mehr vor dem anderen sicher, und in jeder Gesellschaft wurde der Sagenhafte, wurde der Glücksspieler an jedem Abend erwartet und gefürchtet. Jeder Nachbar konnte es sein.

Bei den Behörden liefen Klagen über räuberische Spieler ein. Es konnte ihnen wohl in keiner Weise Falschspiel nachgewiesen werden. Aber ihr Glück im Spiel war derart, daß man nicht glauben konnte, es ginge von allein.

Hull kam jetzt durch die Dame aus der Bonbonniere in mehrere Gesellschaften, in denen gespielt wurde. Er hörte viel von dem Spielräuber und von verschiedenen Seiten, denn die Kulissenleute beschäftigten sich gern mit solchen Erscheinungen, die, wie ihr eigenes Leben, den Rahmen des ans Alltägliche Gebundenen sprengten, und waren bedacht, es ins große Phantastische, aus unheimlichen Kräften sich Nährende abzuschieben.

Aber Hull hatte einen kleinen, alltäglich gescheiten Kopf. Er dachte wohl noch immer an die Geschichte seiner 20000 Mark, jedoch mehr von dem heiteren Punkt aus, daß er sie nach einer radikal anderen Richtung untergebracht hatte als derjenigen, zu der sie bestimmt gewesen waren. Er wußte heute, wo er sich gänzlich von dem Vergessen-Spuk befreit hatte und immer mehr zur Überzeugung gekommen war, seine Freunde hätten ihm mit jener Nacht einen konsequenten, aber schlechten Scherz serviert, daß sein Schuldschein und die 20000 Mark erledigt seien, und daß das einzig Anrüchige an der Sache jener Balling gewesen war, der irgendwie mit seinem Spielglück trotz des Dieners Emil sich nicht sicher gefühlt habe.

Um so mehr war er erstaunt, als sich bei ihm eines Tages ein Herr von Wenk meldete und ihm die Geschichte aus jener Nacht neu aufgewärmt auf den Tisch stellte.

Hull verhielt sich ablehnend.

Aber da sagte der andere, er sei Staatsanwalt. Der Herr von Wenk wurde in den höflichsten Formen sogar zudringlich und zog ein Schriftstück hervor. Das sei er gezwungen, in seiner Eigenschaft als Beamter vorzulegen, wie er sagte.

Hätte Hull sich wenigstens mit der Cara Carozza, der Freundin aus der Bonbonniere, besprechen können, statt allein da vor dem Mann zu sitzen und allein nachzugrübeln, was zu sagen oder wegzulassen für seine Bequemlichkeit am zuträglichsten wäre.

Er befand sich wohl in seinem Liebesglück mit Cara Carozza und hielt nicht im mindesten darauf, im Namen der Tugend des Landes von alten Speisen zu essen.

„Sie unterhalten, verübeln Sie mir die Einmischung in so persönliche Verhältnisse nicht, Beziehungen zu Fräulein Cara Carozza von der Bonbonniere,“ sagte nun gar der Besucher.

„Uff, mein Gott!“ seufzte es in Hull.

„Können Sie mich mit der Dame zusammenbringen? In Erfüllung meines Amtes, das mir der Staat übertrug. Wenn ich Sie freilich bitten dürfte, dem Fräulein gegenüber mich als Privatperson gelten zu lassen. Unnütz, Ihnen zu versichern, daß ich Sie für einen durch und durch makellosen Mann halte, der vollkommen unverdächtig ist. Auch über die Dame ist mir Nachteiliges nicht bekannt. Sie erweisen aber dem Land und wahrscheinlich sich selber einen Dienst. Sie stehen von heute an unmittelbar unter dem Schutz der Polizei. Beunruhigen Sie sich nicht. Noch ist das nichts anderes als eine vielleicht übertriebene Vorsicht. Sie sollen jedoch sicher sein, in keiner Weise an den Diensten zu Schaden zu kommen, die Sie Volk und Staat zu erweisen in der Lage sind.“

„Wie soll ich das alles verstehen, Herr Staatsanwalt?“ fragte Hull unsicher.

„Sie werden sich doch Gedanken über Ihren glücklichen Gegenspieler gemacht haben?“

„Ganz offen gesagt, ich hatte eine Weile Angst, Herr Staatsanwalt. Es schien mir etwas Unheimliches bei der Sache zu sein. Schließlich habe ich mein vermutliches Vergessen, daß ich selber jenen Herrn mitgebracht hätte, auf einen schlechten Spaß meiner Freunde geschoben.“

„Aber dieser Herr Balling, der im Hotel ein anderer war als abends zuvor im Klub?“

„Der ist mir noch heute unklar. Man gibt sonst falsche Adressen an, um zu prellen. In diesem Fall aber war es geschehen, um 20000 Mark nicht zu bekommen.“

„Könnten Sie es sich nicht so erklären,“ fuhr der Staatsanwalt fort, „der fremde alte Herr muß in irgendeiner Weise falsch gespielt haben? Er begnügte sich, vorsichtig oder gewarnt durch einen Zufall, dessen Kenntnis sich Ihnen entzieht, mit dem Geld, das er in bar gewonnen hatte. Er nannte einen Namen, der ihm gerade einfiel und von dem er durch irgendeinen Zufall Kenntnis hatte. Wenn nicht der Herr Balling vom Nachmittag im Excelsior nichts anderes als eine Ummaskierung des Herrn Balling aus Ihrem Klub war. Aber Sie sagen ja, der erste sei ein kleiner, dicker Mann gewesen, der andere aber von auffallender Körperform ... Spielen Sie noch, Herr Hull?“

„Ein bißchen, so dann und wann!“

„Zusammen mit Fräulein Carozza? Ich bin mit einem Ihrer Kameraden befreundet. Mit Karstens! Er wird mich Ihnen vorstellen, und wir werden eine Bekanntschaft gesellschaftlich erneuern, der amtlich vorgegriffen zu haben mir nicht allzu sehr verübelt werden möge. Ich hoffe, Sie auf meine Seite zu bekommen.“

Dann ging Wenk. Er begab sich in sein Amtszimmer.

*

Wenk hatte einen Monat vor diesem Besuch in einem Prozeß, in dem er als Staatsanwalt wirkte, zum ersten Male gesehen, wie die Spielwut als eine Seuche die Stadt fiebern machte. Er selber liebte den Anreiz, den das Hasardspiel der Phantasie und den Nerven und die Abwechslung, die es seinem Beruf zwischen Anwälten, Richtern, Angeklagten gab. Früher hatte er regelmäßig gespielt. Nicht aus Leidenschaft, aber mit einer eifrigen Liebe, im Spiel die Macht über eigene Beherrschung ausprobierend, Menschen beobachtend und dem reizvollen, nervenbadenden Zickzack des Glückes anheim gegeben.

In dem Spielerprozeß hatte er erlebt, welche Gefahr dem Volk durch das Spiel drohte. Das Auslaufen des Krieges in den keineswegs abspannenden Zustand, den die Bedingungen von Versailles dem deutschen Volk brachten, hatte die Phantasie nicht beruhigt, sondern hielt sie angestachelt.

Die Heeresberichte waren vielleicht die erste Schuld gewesen. Sie waren, oft wochenlang, monatelang, wie eine Lotterie fürs ganze Volk gewesen. Dann hatte bald jene verhängnisvolle Bewegung eingesetzt, mit der von den Kriegsbehörden ganze Kreise des Volles systematisch in Spielwut versetzt wurden, um sie für die Zwecke der Heeresleitung gut gestimmt zu halten: die gesteigerten Löhne der Kriegsarbeiter und das Nachwerfen von Geld an die Industrie. Der Handel hinkte nicht lange nach. Überall wurden Schleusen geöffnet, und in dem Maße, als die Waren seltener wurden, begann das Geld über alle Dämme zu schwemmen. Es war Wenk klar, daß jene Menschen in den hohen Stellen der vergangenen Zeit, die glaubten, die Seele des Volkes mit Geld zu kaufen, schuld an dem verhängnisvollen Ausgang des Krieges für Deutschland und so auch schuld an der politischen Entwickelung waren.

Sie hatten an Stelle der unvergänglichen, zu aller Entsagung, zu voller Pflichterfüllung gegen die Allgemeinheit bereiten Seele einen Götzen — das Geld gesetzt. Der Tanz um ihn erfaßte das ganze Volk.

Der Krieg hörte auf. Das Geld hatte an Wert verloren und beherrschte doch mehr als jemals das Leben eines Volkes, dem der äußere Erfolg, der äußere Glanz genommen worden war.

Hunderttausende waren durch den Krieg an ein untätiges Leben gewöhnt worden. Dies Leben war durch Jahre nichts anderes gewesen als eine Lotterie um Sein oder Nichtsein. Es hatte sich in nichts anderem betätigt als einesteils im Bewußtsein der Macht über Nebenmenschen und andernteils rein in den Nerven. Hirn wie Gemüt waren verhängt worden.

Sie brachten in die von nun an lebenssicheren Verhältnisse, in die sie aus dem Krieg herauskamen, die immer zum Spiel gespannte Phantasie. Sie waren immer gewohnt und entschlossen, auf eine Karte zu setzen. Sie führten das ehemalige Leben weiter, indem sie die Atmosphäre der Zufälle, der rasch aber hastig und vorübergehend die Nerven betäubenden Zustände aus der Kriegszone in das ganze zum Frieden zurückgekehrte Volk warfen, sein Klima zu ihren Bedürfnissen umschufen.

Das war begreiflich, gewiß! Aber die bestimmt waren, die Geschicke des Volkes über den laufenden Tag hinaus zu leiten, müßten nun mit letzter Selbstverleugnung am Werk sein. Dann wäre eine Genesung zu erhoffen.

Der Spielerprozeß hatte Beispiel über Beispiel gezeigt, wie die Entwickelung sich gemacht hatte.

Dieser Prozeß hatte Wenk weit herum in den Gesellschaften geführt, die in dem neuen Laster — im Spiel — lebten und auch von ihm lebten. Seine Überzeugungen waren verankert, seine Kenntnis und sein Erkennen der Gefahr schreckhaft vergrößert worden.

Man spielte im Sous-sol um fünf und im ersten Stock um Fünftausende von Mark. Man spielte straßein, straßaus, hausauf und -ab. Man spielte mit Karten, mit Waren, mit Gedanken und mit Genüssen, mit der Macht wie mit der Schwäche, mit dem Nächsten wie mit sich selber.

Heute spielten auch die Menschen, deren Natur das Spiel nicht lag, die, bequem und gelassen, gewohnt waren, Gelegenheiten abzuwarten und nicht sich ihnen entgegenzuwerfen.

Wenk war ein Beamter gewesen, der sein achtunddreißigstes Jahr in einer ebnen und gut temperierten Karriere erreicht hatte. Im Krieg hatte er sich bei den Fliegern als Freiwilliger gestellt, weil er Liebe zum Sport hatte und von seiner lebhaften Jugend her die Erinnerung an den Reiz der Gefahr in sich bewahrte. Diese Tätigkeit hatte ihn aufgepulvert, und er ging in seinen Beruf mit heftigeren Gefühlen zurück, als er ihn verlassen hatte. Der Spielerprozeß und was er in seiner Atmosphäre gesehen, hatte ihn aufs leidenschaftlichste aufgerührt.

Er war sofort zum Minister gegangen, hatte geschildert, was er gesehen und erkannt, und ihm dargestellt, daß gegen diese neue Cholera gekämpft werden müsse, sonst zermürbe sie den Volkskörper. Bei der Wertlosigkeit des Geldes und den gesteigerten Bedürfnissen könne sich das Volk nicht anders helfen, als die zahllosen Papierscheine rastlos immer wieder aus einem Besitz in den andern zu jagen. Der normale Produktions- und Vertriebsverkehr ergäbe dazu aber nicht das nötige Tempo und beanspruche auch Arbeit. So geschehe es nach und nach, daß das Spiel den Herzschlag hergeben müsse, in dem das wirtschaftliche Leben pulsiere.

Der Minister lächelte. Er war ein neuer Mann. Er sagte: „Unser Volk ist gesund. Sie sind ein Pessimist!“

Aber Wenk fuhr gegen ihn an: „Es ist durch und durch krank! Woher kann es gesund sein — nach solchen Jahren und einem solchen Leben?“

Da gab der Minister, der sich unsicher fühlte und nichts unversucht lassen wollte, nach und schuf einen neuen Posten, den Wenk einnahm.

Der ehemalige Staatsanwalt und Beamte wurde wie in einem Wirbel in sein neues Amt aufgerissen. Er widmete ihm alle Anstrengung und Energie. Er schaffte sich nicht zu seinem Titel einen Klubsessel und ein bequemes Bureau, sondern bildete sein Amt vom geringsten auf, ward Spitzel und Detektiv, unermüdlich immer sich selber hinausstellend, sammelnd, was er erreichen konnte. Alles tat er selber. So war er bald, da er das geringe Ausmaß seiner Kräfte im Kampf gegen die Ausdehnung des Lasters früh erkannte, auf den Gedanken gekommen, aus den Kranken selber eine Garde zu schaffen.

Und er fing bei jenen Menschen an, deren Reichtum nicht wie ein zugelaufener Hund im Haus herumlief, sondern die durch ihren Zusammenhang mit der Gesellschaftsordnung, die gestürzt war, politisch und menschlich in die Opposition gedrängt worden waren.

Er wußte: Keines Schuld an den bestehenden Verhältnissen war stärker als die dieser Menschen, weil sie zu einer Zeit, wo Widerstand nötig gewesen wäre, feig sich versteckt hatten. Aber er wußte auch, daß in ihnen eine neue Entschlußkraft emporwollte, daß sie gut zu machen sich sehnten, was sie gesündigt hatten.

Das waren vor allem die reichen jungen Männer ohne Beruf. In der Formlosigkeit, in die die Entwertung und Verschiebung des Geldes das Land gestürzt hatte, war es ihnen verwehrt, ihr bisheriges Leben fortzuführen. Ihre Gesellschaft hatte sich mit neuen Reichen durchsetzt, die sie gebrauchten, weil sie sich von ihnen gebrauchen ließen.

Der Staatsanwalt von Wenk hatte sich an ehemalige Korpsbrüder gewandt, von denen das unterschiedliche Leben seines Amts ihn seit langem getrennt hatte; und den er zuerst wiedergefunden und auch gewonnen hatte, war Karstens gewesen. Von ihm hatte er Hulls sonderbares und verdächtiges Spielabenteuer mit allen Einzelheiten erfahren.

Er verglich die Geschichte Hulls mit dem Material, das sich rasch bei ihm gesammelt hatte. Es kamen immer neue Klagen über räuberische Spieler, die so ausgezeichnet arbeiteten, daß ihnen ein Makel nicht nachgewiesen werden konnte, so andauernd aber gewannen, daß nichts anders denkbar war, als daß sie dem Glück nachhalfen.

Wenk war geneigt, aus einigen, wenn auch sehr weitläufigen Ähnlichkeiten alle diese Fälle auf eine zusammenarbeitende Bande zurückzuführen. Ja, er hatte den Eindruck, als sei hier ein einzelner Mann am Werk. Aber dieser Eindruck war nur gefühlsmäßig. Hulls Erlebnis war nun in dieser Reihe das sonderbarste, rätselhafteste und gefährlichste. Aber Wenk witterte, daß in ihm dafür auch der Schlüssel zu den andern läge.

*

Als Wenk gegangen war, stritt Hull lange Zeit mit sich. Die unnachsichtige Form, in der Wenk bei aller Höflichkeit bei ihm auftrat, hatte auf ihn gewirkt. Er ahnte, was der Staatsanwalt wollte. Denn er selber mußte sich oft unzufrieden erklären mit seinem Leben, wenn auch meist die Bequemlichkeit derartige Gedanken von ihm fern hielt.

Er hätte in gewöhnlichen Zeitläuften hemmungslos und ohne Bedenken sein genießerisches Leben so lange geführt, bis seine Gesundheit ihm das übliche Ende gesetzt hätte, oder bis es in eine der herkömmlichen oder unvorhergesehenen Ehen ausgegangen wäre.

Hull stimmte nicht überein mit dem Verlauf, den die Dinge in Deutschland nach Versailles genommen hatten. Zugleich fragte er sich: Wo warst du 1918, als die Wendung kam? Und früher, als sie sich vorbereitete? Bist du nicht mit schuld, du, Hull und ihr alle? ... Das meinte der Staatsanwalt.

Aber Hull sah in sich nicht das geringste jener Persönlichkeit, die zur Rettung fehlte, und er schüttelte das Bedenken von sich ab, fuhr zu Cara Carozza und erzählte ihr vom Besuche Wenks. „Um Gottes willen, bringe uns nicht in die Tinte mit deinem Staatsanwalt, lieber Gardi,“ sagte die.

„Aber ... aber ... spielen wir falsch? Betrügen wir? Wuchern wir, schieben wir? Wir lassen uns doch nur leben. Wo denkst du hin, Maidscherl?“

„Gardi, ein aufgefaltetes Spiel Karten ... ein Bankhalter ... geschlossene Türen und ein Staatsanwalt! Das kann einen an den Galgen bringen!“

„Ich versprach’s ihm aber!“

„Dumm!“ sagte sie nur mehr. „Du hättest dich anders herausziehen können. Die Escha bringt heute ihren Freund mit. Wir gehen zu Schramms. Karstens telephonierte vorhin, er komme auch.“

„Dann kommt Wenk sowieso. Also gut, es ist nun einmal so!“

Der Oberkellner des kleinen Weinrestaurants von Schramms, das sich kürzlich in einer der vornehmen Villenstraßen aufgetan hatte und von einem raffinierten Kunstgewerbler in einem verschrobenen Geschmack ausgestattet worden war, führte Karstens und Wenk nach dem Nachtmahl in einer Loge nach hinten und eine Wendeltreppe hinauf in ein Zimmer, das keinen anderen Ausgang und überhaupt keine Fenster zu haben schien.

In der Mitte des Sälchens stand ein Tisch von einigem Umfang, oval, aber bei jedem Sessel zu einer Nische ausgehöhlt, in die sich der Platzinhaber hineinsetzen konnte, so daß die Tischplatte rechts und links unter seinen Ellbogen ihn umfloß. Die Platte war aus einem barock geäderten, flammigen Kiefersfeldener Marmor. Nur in der Mitte war ein vollkommen weißes Oval eingelassen. Um den Tisch herum, hinter den Sesseln der Spieler erhöhte sich der Fußboden, aber die Wände waren mit verdehnten Liegediwans ganz angebaut, auf denen mild himbeerfarbene Polster mit schwarzen Ornamenten aufquollen. Eine gläserne geschliffene Tonne hing an Messinggestäng tief über den Tisch und erstrahlte von elektrischen Birnen, die aus silbernen Armen niedergriffen. Die Wände oberhalb der himbeerfarbenen Polster waren mit demselben freudigen Marmor belegt, aus dem die Tischplatte bestand.

Wenk wurde der Carozza vorgestellt.

„Ich konnte den Mund nicht halten, Herr Staatsanwalt. Meine Freundin ist unterrichtet. Verübeln Sie mir das nicht, bitte!“

Wenk machte eine leichte Verbeugung, in der ein Bedauern nicht unterdrückt war.

Für Karstens und Wenk waren Plätze am Tisch zurückbehalten worden. Sie setzten sich mit Verbeugungen, aber ohne daß jemand sie weiter vorstellte.

Man spielte Bakkarat.

Karstens neigte sich zu Wenk: „Nur der junge Mann mit dem blonden Vollbart ist fremd. Die andern spielen immer hier.“

Wenk warf einen Blick auf den Genannten und traf dessen Augen. Er sah, daß auch sie ihn anschauten, und er blickte gleich über sie weg in die Höhe. Aber er fühlte, daß der andere gemerkt hatte, man habe von ihm gesprochen. So oft in der Folge er nun zu dem Fremden hinüberblickte, fand er dessen Augen wie aufpassend auf sich liegen.

Der Fremde spielte kühl und zurückhaltend. Er verlor oft. Da ließ Wenk seine Aufmerksamkeit von ihm und wandte sich den andern zu, die er der Reihe nach beobachtete. Sie waren alle mit ihren Blicken in dem weißen Oval, auf das die Karten aufgeschlagen wurden. Selten kehrte einer den Blick ab. Es waren Herren in Frack und Damen, dekolletiert und übermäßig modisch gekleidet. Das Spiel hatte sie ins Genick gebissen und ritt auf ihnen.

Da ist niemand, sagte Wenk sich. Es sei denn der mit dem blonden Vollbart. Er begann wieder, ihn zu beobachten. Aber es fiel ihm nichts anderes auf, als daß jener seine Blicke erwiderte. Wenk widmete zugleich der Carozza seine Aufmerksamkeit. Er sah sie hingegeben spielend neben Hull sitzen, aus dessen Kasse sie sich bediente, wenn sie verlor. Gewann sie, so häufte sie aber das Geld vor sich auf. In einem Spieler zu ihrer andern Seite glaubte er einen bekannten Tenor der Staatsbühne zu erkennen, dessen Bild oft in den Schaukästen hing.

„Ist das Märker?“ fragte er Karstens.

Der nickte.

Wenk gewann etwas. Er spielte nicht länger, als bis er sich überzeugt hatte, daß für ihn nichts los sei. Dann überließ er seinen Platz einem älteren Herrn, der schon eine Weile hinter ihm saß und ihm mit Bemerkungen über seine Art zu spielen lästig gefallen war. Er setzte sich in eines der Polster und schaute noch ein Stündchen dem Spiel zu. Dann empfahl er sich. Karstens ging mit. Hull blieb mit der Carozza. Als Wenk schon einige Stufen hinuntergegangen war, blickte er nochmals zum Tisch zurück.

Da war es ihm, als ob der Blondbärtige mit seinen großen mausgrauen Augen gierig sein Fortgehen verfolgte und dann blitzschnell, wie in einer bezwingenden Drohung die Augen auf die Carozza richtete. Aber es mochte auch eine Täuschung des Lichts sein. Als Wenk unten an der Treppe angekommen war, stand er unversehens einen Blutschlag lang Brust an Brust mit einer Dame, die die Hand schon auf das Treppengeländer gelegt hatte. Er sah ihr mitten in die Augen. Betroffen trat er zurück, indem er sich tief wie zu einer Huldigung verneigte, und ging. Er wollte zu Karstens sagen:

„So schön sah ich nie eine Frau!“

Dann aber kam ihm das wie ein Verrat vor, und er trug, mit Wünschen umbrennend, das rasche Bild ihrer Erscheinung schweigsam durch die Nachtgassen. Zu Hause geriet er bald in Schlaf. Doch die zwei mausgrauen Augen, die viel älter waren als der gepflegte leuchtende Bart, hockten ihm im Schlaf auf die Brust und versuchten, das rote As unmittelbar aus seinem Herzblut herauszumischen.

Als er am Morgen erwachte, empfand er jedoch nichts als eine weite Sehnsucht, die Frau an der Wendeltreppe wiederzusehen.

III

Am Abend darauf war Wenk in der Nähe von Schramms zu einem musikalischen Abend geladen. Eine junge Klavierspielerin spielte moderne Geräusche. Wenk langweilte sich, ward unruhig und die Beute von immer abirrenden Vorstellungen. Es war ihm, als verabsäume er irgend anderswo etwas. Das wurde so quälerisch in ihm, daß er sich heimlich aus dem Haus entfernte und nur der Dame des Hauses eine Entschuldigungskarte hinterließ.

Er kam bei Schramms vorbei und wollte hastig vorübergehen. Da fiel ihm ein, auf dem ersten Stockwerk der Villa, in der dies neue Speise- und Spielhaus war, nach den Fenstern des Sälchens zu schauen, in dem er gestern abend gespielt hatte. Die Fassade hatte unten im Hochparterre große Fenster, hinter denen malvenfarbene Vorhänge ein sachtes Licht spendeten. Auf dem ersten Stockwerk waren nur vier Fenster. Doch alle sah er leblos und dunkel. Da sagte er hinauf: „Und hinter euch lichtlosen Fenstern leuchtet doch ihr Licht ... ihr Licht.“ Da ging er hinein, voll von Hoffnung, die Frau wiederzusehen.

Der Oberkellner kam sofort auf ihn zu, nahm Hut und Mantel, indem er flüsterte: „Marmortisch?“ und den Gast gespannt anschaute. Das war, wie es schien, das Losungswort für die Wendeltreppe. Wenk nickte: Ja. Der Oberkellner ging rasch vor ihm her nach hinten. Wenk folgte gemessen. Dann wurde er die Wendeltreppe hinaufgeleitet.

Der erste Mensch, den er am Spieltisch sah, war der Blondbärtige. Er saß in seiner Nische, mit breiten Schultern vorgebückt, die Augen fast erstarrt über den Tisch scheinbar auf einen Spieler geheftet. Er saß da, aufgeballt, wie ein Raubtier, das seiner Beute schon einen Tatzenhieb versetzt hat und wartet, was das Opfer noch tun könne. Er schien nur Muskel zu sein. Diese Empfindung hatte Wenk. Sie flog ihn so stark an, daß er erschrak.

Ein Platz war leer. Er setzte sich und zog seine Geldtasche. Er war durchkreuzt von Vorstellungen, als ob etwas am Tisch geschehen sei. Er sah die Spieler, niedergebeugt über die Gier ihres Erwartens, rundum hocken. Sie waren allein einer deutlichen, wenn auch nicht absichtlichen Bewegung eines von ihnen zugewandt.

Der Blondbärtige hielt die Bank.

Da erst sah dieser auf. Wenk bemerkte, wie er erst unwillig durch die Störung die Augen zu ihm hob. Dann geschah es, ganz gewiß zu erkennen, daß der Fremde leis mit dem Gesicht zurückzuckte. Aber mit derselben Bewegung schon bissen sich seine Kinnladen aufeinander, daß der Bart rundum sich hochhob. Alles andere war nur Eindruck gewesen. Dies aber war für Wenk ganz sicher. Ein Schauer überlief ihn wie vor einer plötzlichen gefährlichen Begegnung.

In demselben Augenblick drehte der Bankhalter die Karten um.

Einer sagte: „Basch hat schon wieder verloren!“

Alle schauten nun deutlich auf den blassen, mageren Mann, dem sie heimlich zugewandt gewesen, als Wenk eintrat.

Basch schob mit einer milden, verschlafenen Bewegung die Geldnoten, die er in das weiße Oval vor sich gelegt hatte, dem Blondbärtigen zu. Der hackte danach wie ein Raubvogel. Der Verlierer sank zurück, fingerte eine neue Tausender-Note heraus und legte sie mit derselben langsamen, traumhaft befangenen Sanftheit vor sich, mit der er die verlorenen Scheine fortgeschoben hatte.

„Wieviel verlieren Sie jetzt?“ fragte eine Dame vom Polster hinter Basch her. „Sie werden Glück im Leben haben. Wenn man so verliert! Ich schaue Ihnen zu wie einem Wettlauf. Sie müssen einen Rekord aufstellen. Im Verlieren! Dann werden Sie im Leben so glücklich sein, daß ich Sie ...“ Dazu lachte sie verwegen. Da erkannte Wenk mit einem süßen Erschrecken in seinen Adern in der Sprecherin die schöne Frau, die er gestern an der Wendeltreppe fast überrannt hatte.

„Alles fertig!“ rief der Blondbärtige mit einer strengen Stimme und schlug der Sprechenden das letzte Wort vom Mund zurück.

Basch hatte ihr nicht geantwortet. Er machte nur, als der Bankhalter rief, eine melancholische darbietende Bewegung der Hand über seinen Tausend-Markschein, eine Bewegung, lose, verschwommen und geheimnisvoll, als wolle er das Papier beschwören, dahinzugehen.

Er schaute seine Blätter an. Er hatte die Hand, und außer ihm hatte diesmal niemand pointiert.

„Ich gebe,“ sagte der Blondbärtige scharf.

Basch wiegte träumerisch: Nein, mit dem Kopf.

Wenk sah den gefärbten, lohenden Haarschopf der Carozza, hoch und lose aufgetürmt, hinter einem Gesicht leuchten. Aber seine Augen gingen immer wieder zu der anderen Frau.

Der Bankhalter kaufte eine Figur und deckte seine Karten auf. Er hatte nur vier. Auch Basch legte seine Karten um, auf einmal, mit einem fieberhaften Anlauf. Er hatte drei.

„Er spielt, als habe er Äther getrunken!“ flüsterte Wenks Nachbarin. „Bei drei keine Karte zu nehmen! Idiotie!“

Der Blondbärtige im Geldeinziehen warf einen raschen Blick über Wenk. Der fühlte sich gegen den Gewinner gereizt. Er erhöhte seine Einsätze. Er gewann, verlor manchmal dazwischen und gewann wieder.

Basch verlor weiter, jedesmal. Wenk nahm innerlich immer mehr seine Partei. Er setzte sein Geld, als sei es eine Waffe für Basch und gegen den Blondbärtigen ... als schlüge er damit auf den Blondbärtigen ein.

Wenk sah, der Blondbärtige schaute niemanden an als Basch und ihn. Er nahm also den Kampf auf. Wenk stürzte kopfüber ins Spiel, heißblütig, von einer dunklen Kraft bezwungen, die gegen den Bankhalter aus seinem Blut in sein Hirn wuchs. Er verlor sich von sich selber. Er spielte nicht mehr, um zu beobachten und zu entdecken. Er war dem Spiel unterlegen. Er spielte wie alle die Menschen, die er dem Spiel zu entreißen hergekommen war. Er vergaß sogar die schöne Frau. Als er das leis zu erkennen begann, schämte er sich, und es kam ihm zum erstenmal am Abend der Gedanke, im Zimmer umzuschauen, ob Hull das nun sähe.

Aber es war gar nicht Hull, der hinter der Carozza saß. Wenk schaute vergeblich umher. Hull war nicht da. Die Carozza saß mit einem fremden Kavalier hinter einem Spieler, mit dem sie gemeinsame Einsätze machte. Da fand sich Wenk wieder zurück. Er hörte auf zu spielen und verließ gleich den Saal im Ärger gegen sich.

Als er auf der Wendeltreppe war, sah er, daß auch der Blondbärtige sich erhob.

Wenk hatte sein Auto zur Villa der Musikfreunde bestellt. Daran erinnerte er sich erst, als er schon ein Stück Weges der Stadt zu gegangen war. Er ging also rasch zurück und fuhr heim. Er legte sich gleich ins Bett. Aber er fand keinen Schlaf, weil ihn der Gedanke nicht verließ, daß er nicht hätte weggehen, sondern bleiben sollen. Daß er hätte mit Basch sprechen sollen.

Er stand wieder auf und ging ein Bündel Akten durch, um sein Gewissen zu beruhigen. Bei diesem Durchlesen von Angaben fremder Menschen bekam er den Eindruck, sie alle, die in dem Maße verloren hatten, daß sie an nichts anderes als an Falschspiel glauben konnten, möchten so ähnlich wie Basch am Spieltisch gesessen haben. Wäre er geblieben und hätte er sich vernünftig benommen, so hätte er also zum erstenmal Gelegenheit gehabt, selber zu sehen, was bis dahin sich erst durch fremdes Bewußtsein durchsieben mußte, bis es zu ihm kam.

Da war Wenk ganz verzagt. Ich muß anders arbeiten, ganz anders! Der gute Wille genügt nicht. Fleiß genügt nicht. Selbstverleugnung und unerbittliche Disziplin und ein wenig mehr Schlauheit! Ich muß auch mit allen Tricks arbeiten, die der Gegner anwendet ... mit Maskierung, heimlicher Überwachung ... Ich muß mich selber aufs Spiel zu setzen vermögen ... muß selber Leimrute sein, um nicht als Gimpel darauf gefangen zu werden ... Der Herr Staatsanwalt mit einem falschen Bart ... den Browning im Handballen versteckt ... Jockeymütze und Zylinderhut mit Perücke und so weiter ... wie im Kino ...

Vor dem Spiegel beschaute er sein bartloses Gesicht, und er fand, Grimassen schneidend, den Mund verziehend, die Kinnladen auseinander spannend, aus Papierfetzen geschnitzte Bartschemen vorklebend, daß sich sein Kopf zum Maskieren sehr eignen müsse.

Am nächsten Tage ließ er sich von der Fahndungs-Polizei eine ganze Ausstattung besorgen. Mit Hilfe eines Fachmannes der Polizei probierte er alle Requisiten durch, lernte Bärte kleben, durch eine Schminke Gesichtsfarbe ändern und älter oder jünger machen, Entstellungen durch Narben und anderes mehr. Er konnte nun als Onkel aus der Provinz, als roter Eilradler, als Taxameterchauffeur, als Dienstmann, Kellner, Hausmeister, Fensterputzer, Arbeitsloser und so weiter losgehen. Den Vormittag über studierte er das kriminalistische Museum durch, das die Polizei angelegt hatte, begab sich wieder mit Photographien, die er dort gefunden, zu seinen falschen Bärten zurück und arbeitete mit fanatischem Eifer.

So verging der Tag, und abends war ihm, als sei er ein stärkerer Mensch geworden. Er war zugleich bescheidener und wagemutiger. Er wäre am liebsten gleich durch alle Spielhäuser der Stadt gelaufen.

Aber er ging nur zu Schramms. Lang hatte er sich überlegt, ob er nicht in irgendeiner Ummaskierung dort erscheinen sollte, mehr um sie ein erstes Mal auszuprobieren und zu lernen, sich sicher darin zu fühlen, als um etwa unter ihrer Deckung ans Werk zu gehen. Er wurde auch weniger durch die Aussicht, etwas zu erreichen, hingeführt, als um ein neues Mal vielleicht den Blondbärtigen spielen zu sehen: er wollte so sich selber gegenüber gutmachen, was ihm von seinem Versagen am vergangenen Abend her so peinigend nicht aus der Erinnerung weichen wollte. Auch Basch hätte er gern gesehen und versucht, mit ihm über das Kartenpech zu sprechen, unter dem er so gelitten. Er ging also, wie er war.

Es war schon spät, als er hinkam. Hull war dort. Aber es zeigte sich weder der Blondbärtige noch Basch. Von dem ersten hörte er nur, er sei gleich nach ihm fortgegangen, und das sei allgemein aufgefallen. Basch habe nach dem Weggehen des Blonden wie erschlafft und ohne weiterzuspielen in seinem Sessel gesessen und sei auf einmal verschwunden gewesen. Niemand kannte ihn recht. Er sei sonst nie zu Schramms gekommen.

Die Frau, die hinter Basch gesessen, schätzte seine Verluste auf dreißig- bis fünfunddreißigtausend Mark. Der Blonde habe das alles gewonnen. Er habe aber erst gewonnen, als er die Bank selber hielt. Es sei wohl alles in Ordnung zugegangen. Der Diener, der die Karten liefere, sei sehr zuverlässig.

Unter den Gesprächen über den gestrigen Abend hörte man auf zu spielen.

Die Carozza sagte: „Es gibt Menschen, die sind zum Spielen geboren, und wenn sie nur eine Karte in die Hand nehmen, ist es ein As. Sie können tun, was sie wollen. Es ist stärker als sie. Es ist ihr Geist, ihr Gott.“

Aber das glaubte die Escha nicht. Sie meinte, ein jeder Spieler treffe einmal in seiner Laufbahn auf die Serie der Glücksstunden. Sie lägen vorbereitet vor ihm, langerhand hingehängt von seiner guten Fee. Denn sie glaube an die gute Fee eines jeden Menschenkindes. Man dürfe es nicht aufgeben, diesen Stunden entgegenzuspielen. Man werde sie einmal pflücken können wie Äpfel im Herbst vom Baum ...