E-Book 136-140 - Günter Dönges - E-Book

E-Book 136-140 E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! E-Book 1: Parker köpft die Guillotine E-Book 2: Parker harpuniert den Killerhai E-Book 3: Parker hebt den Maulwurf aus E-Book 4: Parker haut den Lukas E-Book 5: Parker fängt die Königskobra

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Inhalt

Parker köpft die Guillotine

Parker harpuniert den Killerhai

Parker hebt den Maulwurf aus

Parker haut den Lukas

Parker fängt die Königskobra

Butler Parker – Box 27 –

E-Book 136-140

Günter Dönges

Parker köpft die Guillotine

Roman von Dönges, Günter

Sie hatte geläutet, und Butler Parker erschien in ihrem Salon, den sie sich als Studio hatte einrichten lassen. Sie saß vor der elektrischen Schreibmaschine und hatte natürlich wieder mal keine Zeile zu Papier gebracht.

Lady Agatha Simpson, die vor Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben, war eine majestätisch stattliche Dame mit energischem Gesicht. Sie wandte sich zu ihrem Butler um und verkündete, sie habe einen perversen Appetit.

»Mylady schweben eine bestimmte Spezialität vor?« erkundigte Josuah Parker sich gemessen. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und strahlte eine beeindruckende Würde aus. Sein Alter war nur schwer zu bestimmen, was auf sein stets ausdrucksloses, glattes Pokergesicht zurückzuführen war.

»Machen Sie mir Vorschläge«, antwortete die ältere Dame ungeduldig. Sie schaltete die Schreibmaschine ab und schien ihre Absicht nachhaltig vergessen zu wollen, einen Krimi-Bestseller zu schreiben. Damit beschäftigte sie sich schon seit Monaten. Es war ihr erklärtes Ziel, einer gewissen Agatha Christie zu zeigen, wie ein spannender Kriminalroman wirklich auszusehen habe.

Bei dieser Absicht war es bisher allerdings geblieben. Sie fand immer wieder Entschuldigungen. Dazu gehörte auch ihr Interesse an Kriminalfällen aller Art.

Sie konnte sich dieses Hobby leisten, weil es einen Butler Parker gab, der seine schützende Hand über sie hielt. Darüber hinaus aber war sie eine immens reiche Frau, die sich fast jede Verrücktheit leisten konnte.

»Ich warte auf Ihre Vorschläge, Mister Parker«, wiederholte sie mit ihrer dunklen Stimme, die an einen Baß erinnerte. »Sie sind natürlich wieder mal ratlos, nicht wahr?«

»Ich befinde mich im Stadium des intensiven Nachdenkens, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Könnten Mylady sich für einen Krabben-Cocktail erwärmen?«

»Ihre Phantasie ist nicht gerade ausgeprägt«, grollte sie und schüttelte den Kopf.

»Es wäre noch ein Himbeerpudding vorhanden, Mylady.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Agatha Simpson sah ihren Butler leicht gereizt an.

»Bevorzugen Mylady möglicherweise eine Fleischpastete?«

»Unsinn, Mister Parker! Ich brauche etwas Appetitanregendes, was meine Kreativität beflügelt. Habe ich mich endlich deutlich genug ausgedrückt?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ein wenig ratlos«, gestand Josuah Parker.

»Dieser Zustand ist mir nicht neu«, bemerkte die resolute Dame spitz, doch dann erhellte sich ihre Miene. »Ich hab’s jetzt. «

»Mylady sehen mich glücklich.«

»Frühlingsrollen«, sagte sie stichwortartig.

»Frühlingsrollen?« Parker hüstelte diskret. »Mylady meinen jene chinesische Vorspeise, die ...«

»Die meine ich«, sagte sie, ihren Butler unterbrechend.

»Um besagte Frühlingsrollen werde ich mich selbstverständlich sofort bemühen.«

»Sie müssen an Ort und Stelle gegessen werden, heiß und frisch, Mister Parker.«

»Mylady beabsichtigen demnach, das Haus zu verlassen?«

»Natürlich, Mister Parker. Und zwar möglichst schnell. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«

»Falls Mylady einverstanden sind, könnten Mylady in einem ausgezeichneten chinesischen Restaurant die erwähnten Frühlingsrollen zu sich nehmen.«

»Und wo ist das?« Die Detektivin war ungeduldig geworden.

»In Soho, Mylady. Ein gewisser Mr. Hua Li gilt als einer der besten Vertreter der chinesischen Küche.«

»Worauf warten Sie noch?« Lady Agatha wurde sehr aktiv. »In ein paar Minuten werde ich unten sein.«

Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ Myladys Studio. Obwohl es auf Mitternacht zuging, machte ihm die geplante Ausfahrt nichts aus. Er war ein Mann, der nur wenig Schlaf brauchte. Als perfekter Butler rief er natürlich das Restaurant an und ließ sich mit Mr. Hua Li verbinden. Parker bestellte einen Tisch und gab zudem die Wünsche nach einigen Frühlingsrollen durch. Da er Myladys Appetit kannte, einigte er sich mit Hua Li auf ein halbes Dutzend dieser fernöstlichen Köstlichkeiten.

Zu diesem Zeitpunkt dachte er wirklich nicht an Verwicklungen. Und er konnte schon gar nicht ahnen, daß dieser Abend der Beginn eines haarsträubenden Abenteuers werden sollte.

*

»Warum, zum Teufel, halten Sie nicht an?« grollte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Privatwagen von Freunden und Gegnern genannt wurde. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach den Wünschen und Vorstellungen des Butlers sehr nachhaltig frisiert worden war.

Dieses Monstrum hatte es tatsächlich in sich. Unter der eckigen Motorhaube arbeitete eine Art Rennmotor, der dem Wagen die Rasanz eines Tourensportwagens verlieh. Entsprechend war das Fahrwerk ausgelegt worden, das diese Geschwindigkeiten ohne weiteres schluckte. Darüber hinaus aber war das ehemalige Taxi zu einer wahren Trickkiste auf Rädern geworden. Es enthielt schon fast skurril zu nennende technische Überraschungen, und mancher Verfolger in der Vergangenheit war daran schon gescheitert.

Parker hielt an und wandte sich gemessen zu Lady Simpson um.

»Dort droben ist ein chinesisches Restaurant«, sagte sie.

»In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Darf ich mir jedoch erlauben darauf zu verweisen, daß dieses Restaurant nicht unbedingt einen einladenden Eindruck macht?«

»Papperlapapp«, gab sie unwirsch zurück und öffnete bereits die Wagentür. »Ich will meine Frühlingsrolle endlich haben.«

»Möglicherweise entspricht die Qualität dieser Spezialität nicht Myladys Vorstellung«, warnte Parker.

»Das wird man ja sehen!« Die Sechzigjährige ließ sich natürlich nicht beirren und setzte ihren Kopf durch. Sie marschierte bereits auf den Eingang des kleinen Lokals zu und machte sich im Geist bereits über die erste Frühlingsrolle her.

Butler Parker hatte nicht übertrieben.

Das kleine, nur spärlich beleuchtete Restaurant entsprach niemals den Vorstellungen seiner Herrin. Es war schmal, lang wie ein Korridor und enthielt eine Vielzahl von kleinen Nischen. Die Ausstattung war abenteuerlich kitschig. Parker sah mit einem Blick, daß echte Kunst aus Ostasien nicht vertreten war. Dieser Tand stammte mit Sicherheit aus einem Plastikbetrieb Hongkongs.

Lady Agatha kümmerte dies wenig.

Sie hatte bereits eine freie Nische angesteuert und nahm Platz. Parker setzte sich notgedrungen zu ihr, obwohl das seinem Gefühl für Distanz nicht entsprach. Er hatte sich jedoch inzwischen daran gewöhnt, daß seine Herrin darauf bestand.

Ein schmaler Chinese erschien, der ein akzentfreies Englisch sprach und sich nach den Wünschen der Herrschaften erkundigte.

»Frühlingsrollen«, erwiderte Lady Simpson. »Sagen wir, so für den Anfang, erst mal drei. Und Sie, Mister Parker?«

»Ich würde einen grünen Tee bevorzugen«, gab der Butler zurück.

»Drei Frühlingsrollen?« wiederholte der Chinese. »Das macht genau zwölf Pfund.«

Mylady schluckte und schickte sich an, dem jungen Mann einiges über Preisgestaltung an sich und im allgemeinen zu erzählen, doch Butler Parker reagierte erstaunlich. Er zückte seine Brieftasche, warf Lady Simpson einen schnellen, warnenden Blick zu und bezahlte im voraus. Der Chinese nahm die Banknoten entgegen und trollte sich, nicht ohne noch einen prüfenden Blick auf Lady Agatha und Josuah Parker geworfen zu haben.

»Das ist doch unverschämt«, grollte Agatha Simpson. »Sind Sie sich klar darüber, was Sie da gerade gezahlt haben?«

»Zwölf Pfund, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Es dürfte sich, wenn ich so sagen darf, um Frühlingsrollen besonderer Art handeln.«

»So einmalig gut kann keine Frühlingsrolle sein, Mister Parker.« Sie war sehr aufgebracht, begriff dann aber plötzlich und spitzte ihren Mund. »Sie glauben...?«

»Eine vage Vermutung, um offen zu sein, Mylady.«

»Das wäre ja wunderbar.« Sie wirkte plötzlich sehr animiert. »Diese Nacht scheint noch interessant zu werden.«

Der junge Chinese tauchte bereits wieder auf.

Er stellte einen Teller auf den Tisch, auf dem drei Karikaturen von Frühlingsrollen lagen. Sie waren total verbrannt, trieften vor Öl und rochen bedenklich.

»Tee ist nicht mehr da«, sagte er zu Parker.

»Wie erfreulich«, erwiderte der Butler und musterte die Frühlingsrollen. Der Chinese entfernte sich, und Lady Agatha beugte sich angewidert zurück.

»Wo ist nun die Überraschung, die zwölf Pfund gekostet hat?« fragte sie Parker.

»Mylady erlauben?« Parker zog den Teller zu sich heran, nahm eine Gabel und brach mit einiger Mühe die erste verkrustete Frühlingsrolle auf. Er stocherte in der Füllung herum und wurde fündig: Mit der Gabelspitze deutete er auf ein schmales Plastikbriefchen, wie man es in Imbißstuben als Portionssenf erhält.

»Senf?« fragte die Detektivin, die schon wieder gereizt war.

»Dem äußeren Anschein nach, selbst die Beschriftung deutet auf das von Mylady erwähnte Gewürz hin.«

Parker hatte das Plastikbriefchen mit der Gabel ein wenig gesäubert und wies auf den Text. Er sah sich nach einer Serviette um, doch in diesem Moment erhielten Mylady und er Besuch in der Nische.

Ein untersetzter, stämmiger Chinese langte ungeniert nach dem Teller mit den Frühlingsrollen. Und genau damit war die resolute Dame nun überhaupt nicht einverstanden. Sie hatte schließlich bezahlt!

*

Agatha Simpson reagierte blitzschnell und unkonventionell.

Sie stach mit der Gabel zu und traf den Handrücken des stämmigen Chinesen. Gut, sie durchbohrte nicht gerade die Hand des aufheulenden Mannes, doch sie piekte auch nicht nur oberflächlich.

Der Getroffene starrte auf seine Finger und schien diese Behandlung nicht fassen zu können. Er vergaß verständlicherweise die Frühlingsrollen, die von Parker inzwischen geborgen wurden. Er gab sie in sein blütenweißes Taschentuch und formte damit ein kleines Bündel.

»Sie Lümmel«, herrschte Lady Agatha den Dieb indessen an. »Was erlauben Sie sich eigentlich?«

Der stämmige Chinese hatte nichts von der stoischen Gelassenheit des Asiaten an sich. Er leckte sich erst mal die vier kleinen Stichwunden und wollte dann zur Tat schreiten. Er holte aus und hatte tatsächlich die unverkennbare Absicht, der älteren Dame so etwas wie einen Kinnhaken zu versetzen.

Er kannte Lady Simpson nicht!

Sie hatte selbstverständlich ihren Pompadour bei sich, jenen perlenbestickten Handbeutel, wie er von den Damen der besseren und besten Gesellschaft um die Jahrhundertwende benutzt wurde. In diesem Pompadour befand sich Lady Agathas Glücksbringer, ein echtes Pferdehufeisen, das nur recht oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. In Agatha Simpsons Hand aber war das eine äußerst gefährliche Waffe, wie sich zeigen sollte.

Parker beobachtete die Szene, griff aber noch nicht ein. Er wollte seine Herrin nicht verärgern, darüber hinaus aber kannte er natürlich ihre Wehrhaftigkeit.

Der stämmige Chinese wollte ihr also einen Kinnhaken versetzen und sich rächen, doch er erlebte eine peinliche Überraschung. Lady Agatha schwang den Pompadour gekonnt nach vorn und setzte ihn auf die Nase des Mannes.

Der ›Glücksbringer‹ verformte nicht nur die Nase, sondern traf mit seinen Ausläufern auf die Stirn. Der Stämmige verdrehte die Augen, schielte abenteuerlich und setzte sich erst mal auf den Boden.

»Was sind denn das für Manieren?« fragte Lady Agatha entrüstet und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »In was für eine Spelunke haben Sie mich da geführt?«

»Darf ich daran erinnern, daß es Myladys ausdrücklicher Wunsch war, dieses Restaurant zu besuchen?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er war es schließlich gewöhnt, daß Lady Simpson stets ihm die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Dann entschuldigte er sich kurz und klopfte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf den Kopf des stämmigen Chinesen, der sich gerade wieder erheben wollte. Parker wollte sich in der Unterhaltung nicht stören lassen.

Der Frühlingsrollenräuber sackte wieder zurück, legte sich diesmal aber flach auf den an sich nicht sonderlich sauberen Boden. Der Bambusgriff war schließlich mit Blei ausgegossen und dementsprechend schwer.

Die schlagfertige Diskussion war in dem chinesischen Lokal nicht unbemerkt geblieben. Aus einigen Nischen erschienen Gäste und musterten die Szene. Sie machten keinen sonderlich freundlichen Eindruck und warteten nur auf ein Stichwort, um über die Lady und ihren Butler herzufallen.

»Man sollte vielleicht das suchen, Mylady, was man im Volksmund das Weite nennt«, schlug Parker seiner Herrin vor.

»Gehen wir.« Sie war einverstanden. »Der Service hier ist ja unter aller Kanone.«

Parker hatte sich bereits erhoben und geleitete Lady Simpson aus der Nische. Die Zuschauer aber bildeten eine Mauer und wollten die beiden Gäste nicht, so ohne weiteres gehen lassen. Ihre Haltung war sogar eindeutig drohend zu nennen.

Lady Simpson nahm das jedoch überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie marschierte auf die Mauer der Leiber zu und musterte die Gäste mit scharfem Blick. Der Pompadour in ihrer rechten Hand kreiste irgendwie unternehmungslustig.

Butler Parker hatte vor dem Aufstehen nach einer der Gewürzdosen gegriffen und sie aufgeschraubt. Der Inhalt bestand aus einer pikanten Mischung von Pfeffer, Curry und exotisch scharfen Gewürzen in Pulverform.

Diese Mischung befand sich in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, streute Josuah Parker dieses Gewürz freigebig in die Gesichter der drohenden Gäste, deren Augen prompt in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Mit seinem Universal-Regenschirm bahnte Parker der älteren Dame anschließend eine Gasse.

Die Getroffenen kämpften mit Tränen in den Augen, niesten explosionsartig und gerieten aus der Fassung. Mylady ließ den Pompadour kreisen und drückte ihren ›Glücksbringer‹ auf verschiedene Gesichtspartien.

Die von Parker geschaffene Gasse ins Freie weitete sich. Agatha Simpson kam ungehindert zur Tür, während Parker eine Art Rückzugsgefecht lieferte und einige vorwitzige Verfolger außer Gefecht setzte. Dabei übertrieb er keineswegs und hielt sich an die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Unnötige Härte war ihm verhaßt.

Als auch er endlich auf der Straße war, hinterließ er eine Art Sperre oder Barrikade aus übereinanderliegenden Gästen, die den Eingang ungewollt völlig blockierten.

»Darf ich mir erlauben, mich nach Myladys weiteren Wünschen zu erkundigen?« fragte er, als er sie zu seinem hochbeinigen Monstrum führte. Eilig schien er es überhaupt nicht zu haben.

»Ich will endlich meine Frühlingsrolle haben«, lautete ihre Antwort. »Hoffentlich zeigen Sie mir wenigstens jetzt ein halbwegs anständiges Restaurant.«

*

Hua Li war ein schlanker, mittelgroßer Mann mit vollendeten Manieren. Seine Höflichkeit wirkte nicht aufgesetzt. Er hatte dunkle, intelligente Augen, die einen wachsamen Ausdruck angenommen hatten.

»Dieser werte Kollege ist mir nur oberflächlich bekannt«, behauptete er, als Parker sich nach dem Restaurant erkundigt hatte, das er vor knapp zehn Minuten zusammen mit Lady Simpson verlassen hatte.

»Seine Frühlingsrollen sind sehenswert«, sagte Lady Agatha und lachte spöttisch.

»Hoffentlich werden Mylady mit meinen bescheidenen Speisen zufrieden sein«, gab er zurück, verbeugte sich und verließ den Tisch, an dem das Duo Platz genommen hatte.

Das Restaurant des Mr. Hua Li war geschmackvoll eingerichtet. Die angebotenen Spezialitäten waren nicht gerade billig, und entsprechend war daher auch die Zusammensetzung der Gäste. Hier verkehrte nur ein Publikum, das Wert auf Qualität und gepflegte Umgebung legte.

»Ihnen ist doch hoffentlich aufgefallen, daß dieser Hua Li mehr weiß, als er zugeben will, oder?« fragte Lady Simpson ihren Butler.

»In der Tat, Mylady!« Parker saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf der Kante seines Sitzes. Er demonstrierte damit seine Stellung als Butler, der nur sehr widerwillig am Platz seiner Herrschaft Position bezogen hatte.

»Wollen Sie diese drei scheußlichen Frühlingsrollen nicht endlich untersuchen?« redete die ältere Dame ungeduldig weiter. »Ich will endlich wissen, was in diesen Plastikbriefchen ist.«

»Ich habe sie im Kofferraum meines bescheidenen Wagens zurückgelassen, Mylady.«

»Hoffentlich sind sie dort auch sicher.«

»Einigermaßen schon, Mylady. Zudem möchte ich von der Annahme ausgehen, daß die Plastikbriefchen wahrscheinlich irgendein Rauschgift enthalten.«

»Natürlich, Mister Parker.« Sie nickte unverfroren, obwohl sie daran noch gar nicht gedacht hatte.

»Schon allein wegen des Preises der drei Vorspeisen, Mylady.«

»Reden Sie nicht über Selbstverständlichkeiten«, meinte sie wegwerfend.

»Es könnte sich um Heroin handeln, Mylady.«

»Oder Kokain«, fügte sie geistesgegenwärtig hinzu.

»Auch diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen, Mylady. Aus diesem Grund ist mit einigen Überraschungen zu rechnen.«

»Worum ich auch gebeten haben möchte, Mister Parker. Ich will Ihnen mal etwas sagen, wir haben es hier mit einem neuen Fall zu tun. Und wem haben Sie das wieder zu verdanken?«

»Myladys Appetit auf Frühlingsrollen.«

»Das auch«, sagte sie, »in erster Linie aber meinem Instinkt! Wer wollte in dieses Restaurant? Wer hat’s mal wieder in den Fingerspitzen gehabt?«

»Ich möchte mich erkühnen, Mylady meine tiefste Bewunderung zu zollen«, versicherte Parker gemessen. »Darf ich mich bei dieser Gelegenheit nach Myladys weiteren Plänen erkundigen?«

»Wir werden diesen Sündenpfuhl natürlich ausheben, Mister Parker.« Sie machte einen unternehmungslustigen Eindruck. Ihre Wangen glühten, die Augen blitzten.

»Man wird es mit entschlossenen und unter Umständen auch brutalen Gegnern zu tun haben, Mylady.«

»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Nein, sie ließ sich wieder mal nicht abschrecken. Parker unterdrückte automatisch einen Seufzer. Er ahnte, was da wieder auf ihn zukam.

Hua Li ließ es sich nicht nehmen, die Frühlingsrollen zu servieren. Sie sahen appetitlich aus, und die süßsaure Sauce, die er dazu reichte, brachte die Geschmacksnerven in Wallung.

»Und hier Ihr grüner Tee, Mister Parker!« Hua Li stellte eine Deckeltasse vor Parker und verbeugte sich tief. Er vermied es, Parker anzusehen, verbeugte sich erneut und verließ dann den Tisch.

Agatha Simpson machte sich sofort über die erste Frühlingsrolle her, kostete von der herrlichen Sauce und nickte ihrem Butler begeistert zu.

»Ausgezeichnet«, stellte sie fest »Genau das schwebte mir vor. Sehr gut, Mister Parker, wirklich!«

Sie entwickelte einen bewundernswerten Appetit, während Parker den natürlich ungesüßten, grünen Tee probierte, der ebenfalls sehr gut war. Doch nach einigen Minuten stellte der Butler eine deutliche Schwächung seines Sehvermögens fest: Er sah plötzlich Agatha Simpson nur noch in Umrissen, die sich verdoppelten, wieder ineinanderflossen, übereinander lagerten und dann breiig auswucherten.

Er wollte sich auf seine Herrin konzentrieren und ihr eine Frage stellen. Parker war jedoch nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Lähmende Müdigkeit erfaßte ihn, und er lehnte sich zurück.

Bevor er einschlief, bekam er gerade noch mit, wie zwei Angestellte des Restaurants einen Paravant mit Lackmalereien um den Tisch stellten. Sekunden später wußte Parker nichts mehr.

*

Kathy Porter war aus dem Theater in das Haus der Lady Simpson zurückgekehrt, das sich in Shepherd’s Market befand. Es handelte sich um einen altehrwürdigen Fachwerkbau aus dem Mittelalter, der zusammen mit ähnlich alten Häusern hier inmitten der hektischen Metropole London eine Oase der Stille bildete.

Kathy Porter war eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, langbeinig, exotisch-attraktiv und an ein scheues Reh erinnernd, wozu ihr kastanienbraunes Haar noch zusätzlich beitrug. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin von Lady Simpson und darüber hinaus eine mehr als gelehrige Schülerin des Butlers.

Ihr Aussehen täuschte. Sie konnte sich innerhalb von Sekunden in eine wilde, angriffslustige Pantherkatze verwandeln. Und sie war erfahren in allen Künsten der Selbstverteidigung. Sie beherrschte die Kunst der Maske wie ein Mime und brauchte nur wenige Hilfsmittel, um blitzschnell in eine andere Rolle zu schlüpfen, die sie dann auch perfekt spielte.

Kathy Porter merkte natürlich sofort, daß Mylady und Parker ausgefahren waren. Also ging sie in den großen Wohnraum und schaltete ein Tonbandgerät ein. Wenig später war Parkers Stimme zu vernehmen, der eine Nachricht hinterlassen hatte. Sie lächelte unwillkürlich, als sie Parkers würdevolle Stimme hörte, der ihr mitteilte, Mylady habe einen schier unstillbaren Appetit auf chinesische Frühlingsrollen verspürt und man suche daher das Restaurant Mr. Hua Li’s auf. Die genaue Uhrzeit der Abfahrt war angegeben, ebenfalls die Zeit der wahrscheinlichen Rückkehr.

Und jetzt lächelte Kathy plötzlich nicht mehr. Sie hatte automatisch auf ihre Armbanduhr geblickt. Mylady und Butler Parker waren demnach eigentlich schon überfällig. Es ging auf 1.30 Uhr zu.

Kathy suchte im internen Telefonverzeichnis die Nummer des chinesischen Restaurants und wählte dann. Als die Verbindung hergestellt war, nannte sie ihren Namen und fragte nach dem Butler.

»Mister Parker?« erwiderte Hua Li, der sich gemeldet hatte. »Ich bedaure sehr, Miß Porter, aber er und Lady Simpson haben mein Restaurant bereits vor einer halben Stunde verlassen.«

»Dann werden Sie ja gleich hier sein«, sagte Kathy Porter beruhigt. »Nein, nein, es war nicht sonderlich wichtig, Mister Hua. Vielen Dank für die Auskunft!«

Sie legte auf und wartete auf das Erscheinen von Parkers Monstrum vor dem Haus. Doch die Zeit verrann, aber der Wagen erschien einfach nicht. Nach einer weiteren halben Stunde geriet Kathy Porter nun doch in Sorge. Obwohl die Zeit der mutmaßlichen Rückkehr weit überschritten war, hatte Parker sich noch nicht gemeldet, wie es sonst üblich war.

Es mußte etwas passiert sein!

Kathy war eine Frau, die auch ohne Anweisungen handelte. Sie hinterließ nun ihrerseits eine Nachricht auf dem Tonband, verließ das Haus und setzte sich in ihren kleinen Mini-Cooper, um nach Soho hinüber zu fahren. Sie benutzte den Picadilly und wechselte dann von Picadilly Circus hinüber in die Lexington Street. Hier ließ sie ihren Kleinwagen auf einem Parkplatz stehen und näherte sich zu Fuß dem Restaurant des Mr. Hua Li, das sie von früheren Besuchen her gut kannte.

Das Glück stand ihr zur Seite.

Als sie eine Seitenstraße passierte, auf die sie kaum geachtet hätte, entdeckte sie eine Ansammlung von neugierigen Zuschauern, die in respektvoller Entfernung einen hochbeinigen Wagen umstanden, der aus allen Nähten zu rauchen schien. Rußschwarze Wolken stiegen zum nächtlichen Himmel hoch und verdunkelten die bunten Neonreklamen.

Da wußte sie sofort, daß es sich nur um Parkers Wagen handeln konnte, der sich aus irgendwelchen Gründen gegen fremde Zugriffe zur Wehr setzte.

Kathy Porter pirschte sich an die neugierige Menge heran und schaltete auf höchste Wachsamkeit. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt: Lady Simpson und Butler Parker mußten sich in Schwierigkeiten befinden ...

*

Josuah Parker wachte fast übergangslos auf und hatte heftige Kopfschmerzen.

Er versuchte herauszufinden, wo er sich befand und dachte gleichzeitig an Agatha Simpson. Dunkelheit umgab ihn, doch ganz in der Nähe war das Plätschern von Wasser zu vernehmen. Zudem roch es penetrant nach Fäulnis, Schlick und Schlamm. Und wenn ihn nicht alles täuschte, dann pfiffen und trippelten Ratten herum.

Langsam gewöhnten seine Augen sich an die herrschenden Lichtverhältnisse. Er erkannte die langgestreckten Lagerhallen im Hintergrund, sah knapp neben sich eine Mauer, die halb eingestürzt war und beobachtete einige Meter vor sich den Bug eines Kahns, der halb im Schlick zu stecken schien.

Man mußte sie in irgendeinen Hafen gebracht haben. Sie? Wo aber war dann Lady Simpson? Parker fühlte sich verantwortlich für seine Herrin und wollte gerade diskret nach ihr rufen, als er ihr grollendes Räuspern hörte.

»Mylady?« fragte er jedoch sicherheitshalber in die Dunkelheit hinein.

»Verdammte Ratte«, lautete die etwas überraschende Antwort. Und fast gleichzeitig mit diesem Ausruf erfolgte ein halblautes Klatschen. Ein schrilles Quieken war zu vernehmen, hastiges Trippeln überall, dann herrschte für einen Augenblick wieder Stille.

»Darf man unterstellen, daß Mylady sich den Umständen entsprechend wohl fühlen?« fragte Parker.

»Wo stecken Sie?« war die Gegenfrage.

»Ich werde mir erlauben, Mylady ein Lichtzeichen zu geben.« Parker griff nach einer der vielen Westentaschen seines Anzugs und holte einen Patentkugelschreiber hervor. Es handelte sich dabei um eine geschickt getarnte Miniatur-Taschenlampe von hoher Lichtstärke. Der Butler schaltete diese Taschenlampe ein und suchte mit dem Lichtstrahl nach Lady Simpson.

Sie arbeitete sich gerade machtvoll und energisch aus einem Berg alter und deformierter Pappkartons. Ihr Hut, eine Art Kreuzung aus Südwester und Napfkuchenform, saß schief auf dem Kopf. Nasse Holzwolle rahmte fast schon dekorativ ihr Gesicht.

»Was haben Sie uns da wieder eingebrockt?« grollte sie prompt, als Parker ihr half.

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit irritiert«, antwortete der Butler.

»Wo hat man uns eigentlich abgeladen?« wollte sie wissen.

»Es scheint sich hier um ein verlassenes Dock zu handeln. Mylady fühlen sich wohl?«

»Mein Kreislauf scheint nicht ganz in Ordnung zu sein«, stellte sie fest.

»Sofort, Mylady.« Parker hatte verstanden. Er griff in eine der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers und holte eine flache, lederumhüllte Flasche hervor. Er schraubte den Verschluß ab, der als Becher diente, und goß ein wenig von dem alten, französischen Kognak ein.

Lady Agatha kippte den Inhalt des kleinen Silberbechers gekonnt hinunter und nickte fast schon wieder wohlwollend.

»Worauf warten Sie noch?« fragte sie dann ungeduldig, als Parker fragend schaute. »Natürlich brauche ich einen zweiten Kreislaufbeschleuniger.«

Parker servierte ihr den gewünschten zweiten Kognak, den sie schluckweise genoß.

»Man hat uns betäubt«, sagte sie später grimmig. »Damit hätten Sie rechnen müssen.«

»Ich werde Mr. Hua Li selbstverständlich zur Rechenschaft ziehen«, antwortete der Butler. »Darf ich mir erlauben, Mylady in zivilisiertere Bereiche zu führen?«

»Und dann sofort zurück zu diesem Hua Li«, forderte sie energisch. »Ich bin in der richtigen Stimmung, dem Subjekt eins auf den Pelz zu brennen.«

»Vorsicht, Mylady!« Parker sprach plötzlich leise. »Mir scheint, daß wir Besuch bekommen. Vielleicht sollten wir uns wieder niederlegen.«

Er hatte das Licht der kleinen, aber leistungsstarken Taschenlampe bereits ausgeschaltet und half der älteren Dame zurück auf die Pappkartons. Dann bezog auch er Position und wartete auf das Erscheinen zumindest einer einzigen Person, deren Schritte jenseits des Müllberges zu hören waren.

*

Kathy Porter hatte sich nicht getäuscht.

Butler Parkers Wagen hing am Haken eines Abschleppwagens, doch er rührte sich nicht. Seine Hinterräder waren derart blockiert, daß der anziehende Abschleppwagen keinen Zentimeter gewann.

Währenddessen aber stieß das hochbeinige Monstrum weiterhin Rußwolken aus und hüllte die gesamte Szene in tiefes Schwarz. Die neugierigen Zuschauer wichen verständlicherweise noch weiter zurück und amüsierten sich über die drei verzweifelten Männer, die den Wagen abschleppen wollten.

Es handelte sich um Chinesen, die Overalls trugen. Es paßte ihnen gar nicht, daß sie im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses standen. Sie gestikulierten, redeten aufeinander ein und benutzten natürlich ihre Muttersprache, die Kathy Porter nicht verstand.

Verärgerte Anwohner hatten inzwischen die Polizei alarmiert. Von fern her war die Sirene eines Polizeistreifenwagens zu vernehmen. Dieses nervenverschleißende Geräusch machte die drei Overallträger noch unruhiger. Plötzlich, als das Polizeifahrzeug sich durch die neugierige Menge schob, setzten sie sich einfach ab. Sie waren an dem Abschleppversuch nicht weiter interessiert.

Kathy Porter heftete sich an die Fersen der drei Chinesen, die getrennte Wege einschlugen, als sie eine kleine Straßenkreuzung erreicht hatten. Kathy entschied sich für den größten der drei Männer, der ihrer Beobachtung nach der Wortführer gewesen war.

Ihre Verfolgung fiel hier in Soho nicht weiter auf. Selbst um diese Zeit herrschte in den Straßen, Gassen und Passagen noch viel Betrieb. Soho, das Vergnügungszentrum der Millionenstadt, ging erst in den frühen Morgenstunden zur Ruhe.

Kathy Porter konnte immer wieder hinter Passanten verschwinden, sich fast unsichtbar machen und den Blicken des Chinesen entziehen, der sich hin und wieder umwandte und nach Verfolgern Ausschau hielt.

Sie hatte sich ihren leichten Trenchcoat abgestreift und ihn gewendet. Er war jetzt zu einem billig aussehenden Lackmantel geworden, zu einem Bekleidungsstück, wie es die Damen eines gewissen leichten Gewerbes zu tragen pflegten. Kathy hatte sich ein buntes Halstuch hinter das Haar gebunden und sah jetzt sehr kokett und einladend aus.

Lange dauerte die Verfolgung nicht.

Der Chinese betrat eine schmale Ladenpassage und verschwand in einem Geschäft, das laut Reklameaufschrift eine Maßschneiderei beherbergte. Durch das kleine Schaufenster konnte Kathy Porter gerade noch erkennen, daß der Chinese eine Umkleidekabine am Ende der langen Verkaufstheke betrat.

Sie wechselte zur anderen Straßenseite hinüber und baute sich im Eingang zu einem Haus auf. Inzwischen hatte sie das bunte Tuch aus dem Haar entfernt und den Lackmantel weit geöffnet. Durch Raffen und Heben des Rocks schuf sie die Illusion, man habe es mit einem besonders leichten Mädchen zu tun.

Lange brauchte sie nicht zu warten.

Nach etwa drei Minuten erschien ein zweiter Chinese, der unbedingt um diese Zeit wohl einen Maßanzug kaufen wollte. Er trug keinen Overall, war jedoch identisch mit einem der drei Abschlepper, die Kathy an Parkers Wagen beobachtet hatte.

Dieser angebliche Kunde betrat das Geschäftslokal und verschwand ebenfalls in der Umkleidekabine.

Nach weiteren fünf Minuten tauchte der dritte Abschlepper auf. Auch er verspürte das dringende Bedürfnis, sich mit einem Maßanzug zu versehen. Er schlüpfte in die Maßschneiderei und benutzte denselben Weg wie seine beiden Vorgänger.

Kathy Porter verließ den Hauseingang und ging zurück zu jener Stelle, wo sie Parkers Wagen gesehen hatte. Er hing zwar noch am Haken, produzierte jedoch keine Rußwolken mehr. Zwei recht ratlos aussehende Polizisten sicherten den Wagen, hielten jedoch auf Distanz. Sie schienen diesem seltsamen Gefährt nicht recht über den Weg zu trauen.

Kathy hatte sich in eine seriöse junge Dame zurückverwandelt. Sie trat auf einen der Beamten zu, grüßte freundlich, stellte sich als Lady Simpsons Sekretärin vor und identifizierte das hochbeinige Monstrum eines gewissen Butler Parkers.

Die beiden Beamten verhielten sich reserviert, ließen sich Kathy Porters Papiere zeigen und wurden erst dann zutraulicher, als die junge Dame sich erbot, den Wagen nach Shepherd’s Market zu fahren.

Die Wagenschlüssel zauberte sie förmlich hervor: Unter den forschenden Blicken der beiden Beamten holte sie ein Duplikat der Schlüssel aus einem Versteck seitlich neben dem Auspuffrohr. Als sie imstande war, die Tür zu öffnen, nickten die beiden Vertreter der Gesetze gewährend. Sie wollten allerdings wissen, wo sich Lady Simpson und Butler Parker befanden.

Darauf konnte Kathy Porter selbstverständlich keine Antwort geben. Sie war aber damit einverstanden, daß einer der Beamten sich zu ihr in den Wagen setzte, um sie zurück nach Shepherd’s Market zu begleiten. Bevor man diese gemeinsame Fahrt unternahm, setzte ein Beamter sich per Funk mit seinem Revier in Verbindung.

Parkers Wagen wurde vom Haken gelassen. Kathy übernahm das Steuer und lächelte den jungen Beamten an, der neben ihr Platz genommen hatte. Dann steuerte sie das Monstrum des Butlers durch Soho und nahm Richtung auf Shepherd’s Market.

Während der Fahrt – der Streifenwagen folgte dichtauf – versuchte der Polizeibeamte Kathy Porter auszuhorchen. Sie schlüpfte prompt in eine andere Rolle und tat ahnungslos. Ja, sie beschwerte sich sogar ein wenig über die Exaltiertheit der Lady, die ihrer Ansicht nach unberechenbar war.

Kathy Porter war nicht sonderlich erstaunt, als sie vor Myladys Haus auf einen untersetzten, stämmigen Mann traf, der etwa fünfzig Jahre alt war. Er ähnelte einer stets leicht gereizten Bulldogge, die nur darauf wartete, bissig werden zu können.

»Hallo, Miß Porter«, sagte er mißmutig. »Wieder ein neues Abenteuer fällig? «

»Ich weiß es wirklich nicht, Superintendent«, gab Kathy Porter wahrheitsgemäß zurück. »Ob Sie es glauben oder nicht, Sir, das hier mit dem Wagen ist das Ende einer Kette von verrückten Zufällen.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Superintendent McWarden, der eine Sonderabteilung des Yard leitete.

»Ich wußte es bereits im voraus«, antwortete Kathy Porter. »Sie trauen ja auch mir nicht, Sir.«

»Sie haben natürlich keine Ahnung, wo Mylady und Parker stecken, wie?«

»Wüßte ich es, Superintendent, ich wäre glücklich«, gestand Kathy Porter. »Sie haben mir noch nicht mal eine Nachricht hinterlassen.«

»Natürlich nicht«, schnappte McWarden skeptisch zu. »Aber gehen wir doch ins Haus. Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen.«

*

»Hier müssen sie liegen«, sagte eine rauhe, unterdrückte Stimme. »Schalt’ mal das Licht ein!«

Das Licht einer Taschenlampe stach wie ein langer, fahlweißer Finger durch die Dunkelheit und suchte nach Mylady und Josuah Parker. Im Widerschein dieses Lichtes waren zwei Gestalten auszumachen: Es handelte sich um einen großen und um einen kleineren Mann, die Parkas trugen.

Der Lichtfinger suchte, doch er konnte die beiden Gesuchten nicht ausmachen. Parker und Agatha Simpson hatten eine Art Versteck bezogen und warteten darauf, daß die beiden Männer sich noch näher an das Ufer herantrauten.

Und sie mußten es tun, ob sie es nun wollten oder nicht. Der Müll, der hier abgelagert worden war, versperrte ihnen die Sicht. Sie stiegen über die Pappkartons und gerieten so in den Wirkungskreis des Duos.

Mylady und Parker verständigten sich durch knappe Handzeichen, um dann zur Tat zu schreiten.

Lady Simpson ließ ihren Pompadour über dem Kopf kreisen, visierte den größeren der beiden Männer an und ließ dann los. Der perlenbestickte Handbeutel zischte durch die Luft wie ein Kleinstkomet. Und der Glücksbringer landete haargenau auf dem Hinterkopf des Mannes, der überrascht aufgrunzte, für Bruchteile von Sekunden starr stehen blieb, um dann kopfüber in die Pappkartons zu fallen.

Parker war natürlich nicht tatenlos geblieben.

Seine Waffe war die schwarze Melone, deren Wölbung, wie Eingeweihte wußten, mit Stahlblech gefüttert war. Er verwendete diese Kopfbedeckung als eine Art Bumerang oder Diskus. Wie eine fliegende Untertasse rauschte die Melone durch die Dunkelheit und erwischte den Mann am Hals. Er fiel wie vom Blitz getroffen vornüber und landete im Schlick.

»Darf ich mir erlauben, Mylady zu ihrem Treffer zu beglückwünschen?« fragte Parker.

»Papperlapapp«, gab sie zurück, wegwerfend, aber dennoch mit dem Unterton von Zufriedenheit. »Dieses Subjekt war ja gar nicht zu verfehlen. Sehen wir nach, wer sie sind.«

Mylady und Parker verließen ihr Versteck am Fuß der brüchigen Mauer und kümmerten sich um ihre Jagdbeute. Agatha Simpson durchsuchte schnell und geschickt den Mann, den sie an den Beinen resolut aus den alten Pappkartons gezogen hatte. Parker hingegen barg den Mann aus dem Schlick.

»Nun sehen Sie sich das an, Mister Parker!« Myladys Stimme klang entrüstet. »Das hier ist doch ein Totschläger! Und das hier eine Fahrradkette.«

»Ich kann mit einer Faustfeuerwaffe und einem Dolch dienen, Mylady«, vermeldete der Butler.

»Haben Sie irgendwelche Papiere entdeckt?«

»Damit war von vornherein nicht zu rechnen, Mylady.« Parker schüttelte den Kopf. »Es scheint sich um zwei gedungene Handlanger zu handeln.«

»Und was wollten die von uns? Warum suchten sie nach uns?«

»Darf ich Mylady eine mögliche Erklärung anbieten?«

»Nun zieren Sie sich nicht!« Ihre Stimme klang ungeduldig.

»Wahrscheinlich sollte nach den Wagenschlüsseln gefahndet werden, Mylady.«

»Nach welchen Wagenschlüsseln?« Die Detektivin verstand nicht sofort.

»Die ich vor der einsetzenden Ohnmacht noch unter das Polster meines Sitzes zu schieben vermochte, Mylady.«

»Reden Sie etwa vom Schlüssel zu Ihrem unmöglichen Auto?« Agatha Simpson war ein Licht aufgegangen.

»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürften gewisse Herrschaften Mühe haben, an die drei Frühlingsrollen heranzukommen.«

*

Die beiden Strolche, wie Lady Simpson sie genannt hatte, waren wieder zu sich gekommen und fühlten sich schlecht.

Sie befingerten ihre wunden Stellen und sprachen von der Tücke gewisser Leute, die aus dem Dunkeln heraus und ohne jede Vorwarnung zulangten. Aus der Unterhaltung ergab sich, daß der größere der beiden Männer Fred, der kleinere Oscar hieß. Natürlich suchten sie nicht weiter nach ihren Opfern, sondern sie arbeiteten sich zurück zu einer der nahen Dockstraßen, wo ihr Wagen stand. Sie waren nicht gerade Spitzenklasse, die beiden Gauner, und kamen überhaupt nicht auf die Idee, daß man sie weiter aus nächster Nähe beobachtete. Sie stiegen in ihren Ford und wollten losfahren. Oscar hatte das Steuer übernommen und zündete sich gerade eine Zigarette an, als er im Rückspiegel ein glattes Pokergesicht entdeckte.

Er ließ das brennende Streichholz fallen, das auf Freds Knien landete, der daraufhin lautstark fluchte.

»Ich möchte doch um Manieren bitten«, ließ sich eine würdevolle Stimme vernehmen. »Sie befinden sich immerhin in Gesellschaft einer Dame.«

Diese Dame rügte den Fluch auf ihre spezielle Art und Weise. Sie legte ihren Pompadour auf Freds Kopf, der daraufhin um etwa anderthalb Zentimeter zusammenrutschte.

Oscar hob schleunigst die Hände und zeigte damit, daß er an Gegenwehr überhaupt nicht dachte. Ihm ging mit einiger Spätzündung auf, daß ihre beiden Opfer sich während ihrer Abwesenheit in den Wagen gestohlen und auf den Rücksitzen versteckt gehalten hatten.

»Worauf warten Sie noch?« grollte die ältere Dame. »Fahren Sie hinaus nach Shepherd’s Market!«

»Na ... Na ... Natürlich, Madam«, antwortete Oscar mit vibrierender Stimme. »Ehrenwort, wir wollten eigentlich nichts von Ihnen, großes Ehrenwort!«

»Wonach sollten Sie suchen?« erkundigte sich Butler Parker, während Oscar langsam anfuhr.

»Wir... Wir hatten da’n Geräusch gehört, so’n Stöhnen und Rascheln«, schwindelte er.

»Verärgern Sie mich nicht, Sie Lümmel!« Lady Simpson verabreichte Oscar eine harmlose Ohrfeige, worauf Oscar leicht das Steuer verriß.

»Ging es nicht um die Schlüssel eines Wagens?« fragte Parker höflich weiter.

»Ich ... Ich weiß von nichts«, stotterte Oscar, während Fred sich endlich wieder hochdrücken konnte.

»Ich ... Ich weiß auch von nichts«, fügte Fred hinzu, während er gleichzeitig sicherheitshalber den Kopf einzog.

»Ihre Auftraggeber werden mit Ihnen sehr unzufrieden sein«, stellte Josuah Parker fest. »Möglicherweise müssen Sie sogar mit erheblichem Ärger rechnen, falls es sich herausstellt, daß Sie versagt haben.«

»Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken«, unkte Agatha Simpson. »Es stirbt sich schnell in gewissen Kreisen!«

»Mylady und meine bescheidene Person sind unter gewissen Umständen bereit, Ihr Versagen nicht zu erwähnen«, redete Parker gemessen weiter. »Dazu gehört jedoch ein gewisses Maß an Mitarbeit Ihrerseits.«

Oscar und Fred brauchten eine gewisse Zeit, bis sie Parkers Worte verstanden hatten.

»Sie ... Sie wollen den Mund halten?« erkundigte sich Fred jetzt. »Ich meine natürlich, Sie wollen schweigen?« Er paßte sich Parkers Ton an.

»Falls Sie sich in der Lage sehen, gewisse Informationen zu liefern«, bestätigte Parker.

»Wir wissen aber so gut wie gar nichts«, behauptete Fred.

»Es ist sinnlos, Mister Parker«, warf Agatha Simpson gereizt ein. »Was geht uns das Schicksal dieser beiden Strolche an, die uns zusammenschlagen und ausrauben wollten?«

»Man sollte Ihnen vielleicht doch eine faire Chance einräumen, Mylady.«

»Papperlapapp«, lautete die Antwort. »Wir wissen ja ohnehin, wer sie auf mich gehetzt hat.«

»Dem ist allerdings beizupflichten«, räumte Butler Parker ein.

»Sie ... Äh ... Sie wissen ungefähr Bescheid?« fragte Fred.

»In der Tat«, bestätigte Parker. »Es geht um die letzte Gewißheit, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«

»Waren Ihre Auftraggeber nun Chinesen oder nicht?« raunte die ältere Dame in diesem Moment. »Antworten Sie endlich, sonst werde ich ärgerlich!«

»Doch, Madam, das stimmt«, gab Oscar automatisch zurück.

»Und wo finde ich diese Lümmel?«

»Das wissen wir nicht, Madam«, redete Oscar weiter. »Die beiden Schlitzaugen haben uns in unserer Stammkneipe angequasselt. Und wir sollten wirklich nur Wagenschlüssel besorgen. Nee, Schläger oder so was sind wir nicht.«

»Wieviel hat man Ihnen für diese Schlüssel geboten?« schaltete der Butler sich höflich ein.«

»Fünf Pfund im voraus, fünf weitere für die Schlüssel, Sir.« Fred legte ebenfalls die Karten auf den Tisch.

»Sie werden fünfzig Pfund bekommen, wenn Sie unter dieser Nummer anrufen«, schlug Parker vor und reichte Fred seine Visitenkarte. »Irgendwann werden die beiden Auftraggeber Ihnen ja wieder mal über den sprichwörtlichen Weg laufen. Stellen Sie dann fest, wer sie sind, und wo man sie finden kann!«

»Und Sie halten den Mund?« vergewisserte sich Fred.

»Selbstverständlichkeiten braucht man nicht zu wiederholen«, sagte Butler Parker. »Ihre entstehenden Unkosten werden wir Ihnen natürlich erstatten.«

Oscar wollte etwas sagen, doch Fred fuhr ihm hastig über den Mund.

»Auf das Geschäft gehen wir ein«, sagte er hastig.

»Dann brauchen Sie Ihren Auftraggebern jetzt nur zu sagen, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit wären nicht mehr am Tatort zu finden gewesen.«

»Klar, sagen wir!« Fred nickte eifrig.

»Wie denn?« fragte Agatha Simpson. »Wie sollten Sie denn die Wagenschlüssel übergeben?«

»In unserer Stammkneipe, Madam.« Freds Stimme klang noch eifriger. »Wir sollten da warten, bis wir angequatscht würden.«

»Und wie heißt Ihre sogenannte Stammkneipe?« Parker fragte beiläufig. »Ist es das ›Einhorn‹ in Soho?«

»Nee, Fattys Pinte«, korrigierte Oscar ungewollt und merkte gleichzeitig, daß er sich gründlich verplappert hatte. Er kassierte einen mehr als derben Rippenstoß von seinem Partner Fred, doch das änderte nichts mehr an seiner unfreiwilligen Aussage.

*

»Das nenne ich Schnelligkeit, mein lieber McWarden«, sagte Agatha Simpson sehr freundlich und anerkennend, als sie dem Superintendent gegenüberstand.

»Schnelligkeit, Mylady?« McWarden sah die Sechzigjährige mißtrauisch an. Soviel Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit war er von ihr nicht gewöhnt.

»Man stiehlt uns den Wagen, und Sie haben ihn bereits gefunden und vor dem Haus abgestellt«, meinte Lady Agatha. »Einen besseren Kundendienst kann man sich gar nicht wünschen.«

»Ihr Wagen ist gestohlen worden, Mylady?« McWarden fühlte sich auf den Arm genommen.

»Erzählen Sie es ihm, Mister Parker! Kindchen, ich brauche jetzt einen Tee.«

Kathy Porter nickte und verließ den Wohnraum, in dem sie zusammen mit McWarden auf Myladys und des Butlers Rückkehr gewartet hatte.

»Bedauerlicherweise wurde mein Wagen das Ziel und Opfer von Autodieben«, begann Parker. »Dies geschah eindeutig in Soho, wie Sie ja inzwischen wohl in Erfahrung bringen konnten.«

»Sie waren in Soho?«

»Ich hatte Appetit auf Frühlingsrollen«, schaltete Agatha Simpson sich lächelnd ein. Sie konnte tatsächlich lächeln, obwohl McWarden an eine optische Täuschung glaubte.

»Frühlingsrollen?« Der Superintendent glaubte natürlich kein Wort. Er wollte eine weitere Frage stellen, doch in diesem Moment war das harte Rattern einer Maschinenpistole zu vernehmen. Die Schüsse mußten auf der nahen Durchgangsstraße abgefeuert worden sein. McWarden riß den Kopf herum, stutzte kurz und rannte dann aus dem Wohnraum. Sein Ziel war der vor dem Wohnhaus parkende Streifenwagen, mit dem er gekommen war.

»Fred und Oscar?« fragte Lady Simpson und sah ihren Butler besorgt an.

»Eine gewisse Möglichkeit spricht dafür, Mylady«, räumte Parker ein.

»Ob man sie umgebracht hat?«

»Das, Mylady, möchte ich bezweifeln.«

»Und woher nehmen Sie diese Zweifel?« Sie ärgerte sich schon wieder über die Sicherheit ihres Butlers.

»Mylady und meine bescheidene Person dürften verfolgt worden sein«, schickte Parker voraus. »Warum, so erhebt sich die nächste Frage, haben die Verfolger dann nicht schon früher geschossen und auch Mylady in ihren Feuerüberfall miteinbezogen?«

»Richtig, das frage ich mich auch.«

»An Blutvergießen scheint eine gewisse Gegenseite zur Zeit noch nicht interessiert zu sein«, schloß Parker.

»Was ich ja gerade gesagt habe!« Sie tat so, als habe Parker nur das wiederholt, was sie bereits geäußert hatte. Sie tat es schamlos.

McWarden kehrte zurück.

Er wirkte ein wenig aufgelöst, hob bedauernd die Schultern und war verärgert.

»Nichts«, meldete er. »Weit und breit nichts zu sehen.«

»Sie waren eben nicht schnell genug, McWarden«, stichelte die ältere Dame.

»Sie haben keine Ahnung, wer da geschossen haben könnte?«

»Ich habe meinen Schnellkursus in Hellsehen noch nicht abgeschlossen«, gab Agatha Simpson spitz und ironisch zurück.

»Darf man fragen, Mylady, wie Schlick und Schlamm an Ihr Kostüm gekommen sind? Diese Frage gilt auch für Sie, Mister Parker.«

Es war nicht zu übersehen, daß das Tweedkostüm der Detektivin total verschmutzt war. Auch Parkers schwarzer Zweireiher schrie förmlich nach einer gründlichen Reinigung.

»Warum sollte ich antworten?« gab Agatha Simpson zurück. »Sage ich die Wahrheit, werden Sie sie mir nicht abnehmen, lüge ich, würden Sie mir ebenfalls nicht glauben. Aber Sie sollen eine Erklärung bekommen. Mister Parker und ich haben uns auf den East India Docks herumgetrieben. Wissen Sie, McWarden, ich liebe die nächtliche Atmosphäre dieser Gegend. Kennen Sie sie eigentlich?«

»Ich möchte mich verabschieden«, lautete McWardens gereizte Antwort. »Ich habe noch zu tun.«

»Gute Heimfahrt, mein Lieber!« Lady Simpson strahlte den Superintendent wieder an. »Kommen Sie bei Gelegenheit wieder mal vorbei! Sie wissen doch, wie sehr ich Ihren Besuch schätze.«

Parker brachte den Gast zur Haustür.

»Ich weiß, daß Lady Simpson und Sie wieder in einen Fall verwickelt sind«, erklärte McWarden gereizt wie üblich. »Ich weiß, daß man mir erneut wichtige Fakten verschweigt, Mister Parker. Aber das sage ich Ihnen, irgendwann ist meine Geduld am Ende, verlassen Sie sich darauf!«

»Sehr wohl, Sir«, antwortete Parker höflich. »Darf ich mir erlauben, mich Myladys guten Wünschen anzuschließen?«

McWarden unterdrückte einen Fluch und stampfte zu seinem Dienstwagen.

»Wo bleiben Sie denn?« fragte die Hausherrin, als Parker in den Wohnraum zurückkehrte. Sie deutete auf das Telefon. »Gerade ist angerufen worden.«

»Eine Warnung, Mylady?«

»Wir sollen alles vergessen«, erwiderte sie und nickte. »Und genau das werden wir natürlich nicht tun.«

*

Josuah Parker befand sich im Souterrain des Hauses, genauer gesagt, in seinem Labor.

Mit einem Skalpell hatte er die beiden anderen Frühlingsrollen vorsichtig aufgetrennt und ebenfalls aus jeder je ein kleines Plastikbriefchen hervorgeholt. Den Inhalt aller drei Briefchen tat er in eine Porzellanschale. Es handelte sich um Heroin, wie er nach kurzer Prüfung feststellte.

»Wie konnten Sie daran nur einen Moment zweifeln?« fragte die ältere Dame entrüstet und tat so, als habe ihr Butler nie an Drogen geglaubt.

»Mylady wollen dies gütigst entschuldigen«, antwortete Parker automatisch. Er kannte die Taktik seiner Herrin nur zu genau. Er hatte sich darüber noch nie aufgeregt.

»Immer wieder Rauschgift«, meinte Lady Agatha nachdenklich. »Ich hasse diese Drogenhändler.«

»Sie verkaufen in der Tat den Tod«, sagte Parker ernst

»Diesen Subjekten werden wir das Handwerk legen, Mister Parker.«

»Mylady finden mich auf Ihrer Seite.«

»Und wie gehen wir vor? Gehört dieser Hua Li auch zu den Drogenhändlern?«

»Das glaube ich kaum, Mylady.«

»In seinem Restaurant sind wir schließlich betäubt worden, oder sollten Sie das vergessen haben?«

»Sie wurden betäubt, Mylady?« fragte Kathy Porter.

»Eine interessante Geschichte, Kindchen, die ich Ihnen bei einem Kognak erzählen werde. Wir stecken mitten in einem neuen Fall. Übrigens, sehr passabel, wie Sie Mister Parkers Wagen hierher geschafft haben. Einbilden sollten Sie sich aber darauf nichts.«

»Natürlich nicht, Mylady.« Kathy Porter lächelte. »Als ich die drei Chinesen an Mister Parkers Wagen sah, wurde ich sofort mißtrauisch und verfolgte sie anschließend, als die Polizei erschien.«

»Und das sagen Sie erst jetzt?« entrüstete sich die Sechzigjährige.

»Bisher war keine Gelegenheit. In Gegenwart des Superintendenten wollte ich nicht darüber sprechen, Mylady.«

»Der Teufel hätte Sie auch sonst geholt.«

Parker sah Kathy Porter nur fragend an, worauf sie von ihrem Erlebnis berichtete.

»Eine Maßschneiderei mit einer Umkleidekabine.« Agatha Simpsons Wangen glühten vor Eifer. »Mister Parker, diesen Schneider werde ich mir aus nächster Nähe ansehen.«

»Gewiß, Mylady.«

»Und zwar sofort, Mister Parker.«

»Der Morgen dämmert bereits heran, Mylady, wenn ich es so umschreiben darf.«

»Das ist kein Argument für mich. Ich fühle mich noch sehr frisch. Sie hingegen scheinen abzubauen, oder?«

»Die Maßschneiderei dürfte um diese Zeit geschlossen sein, Mylady. Und von einem illegalen Eindringen möchte ich abraten. Das Geschäftslokal dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gut gesichert sein.«

»Sie wollen doch nur ins Bett, Mister Parker.«

»Dies allerdings auch, Mylady«, gestand Parker und übersah den krampfhaften Versuch Lady Agathas, ein fast wütendes Gähnen zu unterdrücken.

»Schön«, lenkte sie ein. »Ein paar Stunden Schlaf könnten vielleicht nicht schaden. Frühstück um zehn Uhr.«

Sie gähnte jetzt offen und rieb sich ungeniert die Augen. Doch sie mußte wieder mal das letzte Wort behalten.

»Wie kann man nur so untrainiert und müde sein«, meinte sie und blickte vor allen Dingen Butler Parker strafend an. »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel.«

»Sehr wohl«, erwiderte Parker gemessen. »Mylady werden mir ein leuchtendes Vorbild und Beispiel sein.«

*

Diese Versicherung des Butlers war natürlich weit übertrieben.

Er verfolgte durchaus seine eigenen Pläne und Absichten. Ihm war klar, daß man es mit brutalen Gegnern zu tun hatte. Drogenhändler zögerten nie lange, einen Menschen umzubringen, der ihre Kreise störte. Und Butler Parker ging es darum, Mylady vor Schaden zu bewahren.

Als er sicher sein konnte, daß sie zu Bett lag und schlief, machte er sich auf den Weg, um sich in Soho noch mal ein wenig umzusehen. Er verließ das Haus nicht offiziell durch die Haustür, sondern benutzte einen der raffiniert angelegten Geheimgänge.

Nur dem Eingeweihten war bekannt, daß die benachbarten Häuser unbewohnt waren. Auch sie befanden sich im Besitz der älteren Dame und grenzten jeweils an verschiedene, kleine Gassen. Sie waren über geschickt getarnte Türen vom Haus der Mylady aus zu erreichen.

Parker verzichtete darauf, sein hochbeiniges Monstrum zu benutzen. Darüber hinaus hatte er Maske gemacht, wie er es nannte. Der etwas füllig wirkende Mann, der also in der östlichen Seitengasse erschien und am Steuer eines VW-Käfers saß, erinnerte noch nicht mal entfernt an den Butler. Er trug eine Brille, sah bieder aus und schien höherer Angestellter in einem Ministerium zu sein.

Während der Fahrt hinauf zur Oxford Street schaute Parker immer wieder in den Rückspiegel und vergewisserte sich, daß er nicht verfolgt wurde. Er setzte auf die frühe Morgenstunde. Der Verkehr in den Straßen war noch recht gering. Darüber hinaus rechnete er mit dem Schlafbedürfnis der Drogengangster.

Nach etwa zehn Minuten war ihm klar, daß er dennoch beschattet wurde.

Hartnäckig folgte ihm ein kleiner Morris, an dessen Steuer ein junger Mann saß, der einen weißen Kittel trug. Obwohl es noch nicht richtig Tag war, trug dieser Fahrer eine Sonnenbrille.

Parker kannte sich in der Millionenstadt London aus. Er wußte also, wo er sich mit seinem Verfolger in aller Ruhe auseinandersetzen konnte. Zuerst mußte er ihn auf ein Terrain locken, wo dies ungestört über die Bühne gehen konnte.

Er entschied sich für den hinteren Parkplatz eines Krankenhauses in der Westmore Street. Hier standen bereits viele Wagen der Nachtdienst-Angestellten. Parker stellte seinen VW-Käfer ab und stieg aus. Als er um seinen Wagen herumging, erschien der Verfolger in seinem Morris.

Er fuhr im Schrittempo über den Parkplatz, entdeckte natürlich den Butler und hielt. Wahrscheinlich fragte er sich jetzt, wer dieser seriös aussehende Mann wohl war, der da auf den Hintereingang des Hospitals zuschritt, leicht und federnd und auf Verzicht jeder feierlichen Würde, die den Gang des Butlers sonst auszeichnete.

Der junge Mann nahm seine Sonnenbrille ab und folgte Parker, der den Eingang bereits erreicht hatte und für einen Moment nicht mehr zu sehen war. Der Verfolger beeilte sich, den Anschluß zu halten, erreichte seinerseits den Hintereingang und stieß hier auf einen Schnauzbärtigen, der eine Dienstmütze trug und ihn grimmig musterte.

»Hallo«, grüßte der Verfolger. »War das gerade Mr. Hustler, der da ’reingegangen ist?«

»Mr. Fanders«, erwiderte der Pförtner. »Er ist in der Verwaltung tätig.«

»Sind Sie sicher?« Der Verfolger machte einen enttäuschten Eindruck. Ihm wurde klar, daß er sich auf falscher Fährte befand.

»Ich werde doch Mr. Fanders kennen«, antwortete der Pförtner. »Er arbeitet seit sechs Jahren hier im Haus.«

Der Verfolger nickte und wandte sich ab. Und genau das war sein Fehler. Er spürte plötzlich einen harten Druck in der Nierengegend. Als Fachmann einer gewissen Branche wußte der junge Mann sofort, was dies zu bedeuten hatte.

»Ich würde mir sehr gern mal Ihren Wagen ansehen«, sagte der Pförtner, der kein Pförtner war. »Und ich würde es ungern sehen, wenn Sie das machen, was man gemeinhin Ärger nennt.«

»Sie sind Parker?« fragte der Verfolger, der sich gehorsam in Marsch setzte.

»Ich muß einräumen, mein Aussehen verändert zu haben«, bestätigte der Mann hinter ihm.

Der junge Mann verzichtete sicherheitshalber auf jeden Fluchtversuch, ging zurück zu seinem Morris und durfte am Steuer Platz nehmen. Er verspürte dabei ein leichtes Zwicken im rechten Oberarm.

»Sie werden nun ein wenig schlafen«, verkündete der angebliche Pförtner höflich. »Gesundheitliche Schäden kommen mit Sicherheit nicht auf Sie zu.«

Der junge Mann fühlte bereits ein Schlafbedürfnis in sich aufsteigen, dem er kaum noch widerstand. Bevor seine Augen sich schlossen, bekam er noch mit, daß Butler Parker keine Schußwaffe, sondern nur seinen Zeigefinger als ›Druckmittel‹ benutzt hatte.

*

»Ich wußte, daß Sie kommen würden«, sagte Hua Li und verbeugte sich tief.

»Ich möchte nur meine Wagenschlüssel abholen«, antwortete der Butler und deutete seinerseits eine Verbeugung an. »Sie sind inzwischen noch nicht entdeckt worden?«

»Ihre Wagenschlüssel?« Der Chinese begriff nicht.

»Ich war so frei, sie in Ihrem Restaurant zu deponieren«, sagte Josuah Parker, der wieder seinen schwarzen Zweireiher, Melone und Schirm trug. »Sie erinnern sich möglicherweise, Mister Hua Li, dies geschah in jenen Sekunden, als ein tiefes Schlafbedürfnis meine bescheidene Wenigkeit befiel.«

»Sie sehen mich verzweifelt«, gestand Hua Li und verbeugte sich erneut.

»Es gibt im Leben eines jeden Menschen manchmal gewisse Zwänge, denen man nicht entrinnen kann.«

»Sie sind sehr verständnisvoll, Mister Parker.«

»Vergessen wir den kleinen unbedeutenden Zwischenfall, Mister Hua Li.« Parkers Augen unterstrichen das, was er sagte. »Erfreulicherweise erwuchsen daraus keine dramatischen Komplikationen.«

»Sie sehen mich glücklich und erleichtert, Mister Parker.« Hua Li verbeugte sich noch tiefer. Dann geleitete er seinen frühen Gast in das noch geschlossene und daher leere Restaurant. Parker ging zur Nische hinüber, in der er zusammen mit seiner Herrin gesessen hatte. Hier hob er das Sitzkissen seines Stuhls und barg seine Wagenschlüssel.

»Bedauerlich, daß Mylady sich außerstande sah, eine Ihrer bekannt exzellenten Frühlingsrollen zu kosten«, meinte der Butler höflich.

»Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Mister Parker.«

»Erwarten Sie keine Fragen von meiner bescheidenen Wenigkeit«, erwiderte Parker gemessen. »Der grüne Tee und die würzige Sauce zu den Frühlingsrollen dürften Ihrem Koch ein wenig mißraten sein.«

»Darf ich Ihnen einen Rat geben, Mister Parker?«

»Im Prinzip durchaus«, entgegnete Parker. »Im speziellen Fall würde ich Ihnen davon abraten, Mister Hua Li. Sie werden Schwierigkeiten genug haben. Ich weiß, wie sehr Sie an Ihrer ehrenwerten Familie hängen.«

Parker lüftete seine schwarze Melone und schritt würdevoll zurück in den Korridor des Hauses, während Hua Li ihm folgte.

»Versäumen Sie nicht, gewisse Leute zu verständigen«, sagte Parker eindringlich, bevor er das Haus verließ. »Sie haben beiläufig von mir erfahren, daß ich beabsichtige, ein bestimmtes chinesisches Lokal zu besuchen.«

»Mister Parker, Sie sind sehr gütig, Sie ersparen mir ...«

»Ein Dattelkern, Mister Hua Li, hält nach einem weisen Sprichwort Ihrer Heimat keinen Wagen auf.«

»Ihr Verständnis beglückt mich, Mister Parker. Die Menschen kann man entbehren, nicht aber einen Freund.

Parker verließ das Haus und begab sich zurück zu seinem VW-Käfer. Er fühlte sich guter Dinge und war bereit, einiges zu unternehmen. Er rechnete fest damit, daß Hua Li inzwischen seinen Anruf tätigte. Genau darauf stellte er seine weiteren Pläne ein.

*

Vor dem chinesischen Restaurant, in dem es die Frühlingsrollen mit der seltsamen Füllung gegeben hatte, herrschte trotz der frühen Morgenstunde eine erstaunliche Betriebsamkeit.

Auf dem Gehweg vor dem Restaurant fegten zwei jüngere Chinesen die Steinplatten. Ein dritter Angestellter befaßte sich intensiv mit der Reinigung der Türscheibe. Im Restaurant selbst ordneten zwei weitere Angestellte Tische und Stühle.

Sie alle achteten nicht weiter auf den ärmlich gekleideten, alten Mann, der dieses Restaurant passierte und einen fast wadenlangen, zerschlissenen Mantel trug. Dieser Mann verschwand hinter der nächsten Straßenecke und entwickelte plötzlich eine ungewöhnliche Betriebsamkeit. Er öffnete nämlich seinen Mantel und holte aus einer der tiefen Innentaschen drei etwa dreißig Zentimeter lange Plastikröhren hervor, die er geschickt ineinandersteckte und so zu einer Art Blasrohr formte.

Es handelte sich um ein Blasrohr!

Der alte Mann, dessen Hände energisch und zielbewußt arbeiteten, schob einen bunt gefiederten Pfeil in das Mundstück dieses Blasrohres und schaute dann vorsichtig um die Ecke.

Man fegte noch, säuberte das Glas und kümmerte sich jetzt sogar auch noch um den Rinnstein. Der alte Mann hob sein Blasrohr, das es übrigens in jedem Spielwarengeschäft gab, visierte den Chinesen in der Tür an und pustete äußerst kräftig in das Mundstück.

Der Erfolg war frappierend.

Der bunt gefiederte Pfeil jagte aus dem Blasrohr, beschrieb einen leichten Bogen und ... fraß sich mit seiner nadelscharfen Spitze in das Gesäß des Chinesen, der verständlicherweise zusammenzuckte und zusätzlich noch etwa zehn Zentimeter steil in die Luft hüpfte. Dann griff er nach der schmerzenden Stelle, fand den stricknadelgroßen Pfeil und stieß einige Laute in seiner Muttersprache aus, die man nur als Worte völliger Verblüffung deuten konnte.

Seine Landsleute waren natürlich aufmerksam geworden, liefen auf ihn zu und kümmerten sich um ihn. Hinzu kam jener stämmige, untersetzte Chinese, dessen Hand von Lady Simpson mit der Gabel behandelt worden war.

Sekunden später zuckte auch er zusammen und hüpfte gut und gern fünfzehn Zentimeter hoch in die Luft Er schrie seine Landsleute an, bückte sich und ließ sich den Pfeil aus dem Gesäß ziehen. Der Stämmige erteilte seinen Leuten einige barsche Befehle, worauf sie ausschwärmten und die nähere Umgebung absuchten.

Zwei jüngere Chinesen, die sich mit dem Pflaster abgegeben hatten, entdeckten den alten Mann. Er stand vor einigen Mülltonnen und suchte offensichtlich nach Eßbarem. Dennoch liefen die beiden Chinesen auf ihn zu und rissen den armen, alten und hilflosen Mann an der Schulter herum. Sie wollten sich vergewissern, ob sie es mit dem Schützen zu tun hatten.

Nun, sie kamen zu keiner Erkenntnis, weil ihnen dazu keine Zeit blieb ...

Der alte, hilflose Mann hielt eine Art Miniatur-Spraydose in der rechten Hand und sprühte in die Gesichter der beiden Rohlinge. Sie schnappten verzweifelt nach Luft und wollten noch tätlich werden, fanden dazu aber weder Zeit noch Kraft. Sie sackten zusammen, als seien sie von einem unsichtbaren Blitz getroffen worden.

Der alte Mann bückte sich, suchte und fand bei jedem der jungen Kerle eine Faustfeuerwaffe, zog sie aus den Taschen und ließ sie in einer Mülltonne verschwinden. Dann eilte er zurück zur Straßenecke und machte sich den beiden anderen jungen Leuten bemerkbar, die den Eingang zum Restaurant sicherten. Der hilflose alte Mann rief einige unverständliche Worte, die man aber durchaus als Alarm deuten konnte.

Die beiden Angesprochenen reagierten prompt.

Sie rannten auf den alten Mann zu, der vor Aufregung zitterte und hinter sich deutete. Die beiden Ankömmlinge entdeckten sofort die beiden Landsleute, die regungslos vor den Mülleimern lagen.

Sie setzten sich wieder in Bewegung, eilten auf ihre Freunde zu und kümmerten sich nicht weiter um den alten Mann im langen Mantel.

Genau das war ein Fehler!

Er war ihnen gefolgt, hüstelte, machte sich bemerkbar und wartete, bis die beiden jungen Asiaten sich aufrichteten und verärgert zu ihm umwandten.

Der hilflose alte Mann betätigte noch mal die kleine Spraydose und setzte auch diese beiden Männer außer Gefecht. Sie legten sich dekorativ über die beiden bereits am Boden Ausgestreckten und rührten sich nicht mehr.

Der alte Mann suchte und fand auch bei ihnen Schuß- und Stichwaffen, die er an sich nahm und dann in einem zweiten Müllbehälter verschwinden ließ.

Anschließend kam der alte Mann schlurfend um die Straßenecke und näherte sich wieder dem chinesischen Lokal. Wie erwartet, wurde es jetzt nicht mehr massiv bewacht. Genauer gesagt, nur noch ein einziger Mann stand in der Tür und zeigte Nervosität und Ungeduld. Offensichtlich war er verärgert darüber, daß die vier Jünglinge immer noch nicht zurückkehrten.

Der alte Mann brabbelte ein paar Worte und deutete dann mit zitternder Hand auf die Straßenecke. Der Wachposten ließ sich täuschen, schaute in die angegebene Richtung, schaute wieder zurück und genau in die Düse der kleinen Spraydose.

*

»Das Frühstück, Mylady.«

Butler Parker servierte Rührei, gebratenen Speck, Toast, frische Landbutter, Orangenmarmelade und Tee. Die Hausherrin nickte grüßend und klagte über ihren leicht angegriffenen Kreislauf. Butler Parker schien so etwas geahnt zu haben, er konnte umgehend mit einem Kognak dienen.

»Neuigkeiten, Mister Parker?« erkundigte sie sich.

»Ich war so frei, Mylady, mir ein wenig die Füße zu vertreten«, antwortete Parker höflich. »Der Weg führte mich, wie ich gestehen muß, nach Soho.«

»Nach Soho?« Die Detektivin runzelte die Stirn und sah ihren Butler scharf an.

»Es ergab sich so, wie ich es ausdrücken möchte, Mylady.«

»Und was ergab sich sonst noch?« Sie befaßte sich zögernd mit ihrem Rührei.

»Mein Unterbewußtsein, Mylady, führte mich an jenem chinesischen Restaurant vorbei, in dem Mylady drei Frühlingsrollen bestellte.«

»Sie haben mich also hintergangen«, stellte die Sechzigjährige grollend fest.

»Dem möchte ich bescheiden widersprechen, Mylady.

»Sie haben diesen Laden natürlich ausgeräumt, nicht wahr?«

»Nun, Mylady, ich war so frei, mich im besagten Restaurant ein wenig umzusehen.«

»Und das hat man so ohne weiteres zugelassen?«

»Nicht ohne weiteres, Mylady, ich mußte zu einer kleinen List greifen.«

»Erzählen Sie! Ich werde Ihnen später sagen, wie sehr ich mich wundere und ärgere.«

Parker blieb vor dem Tisch stehen, schenkte Tee ein und berichtete dann in Stichworten von seinen Erlebnissen. Während des Berichts röteten sich die Wangen seiner Herrin.

»Wo waren diese Drogenhändler, als Sie im Lokal waren?« wollte sie wissen.

»Sie hatten sich, soweit sie noch handlungsfähig waren, in einer Art Büro versammelt und kümmerten sich um den Inhaber des Etablissements, jenem Chinesen, den Mylady mit der Gabel zur Ordnung rief.«

»Wie heißt dieses Subjekt?«

»Sein Name ist Hi Tsiang, Mylady.«

»Weiter, weiter«, drängte die resolute Dame. »Sie sind doch hoffentlich massiv geworden, oder?«

»Nicht direkt, Mylady.«

»Was soll ich mir denn darunter vorstellen?«

»Ich opferte nur einen meiner Patent-Kugelschreiber, Mylady, und verordnete allen Anwesenden einen kurzen, sicher aber erquickenden Schlaf.«

»Das war alles?« Sie sah ihn empört an. »Sie haben kein Rauschgift gefunden? Heroin, Kokain, Opium, Marihuana?«

»Nur kleinere Mengen, Mylady. In einem Wandsafe, der nur oberflächlich getarnt war, fand ich etwa tausend Gramm Heroin, verpackt in kleinen Folienbriefchen, wie sie Mylady inzwischen ja kennen.«

»Ein Kilogramm Heroin?« Mylady nickte wider Willen erfreut und anerkennend. »Das stellt einen beträchtlichen Wert dar, nicht wahr?«

»Ein kleines Vermögen, Mylady«, bestätigte der Butler. »Diese sogenannte Ware befindet sich zur Zeit in meinen Privaträumen im Souterrain des Hauses.«

»Und nun hoffen Sie darauf, daß die Drogenhändler hier erscheinen und uns in die Falle gehen?«

»Man wird meine bescheidene Wenigkeit kaum erkannt haben, Mylady«, antwortete der Butler. »Ich hatte ein wenig Maske gemacht, um der Wahrheit die Ehre zu geben.«

»Und was haben wir jetzt davon? Bringt uns das weiter?«

»Dies, Mylady, möchte ich annehmen und hoffen«, gab Parker gemessen zurück. »Im erwähnten Büro hinterließ ich eine Art Botschaft.«

»Aha. Und die lautet?«

»Sie erweckt mit einiger Sicherheit den Eindruck, Mylady, daß sich in Soho eine Konkurrenzorganisation etabliert hat. Mir kam und kommt es darauf an, die Drogenhändler, die die Szene beherrschen, ein wenig zu beschäftigen.«

*

»Ich komme zufällig vorbei«, behauptete Superintendent McWarden wieder mal fast verlegen, nachdem er Lady Simpson respektvoll begrüßt hatte.

»Diese Zufälle reißen bei Ihnen nie ab«, erwiderte die resolute Dame ironisch. »Nehmen Sie Platz, mein Lieber! Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

McWarden versuchte Heiterkeit zu zeigen, Gelassenheit und auch Überlegenheit. Er nickte Josuah Parker zu, der ihn fragend ansah.

»Sherry«, sagte McWarden.

»Umgehend und sofort, Sir!« Parker ging zur Anrichte und versorgte den Gast des Hauses anschließend mit dem gewünschten Getränk.

»Sie waren heute morgen schon früh auf den Beinen?« fragte der Superintendent dann in einem Ton, der kaum Interesse erkennen ließ.

»Dies leugnen zu wollen, Sir, wäre sinnlos.«

»Wieso denn das?« McWarden wurde sofort unsicher und schon wieder leicht gereizt, was seinen Tonfall betraf.

»Ich gehe davon aus, Sir, daß die Polizei stets umfassend informiert ist.«

»Sie sind unterwegs belästigt worden?«

»Eine Belästigung möchte ich einen gewissen Vorfall, keineswegs nennen, Sir.«

»Richtig, Mister Parker, Sie wurden ja verfolgt, wie Sie mir erzählten«, warf Lady Agatha erfreut ein.

»Ein junger Mann in einem weißen Kittel, der eine Sonnenbrille trug und einen Morris benutzte.«

»Und was passierte mit dem jungen Mann?« bohrte der Superintendent weiter.

»Nun, Sir, ich überredete ihn, eine kleine Entspannungspause einzulegen. Er ging, wie ich betonen möchte, auf meinen Vorschlag ein.«

»Mister Parker, dieser Mann gehört meiner Sonderabteilung an!« McWarden stellte das Sherryglas weg und blitzte den Butler empört an, erzielte damit aber keine Wirkung.

Agatha Simpson, die die Geschichte natürlich bereits kannte, lachte unverhohlen.

»Was Sie nicht sagen, McWarden«, wunderte sie sich sichtlich gespielt. »Ein Mann aus Ihrer Abteilung?«