Ed McBain: Die lästige Witwe. Kriminalroman aus dem 87. Polizeirevier - Ed McBain - E-Book

Ed McBain: Die lästige Witwe. Kriminalroman aus dem 87. Polizeirevier E-Book

Ed McBain

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Geiselnahme als Trauerarbeit: Virginias Mann ist im Gefängnis gestorben. Detective Carella war es, der ihn verhaftet hatte. Dafür will Virginia sich rächen. Die Witwe erscheint mit einem Revolver und einer Flasche Nitroglyzerin auf dem 87. Polizeirevier. Doch Carella ist nicht zu sprechen. Die resolute Frau entwaffnet die Cops und wartet. Als Polizist Meyer Meyer einen Zettel aus dem Fenster wirft, um Hilfe zu holen, spitzt sich die Situation dramatisch zu. Wird es gelingen, die Geiselnehmerin rechtzeitig zu stoppen? "Markante Charaktere, tolle Dialoge und Hochspannung pur." The Boston Globe Ein Tag wie alle anderen. Die Beamten des 87. Reviers tun ihren Dienst. Besucher kommen und gehen. Und dann erscheint die Dame in Schwarz. »Sie wünschen?«, fragte Hawes, »Ist Detective Carella da?« Ihre Stimme war tonlos. »Nein«, sagte Hawes. »Kann ich Ihnen behilf … « »Wann kommt er zurück?« »Schwer zu sagen. Wenn Sie …« »Ich warte.« Ihr Mund war ein Strich. Ein Strich ohne Lippenstift. »Schön«, sagte Hawes geduldig, »Aber dies ist ein Dienstzimmer, würden Sie bitte draußen …« »Ich warte hier drin«, beharrte sie sehr bestimmt. »Und Sie auch.« »Also, meine Dame«, begann Meyer, »ich möchte wirklich nicht unhöflich erscheinen, aber …« »Halt die Klappe«, sagte die Dame und zog die Hand aus der Manteltasche, Dunkles Metall schimmerte matt. »Kaliber .38«, erläuterte sie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 193

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über das Buch

Die Stadt ist riesig. Eine gigantische Big City, von pulsierendem Leben erfüllt. Ein Hexenkessel. Und mittendrin das 87. Polizeirevier.

Eine Geiselnahme als Trauerarbeit: Virginias Mann ist im Gefängnis gestorben. Detective Carella war es, der ihn verhaftet hatte. Jetzt will Virginia sich rächen.

Die Witwe erscheint mit einem Revolver und einer Flasche Nitroglyzerin auf dem 87. Polizeirevier. Doch Carella ist nicht zu sprechen. Die resolute Frau entwaffnet die Cops und wartet. Als Polizist Meyer Meyer einen Zettel aus dem Fenster wirft, um Hilfe zu holen, spitzt sich die Situation dramatisch zu. Wird es gelingen, die Geiselnehmerin rechtzeitig zu stoppen?

Markante Charaktere, tolle Dialoge und Hochspannung pur. The Boston Globe

Über den Autor

Ed McBain

Die lästige Witwe

Ein Kriminalroman aus dem 87. Polizeirevier

Impressum

Digitale Neuausgabe: © CulturBooks Verlag 2015

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten Deutsche Erstausgabe: 1966, Rowohlt Verlag Originalausgabe: KILLER’S WEDGE, 1959 © Ed McBain

eBook-Cover: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 28.07.2015

ISBN: 978-3-95988-003-9

1. KAPITEL

Es war ein ganz gewöhnlicher Nachmittag Anfang Oktober.

Draußen vor den Gitterfenstern des Dienstzimmers der Kriminalpolizei leuchtete der Grover Park in den schönsten Farben des Altweibersommers. Die Zweige waren in flammendes Rot, Orange und Gold getaucht und wiegten sich leise im Warmen Oktoberwind. Die Sonne brannte am wolkenlosen blauen Himmel und auf den goldenen Balken ihrer Strahlen tanzten unermüdliche Staubteilchen auf und nieder. Der Straßenlärm, der durch die geöffneten Fenster hereindrang und die Geräusche im Dienstzimmer vereinten sich zu einer unvergleichlichen Melodie.

Das Leitmotiv drinnen bestand aus einem Dreiklang: Telefonläuten, Schreibmaschinenhämmern und Fluchen. Und aus diesem Akkord entwickelte sich die Sinfonie mit ihren vielfältigen Variationen: dem krachenden Fausthieb in die Magengrube eines Diebes, dem Gebrüll nach einem verschwundenen Kugelschreiber, den hartnäckig bohrenden Fragen eines Verhörs, dem honigsüßen Girren eines Telefongesprächs mit einer Debütantin aus der Hall Avenue, dem Pfeifen eines Anfängers mit einer Nachricht vom Präsidium, dem Gezeter einer Frau, die sich über ihren gewalttätigen Ehemann beschwerte, dem Gurgeln des Wasserkühlers, dem schallenden Gelächter nach einer zweideutigen Bemerkung.

Ein solches Gelächter, begleitet vom Straßenlärm, quittierte an jenem Freitagnachmittag Meyer Meyers Pointe.

»Witze erzählen kann er«, sagte Bert Kling. »Das geht mir völlig ab. Ich kann nicht einmal eine Geschichte erzählen.«

»Es gibt noch vieles andere, was du nicht kannst«, entgegnete Meyer und zwinkerte mit den blauen Augen, »aber wir wollen’s nicht so genau nehmen. Geschichtenerzählen ist eine Kunst, Bert. Die lernt man erst im Laufe der Zeit. Ein junger Rotzlöffel wie du braucht sich da noch gar keine Hoffnungen zu machen, Dazu gehört jahrelange Erfahrung.«

»Du kannst mich mal«, erwiderte Kling.

»Merkst du’s, Cotton, schon wird er aggressiv? Wenn’s um sein Alter geht, versteht unser Kleiner keinen Spaß.«

Cotton Hawes schlürfte seinen Kaffee und grinste. Er war eins siebenundachtzig groß, wog neunzig Kilo, hatte blaue Augen und einen quadratischen Unterkiefer mit gekerbtem Kinn. Sein brandrotes Haar leuchtete hell in der prallen Oktobersonne und ließ die weiße Strähne über der linken Schläfe besonders hervortreten. Sie rühre von einer lange zurückliegenden Verletzung her. Damals waren die roten Haare abrasiert worden und weiß nachgewachsen. »Daran sieht man, wie mir das in die Glieder gefahren ist«, war sein Kommentar gewesen.

Und jetzt sagte er grinsend zu Meyer: »Je jünger, desto aufsässiger. Das ist doch ein alter Schnee. Wusstest du das nicht?«

»Hackst du jetzt auch noch auf mir rum?«, fragte Kling. »Das ist ja die reinste Verschwörung.«

»Keine Verschwörung«, widersprach Meyer, »Eine spontane Hasskundgebung. Daran krankt diese Welt. An zu viel Hass. Kennt ihr übrigens den Slogan für die Woche der Brüderlichkeit?«

»Nein«, lieferte Hawes das Stichwort. »Wie heißt er denn?«

»Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!«, deklamierte Meyer. Das Telefon schrillte. Hawes und Kling blickten sich kurz verdutzt an und wieherten dann los. Meyer brachte sie mit der ausgestreckten Hand zum Schweigen.

»Siebenundachtzigstes Revier, Detective Meyer Meyer«, meldete er sich. »Wie bitte, ma’am? Ja, ich bin Kriminalbeamter. Wie? Nein, nicht der Chef.« Er zuckte die Achseln und zog die Augenbrauen hoch. »Der Lieutenant ist momentan sehr beschäftigt. Kann ich etwas für Sie tun, ma’am? Ja, ma’am, was gibt’s? Eine Hündin, sagen Sie? Ja, ma’am, ich verstehe. Nein, ma’am, wir können ihn ja nicht gut daheim einsperren. Das gehört nicht zu den Aufgaben der Polizei. Aha. Die Hündin ... Ja, ma’am. Im Augenblick können wir wirklich keinen Mann entbehren. Wir sind heute Nachmittag ziemlich schwach besetzt. »Wie? ... Tut mir leid, wenn Sie’s so auffassen. Aber Sie müssen doch ...« Er brach ab und starrte den Hörer an. »Sie hat aufgehängt«, sagte er und legte auf.

»Worum ging’s denn?«, erkundigte sich Kling.

»Sie hat eine dänische Dogge, die dauernd hinter einer Cockerspanielhündin her ist. Wir sollen entweder dafür sorgen, dass die dänische Dogge zu Hause bleibt, oder was wegen der Hündin unternehmen. Meyer zuckte abermals die Achseln. »L’amour, l’amour. Immer der Ärger mit l’amour.« Er schwieg. »Wisst ihr, was Liebe ist?«

»Nein. Was denn?«, brachte Hawes wiederum das Stichwort.

»Diesmal mache ich keine Witze«, erklärte Meyer. »Ich philosophiere. Liebe ist nichts als eine abgeschwächte Form von Hass.«

»Meine Güte, ist das ein Zyniker!«, meinte Hawes.

»Im bin gar nicht zynisch, ich philosophiere. Und du, du solltest nie für bare Münze nehmen, was jemand laut vor sich hin denkt. Wie soll er seine Geistesblitze testen, ohne sie mal auszusprechen?«

Hawes drehte sich ruckartig um.

Die Frau stand vor der hölzernen Barriere, die das Dienstzimmer vom Korridor trennte. Sie war so geräuschlos eingetreten, dass niemand sie gehört hatte. Jetzt räusperte sie sich erschreckend laut, so dass Kling und Meyer sich fast gleichzeitig mit Hawes zu ihr umwandten.

Sie sah wie der leibhaftige Tod aus: Tiefschwarzes Haar, am Hinterkopf zu einem straffen Knoten gedreht. Braune Augen. Kein Lippenstift. Ein so kreideweißes Gesicht, als sei sie geradewegs vom Krankenbett aufgestanden. Schwarzer Mantel, schwarze Schuhe und keine Strümpfe. Die nackten Beine waren genauso weiß wie ihr Gesicht und so dünn, dass sie außerstande schienen, sie zu tragen. Sie hatte eine große schwarze Einkaufstasche bei sich und umklammerte die schwarzen Ledergriffe mit mageren, knochigen Fingern.

»Sie wünschen?«, fragte Hawes.

»Ist Detective Carella da?« Ihre Stimme war tonlos.

»Nein«, sagte Hawes. »Mein Name ist Hawes. Kann ich Ihnen behilf...«

»Wann kommt er zurück?«

»Schwer zu sagen. Wenn Sie ...«

»Ich warte.«

»Es kann aber ziemlich lange dauern.«

»Ich habe massenhaft Zeit«, antwortete sie.

Hawes zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Draußen ist eine Bank. Wenn Sie ...«

»Ich warte drin.« Und ehe Hawes sie daran hindern konnte, hatte sie die Schwingtür aufgestoßen und ging auf einen der unbesetzten Schreibtische in der Mitte zu. Hawes eilte ihr nach.

»Tut mir leid, Miss. Aber Besucher dürf...«

»Mrs.«, verbesserte sie. »Mrs. Frank Dodge.« Sie saß, stellte die schwere, offenstehende Tasche auf den Schoß und legte beide Hände fest darauf.

»Hören Sie, Mrs. Dodge, Besucher haben nur in dienstlichen Angelegenheiten Zutritt. Sie werden das sicher ...«

»Ich bin dienstlich hier«, entgegnete sie. Ihr Mund war ein Strich. Ein Strich ohne Lippenstift.

»Könnten Sie mir dann nicht sagen ...?«

»Ich warte auf Detective Carella«, erklärte sie. »Auf Detective Steve Carella.« Es klang bitter.

»Wenn Sie auf ihn warten wollen, müssen Sie sich draußen die Bank setzen«, erläuterte Hawes geduldig. »Tut mir leid, das ist ...«

»Ich warte hier drin«, beharrte sie sehr bestimmt. »Und Sie auch.«

Hawes warf Meyer und Kling einen kurzen Blick zu.

»Also, meine Dame«, begann Meyer, »ich möchte wirklich nicht unhöflich sein ...«

»Halt den Mund!«, sagte die Dame und zog die Hand aus der Manteltasche. Dunkles Metall schimmerte matt.

»Kaliber .38«, erläuterte sie.

2. KAPITEL

Die Frau mit der .38er und der schwarzen Einkaufstasche saß regungslos auf dem harten Holzstuhl. Von draußen drang der Lärm der Straße herein und ließ das Schweigen, das auf ihre simple Erklärung folgte, noch lähmender erscheinen. Die Blicke der drei Männer hingen an der Frau mit der unbeweglichen .38er in der Hand.

»Eure Waffen her«, sagte sie.

Sie rührten sich nicht.

»Los ... Ich warte.«

»Passen Sie mal auf, meine Dame«, begann Meyer, »stecken Sie das Ding da wieder weg. Wir sind friedliche Menschen. Sie werden höchstens Scherereien kriegen.«

»Das ist mir egal«, sagte sie. »Legt eure Kanonen auf den Schreibtisch. Und keine falsche Bewegung, sonst schieße ich. Ich ziele direkt auf den Bauch von dem Rotschopf. Los jetzt!«

Sie zögerten immer noch.

»Wie du willst, Rotschopf. Fang an zu beten.«

Wenn sie ihre Waffen ablieferten, waren sie dieser Irren ausgeliefert. Jeder von ihnen hatte schon Gelegenheit gehabt, Schusswaffen vom falschen Ende her zu betrachten, das gehörte zum Beruf. Aber auch Polizisten sind Menschen. Und wer stirbt schon gern früher als unbedingt nötig? Dass es eine Frau war, die sie bedrohte, machte die Sache auch nicht besser. Dem Revolver ist es egal, wer den Abzug betätigt. Und dennoch zögerten sie.

»Verdammt noch mal«, schrie sie. »Glaubt ihr, ich mache Witze?«

Kling folgte als erster ihrer Aufforderung und auch nur, weil er gesehen hatte, wie sich ihr Finger um den Abzugshahn spannte. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schnallte er den Schulterriemen auf und warf den Halter mit dem Dienstrevolver auf den Schreibtisch. Meyer und Hawes folgten seinem Beispiel.

»Kann man eine von den Schubladen abschließen?«, fragte die Frau.

»Die oberste«, sagte Hawes.

»Wo ist der Schlüssel?«

»Liegt drin.«

Sie zog die Schublade auf, fand den Schlüssel und schob die Waffen hinein. Dann schloss sie den Schreibtisch ab und steckte den Schlüssel in die Manteltasche. Die große schwarze Einkaufstasche stand immer noch auf ihrem Schoß.

»Okay, jetzt haben Sie also unsere Revolver«, sagte Meyer.» Was nun? Was soll das Ganze, meine Dame?«

»Ich werde Steve Carella umbringen«, erklärte die Frau.

»Warum?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Wer ist außer Ihnen noch hier?«

Meyer zögerte. Von ihrem Platz konnte sie das Büro des Lieutenants und den Korridor draußen gut übersehen ...

»Antworten Sie!«, herrschte sie ihn an.

»Nur Lieutenant Byrnes«, log Meyer. In der Registratur, direkt gegenüber der Barriere, arbeitete Miscolo emsig an seinen Akten. Vielleicht konnte man irgendwie erreichen, dass sie dem Korridor den Rücken zukehrte. Und sollte dann Miscolo auf einem seiner zahlreichen Gänge ins Dienstzimmer kommen, würde er vielleicht sofort die Situation erfassen und ...

»Holen Sie den Lieutenant«, befahl sie.

Meyer setzte sich in Bewegung.

»Vergessen Sie eins nicht. Der Revolver ist auf Sie gerichtet. Eine falsche Bewegung und ich schieße. Ich schieße so lange, bis ihr alle hin seid. Gehen Sie jetzt. Klopfen Sie beim Lieutenant an und sagen Sie ihm, er soll rauskommen.«

Meyer durchquerte das stille Dienstzimmer. Die Tür des Lieutenants war geschlossen. Er klopfte an den Holzrahmen neben dem Milchglas.

»Herein!«, rief Byrnes hinter der Tür.

»Pete, ich bin’s. Meyer.«

»Ich hab nicht zugesperrt«, antwortete Byrnes.

»Komm lieber raus, Pete.«

»Wo brennt’s denn?«

»So komm doch raus, Pete.«

Man hörte ein paar Schritte, dann öffnete sich die Tür. Lieutenant Peter Byrnes steckte den stämmigen Hals und die muskelbepackten Schultern durch die Öffnung. »Was gibt’s denn, Meyer? Ich bin beschäftigt.«

»Da ist eine Frau, die dich sprechen möchte.«

»Eine Frau? Wo ...?« Seine Augen glitten über Meyer hinweg, zu der Frau. Er erkannte sie auf den ersten Blick. »Hallo, Virginia«, grüßte er sie. Und dann sah er den Revolver.

»Treten Sie näher, Lieutenant«, sagte Virginia.

Byrnes’ Miene hatte sich umwölkt. Die Brauen über den forschenden blauen Augen zogen sich zusammen. Auf dem kantigen Gesicht spiegelte sich jähes Begreifen. Geduckt, wie zum Angriff bereit, stapfte er quer durch den Raum auf Virginia Dodge zu.

»Was soll das, Virginia?« Seine Stimme klang väterlich, streng, wie man mit einer fünfzehnjährigen Tochter redet, die zu spät vom Tanzen nach Hause kommt.

»Na, was glauben Sie wohl, Lieutenant?«

»Ich glaube, Sie sind total übergeschnappt. Legen Sie sofort die Waffe weg! Das ist kein Spielzeug! Was soll der ganze Unsinn ...?«

»Damit werde ich Steve Carella erschießen«, erklärte Virginia.

»Ach, du lieber Himmel«, knurrte Byrnes gereizt. »Glauben Sie etwa, dass Sie Ihrem Mann damit helfen?«

»Frank kann nichts mehr helfen.«

»Was heißt das?«

»Frank ist gestern gestorben. Im Gefängniskrankenhaus von Castleview.«

Byrnes verstummte. Nach langem, nachdenklichem Schweigen sagte er: »Dafür können Sie doch unmöglich Carella verantwortlich machen.«

»Carella hat ihn eingelocht.«

»Ihr Mann war ein Verbrecher.«

»Carella hat ihn eingelocht«, wiederholte sie monoton.

»Carella hat ihn lediglich verhaftet. Sie können doch nicht ...«

»Und er hat den District Attorney gedrängt, Frank vor Gericht zu stellen ... Und er ist im Prozess als Zeuge aufgetreten ... Und er hat überhaupt alles drangesetzt, um Frank auch wirklich ins Gefängnis zu bringen!«

»Aber Virginia! Er ...«

»Frank war krank! Und Carella wusste das! Er hat’s genau gewusst, als er ihn eingebuchtet hat.«

»So nehmen Sie doch um Himmels willen Vernunft an, Virginia! Es ist schließlich unsere Aufgabe ...«

»Carella hat ihn genauso sicher getötet, als ob er ihn direkt erschossen hätte. Und jetzt werde ich Carella umbringen. Sowie er dieses Zimmer betritt!«

»Und was dann? Wie wollen Sie denn hier wieder rauskommen, Virginia? Sie haben nicht die geringste Chance.«

Virginia lächelte dünn. »Ich komme schon raus, keine Bange.«

»Das meinen Sie nur. Geben Sie einen einzigen Schuss ab, dann wimmelt es hier in der nächsten Sekunde von lauter Polizisten.«

»Das wollen wir erst einmal abwarten.«

»Virginia, nehmen Sie doch Vernunft an! Was Sie hier vorhaben bringt Sie auf schnellstem Wege auf den elektrischen Stuhl. Haben Sie sich das nicht überlegt?«

»Mir ist alles egal. Ohne Frank ist mein Leben sowieso zu Ende.«

Byrnes schwieg lange. Dann sagte er: »Ich glaube Ihnen kein Wort, Virginia.«

»Was glauben Sie nicht? Dass ich Carella umbringe? Dass ich den ersten, der mich zurückhalten will, niederknalle?«

»Ich glaube nicht, dass Sie so töricht sind und den Revolver tatsächlich benutzen. Ich gehe jetzt hinaus, Virginia. Zurück in mein Büro ...«

»Nein, das werden Sie nicht tun.«

»Oh doch. Sie haben nämlich eines nicht bedacht, Virginia. Wir sind jetzt vier Männer hier im Dienstzimmer. Sie können vielleicht mich erschießen und danach vielleicht noch einen ... Aber wenn Sie uns alle erwischen wollen, müssen Sie sich sehr beeilen und sehr genau zielen.«

»Ich werde Sie alle kriegen, verlassen Sie sich darauf, Lieutenant«, sagte Virginia. Wieder umspielte das dünne Lächeln ihren Mund.

»Tatsächlich? Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht ganz so sehr darauf verlassen.« Er blickte sich um. »Ich verschwinde jetzt in mein Büro, Virginia und warte fünf Minuten ab. Wenn ich herauskomme sind Sie weg und wir vergessen das Ganze. Andernfalls verprügle ich Sie nach Strich und Faden, nehme Ihnen die Kanone ab und sperre Sie unten in eine Zelle. Ist das klar, Virginia?«

»Durchaus.«

»Also – fünf Minuten«, wiederholte Byrnes scharf, machte auf dem Absatz kehrt und ging auf sein Büro zu.

Virginias Stimme klang merkwürdig zuversichtlich. »Ich brauche Sie gar nicht zu erschießen, Lieutenant.«

Byrnes kümmerte sich nicht um ihre Worte.

»Ich brauche keinen von euch zu erschießen.«

Er ging weiter.

»Ich habe eine Flasche Nitroglyzerin in meiner Tasche.«

Ihre Worte schlugen wie eine Bombe ein. Byrnes blieb auf der Stelle stehen, er drehte sich langsam zu ihr um und blickte auf die große schwarze Tasche. Jetzt hatte sie den Revolverlauf auf die Öffnung der Tasche gerichtet.

»Sie lügen, Virginia«, sagte Byrnes, wandte sich um und griff nach dem Türknauf.

»Finger weg!«, schrie Virginia. »Noch eine Bewegung, dann schieße ich auf die Flasche und wir gehen alle miteinander in die Luft.«

Bevor er den Türknauf umdrehte, dachte er: Sie lügt. Sie hat gar kein Nitroglyzerin in der Tasche. Woher soll sie das haben?

Und dann fiel ihm ein, dass ihr Mann auch einmal wegen Geldschrankknackens verurteilt worden war.

Sie hat bestimmt kein Nitroglyzerin, dachte er abermals. Das ist ja heller Wahnsinn ... Und wenn sie doch welches hat? Aber sie lässt es bestimmt nicht explodieren. Sie wartet auf Carella. Sie würde nicht ...

Schließlich dachte er nur noch: Meyer Meyer hat eine Frau und drei Kinder.

Langsam ließ er die Hand sinken. Resigniert wandte er sich Virginia Dodge zu.

»So ist’s besser«, sagte sie. »Jetzt warten wir alle zusammen auf Carella.«

Steve Carella war glatt rasiert. Mit den hohen Wangenknochen und den schräg stehenden Augen hätte man ihn beinahe für einen Indianer halten können. Er war nervös und jetzt, wo er neben seiner Frau Teddy auf dem Stuhl saß, kribbelte es ihm bis in die Fingerspitzen. Der Arzt lächelte ihm beruhigend zu.

»Gratuliere, Mr. Carella«, sagte Dr. Randolph, »Ihre Frau erwartet ein Baby.«

Damit war eine seiner Fragen beantwortet, es quälte ihn aber noch eine, die er nicht auszusprechen wagte. Hoffentlich merkte man es ihm nicht an. Teddy brauchte nichts davon zu wissen.

»Nun, Mr. Carella«, lächelte der Arzt, »wie ich sehe, setzen bei Ihnen jetzt schon die Wehen des werdenden Vaters ein. Beruhigen Sie sich, es besteht kein Grund zur Besorgnis«

Carella nickte lahm. Er spürte Teddys Nähe. Seine Teddy, seine Theodora, die Frau, die er liebte, die er geheiratet hatte. Er sah ihr ins Gesicht, das von nachtschwarzem Haar umrahmt war, die braunen Augen leuchteten vor Stolz, die stummen roten Lippen waren leicht geöffnet.

Ich darf ihr die Freude nicht verderben , dachte er.

Und dennoch konnte er die Zweifel nicht abschütteln.

»Darf ich Sie über verschiedene Punkte beruhigen, Mr. Carella?«, fragte Randolph.

»Also ehrlich ...«

»Vielleicht machen Sie sich Sorgen um das Baby. Weil Ihre Frau von Geburt an taubstumm ist ... Vielleicht befürchten Sie, das Kind könnte auch einen Defekt haben. Eine durchaus begreifliche Angst, Mr. Carella.

»Aber ich ...«

»Nur absolut unbegründet.« Randolph lächelte. »Die Medizin kann auf viele Fragen keine exakte Antwort geben. Eines jedoch wissen wir genau: Taubheit ist zwar manchmal angeboren, aber nicht erblich. Selbst wenn beide Eltern taub sind, können sie ohne weiteres gesunde Kinder zur Welt bringen. Bei entsprechender Pflege und Behandlung wird die Schwangerschaft ganz normal verlaufen und Ihre Frau wird ein Prachtbaby zur Welt bringen. Sie ist ja sonst ein Urbild von Gesundheit, Mr. Carella. Und zwar ein sehr schönes – wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf.«

Teddy Carella las die Worte von seinen Lippen ab und wäre beinahe errötet. Seit langem nahm sie ihr Aussehen als selbstverständlich hin, aber es überraschte sie immer wieder, wenn andere Menschen ihre Schönheit erwähnten. Für sie war sie nichts weiter als ein Gesicht und ein Körper, seit Jahren vertraut. Ob sie fremden Menschen gefiel oder nicht, war ihr restlos gleichgültig. Nur einer zählte: Steve Carella. Und als sie nun spürte, dass Steve sich mit dem Gedanken an ein Kind befreundete, steigerte sich ihre erregte Vorfreude zu überwältigendem Glück.

»Vielen Dank, Doktor«, sagte Carella.

»Keine Ursache«, antwortete Randolph. »Alles Gute für Sie beide, Kommen Sie bitte in ein paar Wochen wieder vorbei, Mrs. Carella. Passen Sie gut auf sie auf.«

»Worauf Sie sich verlassen können«, versprach Carella. Draußen im Flur warf sich Teddy in seine Arme und küsste ihn leidenschaftlich.

»Na, na!«, sagte er. »Ist das vielleicht ein Benehmen für eine schwangere Frau?«

Teddy nickte. Ihre Augen strahlten übermütig. Sie machte eine Kopfbewegung zu den Fahrstühlen.

»Du willst heim?«

Nicken.

»Und dann?«

Beredtes Schweigen.

»Später«, erklärte er. »Ich habe erst noch einen kleinen Selbstmordfall zu erledigen.«

Er drückte auf den Fahrstuhlknopf.

»Ich habe mich schrecklich blöde benommen, nicht?«

Teddy schüttelte den Kopf.

»Doch. Ich hab mir Sorgen gemacht. Um dich und das Baby ...« Er unterbrach sich. »Du, ich hab eine Idee! Ich möchte der fruchtbarsten Frau der Stadt zeigen, wie ich sie schätze und bewundere und deshalb ...«

Teddy grinste.

»... gehen wir beide erst mal was trinken. Wir stoßen auf dich und das Baby an, mein Herz.« Er nahm sie in die Arme. »Auf dich, weil ich dich über alles liebe. Und auf das Baby, weil es unsere Liebe teilen soll.« Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Nach dem Drink brause ich ab zu meinem Selbstmord. Aber wir müssen entschieden noch etwas an diesem denkwürdigen Tag unternehmen, damit wir uns immer an ihn erinnern. Heute hat ja die schönste Frau der Vereinigten Staaten, nein, der Welt ... was sagte ich, des Universums festgestellt, dass sie ein Baby bekommt! Also ...« Er blickte auf die Uhr. »Ich dürfte spätestens gegen sieben wieder im Revier sein. Holst du mich ab? Ich muss nur einen Bericht schreiben und hinterher gehen wir zum Essen aus. In ein ruhiges Lokal, wo ich deine Hand halten und dich küssen kann, so oft ich möchte. Einverstanden? Um sieben?«

Strahlendes Nicken.

»Und dann nach Hause. Und dann ... schickt es sich denn, mit einer schwangeren Frau zu schlafen?«

Teddys stürmisches Nicken sollte bedeuten, dass es nicht nur schicklich, sondern höchst willkommen, genau das Richtige und absolut notwendig sei.

»Ich liebe dich«, flüsterte Carella heiser. »Weißt du das auch?«

Sie wusste es. Und hätte sie sprechen können, so wäre sie doch jetzt stumm geblieben. Sie sah ihn unverwandt an. Ihre Augen schimmerten feucht. Steve Carella sagte: »Ich liebe dich mehr als das Leben.«

3. KAPITEL

Im Bereich des 87. Polizeireviers wohnten neunzigtausend Menschen.

Seine Straßenzüge verliefen vom Harb River nach Süden bis zum Grover Park, gegenüber dem Revier. Der River Highway führte am Fluss entlang, jenseits lag die erste Straße des Bezirks, die elegante Silvermine Road, in deren imposanten Wohnhäusern es heute noch Fahrstuhlführer und Pförtner gab. Weiter südwärts kamen die protzige Geschäftsstraße The Stem, die Ainsley Avenue und die Culver Street mit vernachlässigten Gebäuden, fast leeren Kirchen und überfüllten Bars. Dann folgten die Mason Avenue, den Puerto-Ricaner als »La Via de Putas«, den Polizisten als »Hurenstraße« bekannt, die Grover Avenue und schließlich der Park. Von Norden nach Süden umfasste der Bezirk nur eine kurze Strecke und bildete gewissermaßen einen fragwürdigen Fremdkörper im trüben Wasser. Tatsächlich reichte er bis in den Grover Park, aber das beruhte nur auf kollegialem Entgegenkommen, offiziell unterstand das Parkgebiet den angrenzenden 88. und 89. Polizeirevieren gemeinsam. Von Osten nach Westen dehnte sich der 87. Bezirk länger aus: fünfunddreißig dicht besiedelte Querstraßen gehörten dazu. Trotzdem war die Bodenfläche gering und erschien angesichts der enormen Einwohnerzahl noch kleiner.