Ein Gebet für die Verdammten - Peter Tremayne - E-Book
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Ein Gebet für die Verdammten E-Book

Peter Tremayne

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Beschreibung

Mord an Fidelmas Hochzeitstag.

Irland, Februar 668. Schwester Fidelma und Bruder Eadulf haben beschlossen zu heiraten. Aus diesem Anlaß sind weltliche und geistliche Würdenträger aus ganz Irland nach Cashel gekommen. Da wird Abt Ultán, ein entschiedener Anhänger des Zölibats, ermordet. Für Fidelma und Eadulf ist jetzt keine Zeit zum Feiern ...

"Das beste an diesem Buch ist Schwester Fidelma - eine kluge, emanzipierte, mutige Frau, die ihre Widersacher in Grund und Boden argumentiert." Südwestrundfunk.

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Peter Tremayne

Ein Gebet für die Verdammten

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel»A Prayer for the Damned« erschien 2006bei Headline Book Publishing, London.

ISBN E-Pub 978-3-8412-0138-6ISBN PDF 978-3-8412-2138-4ISBN Printausgabe 978-3-7466-2332-0

Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie deutsche Erstausgabe erschien 2007 bei Aufbau Taschenbuch, einerMarke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KGCopyright © 2006 by Peter Tremayne

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Designunter Verwendung einer Buchmalerei aus dem »Book of Kells«

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Inhaltsübersicht

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Impressum

Inhaltsübersicht

Hauptpersonen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Für Paul und Wendy

und die nächste Generation der Familie Ellis:

Declan und Caleb,

nicht zu vergessen Jamie

AD 668: Muircetach Nar rí Connacht. i. mac Guaire moritur

Chronicon Scotorum

AD 668: Muirchertach Nár, König von Connacht, der Sohn

von Guaire, verstarb

Vigilate et orate ut non intretis in damnationem aeternam …

Gelasius I., Decretum, AD 494

Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Versuchung fallet …

HAUPTPERSONEN

Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ihr Begleiter, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks

IN DER ABTEI IMLEACH

Ségdae, Abt und Bischof von Imleach

Bruder Madagan, Verwalter von Imleach

Ultán, Abt von Cill Ria und Bischof der Uí Thuirtrí

Bruder Drón, Schreiber und Verwalter von Cill Ria

Schwester Sétach, Nonne in der Abtei Cill Ria

Schwester Marga, Nonne in der Abtei Cill Ria

BEI ARDANE IM EATHARLAÍ-TAL

Miach, Stammesfürst der Uí Cuileann

Bruder Berrihert, ein angelsächsischer Mönch

Bruder Pecanum, sein Bruder

Bruder Noavan, sein Bruder

Ordwulf, ihr betagter Vater, ein heidnischer angelsächsischer Krieger

IN CASHEL

Colgú, König von Muman, Fidelmas Bruder

Finguine, sein tánaiste oder Thronfolger, Colgús und Fidelmas Vetter

Brehon Baithen, Brehon von Muman

Caol, Hauptmann der Leibwache des Königs von Muman

Gormán, ein Krieger in der Leibwache

Dego, ein Krieger in der Leibwache

Enda, ein Krieger in der Leibwache

Bruder Conchobhar, Apotheker und Heilkundiger in Cashel

Muirgen, Amme von Alchú, Fidelmas und Eadulfs Sohn

Nessán, ihr Ehemann

Rónán, Jäger und Fährtenleser

Della, Gormáns Mutter

GÄSTE IN CASHEL

Sechnassach, Hochkönig von Irland

Brehon Barrán, Oberster Brehon der Fünf Königreiche

Muirchertach Nár, König von Connacht

Aíbnat, seine Ehefrau

Dúnchad Muirisci, sein tánaiste oder Thronfolger

Augaire, Abt von Conga

Laisran, Abt von Durrow

Ninnid, Brehon von Laigin

Blathmac mac Mael Coba, König von Ulaidh

Fergus Fanat von Ulaidh, Blathmacs Vetter

Die Handlung des vorliegenden Romans spielt im Monat Dubh-Luacran, (dunkelste Tage), d. h. im Januar des Jahres 668 u. Z., sowie zum Imbolc-Fest am 1. Februar, wenn die Schafe ihre Lämmer werfen, und folgt auf den im Band »Tod vor der Morgenmesse« geschilderten Ereignissen.

Für das bessere Verständnis der damaligen Zeit und der Anspielungen in diesem Roman sei daran erinnert, daß im Irland des 7. Jahrhunderts ein Bischof im Rang unter einem Abt stand. Viele Äbte führten auch den Titel Bischof als zweite Ehrenbezeichnung. Erst vom 9. Jahrhundert an überflügelten die Bischöfe vom Ansehen und ihrer kirchlichen Stellung her allmählich die Äbte.

Noch ein Wort zur Klarstellung: Der große Fluß, der durch Tipperary, in der Nähe von Cashel und bis Waterford fließt, wird der »Schwestern-Fluß« genannt – der Siúr. Die anglisierte Form davon ist Suir. Ich habe die ursprüngliche irische Schreibweise beibehalten. Es ist also kein Druckfehler.

PROLOG

Das junge Mädchen war schön. Mit dem Adjektiv »schön« ging Bruder Augaire nicht freigiebig um, schon gar nicht, wenn es sich um die Beschreibung einer Person des weiblichen Geschlechts handelte. Aber ihm fiel kein passenderes Wort ein, um das sinnliche Vergnügen zu beschreiben, das der Anblick in ihm erweckte. Es war kein fleischliches Verlangen; das hätte seine Frömmigkeit nicht zugelassen. Es war Schönheit im wahrsten Sinne des Wortes, die nach Bewunderung um der Schönheit willen heischte; man konnte nicht umhin, ihr zu huldigen.

Sie war ihm nicht gleich aufgefallen. Er hatte am Ufer der Bucht auf einem der sonnenbeschienenen Felsen gehockt, völlig in sich und seine Angelei versunken. Es war ein günstiger Standort, um Barsch zu angeln; den zog es immer zum Laichen in die Flußmündungen und Binnenseen. Bruder Augaire hatte mit Rute und Angelschnur schon etliche Fische aus dem Wasser geholt. Dann hatte er, einer Eingebung folgend, schräg nach oben gesehen und sie erblickt. Wie aus heiterem Himmel gefallen stand sie unbeweglich auf der Felsplatte des schmalen Uferstreifens und schaute unverwandt auf das ruhige Wasser in der Bucht.

Als erstes hatte er ihr Profil bewundert. Angetan war sie mit einem bratt, einem weiten wollenen Umhang, purpurrot und mit Biberfell abgesetzt. Die Kapuze hing lose auf den Schultern und gab die blonde Lockenpracht frei, die in der Morgensonne schimmerte und glänzte. Er konnte die Stirn erkennen, die zierliche Nase, die vollen Lippen, das entschlossene Kinn, den wohlgeformten Nacken. Doch wie sich Züge und Formen zu einem Ganzen fügten, vollendeter als er es von den großen Skulpturen aus Griechenland und Rom kannte, hätte er nicht beschreiben können. Und Bruder Augaire wußte, welchen Vergleich er zog, denn in beiden fernen Ländern war er auf Wallfahrt gewesen.

Offensichtlich hatte sie ihn nicht bemerkt, und so konnte er sie in aller Ruhe betrachten. Wohlgefällig glitten seine Augen über ihren schlanken Körper; die fraulichen Rundungen kamen trotz des Überwurfs zur Geltung. Sie trug eine enganliegende purpurrote Tunika und einen weichfließenden blauen Rock aus sida, teurer Seide, wie man sie von weitgereisten Handelsherren erwerben konnte, es hätte aber auch gut sróll, glänzender Satin sein können. Ein gemusterter criss oder Gürtel betonte die schmale Taille und den Schwung ihrer Hüfte. Ihr Halsschmuck leuchtete im Sonnenlicht, eine Kette aus rotem Jaspis. Nur kurz tastete sie mit einer blassen Hand danach, und Bruder Augaire erhaschte den Blick auf ein Armband aus Blattgold. An den Füßen hatte sie Schuhe aus Wildleder mit Schmuckelementen.

Ganz eindeutig handelte es sich um ein Mädchen aus dem Adel, aus einer wohlhabenden Familie.

Bruder Augaire schaute in die Runde, vermutete in ihrer Nähe einen Begleiter oder Leibwächter. Aber es war niemand zu sehen, nicht einmal ein geduldig wartendes Pferd irgendwo am Ufer. Als wäre sie plötzlich aus dem Nichts erschienen.

Am liebsten hätte er ihr einen Gruß zugerufen, doch kummervoll und sehnsüchtig blickte sie unentwegt aufs Meer; es verbot sich einfach, sie in ihrem Träumen zu stören. Fast kam er sich wie ein Unbefugter auf fremdem Grund und Boden vor und rutschte unruhig auf seinem Felsblock hin und her. Er glaubte, sich davonstehlen zu müssen.

Dann drehte sich das Mädchen um und sah kurz zu ihm hinüber, oder besser, sah durch ihn hindurch. Er hatte eher das Gefühl, daß ihre dunklen, melancholischen Augen ihn gar nicht richtig wahrnahmen. Doch der kurze Moment genügte, daß er den tiefen Schmerz in ihrem Gesicht erkannte, ein Ausdruck, der von mehr als nur Kummer zeugte. Die schönen Züge waren zu einer bleichen Maske gefroren, als hätte ein grausames Erlebnis das Blut in ihren Adern erstarren lassen. Auch die Tränen schienen für immer versiegt, doch den erschreckenden Abgrund in der Tiefe ihres Herzens und die dunkle Quelle, der sie entsprungen waren, die gab es noch. Deutlich konnte er das in ihrem gequälten Blick erkennen.

Einen Moment senkte Bruder Augaire die Augen. Als er wieder aufsah, lenkte das Mädchen seine Schritte sorgsam, doch entschlossen vom Ufer fort und stieg den felsigen Pfad zu der sich weiter hinten erhebenden Landspitze bergan. Jenseits des Findlings, auf dem Bruder Augaire saß, ragte eine Felsnase von mehr als einem Kilometer Länge in das Meer. Rinn Carna nannte man sie oder Cairns Point, weil die hohen Felsgebilde, die die kleine Halbinsel umschlossen, wie Grabhügel anmuteten.

Er beobachtete sie beim Aufstieg und konnte sich nicht verzeihen, sie nicht gegrüßt zu haben. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und rief ihr laut nach: »Paß gut auf dich auf, Tochter. Der Weg dort ist steil, und die Steine sind spitz.«

Das Mädchen reagierte nicht. Vielleicht hatte sie ihn auch nicht gehört. Sie blieb in ihre Melancholie versunken und ging weiter.

Unverhofft gab es einen scharfen Ruck an der Angelschnur, und ein prachtvoller Barsch verlangte Bruder Augaires ganze Aufmerksamkeit. Als er ihn glücklich ans Ufer befördert hatte und ihn in den Korb zu den anderen Fischen tun wollte, vernahm er Schritte auf dem Strandkies und schaute auf. Ein junges Mitglied der Bruderschaft kam auf ihn zu.

»Dominus tecum, Bruder Augaire. Glück mit dem Fischfang?«

»Wenn noch drei anbeißen, Deo volente, dann reicht es zum Abendessen für die ganze Gemeinschaft«, erwiderte Bruder Augaire fromm. Er hielt inne und warf einen besorgten Blick auf Rinn Carna. »Hast du auf deinem Weg hierher Fremde bemerkt, Bruder Marcán?«

»Fremde?« Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Auch kein angepflocktes Pferd oder irgendein Fuhrwerk? Niemand, der vielleicht auf jemanden gewartet hat?«

Lächelnd schüttelte Bruder Marcán abermals den Kopf. »Warum auch? Außer unserer kleinen Bruderschaft gibt es doch keine weitere Ansiedlung hier in der Nähe.«

»Dir ist kein junges Mädchen aufgefallen, das an unserer Klause vorbeigekommen ist?« fragte Bruder Augaire mit leichtem Stirnrunzeln. »Ich würde meinen, sie hätte zu Pferd und in Begleitung einer Leibwache gewesen sein müssen.«

»Ein junges Mädchen? Ich habe überhaupt niemanden heute früh hier gesehen. Worauf willst du hinaus?«

»Es ist nur, weil …«

Er verstummte, als er bemerkte, daß Bruder Marcán verdutzt über ihn hinweg in die Höhe schaute. Jetzt wandte auch er den Kopf.

Hoch oben, aber doch nicht so weit entfernt, daß er Genaueres nicht hätte erkennen können, sah er das Mädchen von vorhin. Sie stand am äußersten Rand der Klippe, hoch über den tosenden Wellen. Die blassen Arme hielt sie erhoben wie zum Gebet.

»Ein merkwürdiger Ort, Zwiesprache mit Gott zu halten«, stellte Bruder Marcán fest.

Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, da warf Bruder Augaire das Angelzeug beiseite und sprang auf. Der Aufschrei »Halt!« erstarb auf seinen Lippen, als sich das Mädchen wie zu einem Kopfsprung vom Felsen löste, die Hände immer noch in flehender Gebärde von sich gestreckt.

»Deus misereatur …«, murmelte Marcán, während sein Mitbruder bereits über die Felsbrocken am Ufersaum hastete.

»Folg mir!« rief er über die Schulter. »Unter der Felswand hier gibt es einen schmalen Weg. Vielleicht gelangen wir an die Stelle, wo sie ins Wasser gestürzt ist; noch hat die Flut nicht ihren Höhepunkt erreicht.«

Keuchend, rutschend, stolpernd, die Kleidung nicht schonend, überwanden die beiden Männer Felsen und Tümpel, die ihnen am Fuße der gezackten Steilküste das Vorwärtskommen erschwerten. Dank seiner Angelleidenschaft kannte sich Bruder Augaire hier gut aus, und so verloren sie nur wenige kostbare Minuten. Trotzdem brauchten sie eine Weile, bis sie an dem Unglücksort waren. Der leblose Körper des Mädchens schwamm mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser. Sanft schaukelte er auf den flüsternden Wellen.

Der Leichnam war blutig und zerschunden. An dem schlanken Hals nach einem Pulsschlag fühlen zu wollen war vergebene Liebesmüh; Bruder Augaire tat es dennoch, eine automatische Reaktion. In vollem Bewußtsein eines grauenvollen Endes hatte sie sich in die Felsnadeln gestürzt, hatte gar nicht erst versucht, das Gesicht zu schützen. Sie war nicht ausgerutscht, nicht aus Versehen in die Tiefe gefallen, hatte nicht ins Wasser tauchen wollen. Sie hatte es vorsätzlich getan, hatte wissentlich den Tod auf den scharfkantigen Felsen in der Tiefe gesucht.

Behutsam nahm er den Leichnam auf die Arme und bedeutete Bruder Marcán voranzugehen. Langsam und vorsichtig tasteten sie sich am Fuße der Felswand zurück, bis sie den mit Muschelresten übersäten Sandstrand erreichten, wo er seine Last ablegte.

»Da bleibt nichts mehr zu tun, Bruder«, sagte Bruder Marcán leise, als sein Gefährte versuchte, das tote Mädchen und dessen Kleidung leidlich herzurichten. »Deus vult. Es ist Gottes Wille.«

»Gottes Wille?« wiederholte Bruder Augaire. »Du irrst. Das kann Gott nicht gewollt haben. Er muß gerade anderweitig beschäftigt gewesen sein. Das hier hätte er nicht geschehen lassen.«

Unbehagen regte sich in Bruder Marcán. »Sie ist von der Klippe gesprungen. Es war kein Unfall. Sie hat sich vorsätzlich das Leben genommen. In den Augen Gottes ist das eine Sünde. Steht nicht geschrieben, das Leben des Menschen ist heilig wegen seiner Verbindung zum Göttlichen und daß man sich im Jenseits die schwerste aller Strafen auferlegt, wenn man sich selbst das Leben nimmt? Das Mädchen wird nicht seine ewige Ruhe finden.«

Bruder Augaire starrte auf das blasse Antlitz. Die melancholischen Züge waren im Tod weicher geworden, die Trauer nahezu gewichen. Fast friedlich mutete ihn jetzt ihr Gesichtsausdruck an. Ein plötzliches Schuldgefühl quälte ihn.

»Ich habe gesehen, wie ihr zumute war, sie litt, die Verzweiflung stand ihr im Gesicht. Ich hätte sie ansprechen müssen, aber ich habe sie in ihrer erschreckenden Einsamkeit allein gelassen. Gott möge mir verzeihen, ich hätte ihr helfen können.«

Bruder Marcán preßte einen Augenblick lang die Lippen zusammen; dann fing er sich und wies auf die Kammtasche, in der Frauen ihre kleinen Toilettenartikel und andere persönliche Dinge bei sich trugen und die noch an ihrem Gürtel hing.

»Vielleicht finden wir darin etwas, das nähere Auskunft über sie gibt. Der Kleidung nach muß sie aus reichem Hause stammen.«

Bruder Augaire löste das Band von dem Beutel und beförderte den Inhalt ans Tageslicht. Das meiste war das Übliche – ein Spiegel, ein Kamm … Dann ein Stück Pergament. Das war ungewöhnlich. Neugierig entfaltete er es.

»Was ist es?« wollte Bruder Marcán wissen. »Hilft es uns weiter?«

Bruder Augaire las die Worte auf dem Pergament und schüttelte den Kopf. »Sieht eher nach ein paar Zeilen aus einem Gedicht aus.«

Bruder Marcán streckte die Hand danach aus, und er reichte ihm den Fetzen. Der junge Mann las laut vor, was er entzifferte:

Ein Schrei aus tiefster Not,

Gebrochen ward mein Herz in Pein.

Es schlägt nicht ohne ihn, bleibt tot.

Er schniefte verächtlich. »Ziemlich sentimentales Zeug.«

»Das Mädchen ist tot«, tadelte ihn Bruder Augaire.

»Aber aus eigenem Entschluß. Abgesehen von unserem Glauben gilt auch nach dem Gesetz unseres Landes Selbstmord als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Es ist die höchste Form von fingal, Totschlag eines nahen Verwandten, eine Tat, die in einer Gesellschaft wie der unseren, die auf Familienbanden beruht, weder vergeben noch vergessen werden kann.«

»Aber Verständnis für das Geschehene muß man doch wenigstens aufbringen?« begehrte Bruder Augaire auf.

»Verständnis wofür?«

»Daß dieses junge Mädchen, das noch das ganze Leben vor sich hatte, all seiner Hoffnungen beraubt gewesen sein muß.« Erneut blickte er auf das fahle Gesicht der Toten. »Wer konnte jemanden wie dich dazu treiben, sich das Leben zu nehmen? War es ein Mann, der dir solchen Kummer bereitet hat?« fragte er mit gedämpfter Stimme. »Was für ein Mann muß das gewesen sein, der solche Macht über dich hatte?«

Bruder Marcán neben ihm hüstelte nervös. »Darüber zu rätseln, wer das wohl war, ist müßig. Unser Glaube lehrt eindeutig: Die Seele des Mädchens ist verloren, es sei denn, es gäbe Vergebung über das Grab hinaus. Komm, Bruder, laß uns unsere Stimmen im Gebet für die Verdammten erheben. De profundis clamavi ad te Domine … Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir …«

KAPITEL 1

»Nimm dich in acht, Ségdae von Imleach, dich könnte sonst Tod oder ewige Verdammnis ereilen!« Abt Ultán unterstrich seine Warnung, indem er mit der Faust auf den Tisch hämmerte.

Die Gruppe, die auf der gegenüberliegenden Seite des dunklen Eichenholztisches saß, hielt deutlich den Atem an. Nur der großgewachsene, weißhaarige Mann, dem die Worte galten, schien ungerührt. Voller Gleichmut und mit einem Lächeln auf dem Gesicht saß Ségdae, Abt und Bischof aus Imleach, in seinem Armsessel.

Insgesamt hatten an dem Tisch im Studierzimmer des Abts von Imleach sechs Männer und zwei Frauen Platz genommen. Abt Ségdae mit seinem Verwalter und zwei ehrwürdige Gelehrte der Abtei saßen auf der einen Seite, ihnen gegenüber Ultán, Abt von Cill Ria und Bischof der Uí Thuirtrí, zusammen mit seinem Schreiber und zwei weiblichen Mitgliedern seiner Abtei.

In dem flackernden Kerzenlicht, das den düsteren Raum etwas erhellte, wirkten selbst Abt Ultáns Begleiter angesichts der Maßlosigkeit seiner Drohgebärde leicht verstört.

Seinem Ausbruch folgte eine kurze Pause. Dann beugte sich Bruder Madagan, Abt Ségdaes Verwalter, der rechtaire der Abtei von Imleach, etwas vor.

»Du wagst, uns zu drohen, Ultán von den Uí Thuirtrí? Weißt du, mit wem du sprichst?« fragte er mit finsterem Gesicht. »Du hast den Comarb, den Nachfolger des heiligen Ailbe vor dir, den obersten Bischof des Glaubens in unserem Königreich Muman. Imleach hat nie die Forderungen von Ard Macha anerkannt. Weiß nicht ein jeder, daß der heilige Ailbe das Wort Christi hierhergebracht hat, noch ehe Patrick seine Fahrt zu den Königtümern im Norden unternahm? Du solltest deine Worte mit mehr Bedacht wählen und dich Drohungen enthalten, allzu leicht könnten sie auf dich selbst zurückfallen.«

Bei aller Entrüstung hatte sich Bruder Madagan unter Kontrolle; er setzte die Worte mit frostiger Stimme, und daß es ihm ernst war, erkannte ein jeder.

Beschwichtigend legte Abt Ségdae die Hand auf den Arm seines Verwalters, wandte aber nicht den Blick von Bischof Ultáns zornig rotem Gesicht ab.

»Aequo animo, Bruder Madagan«, meinte er begütigend. »Aequo animo. Ich bin ganz sicher, Abt Ultán hat mir nicht ernsthaft drohen wollen. Niemand, der die Gastfreundschaft dieses Hauses erfährt, käme auf einen solchen Gedanken.« Schwang da eine leichte Betonung, ein sanfter Tadel in dem Satz mit? »Der Abt hat lediglich seiner Überzeugung von der Richtigkeit seines Anliegens Nachdruck verleihen wollen. Kann sein, er ist in der Wahl seiner Worte ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.«

Abt Ségdae hielt inne, wartete geduldig auf eine Erwiderung.

Das allseitige Schweigen wurde nur vom Knacken der trockenen Holzscheite unterbrochen, die in der Feuerstelle weiter hinten im Raum brannten; auch hörte man draußen den Wind heulen, wie er heftig um die grauen Steinmauern des Klosters fegte. Es war dubhluacran, die dunkelste Jahreszeit, und obwohl es erst später Nachmittag war, hätte man es von der Finsternis her gut und gerne für Mitternacht halten können. Wenige Tage noch, und sie hatten die Mondphase, die sie von alters her mi faoide, die Ruhephase nannten. Der Brauch wollte es, daß sie völlig im Gegensatz zu der Namensgebung den Jahresabschnitt mit dem Imbolc-Fest begrüßten, wenn die Schafe lammten. Dann war die lange und sorgenvolle Zeit vorüber.

Gegen Mittag war Abt Ultán mit seinen drei Gefährten im Kloster angekommen und hatte verkündet, er käme als Abgesandter von Ségéne, dem Abt und Bischof von Ard Macha, dem Comarb oder Nachfolger des heiligen Patrick. Ségéne wurde von vielen als ranghöchster Kirchenmann im nördlichen Königreich Ulaidh angesehen. Die Ankömmlinge erfuhren die ihnen gebührende Gastfreundschaft, und Abt Ultán hatte sich mit seiner Begleitung in Abt Ségdaes Privatgemach eingefunden, um seine Botschaft zu überbringen.

Das Anliegen, das er vorbrachte, war einfach: Abt Ségdae, höchster Kirchenmann in Muman, sollte Ségéne von Ard Macha als archiepiscopus, Hauptbischof aller Königreiche von Éireann anerkennen. Um der Forderung den nötigen Nachdruck zu verleihen, wies Abt Ultán darauf hin, daß der heilige Patrick das pallium vom Bischof aus Rom erhalten hätte, der als oberster Bischof des Glaubens galt. Patrick hatte dann begonnen, die Bewohner von Éireann zu bekehren. Er hatte sich Ard Macha zum Hauptsitz erkoren, und daraus leitete man den Anspruch ab, daß die dort ansässigen Bischöfe von eben dem Ort aus die religiöse Herrschaft über die fünf Königreiche und die ihnen unterstellten Stammesfürstentümer ausüben sollten.

Höflich schweigend hatte Abt Ségdae zugehört, wie der Geistliche aus dem Norden sein Begehren vortrug. Das war in so unverblümter Wortwahl geschehen, daß es praktisch einer Forderung gleichkam. Als der Gesandte fertig war und sich zurücklehnte, wies Abt Ségdae in aller Höflichkeit, aber mit Entschiedenheit darauf hin, daß Kirchenmänner und Gelehrte aus den anderen Königreichen von Éireann die Auffassung vertreten würden, daß Patrick der Britannier, geheiligt wie er war, nicht der erste gewesen sei, der den Neuen Glauben im Land gepredigt hätte. Viele vor ihm hatten es bereits getan, und einer von ihnen hatte Ailbe, den Sohn des Olcnais von Araid Cliach im Nordwesten Mumans, bekehrt, und der wiederum hatte Imleach als seinen Sitz gewählt. Es handelte sich um eben die große Abtei, in der sie jetzt zusammensaßen und die das Volk von Muman als das Hauptzentrum seines Glaubens ansah. Immer wenn Äbte und Bischöfe von Ard Macha versucht hatten, ihre Ansprüche geltend zu machen, waren sie von Imleach und den meisten anderen Kirchen in den fünf Königreichen von Éireann zurückgewiesen worden.

An diesem Punkt der Ausführungen hatte Abt Ultán nicht länger an sich halten können. Aufgebracht hatte der etwas düster wirkende, durchaus gutaussehende, aber eitle Mann mittleren Alters – nicht daran gewöhnt, daß ihm widersprochen wurde – mit der Faust auf den Tisch geschlagen.

Nach Abt Ségdaes gemessener Zurechtweisung herrschte Schweigen in der Runde. Aller Blicke waren auf den arroganten Gesandten von Ard Macha gerichet.

Abt Ultán errötete, als er begriff, daß er bei Bruder Madagan und den anderen links und rechts von seinem Gastgeber Sitzenden auf Widerstand stieß. Bruder Drón, sein Schreiber neben ihm, ein dünner, älterer Mann mit scharfkantigem Gesicht und vogelähnlicher Körperhaltung, war bemüht, den Abt zur Zurückhaltung zu bewegen, ihm »den goldenen Mittelweg« nahezulegen, und flüsterte ihm die Worte »Aurea mediocritas« ins Ohr. Angesichts einer derart geschlossenen Gegnerschaft war Angriff keine kluge Vorgehensweise.

Abt Ultán zuckte schließlich mit den Schultern und rang sich ein Lächeln ab.

»Im Eifer des Gefechts habe ich mich zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen und möchte sie nicht als tätliche oder anderweitige Drohung verstanden wissen«, erklärte er salbungsvoll, »weder dir gegenüber, lieber Bruder in Christo, noch gegenüber einem der Anwesenden hier.« Wortwahl und Ton konnten nicht über seine wahre Meinung hinwegtäuschen. »Ich hätte nur gern mein Begehr noch einmal erläutert, damit es nicht mißverstanden bleibt.«

»Wir haben den Standpunkt von Ard Macha nun vernommen und vertreten eine andere Auffassung«, erwiderte Bruder Madagan abweisend.

Abt Ségdae versuchte zu vermitteln. »Ähnlich wie du setzt sich mein Verwalter leidenschaftlich für die Rechte unserer Abtei ein. Audi alteram partem – wir sind bereit, die Gegenseite zu hören, gibt es doch stets zwei Auffassungen zu jeder Frage. Offensichtlich liegt dir daran, lieber Bruder in Christo« – Ultán blickte scharf auf, machte man sich über ihn lustig? –, »uns weitere Überlegungen zu unterbreiten. Sehe ich das richtig?«

Abt Ultán nickte rasch. »Bruder Drón, mein Schreiber, wird das für mich tun.«

Der so Aufgeforderte räusperte sich. »Ich nehme mir die Freiheit, aus einem heiligen Buch von Ard Macha zu zitieren.« Er wandte sich zu der frommen Schwester neben ihm. »Schwester Marga, das Buch, bitte.«

Sie griff in eine Tasche, die sie bei sich führte, und beförderte ein kleines, in Kalbsleder gebundenes Buch zutage, das sie Bruder Drón reichte. Der nahm es, schlug eine bereits markierte Seite auf und begann zu lesen: »Ein himmlischer Bote erschien dem heiligen Patrick und sprach: ›Der Herrgott hat dir und deiner Stadt, die in der Sprache der Iren Ard Macha heißt, alle irischen Gebiete in modum parochiae übereignet … ‹«

»Bruder Drón, ich habe den Eindruck, du liest uns aus dem Buch vor, das bei euch Liber Angeli heißt«, unterbrach ihn Abt Ségdae. »Das ist uns wohlbekannt. Genauer gesagt, wir haben sogar Ard Macha um Erlaubnis gebeten, einen Schreiber dorthin schicken zu dürfen, damit er eine Kopie für unser scriptorium anfertigt.«

Stirnrunzelnd sah Bruder Drón auf. »Ganz recht. Ich lese aus dem Buch des Engels. Angesichts dieser wundersamen Erscheinung, die der heilige Patrick hatte, besteht Ard Macha auf der Oberhoheit über die Kirchen und Klöster der fünf Königreiche von Éireann. Alle Glaubenshäuser haben sich Ard Macha unterzuordnen und ihm in geistlicher und materieller Hinsicht Tribut zu zollen.« Bruder Drón tippte mit dem Zeigefinger auf die Pergamentseite. »Hier steht es geschrieben, Abt Ségdae. Das ist der Grund unseres Hierseins, euch darauf hinzuweisen, daß ihr euch der heiligen Weisung entsprechend zu verhalten habt.«

Lächelnd schüttelte Abt Ségdae den Kopf.

»Als junger Mann habe ich eure große Abtei besucht.« Er sprach langsam, fast ein wenig verträumt. »Ich habe die Schreiber und Gelehrten von Ard Macha kennengelernt.« Er redete nicht weiter, und alle warteten, aber er verharrte in Schweigen, schien von seinen Erinnerungen fortgetrieben.

Nervös blickte Bruder Drón zu Abt Ultán. »Was hat das mit unseren Darlegungen zu tun?« fragte er schließlich.

»Was es damit zu tun hat?« Mit krauser Stirn schaute Abt Ségdae auf, als überraschte ihn die Frage. Doch sogleich lächelte er wieder. »Ich habe nur an die Zeiten gedacht, ehe überhaupt irgend jemand in Ard Macha etwas von dieser himmlischen Botschaft ahnte. Das Buch und die darin erhobenen Ansprüche sind ganz offensichtlich erst neuerlichen Datums.«

Schwester Margas Federkiel, mit dem sie Notizen machte, brach. Bruder Drón sah sie strafend an, und sie murmelte eine Entschuldigung.

Unbeeindruckt von der kleinen Störung führte Bruder Madagan den Gedankengang seines Abts fort. »Nicht einmal bei Muirchú maccu Machtheri, dem ersten großen Biographen von Patrick, steht geschrieben, daß Patricks sterbliche Überreste in Ard Macha zur Ruhe gebettet sind. Jedermann weiß, daß er in Dún Pádraig begraben liegt und daß er just diesen Ort allen anderen als Mittelpunkt seiner Kirche vorzog. Wer den heiligen Patrick zu verehren wünscht, muß nach Dún Pádraig gehen.«

Abt Ultán schwollen die Zornesadern an. Er kämpfte mit sich, es nicht zu einem weiteren Wutausbruch kommen zu lassen.

»Sind das die Worte, die ich dem archiepiscopus Ségéne, dem Comarb des heiligen Patrick, als Antwort überbringen soll?« fragte er drohend.

Andeutungsweise neigte Abt Ségdae den Kopf. »Du kannst diese Worte dem Abt und Bischof von Ard Macha übermitteln. Imleach erkennt weder seine Ansprüche, archiepiscopus sein zu wollen, an noch eine Vorrangstellung von Ard Macha unter den Kirchen der fünf Königreiche.«

»Du solltest es dir gut überlegen, ob du tatsächlich eine abschlägige Antwort geben willst«, mahnte ihn Abt Ultán spitz.

»Auch erneute Überlegungen führen immer zu dem gleichen Schluß, lieber Bruder in Christo«, erwiderte Abt Ségdae mit einem leichten Stoßseufzer. »Wie sollte es auch anders sein? Wir von Imleach erkennen die Ansprüche von Ard Macha nicht an, es bleibt dabei. Selbst in deinen nördlichen Königreichen gibt es viele fromme Häuser, die sich weigern, Ard Macha als den Mittelpunkt der parochia Patricii zu betrachten. Warum also sollten wir es tun, wenn es nicht einmal die Klöster von Ulaidh machen?« Er hob die Hand zum Zeichen, daß er nicht unterbrochen zu werden wünschte. »Ich spreche von Tatsachen, mein lieber Bruder in Christo.«

»Dann nenn sie bei Namen!« forderte Bruder Drón gereizt. »Nenn uns die religiösen Häuser des Nordens, die Ard Macha das Recht verwehren, unter den fünf Königreichen eine Vorrangstellung einzunehmen.«

Abt Ultán preßte die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und warf einen verärgerten Blick auf seinen Schreiber. Er hatte offensichtlich begriffen, daß er mit Abt Ségdae jemanden vor sich hatte, der nicht Dinge behauptete, ohne sich in den Fakten auszukennen. Bruder Drón hoffte vielleicht, ihn der Großsprecherei zu überführen, aber Ultán glaubte eher, daß sein Gegner wußte, wovon er redete.

Abt Ségdae blieb die Freundlichkeit in Person und gab die gewünschte Auskunft.

»Die Abtei von Ard Sratha, im Gebiet der Uí Fiachracha gelegen, verweigert sich euren Ansprüchen. War es nicht der heilige Eógan, der vor über hundert Jahren mit eigenen Händen jene Steinkirche errichtete und noch davor eins der wichtigsten Zentren der Gelehrsamkeit im Norden schuf?«

Bruder Madagan, sein Verwalter, nickte eifrig. »Der heilige Patrick höchstpersönlich begründete das Haus in Dumnach hUa nAilello und ließ drei seiner Schüler da, die die Einrichtung leiten und dort wirksam werden sollten – Macet, Cétgen und Rodan«, wußte er zu berichten. »Überall in den fünf Königreichen sind ihre Werke bekannt, und die Bischöfe von dort lassen es nicht gelten, daß Ard Macha wichtiger sei als ihre Abtei. Im Königreich von Laigin erhebt das Haus von Brigid in Cill Dara im Land der Uí Faéláin den Anspruch darauf, das oberste Glaubenshaus der fünf Königreiche zu sein. Und Cogitosus bezeichnet in der Tat Cill Dara als die principalis ecclesia. Warum also sollten wir nicht Cill Dara statt Ard Macha den Vorzug geben?«

Ein weiteres Mal erhob Abt Ségdae die Hand und gebot somit Bruder Madagan, der in seiner Aufzählung fortfahren wollte, zu schweigen. Mit herausforderndem Lächeln sah er Abt Ultán direkt ins Gesicht.

»Gewiß legst du nicht Wert darauf, daß wir dir alle Einrichtungen auflisten, die nicht gewillt sind, Abt Ségéne als archiepiscopus anzuerkennen?«

Abt Ultán wurde hochrot und fühlte sich außerstande, zu antworten.

»Wir mögen ja hier im Süden wohnen«, fuhr Abt Ségdae fort, und sein Ton entbehrte nicht einer Spur Schadenfreude, »aber wir haben dennoch Augen zu sehen und Ohren zu hören. Wir sind in all diesen Fragen durchaus bewandert.«

Verärgert räusperte sich sein Gast. Abt Ségdae stand auf und führte die Hände zu den Ohren, als wollte er sie sich zuhalten. »Hören wir auf damit«, sagte er ernst. »Soll Ard Macha tun und lassen, was es für richtig hält. Wir werden hier keine Übereinstimmung finden, also lassen wir den Streit. Übermorgen ist auf unseres Königs Burg von Cashel ein großes Fest angesagt. Die Schwester unseres Königs wird heiraten. Morgen früh reiten mein Verwalter und ich nach Cashel, wo ich den Vorsitz bei den religiösen Zeremonien führen werde. Friede und Freude sollen herrschen. Wie ich höre, haben viele Könige, auch die aus dem Norden, ihr Kommen zugesagt. Also sollten auch wir, lieber Bruder in Christo, diesen Tag ausklingen lassen, wie es wahren Brüdern im Glauben geziemt – in Frieden und Brüderlichkeit. Vergessen wir fürs erste unsere strittigen Auffassungen, machen wir uns lieber gemeinsam auf den Weg nach Cashel.«

Abt Ultán blieb mißgelaunt. »Ich hatte durchaus die Absicht, nach Cashel zu reisen, aber nicht, um fröhlich zu feiern«, tat er mürrisch kund.

Abt Ségdae stöhnte innerlich, sagte aber nichts. Er setzte sich auch nicht wieder, obwohl Abt Ultán keine Anstalten machte, sich zu erheben. Seine Begleiter waren alle drei aufgestanden, das verlangte der Anstand. Es gehörte sich nicht, sitzen zu bleiben, wenn der Gastgeber, selbst Abt und Bischof, stand. Nur zögernd und umständlich löste sich Abt Ultán von seinem Sitz.

»Meine Reise nach Cashel dient einzig und allein dem Zweck, Einspruch gegen diese Eheschließung zu erheben«, erklärte er.

Ganz gegen seine Gewohnheit ließ sich Abt Ségdae seine Überraschung anmerken. »Einspruch? Wogegen?«

»Einspruch dagegen, daß eine Schwester des Glaubens ein Ehebündnis eingeht, noch dazu mit einem Fremdländischen, einem angelsächsischen Bruder, der aus freiem Willen heraus sich den Beschlüssen der Synode von Whitby verpflichtet fühlen und die von Rom festgelegten Regeln befolgen müßte.«

Abt Ségdae legte sorgenvoll die Stirn in Falten. »Was hast du gegen eine Eheschließung der Lady Fidelma?«

»Lady Fidelma?« Es klang fast höhnisch. »Wenn ich mich recht erinnere, hat sie in Cill Dara das Gelübde abgelegt, dem Glauben zu dienen. Nach unserer Auffassung ist es unrecht, wenn Nonnen heiraten. Die heilige Lehre besagt, daß wir unserem Herrn nur in Keuschheit dienen können.«

Abt Ségdae schüttelte entschieden den Kopf.

»Das ist deine Art zu glauben. Nicht einmal alle, die den Regeln Roms folgen, denken so wie du. Es ist wahr, es gibt einige einflußreiche Verkünder des Evangeliums, die das Zölibat predigen, aber bislang ist die Auffassung nicht allgemein verbindlich. Selbst in Rom gilt das Zölibat nicht als streng zu befolgende Regel. Und sogar das Haus von Ard Macha, das du als deinen Leitstern betrachtest, ist ein gemischtes Haus.«

»Das wird nicht mehr lange so sein«, versicherte ihm Abt Ultán. »Der Erzbischof hat entschieden, dem Beschluß des Konzils von Nicäa Folge zu leisten, nach dem Eheschließungen dieser Art verdammt wurden.«

»Verdammt ja, aber nicht per Gesetz verboten«, berichtigte ihn Bruder Madagan.

»Das ist pure Wortfechterei«, wies ihn Abt Ultán zurecht. »Ich werde jedenfalls in Cashel vorbringen, was ich vorzubringen habe.« Abrupt drehte er sich um und verließ ohne eine versöhnliche Verabschiedung, gefolgt von seiner Begleitung, den Raum.

Gedankenverloren blickte ihm Abt Ségdae nach, während die anderen um ihn herumstanden und nervös der Dinge harrten, die da kommen würden. Er seufzte vor sich hin und entließ dann die beiden Gelehrten. Allein geblieben mit Bruder Madagan, sagte er zu ihm: »Sorge dafür, daß Abt Ultán und seine Gefährten mit äußerster Ehrerbietung behandelt werden, solange sie unsere Gäste sind, und auch morgen, sollten sie tatsächlich mit uns gemeinsam nach Cashel reisen, ist ihnen alle Höflichkeit entgegenzubringen. Ich bedauere, daß uns Ard Macha mit Abt Ultán einen Gesandten geschickt hat, der jegliches diplomatische Geschick vermissen läßt.«

»Mir gefällt die Sache nicht«, meinte Bruder Madagan besorgt. »Ich fürchte, uns erwarten in Cashel nicht nur eitel Freude und Sonnenschein. Mich schaudert’s, wenn ich daran denke. Ich spüre es und habe regelrechte Angst.«

Begütigend schüttelte Abt Ségdae den Kopf. »Abt Ultán droht mit göttlichem Zorn und ewiger Verdammnis. Dennoch ist er ein Glaubensbruder und wird es nicht wagen, jemanden ernsthaft anzugehen. Fürchten muß man ihn nicht.«

Froh stimmten die Worte Bruder Madagan nicht. »Ich komme mir vor wie ein Seemann, der bei ruhiger See auf Deck steht, die Windstille, die in der Luft liegende Ruhe spürt und doch sieht, wie sich am Horizont dunkle Wolken zusammenballen. Er weiß, daß sich Unheil zusammenbraut. Auch ich weiß es. Was ist falsch daran, daß ich es fürchte? Die Wolken deuten auf Sturm hin. Ich bete, daß sie über Cashel hinwegfegen, ohne sich zu entladen.«

Ein ähnlich heftiger Wind, wie er um die grauen Gemäuer der Abtei von Imleach wütete, fegte auch um den großen Kalksteinfelsen von Cashel, der aus der Ebene aufragte. Darauf standen, von hohen Festungsmauern umschlossen, zahlreiche Gebäude, die von alters her den Herrschaftssitz der Könige von Muman ausmachten. Auf den Felsen gebaut war auch die Kirche, die cathedra oder der Sitz des Bischofs von Cashel, ein stolz emporstrebender Rundbau mit Verbindungswegen zum Palas. Die Anlage umfaßte Ställe, Nebengebäude, Herbergen für Gäste, Unterkünfte für die Leibwache des Königs und natürlich auch ein Kloster für die frommen Brüder, die ihren Dienst in der Kirche taten. Unterhalb des Felsens, gewissermaßen in seinem Schatten, lag das Marktstädtchen, das sich unter dem Schutz der Burg zum Mittelpunkt des größten Königreichs im äußersten Südwesten von Éireann entwickelt hatte.

Der Wind trieb Eisregenschauer vor sich her, die einem wie kalte und harte kleine Pfeile schmerzhaft ins Gesicht peitschten. Bruder Conchobhar, der sich, so gut er konnte, vor den häßlichen Windstößen zu schützen suchte, wußte, daß es seit dem Nachmittag auf den Bergen schneite. Auch über Cashel und das umliegende Land hatte sich eine dünne Schneedecke gebreitet. Lange würde sich das Weiß bei dem Schneeregen nicht halten, und das mißfiel dem Alten.

Der fromme Mann fröstelte, und er drückte sich gegen die Mauer, als er mit zusammengekniffenen Augen in den dunklen Himmel über sich blinzelte. Er war Astrologe und führte gleichzeitig die Burgapotheke. Um die Position der Himmelskörper zu bestimmen, brauchte er keinen klaren Himmel. Er wußte, daß abnehmender Mond war, daß er im Haus von an Partán, im Zeichen des Krebses stand, daß er sich gegenüber dem kriegerischen Planeten an Cosnaighe, dem Angreifer befand. Betrübt schüttelte Bruder Conchobhar den Kopf.

»Ach, Fidelma, Fidelma«, flüsterte er. »Habe ich dich nicht eines Besseren gelehrt? Habe ich dich nicht in der alten Kunst des nemgnacht, der Himmelsdeutung unterwiesen? Warum hast du dich nur entschieden, zum Imbolc-Fest deine Hochzeit zu feiern, wenn doch nur wenige Tage später der junge Mond höher steigt und die bösen Zeichen an Kraft verlieren?« Er zog den Mantel fester um die gebeugten Schultern. »Es liegt Böses in der Luft, ich kann es beschwören. Sei auf der Hut, Fidelma von Cashel. Sei auf der Hut.«

KAPITEL 2

Es ging schon auf Mittag zu, und doch war es dunkel und kalt. Die ohnehin niedrighängenden Wolken waren von einem düsteren Grau, und hier und da trieben Wolkenfetzen tief über dem Erdboden, Vorboten von Regen. Wohl fühlte sich Bruder Eadulf nicht im Sattel seines dahintrottenden Pferdes, und nichts Gutes ahnend, schaute er zum Himmel. Neben ihm ritt Caol, der Befehlshaber der Leibwache des Königs von Muman. Eadulf sah, daß etliche Winterblüten, die eigentlich ihr zartblasses Farbenspiel hätten zeigen müssen, sich bereits schlossen, um gegen das zu erwartende Unwetter gewappnet zu sein. Wieder sah er fröstelnd zum Himmel und entdeckte ein, zwei Wolken in Amboßform, und die kündigten Sturm an.

»Ist es noch weit?« rief er dem jugendlichen Wegführer zu, der vor ihnen ritt.

Mitfühlend lächelte ihm Caol zu. Er wußte, daß Eadulf nicht versessen aufs Reiten war und jede andere Art der Fortbewegung vorgezogen hätte. Doch an starkem Willen und Ausdauer mangelte es dem Angelsachsen nicht. Seit Tagesanbruch waren sie unterwegs, und Eadulf hatte, ohne zu murren, durchgehalten. Dabei hätte Caol die Pferde gern auf den leichter zu bewältigenden Strecken im Trab gehen lassen. Sie rit-ten westwärts auf den angeschwollenen Siúr zu, überquerten ihn an der Eselsfurt und zogen durch die harmloseren Flüsse Fidgachta und Ara dem sich öffnenden breiten Tal entgegen.

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