Ein Papagei in Brooklyn - David Duchovny - E-Book

Ein Papagei in Brooklyn E-Book

David Duchovny

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Marty Fullilove und sein Sohn Ted sind beide auf ihre ganz eigene Art im Leben gescheitert. Der Vater als zynischer Lebemann, der an nichts ein gutes Haar lassen kann. Der Sohn als Möchtegern-Schriftsteller, der als Erdnussverkäufer im Stadion arbeitet. Beide haben seit Jahren kein Wort miteinander gewechselt. Da braucht es schon einen unheilbaren Lungenkrebs, damit Ted seinem Vater einen Besuch abstattet. Zunächst wird er mit den üblichen Vorwürfen und Beschimpfungen begrüßt. Doch nach und nach finden die beiden zueinander – über Baseball, die Suche nach der wahren Liebe und die Freuden des Cannabiskonsums.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 362

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Marty Fullilove und sein Sohn Ted sind beide auf ihre ganz eigene Art im Leben gescheitert. Der Vater als zynischer Lebemann, der an nichts ein gutes Haar lassen kann. Der Sohn als Möchtegern-Schriftsteller, der als Erdnussverkäufer im Stadion arbeitet. Beide haben seit Jahren kein Wort miteinander gewechselt. Erst die Krebserkrankung des Vaters und die gemeinsame Liebe zum Baseball bringen die beiden wieder zueinander.

»Duchovny gewinnt auch den hoffnungslosesten Fällen des Lebens Humor und Poesie ab.« Entertainment Weekly

Der Autor

David Duchovny, geboren 1960 in New York, hat in Princeton und Yale Literatur studiert. Mit Hauptrollen in Akte X und Californication wurde er als Schauspieler weltberühmt. Er ist Autor der Romane Heilige Kuh und Ein Papagei in Brooklyn. 2015 begann mit dem Album Hell Or Highwater seine dritte Karriere als Musiker.

David Duchovny

Ein Papagei in Brooklyn

Aus dem amerikanischen Englisch von Jan Schönherr

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die Verlagsgruppe Random House weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

Die Originalausgabe Bucky F*cking Dent erschien 2016 bei Farrar, Straus and Giroux.

Vollständige deutsche Erstausgabe

Copyright © 2016 by David Duchovny

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Übersetzung: Jan Schönherr

Redaktion: Moritz Kienast

Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-19030-9V001

www.heyne-encore.de

Für Miller und West, immer und ewig.

Und für Ami und Jules, die Gringos Nummer eins und zwei, und den jungen Matty Warshaw.

Und für Meg, die mir mehr übers Schreiben beigebracht hat, als sie ahnt.

Der Honig des Himmels kommt oder kommt nicht

Doch der der Erde kommt und geht zugleich.

– Wallace Stevens, »Le Monocle de Mon Oncle«

Hass. Liebe. Das sind Namen.

Rudy. Bald bin ich alt.

– James Joyce, Ulysses

Life a funny thang.

– Sonny Liston

sagt mal,

habt ihr die Flagge gesehen?

ich konnt’s

nicht glauben.

genau als jim rice an den schlag ging,

blies der wind auf einmal ins leftfield.

er half nicht bloß yastrzemskis homerun,

sondern verhinderte den von jackson.

der wind blies ins rightfield

bei jacksons flyball,

und bei yaz’ homerun

blies er ins leftfield,

sodass der Ball nicht foul ging.

strike one gegen piniella.

jemand hat mir mal erzählt,

die red sox beherrschen hier die elemente.

bis heute hab ich’s nicht geglaubt.

– Phil Rizzuto, »Ihnen gehört der Wind«,

O Holy Cow! Ausgewählte Verse von Phil Rizzuto

1

José Canucci. So nannten sie ihn bei der Arbeit. Als wäre er halb Latino, halb Italiener. Italiener väterlicherseits, wie’s scheint. Aus welchem Teil des Stiefels könnten die Canuccis wohl stammen? Keine Ahnung. Vielleicht war seine Mutter eine bildschöne Puerto Ricanerin aus Spanish Harlem. Verdammt, das wär echt lustig. Seinem Vater hätte es gefallen. Aber war Canucci überhaupt ein richtiger Name? Er wusste es nicht. Die sprachen ihn ja nicht mal richtig aus. Die Fans hier oben sagten’s immer falsch. Can-you-see, sagten die, machten aus dem doppelten c ein s. Aber es war ja ohnehin nicht sein richtiger Name. Eigentlich hieß er Ted Fullilove. Theodore Lord Fenway Fullilove. Einen beknackteren Namen musste man erst mal finden. Irgendein Möchtegern-Poet auf Ellis Island musste damals das Filinkow, Filipow oder Filitow seines russischen Vorfahren als Fullilove eingetragen haben. Er selbst nannte sich Ted. Außer bei der Arbeit. Dort war er José. Oder Mr. Peanut.

Vielleicht sollte er sich ein Monokel zulegen. Eins wie das von Mr. Peanut, dem Cartoon-Maskottchen der Planters Peanut Company. Teds Vater war Werber gewesen. Ob er auch Mr. Peanuts Vater war? War Ted am Ende Mr. Peanuts Halbbruder?

Mr. Peanut war ein freundlicher Kerl mit Zylinder, ein Mischwesen aus Mensch und Erdnuss mit Gehstock und Monokel. Eine vernunftbegabte Nuss. Ein Wesen wie ein missglücktes Experiment aus einem der schäbigen B-Movies, die man sich im Chiller Theatre auf WPIX, Kanal 11, reinziehen konnte, wenn das Spiel wegen Regen ausfiel. Streifen wie Die Fliege zum Beispiel. »Helft mir! Helft mir!« Das war die legendäre Stelle. Vincent Price mit Fliegenkörper und Vincent-Price-Kopf. Oder war das überhaupt Vincent Prices Kopf? Vielleicht doch nicht, dachte Ted. Sowieso egal. Gut, Vincent Price war’s wohl nicht ganz unwichtig. Ted aber schon. Etwas an dem »Helft mir! Helft mir!« rührte ihn allerdings an. Die reine, nackte Not. Vielleicht das Erste, was ein Kind sagen lernte. Nach »Mommy« und »Daddy« und »mehr«. Helft mir! Helft mir! Bitte, hilf mir doch jemand!

Mr. Peanut brauchte Hilfe. Er hatte so einen welligen, beigegrauen Erdnusskörper, Käferbeinchen und schlechte Augen. Also zumindest ein schlechtes Auge. Und Eier hatte er auch nicht wirklich, war ein geschlechtsloses Wesen, ein blinder Eunuch, der am Stock ging. Kann dem Kerl nicht einer helfen? Und was sollte dieser Zylinder? Der wollte es doch nicht anders! Ab auf Karteikarten mit all den Gedanken, abheften unter einem neuen Registerpunkt: Insiderwitz, H wie »Helft mir!«. Könnte klappen. Doch schon kamen die Querverweise und Seitwärtsbezüge, brachten alles durcheinander. Ted wünschte, er hätte eine Freundin. Er für seinen Teil hatte schließlich keinen Erdnusskörper, hatte Eier und Bedürfnisse, emotionale, körperliche und was sonst noch. Allerlei verrückte, widersprüchliche Bedürfnisse, die in alle Richtungen Funken schlugen, wie wenn ein Auspuffrohr abfällt, mit fiesem Scheppern und Feuerwerk auf dem Asphalt. Freundin/Auspuffrohr. Ich sollte wirklich immer einen Stift dabeihaben, dachte er. Wütend auf sich selbst, weil diese Sachen, diese Gedanken eben doch verloren gehen. Seine Mutter hatte immer gemeint, wenn es wichtig sei, falle es ihm schon wieder ein. Aber das stimmte nicht. Vielleicht war’s genau umgekehrt. Vielleicht vergessen wir gerade das Wichtigste oder versuchen es zumindest. Was hat Nietzsche gleich gesagt? Wir erinnern uns bloß an das, was wehtut? Nicht ganz hundertprozentig derselbe Gedanke, aber dasselbe Spielfeld. Durchs Stadion hallte die Hymne: Through the perilous fight.

Ein Gedankenspielfeld. Yankee Stadium, mit jeder Menge Gedanken auf dem Platz. Und auf den Rängen. Teds Hirn war ein Stadion voll halbgarer Gedanken während des seventh-inning stretch. Bob Sheppards transatlantische Patrizierstimme: »Ladys und Gentlemen, bitte richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die First Base. Bei den Yankees jetzt im Spiel für Chris Chambliss, der junge Deutsche mit dem eindrucksvollen Schnauzer, Friedrich Nietzsche.« Phil Rizzuto hätte seinen Spaß. Wie kommt’s eigentlich, dachte Ted, dass man, wenn man was Allgemeingültiges sagen will, meistens irgendwas in der Liga von »der, welcher« im Satz hat? Als wären steife Formulierungen ein Signal für Tiefgang. Gar kein übler Gedanke – ein Gedanke, welcher gar nicht übel war.

Dass er keine Frau hatte, vergaß Ted oft, und in diesen Momenten war er glücklicher, als wenn er sich daran erinnerte. Freundin. Abheften unter U wie »unwahrscheinlich« oder V wie »Verpiss dich, Ted!«. Er konnte nicht mehr sagen, wann er das letzte Mal mit einer Frau zusammen gewesen war, und war für diese Vergesslichkeit sogar dankbar. Gallantly streaming. Doch auch wenn dieser Gedanke im Register nur ein Platzhalter für eine fehlende Karte war: Schmerz und Mangel waren echt. Ted fühlte sich vom Leben übergangen. Inzwischen war er über dreißig. Ging auf die All Star Break in der Saison seines Lebens zu. Das Spring Training nichts als eine blasse Erinnerung. Wieder mal meldete sich diese Panik in Teds Bauch, wie wenn ein Pitcher das ganze Spiel über dominant war und plötzlich »wild« wird, wie man sagt, die Kontrolle über den Ball verliert. Irgendwo in Teds Kopf zeigte ein Coach dem Schiedsrichter ein Time-out an und marschierte zum Pitcherhügel, um seinen Spieler zu beruhigen. Ted ließ die rechte Schulter kreisen. Bald würde er werfen, wollte aufgewärmt sein.

And the rockets’ red glare. Ted musste über sich selbst lachen und blickte sich sofort nervös um. Während der Hymne lachen war ein No-Go. Man musste nicht unbedingt wie ein durchgeknallter Reserveoffizier strammstehen und die Hand aufs Herz legen, wie Teds Vorgesetzter sich das wünschte, aber wenigstens sollte man nicht quatschen oder lachen. Offenbar war das respektlos gegenüber dem Militär. Und den Gründervätern. Und gegenüber Jimmy Carter. Der ja wohl der echte Mr. Peanut war! Der Erdnussfarmer aus Georgia! Ted mochte sehr, wenn sich der Kreis so schloss. Andererseits: wer nicht? Jeder mochte Kreise, Abschlüsse, mochte, wenn das kleine Menschenhirn ein Muster in das große Chaos brachte. Mr. Peanut war jetzt Präsident dieses Landes. Die Zeit der Malaise. Helft ihm! Helft ihm!

Beim letzten Vers durfte man losjubeln – José, does that star-spangled ba-an-ner yet wa-ave. / O’er the la-and of the freeeeeeeeee … Vorher nicht. Vorher war respektlos. Ein feiner Unterschied, den alle – sechzigtausend, wenn Boston zu Gast war – instinktiv kannten. So wie man weiß, dass man im Aufzug nicht die Leute anglotzt, sondern auf die blinkenden Zahlen schaut. Kein Augenkontakt. Die instinktiven Regeln des Alltags, unverständlich höchstens für Kinder, Zurückgebliebene oder Serienmörder.

Laut dem alten Witz sind die letzten Worte der Nationalhymne »Play ball!«. Uralt, aber trotzdem lustig. Der unsingbare »Song« ging zu Ende, und der Lärm der Menge schwoll an, als wäre sie ein riesiges, vorfreudiges Ungetüm. Das Spiel ging jeden Moment los, und hier oben auf den billigen Plätzen war es afrikaheiß. In Teds Herrschaftsgebiet saßen achtzig Prozent Latinos – fünfundfünfzig Prozent Puerto Ricaner, fünfundzwanzig Prozent Dominikaner – und etwa zwanzig Prozent andere. Die »anderen« waren größtenteils Iren und Italiener. Alles seine Leute. Die Plätze hier für die billigen zu halten lag nahe und, ja, sie befanden sich wirklich so weit weg vom Spielfeld, dass man das Klacken des Schlägers erst hörte, wenn der Ball schon in der Luft war. Wie in einem schlecht synchronisierten japanischen Film. Ted aber fühlte sich an diesem Aussichtspunkt lieber wie auf dem Olymp als ab vom Schuss, so als wären sie hier oben allesamt Götter, die den Ameisenmenschlein dort unten bei ihren albernen Spielen zusahen. Hier arbeitete er jedenfalls. Warf im Yankee Stadium Leuten, hauptsächlich Männern, Erdnüsse zu, die es für wahnsinnig lustig hielten, ihn José zu rufen, so wie das erste Wort der Spanglish-Version der Nationalhymne, oder eben Mr. Peanut. Manche nannten ihn sogar Ted.

Er mochte lieber nicht Ted genannt werden. Obwohl der Job nicht schlecht war und die Miete zahlte, halbwegs zumindest, fand er es doch ein wenig peinlich, dass ein Mann seines Alters mit seinem Bildungsstand – New Yorker Privatschule, Ivy League – Leute mit Hülsenfrüchten bewerfen musste, um über die Runden zu kommen. Andererseits war es ihm sogar lieber, einen Job zu haben, der so gar nichts mit dem zu tun hatte, was er »tun sollte«, mit dem er sämtliche Erwartungen derart spektakulär enttäuschte, dass die Leute meinen konnten, er sei eben ein »Sonderling« oder habe wirklich Spaß dran oder sei so ein pietätloser Geniearsch, der auf die ganze Welt einen Scheiß gab. Statt des Versagers, für den er sich selbst hielt, sollte man lieber einen Exzentriker in ihm sehen. Den schrägen Vogel mit BA in Anglistik von der Columbia, der im Yankee Stadium Erdnüsse verkauft, während er am Großen Amerikanischen Roman ackert. Von Kopf bis Fuß Gegenkultur. Voll auf einer Wellenlänge mit den Arbeitern und Proletariern. Spitzentyp. Wallace Stevens als Versicherungsvertreter. Nathaniel Hawthorne, der im Zollhaus seine Stunden absitzt. Jack London bei den unteren Zehntausend, in der Hand ein Päckchen Erdnüsse.

Trotz allem war er stolz auf seine Zielgenauigkeit. Ein guter Sportler war er nicht, wie sein Vater ihm früher täglich ins Gedächtnis gerufen hatte. Er werfe »wie ein Mädchen«, hatte der alte Mann immer gesagt. Und, ja, er hatte nicht den Wurfarm eines Reggie Jackson, ja, nicht mal die Chicken Wings eines Mickey Rivers. Sollte je ein Schokoriegel nach Ted umbenannt werden, dann garantiert der Chunky. Mit den Jahren hatte er seine ungelenke Wurfbewegung jedoch zu einer beeindruckend treffsicheren Slapstick-Schleuder aufgerüstet. Auch wenn es aussah, als winke er jemandem zum Abschied zu und schlage gleichzeitig panisch nach einer Mücke, konnte er eine erhobene Hand doch zuverlässig über zwanzig Sitzreihen hinweg treffen. Teds unvergleichlich unansehnliche Technik begeisterte die Fans, die sich einen Spaß daraus machten, ihm ein möglichst schweres Ziel zu bieten, und jeden Treffer bejubelten. Er warf hinter dem Rücken. Er warf zwischen den Beinen durch. Sein Kollege Mungo, der mit der Flaschenbodenbrille und der Bowling-Handgelenkstütze, der nur dank des zehn Zentimeter hohen orthopädischen Schuhs am linken Klumpfuß die Marke von eins fünfzig knackte und in Teds Abschnitt das nicht immer wirklich kalte Bier verkaufte, führte im Kopf Buch über Teds Trefferquote: 63 Versuche, 40 Treffer, 57 innerhalb eines Meters, solches Zeug eben. Wie Batting Average, Slugging Percentage und ERA für Snackverkäufer.

Catfish Hunter pitchte heute für die Yankees. Ein toller Name, wie Ted fand. Baseball verfügt über eine lange Tradition großartiger Namen und Spitznamen. Van Lingle Mungo. Baby Doll Jacobson. Heinie Manush. Chief Bender. Enos Slaughter. Satchel Paige. Urban Shocker. Mickey Mantle. Art Shamsky. Piano Legs Hickman. Minnie Minoso. Cupid Childs. Willie Mays. Wie eine nur durch Namen erzählte Geschichte der USA, ein veritables amerikanisches Buch Numeri. Es war allerdings ein merkwürdiges Jahr, weil die Boston Red Sox – die Erzrivalen der Yankees, aber faktisch eher das tragikomische Pendant der Throninhaber – eine fantastische Saison spielten und schwer den Eindruck machten, als brächen sie endlich den Fluch des Babe. 1918 hatten die Sox Babe Ruth, damals schon der beste Spieler der Welt, an die Yankees verkauft. Der damalige Besitzer der Sox, Harry Frazee, hatte mit dem Geld ein Musical finanzieren wollen. Konnte das No, No, Nanette gewesen sein? Ruth jedenfalls wurde zum amerikanischen Helden – gleichzeitig Frauenheld und Fressmaschine, ein Paul Bunyan im Baseballtrikot, der die Yankees zu zahlreichen Ligatiteln und World-Series-Triumphen führte und dessen Erfolg im öden Hinterland der Bronx 1923 das Yankee Stadium aus dem Boden hatte sprießen lassen: »The House That Ruth Built«, wie es hieß und wo Ted sich jetzt befand. Die Sox hatten seither nichts gerissen. Nicht eine einzige World Series gewonnen. Sechzig Jahre vergebliche Liebesmüh, in denen ihnen in der Tabelle ständig der haarige Arsch der Yankees über den Köpfen hing.

Es war Mitte Juni, aber schon heißer als im Juli. Die Erdnüsse flogen, das Bier floss, der Catfish feuerte Fastballs. Während der wenigen Flauten im Spiel, in denen keiner nach ihm rief, zog Ted meistens den stumpfen kurzen Bleistift hinter dem rechten Ohr hervor und notierte Einfälle. Um sie später abzuheften. Alphabetisch, versteht sich. Ideen für den Roman, an dem er gerade arbeitete, oder für den nächsten oder den, den er letztes Jahr so gut wie aufgegeben hatte. Das Problem war nicht, mit dem Schreiben anzufangen, sondern ein Ende zu finden. Für laufende Projekte mit Titeln wie »Mr. Taugenichts« (536 Seiten), »Zwei vom selben Schlag« (660 Seiten Konzept), »Schon lange Tod« (1171 Seiten, sechs Kilo schwer) oder »Miss Subways« (bis jetzt 402 Seiten). Nichts davon würde je das Tageslicht außerhalb von Teds Einzimmerapartment in einem Wohnblock in der Bronx erblicken. Aber vielleicht stolperte er ja heute über einen Einfall, der eine wahre Wörterhorde entfesseln, irgendein Rätsel lösen und mit seinen inneren Blockaden, seinem Unvermögen, abzuschließen und abzuliefern, endlich ein für alle Mal aufräumen würde.

Er musste an Coleridge denken, der im »Hymnus vor Sonnenaufgang« geschrieben hatte: »Hast einen Zauber du, den Morgenstern in seinem Lauf zu bannen …?« In Teds Augen war das der wahrste, traurigste Satz der Weltliteratur. Kannst du, Mensch, die Dichtung schaffen, die die Sonne am Aufgehen hindert, die wie ein Berg ihren unabwendbaren Aufstieg ein paar Augenblicke hinauszögert? Kannst du, der sich Dichter schimpft, die Worte finden, die wahrhaft auf die Wirklichkeit einwirken? Zauberformeln – Abrakadabra, Sesam öffne dich, Hokuspokus Simsalabim –, Krieger, die im trojanischen Pferd der Wörter lauerten. Die implizite Antwort auf Coleridges Frage: Nie im Leben! Wäre sie Ja gewesen, hätte er die Frage nie gestellt. Dichter und Schriftsteller werden nie etwas in der echten Welt bewirken. Genau genommen ist das Schreiben selbst womöglich nur das endgültige Eingeständnis, der Wirklichkeit machtlos gegenüberzustehen. Verdammt, das wär echt kacke.

Ted dachte über seine eigene Machtlosigkeit und den alten Coleridge nach, diesen Opium schmauchenden, Xanadu vergötternden, in den Alpen rumstreunenden Vollfreak, und kritzelte auf eine Papiertüte ein paar Namen, die als Zaubersprüche taugen könnten, um die Zeit oder vielleicht auch eine Frau festzuhalten, eine Geschichte anzustoßen, aus ihm den Mann zu machen, der er gern wäre: Napoleon Lajoie Vida Blue Thurman Munson Sesam öffne dich …

Das Spiel verging in seiner eigenen, süßen Zeitlosigkeit. Boston 5, New York 3. Wieder eine Niederlage für die Yankees in diesem merkwürdigen Jahr.

2

Ebenso wie die Spieler hatten auch die Snack- und Getränkeverkäufer im Yankee Stadium eine eigene Kabine. Allerdings war die nicht mit Teppich ausgelegt, bot weder Dusche noch Büfett, und Champagner konnte man auch nirgends kühl stellen. Sie ähnelte eher der verranzten Umkleide eines YMCA. Dort legte Ted seine Uniform ab. Zuerst den Schultergurt, an dem er die große Pappkiste mit den Erdnusstütchen trug. Pappe. Billig und vergänglich, eigentlich der blanke Hohn und bei Regen völlig unbrauchbar. Dann die dunkelblaue Schirmmütze, das weiße Kurzarmhemd mit Yankees-Logo und die blaue Polyesterhose, die jedes Lüftchen sicher aussperrte und Teds Hintern und Schenkel picklig und wund machte. Eine Traumkombination.

Mungo rutschte neben Ted auf die Bank, zog mit tiefem Seufzer den orthopädischen Schuh aus, der so groß und klobig war, als hätte er ihn Fred »Herman« Gwynne vom Set der Familie Munster geklaut, und warf ihn beiseite. Die Hacke war so schwer, dass der Schuh wie eine schwarze Katze immer aufrecht landete. »Warst heute echt in Hochform, Teddy Ballgame! Laut meiner inoffiziellen Statistik: 83 Würfe, 65 Volltreffer, 10 Mal knapp vorbei und grade mal 8 Fahrkarten. Hast die Chiquitas kräftig angeheizt und eingebuttert.« Mungo bildete sich gern ein, herausragende Fähigkeiten als unterbezahlter Verkäufer würden anziehend auf Frauen wirken. »Ay, Señor Peanut, ay Papi Peanut …«, gurrte er, während er den Handgelenkschutz abnahm. Auf den bestrumpften Beinen reichte Mungo Ted bis knapp über Augenhöhe – solange Ted sitzen blieb. Es war unmöglich zu sagen, was Mungo für einer war: Italiener, Holländer, Ire, Ukrainer, Hobbit, Brückentroll? Alles denkbar. Ted hatte den Versuch aufgegeben, ihn einzuordnen. In seinen Augen war Mungo ein Mensch. Ein sehr kleiner Mensch.

»Genau, Mungo«, antwortete Ted, während er in Zivilkleidung schlüpfte. »So ’ner fiesen Erdnussschleuder wie mir können die Ladys nicht wiederstehen.«

Kleidungsmäßig hatte Ted sich in der Neo-Hippie-Ecke eingerichtet, was weniger langweilig und altmodisch wirkte als schlicht und einfach faul. Teds Theorie zufolge war jedes Jahrzehnt im Geiste eigentlich das davor. Zehn Jahre reichten einfach nicht, damit eine Dekade sich voll entfalten konnte. Entsprechend waren die Vierziger eigentlich die Dreißiger, die Fünfziger die Vierziger, und die Sechziger die Fünfziger gewesen. Zum Beweis musste man sich ja nur mal die Top 40 anschauen: Während der Sechziger gab’s gerade mal ein bisschen Beatles oder Stones und nicht mal was von seinen geliebten Grateful Dead, die sich aber sowieso nie für Charterfolge verkauft haben, sondern frei und unabhängig durch die Zeit trieben wie eine Haschischwolke. Viel öfter fand man zu Beginn der Sechziger die Four Seasons, Dean Martin, Perry Como, Sinatra oder Elvis. Und jetzt, Ende der Siebziger, war eigentlich das Ende der Sechziger. Im Grunde stecken wir mitten im Summer of Love, in der Zeit der freien Liebe, dachte Ted. Ich bin voll am Puls der Zeit. Allerdings fühlte er sich weniger frei zu lieben als frei von Liebe.

All das, um zu erklären, wieso Teds Alltagsuniform neben der Arbeitsuniform die letzten zehn Jahre so ziemlich dieselbe geblieben war: Batikshirt, Bluejeans und Sandalen. Nur im Winter trumpfte er mit weißen Adidas Superstars auf, Low-Top, drei schwarze Streifen. Sein Gewicht war in all der Zeit allerdings nicht dasselbe geblieben, sodass das Shirt mit der lila Farbspirale so weit hochrutschte, dass es die struppigen Härchen auf der weichen Wampe freilegte und Ted unter den Männertitten zwickte. Seit er einen bedenklichen Artikel über erhöhten Östrogenspiegel bei regelmäßig kiffenden Männern gelesen hatte, der zur ansatzweisen Ausbildung weiblicher Geschlechtsmerkmale führen konnte, sah Ted seine Brust nur noch als Brüste. Schnell schüttelte er erst den Gedanken ab und dann das schulterlange braune Haar unter der Kappe zurecht, um es zum Pferdeschwanz zu binden.

Ted stand auf und klopfte Mungo auf den Rücken. »Es lebe die Arbeiterklasse, Mungo!« Ted verstand sich selbst gern als Kommunist – das machte es ihm leichter, sich nicht als Minderleister anzusehen, sondern als schwielhändigen Mann des Volkes. Zwar war er kein Mitglied der vom schwärmerischen Gus Hall, geboren als Arvo Kustaa Halberg, angeführten Kommunistischen Partei der USA (kurz: KPUSA), doch von den 58992 Stimmen, die Hall und sein Vizepräsidentenkandidat Jarvis Tyner bei der letzten Wahl abgestaubt hatten, war eine von Ted gekommen. 0,07 Prozent der Stimmen, Leute, 0,04 mehr als 1972! Jetzt geht’s erst richtig los, Baby! Ted stimmte gern für einen sicheren Verlierer. So schien ihm seine Stimme nicht unterzugehen. Auf der Columbia hatte er sich in eine märchenhafte Marxistin verliebt, eine Russistikstudentin aus Baltimore. Rachel Sue Abramowitz, eine adoptierte blonde Augenweide, höchstwahrscheinlich mit skandinavischen Wurzeln. Nach ihrem Namen oder wie ihre kurz gewachsenen, dunkelhaarigen Adoptiveltern aus Osteuropa hatte sie jedenfalls nicht ausgesehen. Sie war ein atemberaubendes Oxymoron, und Ted verfiel ihr mit Haut und Haar – ihr und der Story, ihre leiblichen Eltern seien ein Cop und eine Prostituierte gewesen.

Rachel Sue Abramowitz behauptete zwar, sich mal bei Mark Rudd die Filzläuse eingefangen zu haben, wollte aber weder dem SDS noch dem Columbia Citizenship Council beitreten, weil sie fand, deren Praxisbegriff habe ihren Zugriff auf die Theorie pervertiert. Beim erfolgreichen Aufstand zur Installation des Stickman-Filters für das Columbia-Heizkraftwerk war sie noch dabei gewesen, doch während der Demo gegen die Turnhalle im Morningside Park hatte ein anderer angehender Revoluzzer von einer Privatschule in New Jersey ihr im Gedränge an die Brust gegrapscht und geflüstert: »Was wollen wir? Tittchen! Wann wollen wir die? Jetzt!« Und das war ihr zu viel gewesen. Verständlicherweise. Ted stellte ein paar Erkundigungen an und erfuhr, dass Rachel Sue in ihrer Wohnheimbude ein Poster des eindimensionalen Menschen höchstselbst, Herbert Marcuse, an der Wand hatte, so wie andere Unterschichtenmädels am Barnard College Poster dieser musikalischen Eintagsfliege namens Beatles aufhängten.

Eigentlich war Ted vollauf zufrieden damit gewesen, hoch oben im Elfenbeinturm Allegorien und Wortspiele zu wälzen, unter dem Einfluss von Autoren wie Joyce (er sagte gern, er finde Finnegans Wake besser als Ulysses, aber das war Unfug, nichts als großkotzige Bibliotheksgockelei), Wallace Stevens (auch wenn Ted nicht bereit war, »Sein von Scheinen das Finale sein« zu lassen), Samuel »Wieder scheitern, besser scheitern« Beckett und Thomas Pynchon. Doch obwohl Pynchon mit Realpolitik so viel zu tun hatte wie Popeye, lief Ted los, kaufte eine Ausgabe vom Kapital (er erzählte überall, er habe es geklaut, Jerry-Rubin-Style, stimmt aber nicht, gekauft hat er’s, und rot war er dabei), unterstrich und eselsohrte sie zu Tode und versuchte überall auf dem Campus, wo Rachel Sue sich für gewöhnlich rumtrieb, möglichst auffällig danach auszusehen, als lese er darin. (Als Teds Vater sah, wie er Das Kapital überallhin mitschleppte, ließ er ihn wissen, er halte Karl für einen »unbedeutenderen Marx, Groucho war das Genie in der Familie. Karl kommt für mich zwar vor Zeppo und Gummo, aber nach Chico und Harpo.«) Zu Teds Glück machte der Nerd-Chic der SDS-Mitglieder seine dicken Brillengläser (–5,0 Dioptrien) akzeptabel, ja sogar begehrenswert. Er verbrannte seine blau-weiße Erstsemestermütze und hing fürderhin auf der Treppe der Low Memorial Library rum, wo er darüber sprach – und sich Mühe gab, dass andere es mitbekamen –, wie entfremdet er von seinem Gattungswesen sei. Die lächerliche Masche ging auf, und Rachel Sue Abramowitz wurde Teds erste Liebe. Er verfiel ihr, wie Lenin Marx verfallen war. Die Sache hielt die gesamten vier Jahre auf der Columbia, zerbröckelte jedoch schnell, als die beiden den schützenden Kokon des Campus verließen. Ted machte sich an seine Karriere als am Hungertuch nagender Schriftsteller und bekam immerhin das mit dem Hungertuch ganz gut hin, während Rachel Sue Abramowitz das vermutlich erste und einzige marxistische Supermodel der Weltgeschichte wurde. Sie verließ Ted zeitweise für einen Dressman und dann für einen französischen Hairstylisten namens Fabian.

Trotz des Dressmans und Fabian unternahmen Rachel und Ted noch ein paar Jahre sporadische Versuche, wieder zueinander zu finden – wie Planeten auf elliptischen Umlaufbahnen –, bis Ted eines Abends nach einem langen, betrunkenen, teuren, hallenden, fiepsenden Anruf seiner exmarxistischen Exfreundin aus Paris beschloss, um ihre Hand anzuhalten. Er würde sie gern sehen, wenn sie wieder in New York sei, sagte er, und sie verabredeten sich zum Essen beim Japaner. Ted erschien in dunkelblauem Anzug wie ein richtiger Erwachsener, und als er Rachel schon vom Eingang aus am Tisch erspähte, den Kopf über die Speisekarte gebeugt, schwoll sein Herz vor Liebe an, und er wusste, dass er das Richtige tat. Als sie aufblickte, entdeckte er eine neuartige Tiefe in ihren Augen und vermutete darin Rachels Anteil der Vision ihrer gemeinsamen Zukunft. Zur Begrüßung küsste er sie auf den Mund und spürte, wie er hart wurde. Diese Wirkung hatte sie von Anfang an auf ihn gehabt, sobald sie nur den Raum betrat. »Wie ein Pavlow’scher Hund«, hatten sie oft gewitzelt und von seinem Pavlow’schen Schwanz gesprochen. Ted bestellte eine große Flasche Sake. Er sah sie an, und alles schwoll von Neuem. Oh, wie gern er mit ihr im Bett war, mit diesem genialen Sprössling von Cop und Hure.

Gleichzeitig, wie in den kitschigsten romantischen Komödien, fingen sie an zu sprechen: »Ich muss dir was sagen!« Chips Cola! Haha. Du zuerst, nein du zuerst, nein du, nein du. Ted wollte eigentlich nichts sagen, sondern etwas fragen: »Rachel, willst du mich heiraten?« Doch ganz der Gentleman, der er zu sein hoffte, bestand er darauf, Rachel den Vortritt zu lassen. Glasklar sah er die Leidenschaft und Liebe in ihren Augen. Sah ihre gemeinsame kommunistische Zukunft. Spürte, wie sein Gattungswesen von den kleinen Dingen im Leben eingebunden und erfüllt werden würde: von ehrlicher Arbeit, Liebe, Familie und Kaminfeuer. Alles fügte sich zusammen. Sie öffnete die feuchten Lippen, zeigte ihre makellosen weißen Zähne und sagte: »Ich bin schwanger, und ich werde heiraten.«

Teds Universum kollabierte wie ein Dunkler Stern, stülpte sein Innerstes nach außen. Seine Ohren knackten, und alles klang, als wäre er unter Wasser. Rachel konnte er am Ufer zwar erkennen, aber nicht erreichen. Sie hatte Tränen in den Augen. Entweder lächelte sie oder verzog das Gesicht, schwer zu sagen. Über sein eigenes Gesicht hatte Ted völlig die Kontrolle verloren und keine Ahnung, was seine Miene seiner Angebeteten im Augenblick verriet. Obwohl ihm war, als versinke er im tiefsten Ozean, war sein Mund staubtrocken. Er hoffte nur, die Flüssigkeit, durch die ihre Stimme zu dringen schien, würde sich bald in eine Flutwelle aus Alkohol verwandeln. »Und was wolltest du sagen, Baby?« Als hätte er sich der Vorstellung vom Ertrinken endgültig ergeben, atmete Ted tief etwas ein, das sich anfühlte wie Kotze, und sagte: »Nicht so wichtig, Baby. Ich freu mich für dich. Darauf trinke ich!«

Dann erhob er einen viel zu kleinen Becher Sake auf das Leben, das sie mit einem anderen Mann und ihren ungeborenen Kindern von ihm teilen würde, und hat seither nie wieder eine Frau geliebt oder war von einer geliebt worden. Die meisten Tage vergingen ohne einen einzigen Gedanken an Rachel Sue, wie auch immer sie heute mit Nachnamen heißen mochte, oder die alternative Realität, die hätte wirklich werden können, wenn er nur draufgängerischer gewesen wäre und zuerst gesprochen hätte. Auf Nachfragen beteuerte er, er sei voll und ganz über sie hinweg – und doch: Von einem flüchtigen Hauch Patschuli auf dem Bürgersteig konnte ihm immer noch schwindlig und flau und der Schwanz ein wenig hart werden.

3

»Es lebe die Arbeiterklasse, Teddy Ballgame!«, erwiderte Mungo. Ted machte auf den Sandalen kehrt und spazierte hinaus in den Juniabend. Der Weg zum Parkplatz war wohl der Teil seines Jobs, den Ted am wenigsten mochte. Nach Spielende drängelten sich hinter der Absperrung am Ausgang die Fans, in der Hoffnung, einen Blick auf ihre Lieblingsspieler zu erhaschen. Bei jeder Gestalt, die aus dem Schatten trat, versuchten sie anhand der Silhouette zu erraten, wer es war. »Louuuuuuuuu«, johlten sie, wenn sie glaubten, Lou Piniella käme auf sie zu. Oder »Bucky!!!« bei Bucky Dent, »Captain« bei Thurman Munson, »Gooooooooose« bei Rich »Goose« Gossage oder auch – eher unwahrscheinlich – »Reggie! Reggie! Reggie!« für den unbeliebten Reggie Jackson auf dem Weg zu seinem Bentley, Bentley, Bentley. Jedes Mal hielten sie auch Ted zuerst für einen Yankee und machten, nachdem sie diverse Spielernamen gebrüllt und dann gemerkt hatten, dass es nur Ted war, ihrem Unmut Luft. Ted hasste diesen Moment, in dem sie merkten, dass er »nur er« war. Als wäre das ein fürchterlicher Fehler. Als wäre er selbst ein Fehler.

Ein wahrhaft schmachvoller Gang. »Ach, der«, brummte gewöhnlich einer. »Bloß Mister Peanut. Yo, Mister Peanut, alles klar, Erdnussmann? DIE ERD-NUSS!!!« Meistens wurde ein sarkastisches Namensspiel daraus: »Grizzly Adams!«, rundeten sie Ted höhnisch grölend zum nächstähnlichen Prominenten auf, in diesem Fall zum Held des gleichnamigen Fernsehhits. Vermutlich ließen Körperumfang, voller Bart und langes Haar ihn wirklich ein bisschen wie Dan Haggerty aussehen. »Haggerty!!!«, rief da auch schon einer. Bis irgendwann ein echter Yankee die Aufmerksamkeit auf sich zog, morphten in der toten Luft hinter Teds Rücken die Spottrufe immer weiter, während er den langen Weg bis zu den miesen Parkplätzen ganz am anderen Ende des Geländes hinter sich brachte. »Haggermeister!!! Grizzler!!! Grizzelda!!! Captain Lou Albano!!!« – und ab und zu auch mal ein »Jerry Garcia!!!«, das ihn allerdings ganz und gar nicht störte. Ted blickte dabei stets verlegen grinsend zu Boden, verbarg seine Kränkung und wünschte, er wäre ein Einzelgänger wie der Grizzler oder könnte sich für die paar Minuten Fußweg bis zu seinem Auto unsichtbar machen – noch unsichtbarer, als er ohnehin schon war.

Weiter hinten auf dem Parkplatz dünnten sich die hohen Laternen zusehends aus, so als interessiere niemanden wirklich, was dort vorging. Hier wartete geduldig Teds Stahlross auf ihn, ein kotzgrüner, klappriger Toyota Corolla, dessen Plastiktütenseitenfenster – die Scheibe war beim Diebstahl des Autoradios zerschlagen worden – sanft in der sommerlichen Brise flatterte. Das Abschließen sparte Ted sich inzwischen. Wer immer irgendetwas in diesem Mistkübel für wertvoll hielt, durfte sich gern bedienen, ohne deshalb noch mehr Schaden anzurichten. Etwas wirklich Wertvolles gab es darin sowieso nicht. Das Ding stand vor Dreck. Die Rückbank war übersät mit schmutzigen Klamotten, Softdrinkflaschen und Erdnusstütchen. Um Geld zu sparen und weil er sich aus Essen ohnehin nie viel gemacht hatte, ernährte Ted sich hauptsächlich von den Erdnüssen, die er im Stadion verkaufte. Diese eintönige Diät erklärte auch die ungesunde Fülle seines Bauchs und den leicht grünlichen Teint. Seit George Washington Carver hatte niemand mehr so viel mit Erdnüssen zu tun gehabt. Falls Ted dadurch in Richtung von Bag Ladys, Pennern und Messies tendierte, interessierte ihn das nicht die Bohne. Er war ein marxistisch-leninistisch-trotzkistisch-marcusianischer Deadhead, der sein Leben garantiert nicht nach dem sterbenden spätkapitalistischen Tier namens US-Wirtschaft ausrichten würde. Er lebte in und von der Welt, die er beobachtete. Ich bin die Heisenberg’sche Unschärfe, dachte er und zündete sich einen Joint an. Oder auch die Highsenberg’sche Unschärfe.

Ted hauchte eine Rauchwolke aus, auf die selbst Jimmy Cliff stolz gewesen wäre, nahm das tragbare Kassettendeck aus dem Rucksack und schob es in die Öffnung im Armaturenbrett. Dann drehte er den Zündschlüssel, und der Japanimport erwachte zitternd zum Leben, ungehalten, als hätte Ted ihn aus dem Schlaf geschreckt. »Komm schon, Dicke Bertha-San!«, redete Ted dem Auto zu, den Fuß auf der Kupplung, und dachte: volle Kraft zurück, als er den Rückwärtsgang einlegte. »Volle Klaft zuluck.« Manchmal sprach er mit seinem »Cololla« in dem grauenhaft rassistischen Akzent von Mickey Rooney in Frühstück bei Tiffany – genau die Art übler, simpler Schaut-wie-hart-ich-bin-Rassistenmist, mit dem sein Vater so gern Leuten auf den Sack ging. Ted fand das unerträglich, beleidigend. Doch manchmal, wider besseres Wissen, fühlte er sich fast wie eine Bauchrednerpuppe, die unfreiwillig die Worte seines Vaters sprach. Aus heiterem Himmel platzte dann ein Spruch oder eine Meinung aus ihm heraus, als hätte er eine Art Erzeuger-Tourette. Waren diese Momente der Besessenheit vorbei, wurde er sofort wieder unsicher und sah sich verschämt um, ob ihn jemand gehört hatte.

Musik schlug eine aussichtslose Schlacht gegen die kleinen Billigboxen. Grateful Dead. Immer wieder die Dead.

»Saint Stephen with a rose, in and out of the garden he goes.«

Halbwegs melodisch imitierte Ted das verletzliche, vielsagende Jaulen Jerry Garcias und sang mit Bob Weir mit: »Country garden in the wind and the rain, / Wherever he goes the people all complain.«

Dann fuhr er vom Parkplatz auf die dunkler werdenden Straßen der Bronx. Und sang: »Did it matter, does it now? Stephen would answer, if he only knew how.«

4

Teds Apartment im dritten Stock (ohne Aufzug) war so etwas wie die stationäre Version seines Autos. Der Palazzo Bankrotta Corolla unter den Domizilen. Wandhohe Stapel der New York Review of Books halfen im Winter prima gegen Zugluft. Über der Spüle baumelte eine nackte Glühbirne, und von dem arsengrünen, kunstledernen Bettsofa von Castro Convertible hätte man wohl behaupten können, es habe bessere Zeiten gesehen, wenn das nicht bedeutet hätte, es wäre tatsächlich mal in besserem Zustand gewesen, was fraglich war. Die Fenster waren verhängt, Bücher lagen überall verstreut herum, und gelbe Notizblöcke waren mit etwas vollgeschmiert, das nach dem blindwütigen Miniaturgekrakel eines Irren aussah. Auf einem Pokertisch stand eine Schreibmaschine ohne Papier. Und natürlich waren da die allgegenwärtigen Tütchen Yankees-Erdnüsse, einige ebenfalls vollgekrakelt, andere noch zum Verzehr bestimmt. Alles in allem wirkte die ganze Bude, als wäre sie vom selben Typen designt worden, der auch das Apartment der Kramdens in The Honeymooners eingerichtet hat. Fast rechnete man damit, dass Alice unter höflichem Applaus aus dem Badezimmer wuselte und der Klamauk seinen Lauf nahm. Zwar gab es auch ein paar gedecktere Farben, doch letztlich war die Welt hier drinnen schwarz-weiß. Ausgestattet mit allem, was ein Mann so braucht, der gar nichts braucht.

Das einzige, drollige Zugeständnis an ein Leben außerhalb dieser vier Wände war ein alter Fernseher, der gegenüber der Couch auf einem Stuhl stand, obendrauf ein in Pyramidenform gefolterter Drahtbügel als Antenne. Weil das Gerät von der Firma Emerson stammte, nannte Ted es in Anlehnung an Ralph Waldo Emerson den »Kobold« (kleiner Geister) und sah, wenn man ihn fragte, nie fern, sondern behielt bloß den Kobold im Auge. Das Ding lief so gut wie nie. Ted war mit Polizeibericht groß geworden, mit Jack Benny und der Milton Berle Show und hatte sich eine gewisse nostalgische Verehrung dieses Goldenen Zeitalters bewahrt. Gab er den heute angesagten Sendungen ab und zu mal eine Chance – Happy Days, zum Beispiel(Ted bevorzugte das Original von Beckett), oder Laverne and Shirley –, wurde er von fürchterlichem Grauen und einer Traurigkeit gepackt, die zu diesen angeblichen »Komödien« nicht so recht passen wollten. Bei den zum Verzweifeln unlustigen Sperenzchen des treffend benannten Jack Tripper (Ted nahm an, seine Schöpfer waren sich des LSD-Bezugs bewusst und hatten nicht nur tollpatschiges Über-Möbel-Stolpern à la Dick Van Dyke im Kopf, doch sicher war er nicht), jenes Herzbuben mit zwei Damen aus Amerikas liebster Fernsehshow, brach er jedes Mal in unkontrolliertes Schluchzen aus, sowohl für sein Land als auch für sich selbst. Das Einzige, was ihn mit dem Glotzofon versöhnte, war der örtliche Talk-Titan Joe Franklin, dessen Vernunft und simples Studio zusammen mit den Werbespots für koscheres Essen und der zusammengewürfelten Gästeliste Ted mit einem Gefühl surrealer Entrückung erfüllten, mit Wärme und anarchischer Hoffnung – genau wie hin und wieder die Tanguys und die de Chiricos im MoMA. Von de Chirico und Franklin, nicht von Tripper, fühlte er sich trippy ohne Trip. Und Sport. Sport schaute er auch.

Abgerundet wurde die übrige Einrichtung von einem batteriebetriebenen Goldfisch, der beklemmend realistisch in seinem Glas neben der Spüle kreiste. Über all dem hing der schwache Duft von etwas, das wohl Mäuseköttel waren – zumindest hoffte Ted das, denn die denkbaren Alternativen waren deutlich unangenehmer.

Ted warf einen Blick zu seinem falschen Fisch. »Tach, Goldfarb.« Er fand die Vorstellung lustig, der Fisch sei jüdisch. Ein Insiderwitz, den nur Ted und der falsche Fisch verstanden. Totlachen konnte er sich über das Ding. Er nahm sich ein Budweiser aus dem Kühlschrank, schnappte sich einen Beutel Erdnüsse und zog seinen Sessel ans Fenster. Unter beträchtlicher Anstrengung öffnete er das Fenster zur Welt, zündete sich noch einen Joint an und aß zu Abend. Das Fenster ging auf die Straße, und Ted beobachtete gern ungesehen das Treiben auf dem Bürgersteig. Er griff sich einen Notizblock und schrieb in seiner winzig kleinen Handschrift los. Dabei rülpste er Erdnüsse, Bier und Cannabis und hielt sich für zufrieden. Er strich sich durch den Bart, dessen wenige graue Strähnchen wie unbestimmte Omen einer weniger strahlenden Zukunft waren. Viele, viele Abende hatte er bereits genau auf diese Art verbracht, im Ringkampf mit seinen eigenen Gedanken, auf der Suche nach der Antwort auf eine Frage, die er erst noch richtig stellen musste. Irgendwann nach Mitternacht, wenn er ordentlich stoned und müde wäre, würde er von der Fensterbank in sein Bett rutschen und selig schlafen.

5

Sommer 1953. Ein junger Mann mittleren Alters sitzt stumm vor einem Schwarz-Weiß-Fernseher und verfolgt missmutig ein Baseballspiel. Hinter ihm ist ein Junge zu sehen, der seinen Vater so aufmerksam beobachtet, als wolle er ihn sich einprägen – jede seiner Nackenfalten, seine Haltung, seinen Geruch –, weil er ahnt, dass der alte Mann eines Tages verschwinden wird, wenn er das nicht schon getan hat. Die Gegenwart einer Frau wabert durch den Raum; vielleicht blitzt ihr Kleid ab und zu im Hintergrund auf, wo sie in der Küche zugange ist. Gut gelaunt ist auch sie nicht, brummelt vor sich hin, weiß, dass ihr Mann sie hört. Ein schwaches, aber ständiges Grauen liegt über dem Haus wie das zermürbende Summen neben einem Umspannwerk. Der Mann ist reglos wie ein Grabstein. Die Mannschaften im Fernsehen sind die New York Yankees und die Boston Red Sox. Immer wenn was Gutes für die Sox passiert, lässt der Mann einen kurzen Freudenschrei fahren, verfällt dann jedoch sofort wieder in seine Starre. Die Frau klappert in der Küche mit Geschirr, lauter als nötig. Sie will gehört werden. Der Junge ist unglücklich. Der Junge will, dass seine Eltern sich verstehen. Der Junge will, dass sein Vater ihn ansieht. Der Junge denkt: Wenn ich sie zum Lachen bringen könnte, wenn ich sie nur zum Lachen bringen könnte …

Der Junge hat gesehen, wie sein Vater über Milton Berle im Abendkleid lachte. Der Junge hat Angst vor Berle, findet, er sieht aus wie ein psychotisches Kaninchen, aber sein Vater fürchtet sich nicht. Sein Vater ist mutig, hat keine Angst vor Berle. Sein Vater lacht Berle ins Gesicht. Der Junge geht am Rand des starren Sichtfelds seines Vaters in Stellung und tanzt wie eine Ballerina von einer Wand zur anderen. Ballettstunden hatte er nie. Das ist es ja gerade! Er setzt ein steif gefrorenes Ballerina-Lächeln auf, flattert mit den Füßen, dreht Pirouetten. Sein Vater beachtet ihn nicht.

Der Junge stolziert vor seinem Vater herum und legt eine Bauchlandung hin, die Chaplin oder Keaton würdig wäre. Wirklich gut. In der Küche lacht die Mutter. Ein Hoffnungsschimmer. Doch sein Vater blickt stur geradeaus, hat nur Augen für das Spiel. Der Junge verzieht sich ins Elternschlafzimmer, streift ein Kleid seiner Mutter über, steigt in ein Paar Stöckelschuhe, wirft einen Blick in den Spiegel, fragt sich, ob das eine blöde Idee ist, und stakst ungeschickt zurück ins Wohnzimmer, wacklig wie ein neugeborenes Fohlen. Sein Vater blickt stur geradeaus.

Der Junge geht zurück zum Schrank, öffnet einen großen Koffer, auf dem »Urlaub« steht, und legt alles an, was er darin an Tauchausrüstung findet: Badehose, Flossen, Taucherbrille und Schnorchel. So schlappt er vor den Fernseher. Ein Froschmann, ein gestrandeter Fisch. Sein Vater blinzelt nicht einmal. Die Red Sox punkten. Der Vater klatscht in die Hände und blickt stur geradeaus. Die Mutter sieht den Jungen an, der Junge seinen Vater, der Vater den Fernseher – zusammen ergäben ihre Blicke ein perfektes Dreieck, wenn der Vater nur ihn oder seine Mutter ansähe. Tut er aber nicht, und das Dreieck bleibt unvollendet und offen, leckt und blutet. Ein Telefon klingelt. Der Mann schreit seiner Frau zu, sie solle rangehen. Zur Antwort zerschlägt sie einen Teller. Da endlich blickt der Mann seinen Sohn an, der noch immer in Schnorchelausrüstung vor ihm steht, und sagt: »Gehst du vielleicht mal an das verdammte Telefon?!«

Ted schreckte aus dem bekifften Traum hoch, wusste erst nicht, wo er war. Dann erkannte er in dem seltsamen, nervigen Lärm das Klingeln seines Telefons. Er blickte auf die Uhr. Etwa drei Uhr morgens. Er tastete nach dem Hörer und krächzte: »Heizungskeller«, was er immer wieder lustig fand.

Eine Frauenstimme am anderen Ende, merklich new-york-puerto-ricanischer Akzent, auch bekannt als Nujorkorikanisch (Ted war mit dieser Mundart von seinen Kunden im Stadion vertraut). »Ist da Lord Fenway Fullilove?« Himmelherrgott, dachte Ted. Niemand außer seinem Vater quälte ihn mit diesem bescheuerten zweiten Vornamen. Ja, er hieß tatsächlich nach einem Baseballstadion, dem Fenway Park in Boston. Ted hatte immer vorgehabt, diese blödsinnige Bezeichnung ein für alle Mal aus seinem Leben streichen zu lassen, war aber nie dazu gekommen. Er gebrauchte sie nie, gab nur manchmal die Initialen LF an, wenn auf einem amtlichen Formular nach weiteren Vornamen gefragt wurde. Hakte mal wer nach, behauptete er, LF stünde für Larry Francis oder Left Field, aber bestimmt nicht für Lord Fenway.

»Ted Fullilove, ja. Wer fragt?«

»Mein Name ist Mariana Blades. Ich bin Krankenschwester im Beth Israel …«

Ted hörte seine Worte herauspurzeln, noch ehe er sie dachte. Als dächten, sprächen die Worte ihn statt umgekehrt. »Mein Vater«, sagte er in völliger Gewissheit und ohne wirklich zu wissen, was er meinte.

»Ja«, antwortete die Schwester. »Ihr Vater.«

6

Seit knapp fünf Jahren hatte Ted kein Wort mit Marty gewechselt. Er war nicht mal sicher, ob er überhaupt je richtig mit ihm gesprochen, ein wirklich offenes Gespräch mit ihm geführt hatte, aber über die letzten fünf Jahre hatte absolute Funkstille geherrscht. Den genauen Grund hatte Ted lieber vergessen. Vage erinnerte er sich, seinem Vater ein Manuskript zu lesen gegeben zu haben und verletzt von seinem Urteil gewesen zu sein. Martys konstruktive Kritik lautete ungefähr: »Du schreibst wie ein alter Sack; statt übers Vögeln schreibst du über ein Nickerchen nach ’nem Fick, der nie stattgefunden hat. Bist du ’n Homo? Als ich so alt war wie du …« Irgendwas in der Richtung. »Was soll das überhaupt heißen?«, hatte Ted gefragt. »Ich will dir Poesie einprügeln, du Pfeife«, hatte Marty verkündet, als wäre er das Orakel von Park Slope. Aber eigentlich spielte all das ohnehin keine Rolle mehr, und Ted verkniff sich, die Einzelheiten ihres letzten Zerwürfnisses noch mal durchzukauen. Ihre Vater-Sohn-Beziehung war dermaßen angespannt, belastet und im Eimer, dass der kleinste Anlass – ein vergessenes Bitte oder Danke, ein schiefer Blick – genügte, damit sie einander an die Gurgel gingen. Ihr Verhältnis zueinander war wie die Steppe in der Trockenzeit: Jedes kleine Streichholz entfachte im Handumdrehen ein Höllenfeuer.

Die Schwester, Mariana, hatte am Telefon nichts Genaueres sagen wollen. Marty lag im Beth-Israel-Krankenhaus, Ecke First Avenue und Sixteenth Street in Manhattan. Ted war in Brooklyn aufgewachsen, aber nie wieder dorthin zurückgekehrt, und wagte sich so gut wie nie aus der Bronx nach Manhattan. Dieses Manhattan mit seinem »Wenn du’s hier schaffst, schaffst du’s überall«-Bullshit-Ethos beleidigte seine pseudokommunistischen Ansichten. Und all der protzige Reichtum rieb ihm pausenlos unter die Nase, dass er es weder hier noch sonst irgendwo geschafft hatte.