Eine Villa zum Verlieben - Gabriella Engelmann - E-Book
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Eine Villa zum Verlieben E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

Ein außergewöhnliches Frauenbuch für laue Sommerabende oder gemütliche Stunden vor dem Kamin. Der erste Band der Serie "Im Alten Land" von Spiegel-Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann: Die drei Frauen Stella, Leonie und Nina haben zunächst kaum Gemeinsamkeiten bis auf ihre Leidenschaft für eine alte Hamburger Stadtvilla, in der die Suche nach einer neuen Wohnung sie zufällig zusammenführt. Jede von ihnen hat ihren eigenen Traum: Stella will als Innenarchitektin Karriere machen, die in ihrem Job unglückliche Leonie wünscht sich sehnlichst eine eigene Familie und die Floristin Nina möchte nach einer großen Enttäuschung endlich wieder glücklich in Hamburg sein. Nach einem holprigen Anfang im gemeinsamen Haus in Eimsbüttel entwickelt sich zwischen den Dreien eine außergewöhnliche Frauenfreundschaft. Aber das Leben in Hamburg hält noch so einige Überraschungen für sie parat: Als ihre individuellen Träume auf dem Spiel stehen, muss die Frauenfreundschaft zwischen Stella, Leonie und Nina eine harte Bewährungsprobe bestehen. Das warmherzige Frauenbuch von Gabriella Engelmann, die selbst in Hamburg lebt, lässt uns auf unterhaltsame Weise am besonderen Weg der drei sympathischen Frauen teilhaben. Das Schicksal geht (fast immer) seinen eigenen Weg – also Augen auf und auf's Bauchgefühl hören. Nicht nur bei der Wohnungssuche und nicht nur in Hamburg! Wer [...] gute und schöne Frauenbücher mag, der sollte tatsächlich zusammen mit Stella, Leonie und Nina in die "Villa zum Verlieben" einziehen. Es ist ein richtiges Wohlfühlbuch. Buchplaudereien.de Neben dem warmherzigen Stil der Autorin [...], den netten Charakteren und der Verwebung ihrer sympathischen Geschichten kommt auch der Hamburger Flair nicht zu kurz. irveliest.wordpress.com Die Frauenbücher der Serie "Im Alten Land" von Gabriella Engelmann: Band 1: Eine Villa zum Verlieben Band 2: Apfelblütenzauber

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Seitenzahl: 410

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Gabriella Engelmann

Eine Villa zum Verlieben

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Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungHinweis der AutorinKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Epilog
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Für meine Freundinnen. Schön, dass es euch gibt!

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Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an den Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Einige der genannten Lokalitäten existieren wirklich, wenngleich ich ihre Namen verfremdet habe.

Andere wiederum entspringen meiner Phantasie und sind Traumorte, genau wie die Villa am Pappelstieg.

Ich wünsche viel Spaß beim Spaziergang durch »mein« Viertel.

 

Gabriella Engelmann

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Kapitel 1

Eine Rose für meine Liebeszone, bitte«, forderte die Dame im Nerzmantel und sah Nina Korte abwartend an.

»Für Ihre Liebeszone?«, wiederholte die Floristin fragend. Um acht Uhr morgens fühlte sie sich geistig definitiv noch nicht in der Lage, für einen derart merkwürdigen Wunsch Verständnis aufzubringen. Außerdem war sie alles andere als eine Expertin in Sachen Liebe.

»Ah, Sie sind wohl ein Feng-Shui-Fan«, mischte sich Annette ein, um ihrer ratlos dreinblickenden Kollegin aus der Patsche zu helfen. Während sich die beiden wenige Minuten später angeregt darüber unterhielten, welche Rosenart das beste Beziehungskarma und den intensivsten Duft verströmte, zog sich Nina in den kleinen Aufenthaltsraum vom Blumenmeer zurück, um dort einen Espresso zu trinken. Wie so oft, wenn es um die Liebe ging, durchfuhr sie ein schmerzhafter Stich. Traurig wanderten ihre Gedanken zu Gerald. Warum musste es immer noch so weh tun? Würde sie dieses Gefühl jemals wieder loswerden?

Als die Kundin gegangen war, kehrte Nina in den Verkaufsraum zurück, wo Annette sogleich zu einem begeisterten Vortrag über Feng-Shui ansetzte. Offensichtlich hatte sie Gefallen an dem Thema gefunden.

»Ahaaa«, war alles, was Nina dazu einfiel, und sie überlegte, wann ihre Kollegin zur Esoterik konvertiert war. »Seit wann glaubst du denn an so einen Unsinn?«, fragte sie spitz und kontrollierte die Liste der bestellten Sträuße, die in einer halben Stunde abgeholt werden sollten.

»Man muss schon was dafür tun, wenn es mit der Liebe klappen soll. Vielleicht solltest du das auch mal ausprobieren, damit du endlich über Gerald hinwegkommst«, sagte Annette und musterte Nina besorgt. »Die Feng-Shui-Regeln besagen zum Beispiel, dass man niemals in der Mitte des Bettes schlafen sollte, wenn man sich eine Beziehung wünscht. Nur so ist gewährleistet, dass man genug Raum und Platz für eine neue Liebe schafft. Aber wie ich dich kenne …« Annette verstummte, als sie Ninas grimmigen Gesichtsausdruck sah.

»Wie du weißt, habe ich nicht das geringste Interesse an einer neuen Beziehung und werde dementsprechend weiter in der Mitte meines Doppelbettes schlafen«, entgegnete Nina knapp und wandte sich einer älteren Dame zu, die, in Begleitung eines übergewichtigen Mopses, den Laden betrat. »Einmal Spätsommer zum Mitnehmen?«, sagte Nina, die den Geschmack ihrer langjährigen Stammkundin bestens kannte und sich sogleich daranmachte, dunkelrote Dahlien mit leuchtenden Astern und Chrysanthemen zu kombinieren. Zum Schluss wickelte sie farbigen Bast um die Stiele und verpackte den Strauß in knisterndes Seidenpapier. Die Arbeit als Floristin machte ihr Spaß. Trotz langjähriger Berufspraxis war sie nach wie vor mit Feuereifer dabei und liebte es, die hauseigene Homepage zu betreuen und den Kunden unter www.gruenzeug.net Tipps rund ums Thema Pflanzen zu geben. Wenn es nach ihr ginge, bliebe sie den Rest ihres Lebens im Blumenmeer.

 

Ich hasse dieses Haus!, dachte Leonie Rohlfs, als sie um acht Uhr dreißig in den wackeligen alten Fahrstuhl stieg, von dem sie befürchtete, dass er ihr eines Tages noch den Tod bringen würde. Leonie verfügte über eine recht lebhafte Phantasie.

Ich werde so bald wie möglich hier ausziehen, hatte sie sich seit dem Tag ihres Einzugs immer wieder gesagt – doch das war inzwischen fünf Jahre her! Damals hatte sie sich schweren Herzens von ihrer Heimat, dem Alten Land vor den Toren Hamburgs, getrennt, um stattdessen in die trubelige Großstadt Hamburg zu ziehen, und damit in die Nähe ihres Arbeitsplatzes, des Reisebüros Traumreisen. Leonie mochte den studentischen Stadtteil in Uni-Nähe, aber bisweilen wurden ihr der Lärm, die Autos und die Menschenmassen zu viel. Dann sehnte sie sich nach frischer Landluft und dem Garten ihrer Eltern, mit den knorrigen Bäumen und dem kleinen Ententeich. Nach Eiern von glücklich umherpickenden Hühnern, warmer Kuhmilch und dem Duft von Apfelkuchen, wie nur ihre Mutter ihn backen konnte. Außerdem vermisste sie ihre Katze, die sie schweren Herzens zurücklassen musste, weil es in dem trostlosen Hamburger Mietklotz verboten war, Tiere zu halten. Im Grunde ihres Herzens war sie mit ihren sechsunddreißig Jahren immer noch eine hoffnungslose Romantikerin, die sich nach einer perfekten Welt und ihrem ländlichen Kindheitsidyll sehnte.

Während sich die Fahrstuhltür knarrend schloss, sah sich Leonie in der Kabine um und betrachtete angewidert die Schmierereien, die Generationen von frustrierten Bewohnern auf den hässlichen Wänden aus undefinierbarem Grau hinterlassen hatten. Mit einem Mal konnte sie sich keinen einsameren Ort auf der Welt vorstellen als dieses Haus.

Dem Fahrstuhl glücklich entronnen, blinzelte Leonie in die Sonne. Es war Anfang September, Spätsommer, und eigentlich keine Zeit, um Trübsal zu blasen. Doch um glücklich zu sein, fehlte Leonie noch so einiges …

Als sie zehn Minuten später mit dem Fahrrad im noblen Stadtteil Eppendorf ankam und die Tür zu Traumreisen aufschloss, hatte sich ihre Laune kaum gebessert. Daran konnte auch das farbenfrohe Schaufenster mit den vielen Reiseprospekten nichts ändern. Dieser Anblick war für Leonie völlig normal, genauso wie ihre Angewohnheit, von diesen Urlauben nur zu träumen, da sie selbst nicht gerne in einen Flieger stieg. Ihre Phantasie kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, sich mögliche Gefahren in allen erdenklichen Varianten auszumalen. Kein Terroranschlag und keine Naturkatastrophe, die Leonie im Geist nicht schon selbst durchlebt und durchlitten hätte. Das war nicht immer so gewesen, sonst hätte sie niemals diesen Beruf ergriffen. Irgendwie wurde sie mit fortschreitendem Alter zunehmend ängstlicher. In den letzten Jahren beschlich sie häufiger das Gefühl, nicht nur in der falschen Wohnung zu leben, sondern auch den verkehrten Job zu haben.

»Na, hast du schon einen Termin für dein Flugangstseminar?«, erkundigte sich Olli, der Azubi, und grinste frech. Olli war knapp zwanzig, schwul bis unter die Haarspitzen und der einzige Lichtblick in Leonies grauem Berufsalltag.

»Nein, hatte noch keine Zeit, mich darum zu kümmern«, entgegnete sie kurz angebunden und warf die große Lederhandtasche auf ihren Schreibtisch. Acht Uhr vierzig. Um neun Uhr öffnete Traumreisen seine Pforten. Blieben also noch zwanzig Minuten, um die Kaffeemaschine anzustellen, einen flüchtigen Blick auf ihre E-Mails zu werfen und den Anrufbeantworter abzuhören. Und nur zwanzig Minuten, bis Doris Möller, ihre Vorgesetzte, den Raum betrat und ihr die Luft zum Atmen nahm.

»Was hattest du denn so Dringendes zu tun, dass du nicht mal Zeit hattest, dich für ein Seminar anzumelden? Gib zu, du konntest dich wieder nicht von deinen Herzschmerz-Schmökern losreißen«, frotzelte Olli und wusste genau, dass er Leonie damit auf die Palme bringen konnte. »Wie heißt das Buch diesmal? ›Herz in Flammen‹, ›Und immer wieder nur die Liebe‹ oder …«

»Halt deine freche Klappe«, funkelte Leonie ihn an, »oder du kannst die nächsten zwei Wochen selbst Kaffee kochen. Und wenn ich richtig fies bin, übernimmst du auch noch den Brötchenholdienst.«

»Okay, okay, ich sag ja gar nix«, erwiderte Olli und machte sich voller Eifer daran, die gerade gelieferten Prospekte auf die Fächer der einzelnen Mitarbeiterinnen zu verteilen. »Fernreisen« kamen zu Doris Möller, »Europa« zu Sandra Koch und »Städtereisen« zu Leonie.

Kurz darauf betrachtete sich Leonie im Spiegel des kleinen Badezimmers, das zum Aufenthaltsraum gehörte. Ihre langen, kupferfarbenen Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten. Die rundlichen Wangen waren vom Fahrradfahren leicht gerötet und verliehen ihrem sonst eher blassen Teint einen rosigen Schimmer. Ihre babyblauen Augen strahlten ihr aus dem Spiegel entgegen. Alles in allem war Leonie mit ihrem Aussehen zufrieden, auch wenn sie nicht unbedingt zu einem In-Viertel wie Eppendorf passte, in dem ein gewisser Einheitschic vorherrschte. Dafür war sie ein wenig zu rundlich, zu gesund und nicht modisch genug. Ihr Ex-Freund Henning hatte immer behauptet, Leonie sehe aus wie ein appetitlicher Hefezopf, mit kleinen Streuseln obendrauf. Beim Gedanken an Henning und ihren Heimatort seufzte Leonie. Vielleicht sollte sie doch wieder aufs Land ziehen …

Die Chancen, in einer anonymen Großstadt wie Hamburg den Mann fürs Leben zu finden, tendierten gegen null. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein Kind oder gleich mehrere. Am besten die viel zitierte Fußballmannschaft. Aber selbst wenn sie morgen auf ihren Traummann treffen und sofort schwanger werden würde, so würde aus der Fußballmannschaft wohl nichts mehr werden, dazu war sie einfach schon zu alt.

 

»Die müssen doch irgendwo sein«, schimpfte Stella Alberti leise vor sich hin, während sie den Inhalt ihrer Handtasche auf dem Toilettendeckel auskippte. In ihrem Kopf pochte es, als hätte sich dort ein Presslufthammer eingenistet, entschlossen, ihr das Leben zur Hölle zu machen. »Ah, endlich!«, seufzte sie schließlich erleichtert und nahm gleich zwei Paracetamol auf einmal, wie so häufig in den vergangenen Wochen.

»Wo bleiben Sie denn?«, zerriss die schrille Stimme ihrer Auftraggeberin die Stille des Badezimmers. Stella warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, steckte eine widerspenstige blonde Haarsträhne fest und setzte ein professionelles Lächeln auf.

»Komme schon«, rief sie und betrat das Wohnzimmer ihrer Kundin. Ophelia Winter, eine schwerreiche Mittsechzigerin, war gerade dabei, die verschiedenfarbigen Stoffbahnen auf ihrem Sofa kritisch zu beäugen. Auf dem Sekretär lagen Tapetenmuster, auf dem Couchtisch ein Pantone-Farbfächer. Frau Winter wollte ihr Haus von Grund auf renovieren, und dazu benötigte sie professionelle Hilfe, und zwar die von Stella Alberti, einer der angesehensten Innenarchitektinnen Hamburgs.

»Da sind Sie ja endlich, meine Liebe«, trompetete Ophelia Winter in voller Lautstärke durch den Raum, während Stella leichte Übelkeit in sich aufsteigen fühlte. Offensichtlich waren zwei Tabletten auf leeren Magen doch ein bisschen zu viel des Guten.

»Na, dann wollen wir mal«, sagte sie betont munter und fest entschlossen, die Signale ihres Körpers zu ignorieren. »Aber bevor wir uns die Stoffe ansehen, sollten Sie mir noch einmal ganz genau sagen, welchen Stil Sie sich wünschen. Wollen Sie lieber französisches Landhaus oder Friesenlook?«

Stellas Augen glitten über den geschmacklosen Stil-Wirrwarr, der in so vielen Häusern ihrer Kunden vorherrschte, ehe sie das Regiment übernahm und Struktur in die Dinge brachte.

Seit einiger Zeit empfand sie ihre Termine allerdings nicht mehr als Herausforderung. Sie hatte alle Sätze zum Thema Einrichtung schon Hunderte von Malen gehört – und, was noch schlimmer war, schon Hunderte von Malen selbst gesagt. Teilnahmslos ließ sie Ophelia Winters Redeschwall über sich ergehen. Vor ihren Augen verzerrte sich das fleischige Gesicht ihrer Auftraggeberin zu einer hässlichen Fratze. Irritiert ließ Stella ihre Hand über die Gobelinstoffe auf dem Sofa gleiten und versuchte sich zusammenzureißen.

»Also gut, ich fasse zusammen: Sie wünschen sich einen Mix aus strengem Design und verspielten Elementen. Die dominierende Farbe sollte Blau sein. Da das Blau der Provence sich hervorragend mit friesischem Flair kombinieren lässt, werden wir das sicherlich wunderschön gestalten können. Dazu einige antike Stücke und aus Ihrem Wohnzimmer wird im Handumdrehen ein eleganter Salon.« Zufrieden registrierte Stella den verzückten Gesichtsausdruck ihrer Kundin.

»Ich lege alles in Ihre erfahrenen Hände, meine Liebe«, sagte diese zum Abschied und brachte sie zur Tür.

Einige Minuten später lenkte Stella ihren Wagen von der Straße und parkte im Halteverbot. Ihr Herz raste, und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie dachte an ihre Mutter, die sie seit Wochen ermahnte, endlich einmal zum Arzt zu gehen.

»Ruhig bleiben«, sagte sie sich und dachte an die Worte ihrer Yogalehrerin. »Bis fünf zählen, dabei tief einatmen und auf fünf durch den Mund wieder ausatmen.«

Beschämt erinnerte sich Stella an ihre erste (und letzte) Yogastunde. Der Homepage der Schule hatte sie entnommen, dass der Kurs fünfundvierzig Minuten dauern sollte. Mehr Zeit konnte und wollte sie keinesfalls investieren. Als sich im Verlauf der Stunde jedoch herausstellte, dass Stella sich geirrt und das Ganze auf neunzig Minuten angelegt war, hatte sie nach einer halben Stunde fluchtartig den Raum verlassen. Wer in Gottes Namen konnte so viel Zeit erübrigen, um sich zu entspannen? Prompt hatte die Yogatrainerin sie am folgenden Tag angerufen, um sich nach dem Grund für ihren verfrühten Aufbruch zu erkundigen.

»Sie müssen dringend etwas für sich tun«, hatte sie sie ermahnt, und Stella war kurz davor, ihr die Telefonnummer ihrer Mutter zu geben. Die beiden hätten sich bestimmt bestens verstanden.

Allmählich bekam sie ihren Herzschlag wieder in den Griff. Wie gut, dass dieser kurze Exkurs in die Welt der fernöstlichen Entspannung ihr wenigstens eine wirkungsvolle Atemtechnik beschert hatte. Der Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie zu spät kommen würde, wenn sie sich nicht augenblicklich auf den Weg machte. Nach dem nächsten Kundentermin stand der monatliche Besuch bei der Kosmetikerin auf dem Plan und im Anschluss ein Abendessen mit Julian, ihrem derzeitigen Liebhaber.

Ihrem verheirateten Liebhaber, seufzte Stella. Seit einem Jahr traf sie sich nun schon mit Julian, und seit genau dieser Zeit wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass er sich endlich von seiner Frau trennen und sich offiziell zu ihr bekennen würde. Stella war es leid, immer die gutgelaunte und pflegeleichte Geliebte zu spielen. Sie hatte nicht mehr genug Energie für diese Rolle. Als erfolgreiche Karrierefrau investierte sie viel Zeit und Mühe in ihre Selbständigkeit. Alles, was sie momentan wollte, war eine Schulter zum Anlehnen und die Gewissheit, sich nicht immer und überall anstrengen und beweisen zu müssen. Ob sie sich von Julian trennen sollte? Diese Frage stellte sie sich in regelmäßigen Abständen, doch bei dem bloßen Gedanken daran, nicht mehr in seinen Armen liegen zu können, wurde Stella jedes Mal derart traurig, dass sie beschloss, durchzuhalten.

Irgendwann würde er schon erkennen, dass er sie, und nicht seine Frau, liebte. Und wenn er Laura erst verlassen hatte, würde sie selbst kürzertreten können. In jeder Hinsicht. Dann würde sie endlich mal wieder Urlaub machen, und zwar mit ihm zusammen! In Gedanken versunken, lenkte Stella den Wagen wieder auf die Straße. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Ampel vor ihr bereits auf Rot umgesprungen war.

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Kapitel 2

Bin wieder da«, begrüßte Nina ihre leere Wohnung, als sie abends nach Hause kam und die Fenster öffnete, um die würzige Septemberluft hereinzulassen. Die Temperaturen waren angenehm mild, und sie entschied sich, noch joggen zu gehen. Ein wenig Bewegung würde ihr guttun, nach dem vielen Stehen im Laden. Sie stellte sich vor ihren Kleiderschrank und suchte nach etwas Brauchbarem, in dem sie am Kaiser-Friedrich-Ufer entlanglaufen konnte. Nina war eine äußerst attraktive Frau, aber gänzlich uneitel. Sie versteckte ihre Weiblichkeit gerne hinter schlabberiger Kleidung und trug meistens Schnürschuhe und Gummistiefel. High Heels und ähnliche Folterinstrumente waren ihr ein absoluter Greuel. Ihre glänzenden, dunklen Haare hatte sie die meiste Zeit zu einem Pferdeschwanz gebunden, und sie benutzte so gut wie nie Make-up. Annette beneidete sie um ihre schräg stehenden, grünen Augen und nannte sie gelegentlich »Catwoman«.

Nachdem Nina sich umgezogen hatte, trabte sie Richtung Isebekkanal. Viele Bewohner des idyllischen Viertels Eimsbüttel saßen auf ihren Balkonen, in kleinen Gärtchen oder auf Stühlen, die sie einfach auf die Straße gestellt hatten. Wie so oft spürte Nina bei diesem Anblick einen Anflug von Neid. Sie hätte alles darum gegeben, etwas Grün um sich herum zu haben, am liebsten einen Garten. Für ihren Geschmack wohnte sie schon viel zu lange in dem weitgehend charmefreien Rotklinkerbau, in den sie damals mit Gerald eingezogen war. Wie gern hätte sie diesen Ort der Enttäuschung endlich hinter sich gelassen. Aber bislang waren alle Versuche umzuziehen an den hohen Mietpreisen oder einem fehlenden Garten gescheitert. Und so war es seit neuestem ihre Lieblingsbeschäftigung, Woche für Woche die Immobilienangebote zu prüfen und allen möglichen Leuten von ihren Umzugsplänen zu erzählen. Darüber hinaus hing am Tresen des Blumenmeers ein Zettel, mit der Aussicht auf eine Belohnung im Falle einer erfolgreichen Vermittlung.

Während sie gemächlich vor sich hin trabte und Nordic Walkern und Hunden auswich, träumte Nina davon, in feuchter Erde herumzuwühlen, Beete anzulegen und Johannisbeeren zu ernten. Eines Tages, da war sie sich ganz sicher, würde ihr Traum in Erfüllung gehen. Sie musste nur fest genug daran glauben!

An der Hoheluftchaussee angekommen, passierte sie Bodo, den obdachlosen Dichter, der wie jeden Abend auf der Brücke stand, selbstverfasste Gedichte rezitierte und Abschriften verkaufte.

»Na, Bodo, laufen die Geschäfte gut?«, erkundigte sich Nina freundlich und verlangsamte ihren Schritt.

»Ja, meine Liebe«, lautete die fröhliche Antwort, begleitet von einem zufriedenen Lächeln. Nina bewunderte diesen alten, genügsamen Mann, dessen einzige Besitztümer ein Fahrrad, ein zerschlissenes Zelt und sein treuer alter Schäferhund Max waren.

»Das freut mich!«, sagte sie und setzte sich wieder in Bewegung, nachdem sie Max noch kurz gestreichelt hatte. Endlich konnte sie die befahrene Brücke hinter sich lassen und am anderen, weitaus ruhigeren Isebekufer zurücklaufen.

Zu Hause angekommen, stellte sie sich unter die Dusche und ließ heißes Wasser an sich herunterlaufen. In letzter Zeit betrachtete sie ihren Körper voller Argwohn. Mit ihren einundvierzig Jahren empfand sie sich zwar nicht als »alt«, aber es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man ab jetzt auf die fünfzig zuging. Auch ihrer Haut merkte man die Jahre allmählich an. Beinahe widerwillig griff Nina nach einer straffenden Körperlotion und verteilte die duftende Creme aus Ceramiden und Meeresalgen-Extrakten auf ihrem Körper. Laut Packungsbeilage hätte sie ihre Durchblutung vorher mit einer Bürstenmassage anregen müssen. Doch dazu hatte sie weder Lust noch Zeit. Das würde sie nur tun, wenn ihr danach zumute war, und nicht dann, wenn irgendein Kosmetikkonzern es ihr einreden wollte.

»Muss ich mich schämen, weil ich einundvierzig bin?«, fragte sie ihr Spiegelbild und wischte das Kondenswasser weg, um ihr Gesicht eingehend zu betrachten, auf dem sich ebenfalls bereits kleine »Verschleißerscheinungen« zeigten: zarte Fältchen um Augen und Oberlippe sowie erste Anzeichen eines erschlaffenden Kinns. Während Nina eine Augencreme auftrug, klingelte das Telefon. Eigentlich hatte sie keine Lust auf einen abendlichen Plausch. Widerstrebend ging sie an den Apparat. Vielleicht war es Annette, die einen Extrawunsch für den morgigen Einkauf auf dem Blumengroßmarkt hatte.

»Hallo?«, sagte sie mürrisch. Am anderen Ende der Leitung war es still. Das konnte auf keinen Fall Annette sein, die hätte sofort losgeredet.

»Nina?«, fragte eine männliche Stimme, und ihr Herz begann zu klopfen. Diese Stimme hatte sie seit einem Jahr nicht mehr gehört und eigentlich gehofft, den Rest ihres Lebens von ihr verschont zu bleiben.

»Hallo, Gerald«, antwortete sie barsch und zog den Bademantel enger um ihre schmale Taille. Ihr war schlagartig kalt geworden.

»Ich weiß, dass wir eigentlich Kontaktsperre vereinbart hatten«, sagte er zögernd, »aber jetzt, wo ich wieder in Hamburg bin, fand ich es einfach merkwürdig, mich nicht zu melden.«

Gerald war also wieder in Hamburg. Ninas Kehle schnürte sich zusammen. Das war der Mann, der ihr Herz in tausend Stücke zerrissen hatte! Selbst nach dieser langen Zeit löste seine Stimme schlagartig Beklemmungen in ihr aus.

»Nina? Nina, bist du noch da?«, fragte Gerald, und sie erwog kurz, einfach aufzulegen und so zu tun, als hätte sie seinen Anruf nie erhalten. Doch damit würde sie Gerald viel zu viel Macht zugestehen, und dazu war sie keinesfalls bereit. Damit war nun ein für alle Mal Schluss!

»Ich bin noch da«, erwiderte sie und ärgerte sich über das leichte Zittern in ihrer Stimme. Hoffentlich hatte Gerald nichts bemerkt, es würde ihn nur ermutigen. »Was gibt’s? Weshalb rufst du an?«

»Ich möchte dich sehen«, sagte er, und Nina ließ den Hörer sinken.

 

Zitternd stieg Stella aus dem Wagen und eilte zu dem kleinen Mädchen, das vom Fahrrad gefallen war.

»Sind Sie wahnsinnig«, schrie die Mutter, und Stella dachte, vielleicht noch nicht im Moment, aber ich bin auf dem besten Weg dahin.

»Es tut mir so leid«, stammelte sie und merkte selbst, wie schwach ihre Worte klangen. Beinahe hätte sie ein kleines Kind überfahren! Und das alles nur, weil sie mit ihren Gedanken mal wieder woanders gewesen war.

»Anzeigen sollte man Sie«, kreischte die Frau und zerrte ihre Tochter samt Fahrrad auf den Bürgersteig.

»Sie haben recht«, entgegnete Stella. Was hätte sie auch sonst sagen sollen? Dann strömten ihr Tränen über die Wangen. Hinter ihr hupten ungeduldige Autofahrer, und Stella wäre am liebsten im Erdboden versunken. Schnell steckte sie der Mutter ihre Visitenkarte zu. »Melden Sie sich bitte bei mir«, rief sie und stieg in den Wagen. Im Rückspiegel sah Stella, wie die Frau den Kopf schüttelte, und um nicht vollends in Panik zu geraten, beschloss sie, den Unfall erst mal zu verdrängen. Sie musste zu ihrem Kundentermin, zur Kosmetik und danach kam Julian. Sie würden zusammen essen gehen, ein Glas Wein trinken, und anschließend konnte sie in Ruhe darüber nachdenken, was in ihrem Leben schieflief.

Pünktlich um neunzehn Uhr war sie geduscht, umgezogen und bereit für einen romantischen Abend mit Julian. Das glatte, halblange Haar hatte sie zu einem lässigen Knoten geschlungen, aus dem sich einige Strähnen lösten und ihre Ohren umspielten. Ihre langen Beine steckten in halterlosen Netzstrümpfen und sexy Schaftstiefeln; ein cremefarbenes Seidenkleid umspielte ihren zartgliedrigen Körper, und kleine Brillantohrringe schimmerten mit den Goldsprengseln ihrer Bodylotion um die Wette. Sie sah umwerfend aus und hoffte, dass ihr Anblick seine Wirkung auf Julian nicht verfehlen würde.

Der Champagner war im Kühlschrank, das Wohnzimmer von Kerzenschein erleuchtet, und Norah Jones’ sonore Stimme füllte den Raum. Wenn Julian in weniger als zehn Minuten endlich vor ihrer Haustür stand, würde sie ihm als Erstes einen Aperitif anbieten. Für acht Uhr hatte sie einen Tisch im Manila reserviert, einem trendigen Restaurant am Neuen Pferdemarkt. Doch im Gegensatz zu sonst konnte sich Stella nicht allzu sehr auf den bevorstehenden Abend freuen, in Gedanken war sie immer noch bei ihrem Beinahe-Unfall von heute Morgen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie nur ein wenig schneller gefahren wäre …

Es läutete an der Tür, und Stella setzte ihr verführerischstes Lächeln auf. Schließlich kannte Julian sie als ausgeglichene, selbstbewusste Frau, und das sollte auch so bleiben.

»Hallo, meine Schöne«, sagte Julian und zog Stella in seine Arme. Wie gut er duftete, und wie attraktiv er war! Er war groß und gut gebaut, doch nicht zu stark trainiert, genau so, wie Stella es mochte. Seine silbergrauen Haare wellten sich leicht über den Ohren und verliehen seinem Gesicht etwas Künstlerisches. Auch heute konnte sie sich kaum an seinen blassgrünen Augen sattsehen, und Stella fragte sich zum wiederholten Male, weshalb ausgerechnet sie das Glück hatte, einem so wundervollen Mann begegnet zu sein.

»Hallo«, hauchte sie und strahlte. »Schön, dich zu sehen. Wie wär’s, möchtest du ein Glas Champagner, bevor wir aufbrechen?« Mit geübtem Griff entkorkte sie die sündhaft teure Flasche und war wieder einmal stolz, sich einen so aufwendigen Lebensstil leisten zu können. Sie wohnte – mehr als komfortabel – in einem Patrizierhaus am Innocentiapark, fuhr ein BMW Z3-Cabriolet, erwarb ihre Kleidung in den edelsten Boutiquen der Stadt und ging beinahe jeden Abend essen, weil sie kaum kochen konnte. Ihre seltenen freien Tage verbrachte sie mit kostspieligen Wellness-Aufenthalten, auf Städtetrips oder in Feriendomizilen wohlhabender Bekannter und Kunden. Mit ihren neununddreißig Jahren hatte sie das geschafft, wovon viele Frauen nur träumten: Sie war schön, beruflich ausgesprochen erfolgreich und finanziell unabhängig. Allerdings machte ihr die Aussicht auf ihren vierzigsten Geburtstag ein wenig zu schaffen.

»Wie geht es dir, du siehst heute etwas blass aus«, sagte Julian und führte Stella behutsam zum Sofa. Sie unterdrückte den Impuls, ihm von ihrem alptraumhaften Nachmittag zu berichten, denn sie wusste, dass der Abend sonst gelaufen wäre. Als Anwalt würde Julian sofort einen Schlachtplan entwickeln, mit dem Stella auf eine eventuell drohende Anzeige reagieren konnte.

Sie hatte jedoch etwas ganz anderes im Sinn. Heute war der Abend, an dem sie Julian bitten wollte, ihren vierzigsten Geburtstag mit ihr zusammen zu verbringen.

»Mach dir keine Gedanken, es ist alles in bester Ordnung«, antwortete sie und setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf. »Wahrscheinlich ist es nur dieses neue Make-up, ich sollte es umtauschen.«

Damit würde sich Julian zufriedengeben, er schätzte nämlich ihre unkomplizierte Art. Sie machte keine Szenen und war verfügbar, wenn er sie brauchte. Kurzum, sie war das totale Gegenteil von seiner Frau Laura, die von Ehrgeiz zerfressen rund um die Welt jettete, um kapriziöse Models ins rechte Licht zu setzen.

Stella wollte den Augenblick nicht länger aufschieben und sofort aufs Ganze gehen. »Wie würdest du es finden, wenn wir meinen Geburtstag zusammen feiern und irgendwohin fahren?«, fragte sie und merkte, wie sich Julian augenblicklich versteifte.

»Woran hast du denn so gedacht?«, entgegnete er und fuhr sich nervös durch sein graumeliertes Haar. Mit einem Mal hatte Stella keine Lust mehr, das anschmiegsame Schmusekätzchen zu spielen, das keine Wünsche und Bedürfnisse hatte, und sie sprach mutig weiter.

»Ich dachte an ein verlängertes Wochenende in Paris. Wir könnten Freitagnachmittag fliegen und uns eine Suite im Plaza Athenée nehmen. Wir könnten bummeln, ins Museum gehen, an der Seine spazieren und im Café de Flore Kuchen essen. Wenn du Lust hast, besorge ich Karten für die Oper.«

Julian nestelte an seiner Krawatte.

»Ich werde darüber nachdenken«, versprach er und sah ostentativ auf die Uhr. »Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen, wenn wir den Tisch im Manila behalten wollen.« Stella erhob sich und stellte den Champagner in den Kühlschrank. Als die beiden aus der Wohnungstür traten und zum Wagen gingen, wusste sie bereits, dass sie einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte.

 

Geschafft, dachte Leonie, als sie ihre Schuhe gegen ein Paar dicker Wollsocken eintauschte. Ein weiterer unerfreulicher Tag bei Traumreisen war zu Ende gegangen, und jetzt wollte sie nichts weiter, als es sich endlich gemütlich zu machen. Es war kurz nach sieben, ihr blieb noch genau eine Stunde Zeit, um sich etwas zu essen zu machen und danach den Spielfilm im Ersten anzusehen. Olli hatte ihr vorgeschlagen, mit ihm und seinen Freunden auszugehen, doch wie so häufig war Leonie nicht in der Stimmung, sich mit einem Haufen Zwanzigjähriger in der Bar Rosso herumzutreiben. Sie fand Ollis Wohngebiet, das Schanzenviertel, zwar ganz interessant, aber irgendwie fühlte sie sich unter den vielen hippen jungen Menschen noch mehr wie ein Landei. Wenn ein flachbrüstiges, magersüchtiges Etwas mit blassem Teint, Zungenpiercing und blutroten Schmolllippen ein Kopftuch trug, sah sie aus wie eine verwegene Piratenbraut. Wenn Leonie den Versuch unternahm, »trendig« auszusehen, glich sie eher einer verkleideten Landpomeranze.

Seufzend setzte sie Nudelwasser auf und starrte auf die tristen Küchenwände.

»Ich sollte wirklich umziehen«, murmelte sie und schälte eine Handvoll Tomaten für ihre Pastasauce. Bei dem Gedanken, eines Tages womöglich unbemerkt in dieser Wohnung sterben zu müssen, schossen ihr Tränen in die Augen. Wenn sie wenigstens eine Katze hätte, die ihr abends Gesellschaft leisten könnte, die schnurrend auf ihren Füßen lag, während sie sich einen Film ansah oder ein Buch las. So wie Minou, die Katze daheim bei ihren Eltern. Morgen kaufe ich das Abendblatt und sehe mich nach einer anderen Wohnung um, beschloss sie, während sie ein großes Bündel Basilikum wusch und zusammen mit Thymian, Oregano und Rosmarin klein hackte. Der Kräutergarten auf der Fensterbank war Leonies ganzer Stolz. Sie legte viel Wert auf gesundes Essen und kochte für ihr Leben gern, am liebsten für viele Gäste. Und noch lieber hätte sie für eine Familie gekocht, aber so wie es aussah, würde sich dieser Wunsch nie erfüllen. Leonie versuchte sich damit zu beruhigen, dass sie schließlich erst sechsunddreißig war und nicht sechsundvierzig. Dann hätte ihr Leben natürlich ganz anders ausgesehen, momentan jedoch hatte sie noch ziemlich viele Chancen. Sie versuchte den kleinen Teufel zu ignorieren, der auf ihrer Schulter saß und ihr hämische Fragen ins Ohr flüsterte. Zum Beispiel, wie sie gedachte, einen Mann kennenzulernen, wenn sie Abend für Abend zu Hause herumsaß. Oder an den Wochenenden zu ihren Eltern ins Alte Land fuhr.

»Selbst schuld!«, schalt sie sich und dachte an Henning, den Mann, mit dem sie seit Kindertagen liiert gewesen war. Immerhin hatte der ihr einen Heiratsantrag gemacht und genau wie sie von vielen Kindern geträumt. Irgendwann allerdings war Leonie die Routine in ihrer Beziehung auf die Nerven gegangen. Es war alles so vorhersehbar gewesen, so überschaubar und langweilig.

Leonie war keine große Abenteurerin, aber sie hatte es gerne romantisch. Sie liebte es, sich in kitschig-schöne Romanwelten zu versenken, deren Heldinnen sich dem Schicksal mutig entgegenstellten und bereit waren, für ihre Liebe zu kämpfen. Sie selbst war meilenweit davon entfernt, es ihnen gleichzutun, was sich auch in ihrem Job bemerkbar machte. Lieber ließ sie sich von den Urlaubserlebnissen ihrer Kunden berichten, als selbst einen Flieger zu besteigen. Doch ihre Vorgesetzte, Doris Möller, erwartete ein gewisses Maß an Reiseerfahrung, das Leonie einfach nicht vorzuweisen hatte. Die Nordfriesischen Inseln, ein Wochenende in Salzburg und gelegentliche Badeurlaube auf den Balearen waren alles, was sie bislang von der Welt gesehen hatte. Aus diesem Grunde hatte ihre Chefin den Bereich »Europa und Fernreisen« an Sandra Koch übergeben und Leonie zu den Städtereisen degradiert. Seit jenem Tag litt sie unter der Situation, denn nun blieben fast nur noch unangenehme Aufgaben an ihr hängen. Dazu gehörten der Telefondienst, der Bundesbahnservice und die Ausgabe von Prospekten. Mittlerweile fühlte sich Leonie restlos unterfordert. Gleichzeitig hatte sie eine beinahe panische Angst vor der launischen, unberechenbaren Doris Möller. Die Situation wurde immer angespannter.

Nachdem Leonie eines Tages, mehr aus Langeweile als aus echtem Interesse, den Eingangsbereich so umstrukturiert hatte, dass sich die Wartezeit der Kunden verringerte, stand sie bei ihrer Vorgesetzten erst recht auf der schwarzen Liste. Die konnte es nämlich nur schwer ertragen, wenn jemand etwas besser machte als sie selbst. Doris Möller grüßte Leonie seitdem nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ, übergab ihr immer öfter geistlose Hilfsjobs und ließ sie ansonsten spüren, dass sie alles andere als begeistert von ihr war.

Leonie war ratlos. Sie hatte bislang noch nie mit jemandem ernsthafte Differenzen gehabt, dazu war sie viel zu gutmütig und konfliktscheu. Deshalb wagte sie es nicht, ihre Vorgesetzte um ein Gespräch zu bitten. Beinahe täglich dachte sie daran, zu kündigen, aber die Situation der Reisebüros war mit Zunahme der Buchungen über das Internet alles andere als rosig, und jeder, der eine feste Stelle hatte, war froh, sie zu behalten. Mit sechsunddreißig Jahren befand sich Leonie in einer Sackgasse, und zwar sowohl beruflich als auch privat, das wurde ihr mit jedem Tag klarer.

»Jetzt nur keine trüben Gedanken mehr zulassen«, sprach sie sich selbst Mut zu und entschied, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten vor dem Fernseher zu essen. Nach einem Tag wie heute brauchte sie einfach ein bisschen Berieselung.

Wenig später war Leonie in einen romantischen Liebesfilm versunken, und ganze neunzig Minuten lang war ihre Welt in Ordnung. Warum konnte es im wahren Leben nicht auch ein bisschen so sein wie im Film? Mit garantiertem Happy End?

Nach einem kurzen Aufenthalt im Bad schlüpfte sie in ihren kuscheligen Flanellpyjama mit den roten Herzen, krabbelte unter die schwere Daunendecke und legte sich ihren Schlafbären unter den Kopf. Der Zahn der Zeit hatte bereits kräftig an dem Teddy genagt, und er war platt wie eine Flunder. Doch für Leonie gab es nichts Tröstlicheres, als sein kuscheliges Fell auf ihren Wangen zu fühlen.

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Kapitel 3

Als Nina am Samstagnachmittag das Blumenmeer verließ, entschied sie sich, einen Abstecher zu ihrem portugiesischen Lieblingscafé zu unternehmen, um dort einen starken Galão zu trinken und einen Blick in das Hamburger Abendblatt zu werfen.

»Hallo, ihr beiden«, begrüßte sie die Besitzer des kleinen Cafés, in dem es neben einem hervorragenden Kaffee die besten Vanilletörtchen außerhalb Lissabons gab. Fernando saß wie immer mit dem Rücken zum Eingang und starrte auf den Fernseher, der auf dem Kühlschrank stand, aus dem man sich Softdrinks oder Bier nehmen konnte. Maria hantierte hinter dem Tresen und toastete ein Brötchen. Außer Nina und einem älteren Herrn war niemand im Café.

»Einen großen Galão, wie immer?«, fragte Maria und zwinkerte ihr zu. Sie wusste, dass Nina wegen der frühmorgendlichen Termine auf dem Blumenmarkt spätestens am Samstag fix und fertig war und eine kräftige Dosis Koffein vertragen konnte. Die vergangene Nacht hatte Nina kaum ein Auge zugetan. Geralds Anruf war ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Unkonzentriert blätterte sie im Abendblatt und überflog den Immobilienteil. Ihr Blick blieb an einer großen, liebevoll gestalteten Anzeige hängen.

 

Villa zum Verlieben

Drei preisgünstige Zweizimmerwohnungen in charmanter Stadtvilla von privat zu vermieten.

Wenn Sie einen grünen Daumen haben, Katzen mögen und leichte Renovierungsarbeiten übernehmen können, kommen Sie zur Besichtigung.

Samstag von 17 bis 20 Uhr

Pappelstieg 35, Hamburg-Eimsbüttel.

 

Ninas Herz klopfte, als sie die Worte »grüner Daumen« las. Das konnte nur bedeuten, dass diese Villa einen Garten hatte! Gegen Katzen hatte sie prinzipiell auch nichts einzuwenden, nur die »leichten Renovierungsarbeiten« machten sie etwas misstrauisch.

Pappelstieg, dachte sie träumerisch und hatte sofort die Straße mit dem holprigen Kopfsteinpflaster, den hohen Bäumen und den charmanten kleinen Geschäften und Cafés vor Augen. Und sie konnte sogar in ihrem Lieblingsviertel bleiben! Dann blieb nur zu hoffen, dass sich die Villa nicht in einem allzu maroden Zustand befand. Vielleicht war das ihre lang ersehnte Chance, den Geistern der Vergangenheit zu entfliehen und endlich ein neues Leben zu beginnen!

Plötzlich hatte es Nina ziemlich eilig, ihren Galão auszutrinken, und sie verzichtete sogar auf das Vanilletörtchen, so sehr drängte es sie, das Haus in Augenschein zu nehmen. Es war fast siebzehn Uhr, in wenigen Minuten würde die Besichtigung beginnen.

 

Ein attraktiver Mann namens Robert Behrendsen und ein flachsblonder Junge nahmen Nina in der Auffahrt in Empfang und drückten ihr ein Exposé in die Hand.

»Schauen Sie sich in Ruhe um. Sollten Sie das Haus mögen, erkläre ich Ihnen nachher, wie ich mir das mit der Renovierung vorgestellt habe«, sagte Herr Behrendsen und wandte sich einem der anderen Interessenten zu. Wie Nina befürchtet hatte, waren eine Menge Leute zur Besichtigung erschienen, Eimsbüttel war eben ein beliebter Stadtteil und das Haus ein wahres Kleinod.

Das Anwesen war ziemlich groß, und mit seinen vielen Erkern, Türmchen und Giebelfenstern wirkte es ein bisschen wie Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Die schwere Eingangstür war mit wunderschönen Jugendstilelementen versehen, und den Treppenaufgang säumte ein schnörkeliges, schmiedeeisernes Geländer. Die teils rissigen Stufen taten dem Ganzen keinen Abbruch, im Gegenteil. Schon von außen verbreitete die Villa einen ganz eigenen Zauber, man fühlte sich wie in einer anderen Welt. Und war doch mitten in Hamburg! Nina konnte es kaum fassen – sie liebte dieses Haus, das wusste sie schon jetzt!

Die Fassade war an einigen Stellen abgeblättert, dafür rankten sich Efeu, eine hellgrüne Kletterhortensie und Wilder Wein die Wände entlang. Zu ihrer großen Freude entdeckte Nina an der Seitenfassade intensiv leuchtenden Blauregen – eine ihrer absoluten Lieblingspflanzen.

Beglückt folgte sie einer großen, schlanken Blondine, die sich fortwährend Notizen in ein teuer aussehendes Filofax machte und ihr auf Anhieb unsympathisch war. Nina hatte eine ausgeprägte Abneigung gegenüber diesem Typ Frau, den sie insgeheim »Perlen-Paula« nannte. Perlen-Paulas waren Frauen, die alle in demselben leger-luxuriösen Einheitslook herumliefen (Gucci-Sonnenbrille, Pferdeschwanz, flache Tods und die obligatorische Perlenkette) und in den einschlägigen Hamburger Nobelvierteln wohnten, in denen man eben residierte, wenn man über das nötige Kleingeld verfügte.

»Na, wo sind wir denn her? Aus Eppendorf?«, frotzelte Nina vor sich hin und hoffte inständig, dass diese Frau kein Interesse daran haben würde, hier einzuziehen. Man konnte sich schließlich nicht ständig aus dem Weg gehen.

Doch bald schon hatte Nina die blonde Frau vergessen und ließ sich erneut vom Charme der Villa gefangen nehmen. Der Flur im Eingangsbereich war nicht besonders hell, aber dafür mit außergewöhnlich schönen Bodenfliesen belegt. Rechts befand sich eine alte, schwere Kommode aus Nussholz, auf der ein mehrarmiger, silberner Kerzenleuchter stand. Und daneben – Nina traute ihren Augen kaum – ein altes Telefon, wie sie es aus ihren Kindertagen kannte. Das ausladende Gehäuse war mit moosgrünem Samt bezogen, und im Geist konnte Nina bereits das schnarrende Geräusch der Wählscheibe hören.

An der Zimmerdecke entdeckte Nina ein paar feuchte Stellen, und der Raum roch etwas muffig. Das würde man wohl im Auge behalten müssen, denn jede Form von Schimmel oder Schwamm war natürlich vollkommen inakzeptabel. Versonnen blickte Nina sich um. Das Haus war wie ein altvertrauter Freund, dessen Schwächen man gut kannte und den man genau deshalb besonders ins Herz geschlossen hatte.

Vom Flur aus gingen links und rechts die beiden Erdgeschosswohnungen ab, und Nina konnte es kaum erwarten, einen Blick hineinzuwerfen. Die Wohnung im ersten Stock war über eine knarrende Wendeltreppe zu erreichen. Hier würde sie glücklich sein, das konnte Nina intuitiv spüren.

»Ist es nicht wunderschön hier?«, hörte sie die entrückte Stimme einer älteren Dame, und Nina konnte ihr nur zustimmen. Ihr persönlich gefiel natürlich die Wohnung mit dem Zugang zum Garten und dem wunderschönen alten Kachelofen am besten. Ob der funktionsfähig war, würde sich zwar erst noch herausstellen, aber selbst wenn nicht, war er immer noch ein echtes Schmuckstück. Während Nina zum zweiten Mal die Räume abschritt, knarrte es immer wieder verdächtig unter ihren Schuhen. Es schien, als wären die Bodendielen an einigen Stellen ein wenig lose. Ninas Phantasie schlug Purzelbäume: Vielleicht war da noch irgendwo ein Versteck aus alten Zeiten, und sie würde ein Bündel vergilbter Liebesbriefe unter den Dielen finden, oder alte Tagebücher.

Die Küchen der drei Wohnungen waren nach altem Standard ausgestattet, ebenso die Bäder. Charmante Details wie blau-weiße Delfter Kacheln, ein gusseiserner Herd und eine frei stehende Badewanne mit Dackelbeinen entschädigten schnell für das, was vielleicht sonst im Argen lag.

Nachdem Nina alles gründlich in Augenschein genommen hatte, war es endlich so weit: Jetzt würde sie sich den Garten ansehen!

»Oha!«, bemerkte ein junger Mann neben ihr, und Nina drehte sich zu ihm um. »Wo unter dem ganzen Gestrüpp ist denn der Garten?« Die Frage war durchaus berechtigt, momentan sah man nichts weiter als meterhohes, vergilbtes Gras und im Hintergrund ein paar vertrocknete Sträucher, Rhododendren und Hortensienbüsche, die mickerig vor sich hin wuchsen. Wenn es einen Zaun zum Nachbargrundstück gab, konnte man ihn jedenfalls nicht sehen, so verwildert war das Grundstück.

»Tja, hier müsste man eindeutig mit einer Sense ran«, antwortete Nina und lächelte. »Dann wird sich herausstellen, was sich unter dem ganzen Chaos verbirgt.«

»Vermutlich nicht besonders viel«, ertönte eine kühle weibliche Stimme, die zu der Notizen machenden Blondine gehörte, wie Nina irritiert feststellte. »Da kann man nur hoffen, dass sich unter den Mietanwärtern wirklich ein Gartenexperte befindet. Ich selbst hätte keine Lust, mich durch diese Wildnis zu schlagen.«

Klar, da würden dir ja auch deine langen Krallen abbrechen, hätte Nina am liebsten geantwortet, als ihr Blick auf die schmalen, beringten Finger der Blonden fielen, deren Nägel kunstvoll mit champagnerfarbenem Lack bemalt waren. Aber was kümmerte sie das schon? Sie war eine Gartenexpertin und genau die Richtige für die Erdgeschosswohnung! Entschlossen ging Nina zu Robert Behrendsen, um dort ihr Interesse anzumelden.

»Mich können Sie schon mal unter der Rubrik ›grüner Daumen‹ eintragen«, sagte sie selbstbewusst und überreichte ihm die Visitenkarte vom Blumenmeer. »Als Floristin und passionierte Gärtnerin kann ich aus dieser Strauchwüste im Handumdrehen etwas machen, das man im kommenden Frühjahr guten Gewissens einen Garten nennen kann.«

»Na, das klingt ja vielversprechend«, antwortete Robert Behrendsen und lächelte erfreut.

»Und ich kann mich als Innenarchitektin um die Sanierung und die Einrichtung des Hauses kümmern«, vernahm Nina zu ihrer Verärgerung die Stimme der aufgetakelten Blondine, die dem Vermieter ebenfalls eine Karte überreichte. »Stella Alberti«, konnte Nina entziffern. »Dann brauchen wir nur noch jemanden für Paul und Paula«, rief der etwa achtjährige Junge mit den strubbeligen, blonden Haaren und den frechen Sommersprossen. Er deutete auf zwei freundlich aussehende Katzen, die sich auf der Sitzbank im Flur aneinandergekuschelt hatten. »Die finden wir schon noch, Moritz«, entgegnete Robert Behrendsen und streichelte seinem Sohn über den Kopf. »Keine Sorge, den beiden wird es hier gutgehen, du wirst schon sehen.«

»Hoffentlich«, murrte Moritz, steckte seine Hände in die Hosentaschen und kickte einen Ball durch den Flur.

»Wer hat hier eigentlich vorher gewohnt, und weshalb stehen gleich alle drei Wohnungen leer?«, erkundigte sich Stella.

»Bis vor kurzem haben meine Mutter, ihre Schwester und deren Tochter hier gelebt. Die Villa ist seit Generationen in Familienbesitz. Amalie, die Schwester meiner Mutter, ist mittlerweile leider verstorben, und Greta, die sie gepflegt hat, ist nach Kiel zurückgegangen. Meine Mutter Rose wohnt nun im Wohnstift Augustinum. Und weil Paul und Paula zu betagt sind, um nach Husum umzuziehen, brauchen sie jemanden, der sich um sie kümmert.«

»Ich bin ein großer Katzenfan«, rief Leonie, die ihre Besichtigung gerade beendet hatte und von der zweiten Erdgeschosswohnung mit Wintergarten restlos begeistert war. Hier hätten ihre Kräuter ideale Wachstumsbedingungen, und das Katzenpaar hatte sie sowieso vom ersten Moment an ins Herz geschlossen. Die Stadtvilla war genau das idyllische Paradies, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte.

»Dann scheint es ja, als hätte ich mein Mieter-Kleeblatt zusammen«, schmunzelte Robert Behrendsen und steckte nun auch Leonies Visitenkarte zu seinen Unterlagen. »Dann werde ich Ihnen mal erzählen, wie ich mir das mit der Renovierung vorgestellt habe.« Nina, Leonie und Stella nickten gespannt. »Wie Sie sehen, sind die Wohnungen mit dreihundertfünfzig Euro pro Monat ausgesprochen günstig. Aber dafür ist hier ja auch noch einiges zu tun. Mit ein bisschen Tapezieren und Streichen ist es leider nicht getan. Der Flur ist wegen eines kleinen Wasserschadens etwas klamm, das lässt sich jedoch mit Hilfe eines Entfeuchters schnell in den Griff kriegen.«

»Und wie haben Sie sich das mit den Materialkosten vorgestellt?«, erkundigte sich Stella, die blitzschnell überschlagen hatte, was es sie kosten würde, Küche und Bad auf einen modernen Stand zu bringen.

»Die übernehme selbstverständlich ich«, entgegnete Robert Behrendsen, und die drei Frauen waren sichtlich erleichtert. »Bitte seien Sie allerdings so nett, mir einen Kostenvoranschlag zukommen zu lassen, damit wir uns abstimmen können. Ich fürchte nämlich, dass ich bei allzu exklusiven Einrichtungswünschen passen muss. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Bepflanzung des Gartens.«

»Natürlich, das versteht sich von selbst«, versicherte Nina schnell. Das alles klang ausgesprochen fair und umsetzbar. Robert Behrendsen lächelte.

»Haben Sie bitte auch Verständnis dafür, dass ich erst die Unterlagen der anderen Interessenten prüfen muss, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffe. Ach, und füllen Sie bitte die Formulare aus, die vorne auf der Kommode liegen. Gedulden Sie sich ein paar Tage. Ich melde mich dann bei Ihnen.«

»Und wie können wir Sie erreichen, falls wir noch Fragen haben?«, erkundigte sich Stella, die entschlossen war, die Wohnung im ersten Stock zu mieten. Diese Form von Tapetenwechsel war buchstäblich genau das, was sie jetzt brauchte. Hier würde sie zur Ruhe kommen und ihre Fähigkeiten zur Abwechslung mal für sich selbst nutzen können, anstatt es immer nur anderen Leuten schön zu machen. Außerdem hatte sie ihre durchgestylte Wohnung satt. Sie sehnte sich nach mehr Lebendigkeit.

»Sie wohnen in Husum?«, fragte sie überrascht, als Robert Behrendsen ihr seine Karte in die Hand drückte.

»Ja, genau. Haben Sie ein Problem damit?«, antwortete der Hausbesitzer und lächelte Stella herausfordernd an.

»Nein, nein, durchaus nicht. Ich hätte nur nicht vermutet, dass Sie in einem so entlegenen Winkel leben«, sagte Stella und bemerkte selbst, wie arrogant dieser Satz geklungen haben musste.

»Ich weiß ja nicht, ob Sie schon mal in Husum waren, Frau Alberti. Aber wir verfügen dort über nahezu dieselbe Infrastruktur wie Sie hier in Hamburg. Es gibt dort Häuser, Geschäfte, ein Rathaus und sogar Schulen, nicht wahr, Moritz?« Der kleine Junge rollte wortlos mit den Augen und wandte sich wieder den beiden Katzen zu, die immer noch gemütlich auf der Sitzbank lagen und wohlig schnurrten. Eins zu null für dich, Robert Behrendsen, dachte Nina und kicherte schadenfroh, als sie sah, wie Stella vor Verlegenheit rot wurde.

»Also, ich finde Husum wirklich schön«, sagte Leonie, die sehr daran interessiert war, einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Und zwar nicht nur wegen der Wohnung, sondern auch, weil sie den Vermieter äußerst attraktiv fand. Ob er verheiratet war? Jedenfalls trug er keinen Ehering. »Als Kind war ich häufig im Poppenspäler-Museum und im Storm-Haus. Und seitdem freue ich mich immer wieder, wenn ich mal Gelegenheit habe, in Husum zu sein«, fuhr Leonie tapfer fort, obwohl sie am Gesichtsausdruck der blonden Frau erkennen konnte, dass es ihr gar nicht recht war, unterbrochen zu werden. Doch Herr Behrendsen hatte sich bereits den anderen Interessenten zugewandt, die ihm nach und nach ihre Visitenkarten oder die bereits ausgefüllten Fragebögen in die Hand drückten.

Leonie kniete sich neben die beiden Katzen, die sich schnurrend von ihr streicheln ließen.

»Du bist sicher Paul«, sagte sie zu dem größeren, pechschwarzen Tier, auf dessen Hals sie ein kleines weißes Dreieck entdeckte. »Und du Paula«, murmelte Leonie zärtlich und strich der Katzendame über das getigerte Fell. »Wie hübsch ihr beide seid! Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen. Falls nicht, wünsche ich euch eine nette und liebevolle Katzenmutter und ein langes Leben in diesem zauberhaften Haus.«

Dann verabschiedete sie sich seufzend von der schönen Villa, lief über die breite Auffahrt und schwang sich auf ihr Fahrrad. Sie war verliebt: in das Haus, die Katzen und in den netten Mann mit dem kleinen Jungen. Wäre ihr Leben wie einer der Romane, die sie so gern las, wäre sie bald am Ziel ihrer Wünsche. Sie müsste nur noch die obligatorischen Verwicklungen und Missverständnisse überwinden, dann wäre ihr das Happy End sicher. Doch leider war Leonie keine Romanfigur, und somit stand durchaus zu befürchten, dass sie womöglich nicht einmal den Mietvertrag bekam.

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Kapitel 4

Samstagabend und keine Verabredung! Seufzend ließ sich Stella auf ihr cremefarbenes Sofa fallen und starrte an die Zimmerdecke. Was sich alles aus dieser alten Villa machen ließe, dachte sie und riss im Geist schon die Tapeten von den Wänden, ließ Kacheln erneuern und eine große, kupferfarbene Dunstabzugshaube über dem Herd anbringen. Das Angebot des Vermieters hatte fair geklungen, und Stella war absolut bereit, einen Zuschlag zu zahlen, wenn es erforderlich war. Was für eine wunderbare Gelegenheit, alles komplett nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Auch der verwilderte Garten würde sicher wunderschön werden, wenn sich jemand seiner annahm. Ob die zierliche Dunkelhaarige die Wohnung bekommen würde? Als Floristin und Gärtnerin hatte sie natürlich gute Chancen.

Eine Hausgemeinschaft mit netten, gleichaltrigen Frauen, das wäre schön, überlegte Stella, während sie nach ihrem Handy griff. Sie hatte es gar nicht eingeschaltet, seit sie zu Hause war. Beinahe ängstlich gab sie den PIN-Code ein und wartete auf das erlösende Geräusch, das den Eingang einer Kurzmitteilung anzeigte. Doch Julian hatte sich nicht gemeldet. Nicht mal heute früh, um ihr einen Guten-Morgen-Gruß zu schicken, wie er es sonst immer tat. Stellas Paris-Pläne hatten ihn wohl ziemlich erschreckt.

Obwohl es noch früh am Abend war, schenkte sie sich zum Trost ein Glas Champagner ein und trat auf den Balkon. Die Abendluft war angenehm mild, und Stella setzte sich auf einen ihrer teuren Teakstühle. Aber im Gegensatz zu sonst konnte sie sich heute nicht so recht an ihrem Luxus erfreuen. Sie fühlte sich einsam – das war auch der Grund, warum sie zu der Besichtigung gegangen war.

Am frühen Morgen war sie, wie jetzt häufiger in den letzten Wochen, mit Herzrasen erwacht. Um sich abzulenken, hatte sie im Abendblatt geblättert und war auf Robert Behrendsens Anzeige gestoßen.

Beim Anblick der schönen Villa hatte sie endgültig beschlossen, ein neues Leben zu beginnen, abseits ihrer luxuriösen und stressigen Existenz, zusammen mit anderen netten Menschen. Stella stellte es sich himmlisch vor, abends bei einem Glas Wein im Wintergarten zu sitzen. Das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein und sich zurückziehen zu können, wenn man es wollte. Vielleicht könnten sie auch zusammen kochen? Dafür würde sie sogar den Besuch eines Kochkurses in Erwägung ziehen.

 

Leonie rief an diesem Abend sofort bei ihren Eltern an. Sie konnte es kaum erwarten, von der charmanten Stadtvilla und dem Katzenpaar zu berichten.

»Aber das klingt ja himmlisch, Liebes. Ich drücke dir die Daumen, dass es klappt!«

Nach dem Telefonat machte sich Leonie an die Zubereitung des Abendessens. Summend schnitt sie eine Zwiebel in kleine Würfel und malte sich aus, wie gut ihr Kräutergarten in die schnuckelige Wohnung der Villa passen würde. Diese Floristin hatte sehr sympathisch ausgesehen, die würde ihr bestimmt ein paar Tipps geben. Außerdem würde es sicher Spaß machen, gemeinsam zu tapezieren, zu streichen, sich einen schönen Bodenbelag auszusuchen und sich alles in allem mal so richtig auszutoben. Leonie saß sowieso viel zu viel am Schreibtisch und konnte sich abends nicht mehr dazu aufraffen, Sport zu treiben.

Hoffentlich zieht diese arrogante Innenarchitektin nicht ein, dachte sie, während sie den Koriander für ihr indisches Putencurry klein hackte. Genau solche Frauen kamen tagtäglich in ihr Büro, um sich über teure Reisen zu informieren oder zu reklamieren, wenn nicht alles genau so gewesen war, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Mit Schaudern dachte Leonie an den kommenden Dienstag. Zum Glück hatte sie Montag frei, doch der Beginn der neuen Arbeitswoche rückte bedrohlich näher. Doris Möller war Samstagvormittag zwar nur kurz im Reisebüro gewesen, aber selbst die eine Stunde hatte ausgereicht, um Leonie komplett die Laune zu verderben. Wenn schon ihr Berufs- und Liebesleben so eine Pleite waren, könnte das Schicksal wenigstens jetzt ein Einsehen mit ihr haben und ihr den Mietvertrag für die Villa in die Hände spielen.