Elfentausch - Daniela Mattes - E-Book

Elfentausch E-Book

Daniela Mattes

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Beschreibung

Bei einem Ausflug auf den Spielplatz treffen die junge Elfe Tamara und die kleine Evelin aufeinander und haben gemeinsam eine verrückte Idee: Sie würden gerne die Rollen tauschen. Evelin möchte für ihr Leben gerne eine Elfe sein und Tamara lieber ein Mensch. Schnell sind sie sich einig, dass sie sofort zur Sumpfhexe hinter dem Donnerberg aufbrechen wollen, damit diese ihnen den Wunsch erfüllt. Auf der spannenden und gefährlichen, aber auch lehrreichen Reise treffen sie viele seltsame Zauberwesen, von denen Evelin noch nie zuvor gehört hat – Puschelwutze zum Beispiel und Wunschwürmer, aber auch Laber-Flügler, um nur einige zu nennen. Begleitet werden sie vom Himbeerwichtel Börti und dem Brech-Vogel Rüdiger (dem beim Fliegen in Überschallgeschwindigkeit immer schlecht wird), die sie tapfer bis zur Sumpfhexe und ihrem Schrumpfdrachen bringen. Aber die Hexe will ihnen ihren Wunsch erst erfüllen, wenn sie zuvor noch zwei schwierige Aufgaben lösen … Wird es ihnen am Ende gelingen, die Rollen zu tauschen? Ein freches, fantasievolles Leseabenteuer für große und kleine Menschen (und natürlich Elfen).

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Daniela Mattes

Elfentausch

Text: © Copyright by Daniela Mattes, www.daniela-mattes.de

Umschlag:© 2022 Claudius Saier, Design-Palast

Verlag: epubli

Langeweile

Tamara, Trixi und Tina langweilten sich. Ziellos flogen die drei kleinen Elfen durch ihr Wohngebiet und an den Zwergen vorbei durch den großen Herzoginnenwald bis hin zum Spiel- und Grillplatz, wo sie immer die Menschen beobachten konnten. Diese gingen gerne in den Wald, aber hielten sich meist nur an dessen Rand auf.

Es machte ihnen keinen Spaß, sich durch das schier undurchdringliche Dickicht zu kämpfen. Sie wanderten lieber auf dem schön angelegten Wanderweg und atmeten die herrliche Waldluft oder sie grillten mit ihren Familien auf einem der Spiel- und Grillplätze, die es zu beiden Seiten dieses Weges gab.

Deshalb hatten die Menschen auch nie zuvor die Elfen und Zwerge entdecken können, die tief im Unterholz wohnten. Und sogar wenn einige Leute sich durch das Unterholz gekämpft hätten – nur ganz, ganz wenige Menschen waren überhaupt fähig, die Naturwesen wahrzunehmen. Diese wohnten nicht alle zusammen, sondern jede Gattung hübsch für sich getrennt.

Das kann man sich vorstellen wie Städte bei den Menschen. Die Elfen wohnten in Elfenhausen, die Zwerge in Zwergenheim, die Trolle in Trolllingen und die Wichtel in Wichtelhofen, die Kobolde in Koboldheim und die Gnome in Gnomfurt.

Elfenhausen besteht hauptsächlich aus Blumen, die wie kleine Hütten oder Zelte arrangiert sind. Sie sind hübsch verflochten und verwoben, ohne ausgerissen worden zu sein. Denn sonst würden die Häuser der Elfen ständig welken. Im Winter, wenn es kälter wird, müssen die Elfen sich mit Moos und Laub kuschelige Eckchen in den Bäumen und Sträuchern bauen.

Aber nicht etwa, weil sie frieren würden, (Elfen sind anders als Menschen. Sie spüren Wärme und Kälte nicht), sondern weil es im Winter ja keine Blumen gibt. Und deshalb bauen sie sich einen hübschen Zweitwohnsitz aus Moos und Laub und allem, was sie in dieser Jahreszeit finden können. Diesen Winterwohnsitz können sie jedes Jahr wieder beziehen und neu gestalten. Wenn im Sommer dann die Blumen wieder blühen, bauen sie sich wieder neue Sommerhäuser.

In Zwergenheim und Wichtelhofen sieht es ähnlich aus. Die Zwerge und Wichtel bauen gerne mit Holz und suchen sich ausgehöhlte Baumstämme oder basteln sich selbst kleine Hütten. So sind Zwergenheim und Wichtelhofen bautechnisch beinahe zusammengewachsen. Aber das stört die Bewohner nicht. Außerdem brauchen sie dann im Sommer und im Winter nicht neu an ihren Häusern zu bauen. Holz ist ja sehr beständig, und so haben die fleißigen Zwerge und Wichtel genug Zeit, sich im Wald nützlich zu machen.

Die Kobolde hingegen bauen mit allem, was sie finden. Sie haben Stein- und Holzhäuschen. Notfalls stehlen sie sich die Baustoffe gar zusammen. Obwohl sie gerissen und manchmal gemein sind, sind sie doch nicht wirklich bösartig, und die anderen drücken meist ein Auge zu, wenn wieder Baumaterial verschwunden ist.

Die Gnome haben nicht gerne mit den anderen Naturwesen zu tun. Sie leben in Grashügeln oder Höhlen oder ganz unterirdisch. Sie sind die Bergwerker, die nach Erdschätzen suchen und bei den anderen dann gegen Nahrung eintauschen. Sie sind auch hervorragende Handwerker. Gnome arbeiten gerne mit Kobolden zusammen.

Die Naturwesen haben keine richtige Arbeit und deshalb viel Freizeit und Gelegenheit, sich einfach herumzutreiben. Die drei Elfen, die gerade auf dem Weg zum Grillplatz »Hasenblick« waren, steckten schon von klein auf zusammen und vertrieben sich die Tage mit süßem Nichtstun und Spielen. Meistens flogen sie daher, wie auch heute, zum Spielplatz am Waldrand. Hier konnten die Elfen nämlich unbemerkt die Menschen beobachten und viele merkwürdige Dinge über sie lernen.

Einmal hatte eine Gruppe Jugendlicher bei einer Geburtstagsparty sogar ein kleines Fernsehgerät dabei – was für die Menschen nichts Besonderes war, aber bei den Elfen für Entzücken sorgte. So etwas gab es in Elfenhausen nämlich nicht. Deshalb flogen die drei Freundinnen ganz dicht an den Bildschirm heran, um auch ja nichts von den bewegten Bildern zu verpassen.

Fasziniert hörten sie zu, als die Jugendlichen über Kino redeten – da gab es diese Filme, wie sie die Bilder nannten, in einem riesengroßen Format. Die Elfen konnten es überhaupt nicht fassen. Da Elfen sehr alt werden und die Freundinnen deshalb ausreichend Gelegenheit hatten, die verschiedensten Menschen auf dem Spielplatz zu beobachten, waren sie recht gut über die vielfältigen Musikrichtungen und Filme informiert und hatten auch schon Bekanntschaft mit Handys, Notebooks und Gameboys gemacht.

Während Trixi und Tina zwar alles faszinierend fanden, war aber Tamara so sehr begeistert, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als selbst ein Mensch zu sein, um auch in den Genuss der vielen neuen Spielereien zu kommen. Sie hatte mit ihren besten Freundinnen schon oft darüber geredet und ihnen vorgeschwärmt, war allerdings auf wenig Gegenliebe gestoßen. Nicht jede Elfe wollte ein Mensch sein!

Heute hatten sie Glück – es war ein strahlender Augustnachmittag und eine Familie war gerade beim Grillen. Familie Busch kam sehr oft und gerne hierher. Sie wohnen direkt am Stadtrand, gerade in der Nähe der Stelle, wo der Wanderweg begann. Deshalb kamen sie im Sommer und im Herbst gerne mit ihren drei Kindern Evelin, Lutz und Axel zum Spielen und Grillen hierher. Sie hatten auch die rüstigen Großeltern mit dabei, die ebenfalls gerne an der frischen Luft spazieren gingen und die Zeit genossen, die sie mit ihren Enkeln verbringen konnten.

So waren sie auch an diesem Samstag wieder um die Mittagszeit losgewandert und hatten genügend Lebensmittel dabei, um den restlichen Tag gemütlich miteinander auf dem Grillplatz zu verbringen. Oma Busch hatte sogar für alle Fälle ein Rätselheft eingepackt, damit sie sich nicht langweilen würde, falls Opa nach dem Essen lieber ein Nickerchen in der Sonne machen wollte.

Die drei kleinen Elfen bemerkten ganz erfreut, dass Menschen da waren, setzten sich unbemerkt auf die leere Schaukel und schauten dem Treiben zu. Das Essen war schon beendet und die Kinder tobten herum. Das Mädchen spielte mit seinen beiden Brüdern gerade lautstark Fangen, während die Eltern und Großeltern um das Grillfeuer saßen und sich angeregt unterhielten, ohne die Kinder dabei aus den Augen zu lassen.

»Ich glaube, ich wäre auch gerne ein Mensch«, sagte Tamara seufzend zu ihren Freundinnen. Diese kannten das Thema schon und verdrehten gereizt die Augen, was so viel heißen sollte wie »Nicht schon wieder!«

»Die haben es irgendwie gut«, fuhr Tamara fort. »Deren Leben ist doch viel interessanter. Sie können reisen, sie können ins Kino gehen, sie haben Discos ...«

»Klar«, sagte Trixi, »und sie müssen arbeiten und haben kaum Freizeit und leben in engen Häusern ...«

»Und sie können nicht einmal fliegen!«, warf Tina ein. »Da ist unser Leben doch viel spannender.« Doch mit diesen Argumenten konnten sie Tamara nicht überzeugen. Nachdenklich ließ sie den Kopf hängen und wippte mit den Beinen.

»Wenn ihr meint«, erwiderte sie daher nur. Das Gespräch verlief einfach jedes Mal genau auf dieselbe Weise. Die Freundinnen würden sie wohl nie verstehen. Sie alle waren schon 135 Jahre alt – alt genug, um genau darüber nachzudenken, was man gerne wäre. Das war zumindest Tamaras Meinung. Und sie wäre eben gerne ein Mensch.

Während die Elfen noch abwechselnd diskutierten und den Kindern beim Spielen zusahen, wurde es langsam immer später. Man hatte den Eindruck, dass die Zeit wie im Flug verging. Familie Busch machte sich allmählich wieder zum Aufbruch bereit und die Eltern riefen ihre drei Kinder zusammen. Es begann schon dunkel zu werden und man musste ja noch nach Hause laufen! Opa verkündete noch: »Beeilt euch, ich will nachher noch Fußball anschauen!«

Johlend rannten die Kinder aus dem Sandkasten den Eltern hinterher, welche die Picknicktaschen bereits gepackt hatten, und die drei kleinen Elfen blieben ganz allein auf der Schaukel zurück, die von einem lauen Wind sachte hin und her bewegt wurde – kaum merklich für einen Menschen, aber genug für eine Elfe. Gemütlich ließen sich die Elfen auf der Schaukel hin- und herschwingen und genossen diese ungewohnte Beschäftigung.

»Was meint ihr«, fragte Tamara. »Wie könnte ich es anstellen, ein Mensch zu werden?«

»Jetzt fängt die ja schon wieder an«, meinte Trixi missmutig. »Wieso willst du das denn unbedingt? Und wie solltest du das machen? Niemand kann einfach etwas anderes werden als das, was er bereits ist!«

»Naja«, gab Tina zu bedenken. »Ich habe gehört, dass die alte Sumpfhexe hinter dem Donnerberg auch die seltsamsten Wünsche erfüllen kann ...«

»Die Sumpfhexe?«, fragte Tamara ängstlich und bekam eine leichte Gänsehaut. »Und wie soll ich sie finden? Wird sie mir überhaupt helfen, wenn ich sie darum bitte? Und will sie eine Belohnung haben, falls sie mich verwandeln kann?«

»Woher soll ich das alles wissen?«, fragte Tina entgeistert. »Meinst du, ich wäre mit der Hexe befreundet? Ich habe das auch nur gerüchtweise von der alten Elfenoma Stella gehört, die angeblich vor 800 Jahren ein Mal die Hexe getroffen hat. Aber ich habe auch gehört, dass es gefährlich ist, zu ihr zu gehen und deshalb würde ich dir unbedingt davon abraten. Du bist doch eine Elfe und das ist gut so. Warum solltest du das ändern? Und überhaupt, du könntest so eine gefährliche Reise niemals allein unternehmen!«

»Würdest du etwa mitkommen?«, fragte Tamara hoffnungsvoll.

»Natürlich nicht, ich bin ja nicht verrückt! Und außerdem bin ich dagegen, dass du ein Mensch wirst!«

»Und was ist mit dir?«, fragte Tamara nun auch Trixi, die bisher angestrengt auf den Boden gestarrt hatte.

»Nein, ich kann auch nicht mitkommen. Wir wissen doch gar nicht, wo wir die Hexe genau suchen sollen und ob sie uns nicht etwas antun würde, wenn wir einfach so bei ihr hineinplatzen. Nein, ich kann dich wirklich nicht begleiten.«

»Aber ihr seid doch meine besten und ältesten Freundinnen. Ihr könnt mich bei so etwas Wichtigem doch nicht einfach im Stich lassen. Ihr müsst mir einfach helfen, meinen größten Wunsch zu verwirklichen!«

Doch von den beiden ertönte es nur einstimmig: »Nein!«, und damit war das Thema für Tina und Trixi beendet.

Tamara schmollte beleidigt vor sich hin und schwebte von der Schaukel weg, um sich ganz allein auf die Spitze der Wippe zu setzen. Die beiden anderen blieben allein auf der Schaukel zurück und wussten auch nicht, was sie Tamara noch hätten sagen sollen. Verlegen und unsicher schauten sie einander an.

Aber was hätten sie schon machen können? Sie hatten natürlich ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Freundin bei diesem Wunsch im Stich ließen, aber andererseits auch Angst vor der Hexe und letztendlich davor, dass sie Tamara verlieren würden, wenn diese tatsächlich in einen Menschen verwandelt werden würde. Sie sähen sie dann wahrscheinlich nie mehr wieder.

Und was sie sich selbstverständlich nicht eingestehen wollten – sie waren auch viel zu faul, um sich über etwas so Gefährliches ernsthaft Gedanken zu machen oder um tatsächlich diesen riskanten Weg anzutreten. Sie spielten lieber mit den Zwergen und Wichteln oder auch mit den anderen Tieren oder flogen einfach mit den Schmetterlingen um die Wette.

»Sie wird sich schon wieder beruhigen«, sagte Tina zu Trixi.

»Ja, genau. Das war noch jedes Mal so. Komm, wir fliegen schon mal nach Hause, sie wird uns sicher bald folgen!«

So kam es dann, dass die beiden Elfen schließlich die deprimierte Tamara auf der Wippe zurückließen und sich auf den Rückweg nach Elfenhausen machten.

Begegnung

Während Tina und Trixi auf dem Heimweg waren und sich angeregt über die Sumpfhexe unterhielten, blieb Tamara unschlüssig auf der Wippe zurück. Sie hatte keine Lust, mit den Freundinnen noch weiter darüber zu diskutieren. So blieb sie einfach sitzen und überlegte ganz angestrengt, was sie unternehmen könnte.

Es war einfach schwierig, jemand anderem, auch wenn man ihn noch so gut oder noch so lange kannte, richtig erklären zu können, warum man unbedingt etwas Bestimmtes haben oder werden wollte. Auch die liebsten Freundinnen, die ja ganz andere Wünsche oder Vorstellungen hatten, konnten meist einfach nicht verstehen, was einem selbst an einem bestimmten Wunsch so wichtig war.

Tamara grübelte über dieses Problem lange nach, aber ihr fielen auch Beispiele ein, wo sie ihre Freundinnen nicht hatte verstehen können. Vielleicht muss das einfach so sein, überlegte sie. Weil eben jeder anders ist?

Da stand plötzlich das kleine Mädchen vor der Wippe, das vorhin erst mit seiner Familie den Spielplatz verlassen hatte, und Tamara wurde in ihren schwermütigen Gedanken unterbrochen. Die kleine Evelin suchte unter der Wippe nach ihrem Glücksbringer, den sie vorhin beim Spiel mit den Geschwistern verloren hatte.

Es handelte sich um einen kleinen, herzförmigen Anhänger, den sie an einer um das Handgelenk gewundenen Silberkette getragen hatte – eine eigenwillige Eigenkreation, die natürlich so nicht halten konnte. Dafür gab es ja richtige Armbänder. Aber sie hing einfach an ihrer selbst gemachten Kette und dem Anhänger ihrer Mutter und war fest entschlossen, beides wieder zu finden.

Zuletzt hatte sie die Kette auf jeden Fall noch angehabt, als sie mit ihrem Bruder Lutz gewippt hatte. Deshalb war sie umgekehrt, um unter der Wippe noch mal nachzusehen. Die Kette blitzte ihr auch im Gras gleich silbrig glänzend und unversehrt entgegen und sie steckte sie glücklich in die tiefe Hosentasche ihrer Lieblings-Latzhose. Nach dem Anhänger musste sie sorgfältiger suchen.

Vorsichtig ging sie auf die Knie, bog kleine Grashalme weg und schob kleine Kiesel zur Seite. Als Evelin den Anhänger schließlich im Schmutz unter der Wippe gefunden hatte und sich wieder aufrichtete, starrte sie Tamara direkt an. Braune Menschenaugen trafen direkt auf blaue Elfenaugen. Beide Augenpaare wurden erstaunt aufgerissen und es wurde so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Tamara erschrak – Menschen konnten Elfen doch gar nicht sehen!

»Eine Elfe!«, rief Evelin aus, als sie sich wieder eingekriegt hatte und Tamara wurde in diesem Moment klar, dass es eben DOCH Menschen gab, die so etwas konnten.

»Wie ist das nur möglich, dass du mich sehen kannst?«, fragte sie erstaunt.

»Warum sollte ich das denn nicht können?«, fragte Evelin zurück. »Ich bin ja nicht blind.«

»Aber normalerweise können Menschen mich nicht sehen«, erwiderte Tamara.

Evelin zuckte mit den Schultern und blieb unschlüssig stehen. Sie wusste nicht genau, wie man sich mit einer Elfe unterhalten sollte. Dabei hätte sie an sich schon einige Fragen gehabt. Sie war nämlich ein Elfenfan und sammelte Bildchen zum Einkleben in große Alben und Bücher und kleine Postkarten und Ähnliches. Eben alles, worauf Elfen abgebildet waren. In Wirklichkeit, auch wenn das niemand wusste, wäre sie viel lieber eine Elfe als ein Mensch. Elfen können nämlich fliegen und brauchen nicht zur Schule zu gehen!

»Wie ist es denn, eine Elfe zu sein?«, fragte Evelin zaghaft.

»Naja«, meinte Tamara zögerlich. Es war ihr peinlich zuzugeben, dass sie lieber ein Mensch wäre. »Ganz nett«, sagte sie deshalb nur und stellte auch gleich die Gegenfrage: »Aber es ist doch bestimmt toll, ein Mensch zu sein, oder?«

Jetzt war es Evelin, die nicht wusste, was sie sagen sollte. »Also, es ist ja nicht schlecht«, meinte sie deshalb. »Aber ich wäre viel lieber eine Elfe, dann könnte ich mit dir um die Wette fliegen!«

Nachdem Tamara das gehört hatte, war sie erleichtert. Jetzt konnte sie alles zugeben und der kleinen Evelin auch von ihrem Wunsch erzählen.

»Also, ehrlich gesagt, ich wäre viel lieber ein Mensch!«, platzte sie heraus. »Das fände ich viel spannender.«

Evelin lachte. »Prima, dann könnten wir ja tauschen!«

Während sie weiterlachte, wurde Tamara ganz ernst. So schlecht war die Idee doch eigentlich gar nicht, oder? Es wäre doch möglich, gemeinsam zur Sumpfhexe zu gehen und die könnte sie beide dann verwandeln. So müsste sie den weiten Weg nicht allein gehen und könnte noch viel über Menschen herausfinden. Diese Idee gefiel ihr.

»Warum schaust du denn so ernst, Elfe? Findest du die Idee nicht auch lustig?«

»Naja, Menschenkind, ich denke gerade darüber nach, was für ein seltsamer Zufall das ist. Gerade vorhin habe ich mich mit meinen Freundinnen darüber unterhalten und die haben gemeint, dass es wohl eine Möglichkeit gäbe, meinen, vielmehr unseren Wunsch zu erfüllen. Wir könnten gemeinsam zur Sumpfhexe gehen und uns von ihr verwandeln lassen!«

Jetzt war es Evelin, die ernst schaute. Wer konnte auch mit so etwas rechnen? Aber die Idee war natürlich nicht übel. Es wäre viel spannender, eine echte Sumpfhexe zu besuchen und dann eine Elfe zu werden, als in die Schule zu gehen und Hausaufgaben zu machen und sich von den Geschwistern ärgern zu lassen. Außerdem war Evelin erst acht Jahre alt und da machte man sich noch nicht so besonders tiefgründige Gedanken, wenn man so ein tolles Angebot von einer Elfe bekommt – und das ist ja schließlich nicht jeden Tag der Fall.

Nachdenklich schauten beide vor sich hin und hingen ihren Gedanken nach. Evelin beobachtete einen kleinen Käfer, der zwischen den Grashalmen vorbeihuschte und irgendwie aussah, als würde er einen Helm tragen. Sie grinste. Tamara schaute auf ihre nackten Zehen und rieb sie aneinander. Schließlich war Tamara die Erste, die sich traute, die wichtige Frage zu stellen:

»Würdest du denn gerne mit mir zur Sumpfhexe kommen, damit sie uns unseren Wunsch erfüllt?«

Evelin hatte den Käfer aus den Augen verloren, als er hinter einem Löwenzahn verschwand, sie blickte Tamara wieder direkt an und nickte eifrig. Natürlich würde sie das. Das würde ein ganz tolles Abenteuer werden.

»Wann gehen wir denn los?«, fragte Evelin.

»Na, am besten sofort«, jubelte Tamara und flattert aufgeregt vor Evelin auf und ab. »Je schneller wir zur Sumpfhexe kommen, desto schneller wird sie uns verwandeln!«

Glücklich darüber, dass sie die Reise nicht allein antreten musste, hatte Tamara schon wieder alle Bedenken der Freundinnen in den Wind geschlagen. Darüber, dass die Hexe ihnen vielleicht gar nicht helfen wollte – oder auch einfach nur nicht zu Hause wäre, dachte sie gar nicht mehr nach. Es kam ihnen auch nicht in den Sinn, dass sich die Familien der beiden große Sorgen machen könnten. Aber so ist es eben, wenn ein junger Mensch und eine junge Elfe gemeinsame Sache machen.

»Gut«, meinte Evelin. »Dann gehen wir am besten gleich los! In welche Richtung müssen wir denn laufen?«

Tamara war sich nicht ganz sicher. Aber die Sumpfhexe wohnte natürlich im Sumpfgebiet gleich hinter dem riesigen Herzoginnenwald und dem Donnerberg. Und den Berg konnte man immerhin von hier aus gut sehen.

»Da entlang!«, sagte sie deshalb zu Evelin, zeigte mit der linken Hand in Richtung Berg und flatterte vor der neuen Freundin her. Während sie schon vorausflog, drehte sie den Kopf noch einmal nach Evelin um.

»Ich bin übrigens Tamara«, stellte sie sich bei dieser Gelegenheit vor. Man kann so ein Abenteuer schließlich nicht antreten, ohne dass man sich einander vorgestellt hat.

»Und ich bin Evelin«, erwiderte diese und folgte der aufgeregten Elfe in den Wald hinein. War es auf dem Spielplatz noch einigermaßen hell gewesen, so schien es im Wald schon viel düsterer zu sein, weil durch die dichten Äste der Bäume kaum Licht fiel. Und es war auch ein wenig unheimlich, wenn man noch nie zuvor allein durch den dunklen Wald gelaufen war.

Die Tiere, die sich bisher versteckt gehalten hatten, kamen nun heraus und überall raschelte und wisperte es. Die Eulen und Uhus riefen sich gegenseitig etwas zu und die Bäume raschelten im sanften Wind mit ihren Wipfeln.

»Ich habe ein bisschen Angst«, sagte Evelin zaghaft. »Und ich sehe nicht besonders viel, es ist schon ganz schön dunkel.«

»Du musst keine Angst haben«, sagte Tamara beschwichtigend. »Ich lebe doch in diesem Wald und ich kenne ihn ganz genau. Du musst dich wirklich vor nichts fürchten. Und damit es etwas heller für dich wird, werde ich schneller mit meinen Flügeln schlagen, damit der silberne Elfenstaub im Licht der untergehenden Sonne und später auch im Mondlicht glänzt. Außerdem werden wir uns miteinander unterhalten oder singen, damit wir uns nicht verlieren.«

Evelin war nun etwas beruhigter und folgte Tamara tiefer in den Wald hinein. Wie versprochen leuchtete die Elfe mit ihren Flügelchen und führte das kleine Mädchen weiter durch den Wald, immer in Richtung Donnerberg.

Jetzt, wo sie befreundet waren, hatten sie einander plötzlich sehr viel zu erzählen. Evelin hatte so viele Fragen an die Elfe und Tamara wollte alles über die Menschen wissen. Beide fanden es total spannend und die Zeit verging dabei wie im Fluge.

Tamara flog auch nicht mehr voraus, sondern eher neben der Freundin her, damit sie sich leichter unterhalten konnten. Sie war so begeistert, dass sie sich sicherer denn je war, unbedingt ein Mensch werden zu wollen. Und Evelin erging es nicht viel anders, nur, dass sie natürlich unbedingt eine Elfe werden wollte.

Suche

Nach wenigen Minuten hatten sie sich schon so weit vom Spielplatz entfernt, dass sie nicht hören konnten, wie die halbe Familie Busch mittlerweile dorthin zurückgekehrt war, um das Mädchen laut rufend zu suchen.

Evelin hatte ihren Eltern gesagt, dass sie nur kurz unter der Wippe nachschauen wollte, ob sie da nicht ihren Glücksbringer verloren hatte. Sie würde dann sofort wieder auf den Wanderweg zurücklaufen und sich der restlichen Familie auf dem Nachhauseweg anschließen. Da niemand sonst auf dem Spielplatz war, hatten die Eltern es nicht für gefährlich gehalten, das kleine Mädchen die wenigen Meter zurücklaufen zu lassen. Sie waren ja noch in Hörweite, und wie lange konnte es schon dauern, einen Blick unter die Wippe zu werfen?

Abgelenkt von den beiden anderen Kindern und ins Gespräch mit den Großeltern vertieft, hatten sie sich dann längere Zeit nicht mehr nach Evelin umgedreht. Jedoch hatten sie dann instinktiv, wie es bei Eltern eben der Fall war bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war.

Es dauerte nun doch viel zu lange und so blieben alle zunächst einmal stehen und der Vater rief laut Evelines Namen. Von der lauten Stimme erschreckt, flüchteten einige Vögel, die von den nahen Bäumen aufstoben und eilig das Weite suchten. Im Gras erschreckten sich auch einige Grillen und andere Tiere, die sofort ihr Heil in der Flucht suchten.

Es wurde ziemlich still um die Familie Busch herum. Nur der sanfte Wind strich weiter durch die Bäume zu beiden Seiten des Weges und weiter vorn am Horizont begann die Sonne blutrot unterzugehen. Eigentlich ein schöner Anblick, wenn man nicht gerade seine kleine Tochter vermisst.

Familie Busch hatte jedenfalls keine Zeit dafür, dieses Naturschauspiel zu genießen. Sie riefen weiter Evelines Namen. Als sie keine Antwort bekamen, wurden die Eltern erst mal sauer. Bestimmt hatte sie wieder etwas entdeckt, was sie abgelenkt hatte. Vielleicht wollte sie noch schnell ein bisschen schaukeln oder so. Vielleicht war sie auch einfach einem Schmetterling oder einem Hasen in den Wald gefolgt.

»Ich werde sie holen!«, rief der Vater und stapfte den Weg zurück.

»Aber es wird bald ganz dunkel und wir haben doch keine Taschenlampen dabei«, gab die Mutter zu bedenken. »Wir sind leider schon viel zu weit gegangen, ohne zu bemerken, dass sie fehlt. Und wer weiß, wo sie steckt? Außerdem wird es zwischen den Bäumen viel schneller dunkel als auf dem hellen Weg, von wo aus wir noch den Sonnenuntergang sehen können!«

»Dann solltet ihr schon mal nach Hause gehen, damit ihr nicht vom Weg abkommt. Ich suche Evelin und wir kommen dann sofort nach!«, rief Herr Busch zurück.

»Ich habe aber ein ganz schlechtes Gefühl bei dieser Sache«, sagte die Mutter. »Was ist, wenn sie nicht spielt, sondern sich verletzt hat? Sie könnte ohnmächtig geworden sein und dann brauchst du vielleicht Hilfe, um sie zu tragen. Nein, ich muss auch mitkommen.«

Frau Busch stapfte kurz entschlossen ihrem Mann hinterher, der schon einige Schritte weit gegangen war. Der Vater überlegte kurz und warf einen Blick in den Himmel. Der Sonnenuntergang und die Dämmerung waren schon fortgeschritten und man sollte nicht in finsterster Nacht mit kleinen Kindern durch den Wald laufen. Andererseits - der Spielplatz war ja nicht so weit entfernt und wie lange konnte es schon dauern?

»Na gut«, seufzte er. »Die Großeltern gehen mit den Picknicktaschen voraus und wir vier anderen laufen schnell zurück und holen die beiden dann später wieder ein.« Alle nickten und Oma und Opa Busch nahmen den Eltern die Taschen aus der Hand. Sie waren auch beunruhigt, aber es nützte nichts, wenn sie sich alle verrückt machten und auf die Suche gingen. Vor allem, weil die Großeltern nicht mehr so gute Augen hatten. Sie würden im Wald wahrscheinlich überhaupt nichts mehr erkennen.

Etwas nervös machten sie sich also auf den Heimweg, während die restliche Familie Busch sich im wahrsten Sinne des Wortes in Trab setzte, um ganz schnell auf den Spielplatz zurückzulaufen. Unentwegt riefen die Eltern immer wieder nach ihrer Tochter. Auf dem Spielplatz angekommen, war schnell klar, dass Evelin weder auf der Schaukel, der Rutsche, noch auf der Wippe war. Sie saß auch nicht auf dem Bänkchen und sie sammelte auch keine Blumen.

»Evelin!«, schrien die Geschwister und die Eltern abwechselnd. Doch es rührte sich nichts.

»Oh mein Gott! Sie wird doch nicht in den Wald gelaufen sein«, rief Frau Busch angsterfüllt. Der Vater runzelte die Stirn.

»Habt ihr im Wald gespielt?«, fragte er die beiden Buben streng. Lutz und Axel schüttelten die Köpfe.

»Also hatte sie keinen Grund, ihren Glücksbringer im Wald zu suchen. Wo könnte sie denn bloß hingelaufen sein?«, dachte Herr Busch laut nach.

»Wir müssen sie im Wald suchen!«, rief Frau Busch energisch.

»Aber wir haben doch keine Taschenlampen dabei – wir würden sie vielleicht übersehen. Wenn sie gestürzt ist, könnten wir möglicherweise sogar an ihr vorübergehen, ohne sie zu bemerken. Dieses Risiko können wir nicht eingehen. Wir müssen unbedingt Hilfe holen!« Herr Busch zückte sein Handy, das er zum Glück immer bei sich trug, und rief die Polizei an.

Wenig später, von Evelin, Tamara und der Familie Busch ganz unbemerkt, spielte sich in Elfenhausen eine ähnliche Tragödie ab. Tina und Trixi waren schon ein Weilchen daheim und machten sich langsam Gedanken, warum Tamara nicht auch nach Hause kam. Elfen waren bei Dunkelheit nicht so oft unterwegs, sie konnten sich beim Fliegen im Dunkeln nämlich leicht verletzen.

Zwar waren ihre Flügel oder besser gesagt der Elfenstaub darauf in der Lage, Mondlicht zu reflektieren, aber eine Elfe hat ja die Flügel hinten und deshalb ist der Weg direkt vor ihr nicht gut beleuchtet. Elfen reisen in der Nacht lieber zu mehreren, damit sie es heller haben. Und deswegen bleiben sie nachts auch viel lieber in Elfenhausen und vor allem auf dem Boden, wo sie zusammen spielen und tanzen, bevor sie zu Bett gehen.

Sofie, Tamaras Mutter, flog aufgeregt zu Trixi und Tina.