Emmi und das Jahr, in dem Weihnachten an Ostern begann - Angelika Glitz - E-Book

Emmi und das Jahr, in dem Weihnachten an Ostern begann E-Book

Angelika Glitz

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Beschreibung

An Weihnachten gehen Wünsche in Erfüllung! Eine bezaubernde realistische Geschichte mit Herz und Verstand über eine Patchworkfamilie, die sich erst noch finden muss. Die zehnjährige Emmi verbringt die Osterferien mit ihrer Mutter in Finnland. Sie glaubt, dass sie dort ein verspätetes Weihnachtsgeschenk bekommt, nämlich einen Hund. In Wirklichkeit will Emmis Mutter, dass sie ihren neuen Freund und dessen Sohn kennenlernt. Beide Kinder halten nichts von der Idee der Eltern, wie eine Familie zusammenzuleben, und schmieden einen Plan, wie sie das Paar wieder auseinanderbringen können. Der Plan gelingt. Aber irgendwie vermisst Emmi ihre »Fast«-Familie. Und am Heiligabend gehen dann endlich alle Wünschen Erfüllung … Angelika Glitz erzählt ganz wunderbar. Ihre Helden sind lebendig und so liebenswert, dass man sie am liebsten in den Arm nehmen und drücken möchte.

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Seitenzahl: 138

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Angelika Glitz

Emmi und das Jahr, in dem Weihnachten an Ostern begann

Fischer e-books

Für meine Mutter Danke für all deine Liebe

Ferien in Kuusamo

Es war der erste Tag der Osterferien. Frankfurt lag unter einer grauen Wolkendecke. Auch der starke Wind hatte es nicht geschafft, sie auseinanderzutreiben. Emmi und ihre Mutter hatten den Flug 701 nach Helsinki mit Ach und Krach bekommen. Die Männer in Anzug und Krawatte raschelten im Flugzeug bereits ungeduldig mit den Zeitungen, als sie sich schließlich doch noch mit ihrem Handgepäck den schmalen Gang entlanggequetscht hatten.

»Geschafft!« Stöhnend ließ sich ihre Mutter auf den Sitz sinken. »Im wahrsten Sinne des Wortes. Nur wegen deiner blöden Hundehaare. War doch klar, dass das Ärger gibt. Vier Ordner voller Hundehaare! Du liebe Güte!«

Mama fischte nach den Anschnallgurten und klickte die Schnallen zusammen. Eine Stewardess mit kirschrotem Mund beugte sich zu ihnen hinunter.

»Könnten Sie bitte Ihr Handgepäck verstauen.«

»Ja, ’tschuldigung, sofort!«

Mama kickte mit den Füßen ihre Tasche unter den Sitz.

»Angst vor Infektionskrankheiten. War doch klar. Und dreißig Euro fürs Übergepäck!«

Emmi grinste und schaute aus dem Fenster. Sie hatte längst gelernt, wann es besser war zu schweigen und wann sich eine Antwort lohnte. Schließlich war alles in Butter. Ihre Hundehaarsammlung war an Bord. Das Fell von 1322 Hunden, alle mit Mango-Shampoo gewaschen und alphabetisch sortiert. Und das war längst nicht alles, was in Butter war. Nein, sie, Emmi König, schwamm geradezu in Buttersoße. Sie saß nämlich im Flieger nach Nordfinnland, um ihren Hund abzuholen. Zumindest hielt sie genau das für mehr als wahrscheinlich. Einen echten, voll süßen Husky, vermutlich von einem finnischen Hundezüchter.

Neben ihr rutschte ihre Mutter im Sitz hin und her. Sie versuchte ihre Beine auszustrecken, gab es dann aber auf und zog eins der Bordhefte hervor. Sie schob ihre Brille zurecht und las die Slogans, die unter den Fotos der Parfums standen. »Die Verführung der Sinne« und »Ein Hauch von Sommer«. Emmi kicherte.

»Was?«, fragte ihre Mutter.

»Freust du dich auch so?«

»Ja, und ob, endlich Ferien. Ich hätte meinen Chef keinen Tag länger ertragen können.«

»Ja, da lassen wir zwei es uns mal richtig gutgehen.« Emmi lachte. »Wenn ich doch nur wüsste, was das ›Tolle‹ ist.«

Ihre Mutter grinste geheimnisvoll und schwieg, so wie sie es schon seit zwei Wochen jedes Mal tat, wenn Emmi sie darauf ansprach. Ihre Mutter liebte Überraschungen, und sie hasste es, wenn man sie ihr verdarb.

Grinsend blätterte Mama um und versenkte sich in bunte Fotos von Armbändern und Ketten. Der Flieger rumpelte schneller und schneller über die Startbahn und hob sich schließlich in den Himmel. Er musste sich durch Unmengen von Nebelschwaden kämpfen, bis er endlich das ganze Grau hinter sich gelassen hatte.

Emmi zog die rote Karte aus ihrer Hosentasche. Sie war voller Knicke und mit einer silbernen Schnörkelschrift beschrieben. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk! Sie hatte sie vor zwei Wochen unter dem Weihnachtsbaum gefunden. Oder besser gesagt unter dem Gerippe, das von ihrem Weihnachtsbaum übrig geblieben war. Es war an dem Tag gewesen, als Mama ihn endlich in der Gartenmüll-Verwertungsanlage entsorgen wollte, weil sie den Platz dringend für ihren Osterstrauß brauchte. Emmi las die geschnörkelte Schrift, obwohl sie den Text auswendig kannte.

 

Gutschein für etwas »Tolles« in Finnland.

Liebe Grüße vom Weihnachtsmann.

PS: Entschuldigung für die Verspätung. Aber die richtig guten Geschenke brauchen schon mal länger.

 

Weihnachtsmann! Das war natürlich Quatsch. Aber Mama hing eben sehr an Weihnachtsmännern, Zahnfeen, Osterhasen und so was.

Die Stewardess erschien mit etwas, das Spaghetti Bolognese hieß, aber wie roter Kartoffelbrei mit Würmern aussah! Mama schaute es nachdenklich an.

»Ich glaube, ich schlafe lieber eine Runde«, sagte sie. »Ist gesünder.« Gähnend schob Mama die Silberschachtel an den äußersten Rand des kleinen Klapptisches und rutschte tiefer in den Sitz.

»Weck mich, wenn wir in Helsinki sind, ja!«

»Klar, mach ich!«

Emmi fischte sich das Törtchen von Mamas Tablett. Bei Mandeltörtchen konnte man nicht viel falsch machen. Sie biss ab und drückte ihre Nase gegen die Scheibe. Eine Wattelandschaft aus Wolken lag unter ihnen.

Am Anfang hatte Emmi keine Idee gehabt, was das »Tolle« sein könnte. Eine Reise nach Finnland erschien ihr schon so toll, dass es kaum auszuhalten war. Doch dann eines Abends war sie in die Küche geschlichen, um sich ein paar Süßigkeiten aus dem Schrank zu holen. Und als sie leise auf Zehenspitzen den Flur zurückgetappt war, hatte sie ihre Mutter im Wohnzimmer sprechen gehört.

»Hundertfünfzig Hunde?«, hatte ihre Mutter gefragt und gekichert. Und »Sind die auch alle lieb?« Emmi war vor Aufregung gleich die Süßigkeitendose aus der Hand gefallen. Das hatte vielleicht gescheppert, und Mama hatte plötzlich mit knallroter Birne vor ihr gestanden und sie wieder ins Bett geschickt. Aber von diesem Abend an war die Hoffnung in ihr gewachsen. Wie ein kleines Samenkorn war sie plötzlich aufgegangen und gewachsen und hatte Hundepfoten und eine Schnauze bekommen, bis Emmi schließlich an nichts anderes mehr denken konnte. Nicht einmal in der Mathearbeit. Dort hatte sie als Antwortsatz unter die Textaufgabe geschrieben: »Jedes Kind der Tiger-Klasse bekommt fünf Hunde in die Tüte.« Obwohl es natürlich Bonbons hätte heißen müssen. Frau Schlotze-Nötze, ihre Mathelehrerin, hatte gar nicht mehr aufhören können, darüber mit dem Kopf zu schütteln, und gesagt, dass es wohl höchste Zeit für die Ferien sei.

 

Zwei Stunden später landeten sie im verschneiten Helsinki zwischen. Sie fuhren mit einem Bus in die City und liefen einmal über die Nordsee, die in Helsinki im Frühling eine einzige gefrorene Eiswüste ist. Eine Stunde später waren sie erneut in der Luft. Der Himmel war wolkenlos, und die untergehende Sonne färbte die Schneewelt unter ihnen rosa. Ungefähr zu dieser Zeit bekam auch Mama plötzlich Flöhe unterm Po, denn sie fing an, auf ihrem Sitz umherzurutschen und andauernd aus dem Fenster zu schauen, auch dann noch, als es draußen bereits stockdunkel war. Als der Pilot über Lautsprecher sagte, dass er nun mit dem Landeanflug beginnen würde, tastete sie unter dem Sitz nach ihrem Rucksack und kramte die neuen Riemchensandalen hervor, um sie gegen ihre alten Stiefel auszutauschen.

»Aber Mama, Sandalen? Im tiefsten Finnland. Ich glaube, du wirst dir einen Schnupfen holen.«

»Davon verstehst du nichts«, sagte Mama und versenkte ihre Hand erneut im Rucksack, um jetzt auch noch ihre Schminktasche hervorzuziehen. Sie bemalte sich gerade die Lippen, als sie mitten im Schnee aufsetzten. Der Flieger hüpfte und rumpelte, und ihre Mutter sah aus, als hätte sie zu viel Erdbeereis gegessen.

»Alles in Ordnung, Mama?«, fragte Emmi.

Ihre Mutter schaute seufzend in ihren Taschenspiegel. Der Lippenstift war überall, nur nicht auf ihrem Mund.

»Klar, alles in Ordnung, mein Schatz. Außer dass ich mich frage, ob der Pilot seinen Flugschein wohl bei Ebay ersteigert hat.«

 

In der Flughalle in Kuusamo benahm sich Mama auch nicht besser. Gleich an der Passkontrolle ließ sie ihre Jacke liegen, und ein Passkontrolleur musste rufend hinter ihnen herrennen. Dann verschwand Mama in der Toilette, um sich die Lippen neu zu bemalen, kam aber eine Sekunde später mit hochrotem Kopf zurück, weil sie sich in der Tür geirrt hatte. Sie hatte aus Versehen die Herrentoilette erwischt. Emmi schüttelte den Kopf, als sie jetzt durch die Tür für die Damen ging. Vielleicht war Mama die Höhenluft nicht bekommen. Höhenkollaps oder so.

»Mama, guck, hier sind die Gepäckwagen«, rief Emmi in der Gepäckhalle und zeigte auf eine Schlange aus Silberwägelchen. »Du bist gerade vorbeigerannt.«

»Ah, ach so«, sagte Mama.

Aber wieder war sie nicht bei der Sache. Während sie versuchte, den Trolley aus der Reihe zu lösen, schaute sie in der Gegend herum. Emmi seufzte. »Mama, lass mich mal.«

Emmi löste die Bremse, ruckelte nach rechts und nach links.

»So geht das. Hast du gesehen. Hier Mama, bitte.«

Als sie aufschaute, sah sie, dass Mama ihr nicht zugehört hatte. Sie hatte sich von ihr weggedreht und schaute zur großen Scheibe hinüber, hinter der Menschen in dicken Pullovern, Schals und Mützen standen. Ihre Mutter winkte und strahlte wie die Sommersonne. Und dort hinter der Glasscheibe stand ein Mann in dicken Stiefeln und winkte zurück. Er überragte die anderen um gut einen Kopf und strahlte mit ihrer Mutter um die Wette. Als Mama Emmis Blick bemerkte, zuckte sie erschrocken und ließ ihre Hand sinken.

Ein geheimnisvoller Fremder

Beinahe als Letztes spuckte das dunkle Loch in der Gepäckausgabe auch ihre Koffer auf das Beförderungsband. Ihre Mutter schaute auf die Uhr, als endlich die prallen Taschen auf sie zu glitten.

»Sicher mussten die von der Einreise deine Hundehaare noch auf Flöhe filzen.« Sie seufzte. »Und hier, der Reißverschluss ist auch aufgeplatzt. Das kommt davon, wenn man die Taschen so vollstopft.«

Emmi zuckte mit den Schultern. Ihre Mutter hatte kein weiteres Mal zur Scheibe geblickt. Emmi hatte sie genau beobachtet. Auch den Mann mit den Stiefeln konnte sie nirgends mehr entdecken.

»He, hilf mal, du Schlafmütze.«

»Ja, ja.«

Als sie gemeinsam die Koffer vom Transportband hievten, um sie auf den Gepäckwagen zu laden, hielt Emmi es nicht mehr aus.

»Du, Mama«, fragte Emmi.

»Ja?«

»Wer war das eigentlich?«

»Wer denn?«

»Na, der Mann mit den Stiefeln?«

»Stiefel?«

»Dem du zugewunken hast.«

»Ach so, – ja – also, … eh, … vielleicht der … Weihnachtsmann.«

Emmi verdrehte die Augen.

»Ach stimmt!« Mama seufzte. »Du glaubst ja nicht mehr an den Weihnachtsmann. Wirklich zu schade.«

Emmi war da anderer Meinung. Denn all das Glauben an den Kerl mit der roten Mütze hatte ihr nie viel genützt.

Mit einem Fußtritt löste ihre Mutter die Bremse des Gepäckwagens und schob los.

Emmi hatte sich zwei Mal vom Weihnachtsmann ihren Vater zurückgewünscht. Und sie hatte einen »Superman« aus Stoff bekommen und eine Puppe, die »Mama« sagen konnte.

»Vielleicht war es zu schwierig für den Weihnachtsmann, einen Vater zurückzubringen«, hatte Emmi im nächsten Jahr gedacht. Also hatte sie sich von da an einen Hund gewünscht. Und was hatte unter dem Weihnachtbaum gelegen? Einmal ein großer Tiger aus Stoff! Einmal ein Buch über Hunde. Und einmal eine Jahreskarte für den Zoo.

Ein Zollbeamter winkte sie durch. Wie durch Zauberhand glitt die Tür auseinander. Und dann hätte Mama ihn beinahe umgefahren!

Der Mann mit den Stiefeln rettete sich im letzten Moment durch einen Sprung zur Seite. Mama hielt erschrocken die Hände in die Luft.

»Oh, Entschuldigung. Das tut mir so leid!«, rief sie.

Aber der Mann lachte nur. Er war wirklich sehr groß, beinahe ein Riese. Er hatte sogar ein tiefes Riesenlachen.

»Das macht doch nichts, war doch meine Schuld.«

Die beiden begannen sich die Hände zu schütteln.

»Aber sehr freundlich, dass du, eh Sie …« Mama stotterte etwas.

»In Finnland sagen wir alle du zueinander«, unterbrach der Mann ihre Mutter. »Weil wir hier alle unter Freunden sind.«

»Das ist aber nett!« Mama kicherte.

Der Mann hatte ein Schild um den Hals, auf dem »Herzlich willkommen Emmi und Katrin« stand. Emmi biss sich auf die Unterlippe. Das konnte doch nur bedeuten, dass er eingeweiht war, dass er sie erwartet hatte. Emmis Herz schlug schneller. Sie tippte dem Mann auf den Arm.

»Hallo!«

»Oh, hallo!«, sagte der Riese freundlich. Er beugte sich lächelnd ein Stockwerk tiefer, bevor er auch Emmis Hand ergriff, um sie ebenso freundlich zu schütteln. Sogar seine Hand war riesengroß.

»Das ist meine Tochter Emmi«, mischte Mama sich ein.

»Weiß er doch«, sagte Emmi, »steht ja schließlich auf dem Schild.«

»So ist es. Und ich heiße Joran, und ich habe einen Jungen, der ist genau in deinem Alter.«

»Woher weißt du, wie alt ich bin?«, fragte Emmi.

Der Joran-Riese grinste.

»Das habe ich an deinen Zähnen erkannt.«

»Meinen Zähnen!«

Emmi fuhr sich mit der Zunge über ihre Schneidezähne. Zum Glück hatte sie die heute Morgen gründlich geputzt.

»Ja, klar«, rief Mama, »wie bei den Pferden. Das ist gut. Da sieht man das Alter ja auch an den Zähnen.«

Genau, dachte Emmi, und sicher konnte man das Alter von Hunden ebenfalls an den Zähnen ablesen. Der Mann kannte sich also eindeutig mit Hunden aus. Leider hatte er keinen dabei. Emmi schaute sich um. Aber hier gab es überhaupt keine Hunde. Also waren Hunde vermutlich auf diesem Flughafen verboten.

»Emmi, kommst du?!«

Ihre Mutter zeigte mit dem Finger hinter Joran her. Er war bereits mit dem Gepäck vorausgeeilt, und Mama eilte ihm nach. Die Ausgangsschleuse blies ihnen warme Luft ins Gesicht. Dann standen sie draußen. Die Kälte traf sie wie eine erfrischende Dusche. Schneeflocken tanzten im Licht der Straßenlaternen.

»Wow!« Mama breitete die Arme aus. »Wow, seht euch das an.«

Sie legte ihren Kopf in den Nacken und drehte sich einmal um sich selbst. »Alles weiß. Die Autos, die Straßen und sogar die Zäune. Oh, verdammt …«

Und im nächsten Augenblick ruderte ihre Mutter mit den Armen und landete auf ihrem Hinterteil. Joran drehte sich zu ihr um und betrachtete kopfschüttelnd Mamas Riemchensandalen, die an den ausgestreckten Beinen in die Luft ragten. Dann ging er zu einem weißen Pick-up und kam mit einem Paar dicker Stiefel zurück.

»Hier, zieh die lieber an, Katrin.«

»Was! Das sind ja die reinsten Marsstiefel«, rief Mama entsetzt.

Aber dann gehorchte sie trotzdem, und Joran versenkte die Riemchendinger im nächsten Mülleimer.

»He!«, rief Mama. »Die waren wahnsinnig teuer!«

»Ich dachte, die sind ein Super-Schnäppchen gewesen«, sagte Emmi.

»Pah, bei solchen Schuhen ist auch ein Super-Schnäppchen noch wahnsinnig teuer.«

Fluchend angelte Mama die Schuhe wieder aus dem Mülleimer heraus.

 

Und dann sah Emmi es. In dem Augenblick, als sie hinter Joran her an der Ladefläche des Pick-ups vorbeigingen. Eine große Tüte, auf der ein Hundekopf abgebildet war, dem hechelnd die Zunge aus dem Maul hing. Hundefutter! Emmi lächelte und quetschte sich mit den anderen auf die vordere Sitzbank des weißen Pick-ups.

Die Hütte im Schnee

Sie fuhren ans Ende der Welt. Zumindest kam es Emmi so vor. Schon seit einer Ewigkeit rauschten sie eine weiße Schneepiste entlang. Am Straßenrand erleuchteten die Scheinwerfer aufgetürmten Schnee und eingeschneite Tannen. Sonst nichts – keine Häuser, keine Ampeln und keine Hunde. Vielleicht schnarchten die finnischen Hunde längst um diese Zeit. Emmi zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen Mama. Was machte es schon, wenn sie den Hund heute nicht mehr bekommen würde. Gar nichts. Das steigerte höchstens die Spannung. So lange hatte sie auf ihren Hund gewartet, da kam es auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht an.

Ihre Mutter neben ihr summte leise und lächelte vor sich hin. Was hatte ihre Mutter nur umgestimmt? Der Brief? Wie eine ihrer alten Schallplatten mit Sprung hatte Mama auf Emmis Wunsch nach einem Hund stets geantwortet: »Wovon sollen wir das Hundefutter bezahlen und erst den Tierarzt? Außerdem ist unsere Wohnung viel zu klein, und Zeit, um uns zu kümmern, haben wir schon gar nicht.« Aber dann hatte Emmi ihr letzte Weihnachten den Brief geschrieben. »Nur ein Hund könnte sie darüber wegtrösten, dass sie als Einzige in der Klasse keinen Vater hätte«, hatte sie geschrieben. Dass drei Kinder ihren Vater nur jedes zweite Wochenende sahen und trotzdem keinen Hund hatten, hatte sie natürlich verschwiegen. Aber dass Isabella sogar einen Vater und einen Hund hatte, hatte sie drei Mal unterstrichen. Emmi gähnte. »Wie lange dauert es noch?«

»Lange genug, um dir etwas über Finnland zu erzählen«, sagte Joran.

Ein entgegenkommendes Auto tauchte sie in eine aufwirbelnde Wolke aus Schnee. Joran blendete kurz auf und wieder ab.

»Finnland hat die Form einer Frau«, begann er. »Einer sehr hübschen Frau mit einer hübschen, schlanken Taille.«

»Was ist eine Taille?«, fragte Emmi.

»Die ist da, wo der Bauchnabel sitzt«, sagte Mama, »und wo man immer Speck ansetzt.«

Joran grinste im Licht, das der Tachometer auf sein Gesicht warf.

»Und vor langer Zeit, da hatte die Frau sogar einmal zwei Arme gehabt. Aber nach dem Krieg musste sie ihren linken Arm leider den Russen überlassen.«

»Man kann nicht alles haben«, seufzte Mama.

Joran warf ihrer Mutter jetzt einen schrägen Blick zu und kratzte sich am Ohr. Und Emmi dachte, es könne nicht schaden, eine Erklärung abzugeben.

»Mama hat über Weihachten zwei Kilo zugenommen. Da ist sie empfindlich mit dem Thema schlank und so.«

»Aha«, sagte Joran und nickte grinsend, bevor er mit seiner Beschreibung fortfuhr.

»In ihrem weiten Rock, da liegen Nord- und Mittelfinnland. Und genau durch die Taille, da verläuft der Polarkreis. Am Polarkreis wohnt übrigens ein alter Bekannter von dir, Emmi.«

»Wer denn?«

»Der Weihnachtsmann.«

»Och nee, nicht der schon wieder«, stöhnte Emmi.

»Achtung«, rief ihre Mutter. »Meine Tochter ist empfindlich bei dem Thema Weihnachtsmann.«

»Ich sehe schon, ich sehe schon.« Joran nickte und rieb sich mit der Hand das Kinn. »Das wird ein harter Job für einen wie mich.«