Endlich Lady! - Elke Krüsmann - E-Book

Endlich Lady! E-Book

Elke Krüsmann

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Das »Chanelkostüm« unter den Büchern zum Thema Älterwerden

Worauf es ankommt ist, eine Haltung zu entwickeln, mit der man sich graziös durch die mittleren (und höheren) Jahre bewegt. Denn wie der Körper sich verändert, können sich auch die Gedanken des Menschen seiner neuen Lebensphase anpassen. Um uns herum beobachten wir jeden Tag Menschen, die mit dieser Aufgabe ringen, kaum jemand bewältigt sie mühelos. Doch es gibt sie, die souverän Alternden! Ihr Geheimnis zu ergründen, ist Ziel dieses Buchs. Es entstehen fein beobachtete, exakt beschriebene Bilder, Gedanken und Anregungen. Das Ergebnis: Couture zum Lesen, elegant und unverwechselbar wie ein Chanel-Blazer.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 262

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Elke Krüsmann

Endlich

LADY!

Älter werden muss nicht beige sein

1. Auflage

© 2013 Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: zeichenpool

Redaktion: Manuela Knetsch

Illustrationen: Karin Ecker-Spaniol

Satz: Barbara Rabus

CH · Herstellung IH

ISBN 978-3-641-10908-0

www.mosaik-verlag.de

INHALT

EINLEITUNG

Allein unter Jungen: eine Expedition zum Kontinent der Coolness

WAHRHEITEN,

denen man sich stellen muss

Warum die Babyboomer die neue Macht im Land sind – und wie sie diese Macht klug nutzen

Was man von den Jungen über das Leben lernen kann

Die Magie zweier unterschätzter Anti-Aging-Waffen: Humor und (Selbst-)Ironie

Der größte Feind der Bella Figura sind nicht die Falten – es ist die Selbstgerechtigkeit

ERKENNTNISSE,

die unwiderstehlich machen

Wie der Modedesigner Marc Jacobs in die zweite Pubertät kam – und wie man die Herausforderungen dieser Phase souverän bewältigt

Das Geheimnis der Miuccia Prada. Oder: Wie man zur Stilikone wird, indem man das Diktat altersgerechter Kleidung ignoriert

Das Jackie-O.-Prinzip. Die Kunst, im Alltag ohne großen Aufwand fantastisch auszusehen

Der Lady-Code. Acht unverwüstliche Weisheiten zum Thema Stil

Warum Sie sich vor Menschen hüten sollten, die Ihnen einen rosenholzfarbenen Lippenstift verkaufen wollen

Das erotische Kapital der erwachsenen Frau

Die Liebe in den Zeiten des Jugendwahns. Vier Szenarien, vier Happy Ends

ABENTEUER,

auf die man sich einlassen sollte

Die Glory Days in der Lebensmitte: Warum es ein Glück sein kann, wenn Erfolg, Anerkennung oder die große Liebe erst spät kommen

Warum jeder Mensch zwei Freunde braucht: einen warmherzigen Kritiker und einen hingerissenen Fan

»Es pocht eine Sehnsucht an die Welt«: Über den Umgang mit verpassten Träumen. Oder: Warum man sich Herzenswünsche jetzt erfüllen sollte

Aufbruch in die Freiheit: Wie man einem Abschied Grandezza gibt

Mit Grazie scheitern: Über den Umgang mit Niederlagen und ungenutzten Chancen

Anleitung zum Lebendigsein. Ein Besuch in der Londoner »School of Life«

Sieben Rezepte aus der philosophischen Hausapotheke – zur Politur des Selbstbewusstseins in turbulenten Zeiten

NACHWORT

Und jetzt? Eine Einladung zum Weiterdenken

Anmerkungen

Bibliografie

Danke!

EINLEITUNG

Allein unter Jungen: eine Expedition zum Kontinent der Coolness

Zum Geburtstag überraschte mich mein Augenoptiker mit einem Brief. Er war in Form eines kleinen Abreißkalenders gestaltet, dessen einzelne Blätter man nacheinander herunterzupfen konnte.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Kruesmann!«, hieß es auf der ersten Seite. Ein Computerprogramm hatte in den Text in regelmäßigen Abständen meinen Namen eingestreut. Ein durchschaubarer Trick, aber er funktionierte. Ich war neugierig, auf was die Sache hinauslaufen würde.

Auf dem zweiten Blatt ging es weiter:

»Schön, dass Sie keine 46 mehr sind.«

Die 46, fett gedruckt und mittig platziert, nahm fast den gesamten Raum auf der Seite ein.

»Denn mit diesem Coupon erhalten Sie, liebe Frau Kruesmann, Ihrem Alter entsprechend 47 Prozent plus 10 Prozent Geburtstagsrabatt extra auf Brillenfassungen beim Kauf einer Brille in Ihrer Sehstärke.«

Die 47 war wieder dick und dominant auf der Seite eingestanzt wie der Abdruck eines Brandeisens auf einem Kälbchenpo.

Das Angebot klang attraktiv. Trotzdem löste die in Trauerschwarz gedruckte 47 bei mir keine freudige Erregung aus. 47 – zwei Ziffern ohne besondere symbolische Bedeutung, eine Zahl in der Mitte zwischen 0 und 100, nicht mehr und nicht weniger. Dennoch kam sie mir bedrohlich vor wie ein Menetekel. Denn sie führte mir vor Augen, wo ich in diesem Moment angekommen war: im Niemandsland zwischen neugeborenem Baby und Greis. Es blieb nur noch eine kurze Zeitspanne, dann würde ich über die Klippe der 50 kippen und mich auf die 100 zubewegen. Ich war dabei, durch die Sümpfe des mittleren Alters zu waten.

Mittleres Alter – ein Begriff, der eher nach abgestandenem Bier klingt als nach Sex and Drugs and Rock’n’Roll. Denn wann immer das Adjektiv »mittel« erklingt, schwingen allerlei zweifelhafte Assoziationen mit: Mittelmaß, mittelprächtig, Mittelweg.

Plötzlich hinterlässt vieles, was man früher interessant fand, ein Déjà-vu-Gefühl. In einer Sonntagszeitung liest man zum Beispiel, dass ein Niederländer namens Floris van Bommel eine Schuhmarke neu erfunden hat. Ein Artikel, den man früher zumindest überflogen hätte. Nun registriert man, dass einem das ewige Auf und Ab der Moden und Trends ziemlich gleichgültig geworden ist.

Gut konserviert

Wer wirklich gute Anti-Aging-Tipps bekommen will, sollte 100-Jährige fragen. Denn sie sind glaubwürdige Zeugen für deren Wirksamkeit. »Ich halte mich von Naturkost fern«, bekannte etwa der Schauspieler und Entertainer George Burns, der 1996 im Alter von 100 Jahren gestorben ist. »In meinem Alter kann man alle Konservierungsstoffe brauchen, die man kriegen kann.«

Und, noch schlimmer: In Gesellschaft wesentlich Jüngerer fühlt man sich jetzt öfter, als wäre man per Zufall in die von Premium-Schönheiten bevölkerte Weihnachtsfeier einer Model-Agentur geraten: irgendwie defizitär. Die Angst, man könnte stören, wird zur vertrauten Begleiterin. Man ist ein »Vorgezeichneter«, wie Ingeborg Bachmann es in ihrem Buch »Das 30. Jahr« beschreibt.

Besucht man einen Event, auf dem man zu den älteren Gästen gehört, steht die Frage, ob man sich auch amüsieren wird, nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen geht es den ganzen Abend lang nur noch darum, sein soziales Überleben zu sichern. So geriet ich eines Abends unter junge, hippe Leute im jungen, hippen Münchner Szenelokal Café King. Eine Kollegin feierte ihren 44. Geburtstag. Sie ist einer dieser erstaunlichen Menschen, die es geschafft haben, mit 44 noch jung und hip zu sein. Was sicher auch damit zusammenhängt, dass sie mit vielen Männern und Frauen unter 30 befreundet ist. Ich saß also inmitten von sehr jungen Paaren, versuchte verkrampft, Pointen zu platzieren, damit nicht auffiel, dass ich in dieser Gesellschaft die Gesichtsälteste war. Die anderen Gäste gaben sich Mühe, mich freundlich vom Fremdeln abzulenken. Ich war ihnen sehr dankbar. Doch als ich gegen Mitternacht erleichtert das Lokal verließ, fühlte ich mich – vor lauter Anstrengung, mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen – so erschöpft, als hätte ich acht Runden gegen Wladimir Klitschko geboxt.

Lektion zum Thema Nachhaltigkeit

»Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen«, sagte Martin Luther. Vom Standpunkt mancher junger Leute aus gesehen, wäre das eine ziemlich unsinnige Aktion. Sie betrachten schon weitaus weniger weit in die Zukunft reichende Pläne ihrer Eltern als Verschwendung von Ressourcen. So erklärten zwei Mittfünfziger aus unserem Bekanntenkreis ihrem Sohn, sie würden sich demnächst ein Smartphone zulegen. Erstauntes Stirnrunzeln des 30-jährigen Sprösslings. »In eurem Alter? Aber das lohnt sich doch gar nicht mehr!«

Egal, wie jung wir uns noch fühlen – der Blick der anderen macht uns alt

Jahrelang hatte ich mich in der Sicherheit gesuhlt, ein noch relativ junger Mensch zu sein. Nun sehe ich, dass mir etwas entgleitet, das mir so lange selbstverständlich war: die Jugend. Man fühlt sich noch jung mit 47. Und wird von neutralen Beobachtern doch anders eingeschätzt. Diese Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung und dem Urteil der anderen vergrößert das Unbehagen der Mitglieder im Endvierziger-Club.

Eine 25-jährige Verwandte schaute sich kürzlich in Begleitung einer gleichaltrigen Freundin unsere frisch bezogene Wohnung an. Am Ende des Besichtigungsrundgangs blieb die Freundin bewundernd vor der Bücherwand meines Mannes stehen und seufzte: »Toll! So eine Bibliothek möchte ich auch haben, wenn ich alt bin!«

Älterwerden: Um uns herum beobachten wir jeden Tag Menschen, die mit dieser Aufgabe ringen. Den entschlossenen Gesichtern und sportgestählten Körpern des Modedesigners Giorgio Armani oder des Popstars Madonna sieht man an, wie viel Energie es kostet, dem physischen Verfall Paroli zu bieten. Aber selbst wenn sie es 40 Jahre lang schaffen, die Körper von 20-Jährigen zu konservieren, ahnt man, dass dies keine nachhaltige Lösung für die Herausforderung des Älterwerdens ist.

Andere Prominente wiederum – der Schauspieler Clint Eastwood, der Modedesigner Hubert de Givenchy und die Sängerin Jane Birkin sind drei Beispiele – bewältigen diese Aufgabe scheinbar mühelos. Ihr Geheimnis – und das der vielen souverän Alternden außerhalb des medialen Scheinwerferlichts – zu ergründen, ist Ziel dieses Buchs. Es ist beseelt von der Hoffnung, dass man lernen kann, stilvoll älter zu werden – und inspiriert von dem Verdacht, dass Botox & Co. dabei wenig hilfreich sind.

Stattdessen, so die These, geht es um etwas anderes: So wie der Körper sich verändert, wäre es wünschenswert, dass sich auch die Gedanken und die Einstellung des Menschen anpassen, die er gegenüber den Phänomenen an den Tag legt, die ihm in seiner neuen Lebensphase begegnen. Es kommt darauf an, eine Haltung zu entwickeln, mit der man sich graziös durch die mittleren (und höheren) Jahre bewegt.

Der Club der mittelalten Menschen: ein Verein auf Wachstumskurs

Wann aber ist der Zeitpunkt erreicht, an dem das Älterwerden und die Reflexion über diesen Prozess für den Eben-noch-jung-Gewesenen zu einem unausweichlichen Thema werden? Ein kleiner Test wird Ihnen in wenigen Minuten Klarheit verschaffen.

Kommt Ihnen eines der folgenden Erlebnisse bekannt vor?

Situation eins: Sie treffen sich mit einigen etwa gleichaltrigen Freundinnen in einer Bar oder in einem Restaurant. Der Kellner bringt die Speisen- und Getränkekarte. Plötzlich kramen alle – wie auf Verabredung – ihre Lesebrillen aus den Handtaschen, als handele es sich um eine von einem Kabarettisten erdachte Choreografie.

Situation zwei: Sie registrieren, dass Sie sich die Namen der Hollywood-Blondinen, die nach Cameron Diaz die Szene betraten, nicht mehr einprägen können. Katherine Heigl, Kate Bosworth, Emma Stone oder Hilary Duff – irgendwie sieht die eine wie die andere aus. »Komisch, als ich jung war, konnte ich mir die Gesichter älterer Leute nicht merken«, kommentiert eine Anfang der 60er-Jahre geborene Kollegin dieses Phänomen. »Jetzt geht es mir plötzlich mit den jüngeren Leuten so.«

Situation drei: In der Firma hat ein neuer Praktikant angefangen. In Ihrer Abteilung ist es üblich, sich zu duzen, deshalb sagen Sie: »Herzlich willkommen, ich bin übrigens die X.« Der Neue nimmt es freundlich nickend zur Kenntnis, wird Sie in den folgenden drei Monaten aber weiterhin unbeirrt mit »Sie« anreden. Das tut er nicht etwa aus Unhöflichkeit oder weil er will, dass Sie neben ihm alt aussehen. Er ist es einfach nicht gewohnt, fremden Menschen, die im Alter seiner Eltern sind, mit freundschaftlichem »Du« auf die Schulter zu klopfen.

Situation vier: Eine Freundin erzählt, dass kürzlich einer ihrer Bekannten gestorben sei: Bauchspeicheldrüsen-/Lungen-/Darmkrebs. Im Alter von 30 oder 40 Jahren hätten Sie geistesabwesend kondoliert und wären dann zu einem anderen Thema übergegangen. Das Schicksal des Ihnen unbekannten Mannes hätte Sie nicht weiter interessiert. Jetzt erwacht der Hypochonder in Ihnen, und Sie bombardieren die Freundin mit Fragen: »Wie viel hat er denn so getrunken? Er hat vermutlich stark geraucht/viel rotes Fleisch gegessen? An welchen Anzeichen hat er denn gemerkt, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist?« Noch am selben Abend nehmen Sie sich vor, mal wieder eine Woche zum Heilfasten ins Allgäu zu gehen – und überhaupt asketischer zu leben.

Mindestens drei dieser vier Situationen haben Sie so oder ähnlich schon einmal erlebt? Willkommen in einer sympathischen Schicksalsgemeinschaft, die täglich größer wird: Willkommen im Land der mittelalten Menschen.

Unter Aliens

»Die zieht sich viel zu jung an für ihr Alter«: Eine Bemerkung, die Jüngeren bei der Betrachtung Älterer sehr leicht von den Lippen perlt. Man sollte diesen Satz nicht zu ernst nehmen. Denn folgende Erfahrung bleibt keinem erspart, der an seinem Arbeitsplatz mit wesentlich Jüngeren zusammentrifft: 20-Jährige betrachten ihre 50-jährigen Kollegen wie Fremdlinge von einem anderen Stern. Oft hat man gar den Eindruck, die Mitarbeiter aus der Generation I-Phone sind überrascht, dass der nicht mehr ganz junge Mensch im Zimmer nebenan nicht im Mammutfell, sondern in Jeans vor dem Computer sitzt.

So näherte sich bei einem Hamburger Lifestyle-Magazin eine junge Praktikantin einem etwa 40-jährigen Redakteur mit der Frage: »Sag mal Uli, ich schreibe gerade einen Artikel über Retro-Trends in der Küche und Köstlichkeiten der 50er-Jahre. Da gab es doch diesen Toast Hawaii. Du erinnerst dich sicher noch an die Zeit: Wie schmeckte der denn?«

Der Redakteur, in den 70er-Jahren geboren, ließ sich nichts anmerken. Er schilderte, wie sich beim ersten Biss in die getoastete Weißbrotscheibe der cremige Geschmack der Scheiblette mit dem fruchtig süßen Aroma einer Ananasscheibe vermischt. Seitdem weiß er, was die hübschen Kolleginnen denken, wenn sie ihm mit lässig auf dem Oberkopf zusammengesteckten Chignons auf dem Redaktionsflur entgegenkommen: Für ein Relikt aus dem Pleistozän hat der Mann sich ganz gut gehalten.

WAHRHEITEN,

denen man sich stellen muss

»Die einzig wahre Eleganz ist die im Geiste – wer sie besitzt, für den ergibt sich die äußerliche von selbst.«

Diana Vreeland

Warum die Babyboomer die neue Macht im Land sind – und wie sie diese Macht klug nutzen

Der Schriftsteller Ernst Augustin hat in seiner autobiografisch getönten Erzählung »Generationenvertrag« geschildert, wie der Umgang der jüngeren mit älteren Menschen sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Die Geschichte spielt in den 30er-Jahren. Die Eltern hatten die Hauptfigur, einen vielleicht 10-jährigen Jungen, so erzogen, dass er in Bus und Bahn immer sofort seinen Sitzplatz freigeben musste, sobald sich ein Mensch fortgeschrittenen Alters näherte und kein anderer Platz verfügbar war.

Während einer Bahnfahrt, die über eine weite Distanz führte, stand das Kind einmal stundenlang im Gang. Denn jedes Mal, wenn ein Alter endlich ausstieg, reklamierte sofort der nächste Betagte Anspruch auf den Platz. Der Knabe tröstete sich mit folgender Aussicht: Wäre er in50 Jahren selber alt, müssten die Jungen für ihn aufstehen.

Mit feiner Ironie beschreibt Augustin, dass sich – als die nun gealterte Hauptfigur ihr Guthaben von der Gefälligkeitsbank abheben will – die Regeln verändert haben. Nun rivalisieren die Jungen mit den Alten um die Plätze – mit ausgefahrenen Ellenbogen. Inzwischen erlebt man es sogar öfter, dass ein mittelalter Mensch in der Straßenbahn seinen Platz freiräumt, wenn ein kleines Kind die Szene betritt: »Du möchtest dich doch sicher hinsetzen, nicht wahr?« Auch dieses Verhalten reflektiert die Machtverhältnisse: Die Älteren spüren ihren Status als Deklassierte, die Minderjährigen werden umworben.

Respekt fällt den Älteren nicht mehr automatisch zu. Sie müssen ihn sich verdienen

Jahrzehntelang gab es einen stillschweigenden Konsens darüber, dass älteren Menschen Respekt gebührt und ihnen gewisse Rechte eingeräumt werden. Nicht aufgrund irgendwelcher Verdienste – sondern einfach aus dem Grund, weil sie so alt geworden sind. So gebot es das Senioritätsprinzip. Irgendwann zwischen Mitte und Ende des zweiten Jahrtausends verschwand dieses Prinzip aus der Welt – geräuschlos wie der Hüfthalter und das Wählscheibentelefon.

Lediglich das Bundesverfassungsgericht hält treu an dieser Tradition fest. Als die Richter im September 2012 über den Euro-Rettungsschirm ESM berieten, taten sie dies nach folgendem ritualisierten Ablauf: Zuerst musste der dienstjüngste Richter das Wort ergreifen. Der am längsten dienende Richter redete zuletzt. Für den Vorsitzenden Andreas Voßkuhle hatte das den Vorteil, dass er alle Positionen seiner Kollegen kennenlernen konnte, bevor er sich selbst zu Wort meldete.

»Deine Bildung steht dir gut«

Eine Kollegin berichtet, wie sie auf der Münchner Maximilianstraße von einem sehr teuer und gut angezogenen Businessman derart rüde angerempelt wurde, dass sie fast die Balance verlor. Der Mann entschuldigte sich nicht, das passte ins Bild. Er war gut gekleidet, aber hatte er Stil? Zu dieser Frage hat die Modedesignerin Vivienne Westwood sehr radikale Ansichten. »Mode kann sich jeder mit Geld kaufen. Stil ist die intelligente Abweichung von Normen, die man kennen muss. Deshalb ist Stil ohne Bildung und Erfahrung nicht zu haben«, sagt Westwood. »Zu Stil gehört auch, dass man seine Kleidung und sein Benehmen zur Deckung bringt. Wer vorhat, gegen die Etikette zu verstoßen, sollte sie zuvor studiert haben.«

In den westlichen Gesellschaften gab es bis vor Kurzem nur noch ein weiteres Feld, auf dem das Senioritätsprinzip bis ins dritte Jahrtausend hinein Gültigkeit hatte: den Fußballplatz. In England etwa mussten jüngere Spieler den älteren die Schuhe putzen. Auch in Deutschland war es üblich, dass sich exzellente Jungspieler in der Mannschaft hochdienen mussten, indem sie auf dem Platz den älteren Spielern die Bälle zuspielten. Diese genossen das Privileg, die entscheidenden Spielzüge zu machen und die Tore zu schießen. Bis in die Ära von Berti Vogts hinein war es Brauch, dass sich die Jüngeren auf diese Weise in der Mannschaft nützlich machten.

Diese Übereinkunft entsprach den Zuständen in den meisten Bereichen des Lebens: Die Alten besaßen das Geld, die Expertise und das Herrschaftswissen. Die Jungen richteten sich für eine gewisse Zeit in der Rolle der Lehrlinge ein, die all das erst noch erwerben mussten.

Heute sind die Verhältnisse umgekehrt: Die Jungen sind diejenigen, die in der Gesellschaft das höchste Ansehen genießen. Ein Phänomen, das man auch unter dem Stichwort »Jugendwahn« kennt. Und immer öfter sind die Alten die Lehrlinge, die ohne die Hilfe der Jungen verloren wären.

Das Herrschaftswissen besitzen smarte Jugendliche wie Philipp Riederle. Der Abiturient erklärt Konzernchefs von Firmen wie Aldi, Daimler, BMW und Microsoft, wie die digitale Generation tickt. Mit seiner Firma Phipz Media verdient er vermutlich mehr Geld als manche Führungskraft in der Old Economy.

Überall gibt es inzwischen engagierte jüngere Experten, die Schüler der »Generation Bifokalbrille« bei ihren ersten Schritten in einer ihnen fremden digitalen Welt begleiten. Die Gruppe GamePäd, in der Studenten und Absolventen der Uni Augsburg mitarbeiten, führt Erwachsene in den für sie rätselhaften Kosmos der Computerspiele ein. Dabei kann man dann Szenen wie diese beobachten: Auf einem Workshop von GamePäd versucht ein grauhaariger Lehrling, sein virtuelles Ich durch eine unwirtliche Umgebung zu lotsen. Ein junger Betreuer in einem orangefarbenen Shirt steht hinter dem 60-Jährigen. Dessen Spielfigur wird gerade von einem Feind bedroht. »Wie geht das noch mal mit dem Schießen?«, fragt der Silver Surfer. Aber da ist es schon zu spät: Seine Figur liegt in einer Blutpfütze auf dem Boden. »Jetzt bin ich schon wieder tot«, grummelt der Workshop-Oldie.

Zwei Beispiele, die eines deutlich machen: Das Wissen darüber, wie die Welt funktioniert, ist den Älteren verloren gegangen.

»In den traditionellen, statischen Gesellschaften, die sich nur langsam entwickeln, ist der alte Mensch Träger des kulturellen Erbes der ganzen Gemeinschaft, das er, verglichen mit anderen Mitgliedern, in besonders auffälliger Weise in sich vereint«, schreibt Norberto Bobbio in seinem Essay »De Senectute«. »Der Alte weiß aus Erfahrung, was die anderen noch nicht wissen, und sie müssen von ihm lernen, auf dem Gebiet der Moral ebenso wie auf dem der Gebräuche und der Überlebenstechniken.«

In den entwickelten Gesellschaften dagegen habe der immer stärker beschleunigte Wandel sowohl der Sitten als auch der Künste das Verhältnis zwischen denen, die wissen, und denen, die nicht wissen, umgekehrt: »Der alte Mensch wird immer mehr zu dem, der kein Wissen hat, vergleicht man ihn mit den Jungen, die bereits mehr Wissen haben als er, und nicht zuletzt deshalb mehr wissen können, weil sie über eine größere Lernfähigkeit verfügen.«

Respekt fällt den Älteren nicht – wie noch vor 100 Jahren – automatisch zu. Sie müssen ihn sich verdienen.

Die Eleganz des Geistes

Die New Yorkerin Carmen Dell’Orefice wird als dienstältestes Supermodel gefeiert. Die inzwischen über 80-Jährige steht seit mehr als 60 Jahren vor der Kamera und bekennt sich freimütig dazu, ihre Falten gelegentlich mit Silikon aufspritzen zu lassen. Für Menschen, die gut altern wollen, seien allerdings andere Qualitäten wichtiger als eine glatte Haut: »Man muss aufmerksam sein und nachdenklich. Das Denken ist ein Vergnügen und eine herrliche Form von Freiheit.«

Sich darüber Gedanken zu machen, auf welche Weise dies gelingen kann, wird eine unserer größten Herausforderungen sein. Denn schon bald rücken die Angehörigen der übermächtigen Babyboomer-Generation ins höhere Alter vor. An der Uni konkurrierten sie untereinander um Sitzplätze. Später, am Arbeitsmarkt, um interessante Jobs. Wie eine Welle schieben sie sich durch die Zeit und lösen dabei verschiedene Phasen und Moden aus. Sie sind eine Wirtschaftsmacht, die allein durch ihre Masse die Gesellschaft prägt.

»Seit Mitte der 80er-Jahre haben die geburtenstarken Jahrgänge in den USA zum Beispiel über ein Drittel der Bevölkerung gestellt«, schreibt der Wirtschaftsprofessor Max Otte, selbst Mitglied in dieser Alterskohorte. »In den 50er-Jahren sorgten sie für einen Boom bei der Babynahrung, in den 80er- und 90er-Jahren für einen Konsumboom.«

Oldies but Goldies: Warum die Middle-Agers die Krone der Schöpfung sind

Jetzt ist es der Job der Babyboomer, den nachfolgenden Generationen vorzumachen, wie man in Würde älter wird. Glaubt man dem Zoologen und Cambridge-Forscher David Bainbridge, dann gibt es keine andere gesellschaftliche Gruppe, die für diese Aufgabe so gut qualifiziert ist wie sie. Bainbridge hat die Middle-Agers untersucht und resümiert: Mehr als alle anderen Altersgruppen hat diese die Menschheit in den Jahrtausenden ihrer Entwicklung am erfolgreichsten vorangebracht.

»Der Grund, warum die Natur für uns Menschen diese Middle-Agers entwickelt hat, liegt darin, dass unsere Gesellschaft so komplex ist«, sagt Bainbridge. »Wir tun komplizierte Dinge, um Ressourcen zu gewinnen. Unsere Welt ist so schwierig, dass unsere Instinkte uns nicht weiterhelfen. Wir müssen viel nachdenken und außergewöhnlich viel lernen. Deshalb dauert es so lange, bis wir erwachsen sind. Und danach dauert es mindestens genauso lange, um uns zu spezialisieren, um richtig gut darin zu werden, was wir tun. Der Erfolg der Menschheit, die gesamte Kultur von Homo sapiens ist auf Information und Komplexität gegründet. Das funktioniert nur, wenn der Mensch ab Mitte 40 nicht mehr damit beschäftigt ist, Kinder zu bekommen – und sich stattdessen darauf konzentrieren kann, richtig gut darin zu werden, was den Menschen ausmacht.«

Körperlich fit und intellektuell auf dem Höhepunkt, machen sich die Middle-Ager bereit, die geistige Führung der Gesellschaft zu übernehmen.

Das Geheimnis geistigen Chics: sich selbst und andere gut aussehen lassen

Was für eine Art von geistiger Führung könnte es sein, die die Middle-Ager ausüben? Dabei geht es sicher nicht darum, seine eigene Grandiosität in die Welt hinauszutrompeten und darauf zu warten, dass sie applaudiert. Besser wäre es, den anderen eine Form von geistigem Chic vorzuleben, der so unwiderstehlich ist, dass jeder ihn kopieren will.

Wie eine solche graziöse Haltung aussehen könnte? Inspiration liefern andere Menschen, aber auch die Literatur. Etwa die Erzählung »Abschied von Montparnasse« des Schriftstellers Ralf Rothmann. Darin beobachtet eine junge Frau einen älteren Mann, der sich im Café an einen Tisch in ihrer Nähe setzt. Er erscheint ihr interessant und kommt ihr bekannt vor, deshalb nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und spricht ihn an: »Entschuldigung? Ich kenne Sie!« Als er die ihm Unbekannte anblickt, fügt sie hinzu: »Aus einem Traum …« Im gleichen Augenblick kommen ihr ihre Worte unendlich peinlich vor. Nach einem kurzen Moment der Irritation antwortet der Mann: »Ja! Ich erinnere mich …« So rettet er sie beide elegant aus einer Situation, in der die Frau sonst wie ein leicht verwirrter Sonderling dagestanden hätte.

»Kröne dich selbst, sonst krönt dich keiner«, empfiehlt die Schriftstellerin Felicitas Hoppe in ihrem Roman über Jeanne d’Arc.

Der Spruch hat Charme. Wer die Kunst beherrscht, sich selbst und andere gut aussehen zu lassen, erweist sich als Geistesaristokrat und wird in allen Lebensaltern viele Freunde gewinnen. Er braucht sich dann nicht einmal zu grämen, wenn er aus dem Middle Age in das Senior Age weiterbefördert wird. Denn sogar das bringt Annehmlichkeiten mit sich, von denen man als junger Mensch gar nichts ahnt: »Jung zu sein, ist in unserem Job ein Desaster«, sagt der 75-jährige englische Dirigent Roger Norrington. »Du hast eine schöne Zeit, aber du wirst nur bedingt ernst genommen.«

Die Strickjacke als geistige Lebensform

In den späten Nullerjahren des neuen Jahrtausends entdeckten sehr junge Trendsetter ihre Vorliebe für ein Accessoire, mit dem ihre Eltern wenig anfangen können: die Strickjacke. Allerdings firmiert sie neuerdings unter der zeitgeist-affinen Bezeichnung Cardigan. »Seltsam, dass die Kinder heute so scharf auf Strickjacken sind«, sagte der irritierte Vater eines Abiturienten. »Ich selbst würde mich nie in so einer Jacke sehen lassen. Denn mir kommen dabei auf ewig Assoziationen wie ›Helmut Kohl‹ und ›Wolfgangsee‹.«

»Und dazu tragen sie diese seltsamen Schlafmützen aus Wolle auf dem Kopf«, amüsierte sich eine Frau aus der Runde. »Das klassische Accessoire des deutschen Michels. Ist Biedermeier jetzt das neue Cool?«

»Was haben wir denn in dem Alter angezogen?«, versucht sich ein weiterer Gesprächspartner zu erinnern. »Kampfjacken, Lederjacken, Cowboystiefel und Armeeparkas«, sagt der Teenager-Vater. »Wir trugen eine Rüstung. Denn unsere Eltern hatten uns erzählt: Zieht euch warm an, das Leben ist hart.«

»Was wäre demnach die Botschaft des Wollmützen-Looks?«, überlegt die Frau. Und gibt sich die Antwort gleich selbst: »Sie lautet: Ich will es wuschelig weich haben. Vermutlich haben wir unsere Kinder zu sehr verwöhnt. Deshalb tragen sie bis ins Erwachsenenalter hinein Babyklamotten.«

Was man von den Jungen über das Leben lernen kann

Vor ein paar Jahren lud die Kristallfirma Swarovski Journalisten zu einer Veranstaltung namens »Fashion Rocks« ein. Dieser Event, der alle zwei Jahre in einer anderen Metropole stattfindet, ist eine Art glamouröser Betriebsausflug für Weltstars aus den Bereichen Schauspiel, Pop und Mode – vom Topmodel Claudia Schiffer über den exzentrischen Musiker Iggy Pop bis zur Designerin Donatella Versace waren alle da.

Während auf der Bühne verschiedene Entertainer das Publikum unterhielten, lief im Hintergrund auf einer überdimensionalen Videoleinwand ein Film, der die meiste Zeit das gleiche Bild zeigte: Man sah den Innenraum einer Stretchlimousine. Auf deren Rücksitz saß eine junge, unglaublich dicke Frau, die mit amerikanischem Akzent Kommentare zu den unterschiedlichsten Themen abgab.

Nichts an ihr entsprach dem üblichen Bild einer Mainstream-Schönheit: weder die nach landläufigen Maßstäben viel zu üppige Figur, noch die Frisur – eine Art Kinderschnitt mit kurzem Pony. Auch ihr zu fülliges Gesicht und die Art, wie sie sich ihrem Publikum präsentierte, dokumentierten ihren Status als Ausnahmeerscheinung. Sie gab sich keine Mühe, sich den Zuschauern anzubiedern, sondern schien ganz sie selbst und mit sich im Reinen zu sein.

Am Ende der mehrere Stunden dauernden Show trat sie auf die Bühne. Als letzte von vielen Laudatorinnen und Laudatoren verlieh sie den wichtigsten Preis: eine Auszeichnung für den jungen Designer Christopher Kane, der gerade als Ausnahmetalent im Modebusiness entdeckt worden war. Danach wurde das Licht heruntergedimmt, und sie fegte wie ein Kugelblitz über die Bühne, zog mit ihrer Soulstimme alle Anwesenden in ihren Bann. Dabei schüttelte sie ihren Körper, sodass jeder Quadratzentimeter Fett in heftige Vibrationen geriet. Es war die Punksängerin Beth Ditto, damals noch ein Geheimtipp unter Musikkennern, inzwischen mit ihrer Band Gossip weltweit berühmt.

Ich kannte damals nicht mal ihren Namen, aber selten im Leben fühlte ich mich so befreit wie nach diesem Konzert. Dieses Gefühl hatte eine andere Qualität als die übliche Hochstimmung, die einen nach Konzerten und anderen Kunsterlebnissen oft befällt. Irgendetwas war im Lauf des Abends mit meinem Bewusstsein passiert. Als Kind der 60er-Jahre war ich – wie wahrscheinlich viele Angehörige der Nachkriegsgeneration – mit zahlreichen Konformitäts-Postulaten aufgewachsen. Sie lauteten etwa: »Wenn man dick ist, muss man seine Formen kaschieren«, oder: »Wer sich zu sehr von der Norm abhebt, wird zum Außenseiter.« Der Auftritt Beth Dittos machte mir bewusst, mit was für fragwürdigen Glaubenssätzen man mich bombardiert hatte. Und wie befreiend es ist, sie über Bord zu werfen.

Methusalem, verzweifelt gesucht

Wenn 50 das neue 30 ist, dann müsste 80 folgerichtig das neue 60 sein. Ist da was dran? Wer Janna Schultz, die Geschäftsführerin der in Berlin-Kreuzberg ansässigen Agentur Extras besucht, erhält interessante Argumente zur Bestätigung dieser These. Schultz vermittelt Komparsen für Filmproduktionen. Dabei hat sie folgende Erfahrung gemacht: »Mich interessiert nur das optische Alter, nicht das biologische«, sagt sie. »Wenn eine Produktion einen Opa sucht, dann schlage ich lieber den 80-Jährigen vor, weil ein 60-Jähriger heutzutage nicht mehr dem Bild eines Bilderbuchopas entspricht.«

Frau in Grau: ein Phänotyp ohne Zukunft

Ein in vielen Köpfen verankertes Konzept in Bezug auf das Älterwerden ist etwa das folgende: »Sich auffällig zurechtzumachen ist ein Privileg der Jugend. Wer Stil hat, nimmt sich mit zunehmendem Alter auch optisch zurück.« Wozu diese Haltung in letzter Konsequenz führt, hat der Journalist Henning Sußebach in seinem in der Zeit veröffentlichten Artikel »Modell Pudel – Frau in Grau« glasklar beschrieben: »Hierzulande scheinen fast alle Frauen ab 60 die gleiche Frisur zu haben. Man kennt das ja. Autobahnraststätte Garbsen bei Hannover. Ein Reisebus rollt an. Der Fahrer öffnet die Tür, und heraus steigen ältere Damen, die sich ähneln wie eine Rentnerin der anderen.«

Schuld an diesem Eindruck, so Sußebach, sei vor allem ein bestimmter Typ von Frisur, der das Satiremagazin Titanic den Namen »Silberzwiebel« gab: ein grauer, dauergewellter Einheitsschnitt, bei dem sich das Haar wie ein Bausch Zuckerwatte um den Kopf legt. »Wie konnte es so weit kommen?«, fragt Sußebach. »In diesem freiheitlich und individuell geprägten Land, in dem mancher sein ganzes postpubertäres Leben in dem Wahn verbringt, sich in der hipperen Jeans zu zeigen, ein teureres Auto zu fahren als der Nachbar, hier also ziehen sich ganze Generationskohorten bei Überschreiten einer unsichtbaren Alterslinie zurück in Gleichheit und Verwechselbarkeit.«

Der von Sußebach befragte Frisurenforscher Christian Janecke, ehemaliger Inhaber der Wella Stiftungsdozentur für Mode und Ästhetik an der TH Darmstadt, hat dazu eine interessante These entwickelt: Der typisch deutsche Angleichungswahn bis hin zu den heutigen Großmutterfrisuren habe seinen Ursprung in der Abscheu gegenüber dem verschwenderischen Adel, den gepuderten Fürsten mit ihren Plateauschuhen und Perücken. In protestantischen und calvinistischen Milieus kam die Vorstellung auf, dass Mode nur eine Sünde der Jugend und der Frau sein darf. Mit dem Alter sollte die Frau sich sittsam zurücknehmen. Das tue sie mit dieser Frisur.

»Das Äußere ist für uns immer noch behaftet mit Vorstellungen von etwas Niedrigem.« So erklärt auch der Attraktivitätsforscher Ulrich Renz die verdruckste Einstellung zum eigenen Körper, die man in manchen gesellschaftlichen Gruppen immer noch beobachten kann. »Das sind Reste von christlichen Mentalitätsmustern. Der Körper ist nichts wert, das Äußerliche verstellt den Weg zum Heil. Und natürlich sagt fast jeder: Für mich zählen nur innere Werte.«

Wer seine äußeren Werte sichtbar machen und seine Persönlichkeit zum Strahlen bringen will, muss die Konformistin in sich zum Schweigen bringen und die Rebellin herauslassen. Das war die befreiende Erkenntnis, die mir nach dem Auftritt Beth Dittos dämmerte. Eine Weisheit, die Jüngere längst für sich entdeckt haben. In einem Interview mit Elle berichtete etwa die 1968 geborene Schauspielerin Naomi Watts über die Demütigungen, die sie in Hollywood erlitten hatte, bevor für sie mit 30 der Durchbruch kam. »Ein Großteil meines Lebens bestand aus Ablehnung durch Agenten, Produzenten, Regisseure: Du bist zu groß, zu klein, zu blond, zu dunkelhaarig. Und das sind noch die netten Kommentare. Die Castingleute erzählen dir auch, du seist zu neurotisch, nicht lustig oder nicht sexy genug. Ich wollte es allen recht machen und habe mich selbst dabei verloren. Ich konnte meine persönlichen Qualitäten gar nicht präsentieren, weil ich immer versuchte, eine andere zu sein.«

Worum es aber im Leben geht – das hat man nach einer ausgedehnten Phase der Anbiederung an Peer Groups der unterschiedlichsten Art spätestens ab 40 verstanden –, ist Folgendes: Es geht darum, die bestmögliche Ausgabe seiner selbst zu werden. Dabei werden wir feststellen, dass gerade die Unzulänglichkeiten, mit denen wir im Leben oft gehadert haben, Ressourcen sind, die uns helfen, Profil und Konturen zu gewinnen.

Verkehrte Welt

Auf dem 50. Geburtstag eines Freundes komme ich am Buffet mit einer gleichaltrigen Bekannten ins Gespräch. Ich trage zur Bluse eine Röhrenjeans im Destroyed-Look mit ein paar deutlich sichtbaren, wenn auch unterfütterten Löchern. Eine Neuerwerbung von GAP aus New York. Nach einem kurzen Gespräch stellt sich der 15-jährige Sohn der Bekannten zu uns. Ein netter Junge mit perfekt sitzendem Business-Anzug und exakt gescheitelter Frisur. Augenblicklich erfasst mich ein Unbehagen, gepaart mit einem Hauch von Scham. Der Knabe beurteilt meine Kleidung weder mit Worten noch mit Blicken. Trotzdem habe ich das Gefühl, seine Eleganz ist ein subtiler Kommentar zu meinem Lässig-Look, der aus seiner Sicht für eine Frau im Alter seiner Mutter deplatziert ist.

Der Stoff, aus dem die Starqualitäten sind: Wie Niederlagen uns helfen, unser Profil zu schärfen

In seinem Buch »Wie man einen verdammt guten Roman schreibt« definierte der Autor James N. Frey vor mehr als 20 Jahren Techniken, mit denen man als Autor interessante literarische Figuren kreiert.

Erstens: Die Handlung jeder Geschichte wird dadurch spannend, dass die Figur möglichst viele Hindernisse überwinden muss.

Zweitens: Ein guter Autor erfüllt niemals alle Erwartungen, die der Leser an seine Hauptfigur hat. Dunkle Seiten, ungelöste Konflikte und überraschende Facetten machen die Figur lebendig und lebensnah.

Drittens: Je mehr emotionale Hochs und Tiefs die Hauptfigur durchlitten hat, desto mehr wird der Leser von ihr fasziniert sein.