Endlich schwanger - Ann Brondhem - E-Book

Endlich schwanger E-Book

Ann Brondhem

4,4
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die große Liebe. Den Mann fürs Leben. Hochzeit und Kinder – und einen Hund. Lena will alles! Und mit 30 ist sie doch genau im richtigen Alter dafür. Findet Lena jedenfalls. Und ihre Mutter auch: "Ich wünsche mir endlich Enkelkinder von euch." Schade nur, dass ihr Traummann Chris vom Heiraten und Kinderkriegen so gar nichts wissen will. Streit, Tränen, Trennung... das war es dann wohl mit dem "großen Glück". Doch so schnell gibt Lena nicht auf und kämpft weiter um ihren Traum. Wie gut, dass sie Freundinnen hat, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen. "Also statistisch gesehen ist die Chance, schwanger zu werden, beim Verkehr mit einem 20jährigen drei- bis viermal größer als bei einem Mann so 30 plus", sagte Johanna, "statistisch gesehen." - "Ich frag misch ja immer, wie die sowat eigentlich ermitteln", meinte Josi. - "Na. Statistisch halt", sagte Johanna, "wie denn sonst?" - "Ja, klar. Aber wie?", fragte Josi, "halten die da ein Becherglas drunter, oder wie?" - "Äh. Also da bin ich jetzt im Moment überfragt." OK, vielleicht sind die Mädels einem jetzt auch nicht unbedingt immer eine große Hilfe...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 444

Bewertungen
4,4 (14 Bewertungen)
8
4
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Ann Brondhem

Endlich schwanger

Ein Liebesroman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Paris, je t'aime...

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Zeit Danke zu sagen:

Ann Brondhem online...

Impressum neobooks

Paris, je t'aime...

FLUCTUAT NEC MERGITUR

Sie schwankt, aber sie geht nicht unter

"Liebst du mich?" Pause Pause Pause.

"Ja." Kuss. Pause Pause Pause. "Klar. Ich liebe dich wahnsinnig, kleine Prinzessin." Und noch mehr Küsse. Und der ganze Rest.

Der perfekte Moment, einfach so absolut ouuuh! Du bist mit deinem Traummann im Bett, nackt, verschmiert, ein bisschen verschwitzt und völlig zerzaust. Du kuschelst dich an seinen Hals, er hält dich fest im Arm und flüstert dir zärtlichen Schwein­kram ins Ohr. Und ihr seid in Paris, deiner Traumstadt der Liebe. Das vollkommene Glück in einem klitzekleinen Hotelzimmer. Toujours l'amour!

Guter Sex kann ein Mädchen unglücklich machen, ich weiß, aber woher hätte ich wissen sollen, dass Chris mich in dem Augenblick anlügt?

Aber das ist jetzt alles schon ziemlich lange her. Und auf'ne Art habe ich ihm auch längst verziehen. Er ist nun mal die große Liebe meines Lebens. Das war er von Anfang an, und das ist er auf'ne Art eben auch immer noch.

1

"Gibt's was Schöneres, als die eigene Hochzeit zu planen?"

Es scheint zumindest bei uns Frauen allgemein Konsens zu sein, dass es auf Gottes weiter Welt nichts Schöneres gibt für ein Mädchen, als die eigene Hochzeit vorzubereiten. Jedenfalls sagen das immer alle, alle Mädels, die ich kenne, jedenfalls, die verheirateten genauso wie die unverheirateten, erstaunlicherweise. Lexa hat es schon gesagt, Clara und Tessa, die Mädels hier aus Kiel und die aus Hamburg, alle meine Freundinnen und Kolleginnen. Meine Mutter natürlich sowieso. Sogar Sonia hat sich schon dementsprechend geäußert, wo du bei ihr ja eigentlich immer denken würdest, dass sie mit Heiraten undsoweiter nun so überhaupt gar nichts am Hut hat. Aber so kann man sich täuschen!

Und natürlich sagt Gini es auch. Und zwar ständig. So wie jetzt gerade eben wieder am Telefon, als sie anrief, um über irgendein "extremst wichtiges Planungsdetail" zu diskutieren, schon das dritte Mal. Heute wohlgemerkt! Und ich das eigentlich immer so lustig finde, dass nun ausgerechnet Gini das sagt, wo bei ihrer eigenen Hochzeit doch so ziemlich alles schiefgelaufen ist, was schieflaufen kann. Trotzdem wird Gini nicht müde, es immer gebetsmühlenartig zu wiederholen. Gern auch mit einem kleinen Seufzer.

"Ach, gibt es etwas Schöneres, als die eigene Hochzeit zu planen?"

Es ist natürlich nur eine rhetorische Frage, und die rhetorische Antwort darauf lautet Nein, es gibt nichts Schöneres. Aber in Wirklichkeit sollst du gar nicht darauf antworten. Eigentlich ist es eine Aussage, die sich nur als Frage tarnt. Und wer weiß, vielleicht wollen die Mädels mich ja damit auch einfach nur ein bisschen aufmuntern.

Ich würde nämlich im Moment immer am liebsten ganz laut rausschreien: Ja ja ja, auf jeden Fall gibt's was Schöneres! Ich finde es ehrlich gesagt gerade einfach nur schrecklich. Oder jedenfalls meistens, so dieses ganze Grobplanung, Feinplanung, Zeitplanung. Termine machen ändern koordinieren. Die Klamottenfrage. Standesamt. Einladungskarten. Kirche, Predigt, Blumenschmuck, Blumenstreuen, Brautstrauß. Fotograf. Essen, Probeessen ja oder nein. Torte, Musik Übernachtungen undsoweiter undsoweiter. AAAAAARRRRRRH!!!

Hochzeitsplanung kommt mir echt manchmal so vor wie eine Mischung aus Sudoku, Strategiespiel und logischer Knobelaufgabe, und das sind drei Dinge, die ganz ganz weit oben stehen würden auf meiner imaginären Liste von Freizeitbeschäftigungen, die ich absolut nicht ausstehen kann. Wahrscheinlich bin ich da einfach anders gestrickt als die meisten Mädels. OK, manchmal finde ich es auch ganz schön, klar, und natürlich ist dieses ganze Planungschaos ja auch nur die unangenehme Seite bei den Hochzeitsvorbereitungen. Es gibt dabei bestimmt auch immer wieder ganz schöne Momente, auch wenn mir ehrlich gesagt jetzt gerade keiner einfällt. Aber wahrscheinlich bin ich einfach nur total gestresst. Es sind ja auch nur noch vier Wochen. Und ich ja nun mal einfach die totale Perfektionistin bin. Wir hatten zu Anfang sogar kurzzeitig mal überlegt, ob wir nicht einfach eine professionelle Hochzeitsplanerin beauftragen sollten. Nicht so ganz ernsthaft, ehrlich gesagt, weil ich ja auch eher immer so der totale Kontroll-Freak bin, der nicht gut was aus der Hand geben kann. Und ich mich deswegen dann auch dagegen entschieden hatte. Und wegen der Kosten natürlich auch. In den letzten Wochen hätte ich mir jetzt allerdings schon manchmal sowas gewünscht wie Franck den Hochzeitsplaner, jemand, der mir das alles abnimmt. Es ist einfach Turbo-Stress.

Vielleicht sollte ich das alles einfach mit mehr Ruhe angehen. Heitere Gelassenheit, meint Lexa immer. Zumal es hinterher ja bestimmt auch so sein wird, dass alles ganz hervorragend klappt. Tut's das nicht irgendwie immer? Und du im Rückblick dann ja sowieso immer nur die schönen Seiten siehst bei deiner Hochzeit, glaube ich. Hoffe ich. Weil in der Erinnerung verklärt sich ja doch immer alles. Wie bei Gini.

Und bis dahin ist es eben einfach noch total viel Aufregung. Und unendlich viel Arbeit.

Das ganze ist für mich sowieso immer noch völlig unfassbar: Ich werde heiraten, und ich bekomme ein Kind. Mein Kind! OK, unser Kind. Wir wollen ihn Ernst nennen. Wir haben jetzt schon so oft Ernst gesagt, wenn wir über die Schwangerschaft und das Kind der Zukunft gesprochen haben, da geht es ja eigentlich schon fast gar nicht mehr anders. Sowas verselbständigt sich dann ja auch.

Dass ich heiraten würde und Kinder haben, irgendwann mal, war für mich auf'ne Art natürlich eigentlich schon immer klar. Völlig selbstverständlich. Schon als Kiddie. Mit 12 habe ich gedacht, ich würde auf jeden Fall mal einen Feuerwehrmann heiraten. Feuerwehrmänner waren die absoluten Helden. Als damals bei uns zuhause der Dachstuhl brannte, hatte mich ein junger Feuerwehrmann mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und hinausgetragen. Und seitdem war ich Feuerwehrmann-Fan. Absolut.

In meiner Partnerwahl schlug sich das später allerdings nicht nieder. Ich hatte noch nie etwas mit einem Feuerwehrmann, also nicht dass ich wüsste jedenfalls. Obwohl ich schon immer noch irgendwie Fan bin und ihnen auch immer noch hinterhergucke, wenn sie mit Tatütata in ihrem großen roten Auto durch die Stadt jagen. Und wenn Ernst alt genug ist, werde ich ihm bestimmt auch ein Feuerwehrauto schenken, und dann können wir zusammen damit spielen.

Das Heiraten-Kinder-Projekt hatte ich zwischenzeitlich auch lange aus den Augen verloren. Bis zu dem Moment, als ich Chris traf. Er war zwar kein Feuerwehrmann, aber Chris war der erste Mann, bei dem ich dieses ganz bestimmte Gefühl hatte: Der ist es! Wo für mich einfach klar war, er ist der Mann, den ich heiraten will. Und Kinder haben natürlich, klar. Das auch.

Im Nachhinein würde ich immer sagen, dass es schon von Anfang an so war. Aber das wäre wahrscheinlich auch eine Verklärung der Vergangenheit, weil tatsächlich hat es schon ein paar Monate gedauert, ehe ich das so ganz richtig realisiert habe. Und das war dann in Paris, und insofern waren unsere vier gemeinsamen Tage in Paris damals auch so total wichtig. Wichtig für uns, wichtig für unsere Beziehung. Der Ort und die Stunde, wo alles begann. J'aime Paris au mois de mai, das allein klingt doch schon nach totalem Zauber. Es war mein 29. Geburtstag, und ich war in Paris mit dem Mann, in den ich bis über beide Ohren verliebt war. Und da wusste ich es plötzlich einfach: Das ist der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will. Die große Liebe meines Lebens. My one and only. Chris.

Paris war der entscheidende Wendepunkt für unsere Beziehung, das schon, aber Paris war nicht der Anfang unserer Geschichte. Kennengelernt hatten wir uns schon knapp fünf Monate früher. Chris war kurz vorher nach Hamburg gezogen und der neue Mitbewohner meiner Freundin Tessa. Und ich war an dem Wochenende in Hamburg, weil ich eine Wohnung suchte oder zumindest ein WG-Zimmer, ich hatte ja ab Februar meine erste Stelle in der Klinik, hatte also praktisch gerade noch knapp vier Wochen Zeit, um meinen Wechsel von Kiel nach Hamburg auf die Reihe zu kriegen, inklusive Wohnungssuche und Umzug.

Ich hatte ehrlich gesagt ursprünglich natürlich darauf spekuliert, dass ich erstmal bei Tessa einziehen kann, bis ich was gefunden hatte. Oder vielleicht sogar auf Dauer mit ihr zusammenwohnen kann. Aber dann war eben keine sechs Wochen vorher dieser Typ bei ihr eingezogen, mit einem Untermietvertrag für zunächst ein halbes Jahr. Und damit war unser Zusammenleben natürlich keine Option mehr.

"Ach ist das blöd!" Ich war echt ziemlich genervt. "Ich mein, das wär doch supergeil gewesen, wenn wir beide wieder zusammenwohnen würden."

"Ja, das wäre allerdings supergeil gewesen", sagte Tessa. "Aber das konnte ja kein Mensch wissen, dass unsere kleine Lena nun ausgerechnet nach Hamburg kommen würde."

"Hm! Auch wieder wahr", sagte ich, so leicht missmutig. Ein halbes Jahr vorher hatte ich meine Zukunft noch mit Daniel geplant. Aber das war ja inzwischen Geschichte.

Ich kannte Tessa schon ewig, schon aus Marburg, wo wir zusammen Philosophie studiert und in einer WG gewohnt hatten, bevor ich dann zur Medizin und nach Kiel gewechselt war. Tessa war inzwischen eine richtige Hardcore-Travellerin geworden und mindestens sechs Monate im Jahr unterwegs. Sie hatte sogar ihre Assi-Stelle an der Uni geschmissen, um mehr Zeit zum Reisen zu haben, und seitdem jobbte sie nur noch, um das Geld zusammenzukriegen, das sie brauchte, um wieder auf Reisen gehen zu können. Deswegen ja auch die Untervermietungen, damit sie ihre fixen Kosten niedrig halten konnte.

"Und? Was ist das für einer, dein neuer Mitbewohner?", erkundigte ich mich, immer noch so leicht genervt.

"Irgendwie so ein Computer-Nerd", meinte Tessa, und wir verdrehten beide gleichzeitig die Augen.

"Scheiße!", sagte ich lachend, und Tessa musste auch lachen, natürlich.

"Aber es ist ganz okay mit ihm."

"Was heißt okay?", fragte ich. "Geht so okay oder okay okay?"

"Okay okay", meinte Tessa, "oder eigentlich sogar sehr okay, wir kommen echt gut miteinander klar."

"Aha! Und? Hast du schon was mit ihm?", fragte ich streng, weil wer Tessa kannte wusste, bei ihr konnte man nie wissen.

"Um gotteswillen, nein!" Tessa lachte. "Er ist wirklich überhaupt nicht mein Typ. Er ist total nett, echt so total angenehm, als Mitbewohner jetzt, aber anson­sten ist er wirklich überhaupt gar nicht mein Typ."

"Und sieht er denn wenigstens gut aus?"

"Nö!" sagte Tessa, und das kam echt so wie aus der Pistole geschossen, wir mussten uns beide erstmal ein bisschen wegkugeln vor Lachen.

"Was heißt schon gut aussehen?" Tessa konnte kaum sprechen, weil wir beide so rumgackerten, dass sie kaum Luft kriegte. "Er sieht halt irgendwie aus. Einfach so, so mittel eben."

"Doofer nerdiger Nerd", meinte ich schmollend und machte ein bisschen auf eingeschnappt, was allerdings ehrlich gesagt auch nur halb gespielt war, weil ich war natürlich schon ein bisschen gefrustet, dass nun ausgerechnet dieser dämliche Nerd mir mein Zimmer so knapp vor der Nase weggeschnappt hatte.

Aber da kannte ich Chris ja auch noch nicht. Im Nachhinein fand ich es natürlich supergut, dass nun ausgerechnet er bei Tessa eingezogen war, weil wir uns sonst ja wahrscheinlich nie im Leben begegnet wären. Und so passierte es dann eben gleich noch am selben Abend. Unsere erste Begegnung!

Tessa und ich hatten zusammen gekocht, schön gegessen, und danach saßen wir noch in der Küche am unabgeräumten Tisch, tranken Rotwein, rauchten und quatschten. Tessa quetschte mich über meine Südostasienreise aus, und ich ließ mich bereitwillig von ihr ausquetschen, schließlich war diese Reise mein großes Abenteuer, meine kleine Weltreise, die mir meine Eltern zum Hammerexamen geschenkt hatten. Fünf Monate Thailand, Laos und Vietnam, zusammen mit Lexa, unserer ehemaligen Mitbewohnerin und gemeinsamen Freundin aus Marburg.

"Wie lange seid ihr denn jetzt eigentlich schon wieder zurück?", fragte Tessa.

"Seit ungefähr vier Wochen. Also ich, seit vier Wochen. Weil Lexa ist ja immer noch unten. Sie ist gerade in Indien, soweit ich weiß."

"Echt? Hat sie da ihren Guru gefunden oder was?"

"Nee, nee nee! Also keine Ahnung, ich glaub nicht. Wir hatten uns ja schon gleich zu Anfang getrennt."

"Nein!"

"Doch! Weil Lexa sich dann..."

"Und ich dachte, ihr wart die ganze Zeit zusammen unterwegs."

"Ja nee, das war der Plan, aber dann kam eben einfach alles ganz anders."

"Weil ihr euch verzankt habt."

"Nee, gar nicht. Also nicht wirklich, es war nur so, dass Lexa… Ach, die ersten zwei drei Wochen waren schon der absolute Horror. Alptraumartig! Das ging eben wie gesagt schon damit los, dass ich, kaum dass wir in Bangkok waren, diese Mail von Daniel kriegte, dass er Schluss macht."

"So ein Arsch! Per Mail!"

"Das kannste laut sagen."

"So ein Arsch!", sagte Tessa laut.

"Naja, das war natürlich schon mal das erste! Und da'ann, 14 Tage später, auf Koh Lanta, ging mir dann auch noch meine Reisegefährtin verloren."

"Nein!"

"Weil Lexa hatte sich unsterblich verliebt und wollte lieber mit Pierre weiterreisen." Ich verpasste den Wörtern unsterblich und Pierre jeweils Anführungs­zeichen mit meinen Zeigefingern.

"Wer hätte das gedacht", stellte Tessa trocken fest.

"Ja, genau. Wer hätte das gedacht."

"Wahrscheinlich jeder", grinste Tessa. "Ich mein, wir kennen doch Lexa."

"Also Pierre, Pierre war zwar Franzose, aber ansonsten genau so ein Arsch wie Daniel. Nur dass er eben nicht per Mail Schluss gemacht hat, sondern ganz klassisch. Er ließ seine Freundin einfach so mir nichts, dir nichts sitzen, mitten in Thailand, und fuhr mit Lexa weiter."

"Ça arrive", meinte Tessa. "Shit happens."

"Und so lernte ich Cécile kennen, Pierres Freundin. Oder seine Ex dann ja eigentlich. Wir standen beide mit einem Mal ganz allein da, und da haben wir uns dann einfach zusammengetan und sind ab da dann zusammen weitergereist. Cécile ging es die ersten paar Tagen natürlich noch ziemlich schlecht, also wegen Pierre und der krassen Trennung undsoweiter. Weil die beiden waren eigentlich auf dem Weg nach Tahiti, wo sie in einem Meeresforschungsprojekt arbeiten wollten, Cécile ist Ozeanographin, und das stand dann natürlich alles erstmal auf dem Spiel."

"Scheiße!", sagte Tessa und zündete sich eine Zigarette an.

"Ich auch", sagte ich und streckte die Hände nach ihrer Zigarette aus. "Und Wein will ich auch noch!" Tessa schnippste mir ihre Zigarettenschachtel herüber, und während ich mir eine anzündete, ging sie zum Kühlschrank, holte die Flasche heraus, die schon wieder fast leer war, und schenkte uns nach.

"Zimmertemperatur", sagte sie grinsend.

"Danke! Also. Cécile hat also ganz viel geheult die erste Zeit, ich war auch meistens schlecht drauf, wegen Daniel und so, Trennung, hu hu hu, alles so voll schlimm undsoweiter. Und da haben wir uns dann immer gegenseitig so ein bisschen getröstet, Ah, scheiß Männer und so. Und ab da hatten wir dann eine ganz tolle Reise zusammen. Bis zu dem Tag meines Rückflugs Anfang Dezember sind wir die ganze Zeit zusammengeblieben. Wir haben uns immer super verstanden, haben ganz viel gesehen, ganz viel gefeiert. Ich hab echt noch nie so viel getrunken wie zu der Zeit. Allerdings nichts im Vergleich zu Cécile, diese kleine Französin konnte echt saufen wie keine. Also wir ließen es jedenfalls meistens schon ziemlich krachen."

"Mit andern Worten, es wurde dann insgesamt doch noch eine ganz schöne Reise. Trotz der ganzen Scheiße zu Anfang."

"Ja. Klar. Es war wunderbar." Und das war wirklich nicht übertrieben. Und ich fing an, Tessa haarklein meine thailändischen Reiseerlebnisse zu schildern.

"Und wart ihr dann überhaupt noch in Vietnam?", fragte Tessa irgendwann, als sie gerade eine neue Flasche Wein aufmachte. "Oder seid ihr die ganze Zeit nur in Thailand geblieben?"

"Ja nee, klar. Klar waren wir in Vietnam. Also erst sind wir rüber nach Laos, so wie ich es ja auch ursprünglich geplant hatte, und für Cécile war das okay, sie hatte ja irgendwie endlos Zeit, und haben uns dann da ein bisschen umgetan. Von da hatte ich dir doch auch noch die Karte geschrieben. Aus Vang Vieng."

"Keine Karte!" Tessa machte ein gespielt-betrübtes Gesicht.

"Scheiße, echt nicht?"

"Keine Karte."

"Mist! Dafür hatte ich mir echt noch einen halben Tag lang die Hacken abgelaufen, nur um Briefmarken zu kriegen. Naja, in Vang Vieng jedenfalls haben wir dann die beiden Australier kennengelernt, Brian und Andrew, beide so Typ braungebrannter Surfer und total nett."

"Ding-dong", machte Tessa und fing an zu lachen.

"Was ding-dong?", fragte ich unschuldig und musste auch schon lachen, klar, weil ich natürlich wusste, was sie meinte.

"Ding-dong heißt, dass wir jetzt endlich zum interessanten Teil kommen", meinte Tessa breit grinsend.

"Ja, danke schön!" Ich tat ein bisschen eingeschnappt, konnte aber natürlich auch nicht ganz ernst bleiben. "Ich erzähl hier gerade die ganze Zeit hochinteressant vom Mysterium Südostasiens, und du bist bloß neugierig auf Sex-Geschichten."

"Ach Süße, du weißt doch, wie ich das meine", sagte Tessa lachend. Und auf'ne Art hatte sie natürlich auch recht. Jetzt kam tatsächlich der wirklich aufregende Teil meiner kleinen Weltreise.

"Die beiden Jungs waren aus Perth, Western Australia. Beide so mein Alter. Und sie waren tatsächlich Surfer. Also jetzt zwar nicht profimäßig, aber praktisch. Wie auch immer, jedenfalls kam ich dann kurz darauf oder eigentlich fast sofort mit Brian zusammen."

"Ding. Dong", meinte Tessa lachend, und ich musste dann auch lachen.

"Ja, jetzt wirklich ding dong. Weil das war nämlich wirklich echt total atemberaubend, wie das abging mit ihm. Sowas hab ich vorher echt noch nicht erlebt. Und ich mein jetzt nicht bloß sexuell, also das natürlich auch, sondern vor allem auch gefühlsmäßig."

"Wow!"

"Also ich war wirklich völlig hin und weg, ganz richtig doll verliebt. Total high."

"Wow!"

"Und zwar von jetzt auf gleich!"

"Wow!"

"Und das hielt dann auch an, also auf dem Level, die ganze Zeit eigentlich, wo ich mit ihm zusammen war. Auch wenn mir auf'ne Art natürlich schon die ganze Zeit über klar war, dass das nur was für jetzt war, also nur eine Beziehung auf Zeit."

"Klar."

"Also solange wie wir zusammen unterwegs waren."

"Klar. Sowas lässt sich ja in der Regel nicht importieren, also meistens jedenfalls nicht, in den Alltag."

"Nee. Wahrscheinlich nicht. Leider."

Tessa zündete sich eine Zigarette an, schob mir die Packung rüber, und ich nahm mir auch noch eine.

"Naja, wie gesagt, wir waren dann zu viert unterwegs, und die nächsten acht Wochen waren wir dann immer so die Gang of Four: Cécile, Andrew, Brian und ich. Wir sind rüber nach Vietnam. Und da haben wir dann fast das ganze Land bereist, mit dem Zug, mit Bussen, mit Fahrrädern teilweise."

"Ah Vietnam ist echt soo schön", sagte Tessa schwärmerisch. Und wir schwärmten uns beide gegenseitig noch ein bisschen was vor.

"Ach, ich beneide dich echt", sagte Tessa. "Total! So eine geile Reise!"

"Du beneidest mich?! Ja super! Ich mein, wer ist denn fast das ganze Jahr auf Weltreise?" Tessa grinste verschmitzt.

"Und was ist jetzt?", fragte sie dann. "Also mit deinem Surferboy-Liebhaber? Ist das jetzt vorbei oder läuft da noch was?"

"Keine Ahnung. Also echt nicht. Keine Ahnung. Erstmal ist natürlich Ende, logisch, jetzt allein schon wegen der räumlichen Entfernung. Aber trotzdem… Wir schreiben uns, seit ich wieder hier bin. Jeden Tag eigentlich. Und das ist irgendwie schon so… Wie soll ich sagen?"

"Scheiße."

"Nee, das ist eher so so… so ein Gefühl. So ein Gefühl wie dass da noch was ist. Also dass das noch nicht zu Ende ist. Obwohl mir ja wie gesagt die ganze Zeit eigentlich klar war, dass das nur ein Urlaubsflirt ist in Anführungszeichen. Aber jetzt der Abschied zum Beispiel fiel mir echt wahnsinnig schwer. Uns beiden, denke ich. Also Brian hatte mich noch zum Flughafen gebracht, und wir haben beide dann dagesessen und echt nur noch geheult. Echt so total geheult, wie die Schlosshunde. Und als ich dann endlich im Flieger saß und mich im Spiegel anguckte, sah ich echt so aus, als wäre ich verprügelt worden, weil mein Make-up so völlig verschmiert war vom Heulen. Und ich die ganze Zeit während des Fluges dann irgendwie immer nur so dachte, Scheiße Lena, was machst du hier eigentlich? Wieso sitzt du in diesem Flugzeug? Warum bist du nicht einfach dageblieben?"

"Oh, das kenn ich", meinte Tessa, "das kenn ich echt nur zu gut! Also nicht bloß wegen einem Typen jetzt, sondern überhaupt. Also dass ich am Ende einer Reise ganz oft denke so: Scheiße, wieso bleibst du nicht einfach hier?"

"Ja, genau. So ging's mir eben auch. Und das mit Brian kam dann eben da noch so obendrauf."

"Aber warum hast du dann nicht einfach verlängert? Oder dich ausgeklinkt?"

"Naja, einmal wegen Jobsuche natürlich."

"Wenigstens für ein paar Monate?"

"Bewerbungen. Weil ich ja eigentlich gern schon jetzt ab Januar angefangen hätte zu arbeiten. Und ich zum andern natürlich auch gern Weihnachten bei meiner Familie sein wollte."

"Hm!", machte Tessa.

"Aber ich habe wirklich schon echt heftigst mit mir gekämpft deswegen, das kannst du mir glauben. Obwohl ich zu Brian jetzt vielleicht auch nicht sagen würde, du bist der Mann meiner Träume."

Und genau da, genau in diesem Moment, kam Chris in die Küche. Er stand ganz plötzlich in der Tür, sagte "Guten Abend, meine Damen" und lächelte mich dabei voll an. Und das war echt nur so whoosh!

Später, also als wir schon ein paar Monate zusammen waren, hatte Chris irgendwann mal zu mir gemeint: "Das waren die allerersten Worte, die ich von dir gehört habe, Prinzessin. Du bist der Mann meiner Träume. Und das war gleich so eine ziemlich schöne Vorstellung, also dieser Gedanke, du könntest vielleicht mich damit gemeint haben."

"Und deswegen hast du mich dann ja auch gleich so volle Kanne angebaggert", meinte ich, und er grinste dann nur so schelmisch und meinte: "Vielleicht."

"Tja, das hast du nun davon, Mäuschen, fremder Leute Gespräche zu belauschen", sagte ich lachend, fiel ihm um den Hals und küsste ihn ab. "Jetzt hast du mich an der Backe!"

Im Nachhinein würde ich immer sagen, dass ich mich wahrscheinlich sofort in Chris verliebt habe. Liebe auf den ersten Blick! Klingt total kitschig, ich weiß, aber so war es wahrscheinlich wirklich, auch wenn ich das da natürlich noch nicht wusste. Aber ich fand ihn gleich von Anfang an wahnsinnig toll, also sehr sehr faszinierend.

An diesem ersten Abend saßen wir dann einfach noch ein bisschen zu dritt zusammen bei Tessa in der Küche, tranken Wein und redeten redeten redeten. Tessa und ich waren da ja schon ziemlich angeschickert und wahrscheinlich auch total albern, aber Chris fand das offenbar überhaupt nicht doof. Er saß meistens nur dabei und hörte zu, lachte total hübsch oder lächelte in sich hinein und sagte nur ab und zu etwas. Dann aber meistens irgendwas Intelligentes und total Tiefsinniges. Das war ja auch später meistens die Rollenaufteilung bei uns, ich eher immer so der kleine Quasselkasper und Chris eher immer so der Stille, der nie so besonders viel redete.

Ich erzählte an dem Abend dann noch ein bisschen von meiner Reise und führte auch noch ein paar Fotos auf dem Laptop vor. Natürlich die bereinigte Eltern-Version, die ich extra zusammengestellt hatte, bevor ich Weihnachten nach Hause gefahren war. Also nichts Explizites. Nichts Nacktes oder Betrunkenes, und vor allem natürlich auch keine australischen Liebhaber. Nur schöne Landschaft, Land und Leute. Tiere. Meer und Strand. Viele viele schöne Bilder. Und Chris fand das alles offenbar richtig spannend.

"Die sind wirklich echt toll, deine Fotos", sagte er, so völlig hingerissen.

"Danke." Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt, als er das sagte. "Als Teenie wollte ich immer Fotografin werden. Aber dann hab ich mich doch für die Medizin entschieden."

"Ach, du studierst Medizin?"

"Nee, ich bin schon fertig."

"Oh, ein richtiger Doktor!" Er war beeindruckt.

"Jepp!"

"Ach ich würde auch echt gern mal nach Südostasien fahren", meinte er dann. "Eigentlich würde ich sowieso gern viel mehr reisen."

"Da haben wir auf jeden Fall schon mal etwas gemeinsam", sagte ich und grinste ihn schelmisch an.

Während ich erzählte, konnte ich meine Augen gar nicht von ihm lassen. Ich konnte auch überhaupt nicht verstehen, was Tessa an ihm auszusetzen hatte. Dieser Typ sah doch wahnsinnig toll aus und überhaupt kein bisschen wie ein Nerd. Also fand ich jedenfalls. Er war groß, hatte dunkle Haare, Kurzhaarfrisur. Er gefiel mir wahnsinnig gut.

Er kam mir ein bisschen schüchtern vor. Aber ab und zu war da dann immer wieder dieses Lächeln, so in meine Richtung. Und das war dann jedes Mal echt wieder so whoosh!

Am nächsten Tag sind wir uns natürlich noch ein paar Mal in der Wohnung über den Weg gelaufen und wechselten dann jedesmal ein paar Worte oder rauchten eine Zigarette zusammen, in der Küche oder auf dem Balkon. Und selbst diese kurzen Begegnungen waren dann schon ganz intime Augenblicke, total intensiv! Wir blickten uns an, und ich denke, wir ahnten beide bereits, dass sich zwischen uns etwas entwickelt, auch wenn wir noch nicht wussten, was das war.

Chris hat ganz dunkle hellblaue Augen, keine Ahnung, wie man das besser ausdrücken kann, sie sind dunkel, und sie sind eigentlich hellblau. Und es war der Blick seiner Augen, in den ich mich dann endgültig verliebte, keine zwei Tage nach unserer ersten Begegnung. An dem Montag sind wir dann nämlich zusammen Frühstücken gegangen, nur wir beide, in die Schanze, um meine erfolgreiche Zimmersuche zu feiern.

Unser erstes Date!

Und dabei habe ich mich dann so richtig in Chris verknallt. Und zwar ganz schnell, im Laufe unseres Bio-Frühstücks für zwei Personen. Oder verguckt, besser gesagt. Einfach in den Blick seiner Augen. Ich hatte echt das Gefühl, ich würde mich am liebsten reinstürzen in dieses Blau. Und in seine Stimme. Der Klang einer Stimme ist ja wie eine Berührung, und Chris' Stimme ging mir wirklich durch und durch, sanft, warm, dunkel, eher leise als laut. Und er hatte ein wunderschönes Lachen, das ich richtig toll fand, unglaublich erregend. Eigentlich war ich da schon total hin und weg. Und je länger unser Date dauerte, desto mehr.

Während des Frühstücks beguckte ich ihn mir dann natürlich auch noch ein bisschen genauer. Chris war schon 30, also knapp zwei Jahre älter als ich, und eine gute Handbreit größer. "Einssiebenund­achtzig", meinte er. Wir haben ganz viel erzählt, wer wir so sind, was wir so machen, was wir so vorhaben. Ich erzählte, dass ich gerade in mein Berufsleben als Ärztin starten würde, und dass ich mit meiner Weiterbildung Allgemeinmedizin anfangen wollte.

"Das ist jedenfalls der Plan. Nach sieben Jahren Kiel hatt ich auch einfach das Gefühl, dass es vielleicht mal Zeit wird, was Neues auszuprobieren."

"Und deswegen jetzt Hamburg."

"Ja genau. Also dass es hier klappen würde mit der Stelle, war ehrlich gesagt auch ein bisschen Zufall. Aber ich fand Hamburg sowieso immer schon total geil, und außerdem kenn ich Leute hier." Eigentlich kannte ich zwar nur Tessa so richtig, aber der Rest stimmte eben einfach schon.

"Und du?", fragte ich. "Was hat dich nach Hamburg verschlagen? Wo kommst du eigentlich nochmal genau her?"

"Aus Hannover. Also da habe ich studiert, ursprünglich bin ich aus Braunschweig. Informatik."

"Also doch ein Nerd!"

"Wieso? Nein!", sagte er lachend und ein bisschen verdutzt.

"Ja nee", sagte ich lachend, "das war nur ein Witz, den ich mit Tessa gemacht hatte, als sie meinte, dass du was mit Computern machst. Und weil Computer-Leute sind doch alle immer ein bisschen so Nerds und Intelligenzbestien."

"Naja. Ein bisschen vielleicht."

Das Studium hatte er vor zwei Jahren dann allerdings mehr oder weniger abgebrochen.

"Ich hatte damals dieses super Jobangebot, eins von der Art, das man einfach nicht ablehnen kann. Beim Nash-Institute. Das sagt dir wahrscheinlich nichts, weil sie die absoluten Spezialisten sind. Netzwerkanalyse und Datensicherheit. Aber sie sind wirklich die besten in der Branche."

"Okay",sagte ich und versuchte kompetent auszusehen, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon er sprach.

"Da war ich dann allerdings nur für gut ein Jahr und hab dann wieder gekündigt."

"Gekündigt?! Und warum, wenn ich fragen darf."

"Ich weiß nicht, es… Ach irgendwie war es das nicht."

"Weil ich dachte, das wär dein Traum-Job."

"Ja schon."

"Für den du sogar das Studium geschmissen hast."

"Ja, so gesehen irgendwie schon. Aber irgendwie eben auch nicht."

"Okay", sagte ich.

"Das ging mir auch alles viel zu schnell. So richtig Hals über Kopf. Echt so mit Warp 7", sagte er. Und ich dachte Okay, ein Star Trek-Fan, das wäre also auch geklärt.

"Dazu kam dann auch noch, dass ich eigentlich immer schon lieber was Eigenes machen wollte, mein eigenes Ding. Dann kam die Weltwirtschaftskrise, und bei mir reifte der Entschluss, mich selbständig zu machen, als Counsellor, und meine eigene Firma zu gründen. Im Prinzip also das gleiche, was ich vorher bei Nash gemacht hatte, nur dann eben auf eigene Rechnung."

"Krise als Chance."

"Ja, wenn man so will. In diesem Fall, stimmt das wirklich."

"Und deswegen jetzt Hamburg?"

"Deswegen jetzt Hamburg. Neues Spiel, neues Glück. Und in unserer Branche ist Hamburg, also in Deutschland wenigstens, im Moment einfach sowas wie the place to be. Das Tor zur Welt eben."

Nach dem Frühstück sind wir dann zusammen zurück in die Wohnung, und da prickelte es dann schon gewaltig. Mehr passierte da allerdings noch nicht, weil ich war auch ein bisschen unter Zeitdruck. Ich musste zurück nach Kiel und hatte für 14 Uhr eine Mitfahrgelegenheit und musste ja auch noch meine Sachen packen. Chris half mir dabei in Anführungszeichen, und so konnten wir noch ein bisschen zusammensein. Später meinte er allerdings immer, er hätte das bloß gemacht, damit er ein bisschen in meiner Unterwäsche rumwühlen konnte, das kleine Ferkel!

Und dann kam leider auch schon der Augenblick des Abschieds. Gerade hatte ich noch kurz rumüberlegt, ob ich die Mitfahrgelegenheit nicht einfach sausen lassen soll und in Hamburg bleibe. Aber dann standen wir auch schon an der Tür, ich mit dem Rucksack auf dem Rücken, beide so total verlegen, und sagten dann schließlich gleichzeitig "So! Jetzt aber!" Wir gaben uns die Hand so tschüs, vielen Dank, hat mich sehr gefreut, ganz meinerseits. Ich sagte noch sowas wie Na, jetzt muss ich aber wirklich. Und dann küssten wir uns das erste Mal.

Unser erster Kuss!

Eigentlich war es nur ein ganz normaler Abschiedskuss, wo man auch genausogut hätte denken können freundschaftlich. Aber für mich war es einfach nur so total whoosh! Also der Moment, wo ich endgültig weiche Knie bekam.

Aber mehr passierte da eben noch nicht, und vielleicht war es ja auch ganz gut, dass ich nicht gleich mit ihm ins Bett gehüpft bin. Ich hätte damit natürlich auch voll gegen das gute alte Prinzip Kein Sex beim ersten Date verstoßen, obwohl das in diesem Fall ja vielleicht sogar auch OK gewesen wäre. Aber es war dann auch einfach keine Zeit mehr für irgendwas, mehr als ein superschneller Super-Quickie wäre in der Situation ja sowieso nicht drin gewesen. Und dafür wäre mir das erste Mal mit diesem absoluten Traumtypen ehrlich gesagt auch einfach viel zu schade gewesen, für nur einmal schnell so Handstand gegen die Wand.

Es blieb also bei diesem einen Kuss. Aber was für ein Kuss das war! Ich war danach den ganzen Tag wie in Trance. Ich saß in dem Auto nach Kiel, ohne einen Ton zu reden, grinsend, wie ein Voll-Honk wahrscheinlich. Und ich war immer noch völlig angetörnt von ihm, als ich abends zuhause mit Gini in der Küche saß und ihr von Chris vorschwärmte.

"Also i'ich", meinte Gini nur, so total breit grinsend, "ich würde ja zu gerne mal wissen, wo du diese ganzen Wunder-Typen immer herzauberst."

"Also das klingt jetzt so, als würde ich andauernd irgendwelche Kerle abschleppen", protestierte ich.

"Ja nee. Sorry. Ich mein nur, erst der australische Surf-Champion, und jetzt Albert Einstein aus Hamburg."

Es war klar, dass Gini mich ein bisschen aufziehen wollte damit. Das war auch völlig OK, obwohl ich ja eigentlich immer eher brav war, was Männergeschichten anging. Die ganzen Jahren in Kiel zum Beispiel war ich ja eigentlich immer in einer festen Beziehung.

Das Wochenende darauf war ich dann schon wieder in Hamburg, offiziell um meine neue WG kennenzulernen und meinen Umzug vorzubereiten und so, aber in Wirklichkeit wollte ich Chris besuchen.

Wir hatten unter der Woche ein paar Mal telefoniert und gemailt. Ich hatte ihm gleich Montag noch eine Postkarte geschrieben, mit meinen Verbindungsdaten, nach dem Motto Ruf doch mal an, so völlig oldschool, und das hatte ihm offenbar gefallen. Er hatte dann sofort angerufen. Und ab da waren wir dann in Kontakt. Permanent. Und das hatte sich dann schon sehr angefühlt wie ein Flirt. Ich lag also mit meinem Gefühl nicht so völlig daneben, was das anging. Und mit diesem Wochenende jetzt wollte ich natürlich auch einfach genauer gucken Was ist das? Ist das einfach nur dieser eine kurze verzauberte Augenblick gewesen bei unserem ersten Kuss? Oder konnte da vielleicht auch mehr daraus werden?

Und dann kam das Wochenende. Unser Wochenende! Das erste Mal...

Wir waren allein in der Wohnung, Tessa nicht da, und wir hatten drei Tage fast nur für uns. Den ersten Abend waren wir aus, und es passierte noch nichts. Irgendwie waren wir beide wahnsinnig schüchtern, total zurückhaltend. Aber am nächsten Morgen, nach dem Aufwachen, sind wir dann das erste Mal miteinander ins Bett gegangen, oder im Bett geblieben, besser gesagt. Und danach waren wir dann fast den ganzen Rest des Wochen­endes nackt, nur zum Essen hat Chris mich in seinen Bademantel gesteckt.

Das erste Mal Sex mit Chris war dann allerdings ehrlich gesagt noch gar nicht der beste Sex meines Lebens, das kam erst später. Ich hatte natürlich eigentlich erwartet, dass es beim Sex bestimmt gleich so richtig abgehen würde, so wie es von Anfang an zwischen uns gefunkt hatte. Aber das erste Mal hätte es auch gut eine kleine Katastrophe geben können, weil Chris hatte eine erektile Dysfunktion.

"Hm!", machte ich. "Vielleicht findest du mich ja gar nicht so heiß, wie du denkst."

Das war vielleicht ein etwas grober Scherz, dafür dass wir uns ja praktisch noch gar nicht kannten, aber ich fühlte mich ihm in dem Moment schon so nahe, dass ich mir diese kleine Frechheit einfach herausnahm. Männer sind empfindlich, was ihre Erektion angeht, ich weiß, aber Chris nahm das ganze eher locker. Er meinte, er würde zuerst immer ein bisschen fremdeln, wenn er mit jemand das erste Mal im Bett wäre, und das würde sich mit der Zeit schon geben, wenn wir uns erst einmal besser kennen würden.

Seine Offenheit gefiel mir. Und irgendwie stimmt es ja auch. Sex mit jemand neues bedeutet ja immer Stress. Da ist jemand fremdes mit dir im Bett, fummelt ungeschickt an dir herum und du an ihm, und auf dieses fremde Wesen muss man sich ja auch erstmal einstellen. Und Männer können da nun mal nicht so gut tricksen. Da haben wir Frauen es schon etwas leichter. Ein bisschen Spucke und du bist feucht, und am Ende hilft notfalls ein vorgetäuschter Orgasmus.

Bei unserem ersten Mal habe ich dann die Sache in die Hand genommen, sowohl im übertragenen Sinne als auch ganz wortwörtlich. Und Chris schien das zu gefallen, meine kleine Handarbeit. Sehr sogar! Und mir natürlich sowieso. Ich liebe es!

"Wow!", sagte er, als wir hinterher völlig zermatscht und verschmiert in den Kissen lagen.

"Meinst du wow wie wau wau oder wow wie supersahnegeil?", fragte ich, in seinen Arm gekuschelt, und streichelte ihm den Bauch.

"Wow wie wau wau", sagte er und tätschelte mir den Po.

"Du bist so blöd!", sagte ich und gab ihm einen dicken Kuss.

"Selber doof!"

"Kann sein", sagte ich. "Aber so völlig doof nun auch wieder nicht, oder?"

"Vielleicht ja doch, wer weiß", sagte er lachend.

"Wart's ab, Kleiner. Ich werd's dir zeigen!" Ich ließ mich an ihm hinuntergleiten, biss ihm zärtlich in den Schwanz und läutete damit die zweite Runde ein.

"Wow!"

Ab diesem Wochenende waren wir dann zusammen, fand ich. Ich hatte mich ja fast sofort verliebt. Ich war so sehr verliebt, wie mir das bisher nur ganz selten passiert ist. Und bei ihm war es wohl genauso. Es passte einfach alles. Chris war Single und hatte ganz offensichtlich ein gewisses Interesse, diesen Zustand zu beenden. Bei mir war es genauso, und den E-Mail-Fernflirt mit meiner Urlaubsliebschaft Brian hatte ich inzwischen auch auslaufen lassen. Wir waren also beide frei und offen für diese neue aufregende Sache, die sich da zwischen uns zu entwickeln begann.

Dass Chris solo war, hatte ich natürlich längst abgecheckt, gleich bei unserem ersten Date. Obwohl genau genommen wusste ich es schon davor, weil ich mich natürlich bei Tessa ganz direkt danach erkundigt hatte, ob es eine Freundin gab.

"Nee, ich glaub nicht", hatte Tessa gemeint. "Ich glaube, er hat mal sowas gesagt, also dass er Single ist. Und soweit ich weiß, sind hier auch nie irgendwelche Weiber aufgelaufen, seit wir zusammenwohnen."

Insofern wusste ich eigentlich vor unserem Date schon Bescheid, aber ich wollte das natürlich trotzdem lieber noch mal direkt abfragen, sicherheitshalber. Also nicht so plump natürlich, sondern ein bisschen durch die Blume so Du bist jetzt nicht verheiratet oder so?

"Nee, hundertprozentiger Single. Hundertprozentiger Single, leider. Das schlimme Schicksal aller Computer-Nerds, die als lonesome cowboys in den unermesslichen Weiten des Cyberspace unterwegs sind", meinte er grinsend.

"Och wie traurig", sagte ich mitfühlend, obwohl sich das für meine Ohren natürlich supergut anhörte.

Chris hatte sich sechs Monate zuvor von seiner Ex-Freundin getrennt, mit der er zwei oder drei Jahre zusammengewesen war. Beziehungsweise sie von ihm, Fragezeichen Rufzeichen Fragezeichen. Wenn ich es richtig interpretiere, war die Trennung wohl irgendwie auch mit ein Grund gewesen für den Wechsel nach Hamburg. Oder wenigstens der Anlass. Neues Spiel, neues Glück. So ganz klar fand ich das alles nicht, weil Chris auch nie so besonders viel über frühere Beziehungen sprach, auch später nicht. Für ihn schien das immer ein Thema zu sein, über das er nicht so gern redete. Das kann ich zwar grundsätzlich nachvollziehen, aber in diesem Fall wollte ich das natürlich schon ein bisschen genauer wissen und habe deswegen gelegentlich etwas nachgebohrt, so ganz sensibel in Anführungszeichen, und im übrigen ständig lange Ohren gemacht. Soweit ich weiß, hatte er vor mir wohl überhaupt nur drei längere Beziehungen, wobei seine Ex-Freundinnen anscheinend immer so ziemlich die Chaosfrauen gewesen waren, so richtige Hallas-Kalinen, wo er immer ziemlich zu leiden hatte. Das war jedenfalls mein Eindruck.

Ich fand es natürlich gut, dass es akut keine feste Beziehung in seinem Leben gab. Für mich war einfach ganz schnell klar, dass ich mir diesen Mann auf gar keinen Fall entgehen lassen wollte. Ich wollte ihn. Unbedingt! Und hängte mich deshalb auch dementsprechend rein, um ihn zu kriegen. Vor allem am Anfang, auch weil er so total zurückhaltend war, fast ein bisschen schüchtern. Auf'ne Art ist Chris der einzige Mann, dem ich jemals nachgelaufen bin, um den ich mich intensivst bemüht habe. Ansonsten kannte ich das eigentlich immer eher umgekehrt, also dass sich Männer um mich bemühten. Aber wer weiß, ob das mit uns überhaupt jemals etwas geworden wäre oder überhaupt auch nur angefangen hätte, wenn ich damals nicht die Initiative ergriffen hätte.

In den nächsten zwei drei Wochen war ich dann so oft es ging bei Chris in Hamburg. Und wenn wir mal nicht zusammen sein konnten, habe ich mich immer so richtig verzehrt nach ihm und habe gelitten wie ein Teenager. Dauernd stellte ich mir sein Gesicht vor. Ich fühlte seine Hand in meinem Nacken oder zwischen meinen Beinen. Oder ich guckte mir Bilder von ihm auf dem Laptop an. Ich war zu der Zeit echt schon voll auf Chris. Ich fand ihn wahnsinnig hübsch. Ich mochte seinen Körper.

Es ging einfach alles ganz schnell mit uns. Anfang Februar wohnte ich bereits in Hamburg, und es begann für uns beide ein neuer Lebensabschnitt. Neue Stadt, neuer Job, neue Partnerschaft. Ich hatte mein WG-Zimmer in Altona, Nähe Schanze und ganz nahe bei Chris. Und seitdem sahen wir uns praktisch jeden Tag, wann immer es sich einrichten ließ, und stürzten uns kopfüber hinein in das Abenteuer unserer jungen Liebe. Wir gingen aus, wir gingen essen, trinken, tanzen, wir gingen zum Kickern und Billard spielen, wir gingen auf Partys, ins Kino, ins Konzert.

Und wir gingen ins Bett. Ich hatte noch nie so unglaublich viel Sex wie in diesen ersten Monaten unserer Beziehung, wir fielen bei jeder Gelegenheit förmlich übereinander her. Das kleine Problemchen mit der erektilen Dysfunktion trat in der ersten Zeit zwar noch einige Male auf. Aber da hatten wir ja bereits ein tragfähiges Lösungskonzept gefunden. Und bald darauf war unser Sexleben dann einfach nur noch Wundersex. Und die Erinnerung an diese kleine Katastrophe mit anschließendem Happy End bei unserem ersten Mal gehörte danach für immer zur Folklore unserer Beziehung, das hätten wir wahrscheinlich noch unseren Enkelkindern erzählt.

Ein Faible für das Besondere im Bett oder anderswo hatten wir beide nicht, Wundersex war kein bisschen akrobatisch, sondern eigentlich eher schlicht. Hart aber herzlich. Ein wenig Französisch hier und da, was wir beide besonders liebten, und wo Chris immer meinte, ich hätte ein besonderes Talent dafür. Und meine kleine Handarbeit natürlich.

Ich liebe Handarbeit. Für mich hat das auch überhaupt nichts mit Selbstbefriedigung zu tun, das ist echter purer Sex. Während ich es mache, soll er mich streicheln. Mich liebkosen. Begrapschen. Ganz fest und bestimmt. Und mich küssen natürlich. Oder die Zunge im Ohr. Und dann komm ich.

Chris hatte das sofort verstanden, von Anfang an. Deswegen hatte es ja auch sofort funktioniert mit uns.

Und im Mai kam dann Paris. Paris war unsere erste richtige Reise, auch wenn es nur vier Tage waren. Und es sollte schon ganz klar eine Liebesreise werden. Toujours l'amour. Das hatten wir vorher schon immer gesagt. Natürlich hatten wir uns auch Sightseeing vorgenommen, klar, für Chris war es ja auch das erste Mal Paris. Louvre, Musée d'Orsay, Tour Eiffel, Les Grands Magasins undsoweiter, das war der Plan, aber Sightseeing fiel dann eigentlich komplett aus, wir haben uns nur selbst besichtigt. Chris war die einzige Sehenswürdigkeit, die ich wollte.

"Je voudrais plutôt me faire baiser de vous monsieur. Toute la journée."

"Hä? Also ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber es klingt ziemlich heiß."

"Das heißt, küss mich, Dummerchen!"

"So heiß wie du!"

"Merci monsieur, vous êtes très gentil!"

Es ging mir wahnsinnig gut an diesen vier Tagen in Paris und besonders an meinem Geburtstag. Normalerweise, wenn dein 29. Geburtstag bevorsteht, denkst du, das wäre ein Problem, und bist schlechter Laune deswegen. Bei mir war das anders. Ganz anders. Ich war mit meinem Traummann in Paris und wahnsinnig gut drauf. Ich fühlte mich wie Anne Hatha­way auf Ecstasy, wunderschön und unglaublich sexy. Ich war wahnsinnig verliebt und wurde gefickt wie noch nie zuvor in meinem Leben.

"Mhm, Geburtstagswundersex."

Ich lag auf ihm drauf, nackt und feucht und heiß. Er hielt mich fest umschlungen und flüsterte mir bezaubernde zärtliche Sachen ins Ohr und niedliche kleine Schweinereien, was er als nächstes mit mir vorhätte. Es war ein absolut inniger Moment. Der siebte Himmel. Deswegen fand ich diesen Moment auch genau richtig, um ihn endlich zu fragen.

"Liebst du mich?"

Er blickte mich ernst an aus seinen dunklen hellblauen Augen, dann ließ er sei­ne linke Hand an meiner Lendenwirbelsäule hinabgleiten und auf meinem Po spazierengehen.

"Ja", sagte er nach dieser kleinen sexy Pause, ganz nah an meinem Ohr. "Klar. Ich liebe dich wahn­sinnig, kleine Prinzessin."

Und dann küssten wir uns. Undsoweiter undsoweiter.

Ich liebe dich wahnsinnig, kleine Prinzessin.

Kleine Prinzessin. So hat er mich immer genannt. Und es hat mir von Anfang an gefallen. Es war mir auch kein bisschen peinlich. Jetzt im Nachhinein denke ich immer, ich hätte stutzig werden müssen. Ich hätte doch merken müssen, dass etwas nicht stimmen kann bei so viel Liebes­märchen­wunderland. Andererseits, welche Frau hört sowas nicht gern aus dem Munde ihres Traumprinzen? Außerdem wusste ich damals ja auch noch nicht, dass er mich angelogen hatte. Und das alles, was danach war zwischen uns, auf einer Lüge basierte.

Aber war es denn überhaupt eine Lüge? An dieser Frage habe ich in letzter Zeit ziemlich viel rumüberlegt, und das ist ja wahrscheinlich auch typisch, dass du dir als schwangere Braut solche Gedanken machst, so kurz vor der Hochzeit, nach dem Motto Drum prüfe wer sich ewig bindet. Und manchmal denke ich, Scheiße, vielleicht hätte er mir damals einfach nur klipp und klar sagen sollen, was er von mir will. Also meinetwegen auch einfach sowas wie Weißt du was, Prinzesschen, ich finde dich zwar superheiss, und ich will das mit uns genießen, so lange wie's dauert, aber mehr auch nicht. Punkt. Das wäre vielleicht nicht schön gewesen und auch kein bisschen romantisch. Aber es wäre auf jeden Fall ehrlicher gewesen. Und ich hätte mich ja wahrscheinlich auch nicht sofort von ihm getrennt deswegen. Ich liebte ja, was wir miteinander hatten, es wäre also wahrscheinlich trotzdem die ultimative Sex-Affäre geworden, wir waren ja wirklich einfach perfekt im Bett, ohne Übertreibung. Definitiv der beste Sex meines Lebens bis heute. Nur dass für mich eben die ganze Zeit klar gewesen wäre OK, Mädel, das ist jetzt eine tolle Zeit für dich. Hammer Typ, super Sex. Aber das ist noch nicht das eigentliche, das ist einfach nur eine Teenager-Liebe für Große.

Aber Chris hat sich damals anders entschieden. Für eine bequeme romantische Unaufrichtigkeit anstelle der völlig unromantischen Wahrheit. Ist natürlich auch viel einfacher, Ich liebe dich zu sagen, in so einer Situation, klar. Und wahrscheinlich dachte er, ich würde das sowieso lieber hören als alles andere.

Und so wurde dann Paris für uns der Anfang von allem, weil seit Paris hatte ich das sichere Gefühl, dass aus dieser heißen Affäre, diesem absoluten Power-Flirt in Anführungszeichen nun endgültig die eine große Liebe meines Lebens geworden war.

In Paris wurden wir so richtig ein Paar. Und seitdem hatte ich das Drehbuch für uns im Kopf einfach auch schon fertig.

2

In dem Sommer und Herbst nach Paris bestand unser Leben dann nur noch aus Liebe Liebe Liebe Liebe... Und aus ein klein wenig Arbeit natürlich, wir hatten ja beide unsere Jobs. Später kam dann noch Wohnungssuche als Teilzeitbeschäftigung hinzu.

Ich musste zu der Zeit wirklich viel arbeiten, als junge Assistentin bist du natürlich immer die erste, die kommt, und die letzte, die geht, klar. Plus Dienste, nachts und an den Wochenenden. Gegen Chris' Arbeitszeiten war das allerdings immer noch Gold. Seine Firma Network Solutions lief nämlich sehr gut, trotz Wirtschaftskrise. Er hatte immer wahnsinnig viel Arbeit, und er verdiente natürlich dementsprechend. Chris machte Systemberatung für Großanwender. Ich habe zwar nie wirklich begriffen, was das genau war, aber offenbar konnte man damit ein Heidengeld verdienen, jedenfalls war Chris reich wie ein Zauberer, fand ich. Und er hatte wirklich unglaublich Ahnung von Computern, sofern ich das beurteilen kann. Ich musste mir in der ganzen Zeit jedenfalls nie Gedanken machen, dass mein Rechner nicht funktioniert.

In den ersten Monaten war Network Solutions noch eine Ein-Mann-Firma gewesen, und Chris hatte von zuhause aus gearbeitet. Aber bereits im Frühjahr hatte er ein Büro angemietet, zwei große Räume in einem schicken Loft in der Schanze, und kurz darauf stellte er dann die erste Mitarbeiterin ein, die zuerst jeden Tag von 11 bis 15 Uhr hauptsächlich Telefondienst machte, Clarissa.

Clarissa war eine junge Bürokauffrau, eine waschechte Sizilianerin aus Bayern, 22 Jahre alt, die schon nach wenigen Monaten in Vollzeit den ganzen Laden schmiss. Clarissa war ein echter Glückstreffer. Sie war intelligent, schnell, kompetent. Außerdem sprach sie Deutsch, Italienisch und recht gut Englisch.

"Bayrisch und Sizilianisch kann ich natürlich auch. Nur koa Französisch net."

Zudem sah sie wirklich phantastisch aus. Sie war zwar eher ein kleiner Mensch, aber sie hatte einen sehr wohlproportionierten Körper, einen schönen vollen Busen und ein makelloses Madonnengesicht. Das dunkle, beinahe schwarze Haar, die helle Haut und die leuchtend grüngrauen Augen unter den geschwungenen dunklen Brauen verliehen ihr einen ganz besonderen Liebreiz. Und zu Anfang fand ich die Vorstellung, dass mein Freund seinen Arbeitstag in der ständigen Gegenwart dieser kleinen Sexbombe verbringt, ehrlich gesagt äußerst beunruhigend. Aber meine Sorgen waren ganz überflüssig. Sie flirtete zwar ziemlich viel, fand ich, aber ansonsten war Clarissa einfach ein tolles Mädchen, und für sie gab es nur Alexander, ihren Freund. Von daher machte ich mir um sie keine weiteren Sorgen. Außerdem liebte Chris ja sowieso nur mich.

Arbeit war Arbeit, aber unsere Freizeit verbrachten wir meistens zusammen, meistens zu Hause, bei ihm oder bei mir. Wir lagen auf dem Bett, wir machten uns was Schönes zu essen, wir guckten DVD, tranken Wein, schmusten rum und knutschten heftig. Und hatten immer ganz ganz ganz viel Sex.

Natürlich gingen wir auch viel aus, klar, waren auf Partys oder auf dem Kiez oder in der Schanze. Im Sommer fuhren wir an den Wochenenden manchmal an die Ostsee und schauten dann meistens auch bei Gini vorbei, die jetzt zusammen mit ihrem Freund Tobi in unserer alten Wohnung wohnte.

Als ich Chris das erste Mal nach Kiel mitbrachte, konnte ich es kaum erwarten, mit Gini unter vier Augen zu reden, weil ich war natürlich superneugierig zu erfahren, was sie von meinem tollen neuen Freund hielt.

"Und? Was sagst du?"

"Joo'a", meinte Gini. "Ganz lecker."

"Sieht er nicht traumhaft aus?"

"Na klar", sagte Gini grinsend. "Warst du vielleicht schon mal mit jemand zusammen, der nicht traumhaft aussah?"

"Nö!", sagte ich, und das kam so wie aus der Pistole geschossen, dass wir uns beide erstmal ein bisschen wegkugeln mussten vor Lachen.

"Ich frag mich ja sowieso immer, wo du solche Typen immer herzauberst."

"Jaja, ich weiß. Nur diesmal ist es einfach mehr als nur das. Was ganz besonderes."

"Na, dich hat's ja wohl voll erwischt!"

"Findst du auch, nä?"

"Ist nicht zu übersehen", sagte Gini lachend und knuffte mich liebevoll. "Du strahlst die ganze Zeit wie so ein Honigkuchenpferd."

"Und findst du, er passt zu mir?"

"Naja, er scheint dir jedenfalls gutzutun", sagte Gini schmunzelnd. "Und wenn's passt, dann passt's eben einfach, oder?"

"Jaaa!"

Ende Juni fuhr ich dann traditionsgemäß zur Fusion, so wie jedes Jahr. Eigentlich wollte ich natürlich gern, dass Chris mitkommt, aber er hatte keine Lust. Er fand die Fusion Mädchenkram, ist ja vielleicht auch gar nicht so verkehrt. Also fuhr ich dann notgedrungen eben ohne ihn.

Auf der Fusion wurde es dann nochmal alles so wie früher. Alle waren da, meine Mädels aus Kiel, Gini, Anna, Rebecca undsoweiter. Lexa war da. Und Clara, die extra für die Fusion aus München angereist war, worüber ich mich natürlich wahnsinnig freute, einfach weil wir uns so selten sahen, seit sie in München arbeitete. Es waren dann vier wirklich schöne Tage auf der Fusion, das Wetter spielte auch mit, weitgehend, und wir machten das, was wir immer schon gemacht haben auf der Fusion: Musik hören, Tanzen Tanzen Tanzen, Sachen angucken, Flirten, Reden Reden Reden, ganz wenig schlafen… die Tage sehr entspannt, und die Nächte auch.

In den Sommerferien fuhren Chris und ich dann für 14 Tage nach Polen, immer die Ostseeküste entlang bis rüber nach Gdansk. Chris hatte kurz zuvor ein Auto gekauft, einen großen Kombi, sehr komfortabel. Ich war vorher noch nie in Polen gewesen, aber Chris schon, von daher kannte er sich ein bisschen aus. Meistens zelteten wir, ganz kuschelig in meinem fusionerprobten Igluzelt, aber ab und zu leisteten wir uns auch ein Hotel der gehobenen Kategorie. Und in so einem Fünf-Sterne-Palast feierten wir dann in seinen 31. Geburtstag hinein. Natürlich lästerte ich ein bisschen, weil er jetzt wieder zwei Jahre älter war als ich.

"Viel zu alt für mich eigentlich."

"Jetzt kannst du noch darüber Scherze machen, kleine Prinzessin", meinte Chris lachend. "Das nächste Opfer des schrecklichen Dreißig-Fluchs wirst dann du."

"Nö, als Frau bleibst du immer 29. Vingt-neuf ans, wie wir in Paris sagen", meinte ich frech. Und als ich ihn später, als wir schon auf unserem Zimmer waren, dann auch noch Opi nannte, kriegte ich für meine kleinen Frechheiten noch ein bisschen den Po verhauen.

Am nächsten Tag, also am eigentlichen Geburtstag, waren wir von mittags bis spätabends am Strand. Es war ein total heißer schöner Tag, wir hatten uns ein ruhiges Plätzchen gesucht, so ganz für uns in den Dünen, wo wir den ganzen Tag nackt in der Sonne brieten, badeten, aßen, lasen, schmusten. Chris baute uns eine Burg aus Sand, ich machte für ihn kleine Meerjungfrauentänzchen in der Brandung. Und natürlich fummelten wir auch ein bisschen, ganz diskret. Heavy petting.

Und an diesem wunderbaren Tag am Strand entstand das Foto, das danach immer mein absolutes Lieblingsbild von Chris war, dieses Porträt in der Abenddämmerung, das ich später in meiner WG immer riesengroß an der Wand über meinem Bett hängen hatte. Eine Zeitlang war es auch das Hintergrundbild auf meinem Laptop. Was mich daran immer noch fasziniert, ist die ganz besondere Stimmung, die dieses Bild transportiert. Es enthält meine Erinnerung an diesen überwältigend schönen Tag. Den Duft von Sonnencreme auf seiner sonnenheissen Haut. Seine Hand zwischen meinen sandigen Schenkeln. Und wie er mich darauf ansieht! Zum Dahinschmelzen!

Ich machte an diesem Tag noch unendlich viele Fotos von Chris, meistens so ziemlich versaute Sonnenfreunde-Bilder, nach dem Motto hübscher knackarschiger Bursche am Strand.

"Mhm! Ja. Extra-scharf", sagte ich. "Die verkauf ich an ein Schwulenmagazin, wenn wir wieder zuhause sind."

"Machst du nicht!", zickte Chris, so leicht in Panik.

"Doch! Klar! Mach ich wohl." Ich wollte ihn ein bisschen provozieren.

"Machst du nicht!"

"Mach ich doch! Und ich krieg bestimmt einen ganzen Haufen Geld dafür."

"Kriegst du im Leben nicht! Wer will denn sowas sehen?"

"Bestimmt tausend Maak! Alle. Alle wollen das sehen. Und alle Schwulen sowieso."

"Tausend Mark!", meinte Chris lachend. "Du meinst wahrscheinlich tausend Zloty."

"Nee, tausend Maak! Oder tausend Euro. Jedenfalls ganz viel Geld. Ich schwör."

Er fing dann an, mich durchzukitzeln und ein bisschen obszön anzutatschen, bis ich ihm versprach, diese Bilder nie jemand anders zu zeigen. Das hatte ich natürlich gar nicht vor. Und ich bin bis heute die einzige, die sich diese sexy Fotos immer wieder ansieht.