Entwicklung in den ersten Lebensjahren (0-3 Jahre) - Sabina Pauen - E-Book

Entwicklung in den ersten Lebensjahren (0-3 Jahre) E-Book

Sabina Pauen

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Beschreibung

Kinder entdecken in den ersten Lebensjahren die Welt und entwickeln sich rasant. Doch wie zeigen sich die vielfältigen Veränderungen? Welche Fähigkeit entwickelt sich wann und wie lässt sich der Entwicklungsstand eines Kindes feststellen? Und was bedeuten die Erkenntnisse für die professionelle pädagogische Arbeit? Das Buch bietet einen verständlichen Überblick über die Entwicklung von Kindern von 0 bis 3 Jahren. Typische Entwicklungsverläufe werden nach Funktionsbereichen getrennt erläutert: die Entwicklung von Körper und Motorik, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Denken und Problemlösen, Sprache, Emotionen sowie soziales Verstehen und Verhalten. Es wird deutlich, wie individuelle Unterschiede in diesem Altersbereich entstehen und wie der tägliche Umgang mit den Kindern entsprechend gestaltet werden kann. Jetzt bereits in dritter Auflage!

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Basiswissen Frühpädagogik

Herausgegeben von Prof. Dr. Timm Albers

Titel in dieser Reihe:

Albers / Ritter: Zusammenarbeit mit Eltern und Familien in der Kita

Höhl / Weigelt: Entwicklung in der Kindheit (4–6 Jahre)

Jungmann / Albers: Frühe sprachliche Bildung und Förderung

Kraska / Teuscher: Naturwissenschaftliche Bildung in der Kita

Schwarz: Frühe Bewegungserziehung

 

Sabina Pauen • Jeanette Roos

Entwicklung in den ersten Lebensjahren (0–3 Jahre)

3., überarbeitete Auflage

Mit 20 Abbildungen und 4 TabellenMit Online-Material

Ernst Reinhardt Verlag München

Prof. Dr. phil. Sabina Pauen, Dipl.-Psych., ist Professorin für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie an der Universität Heidelberg.

Prof. Dr. rer. nat. Jeanette Roos, Dipl.-Psych., ist Professorin i. R. für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03223-5 (Print)

ISBN 978-3-497-61868-2 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61869-9 (EPUB)

3., überarbeitete Auflage

© 2024 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i. S. v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Cover unter Verwendung von Fotos von © Avanne Troar / Fotolia.com

Fotos im Innenteil von Stephen Frank

Satz: Katharina Ehle

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage

Einleitung

1Was ist für die frühe Entwicklung bedeutsam?

1.1Entwicklungsprozesse – Grundlagen

1.2Lernen in der frühen Kindheit

1.3Beziehungen als Voraussetzung für Entwicklungs- und Bildungsprozesse

1.4Die Bedeutung des kulturellen Kontextes

2Entwicklung in verschiedenen Funktionsbereichen

2.1Körper und Motorik

2.1.1Körperwachstum

2.1.2Ernährung, Verdauung, Schlaf

2.1.3Grobmotorik

2.1.4Feinmotorik

2.1.5Beziehung zu anderen Entwicklungsbereichen

2.2Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

2.2.1Körperbezogene Sinne

2.2.2Nahsinne

2.2.3Fernsinne

2.2.4Intermodale Integration

2.2.5Aufmerksamkeitssteuerung

2.3Denken und Problemlösen

2.3.1Wie wird das frühkindliche Denken erklärt?

2.3.2Lernen und sich erinnern

2.3.3Erfahrungen ordnen und Abstraktionen bilden

2.3.4Zusammenhänge verstehen und Weltwissen aufbauen

2.3.5Probleme lösen

2.4Spracherwerb

2.4.1Spracherwerb als Entwicklungsaufgabe

2.4.2Meilensteine beim Spracherwerb

2.4.3Allgemeine Kennzeichen des Spracherwerbs

2.5Emotionale Entwicklung

2.5.1Theoretische Perspektiven

2.5.2Phasen der Emotionsentwicklung

2.5.3Emotionsregulation

2.6Soziale Entwicklung

2.6.1Entwicklungsschritte in den ersten drei Lebensjahren

3Die Persönlichkeit des Kindes begreifen

3.1Entwicklungsbereiche in ihrem Zusammenspiel verstehen

3.1.1Kindliches Temperament

3.1.2Wie interindividuelle Unterschiede entstehen

3.2Entwicklungsorientierte Diagnostik: Wie und wozu?

Literatur

Sachregister

Hinweise zur Verwendung der Icons

  Kapitelzusammenfassungen

     Literatur- und Website-Empfehlungen

  Definitionen

Lernfragen

Online-Zusatzmaterial

Lösungen zu den Lernfragen rund um die Entwicklung in den ersten Lebensjahren (0–3 Jahre) gibt es unter www.reinhardt-verlag.de. Auf der Homepage geben Sie den Buchtitel oder die ISBN in die Suchleiste ein. Hier finden Sie das passwortgeschützte Zusatzmaterial unter den Produktanhängen. Das Passwort zum Öffnen der Dateien finden Sie im Buch vor dem Literaturverzeichnis.

Vorwort zur 3. Auflage

Liebe Leserinnen und Leser,

mit Freude präsentieren wir Ihnen nun die dritte Auflage unseres Buches zur kindlichen Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren. Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage im Jahr 2017 und der zweiten im Jahr 2020 haben wir uns bemüht, das Buch, soweit möglich, aktuell zu halten.

Prinzipiell tun wir unser Bestes, um mit dieser Lektüre den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu stärken und das Arbeitsfeld der frühkindlichen Bildung weiter zu professionalisieren, indem wir – auch zur Bewältigung wachsender Anforderungen – systematisch wissenschaftliche entwicklungspsychologische Erkenntnisse an Menschen in Studium und Praxis weitergeben. Das Buch bietet eine fundierte Ressource für ein umfassendes Verständnis wichtiger Meilensteine und Prozesse in den ersten Lebensjahren.

Ihr Interesse, liebe Leserinnen und Leser, ist für uns Motivationsquelle. Dafür danken wir Ihnen! In der frühen Kindheit vollziehen sich erstaunliche Veränderungen im kognitiven, sprachlichen, emotionalen, sozialen und motorischen Bereich, die zum Teil prägend für das ganze weitere Leben sind. Indem wir diese Entwicklungen genauer beschreiben, versuchen ihre Entstehung zu erklären, ihre Bedeutung hervorheben und das Zusammenspiel der Entwicklungsbereiche thematisieren, wollen wir Sie dabei unterstützen, für Kinder gute Begleiter:innen im Alltag zu sein.

Möge das Buch beste Fachpraxis vermitteln und Sie inspirieren! Immerhin geht es darum, Kinder so auf das Leben vorzubereiten, dass sie mit den großen Herausforderungen der Zukunft gut umgehen und dieses erfolgreich gestalten kann. Dafür benötigen Kinder von Anfang an unsere wertschätzende Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Besonderer Dank gilt auch dem Verlag, der uns mit seinem Engagement zum dritten Mal die Möglichkeit bietet, unser Wissen mit einer breiten Leser:innenschaft zu teilen.

Heidelberg im August 2023,

Jeanette Roos & Sabina Pauen

Einleitung

Ziel dieses praxisorientierten Buches ist es, eine differenzierte Betrachtung der Entwicklung und Bildung von Kindern in den ersten Lebensjahren zu geben. Dabei stehen entwicklungspsychologische Kenntnisse im Vordergrund. Hinsichtlich des Lernens zwischen dem Säuglings- und Schulalter bestehen in Forschung und Praxis noch deutliche Wissenslücken (Siegler et al., 2016). Gesicherte Erkenntnisse beziehen sich häufig auf durchschnittliche Entwicklungsverläufe, während die Entwicklung von Kindern mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen weniger Beachtung findet. Die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne geht davon aus, dass Entwicklung zu jedem Zeitpunkt des Lebens multidimensional, -direktional, -kausal und -funktional verläuft (Schneider & Lindenberger, 2018). Dabei meint

  multidimensional, dass Entwicklung gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet (z.B. im Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln).

  multidirektional, dass jeder Mensch sich zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedliche Richtungen entwickeln kann.

  multikausal, dass Entwicklung unterschiedliche Gründe haben kann und diese oft zusammenwirken.

  multifunktional, dass es nicht nur ein Kriterium für den Erfolg von Entwicklung gibt, sondern auch dafür, was als Gewinn oder Verlust betrachtet wird.

Unterschieden werden darüber hinaus kontinuierliche und diskontinuierliche Entwicklungsverläufe, wobei im ersten Fall ein quantitativer Zuwachs bzw. Veränderung in einem bestimmten Merkmal (z. B. Größenwachstum oder Wortschatzerweiterung) auftritt und im zweiten Fall eine qualitative Zustandsveränderung (z. B. wenn ein Kind Zähne bekommt oder eine neue Einsicht gewinnt).

Die Entwicklungspsychologie beschreibt Entwicklungsphänomene und sucht Erklärungen – Ursachen und Bedingungen für das Zustandekommen von altersbezogenen Veränderungen. Während die Erklärungssuche eher grundlagenorientiert ist, gehört die Diagnose des aktuellen Entwicklungsstandes und die Prognose künftiger Veränderungen sowie die Suche nach Möglichkeiten einer gezielten und günstigen Beeinflussung des Entwicklungsgeschehens zu den anwendungsbezogenen Aufgaben der Disziplin. Das gilt auch für die Frage, wie sich Entwicklungsrisiken reduzieren lassen und wie Fehlentwicklungen vermieden werden können.

Im Rahmen der Entwicklungsdiagnostik wird der Entwicklungsstand eines einzelnen Kindes in Relation zu seiner Altersgruppe gesetzt. So lassen sich auch interindividuelle Unterschiede feststellen. Der Entwicklungsstand (oft gemessen am Entwicklungsalter) muss nicht in allen Entwicklungsbereichen gleich sein. So kann ein Kind motorisch weiter entwickelt sein als Kinder gleichen Alters, kognitiv dagegen noch Nachholbedarf haben. Mit der Suche nach Interventionsmöglichkeiten leistet die Entwicklungspsychologie einen Beitrag dazu, Entwicklungsergebnisse zu optimieren.

Das vorliegende Buch möchte allen, die sich im Studium oder in der Praxis vertieft mit Null- bis Dreijährigen beschäftigen, einen lebendigen und klaren Einblick in verschiedene Entwicklungs- bzw. Funktionsbereiche und deren Zusammenspiel geben. Es gründet auf aktuellen entwicklungspsychologischen Forschungsergebnissen und verfolgt eine anwendungsorientierte Perspektive. Daher verzichten wir darauf, wissenschaftliche Zugänge zur kindlichen Entwicklung detailliert zu beschreiben und die Methoden der Entwicklungspsychologie ausführlich vorzustellen. Erkenntnisse aus Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung sollen vielmehr möglichst auf professionelles Handeln in alltäglichen, pädagogischen oder Beratungssituationen übertragen und dort wirksam werden können. Eine besondere Bedeutung hat dabei der Bezug zwischen Individuum und Umwelt, insbesondere die Entwicklung von Kindern in Familien und/oder Bildungsinstitutionen wie Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. In all diesen Kontexten geht es darum, auf individueller wie auf Gruppenebene Entwicklungsziele, aber auch Entwicklungspotenziale und Entwicklungsrisiken zu identifizieren, die dazugehörigen Rahmenbedingungen zu analysieren und Prognosen zu erstellen. Darauf gestützt erfolgen in Kindertageseinrichtungen die Raumplanung und das Materialangebot, die Alltagsgestaltung, Bildungsplanung und die Durchführung von Bildungsangeboten wie auch bei Bedarf die gezielte Förderung (Intervention) von Kindern.

Im ersten Kapitel beschäftigt sich das Buch mit der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, der Bedeutung sensibler Phasen im Lebenslauf, Lernmechanismen und der Einbettung von Lernprozessen in diverse soziale Alltagsbeziehungen. Auch wenn nicht jeder Lernschritt im Rahmen von Interaktionen stattfindet, ist Lernen bei Säuglingen und Kleinkindern ohne Beziehungen zu anderen Menschen nicht denkbar. Zudem beschäftigt sich das erste Kapitel mit der Bedeutung kultureller Kontexte und der Prägung früher Kindheit durch soziale Muster. Kulturelle Kontexte produzieren durch die Bildung von Normen und Werten Lebensstile und Umgangsformen, die Unterschiede in Entwicklungsverläufen mit sich bringen. Die Beschäftigung mit dem Säuglings- und Kleinkindalter hilft, die Diversität bzw. Heterogenität menschlicher Lebensläufe besser zu verstehen. Schließlich geht es im ersten Kapitel um außerfamiliäre Kontexte von Entwicklung, Bildung und Betreuung. Etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren wird derzeit in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege betreut. Es ist daher von zentraler Bedeutung, sich auch mit der außerfamiliären Entwicklung genauer zu befassen.

Kern des Buches bildet Kapitel 2 mit seinen Unterkapiteln. Dort wird die Entwicklung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren in sechs zentralen Funktionsbereichen differenziert beschrieben. Die Entwicklungspsychologie möchte Verhalten und Erleben von Menschen beschreiben, erklären und vorhersagen. Dabei spielt die Abfolge des Erwerbs wichtiger Kompetenzen, wie der Fähigkeit sich zu bewegen, wahrzunehmen, zu denken, zu sprechen, miteinander umzugehen, zu fühlen und sich selbst zu regulieren, eine bedeutsame Rolle. Jedes Unterkapitel informiert über bedeutsame Fortschritte in diesen Bereichen und gibt Hinweise darauf, wie diese unterschiedlichen Entwicklungen miteinander zusammenhängen. Im Hinblick auf die Gestaltung frühkindlicher Entwicklungs- und Bildungsprozesse sind solche Kenntnisse von hoher Praxisrelevanz.

Kinder in den ersten drei Lebensjahren lernen, sich zu bewegen und ihre elementaren körperlichen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Durch Bewegen, Tasten, Hören, Schmecken, Sehen und Riechen (Sinneswahrnehmung) macht der Säugling seine ersten Erfahrungen und sammelt vielfältige Informationen. Auch Schlafen und Ruhen, Essen und Trinken wollen gelernt sein. Daher beschäftigen sich Kapitel 2.1 mit der körperlichen und motorischen Entwicklung und Kapitel 2.2 mit der Entwicklung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit.

In keinem späteren Lebensabschnitt lernen Kinder so viel und so schnell wie in den ersten drei Lebensjahren (wir werden darauf noch gesondert eingehen). Säuglinge und Kleinkinder erforschen und entdecken die Welt (Exploration); sie sind interessiert und motiviert, sich neues Wissen über Objekte, über Zusammenhänge oder über andere Menschen anzueignen. Die Entwicklung kognitiver Kompetenzen spielt neben der Sprache eine zentrale Rolle in der frühkindlichen Bildung. Kognitive Kompetenzen werden in Kapitel 2.3 thematisiert und umfassen ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Fähigkeiten. Im Mittelpunkt von Kapitel 2.4 steht der Spracherwerb in den ersten drei Lebensjahren. Beschrieben wird die Komplexität dieser zentralen Entwicklungsaufgabe anhand von zehn Meilensteinen. Das Kapitel 2.5 beschäftigt sich damit, was Emotionen sind und wie sie sich im Laufe der ersten drei Lebensjahre entwickeln. Darüber hinaus greift es die Entwicklung der Regulation von Emotionen auf. Die wesentlichen sozialen Entwicklungsschritte bzw. die Entwicklung der Fähigkeiten, aktiv am sozialen Miteinander teilzunehmen, stehen im Vordergrund von Kapitel 2.6. Dabei geht es zunächst um die Beziehung zwischen dem Säugling/Kleinkind und seinen nächsten Bezugspersonen, aber auch um Beziehungen zu Gleichaltrigen (frühe Peer-Beziehungen). Obwohl in den ersten Lebensmonaten/Jahren vor allem die Mutter viel Zeit mit ihrem Kind verbringt, gelten die Ausführungen selbstverständlich auch für Väter und andere Bezugspersonen des Kindes, die einen besonderen Stellenwert haben. Das letzte Kapitel (Kap. 3) thematisiert das Zusammenspiel der verschiedenen Fähigkeiten, die das Kind in den ersten Lebensjahren erwirbt, und macht darüber hinaus deutlich, dass neben diesen Kompetenzen auch das Temperament des Kindes und die Passung zu einer gegebenen Umwelt zur Formierung der Persönlichkeit beitragen. Es werden besondere Risiken der frühen Entwicklung angesprochen und einige diagnostische Verfahren im Überblick dargestellt. Die Persönlichkeit eines Kindes zu begreifen ist ein komplexes Geschehen, an dem viele Faktoren beteiligt sind. Das vorliegende Buch möchte zu dessen Verständnis beitragen.

Schneider, W. & Lindenberger, U. (Hrsg.) (2018). Entwicklungspsychologie (8. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Siegler, R., Eisenberg, N., DeLoache, J. & Saffran, J. (2016). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter (4. Aufl.). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

1Was ist für die frühe Entwicklung bedeutsam?

Jedes Kind muss im Alltag Aufgaben bewältigen, um sich Schritt für Schritt in der Welt zurechtzufinden. Zentrale Entwicklungsaufgaben (z. B. Beziehungsaufbau, Fortbewegung, Sprache) sind überall auf der Welt gleich bzw. „universell“. Die Art und Weise, wie oder zu welchem Zeitpunkt die Aufgaben bewältigt werden, variiert jedoch beträchtlich. Unterschiede im Entwicklungsverlauf entstehen zum einen durch die Einzigartigkeit der genetischen Veranlagung eines jeden Kindes, zum anderen durch die Vielfältigkeit der Umweltbedingungen, in denen Kinder aufwachsen. Die Werte und Normen einer Kultur beeinflussen die Vorstellungen darüber, wie sich Kinder entwickeln und was sie lernen sollen.

Von Geburt an verfügen Säuglinge über verschiedene Lernmechanismen, die sie dabei unterstützen, sich ihre Umwelt zu erschließen und Wissen über sich selbst und die Mitmenschen zu erlangen. Damit ist eine Anpassung an variable Umwelten möglich und es sind die Voraussetzungen für unterschiedliche Entwicklungsverläufe geschaffen. Die Lernmechanismen werden besonders gut in anregenden Alltagssituationen und Interaktionen wirksam. Die ersten Lebensjahre stecken voller Möglichkeiten, Kindern vielfältige Anregungen zu geben und ihre Lernumwelt passend zu gestalten.

1.1 Entwicklungsprozesse – Grundlagen

Menschen entwickeln sich lebenslang. Die ersten drei Lebensjahre sind dabei eine Phase hoher Entwicklungsgeschwindigkeit und tiefgreifender Veränderungen. Zentrale körperliche, motorische, kognitive, sprachliche, emotionale und soziale Fähigkeiten machen enorme Fortschritte. Formal wird die Zeit zwischen Geburt und vollendetem dritten Lebensjahr häufig in drei Abschnitte unterteilt

  Neugeborenenalter: Damit sind die ersten 28 Lebenstage nach der Geburt gemeint. Zu den Grundbedürfnissen eines Neugeborenen gehören u. a. ausgedehnte Schlafperioden, oftmalige Nahrungsaufnahme und der Aufbau einer festen Beziehung zu mindestens einer ständigen Bezugsperson.

  Säuglingsalter: Es umfasst das gesamte erste Lebensjahr und ist durch eine hohe Zunahme von Körpergröße und -gewicht sowie die Reifung des Gehirns gekennzeichnet. Ab Mitte des ersten Lebensjahres setzt die Zahnbildung ein. Ebenso lässt sich ein starker Bewegungsdrang beobachten und Ansätze der Sprachentwicklung im vorsprachlichen Stadium.

  Kleinkindalter: Der längste Abschnitt umschreibt das zweite und dritte Lebensjahr, in dessen Verlauf Kinder z. B. lernen, allein zu gehen und ihre Ausscheidungen zu kontrollieren. Selbstkonzept und Identitätsbildung wie auch die Sprachentwicklung machen entscheidende Fortschritte. Oft gibt es auch schon erste bevorzugte Spielkamerad:innen.

Alle drei Abschnitte zusammengenommen stellen eine Entwicklungsphase dar, in der wichtige Weichen für das weitere Leben gestellt werden. Weichenstellungen betreffen nicht nur die gesunde psychische und körperliche Entwicklung sowie die Gestaltung sozialer Beziehungen, sondern haben auch Auswirkungen auf die eigene Bildungsbiografie und spätere Bildungserfolge. Erfahrungen, die Säuglinge und Kleinkinder in ihren Familien und mit primären Bezugspersonen machen, sind besonders wirksam. Wenn Kinder bereits in den ersten Lebensjahren viel Zeit in familienergänzende Institutionen oder der Tagespflege verbringen, gewinnt die außerhäusliche Betreuung an Bedeutung für die kindliche Entwicklung und Bildung. Zukunftsweisend sind in diesem Zusammenhang Forschungsbemühungen mit systemischem Hintergrund, die sich Kindern, Eltern und Fachkräften zuwenden und die Wechselwirkungen zwischen familiären und institutionellen Bedingungen und Merkmalen untersuchen.

Entwicklung als Aufgabe

Von Geburt an werden Kinder mit zahlreichen Entwicklungsaufgaben konfrontiert, deren möglichst erfolgreiche Bewältigung als Grundlage für eine gesunde Entwicklung und als Basis für das Erlangen immer komplexer werdender Kompetenzen betrachtet werden können. Entwicklungsaufgaben müssen in bestimmten Lebensperioden bzw. -abschnitten im menschlichen Lebenslauf bewältigt werden und stehen mit der jeweils umgebenden Kultur in Zusammenhang. Der Wunsch oder Wille, eine bestimmte Entwicklungsaufgabe (z. B. Laufen können) zu meistern, wirkt als Antrieb, die Diskrepanz zwischen dem Noch-nicht- und dem Können zu überwinden. Nach Havighurst (1948), dem Begründer dieser Theorie, führt die erfolgreiche Bewältigung zu Glück und weiterem Erfolg, während Versagen bei der Bewältigung unglücklich macht, zu Ablehnung durch die Gesellschaft und zu Schwierigkeiten bei der weiteren Aufgabenbewältigung im Laufe des Lebens führen kann.

Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben hängt von individuellen Leistungsmöglichkeiten, soziokulturellen Erwartungen oder Entwicklungsnormen sowie individuellen Zielsetzungen und Werten ab: Individuen (z. B. ein zweijähriges Kind), Mitglieder in sozialen Netzwerken (z. B. der Kooperation von Eltern, pädagogischen Fachkräften oder Tagesmüttern in Erziehungsfragen), kulturelle und gesellschaftliche Angebote (wie der politische Rückhalt für Kindertageseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren), Anforderungen und Ressourcen (wie Bildungsziele, Qualitätsmerkmale und finanzielle Ausstattung) beeinflussen sich wechselseitig. Das sich entwickelnde Kind gestaltet seine eigene Entwicklung aktiv mit. Die Anforderungen, die sich ihm im Laufe des Lebens stellen, besitzen einen jeweils unterschiedlichen Grad an Verbindlichkeit. Manche müssen unbedingt bewältigt werden (z. B. Kontrolle der Ausscheidungen, soziale Kontaktfähigkeit, Schulfähigkeit), andere kommen eher als Chancen oder Möglichkeit daher, die ergriffen werden können oder nicht (z. B. zu heiraten oder Kinder zu bekommen).

Wie die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben beurteilt wird, ist immer auch vom kulturellen Kontext abhängig. Personen, die ein Kind beim Erreichen seiner Entwicklungsziele unterstützen, sollten daher einen Konsens über Entwicklungsziele und mögliche Wege zur Bewältigung finden. Je jünger ein Kind ist, desto deutlicher liegt die Formulierung der Zielsetzung für die nahe und entfernte Zukunft in den Köpfen und Händen von erwachsenen Bezugspersonen (Eltern, Fachkräften, Tagesmüttern, Großeltern usw.). Der Blick auf einzelne Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung wird dabei ganz wesentlich mitbestimmt vom jeweiligen „Bild vom Kind“ und der damit verbundenen Auffassung, wie groß der Anteil des Kindes an seiner eigenen Entwicklung einzuschätzen ist.

sensible Phasen

Innerhalb der ersten drei Lebensjahre (wie auch später noch) lassen sich sogenannte sensible Phasen beschreiben. Das sind Zeitfenster, in denen eine hohe Bereitschaft besteht, bestimmte Informationen aus der Umwelt besonders zügig zu verarbeiten und nachhaltig zu lernen. Man spricht auch von Perioden höchster Plastizität. Viele sensible Phasen sind durch Stadien der Hirnreifung bedingt. In einzelnen psychischen Funktionsbereichen scheinen Einflüsse in der frühen Kindheit prägend für das gesamte weitere Leben zu sein, was sowohl für kognitive, als auch für emotionale und soziale Funktionen gilt.

Die Entwicklung einiger Fähigkeiten (beispielsweise die Feinabstimmung von Sehen und Hören) ist sogar ausschließlich in diesen zeitlich begrenzten Entwicklungsabschnitten möglich (Braun, 2012). Bei fehlenden entwicklungsförderlichen Umweltreizen kann diese nur eingeschränkt bzw. nicht mehr nachgeholt werden. Bezüglich der Ausbildung weiterer grundlegender Funktionen finden sich andere Zeitfenster. Der Beginn sensibler Phasen wird durch einen bestimmten Reifestand der Gehirnentwicklung markiert. So ist bekannt, dass in verschiedenen Bereichen des Gehirns zu unterschiedlichen Zeiten ein Überschuss an Synapsen und Dendriten vorhanden ist, wobei die Art der Stimulierung durch die Umwelt mit darüber entscheidet, welche dieser Verbindungen erhalten bleiben und welche später wieder abgebaut werden.

Anlage-Umwelt-Kovariation

In keinem anderen Lebensabschnitt spielen Umwelteinflüsse eine so große Rolle für die Entwicklung des Menschen wie in den ersten Lebensjahren. Genetische Einflüsse werden erst im weiteren Lebensverlauf bedeutender. So ist der relative genetische Einfluss auf z. B. Intelligenzunterschiede im Ergebnis bei Erwachsenen nicht kleiner, sondern größer als bei Kindern. Als mögliche Ursache dafür kann die wachsende Bedeutung der aktiven Anlage-Umwelt-Kovariation betrachtet werden. Von aktiver Anlage-Umwelt-Kovariation spricht man, wenn Personen sich Umwelten (Freund:innen, Beschäftigungen, Hobbys etc.) aussuchen, welche zu ihren genetischen Dispositionen – ihren Erbanlagen passen –, und diese Tatsache sich auf ihre weitere Entwicklung auswirkt. Die aktive Anlage-Umwelt-Kovariation nimmt im Laufe des Lebens zu, weil Menschen die Gestaltung ihrer Umwelt mit fortschreitender Entwicklung mehr und mehr selbst übernehmen, beeinflussen und kontrollieren.

Wenn Kinder auf die Welt kommen, sind sie zwar von Versorgung, Betreuung und mitmenschlicher Zuwendung abhängig, verfügen aber bereits über eine ganze Reihe beeindruckender Fähigkeiten und sind von sich aus bereit, mit ihrer Umwelt in Kontakt und Austausch zu treten. Neuere Forschungsbefunde unterschiedlicher Disziplinen machen dies deutlich und zeigen, dass die Entwicklung in den ersten Lebensjahren besonders im kognitiven Bereich noch eindrucksvoller verläuft als bislang vermutet. In diesem Zusammenhang taucht häufiger der Begriff des „kompetenten Säuglings“ (Dornes, 2000) auf.

der kompetente Säugling

Dieser Begriff entstand zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Gegenentwurf zum Bild des Kindes als unreifes, hilfsbedürftiges und gänzlich von Erwachsenen abhängiges Wesen. Er steht für ein eigenständiges Individuum mit großem Entwicklungspotenzial und eigenen Rechten. Auch in Bildungsprozessen ist das Kind nicht „Objekt“ von Bildungsbemühungen erwachsener Bezugspersonen, sondern aktiv beteiligtes Individuum im Kontext sozialer Interaktionen und Beziehungen. Damit wird der aktive Anteil des Kindes in den Mittelpunkt von Entwicklung und Lernen gerückt: Das Kind als Akteur:in eigener Entwicklung, welches die gewaltige Entwicklungsarbeit mit Unterstützung durch die Umwelt selbst bewältigt. Das Meistern von Entwicklungsaufgaben gelingt ihm durch Neugier, Lernfreude, spontane Tätigkeit, Selbstorganisation und Selbstgestaltung in einer stimulierenden Entwicklungsumgebung mit Menschen, die im optimalen Fall angemessen und feinfühlig auf seine psychischen und physischen Bedürfnisse reagieren.

entwicklungspsychologische Befunde

Korrespondierend dazu, werfen neuere entwicklungspsychologische Erkenntnisse ein anderes Licht auf Fähigkeiten wie Lernmöglichkeiten von unter Dreijährigen. Schon Säuglinge verfügen über eine mentale Repräsentation von Objekten. Bereits mit drei Monaten verstehen sie, dass ein Gegenstand auch dann weiterexistiert, wenn man ihn nicht mehr sieht. Ihr intuitives Wissen über grundsätzliche Zusammenhänge der Welt ist erstaunlich, z. B. findet sich bereits im ersten Lebensjahr ein rudimentäres Verständnis von Schwerkraft oder auch ein Grundverständnis dafür, unter welchen Umständen ein Objekt stabil auf einem anderen Objekt liegen bleibt. Neben diesem intuitiven physikalischen Kernwissen existiert auch ein intuitives biologisches und psychologisches Vorwissen.

Es gibt sogar erste Hinweise darauf, dass Kinder bereits zu Beginn des zweiten Lebensjahres ansatzweise in der Lage sind, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Detaillierte Ausführungen zu diesen Erkenntnissen finden sich im Kapitel Denken und Problemlösen (Kap. 2.3). Bestätigung erfahren entwicklungspsychologische Befunde durch zahlreiche neurobiologische Forschungsergebnisse. Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wird insbesondere der nachhaltige Einfluss früher Lernerfahrungen auf die Entwicklung des Gehirns sichtbar. Das kindliche Gehirn erfährt in den ersten Lebensjahren nicht nur ein enormes Wachstum (ca. 400 g bei Geburt und ca. 1000 g im Alter von zwei Jahren), sondern auch eine starke Verdichtung der neuronalen Netzwerke.

1.2 Lernen in der frühen Kindheit

Von Geburt an zeigen Kinder eine ausgeprägte Neugier für ihre Umwelt. Das angeborene Motiv, Informationen durch Exploration aufnehmen zu wollen, ist die grundlegende Voraussetzung für Lernen. Aber es gibt auch angeborene universelle Lernmechanismen, die dem Kind helfen, die aufgenommene Information effizient weiterzuverarbeiten.

universelle Lernmechanismen

1Beim Kontingenzlernen geht es um das Erkennen von Wirkungszusammenhängen (Ursache-Wirkungslernen). Es ist eine Lernform, bei der eine Beziehung (Kontingenz) zwischen eigenem Handeln und darauffolgenden Reaktionen bzw. Konsequenzen oder Folgen erkannt wird. Wenn das Licht im Raum angeht, unmittelbar nachdem der Schalter neben der Tür gedrückt wurde, kommt diese Handlung als wahrscheinlicher Auslöser in Frage. Säuglinge haben eine hohe Sensitivität für Kontingenzen und unterscheiden zwischen beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Ereignissen. Wenn sich Babys als verursachend für Reaktionen von anderen Personen oder Gegenständen erleben, sind damit Selbstwirksamkeitserfahrungen verbunden.

2Habituationslernen beschreibt die Gewöhnung an Reize und damit die Abnahme der Reaktionsbereitschaft bei wiederholter Reizdarbietung. Bereits wenige Tage alte Säuglinge sind in der Lage, sich an Reize zu gewöhnen. Im Laufe der Zeit nimmt die Aufmerksamkeit, die auf einen wiederholt dargebotenen Reiz gerichtet wird, ab. Langeweile tritt ein und damit Gewöhnung an den Reiz (Habituation). Der Reiz wird wiedererkannt. Werden nach einer Habituationsphase neue Reize dargeboten, nimmt die Aufmerksamkeit wieder zu. Man spricht von einer Orientierungsreaktion. Wird einem Säugling wiederholt ein visueller Reiz (Stimulus), z. B. ein Spielzeug dargeboten, wird der Säugling allmählich damit vertraut und das Interesse an dem Gegenstand lässt nach, indem das Spielzeug immer kürzer fixiert und schließlich der Blick abgewendet wird.

3Assoziationslernen (Verbindungslernen) zeigt sich ebenfalls bereits in den ersten Lebensmonaten. Säuglinge können Zusammenhänge (Assoziationen) zwischen verschiedenen Ereignissen erkennen, die in unmittelbarer räumlicher oder zeitlicher Nähe zueinander auftreten. Ereignisse können zwei Reize sein (wie bei der klassischen Konditionierung) oder eine Reaktion und ihre Folgen (wie bei der operanten Konditionierung). Sie nehmen diese wahr und bilden Erwartungen im Hinblick auf zukünftige Situationen. Menschliches Denken ist assoziativ, jede neue Information wird im Gehirn automatisch zu vorhandenen Inhalten in Beziehung gesetzt. Lernen fällt leichter, wenn neue Informationen mit persönlichen Erinnerungen, Emotionen, Bildern oder Orten verknüpft werden können.

4Imitations- oder Nachahmungslernen (Lernen am Modell) stellt eine weitere bedeutsame Form des Lernens von Beginn an dar. Modelllernen bedeutet, dass Menschen durch Nachahmen (Imitation) bei anderen lernen. Was den Vorteil hat, dass sich so zahlreiche komplexere Verhaltensweisen übernehmen lassen, von denen Kinder sehen konnten, dass sie funktionieren (erfolgreich sind). Bereits Neugeborene imitieren Gesichtsausdrücke der Bezugspersonen (Zunge herausstrecken, Mund öffnen, Lippen spitzen usw.). Die prinzipielle Fähigkeit zur Imitation von Bewegung gilt als angeboren – neuronale Mechanismen ordnen den visuellen Reizen der erwachsenen Bezugsperson motorische Kommandos zu. Im Laufe der kindlichen Entwicklung können durch Modelllernen zunehmend Verhaltensmuster, Handlungen und Emotionen anderer (Modell-)Personen in das eigene Verhalten sowie Erleben integriert werden, z. B. die Beobachtung der Tischmanieren der Eltern oder Geschwister und vieles mehr.

Entscheidend ist, dass alle diese Lernmechanismen äußere Reize erfordern, wie sie in sozialen Situationen und auch im Umgang mit der physischen Welt erlebt werden. Lernerfahrungen in den ersten Lebensjahren treiben die Entwicklung stärker voran als bislang vermutet. Von maßgeblicher Bedeutung dabei ist, dass das Lernen eingebettet ist in emotional bedeutsame Beziehungen, wie Befunde der Hirnforschung zeigen (etwa Hüther, 2006). Lernen funktioniert immer dann besonders gut, wenn gleichzeitig jenes Areal im Gehirn aktiviert ist, das an der Verarbeitung von Emotionen maßgeblich beteiligt ist: das limbische System. Emotionale Sicherheit spielt vor allem für das Lernen in den ersten Lebensjahren eine entscheidende Rolle. Die Qualität des emotionalen Umfeldes und der Grad der frühkindlichen geistigen Anregung beeinflussen die späteren intellektuellen und sozio-emotionalen Fähigkeiten des Kindes (u. a. Braun, 2012).

Lernen als sozialer Prozess

Diese Erkenntnisse machen deutlich, dass Entwicklung nicht einfach die Entfaltung angeborener Fähigkeiten ist, sondern in entscheidendem Maße vom Kontext und den Beziehungen zu anderen Menschen abhängt. Lernen ist ein sozialer Prozess – der wesentliche Faktor für die Konstruktion von Wissen liegt in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen.

Internationale Forschungsbefunde betonen, dass Bildung in den ersten Lebensjahren Kindern nur dann gerecht wird, wenn Lernen engagiert verläuft. Dazu gehört die aktive Beteiligung der Kinder am Lernprozess und die Möglichkeit, Dinge zu hinterfragen, zu reflektieren, eigene Erklärungsansätze zu entwickeln, unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen und sich mit anderen darüber austauschen zu können.

Bedeutung des Selbstbewusstseins für das Lernen

Während der ersten Lebensjahre eignen sich Kinder nicht nur Wissen über die Welt an, sondern auch Wissen über sich selbst. Vorstellungen, Gedanken und Gefühle über sich selbst werden mit dem Begriff „Selbstbewusstsein“ umschrieben. Die Entwicklung des Selbstbewusstseins zieht sich von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Es beinhaltet eine beschreibende und eine bewertende Komponente. In den ersten Lebensjahren ist das Selbstbewusstsein eines Kindes noch relativ variabel und erfährt durch soziale Vergleiche zunehmend mehr Stabilität. Zwischen sich und anderen unterscheiden zu können, ist eine elementare Voraussetzung für den Aufbau des Selbstbewusstseins. Im Erkennen der eigenen Wirkung auf die Umwelt kommt zum Ausdruck, dass Kinder zumindest eine rudimentäre Vorstellung des Selbst entwickelt haben. Dies ist ab einem Alter von ca. vier Monaten an den unterschiedlichen Reaktionen auf selbst- und fremdverursachte Effekte festzustellen (Siegler et al., 2016, 409 f). Noch deutlicher tritt die Entwicklung des Selbstbewusstseins zutage, wenn sich Kinder um den 20. Lebensmonat herum im Spiegel erkennen (Kap. 2.6). Ein weiteres Zeichen ist das „Selbermachenwollen“. Sobald Kinder eine Vorstellung von sich als Person aufgebaut haben, beginnen sie durch Selbstbeobachtungsprozesse sowie Interaktionen mit anderen, Wissen über sich zu sammeln und dieses auch zunehmend zu bewerten. So erhalten Kinder mehr und mehr implizite und explizite Rückmeldungen zu ihrem Verhalten und verinnerlichen (internalisieren) Vorstellungen, die an sie herangetragen werden. Die kindliche Selbstwahrnehmung und -bewertung ist von hoher Relevanz, da diese in Zusammenhang mit der Freude am Lernen und der Anstrengungsbereitschaft steht. Das allmählich