Erlebnisse im Heiligen Land - Johannes Zang - E-Book

Erlebnisse im Heiligen Land E-Book

Johannes Zang

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Beschreibung

Hat Israel je an einer Fußball-WM-Endrunde teilgenommen? Wie viele anerkannte Kirchenoberhäupter gibt es in diesem Land? Welches palästinensische Familienunternehmen existiert seit dem Jahr 1300? Wie lautet der häufigste männliche Vorname in Israel? Welcher Palästinenser saß fast 400 Wochen in israelischer Haft, ohne je angeklagt zu werden? Wie viele Muslime leben in Israel? Der deutsche Journalist Johannes Zang lebte fast zehn Jahre in Israel (Kibbutz Be´eri, Tel Aviv) und den besetzten palästinensischen Gebieten (Bethlehem, Ost-Jerusalem). Dort führte er über 100 Gespräche, mit MinisterInnen und BürgermeisterInnen, HistorikerInnen und SoziologInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen und JournalistInnen, Rabbinern und christlichen Würdenträgern, MenschenrechtsanwältInnen und FriedensaktivistInnen, und mit hunderten Menschen "von der Straße": an Kontrollpunkten, auf Familienfeiern und Empfängen, in Schulen und Sammeltaxis, nach Friedensgebeten und auf Protestmärschen. Dieses Buch beleuchtet nicht nur schöne, angenehme Seiten des Heiligen Landes wie Nationalparks oder Israels blühende Start-up-Szene, es stellt auch Dialoginitiativen, Friedens- und Menschenrechtsgruppen vor. Zudem schildert es exemplarisch einige Facetten der seit 1967 bestehenden israelischen Militärbesatzung, die in Österreich, Deutschland oder der Schweiz nahezu unbekannt sind. In 77 Texten bildet der Autor den Reichtum des Heiligen Landes ab, das Bunte, Anziehende und Vielfältige. Er benennt gleichwohl auch Verstörendes, Widersprüchliches und Himmelschreiendes. Ein umfangreicher Anhang bietet wertvolle Buchtipps, weist auf augenöffnende Filme hin, erklärt, auf welchen Internetseiten man Hintergrundinformationen findet und nennt Webinare, die tief in die israelische und palästinensische Gesellschaft sowie deren Konflikt blicken lassen. Eine etwas andere Zeittafel markiert Meilensteine der Geschichte, der Konfrontationen sowie von Dialog- und Friedensinitiativen.

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Seitenzahl: 301

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Johannes ZangErlebnisse im Heiligen Land

© 2021 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-892-6(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-490-4)

Coverfoto: Johannes Zang

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
43 Nationalparks laden ein
21 Vogelarten sind nicht koscher
18 Prozent Muslime
Minus 435,44 Seehöhe
495 Palästinenser in Administrativhaft
12 Millionen Wörter
0:0 im Fußball
200 Tage Ausgangssperre
Kurioses und Heiteres seit 169 Jahren
Israel: Wahlen alle zwei Komma drei Jahre
44 Minuten warten lassen
170 Sprachen und Dialekte
27.712 Gerechte unter den Völkern
Ivrit: 22 Buchstaben
26,1 Prozent Nichtjuden
Soldaten zweimal ausgetrickst
Sechs deutsche Stiftungen mit zehn Büros
HCJ 894/09
270 Kibbuzim: Ein Drittel der Agrarproduktion
Sieben Messiasse in Jerusalem
512 Geschäfte zwangsgeschlossen
60 Kirchenorgeln im ganzen Land
Bis zu 7000 Mitarbeiter: der Mossad
Kein vierter Gang in Palästina
»Sagt nicht, ihr hättet nichts gewusst«: Nr. 738
6000 Hektoliter palästinensisches Bier
Ruhen sollst du alle sieben Jahre: Schmitta
Wasser: Palästina 82 Liter, WHO 100 Liter, Österreich 130 Liter, Israel 271 Liter
450 Gramm braune Linsen
Der siebte Engel
27 Jahre Lebenszeit
Städtepartnerschaften 103:16
800.000 Menschen an einem Ort
Moscheebauphase: von 200 auf 600
805 Tote durch palästinensische Selbstmordattentate
724 Pilger »nach dem Heiligen Lande«
150.000 Haushalte in Israel leben vom Konflikt
Fall Nr. 111.328
7,1 Kinder pro Frau
Nr. 1 im Diamantenhandel
Vier Wiener in Israel
65 Millionen Euro Verlust durch israelische Zerstörung
500.000.000 Zugvögel
Um 1850: 2500 Südwestdeutsche in Palästina
Bis zu 6500 Start-ups
Zwei palästinensische Heilige
7:1 Tote seit 1987
6,2 auf der Richterskala
13 anerkannte Kirchenoberhäupter
Shoa-Gedenken: erst 13 Jahre später
Platz 86 bei »Reporter ohne Grenzen«
27 Generationen: Familienbetrieb Razzouk
112 gegenüber 400 Firmen
Über Tausend Volontäre aus Deutschland
Träumen vom dritten Tempel
Seit 20 Jahren ein anderes Israel zeigen
39 Tätigkeiten untersagt
Frühlingshügel auf dem 32. Breitengrad
5,7 Millionen registrierte Flüchtlinge
8600 jüdische Siedler
Ein Ehrenmord pro Woche
Klein-Wien in der Via Dolorosa 37
Neun Stunden, zwei Minuten für 110 Kilometer
20.000 jüdische Neueinwanderer – 55 pro Tag
Ein beziehungsweise zwei Prozent Christen
50 unter Zehntausend Gemeinden
45 Prozent mit einem Verwandten verheiratet
Tausend Treffen außerhalb des Landes
Eingesperrt auf 365 km²
25.000 Schnipsel
Reservedienst bis 42 Jahre
Schutz durch 1800 ökumenische Begleiter
531 Dörfer und elf Stadtteile entvölkert
Sieben Stunden, 15 Minuten für Palästina
30-jähriger Krieg um 42 Hektar Land
Mehr als 130.000 Häuser seit 1947
Hoffnung? Hundertfach!
Schlusswort
Quellen und Tipps zum Weiterlesen (inkl. Film- und Webinartipps)
Literaturempfehlungen
Zeittafel – mit Fokus auf Friedensbemühungen

Das Alte (erste) Testament kennt vier große und zwölf kleine Propheten.

Dieses Buch widme ich den 16 aktuellen Prophetinnen und Propheten Israels:

Amira Hass (Ha’aretz)

Hagai El-Ad (B’Tselem)

Jessica Montell (HaMoked)

Hagit Ofran (Shalom Achshav – Frieden jetzt!)

Avraham Burg (Ex-Abgeordneter, Autor)

Rachel Beitarie (Zochrot)

Rami Elhanan (Parents Circle)

Tania Hary (Gisha)

Gideon Levy (Ha’aretz)

Jeff Halper (ICAHD)

Hillel Schenker (Palestine-Israel Journal)

Nir Baram (Autor)

Yudith Oppenheimer (Ir Amim)

Ran Goldstein (Ärzte für Menschenrechte)

Yehuda Shaul (Breaking the Silence)

Avi Dabush (Rabbiner für Menschenrechte)

Über den Autor

Johannes Zang, geboren 1964 in Aschaffenburg (Bayern), hat in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten als Zitronenpflücker, Altenpfleger, Musiklehrer und Reiseleiter gearbeitet. Als Journalist mit Sitz in Ost-Jerusalem schrieb er unter anderem für Zeit Online, Freitag, die Katholische Nachrichtenagentur und die taz. Bislang hat er 60 Reisegruppen durch Israel und Palästina geführt. Er lebt in seinem Heimatort Goldbach bei Aschaffenburg.

Dank

Danken möchte ich allen Interview- und Gesprächspartnern für ihre Zeit und die Einsichten, die sie mir gewährt haben. Ein herzliches Danke ergeht an meine drei Korrekturleser Hermann Krausert, Andreas Paul und Heribert Kaufmann für das aufmerksame Lesen, für Rückfragen, Hinweise und Anregungen, ebenso an Marius Stark für die Rückmeldung zu einem Text.

Für den einen oder anderen Tipp sowie für Antworten auf teilweise knifflige Fragen danke ich Christine Schacht, Martin Rambow, Shir Hever, Pete Hämmerle, Josef Wallner, Martin Zellinger und Peter Lintl.

Vorwort

Werte Leserin, werter Leser,

manche haben Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete längst abgeschrieben. Sie wollen nichts mehr von dieser Region hören, aus der seit 140 Jahren meist Deprimierendes zu uns dringt: Unruhen, Ausschreitungen, Gewalt und Gegengewalt. Dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben, freut mich und zeigt: Sie haben noch einen Funken Hoffnung! Oder: Sie wollen etwas jenseits von Gewalt und Terror lesen. Oder: Sie wollen hinter Gewalt und Terror schauen.

Sie werden auf den nächsten Seiten Zahlen in der Überschrift finden, doch handelt es sich dabei um keine Jahreszahlen. Es sind angenehme, überraschende, verblüffende Zahlen, aber auch schockierende. Man könnte beim Heiligen Land fast von heiligen und unheiligen Zahlen sprechen. Sie berühren unterschiedlichste Lebensbereiche: Von Ausgangssperre bis Zugvögel streife ich Themen wie Archäologie, Frieden, Küche, Kultur, Natur, Politik, Religion, Sprachen bis zum Sport. Viele Texte entsprangen einem eigenen Erleben, einer Begegnung im Heiligen Land oder einem Interview, das ich führte. Stellenweise lasse ich Sie an eigenen Gedanken, Gefühlen, Träumen teilhaben.

Alle Geschichten – bis auf die letzten zwei – habe ich unter Mühen auf eine Doppelseite gepresst, auch das heikle Thema Wasser. Da ist es nur zu verständlich, dass manches ungesagt bleiben muss und nur angeschnitten werden kann. Ich habe mich bemüht, das Wesentliche unterzubringen. Kleiner Trost: Jeder Text lässt sich dank Quellenangaben und Tipps zum Weiterlesen vertiefen; mitunter finden Sie dort auch wichtige Informationen rund um das Interview oder beispielsweise die Notiz, dass meine E-Mail an eine Institution zwecks Recherche nie beantwortet wurde.

Zusätzlich finden Sie Listen mit allgemeinen Bücher-, Film-, Internetseiten- und Webinar-Tipps.

Der vorletzte Text dokumentiert eines meiner schlimmsten Erlebnisse als Journalist in Jerusalem: den Abriss eines palästinensischen Hauses mitzuerleben, zumal im Winter. Dafür brauchte ich vier Seiten. Gleiches gilt für die letzte Geschichte, eine der Hoffnung und Zuversicht, mit der ich den Hauptteil beschließe und ein Licht am Ende des endlos scheinenden Nahosttunnels aufscheinen lasse.

Hinter manchen Zahlen verbergen sich ebenso viele Schicksale, schlaflose Nächte, Ängste, Sorgen. Es sind Zahlen, die den Unfrieden zwischen Israelis und Palästinensern bezeugen oder eine Facette der israelischen Militärbesatzung in den palästinensischen Gebieten widerspiegeln. Dieser Terminus der Besatzung taucht in deutschsprachigen Medien kaum auf, ist aber ein Faktum.

Was will dieses Buch?

Es will den Reichtum des Heiligen Landes abbilden, das Schöne und Anziehende, Bunte und Vielfältige, Erstaunliche und Bewundernswerte. Es will jedoch auch die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit zeigen, Ungereimtheiten und Himmelschreiendes. Und es möchte einige der Initiativen porträtieren, die Brücken über Gräben bauen und Zerrissenes heilen wollen.

Ich wünsche Ihnen Offenheit, sich auf dieses Buch einzulassen!

Goldbach bei Aschaffenburg (Bayern), im August 2021 Johannes Zang

43 Nationalparks laden ein

»Macht mal ein bisschen mehr Natur und weniger Kirchen«, riet mir der israelisch-jüdische Reiseführer Assaf Zeevi beim Erfahrungsaustausch im Kibbuzferiendorf Ma’agan am See Genezareth. Damit empfahl er genau das, was ich als Reiseleiter seit jeher praktiziere. Bei einer zehntägigen Rundreise baue ich mindestens vier Spaziergänge oder Wanderungen ins Programm ein: in der Oase Ein Gedi am Toten Meer, durchs Wadi Qelt in der judäischen Wüste, über den Berg der Seligpreisungen und vom Banias-Wasserfall nach Cäsarea Philippi. Erst- und letztgenannter Spaziergang finden in einem israelischen Nationalpark statt. 43 davon sind über das ganze Land verteilt; die Parks Herodion oder Qumran befinden sich im besetzten palästinensischen Westjordanland in israelischer Hand und sind historisch-archäologische Stätten.

Als ich 1986 wie viele andere vorwiegend jugendliche Abenteurer vom Banias-Wasserfall in das Becken sprang, in das er sich ergießt, war dort noch kein Nationalpark eingerichtet. Man konnte sich ohne Eintrittsgebühr und wachsame Ranger in der grünen Wasseroase aufhalten. Manche der Nationalparks wurden bereits in den 1960er-Jahren zu solchen erklärt, andere erst vor wenigen Jahren. Betreut werden sie von The Israel Nature and Parks Authority (INPA). Viele der mit einem Steinbock-Emblem markierten Nationalparks sind beliebte Ziele für Schul- oder Armee-Ausflüge, darunter der erwähnte Ein-Gedi-Nationalpark, in dem man in Sichtweite zum Toten Meer auf sehr viel Leben trifft: auf Steinböcke und Klippdachse, natürliche Wasserbecken und -fälle, Schlingpflanzen und Balsamsträucher.

Mancher Nationalpark wurde in den Rang einer UNESCO-Welterbestätte erhoben wie die Felsenfestung Massada (2001), in der man auf Spuren von Herodes d. Gr. stößt (z. B. Nordpalast), auf jene von jüdischen WiderstandskämpferInnen gegen die Römer (z. B. Synagoge und Kolumbarien) oder byzantinischer Mönche des 6. Jahrhunderts (Kirchenruine mit Mosaiken). Mittlerweile finden sich auch die Nationalparks von Tel Meggido oder Mamshit, der Nabatäerstadt im Negev, auf der begehrten Liste.

Daniel Kleine-Kraneburg hat 2016/17 in Jerusalem einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst geleistet. Seine Liste an Wandertouren, Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkten wurde stetig länger, sodass er gestehen musste, sie sei »nicht in drei Monaten, nicht in einem Jahr und auch nicht in fünf« abzuarbeiten. »Beim Wandern oder Spazieren in der Natur hört man auf, die Erlebnisse anderer zu konsumieren. Man fängt an, die Ruhe, die Weite, die Leere der Wüste aufzunehmen, zu genießen oder auch mit dem zu füllen, was in einem vorgeht. Häufig benutzt man salopp den Ausdruck ›über Gott und die Welt reden‹. Aber das trifft sehr gut, was ich auf den Wanderungen erlebt habe.«

Nach 60 Reisebegleitungen mit schätzungsweise 2000 Teilnehmern weiß ich aus erster Hand: Wandern in der Wüste oder in Galiläa tut not, um die bunten, schnell wechselnden, oft widersprüchlichen Eindrücke des Landes zu bedenken und zu verdauen. Angie aus der Nähe von Passau hatte »besonders in der Wüste göttliche Momente«. Auch Thomas war von der Halbtageswanderung durch das Wadi Qelt erfüllt: »Der Gang durch die Wüste hat mich wahnsinnig beeindruckt«, sagte er rückblickend. Nicht nur bei diesen beiden hat eine Wanderung tiefere Spuren hinterlassen als eine heilige Stätte.

21 Vogelarten sind nicht koscher

Sogar der Klebstoff auf israelischen Briefmarken ist koscher. Wie bitte? Das hebräische Wort »kascher« (dt. koscher) bedeutet »geeignet, erlaubt« und meint im Wesentlichen Essen und Trinken. Die Kaschrut – so das Hauptwort – umfasst vier Bereiche:

die Art des Schlachtens (Schächten genannt)reine und unreine TiereWelche Lebensmittel dürfen zusammen verzehrt werden, welche nicht?der zeitliche Abstand zwischen fleischiger und milchiger Mahlzeit

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, sei dies gesagt: Das geschlachtete Tier muss ganz ausbluten. Dies überwacht ein Vertreter des jüdischen Rabbinats. Dass das Schwein als unrein gilt, dürfte bekannt sein, weniger jedoch, dass auch Kamel, Hase, Krabben und Shrimps tabu sind. Des Weiteren listet die Tora, in den Büchern Levitikus und Deuteronomium, 21 unkoschere Vogelarten auf, erlaubt aber den Verzehr von vier Heuschreckenarten.

Fleisch und Milch werden niemals vermischt. Einem frommen Juden entgeht so der Genuss von Spaghetti Bolognese (Hackfleisch und Parmesan), Züricher Geschnetzeltem (Fleisch und Rahmsoße) oder einer Salami-Pizza. Für Milchiges und Fleischiges sind jeweils eigene Küchen- und Kühlschränke, Spülen sowie getrenntes Geschirr erforderlich. Markierungen mittels eines blauen Punktes (milchig) oder eines roten (fleischig) dienen der Orientierung. Nie werde ich eine Wanderung Mitte der 1980er-Jahre vergessen, bei der ich ungewollt zum Mittelpunkt einer Kaschrut-Frage wurde. Damals arbeitete ich als Volontär in der jüdischen Field School (Naturschule) Ma’ale Efraim im besetzten Westjordanland, nordwestlich von Jericho. An freien Tagen durfte ich an Ausflügen von Gruppen teilnehmen, die sich in der Field School eingemietet und einen Wanderführer gebucht hatten. Einmal ging es mit einer religiösen Jungenklasse durch die judäische Wüste. Die Lehrer waren gleichzeitig Rabbiner. Bei der Mittagspause – fleischig! – verzehrten die vorpubertären Jungen ihre mitgebrachten Hähnchen-Salat- oder Truthahn-Tomaten-Brote. Danach war nur noch eine kurze Strecke bis zum Ziel zurückzulegen. Als wir, die Vorhut, dort einen Kiosk entdeckten, war der Jubel groß. Die erschöpften Stadtkinder wollten sich mit einem Eis belohnen. Gedacht, getan. Und schon schleckten die Knaben genüsslich. Wenige Minuten später erschien die Nachhut. »Werft das Eis sofort weg! Ihr habt doch erst Fleisch gegessen! Das ist noch keine zwei Stunden her!«, schimpfte einer der Rabbis. Die Jungen ließen die Köpfe hängen. Ein ganz Schlauer meinte ernsthaft: »Der Jochanan (so nannte man mich) ist doch kein Jude. Der könnte doch unser Eis zu Ende schlecken!« Und schon streckten mir mehrere Knaben ihren Nachtisch entgegen. Die Rabbiner ließen, ganz toratreu, keinen zu Ende lecken. Die sogenannte Neutralisierungszeit zwischen fleischiger und milchiger Mahlzeit beträgt je nach Land, Rabbi und religiöser Ausrichtung bis zu sechs Stunden.

Koschere Küche ist eine Mitzva, ein göttliches Gebot. »Gesetze definieren die für Juden geeigneten Speisen. Sie wurden den Kindern Israels am Berge Sinai von G-tt gegeben. Moses lehrte sie dem Volk und schrieb die Grundpfeiler dieser Gesetze in Lev. 11 und Deut. 14 auf«, heißt es seitens der ultraorthodoxen Chabad-Bewegung, und weiter: »Wir essen koscher, weil G-tt es uns befohlen hat, und durch Erfüllen SEINES Wunsches verbinden wir uns mit IHM« (die Schreibweise G-tt versucht dem Verbot, den Namen des Höchsten auszusprechen, genüge zu tun).

Kaschrut – ein riesiges Feld. Ich erinnere mich an Forderungen »koscheren Stroms«, die Frage, ob gentechnisch veränderte Tomaten koscher seien und die Aufregung über einen »koscheren Ikea-Katalog«, in dem man Frauen vergeblich sucht. Im Mai 2021 erörterte die Zeitung Ha’aretz tatsächlich die Frage, ob König David Shrimps gegessen hat.

Bislang konnte ich leider nicht herausfinden, wie sich der israelische Klebstoff von einem argentinischen oder österreichischen unterscheidet.

18 Prozent Muslime

Der häufigste Vorname in Israel? Avi (Kurzform für Avraham), Mosche (Moses) oder Sara? Falsch. Jahr für Jahr ist es Mohammed. Die stolzen Väter lassen sich mit dem Ehrennamen Abu Mohammed (Vater von Mohammed) ansprechen. Ja, Israel ist verwirrend.

18 Prozent der Staatsbürger sind Muslime, mehrheitlich Sunniten. Daneben findet man Schiiten, Alawiten, Ahmadiyya und Shazaliyya. Muslime leben in Jaffa, Haifa, Akko, Nazareth und in weniger bekannten Städten wie Schefar’am oder Umm al-Fahm, dazu in Dörfern Galiläas. Auch die Beduinen sind Anhänger des Propheten Mohammed.

Nach dem Judentum ist der Islam mit fast 1,7 Millionen Gläubigen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft unter 9,3 Millionen Einwohnern. Laut israelischem Außenministerium hat sich die muslimische Bevölkerung seit 1948 verzehnfacht. In landesweit mehr als 400 Moscheen versehen etwa 300 Imame und Muezzine ihren Dienst, vom Staat bezahlt, der auch Korane zur Verfügung stellt.

Muslime, Christen und Drusen sprechen als Muttersprache Arabisch. Wurden sie früher israelische Araber oder arabische Israelis genannt, nennen sie sich neuerdings bewusst »Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit«. Erst 2007 wurde mit Raleb Majadele der erste Muslim Minister in der Geschichte Israels. Seit Juni 2021 ist erstmals in der Geschichte eine arabische Partei direkt an der Regierung beteiligt: Der ultranationale Siedlerunterstützer Naftali Bennett von der Partei Yamina und Mansour Abbas von der islamischen Partei Ra’am unterzeichneten neben sechs weiteren Parteien ein Anti-Netanyahu-Zweckbündnis. Wird es halten?

Abseits der Politik sind die Schauspielerin und frühere Miss Israel Hiam Abbass oder der Ex-Fußballer Abbas Suan bekannte Gesichter muslimischen Glaubens.

Wie leben die Religionen zusammen? Das Urteil des früheren ORF-Israel-Korrespondenten Ben Segenreich kann ich unterstreichen: »Es gibt natürlich auch persönliche Freundschaften zwischen Juden und Arabern, aber ich meine, das ist doch die Ausnahme – im Wesentlichen lebt man nebeneinander her. (…) [E]s gibt da die ganz religiösen Juden, die weniger religiösen, die gar nicht religiösen, es gibt arabische Gegenden, drusische Dörfer, Beduinendörfer – man lebt in seinem Sektor nach seiner Art, das war immer so, das ist normal.«

Schwelendes Dauerthema ist die innerarabische Gewalt und die angebliche Zögerlichkeit von Polizei und Justiz. Als im März 2021 der 15-jährige Mohammed Adas getötet und der 12-jährige Mustafa Hamad lebensgefährlich verletzt wurden, unweit der Polizeiwache ihres Ortes Jaljulya, nahm das die linksliberal-investigative Tageszeitung Ha’aretz zum Anlass für einen Leitartikel. Das neue Jahr sei noch keine zweieinhalb Monate alt und Adas bereits »das 23. Gewaltopfer in der arabischen Bevölkerung«. Laut Ha’aretz »spiegelt das auf eiskalte Weise die persönliche Sicherheitslage« dieser Minderheit. »Niemand ist geschützt, nicht einmal Teenager außer Haus.« Zwei Wochen vor den Wahlen appellierte der Leitartikel an Premier Netanyahu (dessen ältester Sohn Yair heißt): »›Abu Yair‹ ist für die Sicherheit aller Bürger verantwortlich, egal, ob sie Yair oder Mohammed heißen.« Wenige Wochen später kam es zum Krieg gegen die Hamas, der innerisraelische Gewalt gebar. Scheinbar wie aus dem Nichts attackierten arabische Mobs Juden und umgekehrt. Der frühere ARD-Studioleiter in Tel Aviv Richard C. Schneider, selbst jüdischen Glaubens, sieht hinter dem Gewaltausbruch »die zunehmende Frustration der arabischen Israelis (…) mit der jüdisch-extremistisch-rassistischen Politik ihnen gegenüber.« Als Beleg führt er »das Nationalstaatsgesetz von 2018, das arabische Staatsbürger de facto zu Menschen zweiter Klasse macht« an. Er bilanziert: »(…) [D]er Riss in der israelischen Gesellschaft sitzt fundamental tief.«

Zurück zum Namen des Propheten: 2019 wurden 2598 Neugeborene in Israel Mohammed oder Muhammad genannt.

Minus 435,44 Seehöhe

Da liegt eine Muslima in voller Montur im Wasser, dort eine Ordensfrau im Habit – zum Verwechseln ähnlich. Das Gewässer mit den vier Namen – Totes Meer, Salzsee, Meer des Lot oder Asphaltsee – möchte jeder Israel-, Palästina- und Jordanienreisende am liebsten selbst testen und am tiefsten Punkt der Erde wie ein Korken im Wasser schweben. Denn der Salzgehalt von über 30 Prozent macht Schwimmen unmöglich. Bademeister würden jeden Kraulversuch sofort mittels Trillerpfeife beenden. Nur Rückenlage ist in der Salzbrühe erlaubt, solange es sie noch gibt. Denn der Wasserspiegel sinkt jährlich um etwa einen Meter und lag laut israelischer Regierung am 29. April 2021 bei minus 435,44 Höhenmetern.

Der deutsche Wasserexperte Clemens Messerschmid erläutert dazu: »Seit 1964 sinkt der Wasserstand unaufhaltsam, seit 1992 dramatisch, aber völlig stabil.« Grund: 1964 ging die israelische Landeswasserleitung National Water Carrier ans Netz. »Seither ist vom Jordan nichts mehr übrig.« Sehen kann man das an der Taufstelle Qaser al-Yahud unweit Jericho. Der einst gut 60 Meter breite Fluss ist schmäler als die Flüsse Enns, Mur, Tauber und Lahn. Ein weiterer Wasserräuber sitzt am Südende des Salzgewässers, die Dead Sea Chemical Works, laut Messerschmid die »größte Openair-Kaliproduktion der Welt und größter israelischer Rohstoffexporteur«. 600 Millionen Kubikmeter Wasser pumpt die Fabrik jährlich aus dem Nordteil über einen Kanal in den Südteil, dampft es ein und gewinnt das Düngemittel Kalium sowie Magnesium. Allein dieser Wasserverbrauch entspreche der Menge des jährlichen Wasserverlusts, erklärte Inka Reichert schon 2013 im Zeit-Artikel »Der durstige Salzsee«. Verschlimmernd kommt die hohe Verdunstungsrate hinzu. Kurzum: Das abflusslose Binnenmeer liegt längst im Sterben, die Umgebung mit Tausenden von Sinklöchern infolge des Wasserverlustes auch. Noch mal Messerschmid: »Früher gab’s ein Gleichgewicht zwischen Zufluss und natürlicher Verdunstung. Das ist gestört.«

Während in den 1950er-Jahren jährlich 1300 Millionen Kubikmeter aus dem unteren Jordan in den Salzsee flossen, sind es aktuell zwischen 20 und 200 Millionen, nachzulesen im Bericht »The Inventory of Shared Water Resources in Western Asia«, erstellt von den Vereinten Nationen, dem deutschen Bundesministerium BMZ und der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe. So nimmt es nicht Wunder, dass im 20. Jahrhundert die Wasseroberfläche um etwa ein Drittel abgenommen hat.

Nun soll ein Rettungskanal dem Yam HaMelach (hebr. Salzmeer) Wasser aus dem Roten Meer zuführen. Umweltschützer geißeln das circa zehn Milliarden US-Dollar teure Projekt. Ihre Befürchtungen umriss Sabrina Johanniemann vom Büro Ramallah der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) so: Droht eine Vergipsung des Toten Meeres? Werden durch den Kanal die Korallenriffe im Roten Meer zerstört? Welche Folgen hätten Lecks für das Grundwasser? »Und für die Palästinenser käme nichts dabei rüber«, bilanzierte die GIZ-Fachkraft.

Keine Bedenken hat dagegen der Darmstädter Geologieprofessor Andreas Hoppe: »Da kommt Meerwasser zu altem Meer- und Salzwasser.« Anders sehen das die Friends of the Earth Middle East (FOEME), die schon seit 20 Jahren warnen: »Der untere Jordan kann wieder in Ordnung gebracht und das Tote Meer stabilisiert werden, (…) ohne das riskante Experiment in Angriff zu nehmen, ›Gott zu spielen‹, indem man das Wasser zweier Meere mischt (…).« Gleich fünf Gründe führen palästinensische Nichtregierungsorganisationen gegen das von der Weltbank gesponserte Kanalprojekt an und fordern die Palästinensische Behörde auf, die Kooperation einzustellen. »Das Projekt untergräbt Palästinas Wasserrechte und legitimiert die palästinensische Enteignung des Jordanflusses.«

Möglicherweise kann das Tote Meer nicht mehr gerettet werden, sondern wird bei anhaltendem Wasserschwund Mitte dieses Jahrhunderts mausetot sein, wie es die Computeranimation der Paderborner Ausstellung »Leben am Toten Meer« im Zeitraffer simulierte.

495 Palästinenser in Administrativhaft

Sechseinhalb beziehungsweise siebeneinhalb Jahre saßen die Cousins Riad ’Ayad und Hassan ’Ayad in Israel in Administrativhaft. Hunderte von Wochen wurden die Palästinenser aus dem Gazastreifen festgehalten, ohne Anklage oder Prozess, ehe sie laut den israelischen Menschenrechtsorganisationen HaMoked und B’Tselem am 18. August 2009 unvermittelt freigelassen wurden. Unter Zehntausenden von Palästinensern, die in Verwaltungshaft ihrer Lebenszeit und Zukunft, Träume und Pläne beraubt worden sind, halten die Vettern den traurigen Rekord.

Mittels Administrativhaft kann Israel Gefangene unbegrenzt festhalten, da sie nach Ablauf von sechs Monaten problemlos verlängert werden kann. Diese Form der Freiheitsberaubung ist ein juristisches Überbleibsel der britischen Mandatszeit und wird fast ausschließlich bei Palästinensern der besetzten Gebiete einschließlich Ost-Jerusalems angewandt. Theoretisch kann sie auch gegen israelische Bürger und gegen Ausländer verhängt werden, doch saßen bis 2017 laut palästinensischer Menschenrechtsorganisation Addameer lediglich neun israelische Siedler in Administrativhaft ein.

»Israel benutzt drei verschiedene Gesetze, um Individuen ohne Prozess festzuhalten«, erklärt Addameer. Artikel 285 der Militärverordnung 1651 für das Westjordanland, das Gesetz zur Internierung illegaler Kombattanten, das gegen Einwohner des Gazastreifens seit 2005 zur Anwendung kommt, und die Notstandsgesetze für israelische Bürger.

Egal ob Administrativ- oder »Sicherheits«-Häftling: Das Festhalten von PalästinenserInnen der besetzten Gebiete auf israelischem Staatsgebiet ist laut HaMoked »eine krasse Verletzung der vierten Genfer Konvention«. Diese untersagt den Transfer von Gefangenen aus dem besetzten Gebiet in ein anderes. Angehörige benötigen einen Passierschein, um Bruder, Sohn oder Vater, Schwester oder Mutter besuchen zu können. Anträge können ohne Begründung abgelehnt werden. Der Film »Journey with Naba« (»Reise mit Naba«) des Bethlehemer Filmemachers Hanna Musleh porträtiert zwei Kinder, die allein zum Gefängnis aufbrechen, in denen ihr Bruder einsitzt. Ihren Eltern wurde kein Passierschein ausgestellt. Man sieht, wie die Kleinen sich mit dem Gepäck abmühen, im Bus einschlafen, von Soldaten kontrolliert werden und schließlich ankommen

Ein Häftling erlangte 2020 traurige Berühmtheit: Maher al-Akhras. Dem 49-jährigen Palästinenser, Vater von sechs Kindern aus Silat al-Dahr bei Jenin, warf Israel vor, Mitglied der Terrororganisation Islamischer Jihad zu sein. Obwohl er dies bestritt, wurde al-Akhras weder vor Gericht gestellt, noch wurden ihm angebliche Beweise vorgelegt. Als letztes Mittel des Protests trat er in Hungerstreik. Selbst das brachte den Obersten Israelischen Gerichtshof nicht dazu, das Grundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren anzuerkennen. Nach dreimonatigem Hungerstreik schwebte al-Akhras wegen drohenden Organversagens in Lebensgefahr. Wenig später meldete das Christian Peacemaker Team Palestine, dass der Administrativhäftling am sechstenNovember »seinen 103-tägigen Hungerstreik nach einer Übereinkunft mit der israelischen Besatzungsmacht, ihn am 26. November freizulassen, beendet«. Die restliche Haftzeit werde er im Krankenhaus verbringen.

Im Juni 2021 hielt Israel nach Angaben von HaMoked 495 Palästinenser als Administrativhäftlinge fest.

Das deutsche Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP) e. V. urteilt so: »Das israelische System der Administrativhaft ist Teil des doppelten Rechtssystems und qualifiziert den Staat Israel als Apartheidsstaat«. Die sogenannte Habeas-Corpus-Akte von 1679 »ist nur Israelis vorbehalten«. Gemeint ist damit das Recht eines Gefangenen, vor Gericht gestellt zu werden, die Vorwürfe zu erfahren und sich dagegen zu verteidigen. Die Verletzung dieses Rechts »disqualifiziert den Staat Israel als demokratischen Rechtsstaat«.

12 Millionen Wörter

»Arabisch ist das Schwerste, was ich je in meinem Leben gelernt habe. Der Wortschatz ist enorm umfangreich und die Aussprache grenzt schon ans Unsportliche. Ich hoffe, ich reiße mir dabei keine Stimmbänder oder prelle mir die Stimmritze«, schrieb ich in meinem zweiten Rundbrief 1999, da war ich gerade ein Vierteljahr in Bethlehem. Mein Lehrer hieß Michael Zabaneh, war palästinensischer Christ und Flüchtling des ersten israelisch-arabischen Krieges. Im Syrischen Waisenhaus in Jerusalem war er von sächsischen und schwäbischen Lutheranern unterrichtet worden und sprach fließend Deutsch. Sein Nachname Zabaneh (Bienenstachel) war passend: Er stachelte mich an, schwierige Laute so oft nachzusprechen, bis er händeklatschend und lachend seine Zufriedenheit kundtat. Weiter schrieb ich: »Ich bin circa noch 1000 Tage hier. Wenn ich jeden Tag drei neue Wörter lerne, sind das 3000 am Ende meines Aufenthaltes.«

Eine der vielen Eigenheiten der arabischen Sprache sind die zahllosen Höflichkeitsformen: Na’iman wünscht man dem, der gerade aus der Dusche oder vom Frisör kommt. Es ist am ehesten so zu übersetzen: Gott gebe dir ein sanftes Bad oder eine angenehme Rasur. Die Antwort lautet: Jin’am’alek (»Sanftheit komme über dich«) beziehungsweise ’aleki bei einer Frau. Womit wir bei einer zweiten Besonderheit wären: Je nachdem, ob man mit einem Mann oder einer Frau spricht, muss man die Endungen von Verben und Nomen anpassen, gleiches gilt für ’alek (auf dich), eine Mischung aus Präposition und Reflexivpronomen. Zurück zu den Segensformeln: Kehrt jemand von einer Reise zurück, begrüßt man ihn mit Hamdullilah is salame, worauf dieser Allah is-salmak (weibl. salmek) entgegnet. Darin drückt sich der Dank an Gott für die glückliche Heimkehr aus. Einem Maurer oder Lastenträger wünscht man Ye’attik il’afije – er (Gott) gebe dir Kraft. Tut dir jemand einen Gefallen, wie einen Teller reichen oder einen Kugelschreiber, dankt man mit Sallem idek (ideki): Er (Gott) segne deine Hände. Antwort: U idek(i). Beim Essen wünscht man sich gleich doppelte Gesundheit: Sahteen, worauf ’ala albak folgt: auf dein Herz (möge dein Herz gesund sein).

Arabisch, Hebräisch, Aramäisch oder Maltesisch sind semitische Sprachen. Laut Ola Mahfouz vom Internetportal International tunews umfasst Arabisch »mehr als zwölf Millionen Wörter, allerdings werden nur zehn Prozent heute noch aktiv genutzt«. Für Honig gebe es 80 Bezeichnungen, für den Löwen 500 (ich hörte 60) und für das Kamel 1000. Auf meine Frage, ob die Angabe »12 Millionen Wörter« korrekt sei, antwortete mir der Pons-Verlag, das könne man »leider nicht verifizieren«. Dessen Standardwörterbuch Arabisch enthält insgesamt fast 25.000 Stichwörter und circa 10.000 Wendungen.

Die Sprache des Korans hat 28 Buchstaben, darunter Sonne- und Mondbuchstaben und acht Laute, die das Deutsche nicht kennt. Einige sind leicht auszusprechen wie das Ghain, das dem rheinischen »R« gleicht oder ein dumpfes, vorne gebildetes, stimmloses »S« (Saad). Kämpfen musste ich dagegen mit dem gehauchten »H«, das mir mein Arabischlehrer so umschrieb: Im Winter hauchst du hörbar in die kalten Hände und erwärmst sie. Bis heute konzentrieren muss ich mich beim ’Ajin, einem aus der Kehle gepressten A-Laut.

In der arabischen Welt wird eine vereinfachte Umgangssprache gesprochen. Die palästinensische ähnelt der im Libanon, im Irak, in Syrien, Jordanien, Israel, während ich mit ihr in Marokko oder Mauretanien nicht weit käme. Die klassische Hochsprache (fusHa) hört man nur bei offiziellen Reden, Predigten oder beim Verlesen der Nachrichten. Einige Hundert arabische Wörter sind in die deutsche Sprache eingewandert: Admiral und Arsenal, Giraffe und Havarie, Kabel und Laute, Magazin und Matratze, Sofa und Tarif, Ziffer und Zucker.

0:0 im Fußball

So endete Israels drittes und damit letztes Spiel bei seiner einzigen WM-Endrunde, 1970 in Mexiko. Immerhin ließ das Land kein Gegentor gegen den späteren Vize-Weltmeister Italien zu. Davor hatte man sich 1:1 gegen Schweden getrennt und gegen Uruguay mit 0:2 verloren. Die Anfänge des Fußballspiels zwischen Mittelmeer und Jordan reichen bis 1912 zurück, da herrschten noch die Osmanen. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Großbritannien vom Völkerbund das Mandat für Palästina. In den drei Jahrzehnten bis zur Staatsgründung Israels spielten jüdische, palästinensisch-arabische und britische Mannschaften Fußball. 1928 wurde die Eretz Israel Football Association (EIFA) (nach anderen Quellen hieß der Verband Football Association of Palestine) gegründet. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde diese in den Weltfußballverband FIFA aufgenommen. 1934 und 1938 nahm eine Mannschaft unter dem Namen Palästina/Eretz Israel an der Qualifikation zur Weltmeisterschaft teil. Obwohl zu dieser Zeit etwa drei Viertel der Bevölkerung palästinensische Araber waren, wurde der Verband von Juden geführt. Ohne Chance auf Berufung in das Nationalteam boykottierten Palästinenser sowie Armenier den Verband und gründeten einen eigenen, die Palestine General Sports Association (PSA), der bis zum arabischen Aufstand 1936 bestand.

Die ausschließlich aus jüdischen Spielern bestehende Nationalmannschaft trainierte der polnischstämmige Jude Shimon Ratner, der nach seiner Karriere beim SC HaKoach Wien nach Palästina emigriert war. Viele der 1934 eingesetzten Spieler waren wie er in Europa geboren. Vor den Länderspielen wurde neben »God Save the King« die zionistische Hymne »HaTikwa« (Die Hoffnung) gespielt, bis heute die israelische Nationalhymne. Am 16. März 1934 kam es in Kairo zum ersten, für manche Quellen »palästinischen«, Länderspiel, einem WM-Qualifikationsmatch gegen die ägyptische Nationalmannschaft. Bei der klaren 1:7-Niederlage vor 13.000 Zuschauern erzielte Avraham Nudelmann mit dem Ehrentreffer das erste Länderspieltor der jüdischen Nationalmannschaft des Britischen Mandatsgebiets Palästina.

Das erste Länderspiel nach der Staatsgründung Israels ging am 26. September 1948 in New York gegen die USA verloren. Der bis heute größte Erfolg der Nationalmannschaft war 1964 der Gewinn der Asienmeisterschaft im eigenen Land. Dabei besiegte Israel die Mannschaften aus Hongkong, Indien und Südkorea.

Von 1956 bis 1974 spielten israelische Vereinsmannschaften und die Nationalauswahl in der Asien-Gruppe, bis laut israelischem Fußballverband IFA der »arabische Boykott zum Ausschluss aus dem asiatischen Verband« führte. Etliche Länder, darunter die Türkei und Indonesien, hatten sich aus politischen Gründen geweigert, gegen die Auswahl Israels anzutreten. Nach steigendem Druck arabisch-muslimischer Mitglieder wurde der IFA 1974 ausgeschlossen und Israel in die Ozeanien-Gruppe eingeteilt. Israels Anstrengungen, unter dem Dach der UEFA zu spielen, waren 1994 erfolgreich. Laut IFA war »die Integration in Europa wie ein Atemzug frischer Luft für den israelischen Fußball, auch wenn es gleichzeitig bedeutete, sich an ein höheres Niveau anzupassen«. Die bislang höchste Niederlage seiner Länderspielgeschichte kassierte Israel 2002 in Kaiserslautern mit 1:7 gegen die deutsche Auswahl. Im November 2008 rangierte Israel auf Rang 15 in der FIFA-Weltrangliste, bis heute die höchste Platzierung; im Mai 2021 stand das Land auf Platz 85.

Nach dem Österreicher Andreas (Andi) Herzog folgte im Juli 2020 dessen Landsmann Willi Ruttensteiner als Trainer der Nationalmannschaft. Ruttensteiners Bilanz bis zum Mai 2021: neun Siege, vier Unentschieden, elf Niederlagen. Zu Redaktionsschluss dieses Buches steht Israel in Gruppe 6 hinter Dänemark und Schottland auf dem dritten Platz, vor dem punktgleichen Österreich. Wird sich Israel doch noch für die WM in Katar qualifizieren, nachdem es in den letzten Jahren mehrmals knapp das Erreichen einer EM- oder WM-Endrunde verpasste?

200 Tage Ausgangssperre

Bethlehem, ein Junitag 2002, zwischen sechs und sieben Uhr. Hebräische Wortfetzen drangen an mein Ohr. Träumte ich? Vorsichtig lugte ich hinunter auf die Straße. Israelische Soldaten! Wenig später bellte ein Lautsprecher zwei Worte, die ich noch oft hören sollte: »Mane’at tajjauwwul« – Ausgangssperre.

Palästinenser wurden seit 1967 immer wieder unter Hausarrest gestellt. Nach dem Massaker des jüdischen Siedlers Baruch Goldstein 1994 mit 29 palästinensischen Toten verhängte die Armee ein fast dreimonatiges Ausgangsverbot über Hebron. Nun lernte auch ich, von Tag zu Tag zu planen. Das palästinensische Fernsehen vermeldete fortan wie Filmuntertitel solches: Sollte morgen um 10 Uhr die Ausgangssperre aufgehoben sein, dann beginnt um 10:30 Uhr die XY-Schule mit dem Unterricht, um 11 Uhr folgt … Außerdem heiraten: um 11 Uhr N. K. & G. B. in der Katharinenkirche, um 11:30 Uhr V. B. & T. R. in der …, wobei die richtigen Namen angegeben wurden. Eine Hochzeit in Ramallah soll zwölfmal terminiert worden sein, bis sie endlich stattfinden konnte.

In meinem Rundbrief zu Fronleichnam 2002 schrieb ich über die Ausgangssperre: »Gestern wurde sie von 11 bis 15 Uhr aufgehoben. Sofort kehrte das Leben in die abgewürgte, tote Stadt zurück.« Massen schoben sich durch das Zentrum, manche suchten Ärzte auf, andere kauften längst benötigte Medikamente, stürmten Tante-Emma-Läden oder zwängten sich durch den Gemüsemarkt. Jeder eilte, denn man hatte – berechtigte – Angst, dass jederzeit der Ausgang verkürzt werden konnte. Wiederholt erlebte ich, dass in einem Geschäft Panik ausbrach. Ein Kunde hatte am Mobiltelefon erfahren, dass in einem Viertel Bethlehems wieder Ausgangsverbot herrschte. Wie sollten die dort Lebenden ihr Haus erreichen? Oder war die ganze Stadt gemeint? Mancher packte hastig seine Beutel und eilte davon.

In diesem unplanbaren Sommer schockierte mich die Nachricht von Munir Mansurs Tod. Der blonde Palästinenser, der mir ein Spiegelei gebraten hatte in seinem Haus mit den dicken Teppichen, dem Blüthner-Flügel, den Gemälden und den Tierfellen aus Kenia, wo seine Familie gelebt hatte und im Tabakgeschäft zu Wohlstand gekommen war. Munir war mit 39 Jahren einem Herzinfarkt erlegen. Die israelische Armee hatte die Beerdigung unter Ausgangssperre genehmigt und eine begrenzte Zahl an Fahrzeugen zugelassen. Ein israelischer Militärjeep fuhr dem Konvoi mit dem Leichenwagen voraus, im Schritttempo ging es zur Geburtskirche, vorbei am zerschossenen Paradise-Hotel. Bis 13 Uhr hatten wir Zeit für Gottesdienst und Bestattung. Hätte Munir, dessen Familie Prachtbauten in West-Jerusalem besaß, darunter einen am Zionsplatz, je gedacht, dass ihn die Besatzung bis ans Grab begleiten würde?

Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem erklärte just in dieser Zeit der israelischen Militäroperation »Determined Path« (Entschiedener Pfad), die am 21. Juni 2002 begann: »Was den Zeitraum und die Zahl der betroffenen Menschen angeht, stellt diese Ausgangssperre die umfangreichste seit Beginn der Besatzung 1967 dar.« Der längste Hausarrest, den ich am Stück erlebte, waren sieben Tage und Nächte. Ein andermal hatten wir in drei Wochen gerade einmal 20 Stunden Ausgang. Summa summarum verbrachte ich 2002/03 etwa 200 Tage in der eigenen Wohnung.

Jahreswechsel 2001/02: »Meine Silvesterfeier hatte kaum begonnen, da war sie auch schon wieder vorbei«, schrieb ich in einem Rundbrief. Zuerst kam der harte Kern: Bob (USA), Rika (Japan), mein Landsmann Gregor, Arne (Dänemark) und George (Palästina). »Erst gegen 21:30 Uhr kam der ›Haupttrupp‹ mit circa 25 Leuten, vielen Flaschen Wein, Champagner, Kuchen und anderen Köstlichkeiten. Während wir gerade anfingen zu singen, klingelten mehrere Handys und berichteten von israelischen Soldaten, die in Restaurants eingedrungen waren und Partys mit Tränengas aufgelöst hatten. Von dieser erneuten urplötzlichen Ausgangssperre geschockt, verließen alle, bis auf den harten Kern, die Feier!«

Kurioses und Heiteres seit 169 Jahren

Der »Status Quo« an heiligen Stätten ist ein ernstes und heiteres Thema. 1852 gedachten die Osmanen, den ewigen Streit zwischen christlichen Konfessionen in Grabeskirche (griech. Anastasis), Geburtsbasilika, Himmelfahrtskapelle und dem Mariengrab mittels Status-Quo-Edikten zu beenden. Dieses besagt: Die Verhältnisse (Status) an den heiligen Stätten bleiben so, wie (quo) sie sind. Schwierig wurde es, als man sich fragte: Wie sind denn die Besitzverhältnisse, Putzpflichten, Gottesdienst- und Prozessionsrechte etwa in der Grabeskirche, in der gleich sechs Denominationen Rechte geltend machen?

In der auch Anastasis (griech. Auferstehung) genannten Kirche feiern Kleriker die ganze Nacht hindurch Gottesdienste. Zuerst beweihräuchern gemäß Status Quo die griechisch-orthodoxen Kleriker das Gotteshaus aus dem vierten Jahrhundert, dann folgen Armenier und Kopten. Das Mitternachtsgebet sprechen Griechen, Armenier und »Lateiner« (gemeint Franziskaner) simultan in ihren jeweiligen Kapellen, bei geöffneten Türen. Dann feiern die Griechen heilige Messe am Grab oder auf Golgatha, darauf sind die Armenier an der Reihe. Gegen vier Uhr beginnen die römisch-katholischen Messfeiern am Grab und auf Golgotha. Das ist nur ein Teil des Regelwerks, das nie schriftlich fixiert, sondern mündlich weitergegeben wurde.

Im Hier und Heute wirkt sich das so aus: 1852 existierte keine Sommerzeit, wie sie in Israel und Palästina seit gut 20 Jahren gilt. Folglich herrschen zwischen März und Oktober zwei Zeiten – eine innere in der Kirche (auch in der Geburtsbasilika) und eine äußere, sprich: Alle Gottesdienste finden eine Stunde später statt als angekündigt. Das müssen Reiseleiter wissen, für deren Gruppe etwa in der Sakraments- oder Kreuzfahrerkapelle eine Messe reserviert ist. Pater Gregor Geiger, seit über 20 Jahren in Jerusalem, erklärt, was die Umstellung der Sommerzeit an Folgen für die Kirche zeitigen würde, da die Nacht eine Stunde kürzer wäre. »Wer würde auf eines seiner jahrhundertealten Rechte verzichten wollen?« Im Herbst ergäbe sich ein Problem mit der zusätzlichen Stunde: »Wer könnte in dieser Stunde, die der Status Quo nicht regelt, was machen? Streitigkeiten wären vorprogrammiert.« Für den deutschen Franziskaner kommt es dank der »weisen Universallösung«, alles zu belassen, wie es ist, diesbezüglich zumindest zu keinem Zwist.

Auf Golgotha – 19 Stufen höher als das Niveau von Salbungsstein und Grabkapelle – verhält es sich so: Der Altar am Ort der Kreuzigung linker Hand ist im Besitz der griechisch-orthodoxen Kirche, die beiden Altäre rechts davon gehören der römisch-katholischen (lateinischen). »Die Grenze zwischen katholischem und orthodoxem Bereich bildet die linke Kante des Altars der Schmerzhaften Muttergottes«, sagt Gregor Geiger und fährt fort: »Auf diesem Altar liegt, wie auf katholischen Altären üblich, ein Altartuch. Dieses hängt auf der linken Seite in orthodoxes Gebiet. Weil es jedoch schon immer dort hängt, hat es nach dem Status Quo das Recht, das in alle Ewigkeit fürderhin zu tun.« Problematisch wurde es erst, als die griechisch-orthodoxe Kirche zur Verschönerung eine Trennplatte aus Marmor anbringen wollte. Jeder Denomination steht es zu, in ihrem Bereich baulich etwas zu ändern, so lange keine Rechte anderer Kirchen verletzt werden. Doch das war hier der Fall, so Pater Gregor, denn »durch die Marmorplatte war das katholische Altartuch an seinem Recht gehindert, vom Altar herabzuhängen«. Gottlob ist es nicht zum Streit gekommen, sondern zu einem »salomonischen Urteil«: Man fräste einen Schlitz zwischen orthodoxer Marmorplatte und katholischem Altar, das Altartuch hatte genügend Platz zum Hängen.

Nicht immer gehen Differenzen so friedlich aus, wie auf YouTube-Videos zu sehen ist. Da haben etwa über die Streitfrage »Wer putzt diese Treppenstufe?« Griechen und Armeniern zu Besen gegriffen und aufeinander losgeprügelt. Und mancher Kleriker landete schon im Krankenhaus.

Israel: Wahlen alle zwei Komma drei Jahre

Israelis wählen alle zwei Komma drei Jahre, das ist der Schnitt der letzten 25 Jahre. Von 2019 bis 2021 rief Israel gleich viermal an die Wahlurne. Die jeweiligen Wahlkämpfe waren verbissen, hart, trickreich, giftig und manchmal erschütternd. Binnen Tagen und Wochen wird – normal in Israel – die Parteienlandschaft so kräftig durchgeschüttelt, dass jemand, der einige Zeit keine Medien konsumiert hat, sich kaum mehr auskennt.