Fame vs. Fake - Marco Sinervo - E-Book
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Marco Sinervo

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Beschreibung

EXKLUSIVE EINBLICKE IN DAS MODELBUSINESS Blitzlicht, immer die neueste Mode und viele Reisen – so stellen sich die meisten das Modelbusiness vor und viele träumen von der großen Karriere als Model. Marco Sinervo, Gründer von Deutschlands größter und erfolgreichster Modelagentur MGM weiß, warum nur einem kleinen Bruchteil der Durchbruch gelingt: Das Geschäft ist hart, mit den Sozialen Medien und Fast Fashion hat es sich noch mal massiv verändert. Eindrucksvoll schildert er, wie das Business funktioniert, wie Karrieren in Fahrt kommen, woran sie scheitern können und warum Germany's Next Topmodel ein völlig falsches Bild der Branche vermittelt. Ein Augenöffner für alle, die wissen wollen, wie die Modelwelt wirklich tickt – und für diejenigen, die als Influencer und Model das große Geld verdienen möchten. Mit aufschlussreichen Innenansichten der Models Nadia Marinkovic, Elena Kamperi, Anuthida Ploypetch und Paul Elvers sowie der Medienplanerin Alisa Türck und der Medienforscherin Maya Goetz.

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Seitenzahl: 275

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Marco Sinervo

FAME VS. FAKE

Marco Sinervo

FAME VS. FAKE

Wie das Geschäft von Models und Influencern wirklich läuft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

2. Auflage 2022

© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Text: Philip Reichardt, Marco Sinervo

Redaktion: Iris Rinser

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung und Abbildungen Innenteil: © MGM Models

Satz: Carsten Klein, Torgau

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0413-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-803-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-804-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Vorwort

Große Namen, große Egos, immer Action

Von Hamburg über Mailand nach New York und zurück: mein Weg ins Modelbusiness

Warum nicht ich?

Keine Frage der Schönheit: der Weg zum ersten Modeljob

Bewerbungen

Scouting

Development

Voraussetzungen

Eltern

Weinen usw.

Gezeichnet von Germany’s Next Topmodel: die Sorte Ruhm, die niemand braucht

Miss Germany

Keep The Ball Rolling

Wie Agenturen arbeiten. Und wie der E-Commerce neue Regeln schafft

Verträge, Geld und unseriöse Tricks

Booker

Agentur

Partneragenturen

Selbstverständnis

Der deutsche Agenturmarkt

Castingagenturen

Velma

Agenturmarkt international

Kunden

Cover, Likes und Superbrands

Was Models erfolgreich macht. Wie Hypes, Trends und ein paar Grundsätze das Business prägen

Misserfolg

Karriereende

It-Girls

Männer

Ausstrahlung

Typen, Trends, Diversity

Plus Size

Nudes

Sitten, Sexismus und MeToo

Ein Fall von Infamie oder Erfolg schafft Neider

Fotografen

Don’t Believe The Like

Wie Instagram und Influencer das Modelbusiness verändern

Die Macht der großen Zahl: das Geschäftsmodell der Influencer

Nichts als die Wahrheit: ein Blick auf Zahlen und Daten

Und jetzt?

Wie es weitergeht. Was auf Models und Agenturen zukommt. Und was mir wichtig ist

Die Marke MGM

Was kommt, was geht

Verantwortung

Über den Autor

für Maike

VORWORT

Für Außenstehende lebt der Chef einer Modelagentur vermutlich einen oberflächlichen Traum, der sorgenfrei rund um den Erdball führt, von Party zu Party, immerzu begleitet und umgeben von hübschen Frauen, Celebrities und niemals versiegendem Glamour. Diese glitzernde Parallelwelt gab es tatsächlich, ich habe sie in meinen Anfangsjahren noch erlebt. Aber das ist lange her. Im Modelbusiness ist kaum noch etwas so, wie es einmal war.

Wir haben so vieles digitalisiert, optimiert, retuschiert und neu geordnet, dass viele Menschen, die in dieser Branche arbeiten, nicht mehr hinterherkommen. Und auch mir brummt manchmal der Kopf. Über zwei Jahrzehnte arbeite ich sehr erfolgreich im Modelbusiness. Meine Agentur MGM ist eine der größten und erfolgreichsten Agenturen Europas. Lange habe ich es nicht für möglich gehalten, dass meine Branche einmal so stark von Veränderung betroffen sein wird. Manche Themen habe ich kommen sehen, andere erst mal verdrängt.

Fast Fashion hatte enormen Einfluss auf das Modelgeschäft. Die vielen großen Ketten, die in unfassbarer Geschwindigkeit die Entwürfe großer Designer kopieren und den Markt mit ihren billigen, unter widrigsten Umständen produzierten Kollektionen fluten. Dadurch haben viel mehr Menschen als früher die Chance, sich modisch und aktuell zu kleiden. Man sieht eine teure Jacke bei Gucci für zweitausend Euro und kauft ein paar Wochen später eine sehr ähnliche Jacke bei Zara für dreißig Euro. Nur ohne Gucci-Label.

Als Reaktion darauf hat sich ein übertriebenes Markenbekenntnis entwickelt, zelebriert von Influencerinnen und Rappern auf Social-Media-Kanälen. Immer im Mittelpunkt, immer deutlich sichtbar: die Label, egal, ob Chanel, Dior oder Hermès.

Capital Bra im kompletten Gucci-Trainingsanzug, mit Cap und Sneakern von Balenciaga für 800 Euro. Caro Daur von Kopf bis Fuß in Bottega Veneta, Fendi und Prada in den teuersten Hotels der Welt. Viele Teenager finden das cool, Jugendliche aus besserem Elternhaus oft lächerlich. Sie können es sich erlauben, sustainable zu sein und einen Lebensstil pflegen, in dem Kleiderkreisel, Naturkosmetik, Vegan Food, MacBook und Chai Latte die Hauptrolle spielen.

Um zu verstehen, was im Modelbusiness vor sich geht, ist eines wichtig zu wissen: Die Modelbranche ist Zulieferer für die Modeindustrie. Ändern sich die Bedingungen, unter denen Mode produziert und vermarktet wird, ändern sich auch die Arbeitsbedingungen der Models und die Anforderungen an Agenturen wie MGM.

Seit rund zehn Jahren gibt es im Modehandel keinen Zuwachs mehr, das heißt: Verkauft eine Marke mehr, verkauft eine andere weniger. Es herrscht ein permanenter Verdrängungswettbewerb, entsprechend hoch ist der Druck auf alle, die mit den großen Modemarken zusammenarbeiten. Das betrifft Stofflieferanten genauso wie Modelagenturen. Die Luxusbranche dominieren zwei französische Konzerne: Louis Vuitton Moet Hennessy, kurz LVMH – zu dem Marken wie Louis Vuitton, Christian Dior, Fendi, Bulgari, Givenchy oder Céline gehören – und Kering mit Marken wie Gucci, Bottega Veneta, Balenciaga, Alexander McQueen und Brioni. Beide Konzerne sind an der Börse notiert und damit verpflichtet, ihre Gewinne Jahr für Jahr zu steigern. Auch das ist ein Grund, weshalb die Produktionszyklen der Modeindustrie irre kurz geworden sind. Die klassischen Saisons, bestehend aus einer Frühjahrskollektion und einer Herbstkollektion, das ist lange vorbei. Der E-Commerce, der Onlinehandel, und die Fast-Fashion-Brands haben das Tempo in der Modewelt enorm beschleunigt. Neue Kleidung kommt mittlerweile nahezu wöchentlich auf den Markt. Das bedeutet, es wird ständig produziert, die Kleidung wie die Fotos, die sie zeigt. Je mehr in Online-Shops gekauft wird, umso mehr Bildmaterial wird für die Bedürfnisse des digitalen Handels produziert, anstatt wie früher für Kataloge, Look Books oder Magazine. Riesige Fotostudios sind genau auf eine solche Arbeitsweise ausgelegt. Fotos werden dort wie am Fließband gefertigt, ein Motiv nach dem anderen. Models werden dort inzwischen wochen- und sogar monatsweise gebucht.

Corona hat diese Entwicklung nochmal verstärkt. Die großen Gewinner sind die Onlinehändler. Zalando verzeichnet Rekordzahlen, ebenso Asos und About You, das inzwischen an der Börse gehandelt wird. Eine Shopping Community wie Veepee macht einen Umsatz von mehr als drei Milliarden im Jahr, die deutsche Variante Best Secret liegt immerhin auch schon bei 300 Millionen Euro. Und auch die großen Ketten wie H&M und Zara machen online immer mehr Geschäft, während der stationäre Handel stagniert oder sogar Verluste macht. Dabei wird es bleiben. Ich bedaure das, weil ich es liebe, in kleinen Boutiquen einzukaufen.

Eines haben die jungen Menschen der »Gen Z« aber gemeinsam. Sie lesen keine Magazine mehr, schauen kein klassisches Fernsehen, sondern streamen Netflix, Amazon Prime und Spotify und holen sich Inspiration und Informationen über Social-Media-Kanäle wie Instagram.

»Before it’s in fashion, it’s in Vogue« lautete der Slogan des bedeutendsten Modemagazins der Welt. Über viele Jahre bestimmte dieses Credo auch meine Arbeit als Modelagent. Die Vogue machte nicht nur Designer, sondern auch Models groß. Hunderte habe ich auf Covern und in aufwendigen Modestrecken platziert. Eine Buchung für das Cover der Elle oder der Vogue galt als Garantie für eine erfolgreiche Karriere. Heute kämpfen alle großen Modemagazine gegen dramatisch schwindende Auflagen und Anzeigenerlöse. Sie haben den digitalen Wandel verschlafen und besitzen kaum noch Renommee und Einfluss. Unsere Models und Influencer kaufen sich Magazine nur noch als schicke Coffee-Table-Accessoires, ohne sie zu lesen oder wenigstens darin zu blättern. Der immense Bedeutungsverlust wird deutlich, wenn man sich die Zahlen ansieht. Die deutsche Vogue hat derzeit noch eine Auflage von rund 70 000 Exemplaren. Viele meiner guten Models und Influencer haben Followerzahlen im Millionenbereich.

Auch für die Fotografie hat das Konsequenzen. Modefotografie galt viele Jahrzehnte lang als Kunstform, Fotografen wurden gebucht und hoch bezahlt für ihren einzigartigen Stil, viele Fotos fanden den Weg in Museen, Ausstellungen und opulente Bildbände. Der Anspruch von Modefotografen war es, mit Hilfe von Stylisten, Hair- und Make-up-Artists ein Foto zu machen, das ohne Retusche auskam. Das ist vorbei, genauso wie mit großer Entourage nach Tulum in Mexiko zu fliegen, um dort eine achtseitige Wäschestrecke zu fotografieren. Welcher Aufwand früher betrieben wurde, um ein Foto zu inszenieren, das ist jungen Fotografen heute schwer zu vermitteln. Erst recht, wenn sie in einem der großen Studios der Onlinehändler fest angestellt bis zu sechzig Stunden die Woche für ein Gehalt von 3000 Euro im Monat arbeiten. Für kreative Arbeit bleibt da kaum Zeit.

Auch Instagram hat die Modelbranche massiv verändert, indem es sich nahezu unbemerkt zur wichtigsten Werbeplattform weltweit entwickelt hat. Kaum ein Model verzichtet auf einen Instagram-Account, weil zusätzliche Jobs und Einnahmen locken, für Kunden ergeben sich neue Möglichkeiten der Vermarktung. Models arbeiten als Influencer, Influencer laufen auf Fashion Shows, die Trennlinien zwischen Models und Influencern werden immer unschärfer.

Mit Instagram entstanden aber auch neue Fragen. Models wollen wissen: Wie soll ich meinen Instagram-Account am besten anlegen? Wie gewinne ich Follower dazu, wie erhöhe ich meine Reichweite? Wie gewinne ich die Aufmerksamkeit bestimmter Kunden? Wie soll ich mich und mein Leben darstellen? Jungen Frauen und Männern, die gerade dabei sind, ihren Weg zu finden und erwachsen zu werden, darauf eine Antwort zu geben, finde ich grenzwertig. Viele wissen noch gar nicht, wer sie sind. Einen Account authentisch und gleichzeitig professionell und ästhetisch zu gestalten, ist ein sehr schmaler Grat. Nicht nur Models und Influencer finden es inzwischen völlig normal, jede Falte zu glätten, jeden Flecken, jede Unreinheit aus ihren Fotos zu entfernen. Wo aber verläuft die Grenze beim Versuch, mein Bild zu optimieren, mich schöner und attraktiver für die vermeintlichen Bedürfnisse von anderen zu machen? Wo fängt das Unreale an? Viele sind damit überfordert, manche verlassen komplett ihre Persönlichkeit.

Aber nicht nur die Vertriebswege haben sich verändert. Kaum eine Nachricht erwarten Models und Agenten einmal im Jahr so sehnlich, wie die, welche Models für die nächste Show von Victoria’s Secret gebucht sind. Für Victoria’s Secret zu laufen ist für viele Models weltweit ein Traum, weil es bedeutet, mit Flügeln auf dem Rücken wie ein Engel über den Runway zu schweben. Vor allem aber verspricht der Job richtig viel Fame. Fame, der Türen öffnet, lukrative Jobs nach sich zieht und häufig den Start einer großen Modelkarriere bedeutet. MGM hatte schon einige Models auf den Shows. Als im vergangenen Sommer die Namen für die neue Kampagne bekannt gegeben wurden, erhielt diese Nachricht Aufmerksamkeit weit über die Mode- und Modelbranche hinaus. Denn anstelle von langbeinigen, sexy Models wie bisher, hatte Victoria’s Secret das Curvy Model Tamara Elsässer, das Transgender Model Valentina Sampaio, die Fußballerin Megan Rapinoe, die Schauspielerin und Unternehmerin Pryanka Chopra Jonas und einige Aktivistinnen verpflichtet, die Dessousmarke zu repräsentieren.

Ähnlich viel Aufsehen gab es ein paar Wochen später, als die legendäre Swimsuit Edition von Sports Illustrated, ebenfalls eine Startrampe für etliche große Modelkarrieren, mit drei verschiedenen Covern erschien. Eines zeigte das Transgender Model Leyna Bloom, eines die Tennisspielerin Naomi Osaka, eines die Rapperin Megan Thee Stallion. Auch das war eine Premiere. Unternehmen tun heute viel dafür, sich so nahbar und menschlich zu geben, so viele Identitäten wie möglich abzudecken und niemanden auszuschließen. Einerseits.

Andererseits treiben sie enormen Aufwand, um mit digitaler Technologie Models überflüssig zu machen. Bislang noch ohne großen Erfolg. Es kommen keine Emotionen rüber, keine Fröhlichkeit, es fehlt an Authentizität. Das funktioniert nicht. Noch nicht.

Was diese Veränderungen für das Modelbusiness bedeuten, für Models und alle, die davon träumen, Teil dieser Welt zu werden, will ich in diesem Buch aufzeigen. Manche Entwicklungen finde ich gut, manche nicht, bei einigen habe ich Zweifel, dass sie sich langfristig durchsetzen. Sicher ist nur: Wenn man als Model, Influencer oder wie ich hinter den Kulissen als Agent erfolgreich sein möchte, muss man sehr wach sein und darf sich dem Neuen nicht verschließen.

So rasend schnell die Umstände sich ändern, unter denen Models, Fotografen und Agenten arbeiten, so hartnäckig halten sich etliche Vorstellungen, was es bedeutet, als Model zu arbeiten. Das gilt für junge Mädchen genauso wie für ihre Eltern, für noch Ältere erst recht.

Das beginnt schon damit, wer als Model bezeichnet wird oder sich selbst Model nennt. In den Medien werden häufig Leute gehypt, die nie Model waren, als Model kaum Geld verdient haben oder als Model überhaupt nichts können. Der Begriff wird häufig gebraucht für alle, die hübsch aussehen und mit wie auch immer zustande gekommener Prominenz ein bisschen Geld verdienen. Ganz gleich, ob es sich um einen angehenden Moderator, ein lokales Partygirl oder eine Social-Media-Celebrity handelt. Auch wer nichts ist und nur wenig kann, gilt in Boulevard-und Trashmedien als »Model«. Vieles, was über Models, ihre Arbeit oder ihre Gagen geschrieben wird, viele Annahmen über die Modelbranche sind falsch und veraltet.

Was sich in manchem Kopf über das Leben von Models festgesetzt hat, stammt aus der Zeit, als Kate Moss zum Star wurde. Und wurde seither nie wieder korrigiert. Wer heute Mitte fünfzig ist, wuchs auf in der Ära der Supermodels Naomi Campbell, Claudia Schiffer, Tatjana Patitz, Linda Evangelista und Cindy Crawford. Einer Zeit, in der Fotografen wie Peter Lindbergh, Mario Testino, Bruce Weber oder Terry Richardson so berühmt wie Rockstars waren und Bilder schufen, die eine ganze Generation geprägt haben. Aber das ist lange her. Und lange vorbei. Heute gelten Kate Upton, Chrissy Teigen – beide haben bei MGM ihre Karriere begonnen –, Kylie Jenner, Gigi Hadid, oder Kaya Gerber als die größten Namen im globalen Modelbusiness. Gerber ist die Tochter von Cindy Crawford und inzwischen auch schon seit fünf Jahren im Geschäft. Im Modelbusiness eine halbe Ewigkeit.

Zugleich ist das Interesse am Modelling ebenso ungebrochen wie der Wunsch, Model zu werden. Ich halte es deshalb für wichtig zu erzählen, wie das Geschäft heute tatsächlich funktioniert, was wirklich zählt, und worauf es ankommt, wenn man als Model erfolgreich sein will. Auf die Gefahr hin, dass manche Traumbilder vom Modelleben an Glanz einbüßen und die Sehnsucht vieler junger Frauen, Model zu werden, an Anziehungskraft verliert. Ich denke, der Modelbranche tut es zum jetzigen Zeitpunkt ganz gut, sie ein wenig zu entzaubern und den Blick auf die ungeschönte Realität freizugeben.

Dass viele junge Mädchen völlig falsche Vorstellungen davon haben, was es bedeutet, als Model zu arbeiten, dazu hat Germany’s Next Topmodel entscheidend beigetragen. Natürlich ist das Modelbusiness exzellenter Stoff für eine Fernsehshow. Es ist aufregend, es gibt viel zu lachen, jeden Tag geschehen die verrücktesten Dinge. In Agenturen, am Set, beim Shooting, mit den Models, mit den Bewerbern, mit den Kunden. Da gibt es viel zu erzählen.

Die Challenges aber, zu denen die Kandidatinnen in Heidi Klums TV-Show gegeneinander antreten, haben mit dem Alltag von Models kaum etwas gemein. Bei Germany’s Next Topmodel geht es allein um die Belustigung der Zuschauer und gute Quoten. Mit ausgesprochen fragwürdigen Methoden: Ein paar hübsche Mädchen werden gegeneinander aufgehetzt, gedemütigt und Hauptdarstellerinnen einer verbalen Schlammschlacht.

Welch dramatische Folgen es für junge Frauen hat, wenn sie entdecken, dass das, was sie in der Show erlebt haben, gar nichts mit der Realität von Models gemein hat, habe ich inzwischen oft genug erlebt. Wenn sie feststellen, dass sie so talentiert gar nicht sind, die Aufträge ausbleiben und ihr Ruhm ganz andere Ursachen hat als Heidi Klum und ihre Juroren es suggerieren. Da geht viel Selbstbewusstsein kaputt.

Bei MGM bewerben sich viele Mädchen, nachdem sie eine Staffel der Klum-Show gesehen und daraus den trügerischen Schluss gezogen haben, auch sie könnten Model werden, unabhängig von Aussehen, Talent und Voraussetzungen, im Glauben, irgendeine Nische würde sich schon finden. Regelmäßig muss ich jungen Frauen diese Illusion nehmen und sie enttäuschen.

In einem Interview habe ich einmal gesagt, es bewerben sich zu viele Leute als Model. Genau genommen heißt das: Es bewerben sich zu oft die Falschen. Dieses Buch soll dazu beitragen, das zu ändern. Und manches Mädchen, manchen Jungen in die Lage versetzen, seine Aussichten auf ein Leben als Model besser und realistischer einzuschätzen. Und helfen, manche schmerzhafte Erfahrung und Enttäuschung zu vermeiden. Und bereits vor der Bewerbung bei einer Agentur Antworten zu finden auf Fragen wie: Gehöre ich wirklich vor die Kamera? Habe ich das nötige Selbstbewusstsein? Das Talent, etwas darzustellen, ohne mich dabei zu verlieren? Bin ich das wirklich?

Noch ein Grund, dieses Buch zu schreiben: Ich bin inzwischen selbst Vater von vier Kindern. Das hat meine Haltung und meinen Blick auf vieles in dieser Branche verändert. Genauso wie für meine Kinder als Vater trage ich als Modelagent Verantwortung für meine Models. Und bis zu einem gewissen Grad auch für diejenigen, die davon träumen, Teil dieser Welt zu werden. Weil ich die Mechanismen kenne, weiß, wie Erfolge entstehen und wo Gefahren lauern, was zählt, und was weniger. Davon will ich hier erzählen.

GROSSE NAMEN, GROSSE EGOS, IMMER ACTION

Von Hamburg über Mailand nach New York und zurück: mein Weg ins Modelbusiness

 

Meine Eltern hatten andere Pläne mit mir. Jura sollte ich studieren wie mein Vater, zumindest aber eine Naturwissenschaft. Ein Studium mit kulturellem Hintergrund hätten sie auch noch akzeptiert. So abwegig fand ich das auch gar nicht. Aber es kam anders.

Kurz nach dem Abitur hatte ich im Hamburger Nachtleben meine damalige Freundin kennengelernt, ein Model. Ich war 19 und erinnere mich genau daran, wie ich sie das erste Mal in ihre Agentur begleitete. Es war der Moment, als mein Leben eine entscheidende Wende nahm. Das Office durchdesignt mit schicken Möbeln, an den Wänden große Uhren, die zeigten, wie spät es in New York, Tokio, Los Angeles, Paris und Sydney gerade war. Models, die wie auf einer Theaterbühne auf- und wieder abtraten. Alle Leute cool, lässig und extrem modisch angezogen. Diese Ballung an Schönheit und Style erschien mir surreal und vermittelte zugleich ein Gefühl von weiter Welt. Alles, worauf meine Eltern mich in den Jahren zuvor vorbereitet hatten, verblasste in wenigen Augenblicken. Ich fragte nach einem Praktikum und bekam gleich eine Zusage. Von da an verbrachte ich ein Jahr lang meine Tage im Kopierraum, wo ich Modelmappen für die Booker kopierte. Nicht gerade eine Herausforderung, aber so arbeitete man Mitte der 90er Jahre eben. Was damals wirklich zählte, geschah nachts. Ich war auf jeder Party, jeder Gala, jedem Opening. Ich stand auf allen Gästelisten und hatte Zutritt zu jedem VIP-Bereich, allein, weil ich in dieser Agentur arbeitete und immer mit Models unterwegs war. Auch meine Freunde profitierten, denn sie wussten: Marco ist der Partymaker, er kommt überall rein und wir müssen nie zahlen, Essen und Drinks waren for free. Ein Riesengoodie damals, ein grandioses Leben. Und so entschied ich mich für eine Ausbildung und lernte bei der zu dieser Zeit größten Agentur in Deutschland das Booking von der Pike auf: Gagen verhandeln, mit Bildmaterial umgehen, Kunden überzeugen.

Für meine Eltern konnte es schlimmer kaum kommen. Nicht, weil ich meinen eigenen Weg einschlug, sondern weil sie keine Vorstellung davon hatten, was das für ein Job sein sollte. Was wird man, fragten sie, wenn man nachts dauernd feiern geht? Kann man damit noch Geld verdienen, wenn man über dreißig ist?

Am Anfang habe ich diesen Job stupide runtergerockt. Bisschen telefonieren, bisschen hin und her. Und abends auf die Piste. Ich war dabei, das genügte mir erstmal. Bis ich mich irgendwann fragte, was diesen Job eigentlich ausmacht. Ich merkte, dass ich mich mit der Materie noch nicht richtig befasst hatte. Du musst dein Produkt aber durchdrungen haben, ehe du mit einem Kunden sprichst. Und dann begann ich, mein Auge zu schulen, Bildsprache und Fotografie zu verstehen. Tag für Tag studierte ich Fotos und beschäftigte mich mit den Models und ihren Looks. Das muss man lernen wie ein Handwerk, es dauert Jahre, bis das sitzt. Heute sehe ich Dinge, die andere nicht sehen. Ob jemand fotogen ist. Wie ein Gesicht geschnitten ist. Wie jemand wirkt. Das ist kein Job, den man machen kann, weil man gut in Organisation ist. Man muss das Visuelle verstehen. Diese Einsicht war enorm wichtig für meine Entwicklung und ist ein Grund, warum ich heute erfolgreich bin.

In dieser Agentur bekam ich auch einen Vorgeschmack auf die Schattenseiten der Branche. Meine Chefin mochte mich, und ich schätzte sie. Doch wer ihr erstmals begegnete, wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sie Geschäftsführerin der größten Modelagentur Deutschlands ist. Was, dachte ich oft, hat das Geschäft aus ihr gemacht? Wie kann es sein, dass in einer Umgebung, in der sich alles so sehr um das Äußere dreht, alles toll und lässig ist, ausgerechnet die Chefin so wenig davon abbekommt? Sie lebte allein mit ihrem Hund, eine tragische Figur. Ich erinnere mich an eine Party bei ihr zuhause. Eigentlich war der Plan, dort nur kurz vorbeizuschauen, um dann mit den Models weiterzuziehen. Vor dem Haus wartete bereits ein Limousinenservice. Kurz bevor wir aufbrechen wollten, fiel sie mehrmals um, weil sie zu viel getrunken hatte. Mit einem Kollegen trug ich sie ins Schlafzimmer, und wir brachten sie zu Bett. Als sie zu sich kam, bat sie mich, mit dem Hund rauszugehen. Und ihr noch eine Flasche Wein ans Bett zu bringen. Diesen Moment habe ich nie vergessen. Ich stand am Anfang, sie war am Ende. Er ist mir bis heute eine Warnung, sich von diesem Geschäft nicht verschlingen zu lassen.

Zwei Jahre habe ich dort als Booker gearbeitet, dann zog es mich ins Ausland. Zunächst ging ich nach Mailand, das lag nahe, mein Vater ist Italiener. Ich arbeitete für Elite und nicht nur die Agentur war größer, sondern vor allem auch die Partys waren besser und glamouröser, als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Es schien keine Grenzen zu geben und es war irre viele Geld in Umlauf. Luxus in einer Größenordnung, wie ich ihn aus Hamburg bis dahin nicht kannte. Lamborghinis, Ferraris, 40-Meter-Yachten. Wir flogen im Privatjet eines Kunden zu einer Party nach Monaco. Feierten mit Giorgio Armani und Roberto Cavalli auf Luxusyachten und waren mit allen auf Du und Du.

Ich erinnere mich an eine Party in Mailand, in einer privaten Villa. Der Gastgeber, ziemlich korpulent, begrüßte seine Gäste im Bademantel. Die Models, die ich aus der Agentur kannte, feierten schon alle im Bikini am Pool. Irgendwann eskalierte die Party. Der DJ drehte auf, das Koks lag auf den Tischen, alle waren völlig betrunken und landeten irgendwann nackt im Wasser. Am nächsten Tag ging es weiter nach Portofino, dort wurde weiter gefeiert. Ich hatte damals das Gefühl: Uns gehört die Welt. Alles war einfach, alles war easy, alle hatten eine gute Zeit. Es wurde viel gelacht, die Sonne hörte nie auf zu scheinen. Wer wollte, hatte jeden Tag eine neue Freundin. Ich war Anfang zwanzig und erlebte Dinge, die ich mir ein paar Jahre vorher noch nicht einmal hatte vorstellen können. Es war absurd, es war lustig, es war aufregend.

Ein halbes Jahr verbrachte ich in Paris, schließlich ging ich nach New York, in die Zentrale der größten Agentur der Welt. Die Atmosphäre dort war noch energiegeladener als in Mailand und Paris. Der Ton war rau und sexistisch ohne Ende. Immer Action, große Namen, große Entourage. Wir betreuten Models wie Eva Herzigova, Cindy Crawford und Helena Christensen, es war eine spektakuläre Zeit, in der Models und Agenturen richtig viel Geld verdienten.

In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt. Von Designern wie Domenico Dolce und Stefano Gabbana etwa. Mit ihrem Blick auf Menschen und Models haben sie mich stark geprägt. Auch Karl Lagerfeld war hilfreich. Aber auch von den Models habe ich gelernt, genauso aus den Fehlern, die ich gemacht habe. Und sehr viel auch von Kollegen. In Agenturen arbeitet man in Teams, da gibt es viele Gelegenheiten, sich Dinge abzuschauen und zu adaptieren.

Mailand, Paris und New York waren Weltstädte, nicht nur was Kunst und Kultur angeht, vor allem die Mode hatte dort einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Am stärksten beeindruckt haben mich damals die spektakulär inszenierten Fashion Shows. Wochenlang haben wir darauf hingearbeitet. Anfangs habe ich nicht verstanden, warum so viel Akribie darauf verwendet, weshalb auf jede Nuance so viel Wert gelegt wurde. Jeden Tag wurde alles über den Haufen geworfen, jeden Tag gab es neue Ideen, neue Konzepte und Vorschläge, welches Model sich für welchen Teil der Show am besten eignete. Das war unglaublich anstrengend zu organisieren. Doch wenn man nach wochenlanger Vorbereitung das Ergebnis sah, wurde klar, weshalb so ein immenser Aufwand betrieben wurde. Die Shows waren Kunstwerke, die nur ein einziges Mal aufgeführt wurden, vor einem ausgewählten, ebenso begeisterungsfähigen wie kritischem Publikum, dem kein Detail entging und von dessen Urteil so viel abhing. Insbesondere für die Designer. Diese Stimmung backstage, kurz bevor es losgeht. Unglaublich. Die Models, die Designer, die Stylisten, die Regisseure der Shows, all die Kreativen, alle unter Hochspannung, auf engstem Raum inmitten der neuesten, oft fantastischen Kollektionen, alle in der Hoffnung, einige Augenblicke später beklatscht, bejubelt oder entdeckt zu werden. Davon ging ein ungeheurer Glamour aus, es war wahnsinnig sexy und inspirierend.

Und dann der Hype um die Models, die auf diesen Shows gelaufen sind! Entdeckten Kreativdirektoren, Chefredakteure oder Art Direktoren ein New Face, kamen am Montag die Anfragen rein und das Model ging durch die Decke. Diese enorme Schnelligkeit des Geschäfts hatte mich schon in Hamburg elektrisiert. In New York war das Tempo noch höher, es fühlte sich an wie mit Aktien zu handeln. Gerade konzentrierte man sich noch darauf, ein junges Model aufzubauen, und ehe man sich versah, war es weltweit gefragt, auf Magazincovern oder auf den Billboards der Metropolen zu sehen. Gerade noch war es froh, 5oo Dollar am Tag zu verdienen, zahlten Kunden wenig später Tagesgagen von 20 000 Dollar. Karrieren erfuhren manchmal eine irre Beschleunigung. Verhandlungen waren viel dreister als heute, radikal wurden Gagen nach oben getrieben. Es fühlte sich an wie ein großes Spiel, ein ständiger Wettstreit, rund um die Uhr. Ich gewöhnte mich daran, Gagen zu verhandeln, die im sechsstelligen Bereich lagen. War dabei, als die ganz großen Kampagnen globaler Marken entstanden. Teil dieses Business zu sein, gab mir ein unglaubliches Gefühl der Selbstbestätigung. Weil das bedeutete, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Der Erfolg eines Models galt damals als Erfolg der Agentur und des Agenten. Was auch erklärt, warum es damals so viele große Egos gab. Heute sehe ich das anders. Vor allem wurde mir damals klar, dass das Modelbusiness nicht nur eine große Faszination auf mich ausübt, sondern mir auch liegt.

Irgendwann spürte ich, dass es Zeit war, zurückzukehren. Selbst mit Mitte zwanzig schien mir das New Yorker Agenturleben auf Dauer zu anstrengend. Als eine deutsche Agentur mir ein Angebot als Head Booker machte, das mit ziemlich viel Geld verbunden war, kam ich zurück nach Deutschland. Der Kulturschock war enorm. Die Agentur in Düsseldorf hatte keinen Style, keinen Anspruch und kein Auge für Trends. Als Erstes bekam ich eine Einweisung, welches Formular wofür verwendet wird und wie man Taxibelege korrekt abrechnet. Es schien mir alles wahnsinnig provinziell.

In Mailand waren selbst die Buchhalter coole Figuren mit Kippe im Mund. Ständig ging was schief, vieles wurde nicht so genau genommen. Aber es funktionierte. »Marco, wie viele Buchungen hast du heute gemacht. Noch keine? Komm, geh Geld verdienen! Venga, venga!«

Deutschland empfand ich damals vor allem als verschlafen und unsexy. Auf Partys traf man Bauunternehmer, Großbäcker, Düsseldorfer Gesellschaft, Münchner Schickeria oder den Niedersachsenclan um Carsten Maschmeyer. Cool war nichts davon. Genauso wenig die deutsche Modeszene. Michalsky, Philippe Plein, Escada, Strenesse, aber nicht eine Marke, bei der man seine guten Models hätte platzieren können, oder ein Brand, mit der man als Agentur hätte wachsen können oder wollen.

Wenn das auch im Nachhinein noch arrogant klingt: stimmt. Ich war in dieser Zeit alles andere als gelassen, habe oft unfair und ungnädig über andere Menschen geurteilt, habe nicht mit Kritik gespart und ein ausgeprägtes Maß an Arroganz entwickelt. Ich glaube, das ist nicht ganz zu vermeiden, wenn man früh Erfolge feiert und der Job darin besteht, andere Menschen zu beurteilen. Dafür braucht es eine gewisse Reife, zumal, wenn man permanent von Schönheit umgeben ist. Im Laufe der Zeit habe ich das dann in den Griff bekommen.

Dazu beigetragen haben viele Reisen, nachdem ich begonnen hatte, selbst zu scouten. 180 Tage im Jahre war ich unterwegs, überall in der Welt. In Australien, Südafrika, Kanada, Skandinavien, Südamerika. Am spannendsten waren die Castings in Ländern, die niemand auf der Rechnung hatte. Bulgarien etwa oder Venezuela.

Ich bin damals nicht nur vielen neuen Menschen und Kulturen begegnet, sondern habe vor allem gelernt, Unterschiede wahrzunehmen und ein Gespür für Nuancen zu entwickeln. Wie unterscheidet man auf Castings mit 300, 400 Leuten, Mädchen, von denen jede zweite Ivanka oder Olga heißt? Wie erkennt man die Gewinner? Welche Merkmale zählen? Warum reagiert man auf bestimmte Typen stärker als auf andere? Was ist ein professioneller Reflex, was persönliche Vorliebe? Wie geht man damit um?

Von Düsseldorf ging ich nach Hamburg und übernahm dort die Filiale. Aber auch dort stellte ich schnell fest, dass die Art und Weise, wie dort gearbeitet wurde, vollkommen veraltet war. Das reizte mich nicht mehr. Ich hatte Lust, an die Erfahrungen, die ich in Paris, Mailand und New York gemacht hatte, anzuknüpfen. Und etwas Neues aufzubauen. Und so mietete ich ein Zwei-Zimmer-Altbau-Büro an und machte mich von heute auf morgen selbstständig.

Meine Idee war es, eine kreative Agentur zu gründen mit dem Anspruch, international wahr- und ernstgenommen zu werden. Eine Agentur, die als hot und richtig guter Player empfunden wird. Mit Neckermann, Quelle und Otto Geschäfte zu machen, das war okay, mir aber zu wenig. Ich wollte auch mit den großen Super Brands zusammenarbeiten. Ich wollte selber Models aufbauen, ohne auf die Hilfe von anderen Agenturen angewiesen zu sein. Dafür hatte ich die Kontakte und inzwischen auch den Blick, zu erkennen: Das ist ein Model für den deutschen Markt. Und das ist jemand, die international erfolgreich sein kann.

Auch der Name der Agentur, MGM, sollte diesen Anspruch zum Ausdruck bringen. Er sollte nach Unternehmen klingen und nicht nach einer Klitsche im Hinterhof, in der Kleinkleinbusiness ohne jede Struktur betrieben wird. Davon gab es schon damals zu viele. Und ich wollte Geld verdienen, auch das war ein Antrieb, mich selbstständig zu machen und dabei nicht in allzu kleinen Maßstäben zu denken. Viel Geld.

MGM steht für Models Global Management. Eine Freundin von mir sagte damals, MGM könnte auch für Marcos Great Movement stehen. Ganz falsch lag sie damit nicht. MGM funktioniert im Französischen genauso wie im Englischen, in beiden Sprachräumen wird dieses Akronym als Ausdruck von Größe und Seriosität verstanden.

Inzwischen hat MGM sich zu einem Unternehmen entwickelt und ich betreibe es auch so. Und nicht als inhabergeführte Agentur. MGM ist heute eine international arbeitende Agentur, die über ein sehr gutes Netzwerk verfügt, mit großen Fashion Brands weltweit arbeitet und ein sehr hohes Niveau hat. MGM ist organisch gewachsen, auch, weil wir immer sauber, fair und ohne Eskapaden unseren Job gemacht haben und frei von Allüren und Skandalen sind. MGM folgt Trends, arbeitet aber auch sehr klassisch und wertorientiert. Viele unserer sechzig Mitarbeiter sind von Anfang an dabei. Das liegt auch an der Größe. Wir arbeiten hier auf drei Stockwerken, das sorgt für gute Vibes. Für eine Agentur mit unserem Anspruch ist das absolut entscheidend.

So viel zu mir. Ich erzähle das nur, damit Leser und Leserinnen meine Erfahrung einschätzen, sich ein Bild über meine Expertise machen können, wissen, welche Rolle ich im Modelgeschäft spiele, und der Weg sichtbar wird, den ich in den vergangenen 25 Jahren gegangen bin. Die Nächte, die ich mir um die Ohren gehauen habe, und all die Partys waren auch ein Investment. Die Kontakte, die ich mir in dieser Zeit aufgebaut habe, helfen mir noch heute. Aber ich bin ruhiger geworden. Champagner aus einem Springbrunnen zu trinken, das ist eine schöne, bizarre Erinnerung. Aber ich brauche das nicht mehr. Ich habe in meinem Leben so viel gefeiert, dass ich mich heute ganz auf meinen Job und meine Familie konzentrieren kann. Eines noch. Meine alte Chefin sagte mal zu mir: »Marco, du wirst erfolgreich sein, weil du eine gesunde Distanz zu der ganzen Materie hast.« Viele meiner Kollegen leben und zelebrieren das Modellbusiness rund um die Uhr. Das führt gelegentlich dazu, dass sie sich selbst für eine Celebrity halten. Ich nenne sie immer Modelmenschen. Mir dagegen war von Anfang an klar, dass ich für andere Menschen arbeite. Ich stehe nicht vor der Kamera, sondern dahinter. Das ist meine Rolle und nur die interessiert mich. Und so viel mir mein Geschäft auch bedeutet, privat habe ich immer eine andere Kultur gelebt. Meine Freunde arbeiten alle in anderen Branchen. Ich halte das für einen großen Vorteil, auch, weil es Distanz schafft. Vor allem aber, weil es den Blick schärft für Auswüchse, Übertreibungen sowie falsche Entwicklungen, und die größeren Zusammenhänge so nicht aus dem Blick geraten.

WARUM NICHT ICH?

Keine Frage der Schönheit: der Weg zum ersten Modeljob

 

Mode erfindet sich ständig neu. Weder das Vertraute zählt noch das Bewährte noch das Bekannte; auch nicht der große Name oder Prominenz, sondern allein das Neue. Vor allem die globalen Fashion Brands legen großen Wert darauf, jede neue Kollektion mit neuen Gesichtern zu verkaufen. Für eine Modelagentur bedeutet das, ständig nach neuen Talenten zu suchen, sie zu entdecken und aufzubauen.