Fettnäpfchen für Furchtlose - Ralf M. Weyand - E-Book

Fettnäpfchen für Furchtlose E-Book

Ralf M. Weyand

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Beschreibung

Das Leben birgt enorme Gefahren, aber es gibt immer Möglichkeiten zu retten, was zu retten ist. Täglich begegnen uns Widrigkeiten, die bewältigt werden wollen. Schonungslos stellt der Autor Fragen und versucht unbeirrt passende Lösungsansätze zu geben. Besteht zum Beispiel bei einer kleinen Wanderung mit der Liebsten die Gefahr, dass man sich verläuft? Kann etwas schiefgehen, wenn der Fachmann Möbel aufbaut? Ist Skilanglauf mit dem Ausdauerungeheuer Kurti gefährlich? Zumindest eine extern verordnete Diät ist harmlos, oder? Auf Partys, beim Grillen mit Freunden und im Kurs der Krankenkasse – überall lauern fiese Gefahren. Selbst auf der Parkbank im friedlichen Park ist man nicht sicher, auch wenn man neben einem Engel sitzt. Aber am schlimmsten sind die Pferde! Nicht jeder Ritt auf einem Pferderücken kann glücken. Kann es da noch schlimmer kommen? Ja, es kann – wenn man fast den Geburtstag seiner Frau vergisst. Aber selbst aus dieser hoffnungslosen Situation zeigt der lebenserfahrene Autor anwendbare Auswege. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die mit ihrem Leben hadern und dies ändern möchten. Dieses Werk soll Mut machen sich der oft gruseligen Realität zu stellen. Aber es gibt auch Trost: wie wäre es mit einem Traumurlaub zu zweit, um die Stille am Strand zu genießen?

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Ralf M. Weyand

FETTNÄPFCHEN FÜR FURCHTLOSE

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2022

Bibliografische Information durch die Deutsche

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Copyright (2022) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

Gedruckt auf FSC®-zertifiziertem Papier

www.engelsdorfer-verlag.de

Für Corina

WANDERN

„Bist du dir auch ganz sicher?“

Mein Schatz strahlte weniger Zuversicht aus, als ich erhofft hatte. Dennoch stand mein Entschluss unumstößlich fest: ich würde ihr heute meinen Wald zeigen. Den Wald, in dem ich quasi meine Kindheit verbracht hatte.

Hier hatte ich gelernt, wie man aus Stöcken und Laub Hüttchen baut, wie man sich tarnt und versteckt. Hier bin ich auf Bäume geklettert, hier hatte ich die erbarmungslose, raue Schule der Natur überlebt. Unzählige glückliche Stunden hatte ich dort mit meinen Freunden verbracht. Sehr glückliche Stunden sogar, denn wir waren alle Jungs.

Nun standen wir vor dem dichten Gestrüpp. Vor meinem geistigen Auge zog eine glückliche Kindheit vorbei. Man könnte sagen, dass wir gerade im Begriff waren mein damaliges Kinderzimmer zu betreten.

„Ja freilich bin ich mir sicher! Genau hier, hier geht es rein!“

Ich deutete auf eine unscheinbare Spur im Gras, die tunnelartig als Wildwechsel in den dichten stacheligen Sträuchern verschwand.

„Warum können wir nicht auf dem Weg bleiben, wie alle anderen normalen Menschen auch? Andere wandern auch auf den Wegen …“ Stoßweise atmete meine Liebste tief ein, bevor sie weiterschluchzte. „… und kriechen nicht auf allen Vieren durch dichtes Gestrüpp!“

Mein Schatz gab sich kämpferisch, ihre Stimme überschlug sich.

Ich würde wohl deutlich überzeugender argumentieren müssen. Deshalb kramte ich in den Tiefen meines Gehirns nach entsprechenden Argumenten, bis ich im hintersten Teil in der Unterabteilung „Verdrängte Vorfälle“ fündig wurde.

So gewappnet eröffnete ich das Plädoyer.

„Als wir letzten Herbst an dem Bach entlang gegangen sind, wolltest du zuerst auch nicht.“

Ich hatte mich vor ihr aufgebaut und meine Hände in meine Seiten gestützt. Das sollte Autorität ausstrahlen.

„Und, war das keine schöne Wanderung?“

„Du meinst, als du deine Brille verloren hast und dein Handy nass geworden ist? Dein neues Handy war ein Totalschaden!“

Eins zu Null für Schatzi. Deshalb also war das Ereignis dort abgespeichert gewesen.

Dennoch hätte ich tausend Gründe anführen können, warum die Wanderung eine schöne war, aber mir fiel kein einziger ein. Trotzdem hatte es Spaß gemacht. Zumindest, als wir sicher sein konnten, dass wir überleben würden.

Ich versuchte zu retten, was zu retten war.

„Der Weg hier ist doch quasi wie geteert, den bin ich schon tausendmal gelaufen.“

Auf allen Vieren krabbelte ich in das Gestrüpp und spitzte die Ohren. Ein Rascheln und zorniges Gebrummel verriet, dass mein Schatz dicht hinter mir war.

Ich versuchte meinem Weib Mut zu machen, auch wenn es mir schwer fiel mit dem Laub und den Insekten im Mund zu reden. „Gleich wird es etwas lichter.“ Ich spuckte eine sehr bitter schmeckende fette Raupe aus. Mit der so gewonnenen oralen Freiheit hängte ich eine Erklärung an. „Dann können wir wieder aufrecht gehen.“ Irgendetwas Spitzes stach in meinen Nacken.

„Mmmmmpf!“, antwortete Schatzi.

Da! Ich wusste es. Ich richtete mich auf und sah meinen Schatz hinter mir aus dem Unterholz kriechen. Die Spinne in ihren Haaren war tiefschwarz, ausgesprochen groß und starrte mich aus ihren vier Äugelein herausfordernd an. Tatsächlich, nach einem zweiten Blick war ich mir sicher, dass man sogar ihre Zähnchen sehen konnte.

Sicherheitshalber trat ich einen Schritt zurück.

Der Gliederfüßer starrte weiter.

Ich trat einen großen Schritt zurück.

„Wohin jetzt?“

Mein Schatz atmete schwer, spuckte gut gekaute Sachen aus und schüttelte die Spinne und anderes Getier von sich ab. Wir waren gerade einmal fünf Minuten unterwegs und schon rang sie nach Atem.

Erneut fühlte ich mich gedrängt für gute Stimmung bei meiner Frau zu sorgen, also beschloss ich raffiniert das Thema zu wechseln. Diese geschickte Taktik hatte sich in den letzten Jahren tausendfach bewährt und schrie geradezu danach hier Anwendung zu finden.

„Was würde diese mächtige uralte Buche wohl sagen, wenn sie sprechen könnte?“

Mit einer ausladenden Bewegung zeigte ich auf das majestätische Gehölz. Obwohl diese kluge Frage mein Weib völlig unvorbereitet treffen musste, war sie nicht um ein Antwort verlegen.

„Wahrscheinlich würde sie sagen: ich bin eine Eiche, du Trottel!“

Ich versuchte mich zu orientieren. Der Wald hatte sich in den letzten fünfundvierzig Jahren doch ein klein wenig verändert.

„Da lang!“

Ich tat so, als wäre ich mir sicher, dass es da lang ging. Im Grunde genommen war ich mir auch sicher. Zumindest, dass ich mich schon sehr bald wieder würde orientieren können.

Mühsam kämpften wir uns weiter. Auch wenn das Gestrüpp nicht mehr ganz so dicht war, erwies sich das Vorankommen doch als etwas beschwerlich. Nicht nur, dass zahlreiche Bäume auf unserem Pfad lagen, über welche wir mühsam steigen mussten. Schlimmer noch waren die gemeinen stacheligen Ranken, die scheinbar gezielt und von allen Seiten nach unseren Armen und Beinen griffen.

Zumindest drang jetzt hie und da etwas Sonnenlicht zu uns durch. Nur eines beunruhigte mich. Diese Böschung vor uns. Die war da früher nicht gewesen. Wo, zum Kuckuck, kam das Hindernis her? Kontinentalverschiebung etwa?

Trotz meinem umfangreichen Wissen war ich mir nicht ganz sicher. Jedenfalls zog ich eine Kontinentalverschiebung als durchaus wahrscheinliche Möglichkeit in Betracht. Die Kontinente hatten immerhin knapp fünfzig Jahre Zeit gehabt diese Böschung hier …

„Wohin denn jetzt?“

Mein Weib holte mich ungeduldig in die jetzige Zeit zurück und machte keinen Hehl aus ihrer angeknacksten Laune.

Eines war jedoch sicher: verlaufen hatten wir uns nicht! Keinesfalls. Ich besitze den Orientierungssinn einer Brieftaube und habe mich noch nie verirrt. Zumindest nicht so richtig verirrt.

Aber das ist eine andere Geschichte.

„Ich denke, wir müssen da hoch!“

Mein Schatz wendete sich ab und spuckte etwas Zappelndes aus.

„Was meinst du mit: ich denke? Ich denke du weißt!“

Schlagartig wurde mir meine kleine verbale Ungenauigkeit bewusst und ich versuchte zu retten, was zu retten war.

„Wir könnten natürlich auch außen rum gehen, aber drüber ist schöner. Wegen der Aussicht, weißt du?“

Ich tat so, als würde ich mir selbst glauben und hoffte, dass Schatzi mir ebenfalls glauben würde.

Bevor meine Frau weitere Einwände vorbringen konnte, griff ich beherzt nach einer stabilen Wurzel am Hang und zog mich elegant empor.

Zumindest hätte ich mich emporgezogen, wenn die hinterlistige Wurzel gehalten hätte. Leider war sie, wie sich herausstellte, doch schon etwas morsch und hinfällig, sodass ich sie mit Schwung aus der Erde riss. Dies hatte einige mehr oder weniger drastische Folgen:

Zum einen schleuderte ich einen Schwall modriges Erdreich, indem sich mehr oder weniger appetitliches Gewürm und anderes kleineres Getier befand, hinter mich.

Dies wäre nicht weiter dramatisch gewesen, wenn meine Frau nicht beschlossen hätte ausgerechnet in der unmittelbaren Flugbahn des belebten Naturprodukts zu stehen.

Obwohl von ihrem Gesicht nicht mehr allzu viel zu sehen war, verriet ihr Blick nichts Gutes. Viel mehr schien es, als würde ihr Blick den feuchten Schlamm um ihre Augen herum zum Dampfen bringen.

In alle Richtungen flohen Maden und anderes, schwer zu identifizierendes Gewürm und Getier mit mehr oder weniger vielen Beinen von Schatzis Gesicht und aus ihren zerzausten Haaren.

Im nächsten Moment löste sich, leicht verzögert, unter der Stelle, wo zuvor die unstabile Wurzel gehangen hatte, eine beträchtliche Schlammplatte, rutsche vorsichtig um mich herum, um dann plötzlich Fahrt aufzunehmen. Da Schatzi mich noch immer wütend fixierte, mussten ihr die dramatischen und folgenschweren Vorgänge am Boden verborgen bleiben.

So geschah es denn, dass mein Weib, völlig unvorbereitet, von der Platte getroffen und von den Beinen gerissen wurde. Lediglich dem glücklichen Umstand, dass sie dabei in ein dichtes Büschel Brennnesseln stürzte, war es zu verdanken, dass ihr Sturz deutlich abgefedert wurde und sie sofort wieder auf die Beine sprang.

Ich verschaffte mir einen raschen Überblick über die Situation und kam zu dem Schluss, dass sich womöglich durch die Vorgänge der letzten Sekunden Schatzis Laune kaum gebessert hatte.

„Ich will hier raus!“ Mein Schatz nebelte mich mit schlammiger Spucke ein. „Sofort!“

Diesem Wunsch war wenig entgegen zu setzen.

„Wir nehmen den anderen Weg, der ist vielleicht doch besser.“ Als Schatzi nichts erwiderte sprach ich weiter.

„Wenn wir hier rechts gehen, kommen wir nach knapp fünf Minuten an einen Bach. Da gehen wir rüber und schwupps di wupps, auf der anderen Seite ist der Weg, der uns schnurstracks zum Auto bringt!“

Diesen sehr lockeren Ton setzte ich ganz bewusst ein, um meine Liebste aufzumuntern.

Dass der Schlamm um Schatzis Augen nicht mehr dampfte gab mir Zuversicht. Offensichtlich besserte sich ihre Stimmung allmählich.

Einen Einwand hatte sie dennoch.

„Meinst du nicht, dass am Bach zu viele Mücken sind? Die Biester suchen doch immer die Nähe zu irgendwelchen Gewässern. Du weißt doch, dass ich immer so schnell gestochen werde!“

Den letzten Satz betonte sie besonders deutlich.

In der Tat ist es so, dass sich alle Arten von stechenden und saugenden Mücken ausschließlich auf mein Weib stürzen. Möchte man selbst in einem Mückenplagegebiet von den lästigen und aufdringlichen Biestern verschont bleiben, muss man nur meine Frau mitnehmen. Denn alles, was einen Stechrüssel hat und fliegen kann, wird sich sofort auf sie stürzen. Garantiert!

„Am Bach geht immer ein leichtes Lüftchen, das mögen die Mücken nicht.“ Ich hoffte, dass dies vorläufig als Beruhigung ausreichen würde. Sicherheitshalber legte ich noch einen drauf.

„Außerdem weiß doch jedes Kind, dass die Biester im Herbst nach Süden fliegen, oder?“

Eine Antwort auf meine letzte Frage blieb sie mir schuldig.

Nach gut vierzig Minuten hatten wir den Bach erreicht. Ich ging mutig voran, um die aktuelle Gefahrensituation zu erkunden und um mögliche Bedrohungen von meinem Weib abzuwenden. Als Mann und Waldläufer macht man das so!

Vereinzelt begegneten mir tatsächlich Mücken, die mich umflogen und offensichtlich ein Ziel hinter mir ansteuerten.

„Bärchen?“

Ich blieb stehen, um zu hören was meine Frau zu sagen hatte. Der Schlamm in ihrem Gesicht war weitestgehend getrocknet und bereits großflächig abgebröckelt. Einige Gruppen fliegendes Stechgetier hatten sich aufgeteilt und untersuchte die freigewordenen Hautpartien auf ein mögliches Nahrungsangebot. Überall an ihren sichtbaren Hautbereichen hatten sich rote Flecken gebildet, vermutlich von ihrem ungestümen Brennnesselkontakt.

„Kann es sein, dass es da vor dem Bach ziemlich matschig ist?“

Meine Frau gab sich wieder mal übertrieben besorgt.

„Ach, ich bitte dich! Das würde ich doch sehen. Ich bin praktisch im Wald aufgewachsen und erkenne, ob da Schlamm oder fester Boden ist! Und dieser Boden ist fest!“

Zum Beweis bückte ich mich und nahm eine Hand voll allerbesten Mutterboden auf.

„Siehst du? Das was ich hier in den Händen halte ist allerbester Mutterboden!“

Demonstrativ knetete ich die Masse mit beiden Händen.

„Losung!“

„Hä?“

„Dung!“

„Wie bitte?“

„Scheiße! Das ist wahrscheinlich Wildschweinkacke, was du da in deinen Händen knetest!“

Mein Weib kann sich, wenn es sein muss, sehr deutlich und präzise artikulieren.

Die Konsistenz sprach dafür, dass es beides sein konnte, der Geruch, der mir nun in die Nase stieg, sprach eher für Schatzis Theorie.

Egal, es begann zu dämmern und wir mussten zügig weiter, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit beim Auto sein wollten. Zumindest gab es keine Mückenschwärme, wie mein Weib befürchtet hatte.

So angetrieben tat ich beherzt einen großen Schritt Richtung Bach und versank mit einem satten schmatzenden Geräusch bis zum Knie im Matsch.

Noch während ich über diesen Vorgang staunte, nahmen die Dinge, bevor ich vollends die Kontrolle verlor, ihren Lauf.

War ich soeben noch der Ansicht, dass mein versunkener Fuß festen Grund erreicht hatte, wurde ich nun brutal eines Besseren belehrt. Ohne weitere Vorwarnung gab der vermeintliche feste Grund nach und ich setzte meinen Sturz mit rasender Geschwindigkeit fort.

Aufgrund der rasanten Beschleunigung meines Oberkörpers Richtung Erdboden, war es für mich ein Leichtes die dünne, aber stabile, Schlammkruste zuerst mit meiner Nase anzukerben, um dann mit meinem restlichen Gesicht zu durchbrechen. Ich war äußerst gespannt, wie meine Brille mit dieser Behandlung umgehen würde.

Selbstverständlich war jeder Mensch schon einmal in der Situation, dass er völlig unvermittelt sein Gesicht in schwarzen Schlamm gerammt hat, und weiß, dass sich dort eher wenige visuelle Eindrücke bieten. Dafür bieten sich bekanntermaßen eine Vielzahl von haptischen Empfindungen.

Im Folgenden aufgelistet die wichtigsten Eindrücke:

In der Haut, insbesondere im Gesicht, befinden sich zum Beispiel die Mechanorezeptoren. Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich dabei um Rezeptoren, die mechanische Reize aufnehmen, um sie anschließend an die zuständigen Abteilungen im Gehirn weiterzuleiten.

In meinem besonderen Fall reizten mich zu dieser Zeit die härteren Partikel der Schlammkruste, die womöglich doch größere Schäden an meiner Haut verursacht hatten als befürchtet. Dies wäre später genauer zu überprüfen.

Dann reizte der eigentliche Morast, mit allerhand Getier, das versuchte sich durch Krabbeln, Kriechen, Schwimmen und ähnlichen Aktivitäten von meinem Gesicht zu entfernen.

Dies fand ich im Moment jedenfalls besser, als wenn die, für mich zu dieser Zeit völlig unsichtbare Insektenwelt den Weg zu meinem Gesicht gesucht hätte.

Im Gegensatz zu diesen Meldungen sendeten die Mechanorezeptoren in meinen Ohren unterschiedliche Eindringversuche von inaktiven und aktiven Organismen. Insgesamt kam also in diesem Bereich einiges an Eindrücken zusammen.

Des Weiteren befinden sich in der Haut die Thermorezeptoren. Durch diese sendete meine Gesichtshaut zwei Botschaften an mein Gehirn:

Aufgrund des Aufschlags auf die harte Kruste entstand kurzfristig eine eher hohe Reibungstemperatur, durch das Eintauchen in den erfrischenden Schlamm folgte wiederum sofortige Abkühlung. Zusammengefasst signalisierte meine Haut zu diesem Thema also Entwarnung.

Bleiben noch die Nozizeptoren, zuständig für das Schmerzempfinden. Vereinfacht und zusammengefasst könnte man sagen, dass diese vorerst keine Informationen sandten, weil sie zurzeit offenbar zu sehr mit Sammeln beschäftigt waren.

Von den gustatorischen Wahrnehmungen will ich gar nicht erst anfangen.

Da ich in diesem Augenblick etwas schlecht orientiert war, erlaubte ich meinem Innenohr noch ein wenig Zeit, um mich ausreichend mit verlässlichen und brauchbaren Informationen über das Oben und Unten zu informieren. Diese Zeit konnte ich mir durchaus nehmen, da sich vorerst noch genügend Sauerstoff in meinem Organismus befand.

Als der Sauerstoff schwand und die Informationen kamen, rappelte ich mich mühsam auf.

Leider waren meine Aktivitäten nicht verborgen geblieben und hatten offensichtlich den ein oder anderen Zweiflügler auf uns aufmerksam gemacht.

Dies war jedoch hauptsächlich das Problem von meinem Weib.

Es dauerte kaum zwanzig Minuten, bis ich mich befreit hatte. Schatzi war intensiv mit der Mückenbekämpfung beschäftigt und ging, soweit ich erkennen konnte, voll in dieser Aufgabe auf. Jedenfalls machte sie keinerlei Anstalten mir bei meinen Grabungen zu helfen.

Weitere dreißig Minuten dauerte es, bis ich meinen Meindl-Wanderschuh ausgegraben hatte. Mit bloßen Händen dauert das so lange.

Meine Hände waren nun keineswegs sauberer als vor der Grabung, rochen aber nicht mehr so streng oder zumindest rochen sie jetzt anders streng.

Es würde an dieser Stelle zu weit gehen, wenn ich behauptete, dass ich sehr zufrieden war. Aber immerhin war ich frei und hatte wieder beide Schuhe. Den fehlenden Strumpf konnte ich verschmerzen.

Mein Schatz schien, zumindest kurzfristig, auch ein relativ glücklicher Mensch zu sein. Sie hatte zwischenzeitlich ganze Legionen der schwirrenden Blutsauger erschlagen und sich zugleich mit den stärksten Insektenschutzmitteln, die am Markt erhältlich sind, eingeschmiert.

Die Dämmerung um uns herum war mittlerweile doch sehr fortgeschritten und wir hatten nach meinen Berechnungen noch einiges an Weg vor uns.

Auf der Suche nach einem anderen Übergang fanden wir tatsächlich eine Brücke. Und wo eine Brücke ist, ist auch ein Weg.

„Siehst du, hier ist eine Brücke und ein Weg!“

Ich versuchte die mittlerweile zu den Lichtverhältnissen passende Stimmung meiner Frau etwas aufzuhellen.

„Und? Natürlich ist hier ein Weg!“ Was meine Frau verließ, war kaum mehr als ein heiseres Krächzen. „Kein normaler Mensch stellt eine Bücke in den Dschungel, wenn da kein Weg ist!“

Sie war von den Anstrengungen und Aufregungen der letzten Stunden doch ein wenig gezeichnet.

„Und woher weißt du jetzt, dass das der richtige Weg ist?“

Wieso war die Frau nur so negativ und aggressiv? Ich sah derzeit keinerlei Grund. Alles lief doch wunderbar.

Dennoch war ich klug genug keine weiteren Erkundigungen zu diesem heiklen Thema einzuziehen.

„Weil ich mich hier auskenne! Deshalb!“

Ich war mir sicher, dass Schatzis Laune im Nu besser werden würde. Zumindest sprach nichts mehr dagegen.

Wir waren auf einem festen Weg, hinter der nächsten oder übernächsten Wegbiegung würde unser Auto stehen und der Mond leuchtete einfach zu schön.

Kurz nach Mitternacht wurden wir von Scheinwerfern geblendet, die zwischen den dichtstehenden Bäumen hindurchstrahlten. Offensichtlich näherte sich ein Auto.

„Offensichtlich nähert sich ein Auto!“

Ich wollte gerne die Konversation wieder aufnehmen, es war die letzten Stunden doch etwas ruhig geworden zwischen uns. Mein Schatz nahm auch dieses wohlgemeinte Angebot nicht an und schwieg beharrlich. Taumelnd blieb sie hinter mir stehen.

Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Fahrer des Wagens um den Jagdpächter des hiesigen riesigen Forstes.

Ich fasste unsere Situation kurz zusammen, er klärte uns auf, von Mitgefühl keine Spur.

„Also, da seid ihr hier völlig falsch. Aber so was von falsch! Am besten ist es, wenn man immer auf den befestigten Wegen bleibt.“

Erkannte ich da ein hämisches Grinsen in der Jagdpächterfratze?

„Mein Angebot: ich bringe euch ins nächste Dorf.“ Offenbar war der Herr des Waldes doch zu einem Mindestmaß an Anteilnahme fähig. „Da habt ihr dann wenigstens einen Ort, wo ihr euch ein Taxi hinbestellen könnt.“

Wir fanden nach unzähligen Telefonaten tatsächlich ein Taxiunternehmen, das um diese Zeit Autos auf der Straße hatte.

Mit viel Überredungskunst durften wir, nachdem der Chauffeur die Rückbank mit allerlei Folien und Decken geschützt hatte, trotz unseres leicht derangierten Zustands in das Gefährt steigen.

Pünktlich zum Sonnenaufgang erreichten wir unser Zuhause.

Der Morgen begrüßte uns mit einer wunderschönen Mischung aus Morgenrot und Vogelgezwitscher.

Meine Frau schleppte sich schlurfend durch den Flur und zog eine bräunliche Schlammspur hinter sich her.

Ich war mir nicht mehr ganz sicher, dass sie den Ausflug genossen hatte.

Sicher war ich mir jedoch, dass dies wohl nicht der richtige Zeitpunkt wäre, meine Pläne für das nächste und bereits gebuchte Wanderprojekt „Querfeldein durch dick und dünn, von der Quelle bis zur Mündung“ anzusprechen.

MÖBELBAU

„Du bist doch Schreiner, oder?“

Annies Frage traf mich völlig unverhofft.

In tiefe Gedanken versunken saß ich auf der obersten Bank in der Sauna meines Fitnessstudios. Annie saß mir gegenüber.

Hier, in der sogenannten Fitness Ranch hatten wir uns auch vor wenigen Wochen kennengelernt und uns seither einige Mal zufällig an diesem magischen Ort getroffen.

Annie, vielleicht Mitte oder Ende zwanzig; geschätzte fünfzig Kilogramm sehr kreativ auf einen Meter und sechzig Zentimeter Körpergröße modelliert; ein hübsches Gesicht mit einer zierlichen, geraden Nase; grünen Augen; blonde, ganz leicht rötliche gewellte schulterlange Haare; niedliche Brüste; ein nach innen gewölbter Nabel; in der Körpermitte ein gepflegtes, ebenfalls leicht rötliches Dreieck mit der Andeutung einer Herzform; schöne und trainierte Beine; kleine ebenmäßige Füße und gerade gewachsene Zehen mit weiß lackierten Nägeln.

Nun, wie soll ich es sagen?

Nur mal angenommen.

Wider aller Wahrscheinlichkeit.

So rein hypothetisch.

Wenn man also Gefallen an einer solchen Gesellschaft in einer Sauna finden würde, dann wäre man auf der Bank gegenüber von Annie nicht völlig falsch platziert.

„Haaalloooo?“

Mein Blick scannte von Annis geschmackvoll verzierten Zehen auf dem kürzesten Weg zu ihren grünen Augen zurück.

„Äh, ja! Ich bin hier!“

„Ich frage, weil mein Kleiderschrank vorgeschoben werden muss. Wegen der Feuchtigkeit an der Wand hinter dem Schrank.“

„Wieso ist Feuchtigkeit hinter dem Schrank?“

Als Handwerker durch und durch musste ich Gefallen an dieser Angelegenheit finden. Außerdem war es ein geeignetes Thema, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Manchmal kommt etwas Ablenkung ganz gelegen.

Ich signalisierte also Interesse.

„Mein Vermieter hat alles renoviert, bevor ich eingezogen bin. Jetzt meint er, dass der neue Putz noch etwas trocknen muss. Deshalb darf der Schrank nicht so nah an der Wand stehen.“

Nun war ich im Bilde. Das schien wirklich keine große Sache zu werden. Womöglich konnte man den Schrank einfach ein wenig vorziehen. Ich ging nicht davon aus, dass da große Gewichte auf mich zukommen würden. So viel Klamotten kann eine junge Frau ja gar nicht haben.

Also sagte ich für den kommenden Freitag meinen Besuch zu. Annies junges und strahlendes Lächeln war mein Lohn.

Und so stellte ich am folgenden Freitag kurz nach Mittag die schwere Kiste neben mir ab. Zur Sicherheit hatte ich einige wenige Werkzeuge mitgenommen. Nur für den Fall der Fälle.

Ich klingelte, Annie öffnete und begrüßte mich mit der gewohnten Freundlichkeit.

„Oh, nett dich auch mal angezogen zu sehen.“

Auch mein Gegenüber bot ein überraschend ungewohntes Bild in einem hellblauen geblümten Kleidchen und dazu passenden Sandalen. Sogar das Band in ihren Haaren passte farblich perfekt. Auch das hatte seinen Reiz.

Was mich allerdings im Schlafzimmer erwartete übertraf alle meine schlimmsten Befürchtungen. Darauf war ich nicht vorbereitet. Zwei Wände waren L-förmig komplett zugestellt mit einem Ungetüm von Kleiderschrank. Wir reden hier von insgesamt nicht weniger als neun laufende Meter Stauraum!

Nun, mit ein wenig Schieben war da nichts.

Die Klamotten mussten raus, das Möbel musste zerlegt und zehn Zentimeter weiter vorne wieder aufgebaut werden.

„Ich habe schon alles ausgeräumt und nebenan verstaut. Du kannst also gleich loslegen!“ Annie hatte mitgedacht und erhellte den Raum zusätzlich mit ihrem strahlenden Lächeln.

Wenn man eine Anni hat, braucht man keine zusätzliche Lampe.

„Falls du Hilfe brauchst, sag mir einfach Bescheid!“

Ihr entzückendes Lächeln gab mir die Kraft für die folgende Aufgabe.

Also, frisch ans Werk. „Ich denke, dass wir hier in maximal einer Stunde durch sind!“ Ich gab mich gewohnt zuversichtlich.

Die Türen waren schnell ausgebaut und ich begab mich an die zahlreichen Schubladen, bevor ich die Deckel abnehmen wollte. Bald standen nur noch die Sockel, Seiten- und Mittelwände und die Rückwände. Ich war halbwegs zufrieden mit mir.

Annie hatte es sich, halb sitzend, halb liegend auf dem Bett bequem gemacht und beobachtete aufmerksam mein reges Treiben.

Ich lag gut in der Zeit und ging bereits in den Endspurt über. Gerade wollte ich das erste Seitenteil ausbauen, als Annie sich völlig unnötigerweise zu Wort meldete.

„Wenn du da die Schraube jetzt losdrehst, fällt dann nicht die Seitenwand um? Du weißt ja, die Wände sind gerade renoviert worden.“

Unverdrossen drehte ich weiter an der Schraube.

„Da besteht überhaupt keine Gefahr. Ich habe das schon so oft gemacht, da kann gar nichts passieren! Glaube mir, ich habe an alles gedacht!“

Gut, an Gips hatte ich nicht gedacht. Wer hätte denn auch davon ausgehen können, dass ich Gips brauchen würde.

Irgendwo im Keller hatte Annie noch ein Säckchen gefunden, sodass ich das Loch in der Wand mehr oder weniger fachmännisch ausbessern konnte.

Annies Blick zeugte nicht unbedingt von uneingeschränkter Zufriedenheit, insgesamt zeigt ihre Körperhaltung nur noch wenig von der mir bekannten Anmut und Grazie.

Zudem war ich etwas beunruhigt, weil ich dachte in ihren grünen Augen ein rötliches Funkeln zu sehen.

Ich versuchte zu retten, was zu retten war. „Du könntest doch ein Bild oder ein Poster …“

Annies Knurren ließ mich verstummen. Wo steckte in diesem zierlichen Leib nur der Resonanzkörper für solch ein tiefes Geräusch?

Mit an ihren Körperseiten geballten Fäusten stampfte Annie aus dem Zimmer.

Ich wiederum stürzte mich in die Arbeit, mein Zeitplan war ein wenig aus den Fugen geraten.

Als Annie mit zwei Tassen Tee zurück zur Baustelle kam, hatte ich bereits den kompletten Korpus abgebaut. Ein richtig stark gezuckerter Tee wäre jetzt genau das Richtige.

„Der ist schon gesüßt!“ Annie reicht mir die Tasse.

Da richtige Männer auch richtig süßen Tee trinken, gab ich noch vier gehäufte Löffel Zucker dazu. Aufgrund der so entstandenen Konsistenz ließ sich der Tee zwar kaum noch umrühren, würde mir aber die notwendige Energie für die restlichen Arbeiten liefern. Kohlenhydrate pur.

Ja, man wird nicht jünger. Mein Körper zeigte tatsächlich erste Anzeichen für eine gewisse Erschöpfung. Ein wenig Sitzen würde mir im Nu meine Kräfte zurückbringen. Also beschloss ich die Arbeitsunterbrechung möglichst effizient zu nutzen und ließ mich in der Hoffnung auf baldige Tiefenentspannung vertrauensvoll nach hinten auf das Bett fallen.

Stimmt!

Ich hätte mich vorher vergewissern können, dass das Bett auch direkt hinter mir war und nicht fast einen Meter entfernt.

Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.

Dass ich den Tee über beide Hälften des Doppelbettes verteilte, muss daran gelegen haben, dass ich beim Fallen den Arm mit der Tasse relativ heftig nach oben und hinten riss.

Wer sich schon einmal unvermittelt ins Nichts gesetzt hat weiß, wovon ich rede.

Zum Glück wurde ein großer Teil des Tees sofort von dem Zucker aufgesogen. Denn da ich die Zuckerdose noch in meiner linken Hand hielt, streute ich den Zucker mit derselben effektiven Technik und ähnlicher Dynamik ebenfalls über das gesamte Bett.

Dieser Vorgang, im gesamten Ablauf gesehen, muss sehr lustig ausgeschaut haben.

Ich fragte mich, warum Annie nicht lachte.

„Omamas Ta-ta-tagesdecke!“ Mit jeder Silbe ging Annis Stimme eine Terz höher.

„Zum Glück ist es keine neue Decke!“

Ich versuchte zu retten, was zu retten war.

„Ich befürchte, die wird nie mehr richtig sauber. Wegen dem vielen Zucker. Das gibt böse Flecken, glaube ich!“

Annie zitterte unkontrolliert, ihre linke Gesichtshälfte zuckte. Sie schien mich nicht zu hören.

„Mein Be-be-bettzeug!“

Mir war zuvor gar nicht aufgefallen, dass Annie stotterte.

Mühsam rappelte ich mich von dem Teppich vor Annis Bett auf und kam unsicher zum Stehen. Aber nicht für lange.

Auch ohne nennenswerten Anlauf schafften es die fünfzig Kilogramm mich aus dem Weg zu rammen. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass Annie wohl in höchster Eile das Bett abzog. Mit den Armen voller Wäsche stürmte sie aus dem Zimmer und gab mir Gelegenheit das zu tun, weshalb ich hier war.

Annie ließ sich Zeit.

Nach knapp drei Stunden war der komplette Korpus zwanzig Zentimeter weiter vorne wieder aufgebaut. Als Annie das Zimmer betrat war ich gerade dabei die Schubkästen einzubauen. So war zumindest der Plan. Allerdings waren die Führungsschienen für die Schubkästen nicht dort, wo sie hätten sein sollen. Etwas ratlos stand ich mit dem Kasten in den Händen vor dem Möbel.

„Problem?“

Annie gab sich noch immer ein wenig wortkarg, schien sich aber den Umständen entsprechend halbwegs gut erholt zu haben.

„Nicht direkt.“

Ich wusste derzeit noch nicht, woraus genau das Problem bestand. Annie war diesbezüglich schon etwas weiter.

„Ich denke, du suchst die Führungen für die Schubkästen. Habe ich recht?“

Was blieb mir anderes übrig als zu nicken.

Weil die Matratze noch nass war, hatte Annie sich auf die Bettkante gesetzt. Sie hielt den linken Arm ausgestreckt und zeigte wortlos in den oberen Bereich des Schrankes.

Tatsächlich! Da waren sie, die Führungen für die Schubkästen. Aber wieso da oben?

Allmählich wurde mir bewusst, dass ich wohl bei den Schrankseiten irgendwie oben und unten vertauscht hatte.

Während ich begann die Schrauben zu lösen, holte Annie die Tüte mit dem Gips. Sie machte einen relativ resignierten Eindruck auf mich.

Ich besserte mehr oder weniger fachmännisch das zweite Loch in der Wand aus. Annie bot mir nichts mehr zu trinken an und hielt sich weniger im Schlafzimmer auf.

Offensichtlich befand sie sich im Wohnzimmer. Gerade hörte ich die Eingangsmelodie von den Tagesthemen im Fernseher, als ich mit meiner Werkzeugkiste abfahrbereit im Flur stand um mich zu verabschieden.

Ohne mich anzublicken hob Annie zum Abschied wortlos die Hand.

Ich hätte eh von ihr kein Trinkgeld genommen.

GRILLEN

„Ich mache schon mal das Feuer an!“ Mir schien es wichtig meinen Schatz über meine Pläne zu informieren. Heute war ein wichtiger Tag. Wir erwarteten Gäste.

Wie jedes Jahr trafen wir uns abwechselnd zum Grillen. Und heute waren wir die Gastgeber. Und ich war mir der großen Verantwortung für das Wohl unserer Gäste bewusst.

Ich plante, lud ein, kaufte ein, organisierte und so weiter und so fort. Da hatte meine Frau nichts mit zu tun, das war und ist reine Männersache!

Und wenn ich grillte, dann grillte ich mit richtigem Feuer. Und zwar mit Feuer aus Buchenholz. Alles andere ist für mich kein Grillen.

Da gibt es zum Beispiel Grillgeräte für Holzkohle, da gibt es Grills mit Gas und am schlimmsten, da gibt es so Dinger mit Strom!

Kurti zum Beispiel besitzt ein Ungetüm aus schwarzem Stahl, das eher aussieht wie eine ausrangierte Dampflokomotive, welches auch so befeuert wird und über dreitausend Euro gekostet hatte. Um dieses Gerät zu bedienen braucht man allerdings auch eine ähnliche Ausbildung wie ein Lokomotivführer.

Ich jedoch wollte das Feuer sehen und spüren. Ich wollte vor der lodernden Flamme hocken und die gefährliche Glut beherrschen, die Hitze im Gesicht spüren. Mit nichts anderem als mit einem Stock in der Hand und wilder Ursprünglichkeit im Sinn. Das ist das einzig wahre Grillen.

„Dann haben wir auch ordentlich Glut, wenn die Gäste kommen!“, vervollständigte ich meine Gedankengänge. Mein Schatz deckte gerade den Frühstückstisch ab. Endlich kam durch das offene Küchenfenster eine Reaktion.

„Denkst du nicht, dass das etwas zu früh ist? Es ist gerade mal kurz vor neun.“ Mein Schatz hatte für ihren Einspruch die diplomatische Version gewählt. „In der Einladung haben wir geschrieben, dass es um vier Uhr nachmittags los gehen soll. Du hast also noch jede Menge Zeit, du Dummerchen.“

Sie war ans Fenster getreten und wedelte mir mit einem Küchentuch zu.