Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent - Lothar Rüdiger - E-Book

Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent E-Book

Lothar Rüdiger

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Beschreibung

Lothar Rüdiger erzählt in diesem Band 44 der von Jürgen Ruszkowski herausgegebenen maritimen gelben Buchreihe meisterhaft in Romanform seinen beruflichen Werdegang: 1956 als Maschinen-Assistent auf dem Logger "RUDOLF BREITSCHEID" des Fischkombinats Rostock. – Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik – 1957 als Ingenieur-Assistent auf dem Nordatlantikliner BERLIN des Norddeutschen Lloyd und später auf dem Tanker CAPERATA der Deutschen Shell. Danach das Studium zum Schiffsingenieur II in Flensburg.

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Seitenzahl: 425

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Lothar Rüdiger

Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent

Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Zum Geleit

Vorwort zu „Flarrow steigt auf“

Flarrow steigt auf

Nordatlantikfahrt …

Drei Jahre später – Tanker „CAPERATA“

In Flensburg 1962/63…

Hinweis auf die Bände 45 und 46 der Trilogie

Sachwortverzeichnis

Weitere Informationen

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch. Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen zwei Dutzend maritime Bände.

In den Bänden 44 bis 46 können Sie wieder Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen eines Seemanns in Romanform kennen lernen, der ab 1956, zunächst als Maschinen-Assistent auf einem Kombi-Logger von Rostock aus in Nord- und Ostsee fischte und später in großer Fahrt auf dem Atlantikliner „BERLIN“ nach Nordamerika und auf einem Tanker unterwegs war, sowie über seine Studienzeit in Flensburg. In diesem Band 44 lesen Sie zunächst seine Erlebnisse als Assi, in den Bänden 45 und 46 die Fortsetzung der Erzählungen des Autors mit weltweiten Reisen als Technischer Wachoffizier und als Chief.

Hamburg, im Februar 2010/2014 Jürgen Ruszkowski

Zum Geleit

Um wirklich leben zu können, muss ein Mensch Stürme kennen, er muss Ozeane als seine Heimat haben oder die Küste als sein zu Hause.

Er muss Dinge der Erde riechen, die Stimmen der lebendigen Schöpfung hören und die reiche Fülle von Erde und Meer fühlen. (James Michener)

FLARROW

Der Name Flarrow entstand auf einem Passagierschiff, das im Nordatlantik-Liniendienst eingesetzt war. Als nämlich der Erste Ingenieur nach seinem Assistenten mit den Worten „Wo ist der Fliegende Pfeil?“ rief, machte ein findiger Schmierer „Flying Arrow“ daraus.

Die übrigen Mitglieder der Vier-Acht-Wache, der englischen Sprache nicht so mächtig, verballhornten dann diesen Namen zu „Flarrow“.

Schon als Kind fand Flarrow nur einen Beruf erstrebenswert. Irgendwie zur See gehen, die großen Meere und die weite Welt sehen. Zunehmendes technisches Interesse präzisierte schon bald seinen Berufswunsch. Er wollte Schiffsingenieur werden. Und als die Zeit gekommen war, begann er damit, seinen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.

Vorwort zu „Flarrow steigt auf“

Allgemeine Bemerkungen zur Hochseefischerei in der DDR (bis 1956)

Mit der Teilung Deutschlands bei Kriegsende 1945 gab es Hochseefischerei nur im westlichen Teil. Die Küstenfischerei in der Ostsee konnte den Bedarf der damaligen Ostzone und späteren DDR bei weitem nicht decken.

Importe aus Island, Skandinavien und im Rahmen des innerdeutschen Handels waren auf Dauer mit dem chronischen Devisenmangel der DDR unvereinbar. Fisch war daher dort Mangelware. Das erkannte sogar die sowjetische Besatzungsmacht, die zum Aufbau ihrer eigenen Fischerei auf den ostdeutschen Werften in Stralsund, Boizenburg und Rosslau ein Logger-Programm aufgelegt hatte, das im Rahmen der Reparationsleistungen von der DDR zu erfüllen war. Sie war bereit, aus dem „1.000–Logger-Programm“ 35 Schiffe abzuzweigen, die 1950/51 dem Fischkombinat Rostock zuliefen und die Hochseefischerei der DDR begründeten.

Bereits im November 1949 hatte der Rat der Stadt Rostock als endgültigen Standort des Hochseefischereibetriebes das Gelände der Heinkel AG in Rostock-Marienehe vorgeschlagen. Am 19. Juni 1950 löschten die Logger „HEINRICH MANN“ (ROS 101) und „ROSA LUXEMBURG“ (ROS 104) als erste in Rostock. Dieses Datum gilt als Gründungstag des Betriebes, der 1952 in VEB Fischkombinat Rostock umbenannt wurde.

Logger sind Fischereifahrzeuge, die mit Treibnetzen fischen. In der DDR bezeichnete man einen Schiffstyp als Logger, der für Treibnetzfang entwickelt worden war, aber auch für das Fischen mit Schleppnetzen benutzt werden konnte und deshalb auch „Kombilogger“ genannt wurde. Für die Fischerei mit Schleppnetzen war dieser Typ jedoch stark untermotorisiert.

Die Logger hatten folgende Auslegungsdaten:

Länge über alles 38,50 m

Reichweite 6.300 sm

Einsatzdauer bis zu 25 Tage

Besatzung 18 Personen

Antriebsleistung 300 PS

Geschwindigkeit 9 Kn

Laderaumvolumen 182 m³

ca. 1400 - 1800 Korb

Vermessung 260 BRT

Jahresfang (geplant) 965 t

Alle Fischereifahrzeuge haben eine Kennung, die sich aus einem Hinweis auf den Heimathafen und die Klassifizierung zusammensetzt. Sie wird von der zuständigen Behörde vergeben. Die Rostocker Logger hatten die Kennung ROS 101 bis ROS 135. Die später zugelaufenen Trawler ROS 201 bis ROS 225. Dazu kam der bei der Schiffstaufe verliehene Schiffsname.

Auf dem Logger „RUDOLF BREITSCHEID“ (ROS 107) fuhren 1956 15 bis 18 Mann Besatzung einschließlich Kapitän. Sie waren im Vor- und Achterschiff untergebracht. Im Vorschiff wohnten in drei 4-Mann-Kammern Leichtmatrosen, Matrosen, ein Maschinen-Assistent und der Bestmann/Netzmacher. Im Achterschiff in einer 4-Mann-Kammer der Zweite Maschinist, der Funker, der Koch und ein Maschinen-Assistent, weiterhin in einer 2-Mann-Kammer die beiden Steuerleute. Der Erste Maschinist (Chief) und der Kapitän wohnten in Einzelkammern im Hauptdeck.

Die Logger waren Frischfischfänger. Der Fang wurde an Bord sofort in Eis und Salz gelagert und blieb so etwa vierzehn Tage haltbar. Kehrte das Schiff von der Fangreise zurück, machte es an der Löschpier fest, wo der Fang gelöscht wurde. Die Besatzung hatte nun 48 Stunden frei. Um den Logger kümmerte sich während dieser Zeit der „Landbereich“ des Fischkombinates, der ihn auch für die nächste Reise auszurüsten hatte. Die 1.085 m Kailänge des rechteckigen, zum Warnow-Fahrwasser hin offenen, Hafenbeckens war in vier Bereiche eingeteilt:

Löschpier, mit den Fischhallen zur Weiterverarbeitung des Fanges.

Querpier, mit Werkstätten und Lagerräumen.

Ausrüstungspier, mit Netzboden und den Vorrichtungen für Wasser-, Brennstoff- und Schmierölübernahme.

Eispier, mit der Eisfabrik (Kapazität: 50 t/Tag) und den Vorrichtungen zur Eisübernahme. Am Eispier wurden auch die Fässer mit Salz übernommen und zu allerletzt, kurz vor dem Auslaufen, wurde der Proviant geliefert, der ebenfalls dort übernommen wurde. Hier stieg auch die Besatzung wieder ein, übernahm das Schiff vom „Landbereich“, und lief mit ihm zu einer neuen Fangreise aus.

Mit der Fertigstellung des 5.000-Tonnen-Kühlhauses im Frühjahr 1956, wurde die erste Aufbauphase des Fischkombinates im Wesentlichen abgeschlossen. Es begann nun eine Phase der Stabilisierung der Betriebsabläufe, mit dem Ziel, mehr Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Diesem Ziel kam man aber kaum näher, denn nur selten waren die Logger zum Auslauftermin wirklich seeklar. Meistens musste die Besatzung Ausrüstung und Proviant übernehmen und verlor dabei viel Zeit. Auch deshalb wurden die Planziele nur selten erreicht.

Mit der Stabilisierungsphase begann auch der Schlendrian. Nach den Anstrengungen der Aufbaujahre, wurden gewissermaßen Verschnaufpausen eingelegt, die die Überbewertung der politischen Arbeit seitens der Kombinatsleitung noch förderten. Partei- und Kaderleitung hatten nun Zeit für die Entwicklung eines „sozialistischen Betriebes“, was für besonders wichtig gehalten wurde. Durch immer stärkere Forcierung der politischen Arbeit wurde aber, wie in anderen VEB-Betrieben der DDR auch, ein Betriebsklima erzeugt, das die Ideologie vor die Wirtschaftlichkeit stellte, was aber nicht zur Verbesserung der Betriebsergebnisse beitragen konnte.

Flarrow steigt auf

*) In Rostock sagt man „aufsteigen“, in Bremerhaven „einsteigen“ auf ein Schiff

An jenem Julitag lagen die Gebäude des Fischkombinates in brütender Mittagshitze. Der Lärm aus den Hallen, die um das Hafenbecken herum gebaut waren, verstummte.

Fischwerker aus den Fischhallen, Netzwerker vom Netzboden und Lagerarbeiter aus Magazinen und Provianthallen machten sich auf den Weg zur Kantine. - Mittagspause.

Im Hafenbecken, das leicht zwanzig Fischereifahrzeuge aufnehmen konnte, lagen nur zwei Logger, einer, der erst am Morgen eingelaufen war am Löschpier, der andere am Eispier, schon mit dem Bug zum nahen Warnowfahrwasser hin, als ob er klar zum Auslaufen wäre.

Flarrow setzte den schweren Koffer ab. Schweißperlen tropften von seiner Stirn, brannten in seinen Augen und liefen von seinem Kinn den Hals hinunter in den offenen Hemdkragen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zu dem Logger am Eispier hinüber. An seinem Heck stand in großen weißen Buchstaben: RUDOLF BREITSCHEID – ROSTOCK.

Er wischte sich den Schweiß ab und atmete auf. Dort lag es - sein Schiff. Nach all den Tagen des Wartens, war er vor einer Stunde ins Heuerbüro gerufen worden. Man hatte ihm Seefahrtsbuch und Heuerschein in die Hand gedrückt, er war damit angemustert. Der Logger sei klar zum Auslaufen, er solle sich gefälligst beeilen.

Flarrow war in die vergammelte Wohnbaracke gestürmt, in der er bisher untergebracht war, hatte hastig seinen Koffer gepackt, und war dann über das Trümmerfeld, das seit Kriegsende auf eine sinnvolle Nutzung wartete, zum Hafen gelaufen.

Dort lag es nun, das Schiff auf dem er angemustert hatte. Er riss den Koffer wieder hoch, immer noch von der Angst gepackt, es könnte plötzlich losfahren, nicht auf ihn warten. Atemlos stand er vor zwei Männern, die sich, an die Stelling gelehnt, unterhielten, und stotterte: „Ich möchte den Ersten Maschinisten sprechen“.

Der in den Holzpantinen wandte sich ihm zu, und Flarrow blickte in ein hartes, kantiges Gesicht voller Falten, dessen blaue Augen durch ihn hindurch blickten, und seine Stimme sagte: „Du bist der neue Assi, na dann komm mal mit.“ Der Mann schlurfte über das schmutzige Deck zum vorderen Niedergang. Flarrow folgte ihm die steile Treppe hinab in einen winzigen Raum mit vier Kojen, jeweils zwei und zwei hintereinander und übereinander an der Bordwand.

„Hier wohnst Du, zieh Dich gleich um, wir haben noch zu tun.“ „Ich soll mich aber beim Ersten Maschinisten melden“ hörte Flarrow sich sagen. Der Mann griente ihn freundlich an: „Und wer glaubst du bin ich? Ist schon gut, gib mir mal dein Seefahrtbuch und komm dann in die Maschine.“

Die Holzpantinen polterten den Niedergang hoch und über das Deck zurück zum Achterschiff. Flarrow war fassungslos. So sah also der Chief, der Leiter der Maschinenanlage, wie es vornehm hieß, aus: Schmierige Hosen, ein Unterhemd voller Ölflecken und -Holzpantinen! Na ja, dachte sich Flarrow, ein Wunder ist das nicht. Bei der Seereederei hatten sie gesagt, dass es „gemäß den Planzielen“ noch fünf Jahre brauche, bis es ein Schiff für ihn geben würde. Wenn er jedoch gleich los wollte, sollte er es beim Fischkombinat versuchen, da wäre immer mal ein Platz frei.

Wo war er hier gelandet? Sah so der Beruf aus, den er so sehnlich anstrebte, den er für etwas ganz Besonderes hielt?

Es bewegte sich nichts. Nur das Ticken der Uhr über dem Fahrstand klang zu ihm herüber, als er den Maschinenraum betrat. Flarrow hatte sich gut vorbereitet, viel gelesen. Mühelos erkannte er den Hauptmotor und die zwei Dieselaggregate für die Bordstromerzeugung, Pumpen und Rohrleitungen an der Backbordseite; E-Schalttafel, Batterien und eine Werkbank mit Schraubstock und Schleifmaschine an Steuerbord. Darüber die Anlassluftflaschen für die Startluft der Dieselmotoren. Achtern, hinter dem Niedergang der zylinderförmige Hilfskessel für die Heizung der Wohnräume, der Kommandobrücke und das Trankochen.

Zum ersten Mal nahm er den Geruch des Maschinenraums wahr, eine Mischung von Schmieröl, Brennstoff und Bilgenwasser, den dieser Arbeitsplatz verströmte, und der ihn zukünftig, sicher in unterschiedlichen Nuancen, niemals mehr verlassen würde, wenn er mit einem Schiff unterwegs war.

„Du bist der Neue?“ klang es vom Niedergang her. „Heiße Dieter und habe hier schon fünf Reisen gemacht. Halt mal den Eimer.“ Ehe Flarrow antworten konnte begann der andere an einer Schraube zu drehen. Etwas wäre verstopft, Flarrow sollte mal schön den Eimer darunter halten. Und dann ergoss sich ein satter Strahl in den Eimer, der bald gefüllt war und der einen Atem beraubenden Gestank verströmte.

Flarrow an Bord

„Wenn es leer gelaufen ist, machst du es wieder dicht“, sagte Dieter und verschwand grinsend nach oben. Über und über mit Jauche bespritzt, starrte Flarrow entsetzt auf den Eimer. Der verstopfte Abfluss der Mannschaftstoilette war nun leer gelaufen, die Leckschraube lag im Eimer; ganz unten drin. Flarrow fluchte leise vor sich hin. Abitur, Maschinenschlosserlehre, Erfahrungen im Motorenbau und nun das hier. - Doch dann fischte seine Hand nach der Schraube.

Der neue Assi von ROS 107 stand an Deck und blickte in die untergehende Sonne. Er versuchte nachzuempfinden, was ihm seine Bücher so alles erzählt hatten. Hafen, Salz, Tang und Teer und - Fernweh. Was er wahrnahm war der Geruch von Dieselöl, Brackwasser und vergammeltem Fisch. Langsam nahm das Heimweh von ihm Besitz.

Der Chief hatte ihm gesagt, dass sie erst morgen mit Eis rechnen könnten, und dass er heute Bordwache hätte. Einen Hafenmaschinisten hätten sie nicht parat. Dann waren alle an Land gegangen. Morgen sollte es losgehen, auch das hatte der Chief gesagt.

Er war ins Vorschiff gegangen, um einzuräumen. Vom Depositenlager war ein Seesack angeliefert worden, seine Ausrüstung, die das Kombinat stellte: Ölzeug, Stiefel und Bettwäsche. Er hatte seine Koje bezogen, Kopfkissen, Decke und Matratze. Es machte sich richtig gut, das blau-weiß karierte Kojenzeug. Dann hatte er seine Sachen verstaut, das Logis gefegt und den Koffer in den Stauraum gebracht.

An einem kleinen Tisch schrieb er die ersten Zeilen nach Hause, teilte mit, dass er jetzt zur Abteilung „Flotte“ gehöre, sowie Name und Nummer seines Schiffes, damit sie seine Adresse hatten. Morgen würden sie fahren, in die Nordsee, „auf Hering“ hatten sie gesagt. Der Brief lag nun im Postkasten, der unweit des Liegeplatzes auf zwei Stelzen an dem Pier stand. Flarrows Blick wanderte über das Schiff. Ein grüner Rumpf. Achtern die rostroten Aufbauten. Bis auf den Schornstein war nichts in Farbe, das Deck schmutzig und unaufgeräumt. Ein kleines rostiges Schiff. Schlagseite hatte es auch.

Es war so ziemlich alles anders gekommen, als er sich das gedacht hatte. Niemand hatte sich wirklich um ihn gekümmert, sie hatten ihn kaum wahrgenommen, er zählte einfach nicht mit. Und dann der Laden hier. Ein kleiner rostiger Motorlogger des VEB Fischkombinats Rostock. Das war einfach nicht seine Welt. Drüben an der Löschpier hatte am Nachmittag einer von den neuen Trawlern festgemacht. ROS 218 kam direkt von der Werftprobefahrt und war deshalb gut in Farbe. Das weckte die Sehnsucht. Das war ja wenigstens noch ein Schiff. Weiße Aufbauten und mehr als doppelt so groß als dieser Logger hier. Aber dort wurden nur befahrene Assistenten angemustert, die mindestens sechs Monate Fahrzeit hatten. Damit konnte Flarrow nicht dienen. Er hatte noch nicht einmal auf einer Werft gearbeitet, das hatte die Kaderabteilung des Kfz-Werkes verhindert. Deshalb war er trotz allem angelesenen Bücherwissen fremd an Bord.

Die Nacht brach herein. Flarrow kontrollierte die Maschinenraumbilge und die außenbords hängende Laterne. Alles klar auf der Back, die Lampen brennen, so stand es in den Büchern. Hier aber war niemand, der sich dafür interessiert hätte. Er war allein mit diesem Schiff. Die Wache hatte man ihm doch auch nur gegeben, weil sonst keiner da war. Nur um ihn zu beschäftigen. Zumindest sah er das so.

Als er schließlich über den kleinen Tisch in die Oberkoje kletterte, war er sicher, alles falsch gemacht zu haben. Die Seegrasmatratze war besser, als das Stroh in der Wohnbaracke, stellte er lächelnd fest. Ansonsten fand er keinen Grund zur Freude, und seine Stimmung war deshalb entsprechend weit unter Null.

Draußen auf der Warnow brummte das Typhon eines sowjetischen Frachters. - Ja, ein Frachter, dort müsste man an Bord sein, dort war bestimmt alles so, wie er sich das erträumt hatte. Auf einem Frachter, da war die Welt in Ordnung! Frachter hatten aber zu jener Zeit im Ostblock vor allem die Russen.

Krachend flog das Schott auf. Vom Niedergang her polterte ein Koffer herunter, der auf dem kleinen Tisch, mitten in seinen Sachen landete. In der Tür stand ein Riese und der schrie: „Hallo ein Neuer!“ Flarrow sprang aus der Koje auf den kleinen Tisch. Hatte er verschlafen? Der Riese hielt ihm die Hand hin. „Du bist der neue Assi, ich bin Audi, der Netzmacher.“ Flarrow machte fast eine Verbeugung. Audi drehte sich zu einem anderen Riesen um, der inzwischen ebenfalls unten angekommen war. „Er ist noch ganz neu bei die Fischerei.“

Flarrow fuhr hastig in seine Kleider, stürzte an Deck und nach achtern. Die Tür zum Waschraum war verschlossen. Also fiel die Morgentoilette völlig aus. Flarrow verschwand in der Maschine, um zu kontrollieren, was man ihm aufgetragen hatte. Plötzlich stand ein Mann im Trainingsanzug neben ihm. Ein Mann, kaum älter als er, glattes Haar und eine mächtige Schmalzlocke über der Stirn. Sehr gepflegt, dachte Flarrow, aber Trainingsanzug und Turnschuhe? - Nicht einmal die vorgeschriebenen Maschinenschuhe hatte er an. Schmalzlocke ließ ihm keine Zeit zu weiteren Betrachtungen. „Ich bin Bobby, Zweiter Maschinist, und Du bist der neue Assi. Du kannst ‚Du’ zu mir sagen.“ Wieder ein schmerzhafter Händedruck. „Du bist wohl schon seit gestern an Bord und ganz unbefahren? Wir gehen zusammen Nullsechs, kennst Dich wohl noch nicht so ganz aus hier? Na das wird schon. Jetzt geh’ und weck den anderen.“ - „Wo schläft der?“ - „Ach so, komm mit.“ Tänzelnd verschwand Bobby nach oben und nach ein paar Metern in einem Niedergang, der wieder nach unten führte. Flarrow hechelte hinterher und landete in einer Kammer mit zwei Bullaugen, dreimal so groß wie seine im Vorschiff, die keine Bullaugen hatte. Hier gab es ebenfalls vier Kojen, aber die Kammer war dreimal so groß! Flarrow konnte nicht wissen wie unbedeutend das für das Wohnen auf See sein würde. Er ahnte aber auch nicht, welchen wirklichen Vorteil diese Kajüte im Achterschiff hatte. Hier wirkte sich nämlich der Seegang weit weniger heftig aus als im Vorschiff, und man brauchte nicht über Deck, um in den Maschinenraum zu gelangen.

Bobby schrie: „Reise, Reise, Amigo!“ Ein Grunzen antwortete. Da langte der Zweite in die Oberkoje, und schon stand der Assistent Dieter in voller Schönheit mitten in der Kajüte. „Los, komm` schon, wer saufen kann, kann auch Likör!“ - „Scheiße das hier.“ - „Ach was, mach hin, Store übernehmen, nimm den da mit!“ und Bobby zeigte auf Flarrow.

Der Logger lag in der Nähe des Ausrüstungspiers, wo die für die Reise benötigte Ausrüstung in Magazinen und Netzboden bereitgestellt worden war. Sie schleppten Ausrüstung an Bord, Ersatzteile für die Maschinen, einen Reservebrenner für den Hilfskessel, Sicherungen, Glühbirnen, Putzwolle und Putzlappen, mehrere Sätze Brennstoffdruckleitungen für die Hauptmaschine. Zuletzt zwei Flaschen Sauerstoff und zwei Säcke mit Karbid zur Acetylenerzeugung, denn sie hatten ein Gasschweißgerät an Bord. Das hatten beileibe nicht alle Logger.

Der Mann hinter dem Schalter hielt Flarrow mürrisch einen Zettel hin: „Unterschreib!“ Flarrow kapierte und suchte Dieter, der sich, weiß Gott woher, eine Flasche Selterwasser besorgt hatte, die er nun in sich hineinschüttete, um den Nachdurst aus der Metro-Bar zu lindern. Dieter nickte nur, und Flarrow unterschrieb die Empfangsbestätigung. Sie hatten nichts gezählt, nichts kontrolliert, nur geschleppt. Wozu also noch unterschreiben? fragte sich Flarrow.

Draußen an der Pier hielt ein LKW direkt vor dem Schiff. Riesenradau - der Proviant wurde geliefert. Ein zweiter Wagen kam dazu: Brote, Körbe mit Gemüse, Schweinehälften und immer wieder Kartons mit Konserven. Flarrow bekam große Augen. Das alles sollte ins Schiff? Und da er mitten im Weg herumstand, war er gleich dabei, die Brote auf das Peildeck zu schaffen, wo sie in einem Bretterverschlag verstaut wurden. Brot für 18 Mann und drei Wochen auf See.

Überall liefen Leute herum, schimpfend und fluchend, schleppend und scherzend - die Besatzung. Überall aber auch eine schreckliche Unordnung. Zertrümmerte Paletten, Tauwerk, dazwischen Salatkisten und zwei Matrosen, die eine Luke öffneten. Ein großer Rüssel wurde in die Öffnung gesenkt, und dann rauschte das Eis in die Hocken. Zusammen mit Kochsalz würde die Mischung den Fisch bis zum Löschen in Rostock ausreichend kühlen.

Dann kamen die Netze auf mit Gummi bereiften Tafelwagen von der Netzmacherei herangerollt. An Deck wurde der Ladebaum gestellt und unter der Aufsicht des Netzmachers Audi verschwanden die Netze in der Luke.

Flarrow, der immer im Weg stand und von den Leuten um ihn herum kaum beachtet wurde, machte sich keine Gedanken mehr. Er tat, was ihm gesagt wurde, und fluchte heimlich, weil sein leerer Magen knurrte.

Alles musste so gestaut werden, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Reise der richtige Proviant griffbereit war. Das besorgte der Koch im Proviantraum, und deshalb gab es eben kein Frühstück.

Er hatte gerade das Karbid in einen Stahlbehälter unter dem Maschinenraumoberlicht verstaut, als Bobby von unten heraufwinkte. Flarrow kletterte die Steigleiter hinunter zum Fahrstand und sah zu, wie Bobby den Dieselgenerator startete. Da tauchte der Chief auf. Flarrow bekam das Manöverbuch in die Hand gedrückt: „Schau dir das an, du schreibst Manöver, es geht jetzt los.“

Dann machten die beiden Maschinisten die Hauptmaschine klar, starteten sie ein paar Mal, und Bobby kuppelte den Luftkompressor ein, um die verbrauchte Startluft zu ergänzen. Plötzlich war Leben im Schiff und Flarrow starrte gebannt auf den 300-PS–Dieselmotor, der mit kleiner Drehzahl warmlaufen sollte. Bobby pustete in das Sprachrohr zur Brücke, brüllte etwas hinein und stellte die Uhr über dem Fahrstand. Zeitvergleich. - Nachdem er die Uhr aufgezogen hatte, gab er Flarrow den Schlüssel: „Jeden Mittag bei Wachbeginn aufziehen!“ Da sprang der Maschinentelegraf auf „Maschine Achtung!“ Bobby quittierte, und Dieter schwang die Ölkanne, um die Ventile des Hauptmotors zu schmieren.

Flarrow schrieb in das Manöverbuch:

13. Juli 1956, 13:48 h, Maschine Achtung.

Bobby stoppte die Maschine. Nun war nur das Rattern des Bordgenerators zu hören, der die Bordstromversorgung übernommen hatte. Gespannt warteten alle. Dann hörte man, wie eine losgeworfene Leine auf das Wasser klatschte. Der Maschinentelegraf klingelte, Bobby quittierte, bediente die Hebel, und der Achtzylinder-Hauptmotor sprang an.

Flarrow notierte: 13:51 h: Voraus Halbe.

Gespannt verfolgte er, wie Bobby den Motor auf Drehzahl brachte. Das Spiel der Kipphebel fesselte ihn, und dabei vergaß er völlig, dass soeben seine erste Reise begonnen hatte.

Der Logger nahm Fahrt auf, erreichte das Warnowfahrwasser und später den Breitling. In Warnemünde wurde noch einmal festgemacht. Das Schiff musste „zollmäßig“ ausklariert werden. Die Besatzung stürzte in den „Seehund“. In diesem Lokal gab es den besten Grog der Ostseeküste. Dort wurde der letzten Pfennig auf den Kopf gehauen. Danach liefen sie durch den Seekanal, und gegen 18:00 Uhr hatten sie die Reede von Warnemünde passiert.

ROS 107 lief nun durch eine glatte See mit nördlichem Kurs von Land ab in Richtung Sund, Kattegatt und Skagerrak. Ihr Ziel war die Nordsee. „Fladengrund“ hieß der nordöstlich von Schottland liegende Fangplatz. „Auf Hering“, hatten sie gesagt.

Mit Bobby stand auch Flarrow an Deck und schaute nach dem entschwindenden Land hinüber. Da war der Strand und die Holzhäuser von Warnemünde, schnell kleiner werdend. Schließlich waren nur noch Mole und Leuchtturm zu erkennen.

„In drei Wochen sehen wir das wieder, da werden wir wohl auch diese Reise geschafft haben“, seufzte Bobby. Und Flarrow begriff, dass er an Bord war, auf See mit einem Fischereimotorschiff kaum vierzig Meter lang, eingeschlossen in einer engen, kleinen Welt, und er war nunmehr ein Teil von ihr, ob er wollte oder nicht.

Dann saßen sie in der Messe. Ein Tisch, die Back, querschiffs aufgestellt, bot Platz für die 18 Besatzungsmitglieder und den Kapitän. Flarrow hatte einen Platz am Schott gewählt, doch dann tauchte der Kapitän auf, und er musste aufrücken. Nun saß er fest zwischen Bobby und dem Alten, der zunächst einmal ungehalten über die Kombinatsleitung schimpfte. Sie hatten wieder einmal zwei Tage verloren, weil die Instandsetzungsarbeiten der Eismaschinen nicht termingerecht beendet worden waren, und sie deshalb auf Eis warten mussten.

Als die Teller mit gebratener Leber und Kartoffelpüree herumgereicht wurden, verstummten die Gespräche. Plötzlich fragte der Alte: „Na Assi, hast du schon gefahren?“ - „Nein, dies ist meine erste Reise.“ - „Na dann sag Bescheid, wenn Du seekrank bist. Kotz mir bloß nicht auf die Wäsche!“ Allgemeines Gelächter, Flarrow schluckte.

Als sich der Alte auf die Brücke verzogen hatte, begannen sie zu erzählen. Von zu Hause, den Sauftouren, und wie sie das Geld sonst noch auf den Kopf gehauen hatten. Flarrow hörte zu. Er wagte es nicht etwas dazu zu sagen. Er hätte ja auch nichts zu sagen gehabt – aber sie beachteten ihn gar nicht. Dann mahnte Bobby: „Los in die Koje, um Mitternacht sind wir wieder dran.“

„Viertel vor“, kam es von ganz weit her, wurde lauter, kam sich wiederholend, näher und dröhnte schließlich in seinem Kopf - „Viertel vor!“ Flarrow sprang auf, Dieter verschwand schon im Niedergang. Es war Zeit für die Wache von null bis sechs Uhr, die Hundewache. Zusammen mit dem Rudergänger trottete er über das dunkle Deck nach achtern. Am Maschinenraumschott wartete Bobby: „Also denn man los!“

Drinnen hämmerten die Diesel. Gleichmäßig das dumpfe Ra-ta-ta-tan, ra-ta-tatan der Hauptmaschine, dazwischen das Flap-flap-flap-flap des Bordgenerators. Flarrow trabte hinter Bobby her, der auf dies und das zeigte. Schließlich standen sie am Fahrstand. Bobby nickte, und Dieter, der die Achtzehn-Vierundzwanzig-Wache hinter sich hatte, verschwand mit einem gequälten Lächeln nach oben.

Nun musste Flarrow alles noch einmal kontrollieren –- die Ausbildung hatte begonnen. Bobby schaltete die Batterien auf Ladung. Später setzte er sich auf die Twistkiste. „Pass gut auf, und alle zwei Stunden abschmieren, schau dir das Journal an, alle zwei Stunden Temperaturen und Drücke eintragen.“ Damit vertiefte er sich in einen Kriminalroman, einen Westkrimi, wie der erstaunte Flarrow schließlich feststellte. Er ließ nun den Hauptmotor nicht mehr aus den Augen. Die dreihundert PS nötigten ihm gehörigen Respekt ab, und weil er die ganze Anlage noch nicht kannte, ihre Geräusche nicht einschätzen konnte, war er ziemlich unsicher. Besonders nervös machte ihn, dass der Zweite sich scheinbar um nichts kümmerte, ihm augenscheinlich alles überließ. Dass erfahrene Seemaschinisten oft mit den Ohren besser sehen konnten, als mit den Augen, das musste Flarrow erst noch lernen.

Ein Uhr! Die Eintragungen ins Maschinentagebuch wurden fällig. Abschmieren, Fischräume lenzen, Maschinenraumbilge kontrollieren. - Plötzlich war Bobby da, um Brennstoff in den Tagestank zu pumpen. „Aufpassen, wenn der überläuft, gibt’s große Schweinerei.“ - „Fünf Uhr vierzig, geh’ jetzt wecken!“

Als er zurückkam, wurden Seewassertemperatur und Propellerdrehzahl an die Brücke gemeldet. Aus dem Sprachrohr kam die Lufttemperatur zurück, die ebenfalls in das Maschinentagebuch eingetragen wurde.

Dann tauchte Dieter auf. „Gute Wache“ – „Gute Ruh“. Die erste Seewache war herum. Müde schlich Flarrow hinter dem Zweiten nach oben. In der Messe gab es Bohnen mit Speck zum Frühstück. Danach fiel er todmüde in die Koje.

ROS 107 hatte unterdessen das Feuerschiff „GEDSER“ passiert, die Kreidefelsen von Møns Klint an Backbord gelassen und stand nun zu Beginn der Nachmittagswache im Kattegat. Kopenhagen lag bereits achteraus. Voraus, aber noch hinter der Kimm, die Inseln Anholt und Læsø. Es war ein wunderschöner warmer Sommertag mit einer spiegelglatten See, auf der der Logger mit munteren neun Knoten Fahrt dahin glitt.

Flarrow verschwand im Maschinenraum, wo ihn eine weitere Seewache erwartete. Nachdem sie die Wache abgenommen hatten, drückte ihm der Zweite das Betriebshandbuch für die Maschinenanlage in die Hand: „Zuerst alles, was über die Hauptmaschine geschrieben ist.“

An Deck wurde im Laufe des Tages das Schleppnetz klargemacht. Die schweren unförmigen Scherbretter hingen nun in den Galgen, die Kurrleinen waren angesteckt. Wie eine Riesenwurst lag das Schleppnetz an Deck. Obwohl sie noch zwei Tagereisen vor sich hatten, war es klar zum Aussetzen.

Der Abend kam herauf, als der Zweite mit Flarrow nach der Nachmittagswache in die leere Messe kam. Alle Freiwächter hatten sich in die Koje verzogen, um auf Vorrat zu schlafen, für die Zeit auf dem Fangplatz. An der Back saß nur ein Matrose von der Null-Vier Wache. Er belegte völlig ungeniert eine Schnitte Brot mit dicken Butterscheiben und schmierte reichlich Leberwurst darüber. „Das brauche ich immer nach dem anstrengenden Landgang“, strahlte er. Da konnte man schon ins Grübeln kommen. Von allem, was da als Abendbrot auf der Back stand, so viel man wollte! Wenn die Leute an Land das sehen könnten! Es gab ja noch immer Lebensmittelmarken in der DDR. „Hau rein Assi, hier brauchst Du nicht zu sparen“, griente der Smut.

„Ab in die Koje, um Mitternacht sind wir wieder dran“, mahnte Bobby. Müde und satt schlich Flarrow nach vorn in seine Kammer. Das Schnarchkonzert seiner drei Mitbewohner störte ihn nur, solange er noch wach war, also lediglich einen kurzen Augenblick. Noch im Einschlafen empfand er etwas, was viele Leute auf einem Schiff festhielt: Das Gefühl von Geborgenheit, einer Geborgenheit, die sich ausdrückte in der gewährten Sicherung von Bedürfnissen, soweit sie Verpflegung und Wohnen betraf, im Grunde wahrscheinlich nichts weiter als die uralte Sorge um Nahrung und Unterkunft oder Schutz vor den Unbilden der Natur und das Überleben am nächsten Tag. Ein moderner Mensch verstand diese ursprünglichen Sorgen nicht mehr. Er kannte keine Angst vor wilden Tieren, weil ihm keine mehr begegneten, und dass sein Schiff stärker sein würde als die Naturgewalten, daran zu zweifeln, fehlte ihm die Fantasie. Flarrow empfand aber auch etwas, das die gesicherte Versorgung mit Fürsorge gleichsetzte. Und von da an war es nicht mehr weit bis zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass die in seinen Augen so großzügige Fürsorge der volkseigenen Reederei nur für ganz besondere Leute da war. Etwas ganz Besonderes - wie der Beruf, den er wollte - das wollte er sein, das war seine Welt. Und gehörte er nicht eigentlich schon dazu?

Die Nacht war schwarz, der Himmel völlig bedeckt, kein Mond, und Flarrow stolperte über das unbeleuchtete Deck. Die Null-Sechs-Wache war fällig. Bobby wartete am Maschinenraumschott. Wachabnahme. „Gute Wache!“ – „Gute Ruh!“ Dieter schlich nach oben, und Bobby begann mit einer langatmigen Erklärung der Umsteuerung der Hauptmaschine von Voraus auf Zurück. „Wenn wir auf dem Fangplatz sind, zeige ich dir, wie das geht.“ Dann folgte der übliche Wachablauf. Noch einmal alles kontrollieren, Fischräume lenzen, Brennstoff trimmen, Maschinentagebuch schreiben. -

Als sie ihre Wache herum hatten und an Deck kamen, empfing sie ein klarer sonniger Morgen. Nur, die Sonne stand nicht wie gestern an Steuerbord, sondern achteraus. Das bedeutete, dass der Logger auf Westkurs gegangen war und in den Skagerrak hineinsteuerte. Bobby zeigte nach Backbord. Dort stand ein Leuchtturm auf hohem Kliff. Skagenshorn. Sie hatten die Nordspitze Jütlands gerundet. Vor ihnen lagen nun die Fischerbänke und die offene Nordsee.

In der Messe gab es Koteletts zum Frühstück. Sie lagen auf zwei großen Platten und waren nicht abgezählt! Die Messe war gut besetzt. Stimmengewirr, gute Laune und Ausgeschlafenheit. „Wer will noch kaltes Eisbein von gestern Abend?“ - Und Audi, der Netzmacher, sagte: „Na Assi, wie geht’s denn so?“

Als Flarrow geweckt wurde, bemerkte er zuerst die Bewegung des Schiffes. Es schlingerte in einer quer einlaufenden Dünung. Im Vorschiff machten sich diese Bewegungen besonders unangenehm bemerkbar. In der Messe begann die Balanciererei mit dem Geschirr, und der Smut hatte nasse Lappen auf der Back. Eine Stunde später, auf Wache im Maschinenraum, begann es. Die Seekrankheit hatte ihn zu fassen. Der Chief tauchte auf und sah ihm sein Problem an. Seine Blässe hatte ihn verraten. „Wenn du kotzen musst, kannst du nach oben. Wenn du aber in der Maschine kotzt, musst du hinterher alles pico-bello putzen! Also, sieh lieber zu, das draußen zu erledigen." Und zu Bobby gewandt meinte er, man könnte ja mal wieder die Flurplatten blank machen lassen. Flarrow begann also, die Flurplatten mit einem in Dieselöl getränkten Lappen blank zu wischen, was seinem Zustand nicht eben förderlich war. Erverschwand schon bald nach oben, stürzte an die Reling und opferte die gesamte Erbsensuppe vom Mittag. Er fühlte sichschlecht und schwach, stierte auf die graue See und dachte mit Entsetzen daran, dass er noch mehr als zwei Wochen auf See sein würde. Die Leute von der Besatzung lachten ihn nicht aus, diskutierten aber darüber, wie lange er es wohl machen würde. Das Thema machte die Runde in dem kleinen Schiff, auch deshalb, weil Flarrow der einzige Neuzugang war. Außerdem hatten sie erfahren, dass er aus dem Binnenland kam. Da war für viele alles klar. Leute aus dem Erzgebirge! Das konnte ja nichts werden!

Er dachte an zu Hause. Dort hatte er seine Absicht, zu See zu fahren, leidlich kund getan, vor allem, um einem Mädchen zu imponieren. Dieses Mädchen suchte Publicity und nahm ihn in Beschlag. Nun sah er im Geiste schon die hämischen Bemerkungen und den Spott der Bekannten aus dem Kfz-Werk, die seine Konkurrenz gewesen waren, wenn er am Ende dieser Reise aussteigen würde. Er schwor sich deshalb, nicht zu versagen. Das half ihm zwar nicht sofort, aber es war eine Stütze in schwachen Momenten.

Die Seekrankheit wurde er lange nicht los, gewann aber den Respekt der übrigen Besatzungsmitglieder, weil er sich nicht unterkriegen ließ.

Am nächsten Tag erreichten sie den nördlichen Fladengrund. Hier fischten auch noch andere Nationen und natürlich auch weitere Logger des Fischkombinats, mit denen der Kapitän via Sprechfunk in Verbindung stand. Auf der Nachmittagswache setzten sie aus. Vor dem geschleppten Netz machte der Logger ziemliche Rollbewegungen. Gerade passend zu Flarrows Seekrankheit.

Die Hauptmaschine wurde nun richtig gefordert, und die Abgastemperaturen stiegen über das Limit. Bobby lächelte nur und beruhigte Flarrow. Während normale Schleppnetzfänger nur etwa 65% ihrer Maschinenleistung zum Schleppen brauchten, war dieses als Kombilogger konstruierte Schiff hinsichtlich seiner Antriebsleistung zu schwach ausgelegt. Deshalb fuhren sie beim Schleppen (Trawlen) Überlast. Bobby meinte, das wäre notwendig, sonst würden die Fische das Schleppnetz besichtigen und wieder davon schwimmen, ohne noch einmal zu grüßen.

Als ihre Wache herum war, betrachtete Flarrow das für den Fang vorbereitete Deck. Die Schotten für die Fächer, in die der gefangene Fisch aus dem Netz hineinfallen sollte, waren gesetzt. In der Messe saßen alle Decksleute und warteten auf das erste Hieven des Netzes. Wie würde der erste Hol ausfallen? Für Abergläubische war der erste Hol einer Reise der Wichtigste, nach dem Motto, Anfang gut, alles gut, glaubten sie.

Flarrow wurde von der herrschenden Spannung angesteckt und ging deshalb nicht in die Koje. Er wollte erleben, wie die lebendigen Fische an Deck kamen, einen Blick unter die Meeresoberfläche tun, gewissermaßen.

Plötzlich sprang der 100-PS-Diesel an, der die Stromerzeugung für den Antrieb der Netzwinde besorgte. Für die Mannschaft in der Messe war dies das Signal, dass das Hieven nun bald beginnen würde. Sie griffen nach ihren Handschuhen, Jacken und gingen an Deck. Es war ein schöner Sommerabend, die See ruhig, die Luft warm. Sonntagswetter. -

Flarrow stand auf dem Vorschiff in der Nähe des vorderen Niederganges. Der Sliphaken, der beim Schleppen die beiden Kurrleinen zusammenhält, wurde losgehauen. Er knallte gegen die Bordwand, das Heck des Loggers kam frei, die Maschine ging auf „Langsam voraus“, und während der Bestmann die Netzwinde startete, drehte das Schiff nach Steuerbord, machte Luv, so dass es quer zur See und vor dem noch nicht sichtbaren Schleppnetz zu liegen kam. Gleichmäßig surrte die Netzwinde, beide Kurrleinen aufspulend. Die Scherbretter kamen herauf, wurden vorgehievt und an dem Galgen festgemacht. Dann kreisten plötzlich die Möwen, die dem Schiff gefolgt waren, seit das Netz ausgesetzt worden war, mit heißerem Geschrei über einer etwa 35 m vom Schiff entfernten Stelle, an der die See scheinbar kochte. Aufgeregt wirbelten die Vögel in der Luft herum, als das Netz auftauchte. Der Steert kam hoch und wurde von den Matrosen entsprechend kommentiert. Was da schwamm, waren gut 50 Korb Hering. Kein schlechter Anfang.

Nachdem das Netz bis an die Bordwand herangehievt worden war, griffen die Matrosen in die Netzmaschen und hievten den Busen, den vorderen Teil des Netzes, über Hand an Deck. Der Steertstropp wurde zweimal um den Tunnel, das Mittelteil des Netzes, geschlungen, an den Gienhaken angeschlagen und mit der Gien über das Schanzkleid gehievt, bis der volle Steert, vom Fangtau gestoppt, über den Fächern hing. Der Erste Steuermann löste mit einem Ruck den Steertknoten, und der Fang schosspaddelnd und zappelnd in die dafür vorgesehenen Fächer, die auch Hocken genannt wurden, an Deck.

Das Netz wurde sofort wieder klargemacht, ausgesetzt und trieb nun langsam achteraus, weit genug ab von der Schraube. Der Logger nahm Fahrt auf, und die Kurrleinen rauschten bei angebremster Netzwinde von den Windentrommeln, aufmerksam gesteuert von Audi und dem Zweiten Steuermann.

Danach wurde der Fang verarbeitet. Der Beifang, vorwiegend Kabeljau, wurde geschlachtet, mit Seewasser gespült und in den Fischraum verbracht. Der Hering wurde so, wie er an Deck gekommen war, nach dem Spülen über eine Rutsche in den Laderaum befördert und dort unter Aufsicht des Ersten Steuermanns in die (Laderaum-) Hocken geschaufelt. Eine Mischung aus Eis und Salz sorgte dort dafür, dass der Fisch für den Rest der Reise bei der richtigen Kühltemperatur gelagert wurde. Das Mischungsverhältnis von Eis und Salz sowie die Stärke der Packlagen sind entscheidend für die Qualität des Fisches nach dem Löschen und damit für den Erfolg der ganzen Fangreise. Deshalb hatte auch der Erste Steuermann die Verantwortung dafür zu übernehmen.

Flarrow war angetan von dem zappelnden silbrigen Segen aus dem Meer, obwohl der Gedanke, dass man die Heringe bei lebendigem Leib einfror, eher Unbehagen auslöste. Auch der Beifang, dem ohne Betäubung der Bauch aufgeschnitten wurde und der in diesem Zustand noch immer nach Luft oder besser Wasser schnappte, löste bei ihm Hemmungen aus. Später sagte Audi, der Netzmacher, zu ihm: „Wenn sie schreien könnten, gäbe es keine Fischerei.“

Schon bald war das Deck wieder klar, bereit den nächsten Hol zu empfangen, und die Matrosen saßen in der Messe und palaverten. Flarrow ging müde in die Koje. Bis zum Wachbeginn waren es nur noch zwei Stunden.

Als er kurz vor Mitternacht nach achtern zum Maschinenraum ging, war das Deck hell erleuchtet, der nächste Hol lag an Deck, und das Netz wurde gerade wieder ausgesetzt. Die Hauptmaschine ging auf voll voraus und erinnerte Flarrow an seine Wache. Unten stand Bobby am Fahrstand. Dieter verschwand sofort nach oben, und Bobby warf einen missmutigen Blick auf die Maschinenraumuhr. Es war fünf nach zwölf!

Gegen vier Uhr morgens wurde erneut gehievt. Bobby fuhr die Maschine und zeigte einem faszinierten Flarrow, wie das ging. An den Manövern erkannte der Zweite, dass sie den Steert teilten und sagte: „Da muss allerhand drin sein.“ Dann war das Netz an Deck. Die Hauptmaschine war gestoppt, und während Flarrow den Luftkompressor einkuppelte, um die verbrauchte Startluft wieder aufzufüllen, ging Bobby an Deck. Er wollte wissen, was sie gefangen hatten. Und das war nicht wenig. Über achtzig Korb Fisch lagen dieses Mal in den Hocken. Sie setzten das Netz wieder aus. Flarrow durfte das Manöver fahren. Danach verzog sich Bobby auf die Twistkiste, und ein besorgter Flarrow ließ die Abgasthermometer nicht mehr aus den Augen.

So ging es nun weiter, Wache um Wache, Hol um Hol, zunächst im warmen sommerlichen Wetter bei glatter See. Später gab es Wind, und der Seegang reizte Flarrows Magennerven so, dass der Sprint an Deck für ihn schon fast Gewohnheit wurde. Er war deshalb selbst überrascht, wenn er sich einmal nicht übergeben musste. Sein Körper, von der Seekrankheit geschwächt, bereitete ihm Schmerzen, die Gewichtsabnahme bemerkte er kaum, aber der Schlafmangel brachte ihn oft in einen Zustand von solcher Schwäche, dass es ihm unendlich schwer fiel, auch nur einen Arm zu heben. Bobby sorgte dann immer für Bewegung. Scheinbar gnadenlos bedachte er Flarrow immer dann mit Aufträgen, wenn der vor dem Fahrstand saß und einzuschlafen begann. Es gab keinen Moment der Ruhe, und so stumpfte Flarrow immer mehr ab.

Wache – Essen – Koje – Wache, das war nun der sein Leben bestimmende Rhythmus. Manchmal ließ er vor Müdigkeit das Essen aus, was ihm jedes Mal einen Rüffel von Bobby einbrachte. Die Seekrankheit verließ ihn nicht, vor allem dann nicht, wenn er im Maschinenraum auf Wache war. Es wurde schwer für Flarrow, und er begann darüber nachzudenken, am Ende der Reise auszusteigen. Das Ende dieser Reise - es lag noch in so weiter Ferne, unendlich weit bis dahin, und nach gut einer Woche auf See traute er sich nicht zu fragen, wann es denn wohl nach Rostock gehen würde.

Andererseits gewöhnte er sich an den Rhythmus von Wache und Freiwache. Und die von den Maschinen ausgehende Faszination bewirkte auch, dass er durchhielt und sich nicht gehen ließ. Ab und zu durfte er das Netzmanöver fahren, was ihn immer wieder aufbaute. Das war seine Welt. Da fühlte er sich gebraucht, und das erfüllte ihn mit Stolz.

Gegen Ende der Reise wurde das Wetter schlechter, und die Seekrankheit verließ ihn nicht. Ganz besonders schlimm reagierte er auf den Dunst, den warmes Schmieröl verbreitete. Immer, wenn der Ölwechsel des Bordaggregates fällig war, lief es dampfend aus der Kurbelwanne des Dieselmotors in die Bilge. Bobby war dann unerbittlich. „Es ist dein Job“, pflegte er zu sagen. „Jeder hat hier seine Aufgaben zu erledigen.“ Und in Flarrow wuchs der Wille, die verdammte Seekrankheit endlich zu überwinden.

Das von Land mitgebrachte Brot wurde auch immer härter und begann zu schimmeln. Sie waren ja nun schon zwei Wochen auf See. Doch, wenn er die harten Brotkanten kaute, kam der Magen nicht so schnell auf die Idee, den Rückwärtsgang einzuschalten.

Sie hatten mit der Fischerei im nördlichen Teil des Fladengrundes begonnen und waren im Verlauf der Fangreise immer mehr nach Süden gelangt. „Immer dem Fisch hinterher“, sagte der Alte, „im Januar steht der Hering im Englischen Kanal.“ Nun fischten sie in Richtung Ost auf den Skagerrak zu. Dabei kreuzten sie mehrere Schifffahrtsstraßen, Dampferwege, wie die Fischer das nannten, und Flarrow konnte sich kaum satt sehen an den stattlichen großen Schiffen, die da an ihnen vorbei fuhren.

Dann erreichte sie der Funkspruch des Fischkombinates, der die Reise vorzeitig beenden sollte. Im Skagerrak trieb ein Kutter aus Saßnitz mit Maschinenschaden. Dem sollten sie Hilfe leisten. Hilfe aus Dänemark beispielsweise kam nicht in Betracht wegen des Mangels an Devisen. Sie holten also das Netz ein und dampften los.

Am nächsten Abend, lange vor Sonnenuntergang, erreichten sie den Havaristen. Es war einer von den 24-m-Kuttern mit Holzrumpf. Die hatten einen 180-PS-Diesel als Hauptmaschine.

Der Chief sagte zu Flarrow: „Du gehst mit Bobby mit rüber. Die haben bestimmt Kolbenfresser und keinen Maschinisten.“ An Deck hatten sie inzwischen das Schlauchboot klargemacht und auf der Leeseite des Loggers zu Wasser gebracht. Einen Außenbordmotor gab es nicht. Zwei Matrosen hielten das Gummiboot an seinen Vor- und Achterleinen. Bei einer Wellenhöhe von knapp zwei Metern bewegte es sich wie ein Fahrstuhl an der Bordwand auf und ab. Flarrow stand mit der Werkzeugkiste an Deck und überlegte, wie er in das kleine Boot hineinkommen sollte. Da kam Audi, der Netzmacher und sagte: „Gib mir zuerst die Kiste mit den Klamotten runter und spring dann hinterher.“ Zuerst sprang Audi, dann Bobby, dann wurde die Werkzeugkiste abgeseilt. Danach sprangen Flarrow und noch ein Matrose. Die Matrosen an Deck warfen die Leinen ins Schlauchboot, Flarrow bekam ein Paddel in die Hand gedrückt, und dann paddelten die Vier los. Als sie aus dem Lee des Loggers herauskamen, schob sie der Wind auf den treibenden Kutter zu. Mit aller Kraft steuerten sie sein Heck an, umrundeten es und warfen die Schlauchbootleine, die die Matrosen deshalb vorher verlängert hatten, den Leuten auf dem Kutter zu. Der Kutter hatte einen bedeutend geringeren Freibord als der Logger, so dass es leicht war, sich über das Schanzkleid an Bord zu schwingen.

„Es dreht sich nix mehr“, sagte der Kutterführer. „Vorher gab es einen großen Knall und eine schwarze Wolke aus dem Schornstein.“ Bobby nickte nur und gab Flarrow ein Zeichen, die Kurbelwannenklappen des Hauptmotors zu öffnen. Bei Zylinder vier wurden sie fündig. Es war ein Kolbenfresser mit den üblichen Nebenschäden. Flarrow hatte allerdings so etwas noch nie gesehen. Der Zylinderkopf musste abgenommen werden, was auf dem schlingernden Untersatz schon artistisches Können verlangte. Er war völlig bei der Sache, ging Bobby zur Hand, und die Leute vom Kutter halfen, wo sie nur konnten. Kolben und Pleuel des beschädigten Zylinders wurden ausgebaut. Die Kurbelwelle bekam eine Manschette, und nach der Prüfung der Schmierölversorgung wurde der Zylinderkopf wieder aufgesetzt und festgeschraubt. Mehr konnte derzeit nicht getan werden. Bobby meinte, sie hätten Schwein gehabt, weil außer Kolben und Pleuel nichts kaputtgegangen wäre. Die Maschine wurde gestartet und lief nun mit nur noch fünf Zylindern sogar einigermaßen rund. Der Kutter nahm Fahrt auf, und alles sah gut aus. Der Logger würde noch bei ihm bleiben, zumindest über Nacht. Nach einer Stunde rief der Logger seine Leute zurück. Dazu legte er sich in Lee des Kutters, so dass der zunehmende Wind das Schlauchboot mit den vier Mann zu ihrem Schiff zurücktrieb, die über die auf der Leeseite ausgehängte Jakobsleiter wieder an Bord des Loggers gingen.

Die Sonne stand schon in der Kimm, als aus dem Abgasrohr des Kutters eine große schwarze Wolke kam, die sich über dem Schiff ausbreitete. Sein Motor hatte offenbar erneut eine schwere Störung. „Wir nehmen ihn auf den Haken“, sagte da der Kapitän. „Es ist hier zu viel Verkehr, um über Nacht zu treiben.“ Der Kutter teilte über Sprechfunk mit, dass in der Maschine ziemlich viel zu Bruch gegangen wäre. Das Schlauchboot wurde noch einmal losgeschickt, um eine Leinenververbindung herzustellen. Und weil die Vier gut eingespielt waren, fuhren sie gleich noch einmal los. Dieses Mal war es aber bedeutend schwieriger, denn Wind und Seegang hatten erheblich zugelegt. Als die Leinenverbindung stand, wurde eine Kurrleine angesteckt und vom Kutter aufgeholt. Die Nacht brach herein, als der Schleppzug Fahrt aufnahm. Flarrow entdeckte bei dieser Aktion, dass man über einer wichtigen Aufgabe sogar die Seekrankheit vergessen konnte.

Am nächsten Morgen wurde es noch einmal spannend, weil ein von Frederikshavn auslaufender Tanker unbedingt zwischen Logger und Kutter passieren wollte und den Alten fast zur Verzweiflung brachte. Danach blieb der Schleppzug unbehelligt. In der Messe wurde eifrig über die Höhe des Bergungsgeldes und der persönlichen Anteile diskutiert. Der Smut begann die Überschüsse an Proviant zu errechnen, während sie die Reise durch den Großen Belt fortsetzten. Mit 6 Knoten Fahrt passierten sie nachmittags die Fährverbindung Nyborg – Korsør, wo die Fähren noch einmal für Aufregung auf der Brücke sorgten, doch dann sagte plötzlich jemand: „Morgen um diese Zeit sind wir wieder in Marienehe“, und die Gedanken wanderten in Richtung Hafen, Freizeit, Bier, Schnaps und nicht zuletzt zu den Frauen.

Flarrow dachte an zu Hause. Die Liegezeit von 48 Stunden würde für einen Besuch ausreichen. Dann kam Bobby und teilte ihm mit, dass er nun seine Station gründlich zu reinigen hätte, Farbe waschen und Messing putzen vor allem. Das musste auf jeden Fall fertig werden.

Am nächsten Morgen sagte der Chief beim Wachwechsel, dass sie nun sofort duschen sollten, und zu Bobby: „Danach füllst du eine Tonne Seewasser nach.“ Die Frischwasserversorgung war ein Problem auf den Loggern. Der Frischwasservorrat reichte nur selten aus. Deshalb durfte während der ganzen Reise nicht geduscht werden. Wenn am Ende der Reise der Wasservorrat knapp war, wurde Ostseewasser nachgefüllt, damit man frisch gewaschen einlaufen konnte.

Nachdem sie das Feuerschiff FEHMARN BELT passiert hatten, wusste jeder an Bord, dass sie gegen 13:00 Uhr in Warnemünde einlaufen würden. Dort sollten sie den Kutter abliefern, der von der Fischereigenossenschaft gelöscht werden würde. Er hatte in der Nordsee nahezu voll gefischt, was die Bergungsprämie natürlich entsprechend erhöhte. „60 % der Ladung gehören uns“, behaupteten die ganz Schlauen. Der Kapitän hatte sich zu diesem Thema überhaupt noch nicht geäußert, er wich den Fragen der Besatzung geradezu aus.

Während der Nachmittagswache liefen sie ein. Ein Schlepper nahm den Kutter auf den Haken, und nachdem die Kurrleine wieder auf der Windentrommel aufgespult war, ging die Reise nach Rostock-Marienehe zum Fischkombinat weiter. Das war auf Flarrows Wache. Er stand am Schreibpult und schrieb die Manöver auf.

Bobby fuhr die Hauptmaschine, und Dieter, der erste Assistent, bereitete an Oberdeck den Landanschluss vor. Einem Rückwärtsmanöver folgte ein leichter Bums. Durch das Sprachrohr rief der Alte von der Brücke: „Maschine fertig.“

Flarrow schrieb ins Manöverbuch:13:12 Maschine fertig.

Sie waren angekommen. Die Stelling rumpelte vom Kai auf das Schiff, und nachdem Dieter den Landanschluss hergestellt hatte, schaltete Bobby auf Landstromversorgung um und stoppte den Bordgenerator. Es war eine entspannende Stille, die nun plötzlich im Maschinenraum herrschte. Bobby zeigte mit der Hand nach oben: „Los umziehen, hier ist jetzt erst mal Feierabend.“ Und Flarrow begriff, dass er seine erste Reise geschafft hatte. Als er den Spind öffnete, der seine Kleidung enthielt und die Jacke vom Bügel nahm, hatte er so ein Gefühl, als ob ein hoher Festtag angebrochen wäre. Ein ganz besonderer Tag also, - und so war es ja auch.

In der Messe, die nun sauber blitzte, Farbe war gewaschen worden, das Messing der Bullaugenverschraubung geputzt, saßen nun alle und warteten auf das Fräulein mit den Lohntüten. Die Auszahlung der Heuer bildete den Abschluss der Reise. Sie deckte die Erinnerungen an die Quälerei auf dem Fangplatz, an schlaflose Sturmnächte, Nässe, Dreck und feuchte Kojen zu. Gleichzeitig eröffnete sie eine, wenn auch nur kurze Zeit einer immer wiederkehrenden neuen Freiheit, die es möglichst effizient zu nutzen galt.

Vorher erschien jedoch der Kapitän mit einer der Besatzung nicht bekannten Person. „Hört euch den mal an“, knurrte er und setzte sich auf seinen Platz am Schott. Der Mann aus der Kaderabteilung kam auch sofort zum Thema: „Ihr habt den Saßnitzer Kutter eingeschleppt. Einige von euch waren bei schwerem Wetter deshalb im Schlauchboot. Keine einfache Sache, wie ich mir gut vorstellen kann. Es zeigt aber, dass ihr gute Seeleute seid, die nicht nur ihre Pflicht tun, sondern mehr noch. Ihr habt Euch eingesetzt zur Rettung euerer Kollegen, ein internationales Gebot auf See. Aber ihr habt auch wertvolles Volkseigentum gerettet. Dafür gebührt euch Dank, liebe Kollegen und Anerkennung, die ich hiermit im Namen der Kombinatsleitung und natürlich auch der Partei ausspreche. Macht weiter so! Und nun wünsche ich euch eine angenehme Freizeit.“

Zunächst war es totenstill in der Messe, weil alles auf den zweiten Teil der Ansage wartete, die das Thema Bergungsprämie beinhalten würde. Doch der Teil kam nicht, und der rethorisch geschulte Agit-Prop-Mann wünschte nochmals alles Gute, auch für die weitere Planerfüllung und - nochmals - alles Gute und viel Vergnügen für die anstehende Freizeit.

Die Leute wollten es nicht glauben. Der Zweite Steuermann fragte: „Wie hoch ist denn nun die Bergungsprämie, und wie hoch sind unsere Anteile?“ - „Liebe Kollegen von der Flotte! Ihr wisst doch, dass das Fischkombinat ein volkseigener Betrieb ist. Das Fischkombinat Saßnitz ist es ebenfalls! Die Betriebe sind beide im Besitz des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik. Die Kollegen in Saßnitz sind doch Eure Brüder, nicht Eure Konkurrenz! Wie könnt Ihr da von Bergungsprämie sprechen? Eine Bergungsprämie, die gewissermaßen von Eurem Besitz, nämlich dem Fischkombinat, an Euch selbst wieder ausgezahlt werden würde.“ - „Das Fischkombinat Saßnitz ist nicht in unserem Besitz. Wir haben denen doch einen Haufen Geld gespart und unsere Reise vorzeitig abbrechen müssen.“ - „Aber Genossen“, rief nun der Mann von der Kaderleitung des Kombinats, „begreift ihr denn nicht? Die Saßnitzer sind unsere Kollegen, wir kämpfen doch zusammen den gleichen Kampf für unser sozialistisches Vaterland. Wir tun es gemeinsam! Und Konkurrenz gibt es bei uns nicht. Diese zweifelhafte Errungenschaft des Kapitalismus ist nur noch im Westen zu Hause, wo die Leute ausgebeutet werden.“-„Wir sind nicht deine Genossen, merk’ dir das!“ kam es nun aus einer anderen Ecke. Und der Zweite Steuermann sagte:„Im letzten Jahr haben wir ROS 102, der in Norwegen auf Grund gelaufen war, frei geschleppt. Uns wurde eine Prämie versprochen, nur bis heute habt ihr sie nicht gezahlt.“ - „Eine Sauerei ist das“, meldete sich ein Matrose zu Wort. „Als ein Westdampfer einen Logger abgeschleppt hat, da habt ihr gezahlt! Dem Klassenfeind wohlgemerkt.“ – „Das geschah aufgrund der internationalen Rechtslage, Kollegen.“ – „Quatsch, der Westdampfer wollte nämlich, dass ihr ihm die Kohle rausbringt. Sonst hätte er den Logger treiben lassen. Und das bei Windstärke sieben und osten Wind, ha ha! Da habt ihr aber fleißig gekuscht.“ – „Ihr seht das ganz falsch Genossen – äh Kollegen. Das eine ist derKapitalismus mit seinen ausbeuterischen Methoden. Wir sind hier aber in einem sozialistischen System, das müsst ihr doch begreifen! Und für die versprochene Prämie vom letzten Jahr, werde ich mich einsetzen.“