Fluchthintergründe: Fluchtbewegungen in individuellen und globalen Kontexten - Sibylle Rothkegel - E-Book

Fluchthintergründe: Fluchtbewegungen in individuellen und globalen Kontexten E-Book

Sibylle Rothkegel

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Beschreibung

Sibylle Rothkegel betrachtet in diesem Einführungsband Fluchtbewegungen von Menschen, die Krieg, Terror und bitterer Armut entkommen wollen. Im Fokus stehen Entstehungsgeschichte und aktuelle Entwicklungen bezüglich der großen Krise Afrikas und der Umwälzungen auf der arabischen Halbinsel. Fluchtwege können langwierige und komplexe psychosoziale Prozesse sein, die ein Leben in großen Sammellagern, erneute Gewalterlebnisse und Lebensgefahr mit sich bringen. Auch die Ankunft im erwünschten Aufnahmeland gestaltet sich oft sehr schwierig. Anhand von Fallbeispielen verdeutlicht Sibylle Rothkegel das Konzept der sequentiellen Traumatisierung und erörtert Herausforderungen und Perspektiven sowohl für die psychosoziale Arbeit als auch für eine bundesdeutsche und europäische Politik, die sich zu einer Mitverantwortung für Fluchtbewegungen bekennt, sich Herausforderungen stellt, ohne Realitäten zu verleugnen, und individuelle Schicksale unter menschenrechtlichen Aspekten würdigt.

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Seitenzahl: 114

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Geflüchtete Menschen psychosozial unterstützen und begleiten

Herausgegeben von

Maximiliane Brandmaier

Barbara Bräutigam

Silke Birgitta Gahleitner

Dorothea Zimmermann

Sibylle Rothkegel

Fluchthintergründe: Fluchtbewegungen in individuellen und globalen Kontexten

Mit 3 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99875-6

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Nadine Scherer

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Reihenredaktion: Silke Strupat

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

1 Fluchtbewegungen und Herkunftsländer

1.1 Die große Krise Afrikas

1.2 Komplexe Realitäten im Nahen Osten

2 Fluchtwege

3 Ankunftsorte

3.1 Die Situation in Europa

3.2 Ankunftsland Deutschland

4 Sequentielle Traumatisierung

4.1 Das Konzept der sechs Sequenzen der Traumatisierung von Flüchtlingen

4.2 Am Fallbeispiel aufgezeigt: Fünf traumatische Sequenzen

5 Perspektiven

5.1 Wie kann Fluchtursachen begegnet werden?

5.2 Handlungsspielräume der Europäischen Union

5.3 Implikationen für die Praxis

6 Literatur

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

»Fluchtbewegungen in individuellen und globalen Kontexten« ist ein nicht ganz leicht verdaulicher Band, der anhand zahlreicher Fallvignetten sehr heterogene Fluchtwege von Menschen nachzeichnet. Die im Umgang mit komplex traumatisierten geflüchteten Menschen äußerst erfahrene Psychologin und Psychotherapeutin Sibylle Rothkegel mutet gerade auch den Leserinnen und Lesern, die noch nicht so sehr mit Phänomen Flucht vertraut sind, einen Einblick in die Lebensverläufe geflüchteter Menschen zu. Sie thematisiert das große Leid, dass diese in ihren Heimaten, auf der Flucht und in den verschiedenen Kontexten im Ankunftsland Deutschland erfahren haben.

Sibylle Rothkegel beginnt ihre über weite Strecken essayistisch gehaltenen Ausführungen mit einem Überblick über aktuelle Krisenherde und das weltweite Ausmaß von Fluchtbewegungen. Dabei werden einige afrikanische Länder sowie die Situation im Jemen besonders in den Blick genommen. Es folgt die Darstellung von Fluchtwegen und des Ankommens in Deutschland, die in das sehr anschauliche Modell der sequentiellen Traumatisierung von Hans Keilson mündet. Sie endet mit der nicht gemütlichen, aber dennoch Fachkräfte und Ehrenamtliche ermutigenden Aussage, dass wir auf Grund unserer Beteiligung am traumatisierenden Prozess im Ankunftsland viel dazu beitragen können, genau diesen Prozess heilsamer und verträglicher zu gestalten, wobei dies bereits an vielen Stellen geschieht und gelingt.

Insofern hoffen und wünschen wir, dass die Lektüre dieses Bandes neben aller durchaus beabsichtigten Verstörung Leserinnen und Leser in ihrem leidenschaftlichen humanitären Engagement bestärkt.

Barbara Bräutigam Dorothea Zimmermann Maximiliane Brandmeier

1 Fluchtbewegungen und Herkunftsländer

Jede Flucht hat eine eigene Geschichte. Flüchtende Menschen sind die unausweichliche Begleiterscheinung von Krieg, staatlicher Gewalt, Terror und Verfolgung sowie der Zerstörung von Lebensgrundlagen und den damit einhergehenden Hungersnöten.1 Flüchtende brauchen in erster Linie existenzielle Sicherheit und materielle Versorgung. Gleichzeitig sind sie meist komplexen psychosozialen Zerstörungsprozessen ausgesetzt, wie zum Beispiel Traumata, die sich in Sequenzen entwickeln können: traumatische Erlebnisse im Herkunftsland, während der Periode einer oft langen, lebensgefährlichen und anstrengenden Flucht, nach der Ankunft im sogenannten Aufnahmeland sowie nach einer möglichen Rückkehr in die frühere Heimat, die freiwillig, aber auch erzwungen sein kann (Becker u. Weyermann, 2006). Wir können uns diesen Geschichten nicht mehr entziehen. Beinahe täglich sehen wir Fernsehbilder von gewalttätigen Konflikten und Naturkatastrophen. Ebenso werden wir mit Nachrichten aus Syrien und den damit verbundenen Flüchtlingsströmen in die Nachbarländer sowie den erschreckenden Zahlen der Zufluchtsuchenden aus afrikanischen Ländern konfrontiert. Wir erfahren, dass die Menschen aus Afrika nach ihrer Flucht aus den Herkunftsländern einer zwangsweisen und menschenunwürdigen Unterbringung in Sammellagern in der Region des Maghreb entkommen wollen und dann in mangelhaften und überfüllten Booten an den Mittelmeerküsten stranden oder gar im Meer ertrinken.

Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (UNHCR, 1951) definiert einen Flüchtling »als Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer [Ethnie]2, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.« Nach Schätzung des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen sind zurzeit weltweit circa 66 Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als die Hälfte davon sind Kinder. Im Vergleich dazu waren es ein Jahr zuvor 59,5 Millionen Menschen, vor zehn Jahren dagegen nur 37,5 Millionen Menschen (UNO-Flüchtlingshilfe, 2015). Die Tendenz ist demnach deutlich steigend.

Im Folgenden gebe ich einen Überblick über Krisenherde, das weltweite Ausmaß von Fluchtbewegungen sowie die Situation (Binnen-)Vertriebener. Ich beleuchte dabei besonders den kritischen Zustand des afrikanischen Kontinents sowie die komplexe Lebenswirklichkeit von Menschen, die aus Regionen südlich der Sahara geflohen sind und im Maghreb oder in Nordafrika festsitzen, um damit die Veränderung von Migrationsprozessen aufzuzeigen. Die Fluchtgeschichten, die ich beispielhaft und anonymisiert erzähle, sind im Wesentlichen von Klienten aus meiner psychotherapeutischen oder gutachterlichen Praxis, die mir ihr Einverständnis für die Veröffentlichung gegeben haben. Zwei junge Frauen habe ich bei einer Evaluation in Flüchtlingslagern im Libanon getroffen. Sie haben mich dort sogar darum gebeten, ihre Geschichte »in Europa« zu erzählen. Die Fluchtgeschichte der syrischen Familie stammt aus der wissenschaftlichen Begleitung eines Projekts, das mit einem partizipativen Ansatz Bedarfe von Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland erforscht hat.

Zunächst widme ich mich der Situation der Binnenflüchtlinge, die Vertriebene im eigenen Land sind und manchmal doch Grenzen überschreiten müssen. Oft sind es Bürgerkriege, gewalttätige Konflikte zwischen verfeindeten Volksstämmen oder politischen Gegnern, Guerilla-Bewegungen oder kriminelle Organisationen, die die Vertreibungen auslösen. Das ist vor allem in Zentral- und Ostafrika der Fall. So war der Sudan lange Zeit das Land mit der höchsten Anzahl (sechs Millionen) an Binnenflüchtlingen weltweit.3 Besonders die Krisenregion Darfur, in der sich Regierungstruppen und Rebellen bekämpften, erlangte ab 2003 traurige Berühmtheit. Allein dort haben 2,5 Millionen Menschen ihre Heimat verloren. Der Konflikt weitete sich auf grenznahe Gebiete des Tschads aus, einige Tausend Darfuris flohen in die Zentralafrikanische Republik. Obwohl der UN-Sicherheitsrat Ende 2007 eine Friedenstruppe in die Region entsandte, um die Lage für die Zivilbevölkerung zu verbessern, flackern die Kämpfe immer wieder auf.

Ein weiterer Krisenherd entwickelte sich zunehmend in Pakistan, das typische soziale Probleme eines Entwicklungslandes (Arbeitslosigkeit, Kinderarbeit, Missachtung der Menschenrechte, Korruption) aufweist und höchstwahrscheinlich über Kernwaffen verfügt. Das Land grenzt im Südwesten an den Iran, im Westen an Afghanistan, im Norden an China und im Osten an Indien. Pakistan ist auch ein Transitland für flüchtende Menschen aus Afghanistan. Seit der Islamisierungspolitik der 1980er Jahre erlebte es einen schnellen Zuwachs an religiösem Extremismus, zu dem die Koranschulen wesentlich beitrugen. In einigen Gebieten Westpakistans, in denen ausgeprägte Stammesstrukturen zu finden sind, ist das staatliche Machtmonopol stark eingeschränkt. Wasiristan an der afghanischen Grenze dient der radikalislamischen Taliban als Rückzugsgebiet. Pakistanische Regierungstruppen kämpfen seit 2004 gegen diese Verbände, um die Regierungsgewalt in diesem Landesteil wiederherzustellen. 2009 gab es mehrere Terroranschläge (z. B. gegen das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen im Hochsicherheitsbereich der Hauptstadt Islamabad oder der Angriff einer pakistanischen Taliban-Organisation, TTP, gegen das Hauptquartier der pakistanischen Armee in der Garnisonsstadt Rawalpindi), die in einen Zusammenhang mit diesem Konflikt gebracht werden.

Seit die pakistanische Regierung 2009 im Rahmen des »Kriegs gegen den Terror« im Nordwesten des Landes verstärkt militärisch gegen die radikalislamische Taliban vorgeht, sind 2,5 Millionen Menschen aus der Gegend geflüchtet. In Pakistan leben fast zwei Millionen Binnenflüchtlinge, rund 1,5 Millionen registrierte Geflüchtete aus Afghanistan, dazu noch eine weitere Million nicht registrierter Afghanen. Seit Juni 2016 werden sie von Sicherheitskräften bedrängt, nach Afghanistan zurückzukehren. Kabul beschuldigt Pakistan, die Talibanverbände aufzurüsten und sie unter die unfreiwilligen Rückkehrer mischen zu wollen. Auch Experten und Vertreter von Hilfsorganisationen warnen vor den Folgen dieses Massenexodus (Gerner, 2017), weil sie sehen, dass der afghanische Staat die Wiedereingliederung der Rückkehrer in die Gesellschaft ohne Unterstützung nicht bewältigen kann. Zum einen würde Afghanistan durch terroristische Aktivitäten und zum anderen durch Arbeitslosigkeit und Mangel an Wohnungen weiter destabilisiert werden.

In Kolumbien sind es paramilitärische Verbände und kriminelle Banden, die die Bewohner von ihrem Land vertreiben, um dort Palmen, Holz, Bananen oder Drogen anzubauen. Die betroffenen Regionen sind meist schwer zugänglich, die Vertriebenen, deren Anzahl auf knapp vier Millionen geschätzt wird, können nicht mit staatlicher Hilfe rechnen. Aber auch durch Bauprojekte wie Staudämme oder Kraftwerke verlieren Menschen ihr Land durch Überflutung und werden zur Flucht gezwungen, wie beispielsweise in Brasilien, in der Volksrepublik China oder in der Demokratischen Republik Kongo.

Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR, 2016) hat sich die Anzahl der Binnenflüchtlinge, die bei Hilfseinrichtungen Schutz und Unterstützung suchen, zwischen 1999 und 2015 fast vervierfacht. 34 Millionen Menschen in über fünfzig Staaten waren 2015 im eigenen Land auf der Flucht. Sie bilden den größten Anteil unter den Vertriebenen weltweit und sind meist die ärmsten und schwächsten Beteiligten an einem Konflikt. Die Hilfsorganisation »Terre des Hommes« schätzt, dass 70 % der Binnenflüchtlinge Frauen und Kinder sind (UNHCR, 2016). Auf ihren langen und beschwerlichen Wegen in Gebiete, von denen sie sich mehr Sicherheit versprechen, sind sie weiteren Gefahren ausgesetzt. Flüchtlingstrecks werden oft von bewaffneten Gruppen verfolgt und ausgeplündert, Frauen und Mädchen müssen Vergewaltigungen fürchten, männliche und weibliche Kinder sowie Jugendliche werden verschleppt und als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Fast immer fehlt es auf den Trecks an Nahrung und hygienischer wie medizinischer Versorgung. Auch wenn das Ziel erreicht ist, bleibt die Lage oft dramatisch. Die meisten Vertriebenen hoffen, möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können, und lassen sich in überfüllten Notunterkünften und Slums nieder, wo sich Krankheiten schnell ausbreiten und die Versorgungslage wieder äußerst mangelhaft ist. Den meisten fehlen berufliche Perspektiven. Um überleben zu können, sehen sie sich zur Kriminalität und Prostitution gezwungen.

Im Vergleich zu den Schutzsuchenden, die ihr Land verlassen, haben Binnenflüchtlinge weniger Schutz, Unterstützung und Möglichkeiten, ihre Rechte einzufordern. Für sie betrachteten sich bis zur Jahrtausendwende internationale Hilfsorganisationen meist nicht als zuständig. Auch wurde diesen von den Regierungen, die die Vertreibungen veranlasst hatten (wie zum Beispiel im Sudan oder in Simbabwe), der Zugang zu den Betroffenen erschwert. Das Mandat des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sieht die Zuständigkeit für Binnenflüchtlinge nicht vor. Jedoch kann der Hohe Flüchtlingskommissar auf Anfrage einer Regierung oder der UN-Generalversammlung für sie tätig werden und hat dies in der Vergangenheit in zahlreichen Ländern bereits getan, wie beispielsweise in Ex-Jugoslawien oder auch in Osttimor. Dies war im Hinblick auf das Neutralitätsgebot, den zu befürchtenden Missbrauch durch menschenrechts-verachtende Machthaber oder eine mögliche Gefährdung von Mitarbeitern nicht unumstritten. 2005 hat nach längeren Diskussionen ein Paradigmenwechsel stattgefunden, indem sich schließlich der UNHCR und verschiedene andere große Hilfsorganisationen auf eine bessere Koordination und einen umfassenderen Ansatz zum Schutz für Binnenflüchtlinge geeinigt haben. Die Wirkung des UNHCR wird seit Jahren dadurch beeinträchtigt, dass die Zuwendungen für seine Programme deutlich unterhalb der als notwendig veröffentlichten Höhe liegen. Die Forderung nach Lösungsansätzen vor Ort, die ihm von den Geberländern praktisch aufgezwungen wird, bringt den UNHCR in ein Dilemma, da sich die geforderte Prävention einer grenzüberschreitenden Flucht und die Protektion von Geflüchteten, die der UNHCR als eigentliche Aufgabe versteht, schwer miteinander vereinbaren lassen.

1.1 Die große Krise Afrikas

Wie zu Beginn des Kapitels verdeutlicht, befinden sich immer mehr Menschen weltweit auf der Flucht. Jedoch sind die Lasten, die den Transit- oder auch Ankunftsländern innerhalb Afrikas dadurch entstehen, im globalen Vergleich extrem ungleich verteilt. In der letzten Dekade ist der Anteil der Geflüchteten, die sich in benachbarten, ärmeren oder auch sogenannten Entwicklungsländern niederlassen, von 70 auf 86 % aller Flüchtlinge weltweit angestiegen. 2012 beherbergte allein Afrika südlich der Sahara 26 % und die Region des Mittleren Osten bzw. Nordafrika 15 % aller Geflüchteten weltweit. Naudé (2009) weist darauf hin, dass die sich am längsten hinziehenden gewalttätigen Konflikte oder auch Bürgerkriege im Afrika südlich der Sahara ausgetragen werden, wie beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia und im Sudan. Auch politisch, ethnisch und religiös motivierte Gewalt in Zentralafrika und im Südsudan sowie diktatorische Regime wie in Eritrea, die erschreckende Hungersnöte mit sich bringen, führen zu immer mehr Flüchtenden aus und innerhalb dieser Region.

Eritrea steht nach Syrien, Afghanistan und Irak an vierter Stelle der Herkunftsländer der in Deutschland Schutzsuchenden. Es liegt mit circa sechs Millionen Einwohnern im nordöstlichen Afrika. Im Nordwesten befindet sich die Grenze zum Sudan, im Südosten Dschibuti und im Süden der große Nachbar Äthiopien. Von 1968 bis 1993 kämpfte der Staat für die Unabhängigkeit von Äthiopien. Doch schon fünf Jahre später brach erneut Krieg zwischen den beiden Parteien aus. Seither hält Äthiopien einen Streifen eritreisches Land besetzt, und in Eritrea herrscht permanenter Ausnahmezustand. Das Land hat zwar seit 1997 formal eine republikanische Verfassung, aber die für 2001 angesetzte Wahl fand bis heute nicht statt. Seit der Unabhängigkeit wird es von der Autoritären Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit dominiert und wegen seines diktatorischen Regimes als »Nordkorea Afrikas« bezeichnet (Feuerbach, 2015); Präsident ist Isayas Afewerki. Willkürliche Verhaftungen, Sippenhaft und Menschen, die spurlos verschwinden, sind an der Tagesordnung. Alle Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 50 Jahren laufen Gefahr, bis zu dreißig Jahre lang Militärdienst leisten zu müssen und dort unvorstellbaren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Ein UN-Bericht bezeichnet das als »Versklavung auf unbestimmte Zeit« (United Nations Human Rights, 2015). Diese Zusammenhänge stellen den Hauptgrund für die Flucht von Menschen aus Eritrea dar. Was diesen Menschen auf ihren Fluchtwegen widerfahren kann, erzähle ich am Beispiel des 21-jährigen Davit aus Eritrea, von dem im Tagesspiegel vom 23. April 2017 berichtet wurde (Surholt, 2017).