Fotografie als Meditation - Torsten Andreas Hoffmann - E-Book

Fotografie als Meditation E-Book

Torsten Andreas Hoffmann

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Beschreibung

Für viele Amateure ist die Fotografie ein Ausgleich, der beruflichen Stress vergessen lässt: beispielsweise mit der Kamera durch eine schöne Landschaft zu wandern, zu schauen, zu empfinden und Bilder zu gestalten. Dieser Prozess hat weitaus mehr mit Meditation zu tun, als man im ersten Moment denken mag. Torsten Andreas Hoffmann geht mit diesem Buch einen neuen Weg: Er setzt die japanische Zen-Philosophie in Beziehung zur künstlerischen Fotografie und zeigt, dass der Weg der Meditation dazu führen kann, die Quelle wirklicher Inspiration leichter zu finden. Meditation und Fotografie haben vieles gemeinsam: Beides ist auf den gegenwärtigen Moment bezogen, beides erfordert einen höchsten Grad an Aufmerksamkeit, beides gelingt am besten, wenn der Geist von störenden Gedanken frei und unvoreingenommen ist. Hoffmanns Basis bleibt jedoch stets die Fotografie. Mit seinen stimmungsvollen Bildern von Landschaften, Städten, Menschen und Naturmotiven, seinen klugen Bildanalysen und instruktiven Texten erschließt der Autor dem Leser eine völlig neue Betrachtungsweise, ohne dabei die handfesten Kriterien der Bildgestaltung und Aufnahmetechnik aus den Augen zu verlieren. Besonders für die Menschen, die glauben, hauptsächlich durch perfekte Beherrschung der Technik gute Fotos zu erzielen, ist dieses Buch eine Bereicherung. Denn es führt vor Augen, wie wichtig es für das kreative Handeln ist, sich auf die eigene Intuition einzulassen. So ist es Ziel dieses Buchs, den Leser zu einem eigenen fotografischen Ausdruck anzuregen. Für die Zweitauflage wurden zahlreiche neue Bildbeispiele verwendet. Außerdem wurden etliche neue Kapitel zu Themen wie Meditation in der Landschaftsfotografie oder der Fotografie von Lost Places neu aufgenommen. Zudem beweist der Autor, dass ein meditativer Ansatz in keiner Weise einem kritischen Blick widerspricht.

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Torsten Andreas Hoffmann ist Fotograf, Buchautor und leitet Fotoworkshops. Er studierte Kunstpädagogik mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Fotoreisen führten ihn u. a. nach Indien, Indonesien, Mexiko, Nepal, in die Türkei, die USA, die Sahara und die Vereinigten Arabischen Emirate. In zahlreichen Ausstellungen renommierter Galerien (u. a. Leica Galerie Frankfurt, Leica Galerie Salzburg, imago-fotokunst Berlin, Jehangir Art Gallery Mumbai) und Publikationen (über 20 Bildbände) waren seine Arbeiten zu sehen. Magazine wie Geo, Merian, Chrismon, Photographie, mare u. a., aber auch internationale Magazine haben seine Arbeiten veröffentlicht. Seine konzeptionelle Arbeit über den 11. September 2001 wurde weltweit verbreitet.

Seit 2003 schreibt er regelmäßige Bildgestaltungsserien in bekannten Fotozeitschriften und international erfolgreiche Didaktikbücher wie sein in sechs Sprachen erschienener Klassiker »Die Kunst der Schwarzweißfotografie« oder sein neuestes Buch »Der abstrakte Blick«.

Hat er sich jahrelang der Schwarzweißfotografie verschrieben, so widmet er sich mittlerweile auch der konzeptionellen Fotografie und arbeitet für große Projektentwicklungsgesellschaften. Seine Kalender, Bücher und Fotografien haben etliche Auszeichnungen errungen.

Zahlreiche Bilder hängen in verschiedenen Sammlungen und Vorstandsetagen von Banken und anderen Unternehmen. Er ist Mitglied der Münchner Bildagentur LOOK, des BBK Frankfurt und der Deutschen Gesellschaft für Photografie (DGPh).

Er lebt bei Frankfurt und in Goslar.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

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Torsten Andreas Hoffmann

Fotografie als Meditation

Eine Reise zur Quelle der Kreativität

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Torsten Andreas Hoffmann

[email protected]

Lektorat: Rudolf Krahm

Lektoratsassistenz: Stefanie Weidner

Projektkoordination: Miriam Metsch

Copy-Editing: Stefanie Busam Golay (www.stilren.com) und Stefanie Weidner

Satz: Nadine Thiele

Herstellung: Susanne Bröckelmann

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, 39240 Calbe (Saale)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

 

Print

978-3-86490-512-4

PDF

978-3-96088-256-5

ePub

978-3-96088-257-2

mobi

978-3-96088-258-9

2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2018

Copyright © 2018 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.

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In diesem Buch werden eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.

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» Meditation und Fotografie haben mehr gemeinsam als man im ersten Moment glaubt: beides ist auf den gegenwärtigen Moment bezogen, beides erfordert einen höchsten Grad an Aufmerksamkeit, beides gelingt am besten, wenn der Geist leer und unvoreingenommen ist. «

Inhaltsverzeichnis

1Gedanken über Fotografie und Meditation

2Was ist das Interessante an der Zen-Philosophie?

3Zen ist nicht »light«

4Die Praxis des Zazen

5Was ist Mystik oder Gedanken über Nicht-Gott

6Was stellt man sich gemeinhin unter einem meditativen Foto vor?

7Westliches und östliches Denken

8Schubladen und unmittelbare Erfahrung

9Ist Fotografie ein Leben aus zweiter Hand?

10Fotografie als direkte Erfahrung

11Die Dualität auflösen

12Studium und Punctum

13Eindruck und Ausdruck

14Was ist Tiefe oder das Geheimnis der Nacht

15Landschaftsfotografie ist Kontemplation

16Ein kritischer Geist widerspricht keiner meditativen Haltung

17Innere und äußere Landschaften

18Die vermeintliche Objektivität der Fotografie

19Grundstimmungen ausdrücken

20Das Banale entdecken und gestalten

21Lost Places

22Schönheit darstellen, ohne seicht zu sein

23Fotografie als Rätsel

24Street Photography

25Besondere Magie erzeugen

26Fotografie wie Tuschebilder

27Zauber des Details

28Abstraktionen

29Was ist Kreativität?

30Beim Meditieren Empfundenes als Bild gestalten

31Spätere kritische Analyse und Interpretation

32Der Weg zum eigenen Stil

Fotografie ist eine wunderbare Methode zur Entschleunigung. Wenn man wie hier auf Lanzarote bei Nacht mit Kamera und Stativ durch die Landschaft spaziert und sich dem Gestalten schöner und in diesem Fall etwas surrealer Bilder widmet, kommt man automatisch zur inneren Ruhe.

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Gedanken über Fotografie und Meditation

Fotografie ist seit über 20 Jahren als eigenständige Kunstform anerkannt und schlägt zurzeit trotz des digitalen Massenphänomens auf dem Kunstmarkt Kapriolen. So ist der am teuersten verkaufende Fotokünstler der Welt, Andreas Gursky, schon bei knapp einer Million US-Dollar für eine großformatige Fotografie angekommen.

Auf der anderen Seite der Skala ist die Fotografie zu einem Massenkommunikationsmittel geworden, mit dem größtenteils mit Smart-phones vermutlich an einem Tag Abermillionen, wenn nicht Milliarden größtenteils unreflektierter Fotos auf dieser Welt und von dieser Welt geschossen werden.

Zum Glück aber wird der Bedarf, über Fotografie zu reflektieren und bewusst zu fotografieren, zunehmend größer.

Immer mehr Menschen im digitalen Zeitalter sehnen sich nach einer eigenen künstlerischen Ausdrucksform. In diesem Buch soll veranschaulicht werden, wie man die Fotografie so individuell entwickeln kann, dass sie zu einem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit wird. Ich möchte meinen Leserinnen und Lesern Anregungen geben, wie sie zu diesem eigenen Weg in der Fotografie finden können. Dabei will ich vor allem deutlich machen, dass Fotografieren nicht nur bedeutet, die äußere Wirklichkeit abzubilden, sondern auch sehr viel mit dem Ausdruck von eigenen Gedanken, Bildern und Gefühlen zu tun hat.

Bilder sind nämlich per se sehr emotional, und von daher eignet sich die Fotografie besonders gut, um die verschiedensten Gefühle und Stimmungen auf eine Bildfläche zu übersetzen.

Dieses Buch möchte seine Leser zu einer ganz eigenen, von tiefer Ruhe und sensibler Empfindung geprägten Herangehensweise an die Fotografie und im besten Fall zu einer eigenen fotografischen Ausdrucksform anleiten.

» Der Begriff ›Meditation‹ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet nichts weiter als Ausrichtung zur Mitte. «

Um zu entdecken, was man ausdrücken will, und um die eigene Kreativität in Fluss zu bringen, sind Meditation und Kontemplation gute Hilfsmittel.

Warum die Fotografie etwas mit Meditation und Kontemplation zu tun hat, sei hier kurz angedeutet:

Gerade die Fotografie ist ein Medium, mit dem man zu einer gewissen Muße gezwungen wird. Denn gute Fotografie lässt sich nicht aus einer hektischen Stimmung heraus produzieren, sie benötigt Zeit und Freiraum. Und so kann die Fotografie ein Gegenpol zu unserer oft sehr schnelllebigen und manchmal hektischen Zeit werden, in der immer öfter von Entschleunigung die Rede ist. Weil Zeit und Freiräume in unserer Gesellschaft Mangelware geworden sind, interessieren sich auch immer mehr Menschen für Meditation und Kontemplation, um wieder zu sich selbst und ihrem eigenen Rhythmus zurückzufinden. Mit Meditation kann man sich einen inneren Freiraum schaffen, in dem man im wahrsten Sinne des Wortes tief durchatmen kann und nicht mehr »funktionieren« muss.

Worum handelt es sich bei der Meditation? Was heißt es, zu meditieren oder zu kontemplieren?

»Meditation« ist ein Begriff, der vom lateinischen Begriff »meditatio« abstammt und nichts weiter bedeutet als »Ausrichtung zur Mitte«.

Kontemplation ist der meditative Weg der christlichen Mystik. »Kontemplation« kommt vom lateinischen »contemplare« und besagt »anschauen«, »betrachten«. Kontemplation ist also das, was für die Fotografie besondere Gültigkeit hat, denn es bedeutet so etwas wie beschauliche Betrachtung. Den Begriff »Kontemplation« gibt es aber nicht nur im Christentum, sondern auch im Buddhismus. Er wird dort als eine Vorstufe der Meditation betrachtet und bezeichnet zum Beispiel eine Versenkung in spirituelle Texte.

Ich möchte mich in diesem Buch aber besonders auf die, wie ich finde, sehr interessante Zen-Meditation beziehen, vor allem deshalb, weil sie frei von jeglichen Dogmen einer Glaubenslehre ist. Auch hierbei will ich mit der Klärung des Begriffs beginnen, denn »Zen« stammt vom chinesischen Wort »chen« und das heißt »Versenkung«. Wenn wir also über Zen und Meditation oder auch Zen-Meditation sprechen, so bedeutet das von der Begrifflichkeit nichts weiter als eine tiefe Versenkung, die sich auf die eigene Wesensmitte ausrichtet.

Durch regelmäßiges Praktizieren von Meditation kann man leichter zur Quelle jeglicher Kreativität vorstoßen und Bilder produzieren, die Tiefe haben und nicht nur von der Ratio geprägte »Kopfgeburten« sind oder im Bereich des Oberflächlichen oder Gaghaften stecken bleiben.

Genau darum aber soll es uns in diesem Buch gehen: Bilder (Fotografien) wie von selbst entstehen zu lassen; Bilder, die ihre Kraft länger ausstrahlen als ein paar Minuten, Stunden oder Tage. Und wie uns genau das mithilfe von Meditation gelingen kann, sei hier das Thema ausführlicher Betrachtung. Diesmal werden aber nicht wie in meinem Buch »Der abstrakte Blick« vorrangig die klassischen Kriterien der Bildgestaltung erörtert, sondern es geht hauptsächlich darum, Sie als Leserin oder Leser dazu anzuregen, Ihren eigenen kreativen Prozess in Gang zu setzen. Da ich als Autor selbst über jahrelange Erfahrungen in der Zen-Meditation verfüge, sei hier der Versuch gemacht, diese Erfahrungen und meine persönliche Interpretation dessen, was Meditation bedeuten kann, mit meinen lebenslangen Erfahrungen in der Fotografie in Zusammenhang zu setzen. Meine Basis wird dabei aber immer die Fotografie bleiben.

» Die größten Ereignisse – das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden. «

Friedrich Nietzsche

Die Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Autor.

Japanische Trockengärten im Sinne des Zen nennen sich Kare-san-sui. Hier wird Granitkies um möglichst zufällig angeordnete Felsen gelegt. Danach werden mit der Harke Linien hineingezogen, die keinen Anfang und kein Ende haben und die Form des Wassers andeuten. Diese besonderen Gärten laden zur Meditation ein.

2

Was ist das Interessante an der Zen-Philosophie?

Zen-Meditation ist die Praxis des Zen-Buddhismus, einer Ausprägung des Buddhismus, die über China nach dem 6. Jahrhundert auch nach Japan gelangt und heute vor allem dort verankert ist. Sie hat seit über 20 Jahren auch im Westen Fuß gefasst.

Bevor ich näher auf den Buddhismus eingehe, liegt es mir besonders am Herzen zu betonen, dass ich keinen Leser in diesem Buch zu irgendetwas »bekehren« möchte – schon gar nicht zu einer Religion. Atheistische Leser sind mir genauso willkommen wie religiöse Leser jeder Glaubensrichtung. Das Schöne und Angenehme am Zen ist, dass es hauptsächlich um eine Geisteshaltung geht, um ein tieferes Verständnis des eigenen Geistes und damit des eigenen Wesens. Und das ist eine hervorragende Grundlage für den eigenen künstlerischen Ausdruck.

Dennoch ist, um Zen zu verstehen, ein kleiner Exkurs zum Buddhismus nötig. Der Buddhismus zählt zu den großen Weltreligionen, obwohl führende Buddhisten schon sagten, dass der Buddhismus gar keine Religion, sondern eher eine Philosophie sei. Das Wesen des Buddhismus ist es, keine Dogmen zu verinnerlichen. Vielmehr will er die Beschaffenheit des menschlichen Geistes bis in alle Schichten tiefgründig verstehen und damit zu einer anderen Betrachtung des eigenen Wesens und der äußeren Welt finden, die wir ja durch die Fotografie abbilden.

Buddha lebte vor ca. 2 500 Jahren in Indien und wendete sich vor allem gegen den damals in Indien vorherrschenden Brahmanismus, eine Vorläuferreligion des heutigen Hinduismus. Der Brahmanismus war eine unglaublich komplizierte Religion mit einem so komplexen Götterhimmel, dass die »Verwalter« dieser Religion, die Brahmanen, fast die einzigen waren, die diese komplizierte Götterwelt durchschauten. Buddha schien es so, dass die Brahmanen dadurch eine starke Machtposition gegenüber ihrem »unverständigen« Volk besaßen und diese Machtposition ausnutzten, ähnlich wie die katholische Kirche vor der Reformation mit ihrem Ablasshandel. Buddha gründete daher eine neue Religion, die als Kontrapunkt zum Brahmanismus eine starke Vereinfachung sein sollte, sodass auch das »gewöhnliche Volk« daran teilhaben konnte.

Heute ist der Buddhismus hauptsächlich im Himalaya-Raum und in Japan, aber auch in Myanmar, Sri Lanka und Teilen Indiens lebendig. Der tibetische Buddhismus hat durchaus noch ein paar Göttergestalten des Hinduismus mit integriert. Doch im Prinzip ist er eine umfangreiche Philosophie, die zur Verwandlung des eigenen Geistes und Wesens, aber auch zu tiefem Mitgefühl für alle anderen Wesen aufruft. Sein spirituelles Oberhaupt, der Dalai-Lama, gehört gewiss zu den wenigen Menschen, die durch besondere Glaubwürdigkeit und die heute so selten gewordene Übereinstimmung von Reden und Tun überall auf der Welt überzeugen.

Als ich vor einigen Jahren Texte des Dalai-Lama auswählen und mit meinen Fotos bebildern durfte, habe ich einige Bücher des Dalai-Lama gelesen und mich von seinen Gedanken überzeugen lassen. Das Sympathische ist, dass gerade der Dalai-Lama niemanden zum Buddhismus bekehren will. Vielmehr betont er, dass jeder, der sich mit Buddhismus beschäftigt, bei seiner Religion (oder auch dem Atheismus) bleiben »dürfe«.

Im japanischen Zen-Buddhismus ist diese Toleranz ebenfalls gegeben. Heutzutage wird sogar in einigen katholischen Klöstern die Zen-Meditation mit in ein sogenanntes christliches Exerzitium hineingenommen. Aber auch in der Kunst haben sich die Gedanken des Zen einen immer größeren Platz erobert. So gibt es im renommierten Wolfsburger Kunstmuseum sogar einen Zen-Garten. Der Zen-Buddhismus ist meines Erachtens die Religion, besser Philosophie oder Geisteshaltung, die am weitesten von jeder dogmatischen Lehre entfernt ist. Deshalb ist Zen auch gerade Freigeistern und Freidenkern oft die sympathischste geistige Zuflucht.

Was sind denn nun die Grundgedanken des Zen? Fast hätte ich jetzt geschrieben: Der Grundgedanke des Zen ist die Gedankenlosigkeit. Dieser leicht paradoxe Satz bedarf einer Erläuterung: Mit Gedankenlosigkeit ist natürlich nicht eine nachlässige Haltung gemeint, die womöglich bis hin zur Verantwortungslosigkeit reicht. Nein, mit Gedankenlosigkeit ist etwas ganz anderes gemeint: das Freisein von Gedanken, die sich einer unmittelbaren Erfahrung in den Weg stellen. Das ist häufig das Gegenteil dessen, was die meisten westlichen Menschen so oft behindert. Um das zu verstehen, ist es nötig, den eigenen Geist ausführlich zu erforschen. Dazu dient die Übung der Meditation, das Zazen. Beim Zazen sitzt man für eine bestimmte Zeit (zum Beispiel einmal am Tag 20 Minuten) in einer bestimmten Haltung, die ich später noch erläutere, und versucht, Stille im Geist herzustellen. Leider ist dieses Unterfangen viel schwieriger, als es sich zunächst anhört.

Setzt man sich tatsächlich an einem stillen Platz, an dem man von stärkeren Sinnesreizen möglichst verschont wird, in eine Meditationshaltung, so wird man es bemerken: Man trägt eine Art inneren Erzähler mit sich herum, der einem ständig Geschichten und Bilder vor das geistige Auge projiziert. Mal springt dieser Dauererzähler in die Vergangenheit und kramt alte Geschichten hervor, mal springt er in die Zukunft und erzählt wiederum Phantasiegeschichten. Wenn diese Geschichten wenigstens noch spannend wären! Aber oft sind sie recht langweilig und man hat sie schon tausendmal gehört. Meist ist dieses innere Plappermaul gleichzeitig auch noch ein Filmvorführer oder es beamt einem Bilder vor die geistige Leinwand. Dieser Dauererzähler ist allgegenwärtig, auch beim Abwasch erzählt er uns seine Geschichten, ja noch schlimmer, auch beim Wandern durch die schönste Natur ist er meistens nicht bereit zu schweigen. Gerade bei schönen Erlebnissen verstellt er uns durch sein ständiges »Geschwätz« die unmittelbare Erfahrung. Nur bei sehr starken Sinnesreizen mag diese unliebsame Instanz, wenn man Glück hat, eine Weile in ihre Schranken verwiesen sein. Dann machen wir eine tiefe Erfahrung, nichts stellt sich zwischen uns und die reine Erfahrung des Moments. Sicher haben Sie Momente von dieser Art schon erlebt: Momente, in denen sich plötzlich ein Glücksgefühl einstellt; Momente, in denen es einem beim Anblick eines erhabenen Natureindrucks über den Rücken läuft. In diesen Momenten herrschte Stille in Ihrem Geist, da gab es keinen Gedanken an die noch zu erledigende Steuererklärung oder den unliebsamen Nachbarn. Eine solche Freiheit von unnützen Gedanken ist beim Zen gemeint. Aber wenn man diesen Zustand als das zu erreichende Ziel definieren würde, verfehlt man wiederum den Geist des Zen. Zen ist absichtslos, hier wird kein Fünfjahresplan zum Erreichen bestimmter Planungsziele erstellt.

Natürlich bedeutet das oben Geschriebene nicht, dass man überhaupt nicht mehr denken solle. Im Gegenteil: alles zur richtigen Zeit. Selbstverständlich ist es wichtig und notwendig, strukturierend denken zu können. Es ist auch gut, sich tiefe, philosophische Gedanken zu machen. Nur machen wir westlichen Menschen uns in der Regel viel zu viele Gedanken. Und wir sind auch dann in Gedanken, während wir eigentlich eine Handlung vollbringen oder gerade eine schöne Erfahrung machen könnten. Und da wird dann die immerzu denkende Instanz zur Plaudertasche. Als Gegenmaßnahme kann man die Übung des Zazen, des stillen Sitzens, betrachten.

Die Übung selbst ist das Ziel. Und während der regelmäßigen Übung über viele Jahre wird man immer mehr verstehen, wie der menschliche Geist beschaffen ist – eben mit einem dazu geschenkten, eingebauten Denkapparat, der sich sehr schwer abstellen lässt. Aber man wird gewiss lernen, dass es noch eine andere Instanz gibt. Nämlich die, die das Plappermaul, den Beamer und die Filmvorführung beobachten und sich anfangs ein wenig und später immer mehr davon distanzieren kann. Eine Instanz, die die Gedanken denkt, die immer wieder aus der Gegenwart des unmittelbaren Moments herausspringen und in die Vergangenheit oder Zukunft fliehen wollen. Diese Instanz ist in der Lage, die Gedanken des »Erzählers« wieder loszulassen und in die Unmittelbarkeit der Gegenwart zurückzufinden. Wirklich ist nämlich lediglich der gegenwärtige Moment, alles andere ist nur in unserer Gedanken- und Gefühlswelt vorhanden.

Und hier sind wir bei der Fotografie angelangt. Kaum etwas ist gegenwärtiger als die Fotografie, die in der Lage ist, die Gegenwart in Momente bis zu einer Zeitspanne von 1/8000 Sekunde einzuteilen. Lässt man sich wirklich auf die Fotografie ein, hat man eines der besten Vehikel in den gegenwärtigen Moment gefunden. Und da ist die wunderbare Gemeinsamkeit mit der Meditation. Versinkt man mit der Kamera tief in der Gegenwart des visuellen Moments, ist kein Platz mehr für den Dauererzähler im Geist, der einen immer wieder versucht, von der Unmittelbarkeit des Augenblicks abzubringen. Beim Fotografieren ist es aber noch einfacher, sich auf den unmittelbaren Moment zu konzentrieren, als beim Sitzen in Zazen. Denn beim Fotografieren hat man noch die Sinnesreize der Außenwelt vor sich, die den Geist konzentriert auf den Augenblick richten.

Beim Sitzen in Zazen dagegen, in der Meditationshaltung der Zen-Meditation, findet in der Außenwelt kaum noch etwas statt, worauf man seine Aufmerksamkeit richten könnte. Man hat fast nichts mehr außer sich selbst; die Außenreize schweigen weitgehend; man ist mit sich und seinem Geist, seinem Wesen, seinen Gefühlen allein gelassen. Und die werden sich, darauf gebe ich Ihnen eine Garantie, ganz gewiss erst einmal zu Wort melden. Und das, was sich da meldet, wird nicht immer nur angenehm sein, sehr oft allerdings ziemlich belanglos. Man wird aber auch ab und zu erfahren, dass der Geist tatsächlich einmal zur Ruhe kommt. Dann herrscht plötzlich Stille – eine Leere im Geist, die sich aber überhaupt nicht leer anfühlt. Im Buddhismus wird oft mit dem Paradoxon gespielt, dass die Fülle aus der Leere entsteht. Der berühmte Maler Marc Rothko sprach von der Gewalt der Stille. Damit ist die unbändige Kraft gemeint, die aus diesen anfangs so selten wirklich stillen Momenten entstehen kann. Der amerikanische Zen-Meister und Fotokünstler John Daido Loori nennt dies in seinem Buch »Das Zen der Kreativität« den stillen Punkt. Wenn man diesen stillen Punkt in sich berührt hat, ist man an die Quelle des Geistes, die Quelle jeglicher Inspiration und Kreativität, herangekommen. Hier wird man vielleicht auch plötzlich von der Muse geküsst.

3

Zen ist nicht »light«

Schaut man sich die moderne Bildsprache von Lifestyle- oder Reisemagazinen an, entsteht immer mehr der Eindruck, dass die Welt heute oft in einer Art »Light-Version« dargestellt wird. Wurde beispielsweise vor 20 Jahren in einem New-York-Heft noch kritisch über die Probleme der Metropole berichtet, so geht es heute hauptsächlich darum, die Stadt »schön« darzustellen. Esskultur für das gehobene Bürgertum ist wichtiger als die Auseinandersetzung mit den Problemen der Schwarzen in Harlem, die Bronx existiert in den meisten New-York-Reiseheften gar nicht mehr. Städteansichten erscheinen häufig in der blauen Stunde, leicht überbelichtet; bei Menschendarstellung werden meist die Schönen und Erfolgreichen ausgewählt; die Welt wirkt oft schönheitsoperiert, geliftet und fettabgesaugt.

Wenn wir Zen in der Fotografie verwirklichen wollen, so möchte uns Zen nicht zu dieser gelifteten Light-Version der Welt leiten. Zen ist nicht oberflächlich, sondern führt uns in die Tiefe, in die Tiefe unseres Selbst, und prägt damit den Blick auf die Welt aus dieser eigenen Tiefe heraus. Zen wird uns zu einem fotografischen Blick leiten, der aus der Stille und Unvoreingenommenheit des Geistes die Welt unmittelbar betrachtet, ohne vorgefertigte Schubladen oder Konzepte darüber, wie die Welt sein sollte. Dazu gehört es, dass wir uns in einem längeren Prozess von vorgefertigten Denkmustern und Klischeevorstellungen befreien. Eine Befreiung von Klischeevorstellungen bedeutet gleichzeitig eine Befreiung von Fremdbestimmung, denn ein Klischee ist ein vorgefertigtes Denk- oder Vorstellungsmuster, das andere uns vorgegeben haben. Es entbehrt einer tieferen eigenständigen Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Weltsicht. Will man zu einer eigenen Ausdrucksform in der Fotografie finden, ist es deshalb so wichtig, Klischees zu durchschauen und sich von ihnen zu befreien. Dabei kann die Meditation eine große Hilfe sein. Zen wird uns nämlich erkennen lassen, dass die Welt, so wie wir sie wahrnehmen, ein facettenreiches Spiegelbild unserer eigenen Seele ist. Und die Bilder, die wir mit unserer Kamera machen, stellen genau den Schnittpunkt dar zwischen unserer eigenen Innenwelt und der Außenwelt, die wir zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort mit einem bestimmten Ausschnitt einfangen.

» Zen wird uns erkennen lassen, dass die Welt, so wie wir sie wahrnehmen, ein facettenreiches Spiegelbild unserer eigenen Seele ist. «

Auf dieses Zusammenspiel von innerer Befindlichkeit und äußerer Wirklichkeit gehe ich noch ausführlich im Kapitel »Innere und äußere Landschaften« (Seite 102) ein.

Durch die Praxis der Zen-Meditation kommen wir leichter dahin, Bilder zu fotografieren, die aus der Tiefe kommen und somit die Kraft haben, auch andere Menschen zu berühren. Solche Fotos können durchaus schön sein, aber sie werden keine Light-Version der Welt abbilden. Der Frage, wie man das sogenannte Schöne darstellen kann, ohne dabei ins Seichte abzudriften, ist in diesem Buch auch ein ganzes Kapitel gewidmet.