frech - fromm - frei - Christian Führer - E-Book

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Christian Führer

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Beschreibung

Die Friedliche Revolution begann in der Kirche. Der Herbst 1989 ist untrennbar mit den Friedensgebeten in der Nikolaikirche Leipzig verbunden. Gefühle des Hoffens und Bangens sind es, die Christen wie Nicht-Christen vor 25 Jahren in wachsenden Mengen in das Gotteshaus zogen. Für Christian Führer ist das gewaltlose Gelingen der Friedlichen Revolution die unzweifelhafte Erfüllung der Bergpredigt Jesu, der 9. Oktober ein Wunder biblischen Ausmaßes. Doch auch nach 1990 hält Führer sich nie mit Kritik am System zurück, scheut sich nicht, Einsatz zu zeigen – mit dem steten Hinweis auf Gott. Seine Predigten, Reden, Ansprachen und Interviews zeichnen sich durch Leidenschaft und Kampfeswillen aus, durch Einsatz für die Schwachen und Unterdrückten. Der Kampf gegen rechte Ideologien und rücksichtslosen Kapitalismus bleibt für ihn erste Christenpflicht. So finden auch die Friedensgebete neue Anlässe. Nicht zuletzt enthält diese Textsammlung Sonntagspredigten, die besonders die mitreißende wie alltagstaugliche Glaubensstärke des Nikolaipfarrers zeigen.

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Christian Führer

frech – fromm – frei

Worte, die Geschichte schrieben

Mit einem Vorwort von Margot Käßmann

Christian Führer (1943–2014) studierte Theologie in Leipzig und wurde 1968 ordiniert. Im selben Jahr heiratete er die Apothekerin Monika Kramer, vier Kinder entstammen der Ehe. 1980 wurde er an die Stadt- und Pfarrkirche St. Nikolai Leipzig berufen, wo er 1981 die Friedensdekade mit den ersten Friedensgebeten einführte und diese seit 1982 ständig begleitete und betreute. Führer erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so u.a. das Bundesverdienstkreuz (1995).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

2., korrigierte Auflage 2015

© 2013 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Thomas Puschmann, Leipzig

Coverfoto: © Stefan Hoyer / PUNCTUM, Leipzig

Layout und Satz: Steffi Glauche, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-374-03833-6

www.eva-leipzig.de

Meiner lieben Frau Monika

und unseren Kindern

Katharina, Sebastian, Martin, Georg.

Meinen Eltern und beiden Schwestern.

Vorwort zur 1. Auflage 1

Viele kennen Christian Führer als den »Pfarrer mit der Jeansweste«. So ist er in Leipzig bekannt und auch im Film »Nikolaikirche« zu sehen. Dieser Film geht auf den bekannten Roman von Erich Loest zurück, der den Protagonisten der Friedlichen Revolution ein literarisches Denkmal setzt.

In der Tat, Christian Führer schaut auf ein bewegtes Leben zurück. Seine Autobiografie trägt den Titel »Und wir sind dabei gewesen«. Dabeisein, sich engagieren anstatt wegzuschauen – das ist sein Programm, seine Grundhaltung. Der inhaltliche Kompass dieser Haltung aber ist für Christian Führer die biblische Botschaft! Genau das kommt in seinen hier gesammelten Predigten, Reden und Vorträgen zum Ausdruck. Wir sehen: Die Geschichte von Christian Führer endet nicht 1989. Er bleibt seinen Themen treu und misst sein Handeln am Evangelium, das er jeden neuen Tag zu verkündigen und umzusetzen sucht – immer mitten in der Welt. Da geht es um eine Demonstration am Waffendepot, ein Friedensgebet nicht in Leipzig, sondern in München, um eine Demonstration gegen Nazis.

»Keine Gewalt!« – Dieser Ruf, der 1988/89 aus den Kirchen von Leipzig, Dresden, Ostberlin auf die Straßen der DDR getragen wurde, ist der Leitfaden der Predigten und Beiträge Christian Führers. Er steht damit in großer Tradition: in der Nachfolge des Jesus aus Nazareth natürlich, der die Friedensstifter selig pries und im Garten Gethsemane sagte: »Stecke dein Schwert an seinen Ort!« (Matthäus 26,52). Aber er steht auch in der Tradition Martin Luthers, der »weder in den frühen Sturmjahren der Reformation noch je später« wollte, dass »mit Gewalt und Töten für das Evangelium gestritten wird«.2 Und Christian Führer steht in der Nachfolge Martin Luther Kings, der an Gewaltlosigkeit festhielt, als viele Gewalt als einzige Lösung ansahen.

Christian Führer hat mit dem konsequenten Ruf »Keine Gewalt!« bei gleichzeitiger Entschlossenheit, die Welt im Sinne von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu verändern, unserer Kirche einen großen Dienst erwiesen. Dabei war er manches Mal ein Einzelkämpfer. Für Kirchenleitungen sind Pfarrerinnen und Pfarrer wie er eine Herausforderung, weil sie sich nicht einordnen, sondern je nach ihrem eigenen Gewissen handeln. Auch für Kollegen war er das sicher manches Mal, weil sich der Blick schnell auf den Einen richtet und all die anderen nicht mehr gesehen werden. Und ja, starrköpfig konnte Christian Führer auch sein. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich als Generalsekretärin des Kirchentages die Vorbereitungen für den Leipziger Kirchentag 1997 zu verantworten hatte. Christian Führer erklärte, dass im Umkreis »seiner« Nikolaikirche keine Pfadfinder auftauchen dürften. Die besten Argumente dafür, dass Pfadfinder nun »weiß Gott« etwas völlig anderes seien als Hitlerjungen oder Pioniere, halfen nichts.

Dieses Buch mit den Beiträgen von Christian Führer finde ich bedeutsam, weil klar wird: Aus dem Wort Gottes, aus der Predigt kommt das Engagement von Christinnen und Christen in der Welt. Manches Mal wird ja gefragt: Darf denn die Kirche politisch sein? Oder es kommt die Aufforderung: Wenden Sie sich doch dem Eigentlichen zu. Und damit ist dann gemeint, Verkündigung und Seelsorge ins Zentrum zu stellen. Christian Führer zeigt auf wunderbare Weise, wie die Rückbesinnung auf die Bibel immer mitten in die Welt führt: Wenn die Trauernden getröstet werden, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit wachgehalten wird und diejenigen, die reinen Herzens sind, seliggepriesen werden, dann hat das Konsequenzen. Wenn gefordert wird, die »Fremdlinge«, die unter uns wohnen, zu schützen, dann hat das etwas zu tun mit den Flüchtlingen heute. Wenn für die Bibel die »Armen im Land« der Maßstab für Gerechtigkeit sind, kann nicht ignoriert werden, wie es Hartz-IV-Empfängern, Alleinerziehenden und Obdachlosen im reichen Deutschland unserer Gegenwart geht. Wenn der Prophet von der Vision spricht, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, macht das nachdenklich mit Blick auf Kriege und Rüstungsexporte.

Die hier versammelten Predigten und Vorträge von Christian Führer sind ein anregendes, lebendiges Beispiel dafür, dass Bibellektüre immer mitten in die Welt weist! Das wussten schon die Reformatoren. Für sie war beispielsweise der Schritt hin zur Ehe ein Zeichen dafür, dass auch das Leben in einer Familie mit Sexualität und Kindern in gleicher Weise von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat bisher zölibatär lebender Priester, Mönche und Nonnen war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, diese habe »etwas für die Reformation Elementares« deutlich machen wollen: »die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens«.3 Die Reformatoren wollten zeigen: Weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, den Glauben an Gott zu leben im Alltag der Welt.

Wie das möglich ist, dafür sind das Leben und die Predigten und Reden von Christian Führer ein lebendiges Zeugnis. Als Pfarrerin finde ich die Texte des Kollegen ungeheuer ermutigend. Als Christin bewundere ich seine Standfestigkeit. Und als Seelsorgerin wünsche ich ihm die Kraft, auch nach dem Verlust seiner Frau und in der Dankbarkeit für seine Kinder und Enkel weiterhin nicht zu schweigen, sondern zu reden. Ganz im Sinne von Psalm 35,28: »Und meine Zunge soll reden von deiner Gerechtigkeit und dich täglich preisen.« Genau das tut Christian Führer: Gott loben. Und das Lob Gottes umsetzen in den Alltag der Welt. Das ist anrührend, ermutigend und zukunftsweisend.

Reformationstag 2013

Margot Käßmann

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort zur 1. Auflage

Als Schwache zu Kräften gekommen

Predigt über 1Kor 15,20–1. Osterfeiertag, St. Nikolai, 1990

Hilft beten? – Zur Entstehung des Friedensgebets

Vortrag: »Leben und Bleiben in der DDR« – St. Nikolai, 1988

Predigt über 1Mose 28,10–19a – Friedensgebet, St. Nikolai, 1989

»Kraft den Müden« – Ansprache während der Friedensdekade

Andacht vor der konstituierenden Sitzung der neu gewählten Stadtverordnetenversammlung Leipzigs – St. Nikolai, 1990

Ansprache zur Verleihung des Augsburger Friedenspreises zusammen mit M. S. Gorbatschow – Augsburg 2005

Michail S. Gorbatschow zum 75. Geburtstag – 2007

26 Jahre Beginn der Friedensgebete, 25 Jahre wöchentliche Friedensgebete in St. Nikolai – 2007

Friede auf Erden – eine Betrachtung nicht nur zur Weihnachtszeit – 2008

Fürchte dich nicht, sondern rede

Ansprache bei der Demonstration am Atomwaffendepot Großengstingen – 1990

Predigt zum Ökumenischen Friedensgebet – Franziskanerkirche St. Anna zu München, 1990

Beitrag zu »Ökumene jetzt« – Magdeburg, 2013

»Was wir brauchen, ist ein neuer Luther« – Interview zu »Ökumene jetzt« – 2012

Das Schweigen überwinden – Friedenspolitik neu gestalten – Ein Aufruf zu Umkehr und Orientierung – 1995

Dritte Ordentliche DGB-Landesbezirkskonferenz Sachsen – Gewandhaus zu Leipzig, 1998

Rede anlässlich »Leipzig. Gesicht zeigen.« – Anti-Nazi-Demonstration – Augustusplatz Leipzig, 2001

Erwiderung zur Verleihung des Johann-Philipp-Palm-Preises – Schorndorf, 2002

Predigt über Mk 12,1–12 – St. Nikolai, 2003

Politisches Nachtgebet zu Ps 146,7c – Kreuzkirche Dresden, 2011

Friedensdekade 2011–30 Jahre Friedensgebet in der Nikolaikirche

»Mut zur Alternative« – unter Zugrundelegung der Bergpredigt – Friedensgebet, St. Nikolai, 2012

Freundlich und mit Salz gewürzt

Gedanken zur Kantate »Schwingt freudig euch empor« (BWV 36) – 2009

Motettenansprache »Magnificat« BWV 243 – St. Thomas, 2010

Predigtgottesdienst zur Mitgliederversammlung des Vereins zur Förderung der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (KiBa) – 2011

So kommt der Glaube aus der Predigt

Predigt über Mt 20,1–16 – St. Nikolai, 1997

Predigt über Joh 1,43–46 – St. Nikolai, 1999

Predigt über Joh 2,1–11 – St. Nikolai, 2003

Predigt über Joh 8,3–11 – St. Nikolai, 2007

Predigt über Joh 5,1–16 – St. Nikolai, 2007

Predigt über 1Kön 19,1–8 – Lindau, 2011

Predigt über 1Kor 7,29–31 – St. Nikolai, 2012

Nach 40 Jahren

Verabschiedung in den Ruhestand – Predigt über Jes 40,26–31 – St. Nikolai, 2008

Weitere Bücher

Fußnoten

Als Schwache zu Kräften gekommen

Predigt über 1Kor 15,20

1. Osterfeiertag 1990, 15. April, St. Nikolai

Liebe Gemeinde!

Ihr seid von nah und fern heute zum Ostergottesdienst in unsere Nikolaikirche gekommen: noch einmal herzlich willkommen!

Nach dem Christfest ist es nun das zweite Mal, dass wir miteinander feiern können; nicht mehr durch Stacheldraht und Mauer getrennt, nicht mehr auf die Almosen des totalen Machtapparates angewiesen.

Wer hat uns den Stein weggewälzt, der jahrzehntelang zwischen uns lag, wer hat unsere Herzen berührt, dass uns ein Stein nach dem anderen vom Herzen fiel? Das hängt mit DEM zusammen, DESSENtwegen wir Ostern feiern: JESUS von Nazareth, der CHRISTUS. Drei Jahre nur hat ER in der Öffentlichkeit gewirkt. Und in diesen drei Jahren hat ER der Welt eine unverlöschliche Spur des Segens eingeprägt. JESUS, der »Rebell gegen Gewohnheit und Herrenmacht«, wie IHN der neomarxistische Philosoph Ernst Bloch nennt; JESUS, DER gekommen ist, zwei Dinge zu bekämpfen und zu besiegen, die Sünde und den Tod, wie der französische Existenzialist und Schriftsteller Albert Camus sagt; JESUS, DER durch SEINE Auferstehung zum Erstling derer geworden ist, die entschlafen sind, wie der Apostel Paulus schreibt. Und innerhalb dieser drei Jahre waren es drei Tage, die eine besondere Bedeutung gewannen, drei Tage, die die Welt schon über knapp 2000 Jahre hin erschütterten und bewegten: Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern.

Mit wenigen Worten hat Kurt Marti das Geschehen skizziert:

»Über SEIN Schweigen hin rollte der schnelle Prozess. Ein Afrikaner schleppte für IHN den Balken zum Richtplatz hinaus.

Stundenlang hing ER am Kreuz – Folter mit tödlichem Ausgang.

Drei Tage später die nicht zu erwartende Wendung. Anstatt sich verstummt zu verziehen ins bessere Jenseits brach ER von Neuem auf in das grausame Diesseits zum langen Marsch durch die Viellabyrinthe der Völker, der Kirchen und unserer Unheilsgeschichte.«

Ja, so ist ER nun auch in unserer Unheilsgeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts angekommen und gegenwärtig. Wie reden wir davon, wie erleben wir dies? Indem wir von Karfreitag und Ostern heute reden. Allerdings muss ich euch hierbei eine kalendermäßige Änderung zumuten. Denn Karfreitag war für mich ein Sonnabend. Und der Auferstehungstag ein Montag. Und das alles nicht, wie es sich normalerweise gehört, in den Monaten März/April, sondern im Oktober. Ihr wisst es nun: Ich rede vom 7. und 9. Oktober 1989.

Sonnabend, der 7. Oktober, war als Feiertag geplant. Dazu ein besonderes Datum: 40 Jahre DDR! »Ja nicht auf dem Fest!«, ja keine Unruhe auf dem Fest, das war die deutliche Devise an die sogenannten Sicherheits- und Ordnungskräfte landauf, landab in dieser DDR. Denn es sollte das Fest stattfinden, auf jeden Fall und ohne Störungen stattfinden. Es sollte unter allen Umständen ein »Aufruhr im Volk« verhindert werden. All die Befehle, all das Sicherheitsdenken aber führten dazu, dass in vielen Städten dieses Landes, dass hier in Leipzig, dass hier vor der Kirche auf dem Platz unschuldige, wehrlose Menschen geschlagen, getreten und abtransportiert wurden. Statt Festtagstrubel war nach dem letzten Polizeieinsatz um 21.40 Uhr Friedhofsstille eingetreten. So wurde dieser Sonnabend für mich und viele Menschen zum Karfreitag, einem Karfreitag, wie wir ihn noch nie erlebt hatten.

Der stille Karsamstag war Sonntag, der 8. Oktober. Er war tatsächlich still, gedrückt, voller Angst. Nach all dem Schrecken eine Atempause. Für wen aber auch alles! Wie würde es weitergehen?

Montag, der 9. Oktober, brach an. Und mit ihm kamen die Nachrichten von allen Seiten! Nachrichten, die die Befürchtungen nährten, dass nun endgültig gewaltsam alles ausgetreten, alles beendet werden sollte, was sich in und um die Kirche tat. Wie die Frauen damals mit Trauer, Angst und Schmerzen zum Grab aufbrachen und nichts weiter erwarteten als den toten JESUS: so brachen wir mit unserer Morgenandacht in den Tag des 9. Oktober auf. Auch uns erwartete nur Schreckliches. Was aber erlebten wir tatsächlich?

Wir erlebten die nicht zu erwartende Wendung!

Die Kirchen konnten die Menschen nicht fassen! Ein bis dahin nicht erlebter Zug von Menschen formierte sich aus den Kirchen auf die Plätze. Gewaltlos setzte sich der Menschenstrom in Bewegung. ER, CHRISTUS selbst, war mit SEINEM Geist der Gewaltlosigkeit und des Friedens unter uns getreten und ging mit uns auf den Ring!

»Die Wächter«, sprich: Polizisten, Kampftruppenangehörige und Soldaten, ließen Waffen und Schlagstöcke sinken. Provokateure wurden mit dem Ruf »Keine Gewalt, keine Gewalt« zur Ruhe gebracht. So hatten wir das »Friede sei mit euch« unseres auferstandenen HERRN noch nie gehört. »Mehr als 500 Brüder auf einmal«, sprich: mehr als 70000 Menschen auf einmal, erlebten dies alles mit. Und als wir abends um 22.00 Uhr zwar nicht hinter verschlossenen Türen, aber hinter Türen im Pfarrhaus saßen, wich der ungeheure Druck. Freude war es noch nicht. Ein Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit aber nahm nach und nach von uns Besitz: Dank gegenüber GOTT, Dank für die spürbare Nähe unseres HERRN CHRISTUS, Dank für erfahrene Bewahrung aller.

So war es für uns Ostern geworden im Herbst.

Nach der brutalen Gewalt – drei Tage später die nicht zu erwartende Wende!

Nun hat uns Ostern auch kalendermäßig eingeholt. Ich habe versucht, das, was wir erlebten, zu beschreiben. Und doch ist es nur für die, die dabei waren, ein unvergessliches Erlebnis. Und wieder nur für die, die Christen sind, ist in dem wunderbaren Geschehen die Nähe und Gegenwart des auferstandenen HERRN erlebbar geworden. Für die anderen, die dabei waren, ist es nicht weniger wunderbar gewesen, aber es bleibt für sie im Letzten rätselhaft, beziehungsweise sie suchen tausend Gründe, um das Geschehen zu erklären. Aber kommt es auf die Erklärung an – oder vielmehr darauf, dass das Wunderbare sichtbar, erfahrbar, erlebbar wird?

Nun aber ist CHRISTUS von den Toten auferstanden …

Gewalt und Tod sind nicht das Letzte. Diese Wirklichkeit hat JESUS CHRISTUS mit SEINEM Kreuz und SEINER Auferstehung unter uns manifestiert. So lasst uns mit Freude und Zuversicht den Weg, der vor uns liegt, gehen. Es ist der Weg in die Zukunft des Reiches GOTTES, der durch nichts und niemanden, durch keinen Stacheldraht, durch keine Mauer, durch keinen Schlagbaum, weder durch Klassen- noch durch Rassenschranken, auch nicht durch Weltanschauungen und Ideologien versperrt werden kann. Denn Ostern ist nicht ein Traditions- und Erinnerungsfest, kalendermäßig festgelegt, und JESUS ist nicht nur zwischen Jerusalem und Emmaus und zwischen der Nikolaikirche und dem Hauptbahnhof auf dem Leipziger Ring mit den Menschen auf dem Weg.

Darum ist dieses schleimige Angepasstsein, darum ist die gebückte Haltung gegenüber Menschen und Verhältnissen für einen Menschen und erst recht für einen Christen unangemessen und unwürdig. Lassen wir dies ein für alle Mal hinter uns. Angepasstes Verhalten und gebückte Haltung sind auch gegenüber kommenden gesellschaftlichen Formen unangemessen und unwürdig.

JESUS lebt – mit IHM auch ich!

Das ist die Osterbotschaft, die ich uns heute weitergebe.

Damit wollen wir von heute an leben.

Amen.

Hilft beten?

Zur Entstehung des Friedensgebets

Dass das Gebet seinen Platz sowohl im »stillen Kämmerlein« als auch im öffentlichen Raum der Kirche von Anfang an hatte und hat, ist hinlänglich bekannt. Dass aber das Gebet für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auch die nichtchristliche Öffentlichkeit erfasste und zu weitreichenden politischen Folgen führte, ist eine neue Erfahrung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR geworden. Es begann senfkornartig klein. In der Nikolaikirche Leipzig fing der Weg der Verheißung 1981 mit zehn Friedensgebeten zur Einführung der Friedensdekade an, ab 1982 die Intensivierung durch den regelmäßigen wöchentlichen Rhythmus, jeden Montag 17 Uhr, im Herzen der Großstadt, in immer derselben Kirche.

Die »Gebrauchsanweisung« für das Friedensgebet entnahmen wir dem Römerbrief, Kapitel 12 Vers 11 und 12:

Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.

Lasst euch vom GEIST entzünden.

Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Bedrängnis, beharrlich im Gebet.

Grundsatz war und ist, dass jede persönliche oder gesellschaftliche, jede lokale oder globale Not im Gebet vor GOTT gebracht und vor Menschen öffentlich gemacht werden kann. Das alles soll im Geist des Evangeliums vom Kreuz CHRISTI als Wort von der Versöhnung geschehen und auf dem Boden der Gebote GOTTES stehen. Dazu gehört ein Mindestmaß an Konstruktivität. Bloße Wirklichkeitsbeschreibungen, die in Ausweglosigkeit enden, widersprechen dem Auftrag der Kirche. Auch die Herabwürdigung anderer hat in Friedensgebeten keinen Platz. Allerdings auch nicht die unerträgliche Ausgewogenheit vieler kirchlicher Verlautbarungen. Denn ungeschminkte, ehrliche Zeugnisse der Betroffenheit in Trauer und Wut, schonungsloses Aufdecken staatlicher Willkür und Ungerechtigkeit, struktureller wie persönlicher Gewalt war im Friedensgebet unverzichtbar.

Schon bald nach ihrer Entstehung haben die Friedensgebete eine eigene Form gefunden. Das Besondere daran ist wohl vor allem, dass jeweils eine andere Gruppe die Gestaltung übernimmt (erwachsen aus den sogenannten »Basisgruppen« der DDR, die sich den Themen des Konziliaren Prozesses »Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung« verpflichtet fühlten).

Im Zentrum des Friedensgebetes standen und stehen Schriftlesung, Bibeltext mit Auslegung durch einen ordinierten Pfarrer oder eine Pfarrerin, die sich die Gruppe selbst wählt, Meditationsmusik, Informationen zur aktuellen Lage, Gemeindelieder zeitgemäßer Art aus dem eigenen Liedheft, Fürbitten, VATERunser, Segen. Dazu Orgelmusik am Anfang und Ende.

Zusätzliche Gestaltungselemente sind z.B. das Entzünden von Kerzen zu den Fürbitten, wo es passt, Chöre oder Gesangs- und Tanzgruppen sowie Orgelmeditationen.

Ein Charakteristikum – die niedrige Schwelle, getreu dem Motto der Nikolaikirche »offen für alle«. Deshalb wenig Liturgie, aber immer wiederkehrende Elemente mit Wiedererkennungseffekt, damit Atheisten oder Kirchenfremde sich schon beim zweiten Mal ein wenig vertraut fühlen.

1989 war die wunderbare Frucht ununterbrochener wöchentlicher Friedensgebete herangereift. Am 9. Oktober, dem Tag der Entscheidung, wurde die Nikolaikirche im Verbund mit den anderen Innenstadtkirchen zum Ausgangspunkt der Demonstration der 70000 und damit zum Kernpunkt der Friedlichen Revolution überhaupt. Immer wieder hatte die Bergpredigt JESU eine zentrale Rolle gespielt. Immer wieder, so auch an diesem Tag, die Bitte: »Lasst die Gewaltlosigkeit nicht in der Kirche stecken, nehmt sie mit hinaus auf die Straßen und Plätze!«

Denn: Beten und Handeln, drinnen und draußen, Altar und Straße gehören zusammen!

So nahm ein Vorgang seinen Lauf, den es noch nie in der deutschen Geschichte gegeben hatte: eine Revolution ohne Blutvergießen, eine Friedliche Revolution, eine Revolution, die aus der Kirche kam. Ein Wunder biblischen Ausmaßes!

Hilft beten? Die Frage hat bei uns eine eindeutige und spezifische Antwort bekommen.

Pfarrer em. Christian Führer

Vortrag: »Leben und Bleiben in der DDR«

19. Februar 1988, St. Nikolai

Liebe Gemeinde, liebe Zuhörer!

Für die einen wird unser Thema kein Thema mehr sein: Sie haben sich bereits entschieden, nicht mehr in der DDR zu bleiben und zu leben. Für die anderen ist es kein Thema, weil es kein Thema sein darf. Allein schon die Tatsache, laut darüber nachzudenken, beunruhigt sie … Und wieder andere finden sich durch die Ausreise von Verwandten, Arbeitskollegen, Freunden unversehens in die Lage versetzt, darüber nachzudenken, warum sie selbst noch da sind. Wenn dann Grüße aus Hamburg oder München kommen, sieht man sich unter Umständen plötzlich ohne eigenes Zutun in der Rolle des Unbeweglichen, des Angepassten und Anspruchslosen, der keinen Mut zur Veränderung mehr hat.

Auch war die Verunsicherung nicht unbeträchtlich, als am 8. März 1985 im Neuen Deutschland Leserstimmen zum Thema »Rückkehr in die DDR« abgedruckt worden waren. Man fragte sich beklommen: Wenn bereits 20000 Personen die Rückkehr in die DDR erwägen, wie groß muss dann erst die Zahl derer sein, die insgesamt ausgereist sind bzw. deren Antrag noch läuft?

Zudem gaben mir das Unverständnis, die geäußerte Empörung und Verurteilung gegenüber den Ausgereisten zu denken. War damit nicht ungewollt dokumentiert, wie sehr sich die Hiergebliebenen, die Schreiber getroffen, in Frage gestellt oder angegriffen fühlten?

Aus dem allen ergibt sich: Weder das Weggehen noch das Hierbleiben versteht sich von selbst. Über beides muss nachgedacht werden. Das wollen wir jetzt tun. Ich habe dazu Beiträge von Joachim Garstecki, Manfred Runge, Dr.Heino Falcke und Luise Kinzel zu Rate gezogen und verarbeitet.

Erstens: Warum stellen Bürger der DDR einen Ausreiseantrag?

Diese Frage muss sich die sozialistische Gesellschaft der DDR gefallen lassen. Diese Frage darf nicht unterdrückt, verdrängt oder diffamiert werden. Sie muss als beunruhigende Problemanzeige ernst genommen werden, im eigenen Interesse und im Interesse all derer, die hier bleiben und leben wollen.

Lassen wir zunächst drei Marxisten zu Wort kommen:

»Durch ständiges Administrieren, durch Versammlungen, die so organisiert sind, dass unbequeme Fragen ausgeschlossen bleiben, dass Fragen überhaupt nicht so ungeheuer beliebt sind, sondern dass eine Versammlung eher darin bestehen soll, dass man einen reden lässt, ihm mehr oder weniger zuhört und am Ende einer Resolution zustimmt – dadurch werden eher negative Ergebnisse erzielt. […] Das Administrieren und das übermäßige Schulen, das endlose Zuhören und die unzähligen Resolutionen sollten ersetzt werden durch Diskussionen.«

So Stephan Hermlin.

»Bei uns? So wenig Eigentümliches, überall Klischeeverhalten, Angst vor dem Wagnis […] und alles verplant vom Vater Staat. Wer aus der Reihe tanzt, wird zurückgepfiffen. Das macht mir Angst […]. Wenn wir wirklich dialektisch denken würden, könnten wir begreifen, wohin das führen muss, nämlich wie in der Biologie: Dort führt Einengung und Abschirmung zum Absterben der Arten […].«

So Maxi Wander.

»Manche betreiben dauernd Schönfärberei […]. Wenn Presse, Fernsehen und Rundfunk in einer sozialistischen Gesellschaft immer nur ›für‹ und so selten ›gegen‹ kämpfen, dann macht das lustlos und ermüdet.«

So Jürgen Kuczynski.

Ich meine, hier kommt einiges zum Ausdruck, was in diesem Land Mühe macht. Administrieren statt diskutieren, Resolutionen anstelle eigner Meinung, Angst vor dem Wagnis, Einengung und Abschirmung, Schönfärberei, um einige Begriffe noch einmal aufzunehmen.

Hinzu kommt eine Reihe von Enttäuschungserfahrungen schwerwiegender Art. Gerade bewusst lebende und verantwortlich denkende Menschen leiden darunter, dass unser Staat, wie Heino Falcke schreibt, hinter den Hauptaufgaben unserer Zeit – globale Gerechtigkeit und Naturbewahrung – weit zurückbleibt.

Auch stimmen die permanenten Beschwörungen der sozialistischen Errungenschaften in allen Medien oft nicht mit den realen Erfahrungen vieler Bürger an der Basis überein. Die Allgegenwart und allseitige Vermittlung einer Weltanschauung, die den Staat zu einer quasi-religiösen Institution werden lassen, die den unablässigen Dank und die Verehrung seiner Bürger wünscht oder gar fordert, ist vielen unerträglich geworden. Hinzu kommen Frustrationserfahrungen im Arbeitsprozess, bei Reiseanträgen, in Wohnungsfragen, Gefühle von Angst des Einzelnen gegenüber dem so totalen Staat … Kurz: Könnte der Ausreiseantrag bei vielen eine Reaktion auf zu viel Staat bei uns sein? Ausreiseantrag in Ermangelung anderer Möglichkeiten?

Hierüber muss nachgedacht werden. Vor allem von denen, die weiterhin dieses Land regieren und verwalten, und denen, die weiterhin hier leben und bleiben wollen. Daneben gibt es eine Reihe von Ausreiseanträgen, die so eindeutig sind, dass wir alle sie vermutlich verstehen können: Familienzusammenführungen, Krankheiten, die eine Spezialbehandlung erfordern, schwere Konflikte und Leiderfahrungen mit und an der Staatsmacht, verletzende und entwürdigende Behandlung durch Behörden.

Und natürlich gibt es auch trügerische Hoffnungen, schillernde Sehnsüchte nach einem radikalen Neuanfang vermittels Grenzübertritt. Wer wollte das in Abrede stellen?

Nach diesem unvollständigen Versuch einer Sichtung und des Ernstnehmens der Gründe mein zweiter Punkt: Was ist im Fall des Weggehens oder Hierbleibens zu überlegen?

Ich möchte keine Systemgegenüberstellung, kein Abwägen von Vorzügen und Nachteilen hüben und drüben. Ich möchte bewusst ganz Persönliches ansprechen. Es ist zu überlegen:

Ist die Übersiedlung in den Westen wirklich der Ausweg aus meinen aktuellen Problemen? »Ortswechsel hilft dir doch nicht aus deiner Haut«, sagt Hemingway.

Wer vertritt mich hier, wenn ich gehe: in der Familie, in der Verwandtschaft, in der konkreten christlichen Gemeinde, an meinem Arbeitsplatz?

Wer spricht das aus, was ich inzwischen zu sagen wage? Wie viel Resignation löst mein Weggang aus? Wie viele werden nun noch mehr ins Schweigen geraten?

Wie viel Engagement für Frieden, wie viel Lebensmut und Fähigkeit, Konflikte auszuhalten, wie viele gute Gedanken gehen diesem Land verloren?

Was wird aus dieser sozialistischen Gesellschaft, wenn sich die kritischen Künstler, Dichter und Denker, Arbeiter und Bauern, Angestellten, Freiberuflichen und Ärzte zurückziehen oder in den Westen gehen? Schmälern sie nicht, ohne es zu wollen, die Lebenserwartung des kleinen Senfkorns Hoffnung unter uns allen?

Könnten diese Überlegungen, besonders auch für Nichtchristen, schon ein Anstoß, eine Motivation zum Hierbleiben werden?

Denn das ist nun tatsächlich am wichtigsten und am schwierigsten:

Drittens: Was ermutigt zum Bleiben?

Es wäre von der Sache her leichter zu formulieren: Was verpflichtet zum Bleiben? Aber schon dieses Wort »Verpflichtung« hat solch einen Klang, der austreibende bzw. abschaltende Wirkung hat. Darum sage ich: Was ermutigt zum Bleiben?

Soll ich nun von »Heimat« und »Vaterland« sprechen? Das spielt natürlich eine Rolle in uns allen. Aber in einem geteilten Vaterland und in einer bei vielen durch die Kriegsfolgen diktierten Heimat davon zu sprechen, ist ohnehin nicht einfach.

Wie finde ich den Weg zum Bleiben? Ich finde ihn nicht über lückenloses Verschließen der Grenzen, nicht über Verpflichtungen, nicht über die entwerteten Begriffe wie »Treue zum sozialistischen Vaterland«, nicht über die immer wieder fast beschwörend gebrauchte Formel von der Überlegenheit des sozialistischen Systems.

Ich finde den Weg zum Bleiben nur dort, wo ich auch sonst den Mut zum Leben und die Ermutigung zu Wort und Tat finde. Ich denke da besonders an eine Situation, die im Johannesevangelium (6,67–69) geschildert wird:

Da fragte JESUS die Zwölf: ›Wollt ihr auch weggehen?‹ Da antwortete IHM Simon Petrus: ›HERR, wohin (zu wem) sollten wir gehen? DU hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass DU der Heilige GOTTES bist.‹

Ja, liebe Gemeinde, liebe Zuhörer: Wohin sollten wir gehen? Wo ist das Land unserer Träume, das Land der Erfüllung? Ich kann das gelobte Land auf unserem Globus auch heute nicht finden; trotz aller tatsächlichen, graduellen Unterschiede nicht. Aber ich weiß, dass auf unserem Globus DER zu finden ist, DER uns Menschen Heimat und Halt geben kann. ER ist nicht systemgebunden. ER ist nicht abhängig von Pässen und Visa. ER ist in umfassendem Sinn grenzüberschreitend. ER ist also auch bei uns in der DDR zu finden.

Wer wie Petrus den Heiligen GOTTES in JESUS CHRISTUS erkannt hat, kann überall auf dieser Erde leben, also auch hier in der DDR. Denn an jedem Ort gibt ihm das Vertrauen zu JESUS Heimat und Halt, Mut zum Leben, Ermutigung zu Wort und Tat.

Unter dieser Voraussetzung sehe ich sinnvolles Bleiben. Denn solches Bleiben ist nicht von äußerer Anpassung und innerer Emigration bestimmt, ist kein gleichgültiges Hinnehmen, enttäuschtes Ertragen oder verbittertes Sich-Abfinden.

Solches sinnvolles Bleiben kann nur ein kritisches Bleiben sein, gekennzeichnet von dem Bemühen um »kooperativen Protest« und um die stetige Balance zwischen Sich-Einmischen und Sich-Verweigern, zwischen Resignation und Akklamation, zwischen »Widerstand und Ergebung«: getragen von dem Vertrauen zu JESUS, DER uns Heimat und Halt ist, schon hier und schon jetzt.

Und ein persönliches Wort zum Schluss:

Für mich war es und ist es eine positive Herausforderung, hier in der DDR zu leben! Ich brauche das Sich-Einsetzen, die Schwierigkeit von der Sache, nicht von Privilegien o.Ä. her. An Schwierigkeiten wächst man, bin auch ich stärker geworden. Hier haben wir Erfahrungen gesammelt, hier kennen wir die Argumente und Verhältnisse. Wer sonst könnte in diesem Land etwas ändern, wenn nicht wir, die wir »von hier« sind? Manchen schwebt die politische Vision eines »verbesserlichen Sozialismus« vor. Man wird sehen. Ich jedenfalls habe in meinem ganzen bisherigen Leben immer wieder erfahren: Kämpfen lohnt; der Kleinglaube wird beschämt.

Im Psalm 65 heißt es in den Versen 6–9:

GOTT, unser Heil, DER DU bist die Zuversicht aller aufErden und fern am Meer; DER DU die Berge festsetztest inDEINER Kraft […]

DER DU stillst das Brausen des Meeres […] und das Toben der Völker […]

DU machst fröhlich, was da lebet im Osten und im Westen.

Diese Erfahrung wünsche ich uns hier im Osten und denen im Westen.

Amen.

Predigt über 1Mose 28,10–19a

11. September 1989, Friedensgebet St. Nikolai