Für immer jung - Peter Kraus - E-Book

Für immer jung E-Book

Peter Kraus

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Beschreibung

Das Geheimnis eines langen und erfolgreichen Lebens

Künstler, die so lange im Geschäft sind wie Peter Kraus, gibt es eigentlich gar nicht. Seine Karriere dauert nun schon über 50 Jahre an und viele sehen in ihm immer noch den jungen Musiker, der Mitte der 50er Jahre den Rock’n’Roll nach Deutschland brachte. Die meistgestellte Frage aller Journalisten ist: Wie schaffen Sie es, nach so vielen Jahren immer noch so vital und beweglich zu sein? Peter Kraus hat lange über diese Frage nachgedacht. In diesem Buch steht die Antwort. Heute, mit 72 Jahren fühlt er sich immer noch topfit, weiß aber genau, dass nichts selbstverständlich ist. Wer seinen Körper und seine Kopf jung halten will, muss einiges dafür tun. Was, das stellt Peter Kraus in diesem Buch vor: unkonventionell, witzig und mit zahlreichen Anekdoten aus seiner bewegten Karriere.

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Seitenzahl: 277

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Inhaltsverzeichnis

»Wie sind Sie so jung geblieben?«Liebe Leserinnen, liebe Leser,So schön war die Zeit – Meine Kindheit in Bayern und ÖsterreichMeine wilden jungen JahreMusik ist auch nicht allesImmer in Bewegung – Es lebe der Sport!Man nehme: eine Matte, ein bisschen Zeit und eine Prise Disziplin…Rock ’n’ Roll live – Mein Leben auf TourneeDas Wichtigste in mei nem Leben : meine FamilieDankeCopyright

»Wie sind Sie so jung geblieben?«

Diese bei Interviews so beliebte Frage stürzt mich immer wieder in regelrechte Panik. Woher kommt das? Tja, es gibt kaum noch Talkshows oder Interviews, in denen der Gefragte auch ausführlich antworten darf. Tempo ist die Devise. Fakten. Keine Erklärungen, kein »Warum« und »Wieso«. Der Talkmaster stellt eine Frage wie zum Beispiel: »Herr Kraus, vor 55 Jahren starteten Sie Ihre beispiellose Karriere! Was waren die Höhepunkte, die Tiefpunkte?« Und gleichzeitig sagt mir sein Blick: ›Sie haben knappe zwei Minuten Zeit, also reden Sie schon!‹ Und da bricht reine Panik in mir aus. Meine Gedanken schlagen Purzelbäume: Wo soll ich anfangen? Da könnt ich ewig erzählen! Ich muss etwas Kurzes, Gescheites sagen! Hätte der nicht etwas Einfacheres fragen können? Wie komm ich aus der Nummer nur wieder raus? Oh Gott, die Zeit läuft mir davon! Ja. Und schließlich sag ich dann etwas, worüber ich mich hinterher meistens ärgere. Das hätte ich besser, knapper, pointierter formulieren können, werfe ich mir dann vor.

Mit Fragen wie der oben genannten ist es mir jedenfalls oft so ergangen. Andere Fragen, die mich ebenso in Erklärungsnot bringen, lauten: »Wie halten Sie sich fit?«, »Was ist das Geheimnis Ihrer 42-jährigen glücklichen Ehe?«, »Wie erklären Sie sich Ihre schon so lange anhaltende Beliebtheit?« Jetzt werde ich mir, getreu dem Motto meiner letzten CD Nimm dir Zeit, auch mal wirklich die Zeit nehmen, diese Fragen gewissenhaft zu beantworten. Natürlich nicht mit zu großem Ernst, denn ich möchte Sie ja unterhalten. Aber hier kann ich mich nicht mehr auf den bösen, hektischen Interviewer rausreden. Jetzt ist die Zeit gekommen, einmal in Ruhe meine Lebensgeschichte zu erzählen – und wie das Leben eines Künstlers so aussieht …

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Als Erstes möchte ich Ihnen sagen, wie glücklich ich bin, Sie zu haben. Sie besuchen meine Konzerte so zahlreich, dass sie fast immer ausverkauft sind. Und dafür brauche ich nicht mal einen Riesenreklamerummel um meine Person zu veranstalten, wie es heutzutage üblich geworden ist. Ich lebe zurückgezogen im Tessin – sozusagen weit vom Schuss. Also könnte ich gar nicht bei jeder Boutiquen-Eröffnung, Filmpremiere oder Sportevents dabei sein.

Bei all solchen Veranstaltungen, wo man als »Promi« für eine der vielen Zeitschriften in eine Kamera lächeln darf. Oder einen Kommentar für ein beliebtes TV-Journal loswerden kann. All diese Einsätze sind wichtig, wenn man seinen Stellenwert im Promi-Ranking hochschrauben will. Dank Ihnen muss ich das alles nicht machen! Müsste ich es, es wäre ein Albtraum für mich und meine Frau Ingrid. Entweder müssten wir unseren geliebten Wohnsitz aufgeben, oder ich müsste noch mehr reisen. Ich müsste ein völlig anderes Leben führen. Ein Leben, das mich alt machen, auslaugen würde. Ohne Ruhe, Zeit für mich und meine Familie, meine vielen Hobbys. Also noch mal mein herzliches Dankeschön an Sie! Dank Ihrer Treue muss ich mich nicht im Dschungelcamp zum Affen machen. (Und auch deshalb nicht, weil ich meine »Kohle zusammengehalten habe«, wie man so schön sagt.)

Natürlich muss auch ich, schon lange vor Beginn einer Tournee, kräftig die Werbetrommel rühren. Aber ich tue nur Dinge, an denen ich Freude habe. Dazu zählen Auftritte in beliebten Fernsehshows wie »Willkommen bei Carmen Nebel« oder dem »Musikantenstadl«, in Talkshows beim NDR, bei Beckmann, Kerner oder Markus Lanz oder auch Interviews für populäre Zeitschriften. Das alles macht mir Spaß, es ist interessant für mich.

Weshalb es bei mir ohne raffiniert ausgeklügelte Werbefeldzüge und krampfhaft an den Haaren herbeigezogene Geschichten immer wieder und immer noch funktioniert, ist mir selbst eigentlich nicht so recht klar. Und ich war sehr überrascht, als ich von den Lesern der Bild-Zeitung unter die beliebtesten 100 Deutschen gewählt wurde. Ich, ein Mann, über den so gut wie nie in der Bild-Zeitung berichtet wird.

Vielleicht ist es aber gar nicht so, wie ich denke – vielleicht hüpfen die Promis gerne von Fest zu Fest. Vielleicht ist das Ganze ja gar keine solche Schinderei für sie. Oder sie sagen sich, das müsse eben so sein, nach dem Motto: »Da gehe ich hin, lass mich sehen und verschwinde wieder – das gehört zu meinem Job.«

Und jetzt vertraue ich Ihnen mein Problem an: Ich kann nicht »verschwinden« – ich bleibe immer. Auch wenn ich irgendwo ungern hingehe – ich bleibe. Weil ich immer versuche, aus ungeliebten Situationen das Beste zu machen. Und mich dann wohlfühle. Das gilt selbst für einen Stau auf der Autobahn. Eigentlich ärgere ich mich genauso wie die anderen links und rechts von mir. Doch dann fange ich an, meine »Leidensgenossen« zu beobachten. Wie sie ihre Gesichter verziehen, mit den Fingern auf dem Lenkrad herumtrommeln, schimpfen, fluchen. Und mein Ärger verfliegt, weil ich mich amüsiere. Und so ist es auch mit den Festen, auf denen ich erscheinen soll. Ich spule nicht mein Pflichtprogramm runter und setze mich dann so schnell wie möglich ab. Nein, ich bleibe und amüsiere mich. Darüber, wie schrecklich das alles ist. Zum Leidwesen meiner lieben Frau. Deshalb lautet einer ihrer Lieblingssätze auch: »Ach, geh du da mal alleine hin!«

Für Sie, meine Leserinnen und Leser, habe ich mir jetzt wirklich Zeit genommen, habe darüber nachgedacht, was sich so alles in meinem Leben ereignet hat. Wenn man über 70 ist, hat man natürlich eine Menge erlebt. Ich will Sie aber nicht mit einer chronologisch aufgereihten Anekdotensammlung langweilen, vielmehr habe ich mir genau überlegt, was mir wichtig ist, was ich Ihnen wirklich erzählen möchte. Dazu gehört beispielsweise, wo ich herkomme, wie ich aufgewachsen bin, wie aus dem kleinen Peter plötzlich ein Kinderstar im Kino wurde, und wann und wie ich meine Leidenschaft für Rock ’n’ Roll entdeckte. Und weil man in unserem digitalen Zeitalter inzwischen gerne vergisst, wie viel solides Handwerk in jeder Künstlerkarriere steckt, werde ich Ihnen auch einen ehrlichen Blick hinter die Kulissen des Showgeschäfts vermitteln. Nach dieser Zeitreise möchte ich Ihnen endlich die Frage beantworten, die mir so viele Journalisten immer wieder stellen: »Wie sind Sie so jung geblieben?« In der Antwort auf diese Frage werden Sie nach allem, was Sie bis dahin in diesem Buch gelesen haben, auch schon den roten Faden in meinem Leben erkennen: Ich bin immer in Bewegung – als Kind, als junger Mann, als gereifter Künstler. Mein zweites Lebenselixier neben der Bühne ist der Sport. Dabei steht für mich aber immer der Spaß und nicht der Leistungsgedanke im Vordergrund. Ich möchte Sie einladen, an dieser Lebenseinstellung teilzuhaben, denn für Spaß an der Bewegung ist man nie zu alt. Schließlich werde ich Ihnen noch zeigen – denn das erfahren Sie ja tatsächlich nicht aus der Boulevardzeitung –, wie ich heute mit meiner Familie lebe. Mein Sohn Mike begleitet mich auch an einem ganz typischen Tourneetag mit der Kamera. Dieser Blick hinter die Kulissen wird Ihnen beweisen, dass »live« heute immer noch »live« bedeutet, dass es stressig ist, aber vor allem unendlich viel Spaß macht. Meine Frau würde vielleicht sagen: »Peter, warum tust du dir das denn immer noch an?« Und ich antworte: »Weil es mir Freude bereitet.« Und so kennt sie mich – seit Jahrzehnten schon.

Die beliebte Interviewfrage: »Wären Sie gerne noch mal jung?« beantworte ich meistens mit einem »Nein«. Aber dann überlege ich mir schon, ob es denn schön wäre, ein verwöhntes Kind von heute zu sein: mit eigenem Apartment, Fernseher, Handy, iPad, sämtlichen Varianten von Rollern, Skateboards und Mountainbikes, Carving-Ski und Snowboards, mit Personal Trainer, Tennis- und Golfunterricht – und dazu gehörte natürlich ein Ankleidezimmer, das für jede Betätigung das passende Outfit bereithält … Es wäre bestimmt reizvoll, den Gigantismus der heutigen Zeit aus der Kinderperspektive zu erleben. Aber ich glaube, wir Kinder von damals, in unseren abgetragenen Lederhosen und gestopften Strümpfen, hatten es leichter, glücklich und zufrieden zu sein. Jeder erlebt seine ganz eigene Kindheit und Jugend. Ich lade Sie ein, mich als jungen Peter Kraus kennenzulernen. Vielleicht verstehen Sie dann, warum ich heute so bin, wie ich bin.

Ihr Peter Kraus

Bild 1

So schön war die Zeit – Meine Kindheit in Bayern und Österreich

Ein echter Münchner

Ich bin in München-Schwabing geboren, am 18. März 1939 um 14.45 Uhr in der Werneck-Klinik. Dass die problemlose Entbindung des 3,28 Kilo schweren und 53 Zentimeter großen, gesunden Jungen in Schwabing stattfand, muss ich betonen, denn das damalige Künstlerviertel spielte eine wesentliche Rolle in meiner Jugendzeit, es hat mich geprägt. Ich habe auch immer stolz verkündet, ein gebürtiger Schwabinger zu sein. Vielleicht, weil ich dachte, in einem bekannten Künstlerviertel zur Welt gekommen zu sein, sei irgendwie schon die Garantie, selbst ein namhafter Künstler zu werden. So wie ein Maler, der am Montmartre geboren ist, einfach irgendwann berühmt werden muss. Heute ist Schwabing ein Junge-Leute- und Wochenend-Amüsierviertel, in dem sämtliche Schnellimbissketten der Welt ihre Niederlassung haben. Die Zeit der Lokale und Kneipen, in denen sich Maler, Musiker, Dichter und Filmfanatiker trafen, ist definitiv vorbei.

Meine Mutter Josefine Österreicher, genannt Fini, war eine wunderbare Frau, die ich sehr liebte. Nicht nur als Mutter. Ich verehrte sie als eine besonders schöne Frau mit einer ungeheuer charmanten, damenhaften Ausstrahlung. Sie hatte zwei Schwestern, Petra und Charlotte. Dieses Dreimäderlhaus entstammte einer gut betuchten Münchner Metzgerfamilie. Als junger Bub begeisterte mich ein Foto, das meinen Opa stolz mit Frau und Töchtern in einem schneeweißen, endlos langen offenen Mercedes-Ungeheuer sitzend zeigte. Meine andauernde Fragerei: »Warum nur hat er dieses herrliche Automobil verkauft?« machte meine Mutter wahnsinnig.

Mein Vater, dessen Familie nicht wohlhabend war, begann seine Karriere mit einer Friseurlehre. Diese Tatsache hat er sein ganzes Leben lang verschwiegen. Wie oft habe ich ihm gesagt, Friseure gelten heutzutage als kreative Künstler, sind Partystars und VIP-Unterhalter und verdienen ein Heidengeld. »Heute«, antwortete er immer, und: »Dass du mir ja nie jemandem etwas davon erzählst!« Weil er den Friseurladen nicht ausstehen konnte, gründete er als 17-Jähriger zusammen mit seinem Freund Ernst Höchstätter das Gesangsduo »Ernst und Fred, die singenden Gitarristen«. Er nannte sich Fred, weil er seinen eigentlichen Vornamen Siegfried ebenfalls nicht ausstehen konnte. Warum er mir dann Siegfried als zweiten Vornamen in die Geburtsurkunde eintragen ließ, ist mir bis heute ein Rätsel.

Das mit meiner Geburtsurkunde ist sowieso eine merkwürdige Geschichte. Der Herr oder die Dame, der oder die dieses Papier handschriftlich ausfüllte, hatte sich verschrieben: Peter Siegfried Krausnecker mit ck. Meine Familie schrieb sich aber nicht mit ck, nur mit k. Das c wollte ich später korrigieren und streichen lassen, und weil ich gerade schon dabei war, ließ ich auf dem Amt gleich den ganzen »necker« offiziell streichen. Der Name war mir in meiner Jugend nämlich ein Horror. Mein Vater war unter dem Künstlernamen Kraus bekannt, und meine Mitschüler frotzelten mich immer: Du heißt ja gar nicht Kraus, du heißt doch Krausneger! Kinder können ja so herzig sein …

Schaukelpferd und Teddybär

Meine Kleinkinderjahre waren herrlich. Wir wohnten in einer Altbauwohnung, an deren große Diele ich mich gerne erinnere. Und an mein Schaukelpferd. Es war aus massivem Holz, man konnte richtig wild darauf reiten, und wenn ich geschickte Hüftbewegungen machte, bewegte es sich mit eigenartigen Quietschgeräuschen auf dem Parkettboden vorwärts. Hatte ich die Diele durchquert, konnte ich an den schwarzen Strichen auf dem Boden sogleich den von mir zurückgelegten Reitweg erkennen. Genauso wie meine Mutter, die mir diese Beschäftigung zum wiederholten Male verbot. Sie tat dies immer ausgesprochen herzlich, denn ich war ja noch so klein und so lieb.

Mein Vater war mit seinem Gesangsduo erfolgreich. Ich glaube aber nicht, dass er das Herz meiner Mutter dadurch eroberte. Schon eher, weil er ein großer Charmeur mit österreichischem Schmäh war, wie es sich für einen gebürtigen Salzburger gehört. Man könnte auch spaßeshalber sagen, meine Mutter habe ihn nur erhört, weil sie ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen wollte, den er mit seinem Freund Ernst, dem anderen singenden Gitarristen, auf ihrer ersten Schallplatte folgendermaßen besang:

Hallo hallo, hallo hallo,wir suchen eine Frau.Eine süße kleine liebe feinejunge und hübsche Frau.Wir wär’n so froh, ganz toll und so,das wissen wir ganz genau,wenn wir sie bald hätten,wunderschön mit Augen himmelblau.Schön muss sie sein, aber auch klug.Reich muss sie sein, das ist genug …

Dann wiederholt sich der Text einige Male, wie es bei Schlagern auch damals schon üblich war. Was sich leider nicht wiederholte, war der Reichtum des Metzgermeister-Opas. Irgendwie verlor er sein ganzes Geld, ich weiß nicht wie. Als Kind hatte ich nie danach gefragt. Als 1943 oder 1944 bei den schrecklichen Luftangriffen auf München auch unser Wohnhaus getroffen wurde und in Flammen aufging, saß ich nicht wie üblich auf meinem Schaukelpferd, sondern zitternd an meine Mutter gekuschelt, meinen geliebten großen Teddybären an mich pressend, im Luftschutzkeller. Meine Mutter hatte uns wieder einmal rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Wir hatten also großes Glück. Doch auch mein Vater hatte Glück: Er war zwar eingezogen worden, wurde als Künstler aber der Truppenbetreuung zugeteilt. So konnte er seine Kameraden mit seinen Parodien unterhalten. Er machte das hervorragend und parodierte Stars wie Johannes Heesters, Hans Moser, Theo Lingen und sogar Lale Andersen und Zarah Leander in Sprache und Gesang.

An Habseligkeiten war uns nicht viel geblieben. Wir kamen bei meinen Großeltern väterlicherseits unter, die in einem Bauernhaus in Laufen an der Grenze zu Salzburg lebten. Dort war ich zum ersten Mal auf dem Land.

In Oberndorf: jeden Tag Polenta

Als der Krieg vorbei war, erbaute mein Vater auf einem kleinen, am Waldrand gelegenen Grundstück in Oberndorf bei Salzburg ein Holzhaus (siehe Seite 46). Während Laufen auf deutschem Boden liegt, ist Oberndorf der Grenzort auf der österreichischen Seite. Beim Bau des »Eigenheims« halfen ihm der benachbarte Schreiner und seine beiden Brüder. Ja, mein Vater hatte – so wie meine Mutter zwei Schwestern – zwei Brüder. Der jüngste hieß Kurt, der mittlere Karl. Letzterer nannte sich aber lieber Charly, nachdem Oberndorf zum amerikanischen Besatzungsgebiet gehörte.

Ich liebte dieses Häuschen, das für ein Ehepaar mit Kind nicht hätte kleiner sein dürfen. Meine fleißige Mutter legte einen bescheidenen Gemüsegarten an, in dem alles wuchs, was man damals brauchte, um gut über die Runden zu kommen: Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Erbsen, Salat, Kohl, Karotten und Radieschen. Und da im Garten auch noch ein alter Holunderbaum stand, gab es im Frühsommer auch »Hollerkücherl«, in einem Teig aus Mehl, Ei und Milch herausgebackene Hollerblüten. Hauptsächlich aber gab es, so habe ich das in schrecklicher Erinnerung, Polenta. Diesen braungelben Maisbrei konnte ich nicht ausstehen. Auch dann nicht, wenn meine Mutter mit liebevollem Augenzwinkern ein Spiegelei darauf platzierte. Ich arbeitete mit allen Tricks, um möglichst wenig von diesem Baaz essen zu müssen. War ich unbeobachtet, spuckte ich ihn in meine Hand, knetete ihn unter dem Tisch, bis er noch trockener wurde, und steckte ihn in meine Hosentaschen. Dann füllte ich auch meine Backentaschen mit dem scheußlichen Zeug und rutschte auf dem Stuhl herum, um anzuzeigen, dass ich austreten müsse. Auf der Toilette versenkte ich anschließend die ganze Pampe. Heute lebe ich im Tessin und esse sehr gerne Polenta. In einigen alten grotti wird sie von der nonna, der Oma des Hauses, unter ständigem Rühren noch in einem Kupferkessel direkt über dem offenen Feuer zubereitet. Der kleine Unterschied allerdings: Nach dem Krieg war sie Hauptgericht, heute ist sie Beilage zu einem schmackhaften coniglio, einem Kaninchen.

Auf diesem »Drahtesel« erforschte ich das Landleben.

In unmittelbarer Nähe unseres Häuschens stand eine große Villa, die von den Amerikanern besetzt war. Der Weg, auf dem die Amis in ihren Jeeps wo auch immer hinfuhren, führte direkt bei uns vorbei. Fast immer hielten sie an, wenn ich ihnen entgegenrannte und zuwinkte. Dann grinsten sie freundlich und schenkten mir einen Kaugummi oder Schokolade.

Natürlich mochte ich die Amis. Lässig saßen sie in ihren Jeeps, hatten ihre Schiffchen tief in die Stirn gezogen, die hellbeigen Krawatten steckten zur Hälfte in ihren Hemden. Der Beifahrer stellte seinen Fuß in dem auf Hochglanz polierten Schnürstiefel immer locker auf dem türlosen Einstieg ab. Und alle hatten sie den »Wo-sind-die-schönen-Fräuleins?«-Blick. Ja, so fuhren sie immer an mir vorbei und imponierten mir sehr.

Wenn Opa und Oma zu Besuch kamen, trug auch Opa eine Uniform. Eine graue. Schwere Stiefel, natürlich ebenso auf Hochglanz poliert wie die der Amis. Das war immer Omas Aufgabe gewesen. Ansonsten hatte er Reithosen an und darüber eine Uniformjacke aus einem so dicken Stoff, dass man damit nur aufrecht gehen konnte, wie mir schien. Auf dem Kopf schließlich saß eine riesige Kappe, deren Vorderseite so hoch war, dass man bei Gegenwind zu Hause bleiben musste. Opa wirkte stattlich und imposant. Die Amis dagegen waren lässig und locker. Letzteres gefiel mir besser.

Das Haus des Schreiners, der meinem Vater beim Bau unserer Holzhütte geholfen hatte, stand direkt neben uns. Seine Tochter, etwa sechs Jahre älter als ich, liebte es, am Fenster zu sitzen und unermüdlich ihr langes blondes Haar zu kämmen. Dabei drehte sie sich, irgendwelche Liedchen vor sich hinsummend, in alle Himmelsrichtungen. Und ich saß mit offenem Mund auf unserer Wiese, starrte hinauf zu ihrem Fenster und dachte: Ich glaube, das Leben wird schön, da kommt allerhand auf mich zu. Ich wurde auch in Oberndorf eingeschult. Die Schule stand, so glaube ich mich zu erinnern, auf dem Hauptplatz direkt neben der großen Kirche. Zu dem ersten Volksschuljahr, das ich in Oberndorf absaß, fällt mir noch ein, dass der Schulweg elend weit war. Am Morgen ging es zwar bergab, hinunter in das Dorf, während ich dann aber mittags beim Nachhauseweg logischerweise bergauf marschieren musste. Umgekehrt wäre es mir wesentlich lieber gewesen, denn ich fühlte mich nach dem Unterricht vom dauernden Blödsinnmachen sehr geschwächt. Außerdem hatte ich auf dem Heimweg immer entsetzlichen Hunger. Trotzdem ließ mich die ›Vorfreude‹ auf die Polenta so langsam dahinschleichen, dass ich oft erst am frühen Nachmittag daheim eintrudelte. Wenn sich dann die Nachbarstochter am Fenster kämmte, wurde es noch später.

Salzburger Intermezzo

Mein Vater eröffnete in Salzburg in der berühmten Getreidegasse ein kleines Kabarett-Theater, und wir zogen in die Festspielstadt, in der auch die Brüder meines Vaters lebten. Meine Großeltern waren inzwischen ebenfalls von Oberndorf nach Salzburg umgezogen. Das bedeutete für mich Siebenjährigen, die zweite Klasse Volksschule in einer neuen Umgebung absolvieren zu müssen. Genauer gesagt: in der Lehrerbildungsanstalt an der Pferdeschwemme beim Neutor. Dorthin hatte ich einen noch weiteren Schulweg, denn wir wohnten am Stadtrand in Maxglan in einem kleinen Mehrfamilienhaus. Die Wohnung war winzig, aber nebenan lebte eine Familie mit einer hübschen Tochter, die wieder älter als ich und schwarzhaarig war. Sie ließ mich meine große Sehnsucht nach der blonden Lorelei, der sich immer kämmenden ehemaligen Nachbarin, schnell vergessen.

Meine Großeltern, die ganz in unserer Nähe wohnten, hatten sich inzwischen einen Hund zugelegt, einen Boxer. Der pflegte zur Begrüßung an mir hochzuspringen, und zwar so ungestüm, dass er mich mit der Schnauze immer voll am Kinn erwischte. Damals noch etwas zart von Statur, flog ich dann zwei Meter weit, landete auf dem Rücken und dachte wirklich lange, diese Rasse würde deshalb Boxer genannt, weil die Hunde einem einen solchen Kinnhaken versetzen, der einen umwirft. Da ich schon als Junge sehr gelenkig war, ist mir bei diesen stürmischen Willkommen zum Glück nie etwas passiert.

Autos, Frauen und Marillenknödel

Die Söhne des Hausbesitzers hatten im Hof eine Autowerkstatt eröffnet. Da stand eine selbst gefertigte Auffahrtrampe. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich Autos von unten betrachten und zusehen, wie die beiden jungen Mechaniker daran herumschraubten. Für mich war das Faszination pur. Zwei Häuser weiter befand sich eine kleine Seifenfabrik. Zusammen mit dem gleichaltrigen Sohn des Hausbesitzers erkundete ich die gesamte Umgebung. Da gab es zum Beispiel einen Gemischtwarenladen, in dem ich die frischen Semmeln holen durfte, und ansonsten bretterten wir auf unseren Rollern über die vielen Wiesen, über Bäche und herrliche Schotterwege.

Mein Onkel Charly nahm mich oft mit in die Stadt, wenn er loszog, um Mädchen aufzureißen. Wie mir schien, war es seine Hauptbeschäftigung, in den Straßen und Cafés der Innenstadt nach schönen Frauen Ausschau zu halten. Ich musste dann immer meinen Kommentar dazu abgeben, wie ich die Frauen fand. Das fiel mir anfangs gar nicht so leicht. Ich begriff aber rasch, dass mein Onkel keine Sätze wie »Die ist nicht so hübsch wie meine Mama« hören wollte, sondern schon kernigere Einschätzungen. Ich lernte schnell. Sprüche wie »Das ist ein heißer Ofen« oder »Die hat einen hohen Wasserfall« waren bald schon reine Routine für mich. Weshalb er mich mitnahm, fand ich auch schnell heraus. Die Frauen sprachen uns nämlich meistens an: »Ist das aber ein herziges Kind! Ihres?« – »Nein, mein Neffe!« – »Aha.« – »Sind Sie schon lange in Salzburg?« Und schon war er im Gespräch. Salzburg war, vor allem während der Festspielzeit, für uns ›Aufreißer‹ ein wirklich gutes Pflaster. Es kamen sehr viele reiche Amerikaner in die Stadt und die wiederum zogen die hübschen jungen Frauen an. Dass manche Amerikaner tatsächlich auch deswegen kamen, weil sie glaubten, Mozart persönlich die Hand schütteln zu können, störte die Damen nicht. Beeindruckend war für sie, so schien es mir, dass die Amis keine spießigen Kleingeld-Portemonnaies hatten, sondern die Dollarscheine gleich bündelweise aus den Hosentaschen zogen.

Die Dankbarkeit, die ich meiner Mutter gegenüber empfinde, kann man nicht in Worten ausdrücken.

Am Sonntag kamen meistens Oma und Opa zu Besuch und meine aus Böhmen stammende Oma kochte. Zwetschgen- oder Marillenknödel bildeten den köstlichen Höhepunkt des Festmahls. Oma versteckte die Früchte in einem ganz dünnen Teigmantel mit braunen, knusprigen Semmelbröseln drumherum. Diese Knödel waren der absolute Wahnsinn und schmeckten so gut, dass auch die Brüder meines Vaters zum Essen kamen. Es war jedes Mal ein regelrechtes Ereignis. Charly brachte dann immer seine neueste Eroberung mit, die ich meistens schon kannte, weil wir sie zusammen aufgetan hatten.

Meine Großeltern machten auch Hausmusik. Oma spielte Klavier und Opa Geige. Ich war ein eifriger Zuhörer, während die anderen Familienmitglieder doch mehr die Kochkünste meiner Oma bevorzugten.

»Die kleinen Vier«

Mein Vater war immer sehr beschäftigt. Er war kreativ, fleißig und auch erfolgreich. So hatte er ein Kabarett-Ensemble gegründet, das er in Anspielung auf die vier (großen) Besatzungsmächte »Die kleinen Vier« nannte. Es war ihm gelungen, seinen Freund, den Nervenarzt Doktor Gunther Placheta, als Ensemblemitglied zu gewinnen. Er hatte ihn dazu überredet, sich als Kabarettist zu versuchen. Damit brachte er eine der ganz großen Filmkarrieren der Nachkriegszeit in Gang: die von Gunther Philipp.

Gunther war so komisch – er und mein Vater ergänzten sich gegenseitig genial bei den Höhepunkten der Programme, den sogenannten Doppelconférencen. Sie wurden auch »der Gscheite und der Blöde« genannt. Ich durfte Onkel Gunther zu ihm sagen. Sobald er mich sah, wackelte er unaufgefordert mit seinen Ohren und dem Haaransatz. Und vielleicht, weil ich mich darüber halb totlachen konnte, setzte er diese Kunststücke auch in allen seinen späteren Filmen ein und machte sie zu seinem Markenzeichen.

»Die kleinen Vier« waren von Anfang an erfolgreich. Am Klavier saß Peter Wehle, ein Meister des kritischen und humorigen Chansons. Eine Frau machte das Quartett komplett. Diese weibliche Besetzung wechselte zu Beginn sehr häufig, bis mein Vater die hervorragende Hilde Berndt gewinnen konnte. Anfangs spielte das Ensemble in Salzburg in der Getreidegasse, dann in Wien, im GOP Varieté-Theater in Hannover, im Annast am Odeonsplatz in München und zwischendurch auf Gastspiel-Tourneen.

Salzburg mochte ich sehr. Hier fühlte ich mich wohl. Wenn ich heute zurückdenke und mich in der Getreidegasse herumfetzen sehe, dann frage ich mich, wie das nur möglich war. Gab es damals so wenige Menschen auf der Welt? Heute herrscht in dieser Touristenhochburg ein Betrieb wie auf dem Münchner Oktoberfest.

Ich mochte meinen Schulweg, auch wenn er noch länger war als der in Oberndorf. Er führte mich auf Schusters Rappen durch das mir endlos lang erscheinende, aus dem Felsen gehauene Neutor, einen über hundert Meter langen Tunnel, der durch den Mönchsberg führt und die Altstadt mit dem Stadtteil Riedenburg verbindet. Der offizielle Name lautet Sigmundstor, doch in Salzburg sagen alle nur Neutor dazu.

Die Salzburger Festung Hohensalzburg und das Neutor waren die ersten Bauwerke, die ich als geniale menschliche Leistungen empfand. Ich erinnere mich, dass ich auf dem Mönchsberg meine ersten Skifahrversuche unternahm, auf die ich mächtig stolz war. Und ich weiß, dass ich die Geborgenheit in der ganzen Familie mit Mutti, Vati, Oma, Opa, den Nenn- und echten Onkeln und unserer Boxerhündin Asta liebte.

Aber dieses Glück war nur von kurzer Dauer. Bald zogen wir nach Wien, weil mein Vater dort bessere berufliche Perspektiven für sich sah. In Wien war die Elite des Kabaretts zu Hause: Gerhard Bronner, Karl Farkas, Georg Kreisler, Helmut Qualtinger, Ernst Waldbrunn, Cissy Kraner. Für mich bedeutete das wieder eine neue Umgebung, wieder eine neue Schule, wieder neue Freunde suchen.

Wien – fast wie New York

Wir übersiedelten in den Sommerferien. Zuerst wohnten wir bei einem Freund meines Vaters im zweiten Bezirk. Zur damaligen Zeit war Wien unter den vier Besatzungsmächten Amerika, England, Frankreich und Russland aufgeteilt worden. Der zweite Bezirk war russisch. Ich hörte nur, dass man nicht auf die Straße dürfe, weil das zu gefährlich sei. Bei Dunkelheit sogar lebensgefährlich. Frauen würden vergewaltigt; die Russen schrien »Ura, Ura«, und wenn man ihnen nicht sofort seine Uhr gäbe, würden sie einen umbringen. Es bestand aber auch kein Grund, auf die Straße zu gehen. Alles war grau, dreckig, von den Bomben zerstört – ein schrecklicher Anblick.

In der Wohnung war es allerdings auch nicht gerade gemütlich. Sie war riesengroß und besaß viele leere Räume, in denen es kaum Licht gab. Da es eine Parterrewohnung war, blieben die Jalousien immer zu. Man hatte einfach Angst vor allem. Elektrisches Licht hatten wir kaum, und so erschreckten mich die auf Holzstangen gespießten, bein-, arm- und kopflosen Frauenkörper immer wieder, die in allen Räumen im Halbdunkel gespenstisch herumstanden: Der Freund meines Vaters fertigte aus alten Zeitungen und Propagandazetteln Büsten für Damen, die sich ihre Kleider selber nähten. Das war eine glänzende Idee in einer Zeit, in der man irgendwie wieder zu Geld kommen musste und in der viel mehr selbst genäht wurde als heutzutage. Wo er die vielen alten Zeitungen herbekam, weiß ich nicht. Er legte sie jedenfalls den Modell stehenden zukünftigen Eignerinnen der Schneiderpuppen auf den Körper und überklebte sie Schicht für Schicht, bis der so entstandene Papiertorso halbwegs stabil war. Dann wurden die Damen mittels einer Schere aus diesem ›Korsett‹ befreit. Einige Wochen später, wenn die zwei Teile wieder zusammengefügt, dann mit weiteren Schichten Zeitungspapier beklebt und schließlich durchgetrocknet waren, konnten die Damen ihre Körperkopien abholen. Ich bewunderte die Cleverness des Freundes meines Vaters.

Trotzdem war ich einigermaßen erleichtert, als meine Eltern eine für uns ideale Wohnung im neunten Bezirk fanden. Es war ein amerikanischer Bezirk. Die Wohnung lag in einem Neubau und war winzig. Hier hatten wir keine Wiesen, Bäche und Schotterwege in der Umgebung wie in Salzburg. Aber immerhin war es die oberste Wohnung des Hauses im sechsten Stock, mit einem kleinen Balkon, und im Haus gab es einen Lift. Ich war begeistert. So hoch oben wohnt man eigentlich nur in New York, dachte ich. Auf dem Balkon ließ ich selbst gebastelte Fallschirme und Papierflugzeuge starten, und das Treppenhaus wurde mein erstes Trainingscamp. Ich war neun Jahre alt, wir wohnten – für damalige Begriffe – in einem Hochhaus mit Lift. Mein Vater schenkte mir, ich glaube zum Geburtstag, seinen Chronometer, den ich immer so sehr bewundert hatte. Fortan lief ich die Treppen zum (immerhin!) sechsten Stockwerk rauf und runter und stoppte die Zeit, die ich dafür brauchte. Ich versuchte, mich ständig zu verbessern. Ja, ich war ein ziemlich ehrgeiziges Bürschchen. Dabei hatte ich zuvor in der Schule immer damit angegeben, dass wir in einem Haus mit Fahrstuhl wohnten. Und nun ignorierte ich ihn oder benutzte ihn nur noch zum Hinunterfahren. Begeistert hat mich auch mein Klappbett. Eine geniale Erfindung, dachte ich. So platzsparend. Dass es in der Küche stand, fand ich anfangs auch toll. Ich hatte zum ersten Mal ein eigenes Zimmer. Den Nachteil, dass ich aufstehen und das Bett mangels Platz hochklappen musste, wenn meine Mutter das Frühstück machte, erkannte ich erst später.

An meine Schulfreunde kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, ich hatte gar keine. Ich war immer nur »der Neue«. Aber ich bekam auch nie Probleme mit meinen Schulkameraden, denn ich hatte mir ein gut funktionierendes System ausgedacht: Wenn ich wieder mal in eine neue Schule kam, spielte ich sofort den starken Max, der sich nichts gefallen lässt. Das war nicht so einfach, weil ich nicht danach aussah. Ich war zwar groß, aber dünn, und mit meiner kleinen Nase hatte ich eher ein Milchbubigesicht als das eines Schlägers. Dafür war ich sehr einfallsreich und immer gut drauf, wodurch ich schnell die starke Gruppe der Klasse auf meiner Seite hatte.

Tante Poldi, Onkel Willi und das Gerippe

Meinen Vater habe ich bewundert. Er war so fleißig. Er arbeitete beim Radio, spielte Operetten und sang nachts im Revue-Theater Casanova. Dort verkehrten vorwiegend Amerikaner, die Lieder aus ihrer Heimat hören wollten, Songs von Frank Sinatra, Dean Martin, Fred Astaire und so. Das war mein Glück, denn auf diese Weise bin ich schon in ganz jungen Jahren mit amerikanischer Musik in Berührung gekommen. Da mein Vater kein Englisch sprach, musste er die Songs phonetisch auswendig lernen. Dazu ließ er die Schellackschallplatten den ganzen Tag laufen, um sich die Texte einzupauken. Und ich lernte die Songs gleich mit – ich beherrsche auch heute noch die Texte vieler Lieder, die ich eigentlich nie gesungen habe.

»Die kleinen Vier« wurden immer beliebter. Sie spielten in Wien, gingen auf Tournee und hatten ihre ersten erfolgreichen Gastauftritte in München – im Annast am Odeonsplatz. Meine Mutter wollte meinen Vater immer dabei begleiten. Vielleicht wollte sie ihn auch deshalb begleiten, weil sie glaubte, dass er seinen wachsenden Ruhm und die damit verbundenen Chancen bei Frauen ganz fidel auskostete. Jedenfalls blieb ich in Wien, wenn meine Mutter mitfuhr, und wohnte bei Tante Poldi und Onkel Willi. Willi war der Bruder meines Opas, also eigentlich mein Großonkel, aber ich sagte Onkel zu ihm. Er war Maler und besaß nicht weit von uns ein Dachatelier. Es war eine riesige Wohnung, die mir aber – wie die des Freundes meines Vaters – Angst einjagte: zum einen, weil sie teilweise durch den Krieg beschädigt und nur notdürftig repariert worden war, und zum anderen, weil überall riesige, scheußliche Bilder an den Wänden hingen oder herumstanden. Onkel Willis Lieblingsmotiv war der Tod, den er als Gerippe darstellte, wie er mit einer nackten, sich wehrenden Frau im Arm auf einem weißen Pferd durch den Nebel ritt. Unter einem dieser etwa drei mal vier Meter großen, gruseligen Werke musste ich auf einer alten, unbequemen Liege schlafen, die jedes Mal knarrte, wenn ich mich bewegte, und mich aufschrecken ließ, weil ich dachte, es würden Einbrecher in das Haus eindringen. Ein Albtraum. Außerdem war die Wohnung nie aufgeräumt, sie verfügte nur über primitive Waschmöglichkeiten, also kein richtiges Bad, und so traf ich dort auch zum ersten Mal in meinem Leben auf Wanzen. Das Gute aber war, dass mich Onkel Willi mit seinen Ölfarben malen ließ. Er wollte einen bekannten Maler aus mir machen, einen großen Künstler. Das, was mein Vater tat, hatte in seinen Augen mit Kunst nichts gemein.

So überstand ich mein drittes Volksschuljahr also in Wien. Kaum war es vergangen, hatten meine Eltern schon wieder eine Überraschung für mich parat: Für das vierte Schuljahr wollten sie mir ein Internat schmackhaft machen. Im Alter von neun Jahren schon getrennt von den Eltern zu leben, fand ich ein wenig hart. Ich vermisste doch meine Oma, meinen Opa und die lustigen Onkel aus Salzburg eh schon so sehr, und jetzt sollte ich auch noch meine Eltern für eine lange Zeit nicht mehr sehen können. Ich war ziemlich traurig. Aber es half nichts. Für mich öffneten sich die Tore der privaten Schule am Laaer Berg bei Wien. Ich wurde also Internatsschüler dieser Anstalt. Sagen wir lieber »Heim«, das klingt besser.

Ben Hur – meine »erste« Rolle

Auch diesmal hatte ich die anderen Kinder – oder Mithäftlinge, wie ich sie gerne nannte – wieder schnell im Griff, weil ich ein Spiel erfand, das für meine Mitschüler zu einer echten Attraktion wurde: das römische Wagenrennen. Indianer und Cowboys haben mich als Kind eigenartigerweise nie interessiert, dafür aber mit Degen und Schwert kämpfende Helden wie Robin Hood, Zorro, Sindbad der Seefahrer oder Ivanhoe der schwarze Ritter. Ich denke, ich mochte sie deswegen so sehr, weil sie nach ihren Kämpfen immer von den Frauen angehimmelt wurden und auch verstanden, dies auszunutzen, während sich die Cowboyhelden meistens tollpatschig und dumm aus dem Staub machten und weiterritten. Zumindest war es so in den Filmen, die ich gesehen habe. Ich habe das nie verstanden.

Die »Tolle«, in den 50er-Jahren versehentlich als »Revolution« bezeichnet, trug ich schon als Kind.