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Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Suchtstoff Zucker: Forschungen zeigen, dass schon Kinder auf Abhängigkeit programmiert werden, oft bereits im Mutterleib. Viele essen Zucker, ohne es zu wollen, versteckt als Konservierungsstoff in Industrienahrung. Die Lawine rollt: Weltweit leiden immer mehr Menschen an den Folgen des Zuckerkonsums. Unabhängige Wissenschaftler warnen vor den Risiken, u.a. vor Übergewicht, Alzheimer, Krebs. Und vor allem: der Zuckerkrankheit Diabetes. 44 Milliarden Euro kostet sie jährlich allein in Deutschland. Die Zucker-Mafia: Seit Jahrzehnten hat die Zucker-Lobby die Politik im Griff. Der Verkauf wird gefördert, die Nebenwirkungen werden verharmlost, mit freundlicher Unterstützung von Staat und Wissenschaft. Grimm macht erstmals den skandalösen Zusammenhang von staatlicher Zuckerförderung und Volkskrankheiten öffentlich. Hans-Ulrich Grimm zeigt die globalen Verflechtungen auf, er berichtet über die Leiden der Opfer, die Interessen im Hintergrund und die Auswege aus der Zuckerfalle.

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Hans-Ulrich Grimm

Garantiert gesundheitsgefährdend

Wie uns die Zucker-Mafia krank macht

Knaur e-books

Über dieses Buch

Suchtstoff Zucker: Forschungen zeigen, dass schon Kinder auf Abhängigkeit programmiert werden, oft bereits im Mutterleib. Viele essen Zucker, ohne es zu wollen, versteckt als Konservierungsstoff in Industrienahrung.

Die Lawine rollt: Weltweit leiden immer mehr Menschen an den Folgen des Zuckerkonsums. Unabhängige Wissenschaftler warnen vor den Risiken, u.a. vor Übergewicht, Alzheimer, Krebs. Und vor allem: der Zuckerkrankheit Diabetes. 44 Milliarden Euro kostet sie jährlich allein in Deutschland.

Die Zucker-Mafia: Seit Jahrzehnten hat die Zuckerlobby die Politik im Griff. Der Verkauf wird gefördert, die Nebenwirkungen werden verharmlost, mit freundlicher Unterstützung von Staat und Wissenschaft. Grimm macht erstmals den skandalösen Zusammenhang von staatlicher Zuckerförderung und Volkskrankheiten öffentlich.

Inhaltsübersicht

1. Achse des Bösen2. Voll auf Zucker3. Mach dir Freude auf4. Kleine Vampire5. So schmeckt Glück6. Süße Macht7. Graf Dracula in der Blutbank8. Im falschen Film9. Urwald auf dem Dach10. Von Natur aus gut11. LiteraturA. BücherB. Artikel und Aufsätze
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1. Achse des Bösen

Die giftige Wahrheit über den Zucker

Der Mann, der niemals Cola trinkt / Das trügerische Vertrauen in die Unschädlichkeit des Süßen / In der Bibel gibt es keinen Zucker, und auch nicht im Koran / Fettleber wie bei Alkoholikern – durch Schokoriegel und Süßgetränke / Je mehr Zucker, desto schlechter das Cholesterin / Heute würde man den Zucker verbieten

Natürlich liebt auch er Süßes. Alle lieben Süßes, nicht nur die Kinder, auch die Großen. Schokolade, Bonbons, Limonade, Gummibärchen, viele können gar nicht mehr aufhören. Abends noch einen Schokoriegel, morgens Zucker im Kaffee, nachmittags einen Kuchen zum Tee. Zuckersüß ist völlig normal geworden. Zucker versüßt den Alltag.

Was aber nun dieser Mann sagt, klingt beunruhigend. Er nennt den Zucker nicht nur einen Dickmacher, er sagt: Zucker ist Gift.

»Ein wenig ist kein Problem. Aber viel davon tötet – langsam.«

Dass Zucker nicht wirklich gesund ist, weiß eigentlich jeder. Andererseits gibt es überall Eis und Cola-Automaten und Mars und Snickers und Smarties. So schlimm kann es auch wieder nicht sein, sonst wäre es ja verboten.

Doch was er sagt, klingt plausibel, er kann es auch gut begründen. Er muss es wissen, er ist schließlich Arzt, Medizinprofessor sogar, kein Rebell, ein hochangesehenes Mitglied der Wissenschaftsgemeinde. Graumelierte Haare, Sakko und Krawatte. Der Mann formuliert sorgfältig, spricht leise und wohlüberlegt.

Robert Lustig ist Professor an der Universität von Kalifornien in San Francisco. Wenn er eingeladen wird, ist er in der Regel der Stargast. Gerade hat er auf dem Kongress seinen Vortrag gehalten, in dem riesigen Saal, fast so groß wie ein halbes Fußballfeld. Rechts und links vom Podium die Video-Leinwände, auf denen der Redner zu sehen ist. Im Publikum Hunderte von Fachleuten, sie machen sich Notizen.

In der Pause gibt es Obst, Sesambällchen, gedünstetes Gemüse, grünen Spargel, Paprika, Karotten, Kaffee und biologische Mandelmilch.

Lustig hat über das steigende Übergewicht gesprochen, über die Wirkung des Zuckers aufs Gehirn. Er hat Statistiken und wissenschaftliche Studien präsentiert, Fotos von fetten Menschen gezeigt, und wie schlank sie später waren. Er hat über den Geschmack des Süßen gesprochen, der Vertrauen suggeriert – tückischerweise.

Nach seinem Vortrag wird er in einen Nebenraum gebeten. Ein Fernsehteam hat schon die Kamera aufgebaut. Eine Palme, blühende Zimmerpflanzen auf dem Tischchen. Licht aus, Scheinwerfer an: Professor Lustig gibt einem Dokumentarfilmer ein Interview.

Danach kommt er an den großen Tisch, für ein paar Fragen, vor allem zu seinen persönlichen Konsequenzen.

 

»Herr Professor Lustig, wie halten Sie es persönlich mit dem Süßen?«

Lustig: »Ich gebe zu, es schmeckt gut. Das zu leugnen wäre lächerlich.«

»Sie essen Schokolade?«

Lustig: »Sicher. Ich esse dunkle Schokolade, immer mal wieder, aber sehr selten.«

»Und sonst?«

Lustig: »Ein Dessert nach dem Essen, vielleicht zweimal im Jahr. Und in New York esse ich mal einen Junior’s Cheesecake, den New Yorker Käsekuchen.«

»Eiskrem?«

Lustig: »Nein.«

»Coca-Cola?«

Lustig »Niemals.«

»Angst vor Kalorien?«

Lustig: »Es geht nicht um die Kalorien. Es geht um die Rolle im Körper. Zucker hat einzigartige Konsequenzen im Körper. Er ist ein Gift an sich.«

 

Ein Gift an sich.

Lustigs berühmtester Vortrag, den seine Universität ins Internet gestellt hatte, wurde beim Video-Dienst YouTube binnen kurzem millionenfach angeklickt. Was er sagt, findet auch in den großen Medien international Beachtung. Er schreibt in Nature, dem weltweit wichtigsten Wissenschaftsjournal (»Die giftige Wahrheit über Zucker«). Das Magazin der New York Times widmete ihm eine Titelgeschichte (»Ist Zucker giftig?«). Dem britischen Fernsehsender BBC war er der Gewährsmann in einem Film, in dem es um das zunehmende Übergewicht ging (»Die Menschen, die uns dick machen«). Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel stützte eine Titelgeschichte auf seine Thesen (»Droge Zucker«).

Lustig ist ein renommiertes Mitglied der Wissenschaftsgemeinde, Professor für Kinderheilkunde, Spezialist für die Mechanismen im Gehirn, die zum Übergewicht führen. Er war Vorsitzender des Sonderausschusses Übergewicht (Obesity Task Force) der zuständigen medizinischen Fachgesellschaft in den USA und Mitglied im Lenkungsausschuss einer Internationalen Allianz von Hormonforschern zur Bekämpfung des Übergewichts. Durch seine Erfahrungen mit Kindern, bei denen im Gehirn plötzlich die Systeme zur Regulierung des Gewichts entgleisen, stieß er auf den Zucker.

Bei vielen der Krankheiten, die jetzt zu weltweiten Epidemien werden, spielt der Zucker eine tragende Rolle. Bei den sogenannten Zivilisationskrankheiten ist zumeist nicht die Zivilisation die Ursache, sondern der Zucker. So jedenfalls lautet der Verdacht, der sich stetig weiter erhärtet, durch immer weitere wissenschaftliche Studien, von Professor Lustig und vielen anderen Forschern in aller Welt.

Beim Übergewicht zum Beispiel. Wenn immer mehr Menschen auf der Welt dick werden, dann könnte das an den versteckten Talenten des Zuckers liegen, denn er kann sich auch in Fett verwandeln. Und damit kann er das Risiko für Herzkrankheiten erhöhen. Bisher hatten die Fachleute ja die Blutfette wie das Cholesterin in Verdacht – jetzt zeigt sich: Das Blutfett ist womöglich, zumindest teilweise, nur verwandelter Zucker.

Bei Diabetes, der Zuckerkrankheit, hatten die Laien ja schon immer gewusst, dass der Zucker schuld ist. Der Name sagt es ja schon. Die Fachleute hatten das bestritten. Diese unterscheiden auch zwischen verschiedenen Typen, Diabetes Typ 1 und Typ 2. Jetzt zeigt sich, dass diese »mehr Gemeinsamkeiten haben als bisher angenommen«, so der Schweizer Diabetologe Professor Marc Y. Donath.

Im Lichte der neueren Erkenntnisse sieht es so aus: Die Laien hatten recht. Es ist der Zucker in erster Linie, der die Probleme macht. Und der auch verantwortlich ist für die vielen Folgekrankheiten, die mit der Zuckerkrankheit einhergehen.

Sogar bei der Alzheimerkrankheit kann er eine Rolle spielen. Manche Forscher sprechen schon von der »Zuckerkrankheit des Gehirns«. Von einer frühen Form der geistigen Minderleistung sind jetzt auch schon Kinder bedroht. Denn auch sie sind heute oft schon zuckerkrank.

Schließlich der »König der Krankheiten«: Krebs. Wenn im Körper plötzlich unkontrolliert Zellen wachsen und immer weiter wachsen, weil sie offenbar gut genährt werden, dann könnte das an der Nahrung liegen: Zucker. Krebszellen lieben Zucker. Das haben Forscher in den letzten Jahren herausgefunden.

Die Vereinten Nationen haben zum Kampf aufgerufen gegen die neuen Menschheitsgeißeln, die mehr Opfer fordern als alle bisherigen Katastrophen, Seuchen, ja sogar Kriege: 35 Millionen Menschen sollen daran jedes Jahr sterben. Und meist ist der Zucker im Spiel.

Dabei gilt er doch als Quell der Freude, als Seelentröster, Energiespender. Schokolade, Bonbons, Pralinen: Sie versüßen das Leben. Das sind doch die schönen Seiten des Alltags. Papa, Eis! Bitte ein Magnum! »Viele, viele bunte Smarties«! Coca-Cola, das ist doch die »Mission Lebensfreude«, wie es in der Werbung heißt. Viele Werbesprüche sind Klassiker, gehören zum kollektiven Sprücheschatz: »Mars macht mobil – bei Arbeit, Sport und Spiel!« Und »Red Bull verleiht Flüüügel«.

Die Werbung wirkt, weil der Mensch empfänglich ist für das Süße. Und der Mensch ist empfänglich für die Reize des Zuckers, weil das Gehirn so programmiert ist. Und das Gehirn reagiert so sensibel auf Süßes, weil der Körper Zucker braucht. Zucker ist seine wichtigste Energiequelle. Ohne Zucker wären die Organe im Körper nicht funktionsfähig. Ohne Zucker kein Gedanke: Das Gehirn, obwohl nur zwei Prozent des Körpergewichts, braucht 20 Prozent der Energie. 25 Watt, so viel wie eine kleine Glühbirne, die sozusagen ständig brennt.

Weil der Zucker so wichtig ist, kann der Körper ihn aus fast jeder Nahrungsquelle gewinnen, die die Natur ihm bietet. Aus Erdbeeren, aus Kirschen, aus Kartoffeln und Reis. Sogar, indirekt, aus Schweinespeck und Walöl.

Was die Natur allerdings nicht kennt, ist Zucker pur. Das weiße, süße Pulver kommt in der Natur nirgends vor. Es wächst nicht auf Bäumen, es gibt auch keine Zuckervorkommen unter der Erde, kein Zuckerbergwerk. Die alten heiligen Bücher erwähnen Zucker überhaupt nicht. In der Bibel gibt es keinen Zucker, im Koran auch nicht.

Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen die Leute ganz ohne Zucker ausgekommen sind, ganz ohne die weißen Kristalle, die den Kaffee süßen, ohne Süßigkeiten, ohne Schokolade. Für den menschlichen Körper allerdings war das über Jahrmillionen der Normalzustand, dafür ist er ausgelegt.

Bis das weiße Pulver auf ihn traf, war es ein weiter Weg. Zucker ist das Produkt menschlicher Mühen, ein Produkt der Industrie und mit deren Geschichte auf das engste verknüpft. Erst als weißes Pulver, aus Zuckerrübe und Zuckerrohr, konnte der Zucker die Welt erobern. Nur pur kann der Zucker beinahe unbegrenzt lange halten, überallhin transportiert werden und so auch in der Industrie zum Einsatz kommen, in der Cola, in der Milchschnitte, im Bubble Tea.

Der Zucker ist das erste Produkt der Industrialisierung der Nahrung. Und er ist ein durchschlagender Erfolg. Kein anderes Nahrungsmittel hat das Geschmacksempfinden so sehr verändert, Freude und Vergnügen bereitet. Zucker ist der Inbegriff des angenehmen Lebens: Das süße Leben. La dolce vita.

Immer mehr Menschen sind seinen Reizen erlegen. Der Zucker hat die Geschicke von Individuen beeinflusst, von Familien, von ganzen Nationen. Immer größer wurde seine Macht – und die Macht derer, die ihn besaßen. Sogar Kriege wurden geführt für den Zucker. Kaiser und Könige haben seine Karriere gefördert – und selbst davon profitiert. Zucker hat die Weltgeschichte geprägt wie kein anderes Nahrungsmittel.

Zucker ist Energie, gespeicherte Sonnenenergie in ihrer reinsten Form – »Sonne zum Essen«, wie es ein Werbespruch formulierte. Zucker ist sozusagen die Materialisierung des Lichts.

Doch Energie im Übermaß wirkt explosiv.

Kein anderes Nahrungsmittel hat solche Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen auf diesem Planeten. Jetzt hat die Weltgemeinschaft mit seiner Zerstörungskraft zu kämpfen. Die Staaten stehen unter Druck. Jetzt sind sie mit den Folgen konfrontiert, die Gesundheitssysteme sind schon überfordert mit den zuckerbedingten Krankheiten. Der Zucker droht sozusagen die Sozialsysteme zu sprengen.

Die Politik muss reagieren – und ist doch selbst verstrickt in das System. Denn seit Jahrhunderten unterstützen die Staaten den Zucker, mit Milliardengeldern, mit fördernden Gesetzen. Sie begünstigen die Produzenten, und sie leisten sogar dem Verbrauch Vorschub. Und sie sind engstens verbunden mit den Profiteuren. Es ist ein süßes System, das die ganze Welt umfasst.

 

Die »Zuckermafia«, so hat die Wochenzeitung Die Zeit dieses System einmal genannt. Die »Zuckermafia« ist natürlich keine richtige Mafia. Sie tut ja nichts Illegales. Strafen drohen nicht. Auch wenn die Zahl der Opfer in die Millionen geht. Die Zuckermafia ist sozusagen die bessere Mafia.

Die »Zuckermafia«, wenn man es so nennen mag, ist ein sehr erfolgreiches Netz aus Firmen und Einzelnen, die sich dem Zuckeranbau und seiner Verbreitung widmen, es gehören die Bauern dazu, die Zuckerkonzerne, die Food-Industrie, natürlich die Softdrink-Riesen, und alle haben Verbindungen in die höchsten politischen Kreise. Überall auf der Welt, wo es sie gibt.

Das macht es schwer, die Macht des Zuckers zu brechen. Zumal die schädlichen Folgen des Zuckers, wiewohl belastend für die Kranken, andererseits auch wieder ein einträgliches Geschäft sind: für die Medizin, die pharmazeutische Industrie, die Forschung, die sogenannte Gesundheitswirtschaft. Für die ist das natürlich ein Wachstumsmarkt, der auf stete Zuckerzufuhr angewiesen ist.

Solange es kein weißes Pulver gab, gab es auch nicht die zugehörigen Krankheiten. Denn Zucker ist von Natur aus völlig unschädlich, in den Pflanzen, in denen er vorkommt, und in den Mengen, die sie beinhalten.

So wurden über Jahrhunderte hinweg keinerlei einschlägige Schäden bekannt in jenen Weltgegenden, die den frühesten Kontakt mit den Zuckerpflanzen hatten; jedenfalls ist nichts überliefert.

In der Südsee beispielsweise. Dort hatte das Zuckerrohr seine ursprüngliche Heimat: in Neuguinea, der Insel 200 Kilometer vor der Nordostspitze Australiens, gab es Zuckerrohr (Saccharum officinarum L.) schon vor über 10000 Jahren. Nur Schäden gab es dort keine. Auch in Indien blieb alles unauffällig, wo das Zuckerrohr vor ungefähr 8000 Jahren ankam; General Nearchus berichtete Alexander dem Großen, dass in Indien »ein Schilf ohne Hilfe der Bienen Honig« hervorbringe. Ohne Nebenwirkungen. Auch den Chinesen konnte die Zuckerpflanze nichts anhaben. Im Reich der Mitte war das Zuckerrohr ebenfalls um jene Zeit schon bekannt. »Zuckerlikör« war dort ein süßer, fermentierter Saft. Negative Folgen sind auch hier nicht überliefert. Der Zucker war noch eingebunden in seinen natürlichen Zusammenhang. Vor dem Jahr 500 nach Christus gab es nirgendwo auf der Welt puren Zucker, nirgendwo Hinweise auf die Zuckerherstellung. Und nirgendwo Berichte über nennenswerte Risiken und Nebenwirkungen.

Es waren die Könige des Westens, die die Folgen des Zuckers spürten: als Erstes im Mund. Wie König Ludwig II. von Bayern (1845–1886), der bereits in jungen Jahren kaum noch Zähne hatte. Weil er sich weigerte, seine Zahnprothese zu tragen, musste sein Leibkoch und Haushofmeister Johann Rottenhöfer viele Speisen pürieren oder haschieren, damit sie der König überhaupt zu sich nehmen konnte. In seiner Jugend war Ludwig geradezu süchtig nach Süßigkeiten und Lakritze gewesen.

 

Es war ein weiter Weg für den Zucker vom unscheinbaren Naturbestandteil zur Menschheitsgeißel. Den ersten Schritt unternahmen Perser und Araber. Und bei ihnen zeigten sich auch bald schon die Symptome. Um 600 nach Christus entdeckten persische Gelehrte das Verfahren zur Kristallisierung des Zuckers, sie erfanden den Zuckerhut, legten damit die Grundlage für die weltweite Karriere der süßen Kristalle. Als die Araber nach Europa vorstießen, legten sie auch in Spanien Zuckerrohrfelder an.

Doch erst als sich die Europäer ein paar hundert Jahre später aus anderen Gründen persönlich ins Morgenland begaben, konnten sie sich bei dieser Gelegenheit einen Eindruck verschaffen von dem »Honigschilf, das sie dort Zucra nennen«, wie der Kreuzfahrer Albert von Aachen schrieb, ganz fasziniert von der Wirkung: »Die Leute saugten die Rohre mit Wonne aus, freuten sich über den wohltuenden Saft und konnten sich wegen dieser Süßigkeit an diesem Genusse gar nicht ersättigen.«

Noch aber war der Zucker nur eine Angelegenheit von örtlicher Bedeutung, in den Zuckerzentren des Morgenlands. Erst als die Europäer die Sache in die Hand nahmen, sollte sich das ändern. Als diese sich anschickten, die Welt zu beherrschen, sollte der Zucker dabei von Beginn an eine tragende Rolle spielen. Sie mussten dafür allerdings erst die Kräfte freilegen, die im Zucker stecken und die bisher verborgen waren in der natürlichen Umhüllung. Erst damit war der wahre, der kultivierte, auch der massenhafte Genuss möglich. Erst damit waren aber auch die Nebenwirkungen möglich, die heute die Menschen massenhaft plagen. Es liegt nicht nur am Zucker, es liegt auch an seiner Verfügbarkeit, überall auf der Welt, an jedem Ort, zu jeder Stunde.

Professor Lustig: »Die Natur hat es schwergemacht, Zucker zu bekommen. Der Mensch machte es einfach.« Er hielt seinen Vortrag an historischer Stelle. Lustig ist von San Francisco nach Boston gereist, zu diesem Kongress über Ernährung und Gesundheit im Westin Boston Waterfront Hotel. Das Publikum ist leger gekleidet, Polohemden, Sommerkleider. Draußen laufen ein paar Jogger vorbei.

Es ist ein weitläufiges Gelände am ehemaligen Hafen mit riesigen Hotelkomplexen aus Glas, Stahl, Beton. Eine Brücke führt in die Stadt, ein paar Wolkenkratzer sind in der Ferne zu sehen, hier jedoch stehen viele Backsteinhäuser, Restaurants direkt am Wasser, und ganz in der Nähe liegt auch der geschichtsträchtigste Fleck in den Vereinigten Staaten von Amerika, jene Stelle am Hafen, an der am 16. Dezember 1773 einige als Indianer verkleidete Bürger Bostons die Boote enterten und 342 Teekisten von den dort ankernden Schiffen ins Hafenbecken warfen.

Das Land war damals noch eine Kolonie Großbritanniens, der Aufstand gilt als frühe Demonstration der Unabhängigkeit und ging als »Boston Tea Party« in die Geschichte ein – ein Protest gegen die Steuerpolitik des Mutterlandes Großbritannien, wobei es, nach Auffassung mancher Historiker, nicht in erster Linie um Tee, sondern auch um den Zucker ging, der damals vor allem aus der Karibik kam und der mit verschiedenen Gesetzen (»Sugar Act«, »Molasses Act«) stärker besteuert werden sollte, zugunsten des britischen Königs. Es könnte also eigentlich auch »Boston Sugar Party« heißen.

Es war jene Zeit, in der Zucker zum Massenprodukt wurde; auf den karibischen Inseln wurde er unter großem Aufwand, unter Einsatz von Sklaven, in jenes weiße Pulver verwandelt, das die Welt verändern sollte. Plötzlich war durch das süße Pulver auf einen Schlag Energie im Überfluss verfügbar. Das ist besonders verhängnisvoll, gerade bei einem lebensnotwendigen Stoff wie dem Zucker, den der Körper aus vielen Quellen gewinnen kann. Der Körper kann Fett in Zucker verwandeln und Zucker in Fett. Und so betreibt er auch seine Vorratswirtschaft. Wenn einmal zu viel Zucker ankommt, verwandelt er den einfach in Fett und lagert ihn ein für schlechte Zeiten. Bei Bedarf wird das Depot dann wieder zurückverwandelt in Zucker. »Glukoneogenese« heißt das Fachwort dafür, etwa: »Zuckerneuentstehung«.

Pfiffig gedacht. Genial angelegt. Damit kann der Mensch überall auf der Welt überleben, mit jeder Art von Nahrung. Eine wunderbare Fähigkeit, von geradezu existenzieller Bedeutung, für den einzelnen Menschen und für die ganze Gattung.

Doch genau das ist es, was dem Körper heute zum Verhängnis wird.

Denn jetzt gibt es Zucker im Überfluss. Es gibt Coca-Cola jeden Tag und Nutella zum Frühstück und Kellogg’s Frosties und Fruchtzwerge und das ganze Arsenal von Ferreros Kinder-Zuckerbomben. Bei vielen Menschen, vor allem Kindern, hört die Zuckerflut ja nicht auf.

Damit beginnt eine verhängnisvolle Kettenreaktion. Der Körper reagiert zunächst, wie er es für sinnvoll hält, und steckt es in seinen Speicher: die Leber.

 

Lustig: »Die Leber muss das verarbeiten und hat keine andere Möglichkeit, als das in Leberfett zu verarbeiten. Wenn sie es in Leberfett verwandelt, wird sie krank.«

»Eine Fettleber, wie bei Alkoholikern?«

Lustig: »Sie kann nicht mehr angemessen reagieren. Die Bauchspeicheldrüse muss zusätzlich Insulin produzieren, damit die Leber ihren Job machen kann. Das erhöht die Insulinlevel überall im Körper. Das verwandelt Energie in Fettzellen.«

»Ein Teufelskreis.«

Lustig: »Das erhöht das Übergewicht. Zusätzlich, wenn das Insulin in die Höhe geht, meldet das Ihrem Gehirn, Sie sind immer noch hungrig. Das wiederum veranlasst Sie dazu, mehr zu essen.«

»Wir können nicht mehr aufhören?«

Lustig: »Also: Zu viel Zucker führt zu Insulinresistenz, Stoffwechselkrankheiten, vorzeitigem Altern. Und es führt wiederum zu erhöhtem Verzehr, so entsteht ein unendlicher Kreislauf aus Zuckerverzehr und Krankheit. Das ist es, was es zum Gift macht.«

»Und die entsprechenden Krankheiten verursacht?«

Lustig: »Krebs, Demenz, Eierstockkrankheiten, Herzkrankheiten, Veränderungen der Blutfettwerte, Schlaganfall, Diabetes, Übergewicht. Das sind alles chronische Stoffwechselkrankheiten.«

»Was wäre also zu tun? Müsste die Regierung der Nahrungsindustrie strengere Regeln auferlegen?«

Lustig: »Die Regierung ist auf der Seite der Nahrungsindustrie. Die Regierung will sich damit also nicht auseinandersetzen. Unglücklicherweise ist das ein Feld, auf dem unsere Gesetzgeber und die zuständigen Branchen eng verbunden sind. Das ist wie mit den Führungseliten in Bananenrepubliken. Die Wissenschaft sollte da die Politik antreiben.«

»Wobei viele Wissenschaftler allerdings der Industrie sehr nahestehen.«

Lustig: »Ich nicht.«

 

Robert Lustig ist der wichtigste Kritiker des Zuckers. Aber er ist nicht einzige. Einer der ersten, der auf die Verwandlungskünste des Zuckers im Körper und auf die komplexen Krankheitsfolgen hingewiesen hatte, war der englische Mediziner und Ernährungswissenschaftler John Yudkin, Professor am Queen Elisabeth College in London. In Büchern wie seinem Klassiker »Süß, aber gefährlich« (»Pure, White and Deadly«) aus dem Jahr 1972 hatte er den Zucker als Auslöser zahlreicher Krankheiten identifiziert.

Zucker ist für Yudkin ein Schadstoff von nahezu universeller Bedeutung. Zucker, sagte Yudkin, würde, wenn er ein Zulassungsverfahren durchlaufen müsste, nicht auf den Markt kommen. Mehr noch: »Wenn sich auch nur ein kleiner Teil dessen, was wir über die Auswirkungen von Zucker gesichert wissen, für irgendeinen anderen Nahrungsmittelzusatz stichhaltig nachweisen ließe, würde dieser Stoff mit Sicherheit verboten werden.«

Für seine Experimente hatte er Zucker und Stärke verfüttert an Nagetiere, Hühner, Schweine, Hasen und Collegestudenten. Er stieß dabei auf Zusammenhänge zwischen Zucker und ganz verschiedenen Krankheiten. Karies beispielsweise. Und Diabetes.

Er fand heraus, dass Zucker auch die Blutfettwerte des Körpers verändert, die sogenannten Triglyzeride, die als Risikofaktor für Herzkrankheiten gelten.

Eine sensationelle Erkenntnis. Es ist nicht das Fett, das die Fettwerte im Blut bei vielen Menschen verschlechtert. Es ist der Zucker, der im Übermaß vorhanden ist und im Körper in Fett verwandelt wird zu Zwecken der Vorratshaltung. Sogar die gefürchteten Cholesterinwerte – sie werden beeinflusst vom Zucker. Der Zucker ist es, der zur Verschlechterung der Cholesterinwerte führt.

So wäre es also sinnvoll, bei Angst vor schlechten Cholesterinwerten auf den Zucker zu achten. Doch die Menschen achten nicht auf den Zucker, sondern auf den Fettrand am Schinken und aufs Frühstücksei, sie essen fettarm, und um den Zucker kümmern sie sich nicht. Denn in der Wissenschaft hat sich nicht Zuckerkritiker Yudkin durchgesetzt, sondern die konkurrierende Theorie, die nicht den Zucker, sondern das Fett als Krankheitsauslöser betrachtete.

Das Fett ist sichtbar, der Speck am Bauch und an den Hüften. Es ist dem Fett nicht mehr anzusehen, dass es eigentlich verwandelter Zucker ist, der Zucker aus dem Cappuccino, aus Kuchen, Keksen, Muffins, Milchschnitten, der Cola. Verwandelt in Fett, gespeichert für Notzeiten, gemäß einem Programm aus dem Ordner für Überlebensstrategien.

Diese Fähigkeit des Körpers, Zucker in Fett zu verwandeln, wird ihm nun zum Verhängnis. Was eigentlich eine Überlebensstrategie war, wird nun zur lebensgefährlichen Falle. Denn es kommen ja keine Notzeiten, es kommen wieder Colas und Gummibären und Milchschnitten, wieder überflüssiger Zucker, der wieder verwandelt wird in Fett. Da die Zuckerflut aber nicht aufhört, wird es immer mehr Fett, die Lagerstätte Leber ist irgendwann überfüllt, dann werden die anderen Organe nach und nach mit Fett überzogen, einer gelblichen Masse wie beim Maishähnchen. Das sieht aus wie Fett, ist auch Fett. An den Laborwerten nach der Blutuntersuchung sieht niemand mehr, dass das Fett eigentlich verwandelte Gummibärchen und Kinder-Milchschnitten sind, beim Hähnchen ist es verwandelter Mais. Der Zucker hat sozusagen seine Spur verwischt, die Verfolger sind abgelenkt. Alle starren auf das Fett, auf die Fettwerte im Blut.

Der Zucker wurde nicht verboten. Mehr noch: Er wurde sogar noch gefördert. Und obwohl er eigentlich das Problem war, war er nun Bestandteil der vermeintlichen Lösung. Denn zugleich begann der Aufschwung eines neuen Wirtschaftssektors, der Siegeszug der Fettreduzierungsindustrie. Low-fat-Joghurt, fettarme Milch, Quark mit 0,1 Prozent Fett, völlig fettlose Fitness-Drinks. Das Fett als Geschmacksträger wird entfernt, der Geschmack kommt fortan vom Zucker.

Zum Beispiel bei den Abnehmprodukten von den Weight Watchers, der Lasagne Bolognese, dem Jägerrahmschnitzel mit Champignons, dem Frischen Dressing Sylter Art. Wenn das Fett fehlt, kommt Zucker rein: So ist das auch beim Rewe Joghurt Dressing 5,5 Prozent Fett, dem Nadler Joghurt Kartoffelsalat mit Schnittlauch mit 7 Prozent Fett oder dem Du-darfst-Produkt Fruchtiger Geflügel Salat mit 8 Prozent Fett. Oder Danone Activia Erdbeere mit 0,1 Prozent Fett – aber fast 10 Prozent Zucker.

Für die Firmen, die den Zucker in die Welt bringen, ist das natürlich eine erfreuliche Situation. Alle Welt starrt seit Jahrzehnten auf das Fett, und der Zucker kann in aller Ruhe weiter verkauft werden. Verständlich, dass die Industrien aus dem süßen Komplex immer wieder unfreundlich reagierten, wenn jemand das Augenmerk auf den Zucker lenken wollte.

Als zum Beispiel ein Verbraucherverband vor Jahren eine Broschüre mit dem Titel »Schadstoff Zucker« herausbrachte, klagte sogleich die Lobbyvertretung der deutschen Zuckerindustrie, die »Wirtschaftliche Vereinigung Zucker«, vor Gericht – doch ohne Erfolg: Das Hanseatische Oberlandesgericht stellte sich auf die Seite der Verbraucher und urteilte, dass »im Zucker ein nicht zu vernachlässigendes Gefährdungspotenzial steckt« (3 U 11 / 87 74 C 235 / 86).

Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker schickte auch einen Anwalt los gegen den deutschen Arzt Max Otto Bruker (1909–2001). Er zählte zu den herausragenden Kritikern des Zuckers. Als Bruker sein erstes Buch über Zucker publiziert hatte, kam gleich Post von Martin Holste, Rechtsanwalt aus Hamburg.

»Sehr geehrter Herr Dr. Bruker«, schrieb dieser. »Bei aller Würdigung der Freiheit von Lehre, Forschung und Wissenschaft können die von Ihnen seit einiger Zeit in der Bekämpfung des Zuckers wegen dessen angeblicher Gesundheitsschädlichkeit angewendeten Mittel nicht gebilligt werden.«

Bruker hatte sich an Zeitungen und Zeitschriften gewandt und sie um Einstellung der Werbung für Zucker gebeten mit Hinweis auf dessen schädliche Wirkungen. Damit war der Anwalt gar nicht einverstanden, wie Bruker in seinem Buch »Zucker, Zucker« berichtet, denn: »Damit verletzen Sie die Rechte der Zuckerfabrikanten auf ungestörte Ausübung ihrer eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebe.« Und er kündigte Schadensersatzforderungen an, wenn Bruker seine Aktivitäten nicht einstelle. Was der Zuckerkritiker allerdings nicht tat.

Bruker sieht den Zucker als Hauptverdächtigen nicht nur bei Karies, Herzinfarkt, Fettsucht, Diabetes, Leberschäden und Krebs. Auch rheumatische Erkrankungen wie Arthrose und Arthritis, Wirbelsäulen- und Bandscheibenschäden, Gallensteine, Nierensteine und Gicht rechnet er dem Zucker zu, außerdem die meisten Erkrankungen der Gallenblase, der Bauchspeicheldrüse, von Dickdarm und Dünndarm. Zucker sei schuld bei den meisten Fällen von Verstopfung, außerdem bei Arteriosklerose, Schlaganfall, Immunschwäche, bei Allergien und Nervenerkrankungen.

Zucker als Ursache für alles. Das scheint nun etwas übertrieben. Doch tatsächlich zeigen neuere Studien eine Beteiligung des Zuckers bei zahlreichen Erkrankungen. Was nicht verwunderlich ist: Schließlich ist der Zucker der wichtigste Energiespender für den Organismus, wirkt mit bei vielen Körpervorgängen – und ist deshalb in Überdosis schädlich. Es wirkt natürlich auch der verwandelte Zucker, das Fett, das sich überall im Körper festsetzt.

Jetzt wies sogar eine amerikanische Regierungsstudie den Zusammenhang nach zwischen Zucker und Cholesterin: Je mehr Zucker verzehrt wird, desto schlechter sind die Cholesterinwerte. Das ergab die »Nationale Erhebung zu Ernährung und Gesundheit« (»National Health and Nutrition Survey«), die in der Zeitschrift Circulation veröffentlicht wurde, dem in der Fachwelt maßgeblichen Journal der Amerikanischen Herzvereinigung. Untersucht wurden 2157 Teenager zwischen 12 und 18 Jahren. Sie verspeisten durchschnittlich 119 Gramm Zucker am Tag – zugesetzten Zucker, was 20 Prozent ihrer täglichen Kalorienaufnahme entsprach. Die Jugendlichen mit dem höchsten Zuckerverzehr hatten die schlechtesten Cholesterinwerte, die niedrigsten Werte beim guten Cholesterin HDL (High-Density-Lipoprotein) und die höchsten beim bösen LDL (Low-Density-Lipoprotein). Der Zucker erhöht mithin das Risiko für Herzkrankheiten.

Andere Untersuchungen bestätigten die Diagnose. Auch im Zusammenhang mit vielen weiteren Zivilisationskrankheiten gehen die neuen Erkenntnisse in diese Richtung – bis hin zum Krebs. Manche Wissenschaftler sprechen schon von einer »Achse des Bösen« zwischen Insulin, Diabetes und Krebs, so etwa bei einer Fachtagung zum Thema an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Robert Lustig hat die aktuellen Erkenntnisse sozusagen gebündelt. Die Beweise sind noch nicht vollständig. Doch die Verdachtsmomente sind erdrückend. Zu diesem Schluss kam jedenfalls das Magazin der New York Times, das den renommierten Wissenschaftsautor Gary Taubes mit einer Prüfung beauftragt hatte für eine Titelgeschichte unter der Überschrift »Ist Zucker giftig?«.

Taubes fragte: »Kann Zucker wirklich so schlimm sein, wie Lustig sagt?« Er hat die Befunde überprüft, selbst recherchiert, bei Behörden, Gesundheitsorganisationen, hat mit Wissenschaftlern gesprochen. »Offiziell sollte ich mich nicht sorgen, weil die Beweise nicht zwingend sind«, sagt der Autor: »Aber ich mache mir Sorgen.«

Denn die Schlüsse wären weitreichend: »Wenn Lustig recht hat, dann ist der exzessive Verbrauch von Zucker der Hauptgrund, warum die Zahl der Übergewichtigen und Zuckerkranken in den letzten 30 Jahren in die Höhe geschossen ist.« Und nicht nur das: »Wenn Lustig recht hat, dann würde das bedeuten, dass Zucker auch die wahrscheinliche Ursache ist für verschiedene andere chronische Gebrechen, die man allgemein für Krankheiten des westlichen Lebensstils hält – Herzkrankheiten, Bluthochdruck und viele weitverbreitete Krebsarten.« Sein Fazit nach Abschluss der Recherche: »Ich komme zu ähnlichen Schlüssen wie Lustig.«

Die weltweite Aufmerksamkeit für Professor Robert Lustigs Zuckerkritik hat sicher auch mit der aktuellen Lage zu tun. Sie kommt zu einer Zeit, da sich die Situation in vielen Ländern dramatisch zugespitzt hat. In den Industrieländern geraten die Sozialsysteme an ihre Grenzen, in anderen Ländern droht vielen Menschen existenzielle Not.

Eine Wissenschaftlerin berichtete in der Zeitschrift Focus aus Afrika: »Ein Vater, dessen Tochter Diabetikerin ist, erzählte mir glücklich: Meine Tochter ist tot! Ich fragte ihn, warum er sich darüber so freue, und er sagte: Weil ich nun kein Insulin mehr kaufen muss und endlich meinen fünf anderen Kindern die Schule bezahlen kann.«

Die Zuckerkrankheit ist in Afrika schon zur größten medizinischen Herausforderung geworden: »Ich denke, das Diabetesproblem ist inzwischen größer als unser Aids-Problem«, zitiert die Zeit Agatha Nambuya, Diabetologin am Mulago-Hospital in Ugandas Hauptstadt Kampala.

»Alle sieben Sekunden stirbt auf der Welt ein Mensch an Diabetes«, sagt der Präsident der Internationalen Diabetes Föderation (IDF), der Medizinprofessor Jean Claude Mbanya von der Universität in Kameruns Hauptstadt Jaunde.

Auch in jenen Gegenden der Welt, in denen der Zucker vor Jahrhunderten zu Hause war, nie aber Schaden angerichtet hat, wird jetzt über die Folgen geklagt.

In der Südsee, der ursprünglichen Heimat des Zuckerrohrs, gibt es schon die höchsten Diabetesraten der Welt. Die größten Steigerungsraten erleben Indien und China. Im Jahr 2000 litten 171 Millionen Menschen weltweit an Diabetes, im Jahr 2030 werden es nach IDF-Prognosen bis zu 550 Millionen Menschen sein.

Die Vereinten Nationen in New York haben bereits ein Gipfeltreffen veranstaltet, auf dem demonstrativ der Kampf aufgenommen wurde gegen die neuen Epidemien, die in der internationalen Sprache der Experten als »nicht übertragbare Krankheiten« bezeichnet werden (»Non Communicable Diseases«, kurz NCD), Krankheiten wie Krebs, Diabetes, selbst Alzheimer.

Auch in Europa jagen sich die Konferenzen, die Europäische Union ruft die Experten aus der ganzen Welt zusammen, es gibt Arbeitsgruppen, etwa vom Europäischen Parlament (EUDWG), Millionenaufträge für Forscher und Konferenzen in Brüssel, etwa zum Thema »Diabesity«, wie die Kombination von Übergewicht und Diabetes schon genannt wird: »Eine weltweite Herausforderung«. Experten aus der ganzen Welt diskutieren über die »Zeitbombe«, die zur globalen Bedrohung zu werden droht: Übergewicht und Diabetes.

Der Zuckerverkauf geht natürlich weiter. Schon an der nächsten U-Bahn-Haltestelle gibt es die berühmte belgische Schokolade. Auch die Zuckerförderung geht weiter. Seit Jahrzehnten wird der Stoff mit Milliardenbeträgen von den Staaten dieser Welt unterstützt. In 113 Staaten der Welt wird Zucker produziert. In der Europäischen Union werden auf rund 2,1 Millionen Hektar Zuckerrüben angebaut. »Das süße Gold« nennen sie es in der Branche. Die Zuckerrübe wird gepriesen als die »Königin der Feldfrüchte«. Europas Zuckerindustrie macht Milliardenumsätze, allein Branchenführer Südzucker kommt auf sieben Milliarden Euro.

Es ist ein sehr profitables Geschäft, den Zucker in die Welt zu pumpen: Coca-Cola, die Firma mit den größten Verdiensten um die Versüßung der Welt, macht 47 Milliarden Dollar Umsatz (36 Milliarden Euro), davon neun Milliarden Dollar (sieben Milliarden Euro) Gewinn. Der österreichische Süßdrink-Hersteller Red Bull macht auch schon vier Milliarden Euro Umsatz. Besitzer Dietrich Mateschitz ist der reichste Mann Österreichs, Signore Michele Ferrero der reichste Italiener. Sein Nutella-Milchschnitte-Konzern macht sechs Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die berühmte Schweizer Schokoladenindustrie wirkt dagegen fast bescheiden mit ihrer Produktionskapazität von 180000 Tonnen Schokolade und einem Umsatz von 1,7 Milliarden Schweizer Franken (1,4 Milliarden Euro).

Weltweit werden im Jahr unglaubliche 165 Millionen Tonnen Zucker konsumiert – was einer Güterwaggonkette entspricht, die zweimal um die Erde reicht. 30 Millionen Tonnen verbrauchen allein die Europäer.

Die Deutschen essen 36 Kilo Zucker im Jahr, die Österreicher 37 Kilo, die Schweizer sogar 59 Kilo, Brasilianer stolze 63 Kilo. Sechs Prozent der Deutschen essen jeden Tag Schokolade, weitere fünf Prozent täglich Schokoriegel. Macht 46 Kilo pro Jahr. Eine Million Tonnen Schokoladenprodukte werden im Jahr hergestellt, allein in Deutschland.

Und es geht nicht nur um diese Zuckerprodukte, um die berühmten Zuckerbomben wie die 0,33-Liter-Flasche Coca-Cola mit ihren 36 Gramm Zucker oder den 46,4 Gramm Zucker pro 0,4 Liter Müllermilch Schoko oder den 24 Gramm im 0,3 Liter McDonald’s Milchshake Vanille. Oder Nutella mit ihren 55,9 Gramm pro 100 Gramm.

Es geht auch um die völlig überraschenden Verstecke für Zucker, die für den größten Teil des Zuckerverzehrs verantwortlich sind. Wer morgens zum Beispiel den Tag beginnt mit »Sechs Buttermilch-Brötchen« Marke Knack&Back verzehrt schon Zucker, bevor die Marmelade drauf ist, ebenso bei den Rewe »Beste Wahl« Ciabatta Brötchen. Und selbst wer Schinken drauflegt, isst Zucker mit, zum Beispiel im Herta Natürlicher Genuss Röstschinken oder dem Schwarzwälder Schinken vom Tannenhof. Auch die Feine Teewurst, Marke Rügenwalder – eigentlich eher Zuckerwurst.

Die ganz normalen Sachen enthalten beim genaueren Hinsehen plötzlich Zucker, die Dose mit Maggi Ravioli »in pikanter Sauce«, die Pfanni Semmelknödel Der Klassische, die Maggi Buchstabensuppe auch und die 5-Minuten-Terrine Gulasch-Topf, die Knorr Fix Hackbällchen Toscana. Die ganzen Klassiker der Industrienahrung: Alles wird unmerklich versüßt. Die Pizza, wie die Original Wagner Steinofen Pizza Salami. Der Fisch, wie das Iglo Schlemmer-Filet Picante mit der Aufschrift »100 Prozent Filet« – der Zucker steht nur im Kleingedruckten. Neuerdings sogar die Suppenliebe Hühnersuppe von Knorr, Slogan: »Guter Geschmack ist unsere Natur«, mit dem Versprechen: »Natürlich ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe«. Der Zucker zählt da ja nicht.

Da scheint es plausibel, wenn Experten schätzen, dass nahezu jedes zweite Nahrungsmittel im Supermarkt irgendeine Form von Zucker enthält.

Auch die edel anmutenden Luxusprodukte. Die Lacroix Geflügel-Consommee »a la volaille«, die Escoffier Tomaten-Creme-Suppe Provence. Ebenso die Rewe Feine Welt Pilz Harmonie Cappelletti mit cremig zarter Ricotta-Pilz-Füllung. Oder Rewe Beste Wahl Pasta Sauce Schinken-Sahne mit feinen Kräutern, im Plastikbeutel.

Auch wenn es, wie neuerdings modisch, frei sein will, fleischfrei, glutenfrei, laktosefrei – Zucker ist dennoch dabei, beim Veggie Life Veggie Bratknacker 7 vegetarische Würstchen (»Fleischlos Glücklich«), sogar bio, aber mit Zucker, ebenso ist der Kartoffelsalat Laktosefrei aus der Rewe-Reihe »Frei von« natürlich nicht frei von Zucker.

Wer dann abends ein Schöfferhofer Grapefruit Hefeweizen-Mix zischt und dazu Funny-frisch Erdnuss Flippies knabbert, kriegt noch eine späte Dosis Zucker.

Angesichts des überbordenden Angebots und der immer phantasievolleren Verstecke des Zuckers stellt sich natürlich auch die Schuldfrage neu.

Bisher galt: Die Leute sind selbst schuld, wenn sie zugreifen und zu viel Süßes essen. So verkünden es bisher alle, nicht nur die Firmen, auch die Professoren, die Regierung, sogar die Verbände der Zuckerkranken. »Wer nascht, weiß, was er tut«, sagte Andreas Land, der Chef der Keksfabrik De Beukelaer (»Prinzenrolle«) in der Lebensmittelzeitung: »Süßes ist ein Teil der Lebensfreude.«

Jetzt nascht aber plötzlich auch der, der das eben nicht weiß, der nur einen Schweinegulasch von Rewe essen will oder die vegetarischen Würstchen. Der Zucker wurde ihm einfach untergejubelt, und nur winzig klein hinten auf dem Etikett wird darauf hingewiesen. Nur knapp 17 Prozent des Zuckers, den die Deutschen verspeisen, kaufen sie selbst im Laden. 83,1 Prozent verzehren sie als zugesetzten, häufig auch »versteckten Zucker«, wie das Robert Lustig nennt: »Hier liegt das Problem. Es geht hier um den Zucker, den die Lebensmittelindustrie ihren Produkten zusetzt. Vorgeblich, damit sie besser schmecken. Tatsächlich aber, damit sie sich besser verkaufen.« Er sieht den Zucker als Teil einer »giftigen Umgebung«, die den Menschen ein Angebot aufdrängt, das sie sogar abhängig macht. Denn die ständige Zuckerzufuhr verändert die Verschaltungen im Gehirn.

Lustig: »Der Punkt ist, dass wir es bei anderen Suchtmitteln sehr schwergemacht haben dranzukommen. Beim Zucker ist es sehr einfach. Deshalb ist es sehr schwer, die Menschen von so einer suchterzeugenden Substanz loszubekommen.«

»Und wer ist schuld?«

Lustig: »Jeder nimmt an, dass Sie eine Wahl hätten. Aber wenn das Hirn hungert, haben Sie keine Wahl. Und wenn Sie keine Wahl haben, haben Sie auch keine Schuld.«

»Eine gute Ausrede.«

Lustig: »Niemand setzt Ihnen eine Pistole an den Kopf. Aber: Wenn Ihr Gehirn kein Sättigungssignal bekommen kann, haben Sie keine andere Wahl, als zu essen. Es ist keine freiwillige Entscheidung. Es ist ein biochemischer Ablauf.«

»Ich werde von Zucker also abhängig wie von Alkohol?«

Lustig: »Sie können. Nicht jeder muss. Es gibt viele Leute, die viel Zucker essen und trotzdem nicht süchtig werden. Genauso wie es viele Leute gibt, die von Zucker sehr süchtig werden.«

 

Das süße Leben – das war bisher eigentlich der Inbegriff des schönen Lebens. Süßigkeiten, Bonbons, Schokolade, sie gelten als Genussmittel, die sollen das Leben versüßen, die Stimmung aufheitern. Deshalb lieben ja alle das Süße.

Doch der Zucker hat seinen Charakter geändert. Er ist allgegenwärtig. Er ist zum ständigen Begleiter geworden, auch ohne dass das gewünscht wird. Und für eine wachsende Zahl von Menschen ist er auch kein Freudenspender mehr, sondern ein Suchtmittel, das sie beherrscht.

Für sie ist das Süße kein Genuss mehr, sie haben keine Lust darauf, sondern sie fühlen sich als Getriebene, als Abhängige von einer Droge, die es überall gibt, bei Tag und bei Nacht und ganz legal.

Sie leiden unter dem Süßen. Und sie versuchen jetzt, endlich davon loszukommen.

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2. Voll auf Zucker

Über die Sucht nach dem Süßen

Wie der Zucker das Gehirn manipuliert / Ängstlichkeit und Zähneklappern: Laborratten auf Zuckerentzug / Warum Zucker stärker wirkt als Kokain / Süßes ohne Maß, sogar noch nachts am Computer / Ferrero ist das böse, böse Wort / Die freie Wahl ist eine Illusion / Die giftige Umgebung breitet sich aus / Jeden Tag Süßes: ein toller Körper, der das aushält

Oft zieht sie nachts noch mal los, hinaus in die Dunkelheit, um sich ihre Dosis Süßes zu holen. Sie macht das nicht freiwillig. Sie muss. Es ist wie ein Zwang, unter dem sie leidet. Oft ist sie am nächsten Morgen wie gerädert.

Davon will sie sich befreien, möglichst schnell, das ist der Grund, weshalb sie hier klingelt, an diesem Mittwoch, Punkt 13 Uhr. Sie ist natürlich ein bisschen aufgeregt, denn sie weiß ja nicht, was sie erwartet in diesem Bungalow am Waldrand.

Am Morgen hat es stark abgekühlt nach den überheißen Tagen zuletzt. Doch dann kommt die Sonne heraus, ein klarer blauer Himmel, leuchtend grün strahlen die Gärten. Es weht ein frischer Wind, er weht das Laub von den Bäumen aufs Kopfsteinpflaster, das es hier auch noch gibt in den Nebenstraßen von Niederschönhausen, einem Stadtteil im Norden von Berlin.

Es ist eine ruhige Gegend, eine schmale Wohnstraße mit kleinen Fachwerkvillen. An vielen Häusern wird renoviert, Handwerker sind bei der Arbeit. Viele Häuschen sind jetzt ganz schick, neu und eckig und modern. Schöne Gärten, verwildert manche, andere akkurat gepflegt: Rasen, Garage, Wäschespinne.

Das letzte Haus vor dem Waldrand ist der Bungalow von Christine Althen, einer sympathischen Frau mit hellen, langen Haaren, klarer Stimme. Frau Althen macht Hypnose. Das ist heute eine anerkannte Methode, Wissenschaftler haben die Wirksamkeit nachgewiesen. Es geht darum, dass Menschen sich befreien von äußeren Zwängen und wieder Herr werden im eigenen Haus, sozusagen.

Genau das will die junge Frau, darum ist sie gekommen. Frau Althen öffnet und bittet sie herein.

Es ist ein helles Zimmer, Kunst an den weißen Wänden, chinesische Malerei hinter Glas, davor stehen Orchideen. Auf dem Boden ein flauschiger grauer Teppich, ein Ständer mit Flipchart. Ein Tisch mit durchsichtiger Platte, zwei Gläsern Mineralwasser. Frau Althen nimmt an der Stirnseite Platz, vor sich einen Stift und ein Blatt Papier. Neben ihr steht ein Liegestuhl, mit hellem Segeltuch bezogen, in dem die junge Frau Platz nimmt, die sehr hübsch ist und schick angezogen, rote Bluse, schwarze Hose, helle Haut und rötliche lange Haare, mit denen sie immer wieder spielt, während sie redet.

Die junge Frau studiert Literaturwissenschaft in Berlin, ihren richtigen Namen will sie nicht nennen. Sie möchte Lara genannt werden.

Frau Althen fragt: »Darf ich Ihnen eine Decke geben?«

Lara lehnt ab: »Nein danke.« Und sie fängt dann gleich an mit dem Problem: »Also, ich esse zu viel Süßigkeiten, nach meinem Dafürhalten.«

»Welche Süßigkeiten?«

»Ja, also, Schokolade, eigentlich alles, was Zucker hat. Und ich mache es nicht in Maßen, sondern übermäßig. Und das möchte ich eben ändern.«

»Und was verstehen Sie unter übermäßig?«

»Na ja, dass ich dann halt zum Beispiel denke, okay, ich kaufe mir jetzt was Süßes, aber dann kann ich nicht nur eine Sache kaufen, sondern muss ganz viele kaufen, weil eines nicht genug ist.«