Georg Trakl - Hans Weichselbaum - E-Book

Georg Trakl E-Book

Hans Weichselbaum

0,0

Beschreibung

Früh endet das Leben des berühmtesten Salzburger Dichters: Georg Trakl stirbt mit 27 Jahren am 3. November 1914 in Galizien an einer Überdosis Kokain. Die vorliegende Biographie enthält neue Entdeckungen, die bisherige biographische Darstellungen korrigieren. Hans Weichselbaum erzählt die schwierige Lebensgeschichte eines begabten jungen Mannes, beginnend mit der Übersiedlung der Familie nach Salzburg, wo den Trakls der gesellschaftliche Aufstieg gelingt. Kurz nach der Jahrhundertwende beginnt Georg Trakl mit frühen literarischen Versuchen, es sind - ganz ungewöhnlich für den späteren Lyriker - Theaterstücke. Etwa in die gleiche Zeit fallen auch erste Experimente mit verschiedenen Drogen, von denen Trakl Zeit seines Lebens nicht mehr loskommen wird. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 meldet er sich freiwillig als Sanitäter. Die erlebten Gräuel der Schlacht bei Grodek stürzen ihn in Verzweiflung, ein Nervenzusammenbruch und Suizidversuch lassen ihn selbst zum Opfer werden. Hans Weichselbaum führt die Lebensgeschichte des Salzburger Expressionisten Trakl mit neuen Forschungserkenntnissen zusammen. Die Biographie wurde aus Anlass von Trakls 100. Todestag neu überarbeitet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 455

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hans WeichselbaumGeorg Trakl

Hans Weichselbaum

Georg Trakl

Eine Biographie

 

 

 

 

 

OTTO MÜLLER VERLAG

 

 

 

 

 

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1219-1eISBN 978-3-7013-6219-6

© 2014 OTTO MÜLLER VERLAG, SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Media Design: Rizner.at, Salzburg

Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Cover: Leo Fellinger

Vorwort

Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit einem Dichter kann ein Interesse für bestimmte Themen oder der Reiz eines Textes sein, der die Frage nach Person und Lebensumständen des Autors aufkommen lässt. Eine Biographie sollte eine Antwort darauf geben. Das frühere geisteswissenschaftliche Ideal, dass eine Biographie die Darstellung der einzelnen psycho-physischen Lebenseinheit bieten und die ganze Wirklichkeit eines Individualdaseins (Wilhelm Dilthey) ausbreiten soll, ist schon längere Zeit in eine Krise geraten. Die literarische Form des Verstehens von fremdem Leben führt häufig zu Versuchen, Zusammenhänge zwischen Resten eines Lebens herzustellen, die ins Fiktive münden.

Dem gegenüber hat Roland Barthes den Begriff der Biographeme entwickelt, worunter er ein paar Details, einige Vorlieben und Neigungen (…), deren Besonderheit außerhalb jeden Schicksals stünden, verstand. Der Blick richtet sich nicht so sehr auf die Einheit eines Autors, sondern mehr auf die Spuren eines vergangenen Lebens, auf die zerstreuten Splitter der Erinnerung (Sigrun Weigel).

In diesem Sinne ist die folgende Darstellung, hundert Jahre nach dem Tod Georg Trakls, keine Lebensbeschreibung – wie ließe sich ein solches Leben auch „beschreiben“? –, sie ist weniger um ein abgerundetes Porträt bemüht, sondern will fassbare biographische Daten und Abläufe in einer überschaubaren Form vermitteln, an denen der Leser sein Trakl-Bild entwickeln oder überprüfen kann. Sie folgt in weiten Bereichen der Biographie von 1994, enthält aber eine Reihe der seither entdeckten oder bekannt gewordenen Dokumente und berücksichtigt Ergebnisse der Trakl-Forschung der letzten 20 Jahre, die manche Sichtweisen bestärken oder auch in Frage stellen.

Ein besonders Augenmerk gilt den Widersprüchen in Trakls Leben, den Prägungen durch menschliche und literarische Begegnungen und den gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Strömungen, an denen er teilhatte. Schließlich gibt es immer wieder Hinweise auf den Zusammenhang von Leben und Dichtung, auch wenn es sich bei Trakl trotz der vielen aus der Biographie ableitbaren Motive gewiss nicht um Erlebnislyrik handelt. Wer sich auf Grund der Lektüre von Gedichten Trakls mit Rainer Maria Rilke die Frage stellt: Wer mag er gewesen sein? wird in diesem Buch hoffentlich manche Antworten finden.

Salzburg, April 2014Hans Weichselbaum

Inhalt

Vorwort

Hineingeboren (1887–1901)

Aufgebrochen (1901–1908)

Unterwegs (1908–1912)

Ohne Weg (1912–1914)

Abkürzungen

Editorische Notiz

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

Literaturverzeichnis

Personenregister

Dank

Hineingeboren (1887–1901)

Herkunft und Kindheit

Was wäre Salzburg ohne Fremde? Die Frage lässt zunächst an das touristische Geisterhaus denken, als das die Stadt heute beinahe das ganze Jahr hindurch erscheint. Ansätze dazu hat Georg Trakl noch mitbekommen: Fremde lauschen auf den Stufen, heißt es im Gedicht „Die schöne Stadt“, das in einer Folge verträumter Bilder eine bedrohte Idylle entwirft. Und langsam gehn die Fremden wieder fort, registriert der dichterische Blick „In einem alten Garten“, in dem sich die Zeichen des Herbstes eingenistet haben. Für Trakl gehörten Fremde zum gewohnten Bild des sommerlichen Salzburg. Was wäre aber diese Stadt ohne die Fremden, die geblieben sind? Die Namen der vorübergehend oder ganz zugezogenen Politiker, Wissenschaftler und Künstler ergeben eine erstaunlich lange Liste. Ohne die Zuwanderung ihrer Väter wären sowohl bei Mozart als auch bei Trakl alle Überlegungen darüber hinfällig, wie weit ihre Werke mit den kulturellen Traditionen dieser Stadt zu tun haben. Georg Trakl ist zwar in Salzburg geboren und in seiner Poesie begegnen uns immer wieder Elemente der Stadt und ihrer Umgebung, doch führen die Spuren seiner Herkunft in andere Räume des alten Österreich.

Als der Dichter 1887 in Salzburg zur Welt kam, war in der einflussreichsten Zeitung zu lesen, dass im ungarischen Abgeordnetenhaus darüber gesprochen wurde, ob das deutsch-österreichische Bündnis ein immer noch freundschaftliches und intimes sei, ob der Friede gesichert und die Unabhängigkeit der Balkanvölker erhalten werde könne. Kálmán Tisza, Ministerpräsident des ungarischen Reichsteils, beruhigte die Abgeordneten und versicherte ihnen, dass alle Gerüchte über Rüstungsanstrengungen höchstens auf Maßnahmen der Vorsicht zurückzuführen seien und nicht als Kriegsvorbereitungen missdeutet werden dürften.1 In einer weiteren Meldung hieß es jedoch, Kaiser Franz Joseph habe den Gesandten einer Großmacht wissen lassen, dass die Monarchie zum Schwerte greife, falls Russland Bulgarien besetze.2 Heute weiß man, dass sich damit eine Interessenslage in großen Zügen abzeichnete, die die Mächtigen schließlich allen Friedensbeteuerungen zum Trotz tatsächlich zum Schwert greifen ließ. Die Stützen ihrer Macht brachen im Ersten Weltkrieg ein, und am Rand der ersten Niederlagen fand das junge Leben Georg Trakls, dem politische Zusammenhänge zeitlebens fremd geblieben sind, ein trauriges Ende.

In der Geschichte der Herkunft des Dichters spiegeln sich die Lebensbedingungen und die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Vorfahren mütterlicherseits stammten aus dem böhmischen Raum, die väterlicherseits aus der deutschsprachigen Bevölkerung Westungarns. Es war der rasche wirtschaftliche Aufstieg des Wiener Zentralraumes, vor allem des Gebietes um Wiener Neustadt, der beide Zweige zusammenführte.

Väterlicherseits gehen die Wurzeln der Familie ins Dorf Harkau (ungarisch: Magyarfalva) in der Nähe von Ödenburg (ungarisch: Sopron) zurück. Im 18. Jahrhundert heiratete ein Spross in eine deutschsprachige, protestantische Ödenburger Bürgerfamilie ein, aus der Großvater Georg stammte. Er wurde 1795 in Ödenburg geboren3 und heiratete 1833 nach dem Tod der ersten Frau Theresia, geb. Kremszner, die ebenfalls aus Ödenburg stammende Katharina Tremmel, verwitwete Laitner.4 Die Trauzeugen kamen aus dem kleinstädtischen Bürgertum: ein Steuereinnehmer, ein Gerichtsadvokat und ein Bäckermeister. Als Nachname des Großvaters ist „Trackel“ eingetragen. Diese Schreibweise ist der Hauptgrund dafür, den Namen des Dichters mit kurzem a auszusprechen. Varianten in der Schreibweise hatte es früher bereits gegeben.5 Die Variante „Trackl“ wurde auch in der Salzburger Zeit noch mehrfach verwendet. Sie findet sich im Taufbuch der evangelischen Gemeinde6, der Halbbruder Wilhelm gebrauchte sie bis 1934, der Dichter selbst zeichnete sein Manuskript „Don Juans Tod“ in dieser Form, und auch im Leichenbuch der Stadt Salzburg ist der Name des Vaters so geschrieben.7 Als Standesbezeichnung des Großvaters ist „Wirtschaftsbürger“ zu finden.8 Damit waren üblicherweise Stadtbewohner gemeint, die außerhalb einen Landbesitz, häufig einen Weingarten, hatten. Die städtischen Wohnhäuser lagen an der Straßenfront, dahinter schloss sich ein Wirtschaftsgebäude an. Nach Aussage von Friedrich Trakl, einem Bruder des Dichters9, gab es in der großväterlichen Familie 13 Kinder. Tobias, der Vater des Dichters, soll das jüngste gewesen sein. Er wurde am 11. Juni 1837 in Ödenburg geboren und am nächsten Tag in der evangelischen Kirche getauft. Zwei der drei Trauzeugen übernahmen die Aufgabe der Taufzeugen, was ein Hinweis auf stabile gesellschaftliche Bindungen ist, denen man auch später großen Wert beimaß. Eine berufliche Laufbahn als Kaufmann scheint Tobias von dieser familiären Umgebung vorgegeben gewesen zu sein. Die Geburtsurkunde des Dichters verzeichnet als Beruf des Vaters „Kaufmann von Ödenburg“.

Während seiner beruflichen Ausbildung übersiedelte Tobias als Kommis eines Handelsgeschäftes nach Wiener Neustadt, wo die beruflichen Möglichkeiten erfolgversprechender waren. Nach einem großen Brand 1834 wurde die Stadt wiederaufgebaut, dafür benötigte man nicht nur Arbeiter, sondern auch Handwerker und Kaufleute, die großteils aus Böhmen und Ungarn zuzogen. Der Wiederaufbau ging rasch voran, die Zugewanderten blieben, da die bald einsetzende Industrialisierung ebenfalls Arbeitskräfte benötigte. Motor der Entwicklung waren der Eisenbahnbau und die Schwerindustrie.10 1841 wurde die Bahnstrecke von Wien nach Wiener Neustadt eröffnet; die Hauptstadt war damit in nicht ganz eineinhalb Stunden erreichbar. Eine andere private Gesellschaft baute die Strecke nach Ödenburg und verband damit die Reichsteile Cis- und Transleithanien; 1847 – Tobias Trakl war gerade zehn Jahre alt – fand die feierliche Eröffnung statt.11 Der Bau der Semmeringbahn brachte der Eisenwarenindustrie einen gewaltigen Aufschwung; so beschäftigte allein eine 1852 gegründete Drahtfabrik 300 Arbeiter.12 Erfolgreich produzierte auch die „G. Sigl’sche Lokomotivfabrik“ für das In- und Ausland. Um die Nachfrage nach technischen Fachkräften zufriedenstellen zu können, wurde 1863 eine Oberrealschule eingerichtet.13 Konfessionelle Unterschiede verloren daneben an Bedeutung. An Stelle einer ehemaligen Synagoge, die nach der Judenvertreibung im 18. Jahrhundert zunächst in eine Kapelle, später in ein Warenlager umgewandelt und 1834 durch ein Feuer vernichtet worden war, errichtete ein wohlhabender Eisenhändler ein evangelisches Bethaus. Es gab nämlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Zahl von Wiener Neustädtern, die sich, wie es damals hieß, zum „Akatholizismus augsburgischer Konfession“ bekannten.14 Meist waren es zugezogene Facharbeiter und Taglöhner. 1860 wurde eine selbstständige evangelische Gemeinde mit einem Pfarrer und einem Schullehrer bewilligt. Die Schule war bald so angesehen, dass auch katholische und jüdische Eltern ihre Kinder dorthin schickten.15

Aus der Schicht der Zugewanderten kam Tobias Trakls erste Frau: Mit 31 Jahren heiratete er am 23. Februar 1868 Valentine Götz, die Tochter eines aus Cistá in Böhmen stammenden Schneidermeisters, die gut zwei Monate später, am 7. Mai 1868, einen Sohn gebar; wenige Tage darauf wurde er in der evangelischen Pfarre auf den Namen Wilhelm Maximilian getauft. Ob und wann die katholische Mutter die Konfession gewechselt hat, ist unbekannt. Glaubensfragen scheinen bei Verbindungen in dieser Gruppe der Neusiedler nicht gerade entscheidend gewesen zu sein. Als Trauzeugen sind ein Restaurantbesitzer namens Dohnal und ein Bierversilberer angeführt; ersterer stellte sich auch als Taufpate zur Verfügung. Dieser Halbbruder des Dichters war der Reisefreudigste in der Familie und hat nach dem Tod des Vaters das Geschäft geführt. Seine Mutter Valentine starb aber schon 1870 im Alter von 29 Jahren an Wochenbettfieber16 bei der Geburt eines zweiten, wahrscheinlich tot geborenen Kindes.17 Nach zweijähriger Ehe war Tobias Trakl damit Witwer; sein Alter und der zweijährige Sohn legten es nahe, dass er sich erneut um eine Frau umsah. Er fand sie wieder im Kreis der Zugewanderten.

Großvater August Halick.

Die zweite Frau namens Maria Halik, die Mutter des Dichters, hatte böhmische Vorfahren. Ihr Vater, Augustin Mathias Halik, wurde am 5. April 1809 in Prag geboren und am selben Tag in der Pfarre St. Stephan nach katholischem Ritus getauft. Als dessen Eltern werden Jakob Halik und Theresia, geb. Othmarin, genannt. Sowohl der Urgroßvater des Dichters als auch die Taufpaten des Großvaters mütterlicherseits waren Bürger der Stadt Prag. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Bezüge zu Böhmen in der Familiengeschichte immer wieder auftauchen. In einer Dienstbeschreibung aus dem Jahr 184518 wird der Großvater Halik als Korporal des Infanterieregiments Nr. 28 angeführt; es werden ihm eine gute Gesundheit, eine heitere Gemütsart und gute natürliche Talente zugesprochen; er könne gut lesen und schreiben und spreche böhmisch und deutsch; insgesamt sei er im Dienst brauchbar und verläßlich. Diesen Dienst scheint er aber dann quittiert zu haben, denn bei der Eheschließung mit der um zwölf Jahre jüngeren Anna Schod 1846 in Wiener Neustadt19 ist als Beruf „Fabriksbeamter“ angegeben.20 Als Mutter der in der Wiener Alservorstadt geborenen Anna Schod ist die Fabriksarbeiterin21 Katharina Schod zu finden;22 der Name des außerehelichen Vaters ist nicht bekannt. Die Trauzeugen von August und Anna kamen aus dem bürgerlichen Mittelstand: ein Tischler und ein Schlossermeister. Auch diese Ehe soll kinderreich gewesen sein.23

Großmutter Anna.

Maria Halik kam am 17. Mai 1852 in Wiener Neustadt zur Welt und wurde am nächsten Tag katholisch getauft. Taufpatin war Katharina Gerle, beruflich als Wäschersfrau in der k.k. Militärakademie tätig. Sie wuchs in der Geburtsstadt auf und heiratete mit 23 Jahren einen aus Mähren zugewanderten Müller namens Maximilian Schallner. Dieser scheint mit Tobias Trakl näher bekannt gewesen zu sein, denn er lud ihn zu seiner Hochzeit am 29. Mai 1875 ein und übertrug ihm die Aufgabe eines Trauzeugen und „Beistandes“ – genau fünf Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Valentine. Dieses Zusammentreffen erwies sich jedoch als verhängnisvoll, denn die Ehe wurde bald aufgelöst, und Maria Halik, geschiedene Schallner, gebar am 22. Mai 1878 einen Sohn, zu dem sich Tobias Trakl als Vater bekannte. Die Eltern gaben dem Kind den Namen Gustav. Kurz zuvor war Maria von der katholischen zur evangelischen Kirche übergetreten.24 Das war wohl auch im Sinne einer Vorbereitung der Eheschließung im August, die aufgrund der damals gültigen Ehegesetzgebung nicht im österreichischen Teil der Donaumonarchie vollzogen werden konnte.25 Die liberaleren Bestimmungen im ungarischen Transleithanien erlaubten wegen der dort bereits eingeführten Zivilehe die Wiederverheiratung einer geschiedenen Frau. Das Paar verlegte aus diesem Grund den Wohnsitz vorübergehend offiziell in die Heimatgemeinde des Mannes, nach Ödenburg. Dort fand am 22. August 1878 in der evangelischen Pfarre die Trauung statt. Vom dreimaligen Aufgebot hatte der Pfarrer das Paar dispensiert. Trauzeugen waren ein Eisenhändler und ein Kürschnermeister. Als Wohnsitz ist das Elternhaus, Grabenrunde 32, angegeben. Das gemeinsame Kind Gustav, das der Anlass zur Eheschließung gewesen sein dürfte, wurde nach der Rückkehr in Wiener Neustadt getauft und für ehelich erklärt;26 es starb aber ein gutes Jahr später27 an einem Gehirnödem und wurde am folgenden Tag auf dem Friedhof in Wiener Neustadt begraben.

Der junge Tobias Trakl.

Trauschein der Eltern Tobias und Maria.

Unmittelbar darauf hat der Vater einen vielleicht schon längere Zeit bestehenden Plan verwirklicht und ist mit der Familie nach Salzburg übersiedelt, denn ab 14. November 1879 sind die Trakls in der Hauptstadt dieses kleinen Kronlandes der Monarchie polizeilich gemeldet.28 Die Frage nach den Gründen für den Weggang ist nicht eindeutig zu beantworten. Ein Grund mag die nicht gerade günstige wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 1879 gewesen sein. Das „Wr.-Neustädter Wochenblatt“, das „Organ der Fortschrittspartei“, berichtete jedenfalls von einer allgemein düsteren Stimmung in der Region: Aber selbst auch die gewöhnliche Geschäftslust scheint unter dem Drucke der Consequenzen, welche eine mißlungene Ernte, fehlgegangene Export Hoffnungen, politische Experimente im Innern und die Aussicht auf eine neue Occupation (Novi – Bazar)[!] nach sich ziehen könnten, sichtlich gelähmt.29

Einiges legt jedoch den Schluss nahe, dass der Ortswechsel nicht nur wirtschaftliche Gründe hatte, sondern auch – und möglicherweise vor allem – gesellschaftlich und psychisch bedingt war. Die besonderen Umstände der Eheschließung legten einen solchen Schritt ebenso nahe wie der Tod des Kindes Gustav. In der Familientradition sind die Vorgeschichte der Ehe und das erste Kind als Familiengeheimnis gehütet worden. Dass dem ersten in Salzburg geborenen Sohn ebenfalls der Name Gustav gegeben wurde, sollte die Erinnerung an den Frühverstorbenen wohl überdecken. Ob Georg von diesem Geheimnis erfahren hat, ist mit Sicherheit nicht nachzuweisen, doch muss bedacht werden, dass der Halbbruder Wilhelm bei der Übersiedlung bereits elf Jahre alt war, sodass er ein Wissen über diese Ereignisse mit nach Salzburg genommen und es seinen Geschwistern auch nicht vorenthalten haben wird. Auch manches in seinem Werk macht es wahrscheinlich, dass Trakl von diesem Geheimnis wusste: So heißt es in der mit autobiographischen Bildern durchsetzten Prosa „Traum und Umnachtung“: Ein Wolf zerriß das Erstgeborene und die Schwestern flohen in dunkle Gärten zu knöchernen Greisen. (I/149) Im „Dramenfragment“ spricht der Pächter: Mein Weib ist gestorben, das Erstgeborne verdorben erblindet des Greisen Gesicht. (I/458) Im Gedicht „Der Spaziergang“ ist die einzige nennenswerte Variante in Zeile 20 zu finden; sie lautet: Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land (I/44). Statt verwunschnem Land überlegte Trakl zweimal Ungarland und einmal Schwabenland. Dies ist ein schönes Beispiel für die Mehrschichtigkeit von Bildern bei Trakl: Der Bruder kann eine Erinnerung an den früh verstorbenen Gustav sein; die Variante Schwabenland ist entweder eine Anspielung auf die angeblich schwäbische Herkunft der Vorfahren, wie sie in der Familie überliefert wurde, oder ein Hinweis auf den von ihm verehrten Friedrich Hölderlin; dann wäre der Bruder aus Ungarland allerdings Nikolaus Lenau. Trakl hat mehrfach Dichter, denen er sich nahe fühlte, in seinen Texten als Bruder angesprochen. Die zuletzt gültige Formulierung in verwunschnem Land überdeckt klare Zuordnungen. Die Spuren sind verwischt.

Warum aber gerade Salzburg? Dafür sprachen wohl in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Die Salzachstadt spielte eine wichtige Rolle als Umschlagplatz für steirisches und kärntnerisches Eisen ins Deutsche Reich,30 sie war seit 1860 durch die Westbahn an das internationale Eisenbahnnetz angeschlossen und man diskutierte bereits den Bau einer Nord-Süd-Verbindung nach dem wichtigen Hafen Triest. Das alles mag für den Eisenhändler Tobias Trakl aufgrund seiner Erfahrungen ausschlaggebend gewesen sein, an diesem Ort einen neuen Anfang zu machen. Wahrscheinlich hatte er auch Informationen über eine günstige Gelegenheit dazu, denn bereits am 26. November 1879 schloss er mit dem Inhaber der renommierten Eisenhandlung Carl Steiner, der selbst aus Linz zugezogen war und in die begüterte Goldschmiedfamilie Scheibl eingeheiratet hatte, einen Vertrag ab, der die Übernahme der Firma in der Judengasse mit 1. Jänner 1880 für zehn Jahre vorsah. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Carl Steiner die Firma nicht selbst führen.31 Damit begann der wirtschaftliche Aufstieg Tobias Trakls, der bald zu den angesehenen Bürgern dieser Stadt gehörte und dem 1898 das Bürgerrecht verliehen wurde.32

Den Dokumenten nach scheint die Übersiedlung nach Salzburg einen beinahe überstürzten Charakter gehabt zu haben, aber es wurden damit nicht alle Verbindungen zur alten Heimat abgebrochen. An den Namen der Kinder lässt sich das nachweisen. So kamen die Taufpaten der Kinder Gustav Mathias, Maria Margarete, Hermine Aurelia und Margarete Jeanne aus Wiener Neustadt: Das Kaufmannsehepaar Mathias und Margarete Seiler, das bereits bei der Taufe des früh verstorbenen Gustav diese Aufgabe wahrgenommen hatte, war bei den ersten drei Taufen selbst anwesend, bei der letzten im Jahr 1891 ließ es sich durch eine Erzieherin mit dem Vornamen Jeanne vertreten, die mit der für zwei Jahre im Haus Trakl tätigen „Mademoiselle“ Jeanne Saillard identisch sein wird;33 das Kind erhielt deswegen als zweiten Vornamen Jeanne. Mathias Seiler scheint ein Vorbild für Tobias Trakl gewesen zu sein: Er war Vater von sieben Kindern und kam aus dem ungarischen Grenzgebiet, aus Rust, von wo er nach Wiener Neustadt zugewandert war. Dort betrieb er in der Ungargasse eine „Handelsagentie“34, nützte also wahrscheinlich die Handelsmöglichkeiten zwischen den Kronländern mit Erfolg. Fritz Trakl erhielt seinen Vornamen offenbar nach dem aus Ödenburg stammenden Taufpaten Friedrich Hermann, der von Beruf ebenfalls Kaufmann war. Eine weitere Verbindung war durch die Großmutter mütterlicherseits gegeben, die später nach Salzburg übersiedelte und bis ins hohe Alter hier lebte; ebenso die unverheiratet gebliebene Tante Agnes Hallick[!], die im Familiengrab bestattet wurde. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen über längere Zeiträume hinweg waren Anlass für gegenseitige Besuche. In den Schulferien reisten die Kinder in die Heimat ihrer Eltern, und von dort kamen Ansichtskarten mit Motiven aus Westungarn.

Abschrift des Gedichtes „Frage“ von Nikolaus Lenau.

Einer der vielen literarischen Einflüsse, die bei Georg Trakl wirksam geworden sind, mag hier seinen Ursprung haben: Nikolaus Lenau gehörte zu den Dichtern, die in den deutschen und ungarischen Literaturkreisen Ödenburgs verehrt wurden.35 Das früheste Dokument der Beschäftigung mit Lenau ist die Abschrift des Lenau-Gedichtes „Frage“ am Schluss eines Briefes, der sonst verloren gegangen ist. Der sechzehnjährige Schüler Georg hat ihn im Juli 190336 vermutlich an seine Schwester Grete geschrieben, die sich seit Herbst 1901 im Internat der Englischen Fräulein in St. Pölten (N.Ö.) befand – angeblich auf Betreiben der Mutter.37 Er scheint jedenfalls mit dem Briefempfänger die Trauer über die Flüchtigkeit des Glücks, das Gefühl des Hinsinkens ins Ungewisse geteilt zu haben.

1906 wurde der erste literarische Text veröffentlicht. Die Prosa „Traumland“ (I/189)38 enthält ein Echo auf einen Besuch in der Heimatstadt seines Vaters. Es ist dies der einzige Text, in dem Trakl das Wort „Glück“ mehrfach verwendet und mit Lenau übereinstimmt, wenn er den Erzähler feststellen lässt: Vielleicht waren diese Stunden, da wir zwei beisammen saßen und schweigend ein großes, ruhiges, tiefes Glück genossen, so schön, daß ich mir keine schöneren zu wünschen brauchte. (I/191) Der unwiederholte Augenblick des Lenau-Gedichtes „Frage“ gleicht dem unwiederholbaren Glücksmoment in Trakls „Traumland“. Diese Geschichte von der Liebe eines Knaben zu einem sterbenden Mädchen namens Maria lässt im Erzähler das Gefühl einer Schuld gegenüber seinem eigenen Dasein aufkommen. Deine Seele geht nach dem Leiden, mein Junge, sagt sein Onkel zu ihm. Dieser Satz könnte auch dem Leben Georg Trakls gelten. Das Leiden an der Vergänglichkeit war bereits in diesem frühen Text als Thema vorhanden, es hat ihn, ebenso wie Gestalt und Dichtung Lenaus, nicht mehr losgelassen.39

Dass die Trakls aus einem Raum mit rasch fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung nach Salzburg übersiedelten, musste als ungewöhnlich erscheinen, da der Zuzug aus anderen Kronländern an der Salzach gegen Ende des 19. Jahrhunderts geringer war als im hektischen Wiener Zentralraum. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war die Wachstumsrate in Wien sogar doppelt so hoch wie in Salzburg.40 Der Zuwachs in der kleinen Stadt kam sowohl aus der gestiegenen Zahl der Geburten wie aus der Zuwanderung – beides also doch Zeichen für eine günstige Wirtschaftsentwicklung. Nach Salzburg zogen in erster Linie Männer und Frauen aus dem benachbarten Oberösterreich, insbesondere aus dem von Veränderungen wenig berührten Innviertel.

„Traumland“ – Georg Trakls erste Veröffentlichung einer literarischen Prosa.

Viele der Zugewanderten hatten Mühe, eine annehmbare Unterkunft zu finden, denn die Wohnsituation in der Stadt war katastrophal.41 Ein Drittel der Familien hatte nicht mehr als zwei kleine Wohnräume zur Verfügung. Die Infrastruktur war teilweise noch mittelalterlich, beispielsweise wurden die städtischen Sickergruben nur alle zehn Jahre geräumt. Diesen hygienischen Verhältnissen entsprechend war die Tuberkulose die häufigste Todesursache.42 Zwei für Georg Trakl wichtige Freunde erkrankten daran und starben jung.43 Der Katholizismus war herrschende Religion, 98% der Bevölkerung bekannten sich zu ihm oder waren zumindest katholisch getauft.

Salzburg. Blick vom Mönchsberg auf evangelische Kirche, Pfarrhaus und Schwarzstraße. Im Hintergrund Kapuzinerberg und Gaisberg. Um 1890.

Die Familie Trakl zählte jedoch zu den Ausnahmen: Sie gehörte, abgesehen von der Mutter, zu den etwa 1200 Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde aus Stadt und Umgebung, die seit 1867 ein eigenes Gotteshaus besaß. Dass in wirtschaftlich bewegteren Zeiten, wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die konfessionelle Zugehörigkeit an Bedeutung abnahm, konnte für die protestantische Minderheit nur von Vorteil sein. Der Liberalismus, der in Wien bereits seinen politischen Höhepunkt überschritten hatte, wurde hier erst mit zeitlicher Verspätung wirksam. Er kam vor allem denen zugute, die mobil waren und sich auf geänderte Verhältnisse rascher einstellen konnten.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte für Salzburg – nach der Eingliederung in das Habsburgerreich im Jahr 1816, die einen spürbaren Niedergang zur Folge hatte – einen deutlichen Zuwachs an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung, bedingt vor allem durch die Nähe zum Deutschen Reich. Der bereits erwähnte Anschluss an das europäische Eisenbahnnetz sowie der Bau der Tauernbahn (fertiggestellt 1909) und mehrerer Lokalbahnen durch Stadt und Land waren Motor einer Entwicklung, von der auch der Geschäftsmann Trakl profitieren sollte. In den verschiedenen Adressen ihrer Wohnungen spiegelt sich der wirtschaftliche Aufstieg der Familie Trakl wider: Nach einer sehr kurzen Unterbringung während der ersten fünf Monate in der Sigmund-Haffner-Gasse44 wohnte sie in einem Haus an der Schwarzstraße, die im Zuge der Regulierung der Salzachufer neu angelegt worden war. Dort wurde am 25. Juni 1880 der Sohn Gustav Mathias geboren und zwei Monate später in der nahegelegenen evangelischen Christuskirche getauft. Zwei Jahre danach ist bei der Geburt von Maria Margarete am 21. Dezember 1882 als Wohnadresse Platzl 5 angegeben, Hermine Aurelia, genannt Minna oder Mia, ist am 7. Juni 1884 ebenso dort geboren.

Blick auf die Altstadt um 1880. Rechts hinter der Stadtmauer das Schaffnerhaus (heute „Trakl-Haus“), links der Garten. Der Mozartsteg existierte noch nicht.

1885 zog die Familie in eine Wohnung auf der Altstadtseite. Sie lag im Haus Waagplatz 2 (heute Waagplatz 1a), das damals nach dem Besitzer „Schaffnerhaus“ genannt wurde; dieser betrieb eine „Handelsfaktorei“, eine Art Handelsniederlassung.45 Der Eingang vom Waagplatz führte damals direkt zu den Arkaden im Hof, von wo man über eine enge Treppe in den 1. Stock gelangte; auf der Kaiseite lag die Wohnung der Trakls.46 Von dort aus waren es für den Vater nur wenige Schritte zu seinem Arbeitsplatz bei der Firma Steiner in der Judengasse. Die Sicht auf den Kapuzinerberg, dessen herbstliche Farbenpracht auf den jungen Georg einen besonderen Eindruck gemacht hat, prägte die Lage ebenso wie die nahe Salzach, deren Wasser trotz der Uferverbauung nach der Mitte des 19. Jahrhunderts oft noch zu einer bedrohlichen Höhe anschwoll. Hochwasser war für Salzburg damals eine häufig drohende Katastrophe.

Der Hof wurde von den Hausbewohnern als Wirtschaftshof genutzt. Auf der Ostseite befand sich ein alter Ziehbrunnen; die Arkaden waren teilweise abgeschlossen und dienten der Erweiterung des Wohnraumes. Dieser schattige Ort könnte – neben der bäuerlichen Welt – den lebensgeschichtlichen Hintergrund für das von Trakl mehrfach verwendete Motiv der Ratten bilden; eines seiner Gedichte nennt es im Titel.47 Es beschäftigte ihn noch in der Innsbrucker Zeit.48 In dem stark autobiographischen Prosatext „Traum und Umnachtung“, der im Jänner 1914 entstanden ist, heißt es: Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengarten, oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof. (I/147) Darin fängt sich aber auch der Schall der vielen Glocken von den Türmen der Altstadt, und über den schmalen Ausschnitt des Himmels ziehen Vogelschwärme – damals wie heute.

Blick durch die Judengasse zum Rathaus. Rechts die Eisenhandlung Carl Steiner, deren Leitung der Vater 1880 übernahm.

Der Hof des Geburtshauses vor der Renovierung. Die Trakl-Wohnung lag im 1. Stock.

In dieser Wohnung kam Georg Trakl am 3. Februar 1887 um 6.30 Uhr abends zur Welt.49 Hebamme war, wie bei den Geschwistern auch, Gertraud Schinagl. Fünf Tage später wurde er nachmittags um 3.30 Uhr von Pfarrer Aumüller in der Wohnung getauft.50 Die Paten kamen ausnahmsweise aus Salzburg: Der k.k. Hofjuwelier Georg Beck samt Gattin Anna Maria waren darum gebeten worden. Diese Wahl weist auf das Standesbewusstsein und den Aufstiegswillen der Eltern hin. Vom Taufpaten wird der Dichter seinen Vornamen haben; er erinnert zugleich an seinen Großvater. Drei Jahre später wurde am 27. Februar 1890 der jüngste Sohn Friedrich, genannt Fritz, geboren. Als letztes der Geschwister kam die für Georg bedeutsame Schwester Margarethe Jeanne, genannt Gretl, am 8. August 1891 zur Welt. Im Kreise dieser Geschwister hat Georg seine Kindheit verbracht. Etwas entfernter stand sein Halbbruder Wilhelm, der 19 Jahre älter war als Georg und daher als Spielgefährte nicht mehr in Frage kam.

Taufschein Georg Trakls.

Georg Trakl (rechts) als Zweijähriger mit seiner Schwester Hermine.

Die Geschwister Gustav, Maria, Hermine, Georg und Fritz (von links).

Als Ort für Kinderspiele stand zunächst der kühle und meist düstere Hof im Haus Waagplatz 2 zur Verfügung, der vom Hausbesitzer als Wirtschaftshof verwendet wurde. Später konnten die Kinder einen hellen, freundlichen Garten benützen, der nur wenige hundert Meter entfernt zwischen Pfeifergasse und alter Stadtmauer lag.51 Der Weg dorthin führte quer über den Mozartplatz. Der Garten ist ein Ort erstaunlicher Ruhe und Abgeschiedenheit, in den der städtische Lärm nur gedämpft vordringen kann. Zum Schutz vor Regen und praller Sonne gab es ein Gartenhäuschen, ein „Salettl“, das bis heute erhalten geblieben ist. In dieser Idylle haben sich die Kinder häufig aufgehalten, betreut und beaufsichtigt von Gouvernanten aus Frankreich, von denen die Elsässerin Marie Boring am längsten im Dienst der Familie Trakl gestanden ist.52 1906 wurde der Garten, vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen, verkauft. Dass der Dichter das Motiv des Gartens häufig verwendet und es in Zusammensetzungen variiert hat („Abendgarten“, „Dämmergarten“, „Kindergarten“, „Sommergarten“), geht sicher auf diesen Schauplatz seiner Kinderjahre zurück, insbesondere dort, wo es im Zusammenhang mit dem Thema Kindheit vorkommt, wie zum Beispiel im Gedicht „Kindheitserinnerung“ (I/271) oder im Prosatext „Erinnerung“ (I/382). Auch in „Schwesters Garten“ (I/317) klingt dieses Motiv aus der Erlebniswelt des Kindes an.

Das „Salettl“ im Garten in der Pfeifergasse.

Eisenhandlung und Wohnhaus auf dem Mozartplatz.

1893 stand der Familie ein weiterer Umzug bevor: Der Vater hatte im Jahr davor um 32.000 Gulden ein großes Gebäude auf der südlichen Seite des Waagplatzes erworben.53 Es bestand aus einem vierstöckigen Wohnhaus und einem einstöckigen Vorbau zum Mozartplatz hin, der als Verkaufsraum genutzt werden konnte. Vom renommierten Architekten und Baumeister Jacob Ceconi ließ er die notwendigen Adaptierungen, die vor allem die Geschäftsräume betrafen, planen und durchführen.54 Als Wohnung war der erste Stock vorgesehen, der aber dann, ebenso wie der zweite, teilweise als Magazin genutzt wurde.55 Mangelnde Lager- und Verkaufsräume bewogen Tobias Trakl dazu, einen Keller neu anzulegen und 1894 auch noch das anschließende Gebäude zum Residenzplatz hin, das Haus „Conser“, zu kaufen. In diesem weitläufigen Gebäude mit einer verbauten Grundfläche von 494 m2 konnte ein gehobener Lebensstil mit Dienstboten und Gouvernanten entfaltet werden. Im Erdgeschoß eröffnete Tobias Trakl 189456 eine Eisenhandlung und beendete damit seine Mitarbeit in der Firma Carl Steiner. Die Hauptfront des Geschäftes lag zum Mozartplatz hin, der Zugang zu den Magazinen und zur Wohnung war auf der Seite des Waagplatzes, daher auch die Adresse „Waagplatz 3“. Als Firmenadresse verwendete der Vater meist „Mozartplatz 2 u. 3“. Das Angebot der Firma Trakl orientierte sich am Aufschwung im Baugewerbe; der Handel mit Haus- und Küchengeräten spielte daneben eine untergeordnete Rolle. Der Mangel an Lagerraum veranlasste ihn später, im nördlich des Mozartplatzes gelegenen Imhofstöckl Räumlichkeiten anzumieten. Dieses Geschäft war die solide materielle Grundlage für die Familie, jedenfalls solange der Vater lebte. In der neuen Wohnung hatte Georg zunächst mit seinem Bruder Fritz zusammen ein Zimmer, später erhielt er als Gymnasiast ein eigenes Kabinett mit Ausblick auf den Mozartplatz.57 Trakls Kindheit scheint also frei von materiellen Zwängen verlaufen zu sein.

Einige Elemente des Elternhauses sind in Trakls Bildvorrat eingegangen. So werden in der Nachlassbeschreibung58 beispielsweise der steinerne Hausflur, die steinerne Treppe, das steinerne Vorhaus, dunkle Zimmer und ein Magdkabinett erwähnt. Aus den Umbauplänen ist ersichtlich, dass drei Stockwerke mit einer gewendelten Treppe verbunden waren. Das Wort „Zimmer“ gebrauchte Trakl mit Vorliebe, mehrmals in Verbindung mit „steinern“ oder „kühl“: In kühlen Zimmern ohne Sinn / Modert Gerät, mit knöchernen Händen / Tastet im Blau nach Märchen / Unheilige Kindheit („Vorhölle“, I/132), in dunklen Zimmern versteinerte das Antlitz der Mutter („Traum und Umnachtung“, I/147), Wenn in befleckten Zimmern jegliches Schicksal vollendet ist („Traum und Umnachtung“, I/149), Es sind Zimmer erfüllt von Akkorden und Sonaten. („Psalm“, 1. Fassung, I/366), Was zwingt so still zu stehen auf verfallener Wendeltreppe im Haus der Väter („Erinnerung“, I/382), Auf der Wendeltreppe / rauscht dein Kleid. („Sommer“, I/136)

Wie mag sich das Leben in diesem Haus für den jungen Georg abgespielt haben? Außer den Daten über den äußeren Rahmen gibt es nur spärliche Dokumente. In erster Linie sind es Erinnerungen von Familienmitgliedern, die uns ein wenig Einblick in die Verhaltensweisen des Kindes Georg geben. Das Thema Kindheit ist vom Dichter mehrfach poetisch gestaltet worden; es ist aber problematisch, daraus direkte Rückschlüsse auf Trakls Kindheitserleben zu ziehen. Darüber hinaus gibt es vereinzelt Mitteilungen, die schon zum Bereich der über Trakl verbreiteten Legenden gehören.

Die Familienmitglieder waren bei ihren Äußerungen in erster Linie bestrebt, das Ansehen der Familie zu wahren; ihre Aussagen verflüchtigen sich daher rasch ins Unspezifische. So berichteten die Geschwister Maria und Fritz, die ihren mittlerweile bekannten Bruder am längsten überlebt haben, etwa gleichlautend: Georg war ein Kind wie wir anderen auch.59 Fröhlich, wild und gesund sei er gewesen, ja fast noch ausgelassener als die anderen, da er körperlich besonders robust war. In einer Unterhaltung mit Fritz Trakl im Jahr 1952 erfuhr Barbara Bondy ein wenig von den Vorlieben des Kindes Georg:60 Er spielte demnach gerne mit Freunden an Turngeräten im Garten und sammelte später Briefmarken. Als junger Gymnasiast hat er mit einem Chinesen namens Chen Lin in der Kunstsprache Volapük Mitteilungen ausgetauscht. Zwei Antworten des Briefpartners aus Amoy (heute Xiamen) sind tatsächlich erhalten. Die „Korrespondenz“ scheint sich aber auf die damals in Mode gekommene Zusendung von Ansichtskarten und Briefmarken beschränkt zu haben, denn Trakls Partner bedauert, dass ihm die Karten ausgegangen seien und dass er mit österreichischen Briefmarken, die er aus Salzburg erhalten hatte, nichts anfangen könne. Briefmarkensammeln gehörte also nicht zu den Freizeitbeschäftigungen des Chinesen. Diese Episode hat sicher viel Kindlich-Verspieltes an sich, zeigt aber doch Trakls Interesse für das Ungewöhnliche, Fremde. Die Post, die sein Halbbruder Wilhelm von weiten Reisen nach Hause schickte, unter anderem aus New York oder Mexiko61, war ihm dazu sicher eine Anregung. Seiner Schwester Maria berichtete er ganz erfreut nach Hannover, dass er von „Willi“ schon fünf Karten bekommen habe, und beklagte sich über ihre Schreibfaulheit. Diese Karte vom April 1899 mit einem Porträt von Richard Wagner62 unterschrieb er in Kurrentschrift mit Schorschl, seinem Rufnamen in der Familie. Er beherrschte sowohl die lateinische als auch die deutsche Schrift, auch Kurrentschrift genannt.

Postkarte aus Amoy (Xiamen) in der Kunstsprache Volapük: „Mit Grüßen und Dank als ferner Freund. Dein ergebener Diener Chen Lin.“

Der Vater.

Ruhender Pol in der Familie scheint der Vater gewesen zu sein. Alle Äußerungen63 deuten darauf hin, dass er ein tüchtiger Kaufmann war, dessen ausgeglichene Natur Frau und Kindern Halt bot. Seine beruflichen Verpflichtungen haben ihn stark in Anspruch genommen, Erfolge haben ihn zufriedengestellt. Darüber hinaus hatte er keine größeren Ansprüche an das Leben als beispielsweise ein Tarockspiel im Café oder ein Glas Wein des Abends.64 Das heißt freilich auch, dass er sich mit der Erziehung der Kinder kaum näher befassen konnte, sondern in erster Linie als Respektsperson mit unbeschränkter Autorität65 auftrat, die durch eine Bereitschaft zur Güte in der Wirkung auf die Kinder gemildert gewesen sein soll. Es mag mit dieser Rolle des Vaters zusammenhängen, dass der Sohn Georg später dazu neigte, sich an recht unterschiedlich geartete Vaterfiguren anzulehnen, wie an Gustav Streicher, Karl Hauer und Ludwig von Ficker. Ein nennenswertes Verständnis des Vaters für die literarischen Bestrebungen des Sohnes hat sicher nicht bestanden.

Politisch tendierte der Vater in die gemäßigt deutschnationale Richtung, die ihm aufgrund seiner Erfahrungen im kulturell gemischten Ödenburg und als Protestant am ehesten entsprach. Diese Tendenz stellte aber die kaisertreue Gesinnung, von der sein Sohn Fritz berichtete, nie in Frage.66 Es gilt als sehr wahrscheinlich,67 dass im Hause Trakl das „Salzburger Volksblatt“ gelesen wurde, dessen Redaktion sich unmittelbar gegenüber im Haus Waagplatz 1, 2. Stock, befand. Dieses Blatt war damals die Zeitung der Intelligenz mit antiklerikaler, liberaler und später auch deutschnationaler Ausrichtung.68 In dieses Umfeld passt auch, dass Georg um 1900 Postkarten an die auswärts befindlichen Schwestern oder an Mitschüler schrieb, die mit Motiven wie Richard Wagner bzw. Bismarck versehen waren oder zu Spenden für ein „Deutsches Studentenheim“ in Marburg (heute Maribor/Slowenien) aufriefen.69 Die „Erste Salzburger Ansichtskarten-Zentrale“ befand sich ganz in der Nähe im Haus Waagplatz 6. Solche Karten vertrieb aber auch der Deutsche Schulverein, der nach 1900 in Salzburg einen steilen Aufstieg erlebte.70

In der Dichtung erscheint die Figur des Vaters häufig im Zusammenhang mit dem Motiv des Hauses und des „alten Gerätes“; sie ist verbunden mit Begriffen wie „Stille“ und „Härte“, strahlt aber nichts aus, was auf ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Georg und ihm schließen ließe.71 Er hat mit seiner Orientierung an praktischen Anforderungen und seiner toleranten Einstellung den Familienmitgliedern gegenüber einen Halt dargestellt, dessen Wegfall im Jahr 1910 die Familie tief getroffen und Risse im familiären Gefüge offenkundig gemacht hat.

Die Eltern im Garten.

Die Mutter.

Wesentlich problematischer scheint das Verhältnis zur Mutter gewesen zu sein. Dass sie nicht imstande war, Wärme und Geborgenheit zu vermitteln, war selbst für den an einem harmonischen Familienbild interessierten Fritz im Nachhinein klar: Die Mutter kümmerte sich mehr um ihre Antiquitätensammlung als um uns, beantwortete er die Frage nach der Erziehung. Und weiter: Sie war eine kühle, reservierte Frau; sie sorgte wohl für uns, aber es fehlte die Wärme. Sie fühlte sich unverstanden, von ihrem Mann, ihren Kindern, von der ganzen Welt. Ganz glücklich war sie nur, wenn sie allein mit ihren Sammlungen blieb – sie schloß sich tagelang in ihre Zimmer ein, die vollgestopft waren mit Barockmöbeln, Gläsern und Porzellan. Wir Kinder waren etwas unglücklich darüber, denn je länger ihre Leidenschaft dauerte, desto mehr Zimmer wurden für uns tabu.72 Nach außen hin führte sie den bürgerlichen Haushalt ohne besondere Auffälligkeiten, sie scheint aber davon rasch überfordert gewesen zu sein und reagierte mit häufigem Rückzug in die Welt der schönen Dinge, die eine jugendliche Besucherin folgendermaßen in Erinnerung hatte: Zog sie dann etwas zögernd eine ihrer Kommodenladen auf, so entstieg ihnen das unbeschreiblich sanfte Duftgemisch von Weihrauch und leichtem Modergeruch, der den alten Brokaten, die lange in selten gelüfteten Sakristeischränken aufbewahrt werden, eigen ist. […] Eine Fülle unbeschreiblich schöner gold- und silberdurchwirkter Seidenstoffe und Stickereien lag hier eingebettet. […] Hier war alles gleich Strandgut des Lebens geborgen worden.73 An der Hand der Mutter war Georg in der Altstadt unterwegs; besonders beeindruckt haben ihn dabei die Gänge durch den Friedhof von St. Peter, wo in der Margarethenkapelle die Toten aufgebahrt wurden.

Die zweite Ehe mag für die Mutter eine ähnliche Enttäuschung gewesen sein wie die erste, doch war sie nun sowohl materiell wie – besonders als geschiedene Frau – auch moralisch abhängig.74 Der Umstand, dass sie von 1878–1891 sieben Kinder, im Durchschnitt also jedes zweite Jahr eines, zur Welt brachte, wird das Eheleben nicht gerade gefördert haben. Ungeklärt ist bis heute die Herkunft von zwölf Briefen und Briefkarten aus Ungarn bzw. Wien, die die Mutter in einem Kuvert mit Siegel bis zu ihrem Tod aufbewahrt hat; verfasst wurden sie in den 1880er Jahren. Der Absender scheint ein Gönner gewesen zu sein, da es in den Mitteilungen meist um finanzielle oder sonstige Zuwendungen geht, deren persönliche Übergabe am Bahnhof oder Zusendung über Dritte vereinbart wurde. Die Rede ist von etwas Versprochenem, Gewünschtem, von erwähnten Sachen, einem Wertpapier oder einer bedeutenden Summe. Einmal sollte ein Teil zu Ihrer Cur verwendet werden. Ob die Kinder davon wussten, ist unklar.75

Brief eines unbekannten Gönners an die Mutter

Euer Wohlgeboren!Am 2ten August fahre ich über Salzburg nach Altaussee und komme wahrscheinlich um 11 Uhr 40 Minuten im Bahnhofe an, um dann 12 Uhr 40 Minuten weiter zu reisen. Könnten Sie um jene Zeit im Bahnhofe erscheinen, so würde ich Ihnen beim Aussteigen das Gewünschte übergeben.Sonst ginge es später auf der Post ohne ganze Inhaltsangabe auf dem Couverte.Alles Gute wünschtIhr WohlwollenderN. N. Bad-Ems ander Lahn 24/7

Möglicherweise reagierte die Mutter auf die sicherlich große Belastung durch Kinder und Haushalt auch mit der Flucht in die Betäubung, wenn man bedenkt, dass sie aufgrund einer Darstellung durch Georg als „Opiumesserin“ und „nervenkrank“ eingestuft wurde.76 Dass Trakl seine Mutter so sehr gehasst haben soll, daß er sie mit eigenen Händen hätte ermorden können,77 mag mit dieser Drogenproblematik zu tun haben.

Andererseits ist es ihm nicht gleichgültig gewesen, wie es seiner Mutter ging. In einem Brief aus dem Jahr 1913 erkundigte er sich, ob seine Mutter sehr viel Kummer (I/499) durch ihn habe. Als die Auflösung des Geschäftes in Salzburg bevorstand, erschien es ihm leichtfertig, das Haus der Mutter zu verlassen. (I/502) Dieses ambivalente Mutterbild beim erwachsenen Trakl ist eine der vielen Spuren aus seiner Kindheit. Er hat sicher unter der Gefühlsarmut gelitten, später mag er geahnt haben, wieviel er mit seiner Mutter gemein hatte: Auch er fühlte sich unverstanden, neigte zu Isolation und Depression, und es fiel ihm schwer, sich den Anforderungen des Alltags zu stellen. Der Sinn der Mutter für das Schöne, der in der – nach ihrem Tod 1925 von den Kindern großteils verkauften – Antiquitätensammlung seinen Ausdruck fand, hat eine Entsprechung in der Empfänglichkeit des Sohnes für eindrucksvolle Bilder und Klänge. Als nach dem Tod Georgs die Mutter 1915 bei Cissi v. Ficker in Innsbruck zu Besuch war, stellte die Gastgeberin fest: Sie gefällt mir so gut. Der Georg finde ich ist ihr sehr ähnlich. Besonders wie ich die Alte bei den Antiquitätenhändlern sah, und ihr Ausdruck wie sie schöne Sachen anschaute.78

Georg (Dritter v. r.) mit seinen fünf Geschwistern.

Im Werk verbindet sich mit der Muttergestalt immer die Kälte: Ihr Antlitz ist ernst (I/114), versteinert (I/147), weiß (I/150); sie erscheint als Klagegestalt (I/121), als bleiche Gestalt (I/382), und über den Sankt-Peters-Friedhof geht „Sebastian im Traum“ an der frierenden Hand der Mutter (I/88). In „Traum und Umnachtung“ erscheint die nächtige Gestalt seiner Mutter (I/148) wie ein bedrohlicher Geist, als eine Frau, der unter leidenden Händen das Brot zu Stein ward. (I/150). Nicht bewusst und absichtsvoll führt sie Unglück herbei, es entspringt vielmehr ihrem Wesen. Sie ist eine fluchbeladene, tragische Figur. Die gefühlskalte, zurückgezogene Art der Mutter ist aus psychoanalytischer Sicht der Hauptgrund dafür, dass Georg Trakl die Ausbildung von Ich-Stärke und psychischer Stabilität79 versagt blieb. Seine Verletzbarkeit, Reizbarkeit und auch die Neigung zur Aggressivität könnten hier ihre Wurzeln haben: Mimosenhafte Empfindlichkeit auf der einen Seite, fehlendes Einfühlungsvermögen und rücksichtslose Härte auf der anderen – diese Charakterzüge Trakls bilden sich keimhaft schon im frühen Austausch mit der Mutter.80

Als Frau Marie Boring als zweisprachige Gouvernante ins Haus kam und in vielerlei Hinsicht an die Stelle der Mutter trat, war Georg bereits drei Jahre alt; entscheidende Prägungen waren also nicht mehr rückgängig zu machen. Die geborene Elsässerin lebte ab 1890 vierzehn Jahre lang mit nur einer Unterbrechung in der Familie Trakl und war für die Erziehung der Kinder zuständig. Als diese halbwegs abgeschlossen war, kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück.81 Sie ist dort, im Dorf Avolsheim im Unterelsass, 1940 im Alter von 78 Jahren gestorben, ohne je vom späteren Ruhm ihres Schützlings erfahren zu haben.82 Die Kinder hatten sie offenbar gern. Fritz meinte: Wir hingen sehr an ihr.83 Sie war streng katholisch, was für ihre Tätigkeit in einem protestantischen, in Religionsfragen aber sicher eher tolerantem Haus Probleme mit sich brachte. Ein strenger Franziskanerpater soll sie als ihr Beichtvater beraten haben.84 Ob wegen dieser Gewissenskonflikte oder aus Heimweh: In den Jahren 1891/92 unterbrach sie ihre Tätigkeit; in dieser Zeit kam Grete zur Welt. Man darf davon ausgehen, dass Frau Boring versucht hat, ihre Schützlinge im katholischen Sinn zu prägen. Ebenso hat aber sicher auch das kirchliche Leben, das sich in der unmittelbaren Umgebung der Trakl-Wohnung entfaltet hat, Spuren im Gedanken- und Bildvorrat Georgs hinterlassen, die nicht unbedingt als Zeichen für eine tatsächliche Religiosität gelesen werden dürfen; denn die katholische Szenerie hat eben auch den Protestanten Trakl beeindruckt. Die Dichtung liefert dafür eindrucksvolle Beispiele. Dazu gehören Elemente der Marienverehrung, die Verarbeitung biblischer Motive in der frühen Kurzprosa oder das Gottesbild im Dramenfragment und mehreren Gedichten bzw. Prosatexten („An die Verstummten“, „Winternacht“, „Traum und Umnachtung“). Dass ihn religiöse Fragestellungen schon als Kind beschäftigt haben, geht aus Berichten von Freunden hervor. So erzählte er einmal seinem Freund Moritz bei einem Spaziergang, als vom Wesen der Seele die Rede war, daß er als Kind sich die Seele als ein silbernes Stäbchen vorgestellt habe, das den Körper durchzog.85 Und Minnich, ein anderer Freund, notierte, dass er bei einer ähnlichen Gelegenheit mit Trakl überlegt habe, ob Gott eine Kugel oder eine Spirale sei, bis wir uns lachend eingestanden, da habe wieder ein allzu leidenschaftlicher Verstand einen Possen gespielt.86 Auch Erhard Buschbeck, der zusammen mit Trakl den evangelischen Religionsunterricht besuchte, stellte Überlegungen hinsichtlich der Existenz einer Seele an.87 Der Begriff beschäftigte Trakl sein weiteres Leben hindurch und ist in seinen Gedichten häufig zu finden.

Marie Boring.

Unterrichtsbehelf: Der frühe französische Comic „La Famille Fenouillard“.

Entsprechend der Nachahmung aristokratischer Lebensformen im gehobenen Bürgertum gehörte es sicher zu den ersten Aufgaben der „Mademoiselle“, den Kindern Französisch beizubringen. Sie besprach mit ihnen Aufsätze aus dem „Magasin des Enfants“ und las ihnen Märchen vor.88 Außerdem verwendete sie das Buch „La Famille Fenouillard“ von Christophe (= Marie-Louis-Georges Colomb), einen frühen französischen Comic, in dem provinzielle Manieren kritisch-humorvoll dargestellt werden und phantasievolle Reisebilder, vor allem aus den damaligen französischen Kolonien, zu finden sind.89 Beide Aspekte kann man beim späteren Trakl ausmachen: den kritischen Blick auf die bürgerliche Lebensform und das Interesse an fernen Weltgegenden.

Wie es mit Trakls Kenntnissen in der französischen Sprache tatsächlich stand, ist schwer genau festzustellen. Der Behauptung, dass die Kinder untereinander fast ausschließlich französisch gesprochen haben sollen90, steht die Tatsache gegenüber, dass im Werk nur eine einzige französische Formel zu finden ist: Mauvaise music, wobei music orthographisch falsch geschrieben ist.91 Es gibt einige Postkarten, die Georg seinen in Pensionaten untergebrachten Schwestern auf Französisch geschrieben hat. So berichtete er im November 1897 an Maria und Minna in der Schweiz unter anderem, dass man wegen des starken Nebels das gegenüberliegende Haus nicht sehen könne: Aujourd’hui il fait un brouillard qu’on ne voir pas la maison visavis de la notre.92 Einige Wendungen auf dieser Karte – zugleich das erste schriftliche Dokument – sind typisch für das elsässische Französisch, wie encore une fois und vous font saluer. Der Zehnjährige unterschrieb mit „Georges“, ebenso auf einer Ansichtskarte von Maria Plain anlässlich eines Familienausfluges mit den Eltern, der Tante Agnes Halik, der Gouvernante und Bekannten.93 Die Gouvernante wird ihm beim Verfassen des Textes wohl behilflich gewesen sein. Zwei Jahre später schrieb Grete ihren Schwestern einige formelhafte Wendungen auf Französisch und unterschrieb mit Marguerite Trakl.94 Es ist anzunehmen, dass Frau Boring den Kindern mehr Französisch beigebracht hat, als sich aus dem falsch geschriebenen music ableiten lässt. Sie hat damit die Grundlage für Trakls Interesse an französischer Literatur gelegt, wenn auch nicht anzunehmen ist, dass er durch sie auf die „poètes maudit“ hingewiesen wurde. Diese lernte er später durch Übersetzungen kennen, was im Fall der Rimbaud-Übertragung von K. L. Ammer eindrucksvoll belegt ist. In der Schule hat er sich offenbar nicht mit Französisch beschäftigt. In der gymnasialen Oberstufe wurde es als Freifach angeboten: Trakl hat es nie gewählt.95 Bei der militärischen Musterung („Assentierung“) im April 1908 wurde jedenfalls festgehalten, dass er Deutsch und Französisch sowohl spreche als auch schreibe.96

Ausflug mit Verwandten in das Salzbergwerk Berchtesgaden. Links Grete, Fritz und Georg.

Georg mit den Geschwistern Fritz und Grete.

Im Sinne einer möglichst guten Ausbildung hielten sich die Schwestern Maria und Hermine im Schuljahr 1897/98 im Institut Petér in Neuveville nahe Neuchâtel in der französischen Schweiz auf. Anschließend verbrachten beide ein Jahr in Hannover. Sie hatten dabei Gelegenheit, Freundinnen aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Holland oder England, zu finden. Die erhaltenen Postkarten zeigen, dass es nicht wenige Verehrer gab.97 Ihr ansprechendes Äußeres und die vergleichsweise weltoffene Erziehung scheinen sie bei manchem jungen oder auch gereifteren Herrn zu Hause begehrenswert gemacht zu haben. Sie suchten sich ihre Lebenspartner jedoch auswärts. Dass keine von beiden dabei letztlich Glück hatte, gehört zu den tragischen Aspekten der Familiengeschichte.98

Zur Erziehung in einem bürgerlichen Haus gehörte auch die musikalische Ausbildung. Die Kinder erlernten daher – mit Ausnahme von Wilhelm – alle das Klavierspiel. Übrigens spielte er ganz gut Klavier; mit Mozart konnte Georg allerdings nie viel anfangen, aber er liebte die russische Musik,99 erinnerte sich sein Bruder Fritz. Wie gut er es nun tatsächlich konnte, ist unbekannt. Seine Schwester hat es jedenfalls in der Ausbildung ziemlich weit gebracht. Ihr Verlobter Arthur Langen wies später auf positive Stellungnahmen mehrerer Kapazitäten auf diesem Gebiet hin, um die Notwendigkeit der Fortsetzung dieser Ausbildung zu unterstreichen.100 Wenn man bedenkt, wie stark Trakl Kompositionselemente in seine Dichtung miteinbezogen hat, so wird man die Bedeutung seiner musikalischen Ausbildung nicht unterschätzen können. An seinem Klavierlehrer August Brunetti-Pisano interessierte ihn auch dessen Entscheidung zur Existenz eines Künstlers; umgekehrt nahm dieser Anteil an den literarischen Bestrebungen seines Schülers.101 Dass Musik für Trakl zu den ganz wichtigen Ausdrucksformen zählte, merkte Ludwig Ullmann in seinen Erinnerungen an: Er lehnte es grimmig ab, mehr als einige Takte großer Musik auf einmal hören zu können.102 Als ihn Anton Moritz einmal während der Sommerferien zu Hause besuchte und seine Schwester Grete nebenan Klavier spielte, sagte Trakl, dass er Musik hörend nicht aufmerksam sein könne.103 Zunächst bedeutete ihm Musik vor allem ein Aufklingen von Harmonie und Wohllaut in einer disharmonischen Welt.104

August Brunetti-Pisano

Hat es in Trakls Kindheit also nichts gegeben, was ihn von seinen Geschwistern oder Spielgefährten unterschieden hätte? Ist die Sprachregelung vom Kind wie wir anderen auch demnach zutreffend? Die äußeren Bedingungen waren geradezu ideal, erst bei näherem Hinsehen werden problematische Nischen im familiären Gefüge erkennbar. Schon früh fielen seine Scheu und Introvertiertheit auf. Sein wichtigster Freund aus Kindheitstagen, Erhard Buschbeck, erinnerte sich an die Volksschulzeit: Ich sehe ihn noch vor mir, wie er am Salzach-Quai vor der protestantischen Schule, die ich besuchte, stand, um dort mit seiner Schwester den Religionsunterricht zu haben. (…) ein kleiner, gutgepflegter Bub, mit langen, blonden Haaren, von einer französischen Bonne begleitet. Für uns Normalschüler hatten diejenigen, die bloß an manchen Nachmittagen zum Religionsunterricht kamen, wohl immer etwas besonderes „Feines“, aber bei Trakl trat überdies noch ein Sichfernhalten von den anderen, ein scheues Absonderungsbedürfnis zutage.105 Die Tendenz zur Isolation war also bereits beim Kind auffallend; später wurde sie zu einem zentralen Problem der Existenzbewältigung.

Einige Vorfälle sind ohne Angabe näherer Umstände überliefert; sie können jedoch als Hinweise auf ein eigenwilliges Verhältnis zur Realität gedeutet werden: Einmal sei er geistesabwesend in einen Teich hineingegangen, aus dem er nur noch mit Mühe gerettet werden konnte. Trakl selbst hatte diesen Vorfall als frühen Selbstmordversuch in Erinnerung (II/729), was für einen Fünfjährigen jedoch sicher außergewöhnlich wäre. Eine Verkennung der Wirklichkeit dürfte auch dem überlieferten Vorfall zugrunde liegen, bei dem er sich als Kind einem herangaloppierenden Pferd in den Weg geworfen haben soll, um es zum Stehen zu bringen. Ähnliches soll er bei der Eisenbahn versucht haben.106 Gemeint ist möglicherweise die Tramway, die damals die Stadt als öffentliches Verkehrsmittel durchquerte. Ein Unglück in der Hellbrunner Station, bei dem der Lokomotivführer unter den Trümmern der Maschine auf einem Haufen Glut starb bzw. seine Qualen selbst beendete, erregte in der Stadt großes Aufsehen und hat die Phantasie des Knaben sicher stark beschäftigt.107 Trakls Abneigung gegen heftige Bewegungen – so könnte man sein Verhalten deuten – wird auch von Buschbeck erwähnt: Als den Feind erkennt er am Grunde überall die Bewegung. So lernt er alle Bewegung hassen. Indem sie vorwärts kommt, nimmt sie ihm immer wieder etwas weg.108 Dem steht die Sehnsucht nach Stille, Ruhe und Auflösung – letztlich auch des eigenen Ich – gegenüber. In der Dichtung erscheint sie als Gestaltung von vorbewussten Stufen der Existenz, wie Kindheit, Traum und Tod. Als poetisches Bild findet sich der Gegensatz von Ruhe und Bewegung beispielsweise in der dritten Strophe von „Sebastian im Traum“: Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit, / Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg, / Ruh und Antlitz; / Da er steinern sich vor rasende Rappen warf, / In grauer Nacht sein Stern über ihn kam“ (I/88). Diese Textstelle enthält auch ein Echo auf eine Kindheitserfahrung, von der Trakl mehrfach berichtet hat: Er habe bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr überhaupt nichts von seiner Umgebung bemerkt […] außer „dem Wasser“.109 Auch einem Innsbrucker Freund hat er davon erzählt, wie ihn Wasser magisch anzog.110 Als Kind war ihm beim Blick aus der Wohnung die Salzach nahe; später erlebte er sie bei seinen häufigen Spaziergängen den damals noch nicht regulierten Fluss entlang, hinaus in die Auen nördlich und südlich der Stadt. Man kann darin auch einen Zusammenhang mit Vorstellungen von der Aussetzung auf dem Wasser und dem Geburtsvorgang sehen, wie er aus den Mythen der Völker bekannt ist. Demnach wären Trakls Äußerungen als Ausdruck einer Sehnsucht nach Verschmelzung mit einer archaischen Urmutter zu interpretieren, wie die Psychoanalyse meint111. Die in dem Satz: Ich bin ja erst halb geboren!112 enthaltene Selbsteinschätzung stützt diese Annahme ebenso wie der Hinweis von Karl Kraus auf die Siebenmonatskinder, zu denen er Trakl zählte: Sie sind mit dem Schrei der Scham auf eine Welt gekommen, die ihnen nur das eine, erste, letzte Gefühl beläßt: Zurück in deinen Leib, o Mutter, wo es gut war!113 Bekannt ist Trakls zustimmende Reaktion darauf in einem Brief aus dem Jahr 1912: Ich danke Ihnen einen Augenblick schmerzlichster Helle (I/492). Dass diese Sehnsucht nach Verschmelzung in der Lebensrealität keine Verwirklichung finden konnte, war demnach Ursache eines meist spannungsvollen Zustandes und eine Quelle melancholischer Stimmungen.

Nach außen war aber dem Kind Georg davon nicht viel anzumerken. Ab Herbst 1892 besuchte er die fünfjährige Übungsschule der k.k. Lehrerbildungsanstalt im Studiengebäude am Universitätsplatz, eine allgemein zugängliche Staatsschule, die im katholischen Geist geführt wurde. Es war eine Eliteschule, an der fünf Lehrer 153 Schüler unterrichteten.114 Zweimal in der Woche besuchte er den Religionsunterricht in der protestantischen Schule am Salzachkai bei Pfarrer Aumüller, einem wunderbar gütigen Menschen, dem Trakl sehr anhänglich war, wie sich Buschbeck, der ebenfalls protestantisch war, erinnerte115. Die Kenntnis der Bibel, die als Bildquelle für seine Gedichte von Bedeutung war, dürfte hauptsächlich auf diesen Unterricht zurückzuführen sein. Sie weckte in ihm auch die Vorliebe für die Zahl Sieben, der man in seinem Werk in vielfältiger Weise begegnen kann.116

Pfarrer Heinrich Aumüller.

Seinen vom Bruder Fritz später erwähnten sportlichen Interessen entspricht die „Freiprobe“ im Schwimmen, abgelegt im Leopoldskroner Bad, wofür er ein „Certifikat“ erhalten hat (II/639). Ein Mitschüler berichtete freilich, dass Trakl wegen seiner damals fülligen Figur unter den Hänseleien der anderen zu leiden hatte: Er war ein dicker, kleiner Kerl. Deswegen wurde er viel verfolgt, und es ist ihm oft übel mitgespielt worden. Häufig rief man ihm zu: „Dickerling, geh her!“ Denn er war dick und feist, besonders sein Hintern sah so rundlich, fett und weiß aus. Darob hatte er vieles zu erdulden.117 Solche Verletzungen und Demütigungen werden das negative Bild von sich selbst mitgeprägt haben. In den Zeugnissen der späteren Zeit ist im Fach „Turnen“ häufig die Note „lobenswert“ oder sogar „vorzüglich“ zu finden; 1903 ließ er sich aber – wie viele seiner Mitschüler – von diesem Gegenstand befreien.

Bei einer vormilitärischen Übung. Georg Trakl in der mittleren Reihe links.

Der Erfolg in der Volksschule konnte sich sehen lassen, soweit sich das aufgrund der nur teilweise erhaltenen Zeugnisse sagen lässt. Die „Schul-Nachricht“ für das Schuljahr 1894/95 (II/639) enthielt hauptsächlich die Noten 1 und 2, eine 3 nur in wenigen Ausnahmen. Im letzten Volksschulzeugnis vom 10. Juli 1897 sind ausnahmslos die Noten 1 und 2 zu finden, wobei die 1 überwiegt. Als Anmerkung ist hinzugefügt: Dieser Schüler hat seinen Übertritt an eine Mittelschule gemeldet (II/640).

Die Wahl fiel auf das im selben Gebäude untergebrachte k.k. Staatsgymnasium, für das Trakl im September 1897 eine Aufnahmsprüfung in den Fächern Religion, Deutsch und Rechnen erfolgreich ablegte. Dieses ausschließlich für die männliche Jugend zugängliche humanistische Gymnasium war die Schule des gehobenen Bürgertums aus Stadt und Land Salzburg, einzelne Schüler kamen auch aus anderen Kronländern der Monarchie. Der Abschluss berechtigte nicht nur zum Studium an der Universität, sondern auch zur Absolvierung des prestigeträchtigen Einjährig-Freiwilligen-Jahres in der k.u.k. Armee anstatt des sonst vorgeschriebenen dreijährigen Militärdienstes.

Trakls Schulweg blieb derselbe, nur fünf Minuten von zu Hause, über Residenzplatz, Ludwig-Victor-Platz (heute Alter Markt) durch den dunklen Ritzer-Bogen zum Universitätsplatz, vorbei an mehreren Buchhandlungen, Cafés und Konditoreien. Die erste Klasse besuchte er zusammen mit 65 Schülern, von denen die meisten aus der Stadt, manche aus Oberösterreich kamen.118 Dass er der einzige Protestant war, gab ihm eine gewisse Sonderstellung. Es ging gleich kräftig los mit acht Stunden Latein in der Woche, was schließlich nur 37 Schüler schafften, darunter auch Trakl, der dieses Fach im ersten Jahr mit „genügend“ abschloss.119 Heinrich Benedikt, später ein bekannter Wiener Historiker, war ein Mitschüler Trakls in der zweiten Klasse und hatte ihn als blassen, stillen Knaben, der bescheiden und verschlossen im Hintergrund blieb in Erinnerung.120 Zum Nachteil Trakls war die Situation an der Schule wegen häufigen Direktorenwechsels unruhig; nicht nur die Direktoren, auch die Ordinarien und Lehrer in den gefürchteten klassischen Sprachen wechselten. Der Umgangston zwischen Lehrern und Schülern war sehr distanziert: Man redete einander schon in der Unterstufe mit „Sie“ an, womit das gehobene Selbstverständnis auf beiden Seiten zum Ausdruck gebracht werden sollte. Trakl hat sich in der Unterstufe an Übungen mit militärischem Charakter beteiligt, die wahrscheinlich im Rahmen der Schule organisiert worden sind.121