Gesammelte Gedichte - Wolfgang Bächler - E-Book

Gesammelte Gedichte E-Book

Wolfgang Bachler

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Beschreibung

Er war das jüngste Gründungsmitglied der Gruppe 47, hochgelobt von Dichtern wie Thomas Mann, Gottfried Benn und Heinrich Böll. Er schrieb Liebesgedichte, in denen die Liebe nicht benannt wird, und die vorsichtigsten und zerbrechlichsten Verse der deutschen Nachkriegsliteratur. Zeit seines Lebens blieb er ein Autor für Kenner und Eingeweihte, ein immer im Verschwinden begriffener Riese. Sein lyrisches Werk wuchs in die Tiefe statt in die Breite und liegt nun – ergänzt um bisher unveröffentlichte Gedichte und ein Nachwort von Albert von Schirnding – mit diesem Band erstmals gesammelt vor.

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Wolfgang Bächler

Gesammelte Gedichte

Mit einem Nachwort von Albert von Schirnding

Fischer e-books

Herausgegeben von Katja Bächler und Jürgen Hosemann

Die Zisterne

Gedichte 1942 bis 1949

Oh, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt … Hölderlin,HYPERION I, 1

Das Allerweichste auf Erden überholt das Allerhärteste auf Erden. Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das, was keinen Zwischenraum hat. Lao-tse

Die Fontäne

Kühn steige ich und falle

zerstäubt vom Überschwalle

nur immerzu in mich.

Ich baue Zaubertürme.

Durch Wind und Wetterstürme

aufwirbelnd tanze ich.

Zersprühende Gewalten

sich neu in mir gestalten,

und Sonnen spiegeln sich.

Als ich Soldat war

Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht.

Auf Schmerz und Tod gab’s nur den alten Reim.

Mir schnitt der Stahlhelmriemen ins Gesicht.

Und daß ich lebte, wußte ich es nicht?

Die Verse schliefen irgendwo daheim.

Das Blut floß stumm, gerann zu schwarzem Seim.

Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht.

Als ich Soldat war, sprach ich kein Gebet.

Die ersten schrillen Kugeln trafen Gott.

Die Stimmen starben, die zu ihm gefleht.

Geruch der Toten hat ihn zugeweht.

Befehle jagten mich in irren Trott.

In tausend leeren Fratzen hing der Spott.

Und Gott? – Wir hoffen, daß er aufersteht.

Geliebte Sprache

Für Hans Georg Brenner

Verlassen im Sturz der Gestirne stand

die Sprache. Ich tastete mich heran.

Ich strich ihr spielend über die Haut

und löste sie aus zerfetztem Gewand.

Da fing sie wieder zu tönen an

und manchmal schrie sie laut.

Ich griff ihr ins Haar – die Spange sprang –

Sie goß es über mich hin.

Es floß mir dunkel die Sinne entlang.

Ich tauchte hinein, in den Strom von Gesang

und badete mich darin.

Ich hob den Mund, den trunkenen Mund,

schon satt von der blühenden Brust.

Sie ließ mich nicht, sie saugte und biß

mir stöhnend die Lippen auf, als wund

im Taumel entfesselter Lust

das letzte Geheimnis zerriß.

In zuckenden Armen lag sie mir, bloß.

Ihr warf sich die Glut ins Gesicht.

Und nächtig quoll’s aus entsiegeltem Schoß

Ich ging in ihr auf und sie wuchs groß.

Wir zeugten die Welt als Gedicht.

Immer noch trägt uns die ewige Strömung

Für Stephan Hermlin

Immerfort trägt uns die ewige Strömung,

trägt uns des weißen Gewässers

friedlicher Schwall.

Nur wer sich einsam hob

mit durchlichteter Schwinge

taumelnd in Sphären der Helle

mit lohender Stirn,

fiel mit durchsengtem Gefieder

steinschwer und tönend hinab,

stieß auf die splitternden Gründe,

dunkel das Wasser verfärbend,

und staute den Strom,

saugten ihn nicht

die Kräfte der Sonnen in sich,

zog es ihn nicht

in den Strudel der Sterne,

wo er ein leuchtender auch

kreisend die Himmel durchmißt.

Immerfort trägt uns die ewige Strömung.

Jahrelang, unheilverhangene Jahre,

trugen uns schwarzrot die Wogen

schäumenden Bluts.

Männer warfen sich

tausendfach gegen die Fluten,

– stählern die Muskeln,

grün vor Haß die Gesichter,

Gier nach der Macht

in den zuckenden Lenden –,

schlürften wie Wein auf der Zunge

die Lust der Zerstörung,

türmten Leiber auf Leiber

der Toten wider den Strom.

Jauchzten und wollten es zwingen, das Wasser,

zwingen, das Schicksal, in ihre Bahn.

Sie stürzten die alten Werte

zwischen erstarrte Glieder.

Wind blies den Sand in die Fugen.

Standarten des Rausches brannten.

Himmelwärts wuchs

das Wehr der Vernichtung.

Über die Ufer schwollen

gurgelnd die Fluten,

löschten die Blumen, die sanften,

und brachen den Wald,

brachen die Tore der Stillen.

Sie peitschten im Aufschrei der Glocken

berstende Türme

und schlugen die Stufen des Doms.

Wolken rauschten herab,

und Gewitter fingen sich rollend

im Dunste des Bluts.

Tanzend, von Woge zu Woge geworfen,

rissen die Opfer die Trotzenden mit

in die Wirbel des Todes,

sprengten das Wehr

und die äußersten Dämme.

Letzte Zerstörer sanken dahin,

und die Fluten ergossen sich

schmutzig ins Meer,

ins unendliche.

Immer noch trägt uns die ewige Strömung

Wieder stehn lichtere Wolken

auf den Gewässern.

Und von den Sternen fällt

und durch die Wogen fließt

dunkel Gesang.

Verlassenes Schlachtfeld

Stümpfe und Strünke weisen zerschlissen

in die Gefilde erstarrter Gewalt.

Noch sind die Wiesen aufgerissen.

Spuren von tausend wütenden Bissen

sind in die Äcker eingekrallt.

Wassergefüllte Trichter gähnen,

die in der Erde wie Augen stehn.

Ist es der Tau, oder sind es die Tränen,

die auf den wehenden Gräsermähnen

wie zwischen zuckenden Wimpern zergehn?

Siehst du den Schrei in den Bäumen hängen?

Sieh, wie das Blut aus den Blüten tropft,

wie sich die Wolken in Äste zwängen,

wo sich die Hügel zusammendrängen!

Horch, wie der Wind an die Kreuze klopft!

Stimmen der Toten furchen die Lüfte.

Sieh, wie der Himmel die Bläue schluckt!

Helle des Tags versinkt in die Grüfte.

Dicht an des Berges zersprungene Hüfte

haben sich angstvoll die Dörfer geduckt.

Hörst du die Halme leise schauern,

dort, wo die Erde noch Blumen trägt?

Siehst du den Blitz in den Wolken lauern?

Horch wie der Donner gegen die Mauern

wachsender Horizonte schlägt!

Vögel taumeln wie Mücken und beben

saugend in Falten des Erdengesichts,

bis sie die Flügel des Sturmes heben.

Siehe, sie tragen einsam das Leben

brausenden Flugs in die Hallen des Lichts.

Die Erde bebt noch

Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten.

Die Wiesen grünen wieder Jahr für Jahr.

Die Qualen bleiben, die wir einst erlitten,

ins Antlitz, in das Wesen eingeschnitten.

In unsren Träumen lebt noch oft, was war.

Das Blut versickerte, das wir vergossen.

Die Narben brennen noch und sind noch rot.

Die Tränen trockneten, die um uns flossen.

In Lust und Fluch und Lächeln eingeschlossen

begleitet uns, vertraut für immer, nun der Tod.

Die Städte bröckeln noch in grauen Nächten.

Der Wind weht Asche in den Blütenstaub

und das Geröchel der Erstickten aus den Schächten.

Doch auf den Märkten stehn die Selbstgerechten

und schreien, schreien ihre Ohren taub.

Die Sonne leuchtet wieder wie in Kindertagen.

Die Schatten fallen tief in uns hinein.

Sie überdunkeln unser helles Fragen.

Und auf den Hügeln, wo die Kreuze ragen,

wächst säfteschwer und herb der neue Wein.

Jugend der Städte

Auf den Balkonen des Lebens

stehn wir, hinabgebeugt,

und lauschen, ob uns vergebens,

vergebens die Eltern gezeugt.

Wir haben das Blut gerochen,

die schweißige Angst, den Haß.

Die Brücken liegen zerbrochen

im trägen, fauligen Naß.

Kamine bohren geborsten

hinein ins zerschlissene Grau.

Nur noch die Geier horsten

in ungetrübtem Blau.

Die Fenster sind eingeschlagen,

durch die wir ins Leben geschaut.

Die Häuser sind abgetragen,

die man um uns erbaut.

Die Welt sind für uns die Fassaden,

aus denen das Dunkel grinst.

Die Not zieht über Kaskaden

von Schutt ihr dichtes Gespinst.

Es hängen noch manchmal Altanen

mit Blumen verloren im Raum.

Die Schwalben ziehen die Bahnen

wie einst. Doch der lächelnde Traum

von Künftigem in den Gesichtern

der Kinder erlischt, wenn es hellt

und mit gierigen nackten Lichtern

der Tag in die Stille gellt.

Auf den Balkonen des Lebens

stehn wir, hinabgebeugt,

und lauschen, ob uns vergebens,

vergebens die Eltern gezeugt.

Wintergang

Der Himmel stürzt sternlos

ins weiße Feld.

Schnee sinkt, das Land sinkt.

Der Weg steigt, die Spur steigt

braun ins Grau.

Ich falle, ich stapfe, ich steige.

Gewölk reißt mich hoch.

Der Schuh klingt, der Wind tönt.

Schnee kränzt mir die Stirn.

Häuser ducken sich

krumm ins Weiß.

Flüsse erstarren,

umfrieren das Land.

Ein Strauch tritt

mir in den Weg.

Bäume nahen

schwarz und bittend

und neigen sich.

Ich sinke, ich stapfe, ich steige.

Das Eis singt, der Wald schreit.

Den Spiegel verhängt,

schwindet der See.

Dunkle Frucht rollt

mir vor den Schuh.

Die Frucht birst, Schnee fällt,

Das Land fällt, der Wind höhnt,

verweht den Weg,

verwischt die Spur,

verlöscht meinen Tritt,

glättet die Welt.

Im Föhnwind

Wenn der Föhn von Süden streicht,

fühl ich mich so leicht.

Gehen muß ich, gehen,

fort, wo die Alleen

in den Himmel stehen.

Schritt für Schritt fällt eine Last,

Schritt für Schritt wächst neue Hast,

Gehen, immer gehen,

in die Wolken sehen,

die vorüberwehen.

Wenn der Föhn von Süden streicht,

fühl ich mich so leicht.

Abstraktion

Schwer fällt mir die Nacht auf die Lider

und stürzt das Gestaltete ein.

Die Farben, sie sinken wieder

zum Ursprung, in mich hinein.

Der Abglanz des Tages, zerronnen,

sich tönend zu Bildern rafft,

gestaltlos dem Dunkel entsponnen,

und zwingt mich in zaubrische Haft.

Ins Licht meiner brennenden Sinne

sind leuchtend die Farben gestellt.

Die Sonne versank, nun beginne

der Rausch meiner eigenen Welt.

Nächtliches Spiel

Einer Tänzerin gleich

schreitet die Wolke

über die Bühne der Nacht,

grün schillernd

im Rampenlichte des Monds,

von tausend Sternen umschwärmt.

Verzückt, in wilder Gebärde,

entfaltet sie ihr Gewand,

wirft in den Nacken

das lockenumspielte Haupt

und jauchzend im Wind

erhebt sie die Arme.

Da rieselt ein Schauer

durch den erzitternden Leib.

Jäh lösen sich Haupt und Glieder,

rollen zu Flocken sich

und entschweben,

gefolgt vom geballten Rumpf.

War sie die Tochter des Monds?

Kehrt, im Taumel entseelt,

zurück in den Schoß sie,

zerrissenen Leibs? – –

In schaudernd erkaltendem Blau

erbleichen die Sterne.

Es tagt

Die müden Sterne und der Mond erblinden

am kühlen Himmel, der noch nächtlich droht,

und Wolken ballen sich in grauer Not,

das Licht, das quellende, zu überwinden.

Den Osten zeichnet eine Reihe Linden.

Aus wirren Ästen wächst das Morgenrot,

das glimmend in die Wolkentürme loht.

Die Blässe weicht, die Nebelstreifen schwinden.

Die Farben klären sich, und die Konturen

verdichten sich zu gültiger Gestalt.

Und alles, was in Schemen sich verloren,

das dämmrig Fließende der weiten Fluren

erstarrt zur Form. Erahntes wird Gehalt.

Die Sonne steigt, es ist der Tag geboren.

Das Moor

1943 im Reichsarbeitsdienstlager

Wolken lasten über schwerer Erde.

Nackte Birken tanzen wild im Wind.

An den Säumen meiner schmalen Fährte

trübes Wasser durch die Gräben rinnt.

Bohlen knirschen unter meinen Tritten.

Wütend schluckt und ächzt das träge Naß.

Von den Stürmen längst zu Tod geritten

liegt wie hingepreßt das bleiche Gras.

Schwarzen Bodens weit verstreute Splitter

einen sich vor mir zum dunklen Band.

Birken drängen sich zum fernen Gitter,

dicht umsperrend das verborgne Land.

Frühling?

Vorwärts hast ich den Weg

zwischen den Gärten.

Mauern, Hecken und Zäune!

Staub schlägt mir ums Knie,

und der Stein rollt vor dem Tritt.

Im Blut nur der eine Akkord,

der dunkle und starke,

der laut in den Adern tost.

Von fernen Balkonen nicken

Blumen und Mädchen.

Blüten flammen

aus saftigem Laub der Kastanien,

und über die Mauern quillt

duftend der Flieder.

Durch morschende Planken

tastet schmeichelndes Grün,

und über die Latten schimmern

wollüstig die Dolden

weißgelben Holunders.

Mauern, Hecken und Zäune!

Aufschauend mit rotem Aug,

ob sich der Himmel nicht weite,

seh ich nur Wolken

sinken auf mich,

schwer, schwer wie die Erde,

düster, gewittergeschwellt.

Ich ducke das Haupt,

daß es nicht an die Wölbung stoße,

und taumle zum Pfahl,

der sich in Himmel und Erde bohrt,

und rüttle, bis mir der Regen

den Schweiß auf der Stirne süßt

und mir das nasse Haar

Augen und Sinne verhängt.

Im Park

Ich lehne gelassen am morschen Zaun

und schau in den Park hinein:

Vor flüsternde Büsche tritt lächelnd ein Faun

aus grauem verwittertem Stein.

Als hätte ihn einst aus kreißendem Schoß

die Gartenerde gezeugt,

so steht er da, als ihr ältester Sproß,

von Regenstürmen gesäugt.

Die Bocksfüße klettert Moos hinan,

das wärmend die Mutter ihm lieh.

Lichtnelken, Schaumkraut und Löwenzahn

liebkosen streichelnd das Knie.

Die Schultern der blühende Flieder streift.

Die Hand liegt im Barte verkrallt.

Ein neckischer Zweig durch die Hörner greift

ins Haar, das den Nacken umwallt.

Im zottigen Fell eine Schnecke klebt.

Sie kriecht wohl schon lange Zeit

und spürt, wie hinauf sie den Götterleib strebt,

ein Stück Unermeßlichkeit.

Liebeslied

Wenn nur immerzu der Baum

diese weißen Blüten trüge,

wenn nur immer so der Schaum

roter Sonne in den Traum

deiner sanft erregten Züge

zitternd flösse und dein Haar

über meine Stirne wehte,

wenn sich nur das ganze Jahr

um das lichte Sternenpaar

deiner frohen Augen drehte,

wenn nur immer deine Hand

so an meinem Herzen lehnte,

wenn bis an den steilsten Rand

allen Lebens sich der Brand

dieser Stunde glühend dehnte,

wenn auf jedem Weg der Klang

deiner Stimme mich umhüllte,

wenn nur immer der Gesang

dieses Abends neu den Gang

meines Blutes jubelnd füllte,

dann zerschlüge sich die Nacht,

die das Nichts verbirgt im Kerne,

und sie stürzte in den Schacht

zwischen uns und hell entfacht

übertanzten uns die Sterne.

Moments Musicaux

Für Gudrun

Impromptu

Wie Farben fallen Töne in den Raum

und fließen selig klingend ineinander,

bald dunkel quellend, bald wie lichter Schaum

zerrieselnd, flüchtig schillernd wie ein Traum.

Auf blühen Stimmen dann wie Oleander,

wenn pralle Sonnenstrahlen den Balkon

am Mittag treffen und die Wände leuchten,

und taumeln, sich entblätternd wie der Mohn

im Abendwind, und sinken Ton um Ton

wie Blüten auf den Grund, den regenfeuchten.

Intermezzo

Türflügel schlagen auf und fallen

zurück im Schwung.

Ein Mädchen flattert aus den Hallen

in leichtem Sprung.

Sie rauscht die breiten Treppen nieder.

Ein Vogel flieht.

Auf ihren Lippen kehrt es wieder,

sein buntes Lied.

Sie löst von ihrer Brust den hellen

Lichtnelkenstrauß

und wirft ihn in die grünen Wellen

des Sees hinaus.

Scherzo

Ein Kobold sprang

ins Stimmenmeer.

Baßdunkle Woge warf ihn her.

Hellgrünen Tang

flocht er ins Blau

der klingend kühlen Luft.

Aus braunem Duft

steigt eine Frau

auf lichtem Silberton.

In schrillem Hohn

spritzt er den Schaum

der Wellen an die weiße Brust.

Sie lacht vor Lust

und spürt es kaum,

wie er sie um die Hüfte faßt.

Ein irrer Tanz

im Wellenkranz.

Aus seinen Armen taumelnd sinkt

die süße Last.

Das Meer verschlingt

sie, doch der Bold entspringt.

Capriccio

Musik erklingt, Musik, die quirlt wie Sekt.

Den vollen Kelchen, die kristallen schimmern,

entsteigt des Südens farbensattes Flimmern.

Geläut von Herden Vogelstimmen weckt.

Und fern das Murmeln kühler Wasserfälle.

Fontänen in der Sonne silbern blitzen,

ein Sprühen, Schäumen und ein schrilles Spritzen

und Blumenwerfen und das Spiel der Bälle.

Und dann die Satyrsprünge, Rausch und Tanz,

erst anmutsvoll und wilder dann und wilder,

ein Sturz der Klangfiguren und der Bilder,

und Wirbel, Aufschrei und zerrißner Kranz.

Der Zauberspuk verweht, ein Echo irrt,

so liedhaft zart, daß alle Stimmen lauschen,

und dann nur noch der Wasserfälle Rauschen,

in dem sich letzte Melodie verliert.

Moment Musical

Aus ihrer Hände weißem Fluß

stieg matt ein Klang,

und im Genuß

der blauen Stunde sang

der Baum,

der blütenweiße.

Ganz leise

zitterte im Kuß

ihr Mund.

Der Saum

des Kleides hob sich bunt,

und Blütenschaum

fiel in den Wind.

Es läutete ihr Haar

wie Gold, das durch die Finger rinnt.

Das Tönen schwand,

das um uns war,

versank ins Blut

und in die Glut,

die hell in ihren Augen stand.

Nocturno

Die Nacht sinkt matt, die Nacht stürzt schwer

in sonnenmüde Mauern.

Von Fenstern strömen gelb wie Wein

die Lichter auf den dunklen Stein

und hüpfen um mich her.

Die Schatten, die in Toren kauern,

sie springen auf und lauern

und fallen in die Straße ein.

Der Mond setzt sich aufs Dach hinauf.

Die Fenster klirren leise.

Sie öffnen sich wie Zaubertüren,

die traumweit in die Ferne führen,

und schließen Welten auf.

Akkorde fluten warm. Die Weise

schwingt wehend aus dem Kreise

Verzückter, die die Saiten rühren.

Von Frauenlippen fällt Gesang

auf mondberauschte Wände.

Nachtvögel streichen scheu durchs Lied.

Ein Ball, ein Pfeil, ihr Schatten flieht

den hellen Sims entlang.

Stumm reicht ein Kind mir seine Hände,

sieht in die Sternenbrände

und taumelt weg und jauchzt und kniet.

Frühsommer

Matt vom Jasmin

die Blüte fällt.

Der Traum zersprüht.

Die Bienen taumeln satt.

Es bleicht das Gras.

Ein schwüler Duft

steigt hoch ins Grau.

Die Sonne hängt im Dunst.

Auf blüht der Mohn.

Sein Rot ist heiß.

Die Erde glüht.

Die Mücken tanzen wild.

Die Luft steht still.

Schwer ballt sich Kraft.

Es reift das Korn.

Die Sonne hängt im Dunst.

Heimweg durch Gewitter

Lampen biegen sich

schlapp in die Nacht.

Dampf steigt vom Asphalt.

Hundert Spiegelungen tanzen.

Berstend zerbricht das Gewölk.

Ein Blitz schreit auf,

daß Bäume erbeben.

Blüten springen vom Ast.

Ein Turm steilt hoch und versinkt.

Gemäuer zuckt in weißer Angst.

Ein irrender Stern erbleicht.

Atemzuglang – bis wieder Schwärze

das Leben verschlingt.

Der Sturm lacht im Park.

Irgendwo grinst noch Licht

hämisch durch schmutziges Glas.

Irgendwo weint ein Kind …

Sommer 1945

Pflück mir den Mohn!

Ich fass’ es kaum,

daß wieder Sommer,

daß Sommer ist

und wieder Wärme

die Glieder hüllt,

in Adern fließt

und in die Herzen.

Daß wieder Kinder

wie bunte Falter

auf Gassen tollen

in Spiel und Streit!

Daß wieder Vögel

im Himmel hängen

und helle Lieder

tief in uns fallen!

Oh, daß das Eis

in dunklen Wimpern

und Brauen schmolz,

daß wieder Glanz

im Auge steht

und wieder Sonne

auf Straßen schläft

und auf der Haut!

Und daß wir wieder

in Flüsse springen,

aus Seen tauchen,

nackt an den Ufern

im Grase liegen,

die Hand in Blumen,

das Haar im Wind.

O blaue Zeit!

Daß wieder Licht

von Mauern rinnt,

von Bäumen trieft,

auf Körpern spielt,

durch Wellen schießt,

in Brunnen fällt

und in die Herzen!

Spürst es auch du?

Mittag auf dem See

Heißer Wind hält seinen Atem an.

Wasservögel bergen sich im Schweigen

dichten Schilfs. Die Wellenfurchen zeigen

silberspurig unsres Bootes Bahn.

Tiefer tauche ich die Ruder ein.

Stummes Wasser trägt des Mittags Schwere.

Weiche Ufer taumeln matt ins Leere.

Sonne liegt im Blut wie dunkler Wein.

Sonne spiegelt glühend dein Gesicht.

Sonne fließt aus deinen losen Haaren

über mich. Du lächelst traumerfahren

und wir saugen tief in uns das Licht.

Warum hast du dennfortgehen müssen?

Warum hast du denn fortgehen müssen?

Mein Gesicht, mein waches Gesicht,

das brennt noch von deinen Küssen

und der Mund, der Zerbrochenes spricht,

und die Sinne, die sind nicht erschlafft.

Wie ein Brückenbogen in Flüssen

lieg ich in die Nacht gestrafft.

Ich fühle die Wogen schlagen

in mir und über mich hin.

Nur dich, nur dich will ich tragen

und das Licht, das über uns schien.

Hoch über den purpurnen Wellen,

gedehnt in den glühenden Raum,

aus dem die Gesänge quellen,

wo der Sternenstaub und der Schaum

allen Lebens sich lodernd ballen,

dort wollen wir einsam stehn,

bis wir fallen müssen, dann fallen

wir tiefer und tiefer und sehn …

Warum hast du denn fortgehen müssen?

Warum, warum bliebst du denn nicht?

Komme wieder mit deinen Küssen!

Auf dem Mund, der Sinnloses spricht,

ersticke das matte Gedicht!

Staub

Für Günter Eich

Ungereifte Johannisbeeren

verrinnen mir grün in der Hand.

Regenträchtige Wolken gären

tief über erstarrtem Land.

Licht verliert sich in schrägen Strahlen

auf Rindern am Rasensaum.

Von Mäulern, die träge das Gras zermahlen,

trieft weißlich flockender Schaum.

Die Flügelschläge der Vögel knistern

erregter im Heckenlaub.

Auf Halmen und Blättern verschwistern

sich Blüten- und Straßenstaub.

Der Waldweiher

Als wäre einst ein dunkler Wolkenball

in diesem Waldtal am Geäst verhängt

und hätte sich in mählichem Zerfall

zerfließend in die Tiefen eingedrängt

und auseinanderquellend sich gedehnt,

so liegt der Weiher, finster, regengrau

an sanfte Hügel zitternd angelehnt.

Der trübe Spiegel schwärzt das Tannenblau.

Ins Braun verdüstert er der Buchen Grün.

Ums Ufer sich zerzaustes Schilfgras flicht,

darin versteckt die Wasserrosen blühn.

Vom Himmel sickert mattes, weißes Licht.

Licht

Licht rinnt an Stämmen des Hains,

fließt wie an Säulen des Seins

bis in die Schale des Quells,

leuchtet hinab in den Grund,

bricht sich dort wirbelnd und bunt,

fängt sich und steigt auf den Fels,

spielt über schlafendes Moos,

träumt in den dämmrigen Schoß

schattenversunkener Welt.

Undurchdringliches Laub,

blind von der Helle und taub,

irrende Strahlen hält.

Die Boote

Verstreut liegt da und dort ein Boot am Strand.

Die Ruder und das Steuer sind zerschlagen,

am morschen Boden schwarze Lachen nagen.

Die Planken glühn und weithin glüht der Sand.

Und andre schaukeln draußen in der Bucht.

Sie schnellen vor, bis sich die Seile straffen

in stetem Spiel, und stoßen dann im schlaffen

Zurück an ihren Pflock in matter Wucht.

Nur eines fliegt, den Mastbaum hochgestellt,

mit windgeschwelltem Segel durch die Wogen.

Vom Himmel überspannt in blauem Bogen

durchstößt es kühn den Schleier vor der Welt.

Der Gast der Erde

Hingelagert unter die Himmel,

hingelagert über das Nichts,

ruht trächtig die Erde.

Lichtfarbene Halme

schwanken ährenschwer,

und in endlosem Grün

dehnt sich in Fernen das Laub,

tausendsäulig und tausendarmig gestützt.

Und sie trägt auch mich,

diese Erde,

mich, den Gewittergebornen.

Der Halm zittert

bei meinem Tritt.

Bäume biegen sich seitwärts.

Schluchten klaffen auf.

Und in herber Rundung

locken mich Brüste,

sonnenbebende Hügel.

Sprühenden Laufs

schäumen mir Flüsse entgegen,

und die Stille des Sees

birgt mein vergangnes Gesicht.

Der Wind schmiegt sich

mir um den Leib.

Tau glänzt am Schuh

und am klingenden Stab.

Wolken kühlen

die heißen Schläfen,

und der Strahl des Gestirns

fällt mir schräg übers Haar.

Zwielicht im Aug

trink ich der Sonne Glut.

Dröhnenden Gangs

wandelt die Trotzende

durchs zerfallende Blau.

Auf meinen Schultern

türmt sich Gewölk.

Feuchte durchzittert die Luft.

Fern fängt sich der Donner.

Regen kost mir die Stirn.

Blitze grüßen mich

blaustrahlig, straff.

In Wehen zuckt

der Erde dunkler Leib

und bäumt sich

im fahlen Licht.

Von Himmel zu Himmel

wirft die Sonne

den schimmernden Bogen.

Ich eile und schreite hinaus

durchs siebenfarbige Tor.

1. Fassung

Rot

Für Otmar Lederer

Nur in den roten Farben ist Gott,

im Blut, das das Herz in die Adern stößt,

unter den brennend vereinigten Lippen

und auf der Haut, die in Scham sich rötet.

Nur in den roten Blumen wächst Gott,

im flüchtigen Brand des Mohns,

in der Rosen wütender Glut,

im herbstlichen Feuer der Astern.

Nur in den roten Früchten reift Gott,

unter der prallen Haut der Tomaten,

im rosigen Fleisch der Wassermelone,

in der Kirschen Süße, der bitteren Vogelbeere.

Nur in der roten Sonne brennt Gott,

in den wehenden Fackeln der Frühe

und im tieferen Glutball des Abends,

im Flammenstrich auf des Wassers gelöster Haut.

Miß die Zeit am rinnenden Blute der Frauen!

Schmecke am Rot der Blumen die Lust!

Sauge die Reife aus glühender Frucht!

Spüre den Wandel am Röten der Sonne!

Nur in den roten Farben ist Gott.

1. Fassung

Abgeerntet

Die Stoppelfelder starren sonnenfarben.

Ein letzter Wagen harrt mit prallen Garben.

Die Halme glühn.

Verstreut liegt zwischen stillen Ackerkrumen

manch rotes Blatt. Und auch die blauen Blumen

sind im Verblühn.

Ein graues Band, zerfurcht von tiefen Rinnen,

sucht unbeirrt die Weite zu gewinnen.

Es wölkt der Staub.

Am Graben stechen Pappeln auf ins Leere.

Die Erde ruht im Zwang der eignen Schwere.

Schlaff hängt das Laub.

Ein Wandrer zieht des Wegs mit lahmen Schritten.

Den müden Augen ist das Ziel entglitten.

Sie suchen bang.

Vor seinem Blick sich tote Äcker weiten.

Bald irrt er unstet in Unendlichkeiten.

Der Weg ist lang.

Nachmittagsstunde

Für Hanns und Odette Arens Herrlingen, September 1948

Auf blendender Mauer hocken

schwarzschattende Vögel. Drei

dumpfe Schläge der Glocken

ersticken das Kindergeschrei.

Vom Kirchensims fallen die Raben

in blaue Septemberglut.

Die eschernen Speere der Knaben

schwirren ins schwarzrote Blut

gereifter Holundertrauben.

Der Wind hat sich schläfrig gedreht.

Am Kirchensims sonnen sich Tauben,

vom Bachgrund emporgeweht.

Helles und dunkles Gefieder

schwimmt in das sumpfige Braun.

Sein leuchtendes Rad schlägt wieder

der Pfau vor dem Friedhofszaun.

2. Fassung

Kastanien

Für Anna Margarete

Ich sitze nach herbstkühlem Bade am Fluß

und schleudre Kastanien wie einst als Knabe,

bis ich die Schritte vernommen habe,

das knisternde Kleid und den raschelnden Fuß.

Ich tauche die Finger in offenes Haar

und sehe die Wolken im Winde schäumen.

Leise entblättert sich mit den Bäumen,

was ich erlebt im verflossenen Jahr.

Ich sehe die Wolken sich dichter ballen

und knote die Locken mit spielender Hand.

Geflügelte Früchte wehn sonnenverbrannt

von Eschenzweigen. Kastanien fallen

mir über die Schulter und ihr in den Schoß.

Ich breche die Stacheln und löse die Schale

und werfe die Kerne zum zweiten Male

über den Fluß mit weicherem Stoß.

1. Fassung

So kam die Nacht

So kam die Nacht: Sie stieg vom Tal herauf

und hing das Dunkel in die lichten Wipfel.

Die spielten’s höher, warfen’s über Gipfel

und droben fing’s der weite Himmel auf.

Die Schatten krochen aus Gebüsch und Tann,

aus Tobeln, Schluchten, die die Hänge queren,

und löschten sanft das Rot der Vogelbeeren,

den Schein des Wassers, der vom Felsen rann.

Sie traten aus das feuergelbe Laub,

die matte Glut, die in den Gründen träumte.

Nur drüben, wo der Wasserfall sich bäumte,

da schimmerte noch hell der Silberstaub.

Die Kühle wehte hoch und wischte sacht

des Tages Wärme von den müden Halmen,

und tiefer, tiefer sanken rings die Almen

und schmiegten sich in Arm und Schoß der Nacht.

Bergabend

Wetterwände stürzen ein.

Nebel zieht die Schleier dichter,

und im Spiel der letzten Lichter

lächelt schmerzlich das Gestein.

Wolken knien auf bleichem Hang.

Himmelgreifend beten Tannen,

um die Geisterflut zu bannen.

Eine Latsche duckt sich bang.

Schon entsinkt der nahe Grat.

Farben sind ins Grau zerronnen,

und ich suche eingesponnen

durch die Dämmerung den Pfad.

Herbstmorgen

Der wache Tag hebt strahlend sein Gesicht

aus grauem Dunst ins dünne Blau empor.

Die Bäume fangen den zerrißnen Flor,

der wallend sich um ihre Äste flicht.

Die Äste greifen sich verschränkend aus

und scheinen Kuppeln wölbend hochzuschwellen.

Sie seufzen auf wie tragendes Gebälk.

Und draußen schimmern Teppiche des Taus,

bis Wolken doldig aus der Bläue quellen.

Das Licht wird überreif und matt und welk.

Oktobertag

Der Nebel fällt, aus grauen Fluten steigt

sonnübergüldet eine helle Halde,

umschlossen rings von kühlem Eichenwalde,

aus dem sich lächelnd eine Birke neigt.

Vereinzelt hängt noch kupferbraunes Laub.

Das Astwerk krümmt sich in verrenkten Posen.

Am Bachgrund welken letzte Herbstzeitlosen.

Ein Bussard kreist; gespannte Kraft sinnt Raub.

Nackt ragt ein Stamm, schaut fragend auf ins Blau,

ein schwarzes Zeichen, eine Hieroglyphe.

Noch wirrer sprechen Schatten in der Tiefe.

Auf fahlem Farn glänzt lichterfüllt der Tau.

Nordsee

Öd wölben Dünen sich wie Leichenhügel,

salzflutdurchnäßt, vom Wasser hochgespült,

vom Wind gehäuft, von Stürmen wild zerwühlt.

An Kieferstrünken hängen Möwenflügel,

die bleiches Morgenlicht umspielt.

Das Land verdüstern schwere Wolkenschatten.

Im dürren Strandgras schauert leis der Wind.

Es summt der Sand, der durch die Halme rinnt.

Aufatmend dampfen die befreiten Watten,

die scheu der Flut entstiegen sind.

Ins Graue greifend weitet sich die Küste.

Aus ihren kalten Armen flieht das Meer.

Es rollt hinaus, verrauschend, götterleer,

und schlägt zurück an weiche Dünenbrüste

in kampfesmüder Wiederkehr.

Der Baum am Meer

In deinem Stamme steigt die Macht der Erde,

die zähe Kraft, die sie im Kampfe fand,

der Wille, der dem Griff der Wogen wehrte.

Dein Wuchs ist Form gewordner Widerstand.

Wenn aus der Erde auch die Wurzeln quellen,

so schäumt in deinen Säften doch das Meer.

In allen Ästen schwingt der Geist der Wellen,

schwingt in die Wolken, winkt die Wolken her.

Die kühnsten Zweige greifen nach den Sternen.

Du bist nicht Erde, bist nicht Meer, bist Baum!

So stehst du zwischen endlos weiten Fernen.

Du stehst allein, was um dich lebt ist Traum.

Am Kai

Ich gehe schneller. Hinter mir versinkt

das schrille Lärmen einer Tanztaberne

und weiter – von Laterne zu Laterne,

bis alles schweigt und nur die Nacht erklingt.

Vom Kai zerschlagen Wog um Woge springt.

Aus Wellenbergen heben sich die Sterne

und tanzen fort und locken in die Ferne,

wo silberblaß der volle Mond ertrinkt.

Und all mein Sehnen löst sich leis vom Land.

Ich schau hinab zum Steg, ob nicht ein Boot

gekettet läge, daß es mich entführe.

Da nahen Schritte, warmer Atem loht