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Madlen Schaffhauser

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Ich hätte den Fall abgeben sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte, aber der anziehende und mächtige Millionär Oliver Falk, Sohn meiner krebskranken Klientin, zieht mich sofort in seinen Bann. Das anfänglich leise Knistern zwischen uns lodert bald in einem heißen Feuer und wir vergessen uns in wilder Leidenschaft. Dank ihm beginne ich wieder zu leben und wie mir scheint, verhält es sich bei Oliver gleich, bis es zu einem verhängnisvollen Treffen kommt. Bei jener Begegnung erfährt er, dass ich über seine schreckliche Vergangenheit, die er stets von mir fernhielt, schon längst Bescheid weiß. Wird mein Verrat alles was wir haben zerstören? Unser gemeinsames Glück, unsere Zukunft, unsere Liebe?

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Madlen Schaffhauser

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher von Madlen Schaffhauser Leseprobe Machtspiel

Leseprobe Tödliches Verlangen

Impressum neobooks

Zu diesem Buch

Ich hätte den Fall abgeben sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte, aber der anziehende und mächtige Millionär Oliver Falk, Sohn meiner krebskranken Klientin, zieht mich sofort in seinen Bann. Das anfänglich leise Knistern zwischen uns lodert bald in einem heißen Feuer und wir vergessen uns in wilder Leidenschaft. 

Dank ihm beginne ich wieder zu leben und wie mir scheint, verhält es sich bei Oliver gleich, bis es zu einem verhängnisvollen Treffen kommt. Bei jener Begegnung erfährt er, dass ich über seine schreckliche Vergangenheit, die er stets von mir fernhielt, schon längst Bescheid weiß. 

Widmung

Für Celine und Dustin, die mein Leben bereichert haben und es auf Trab halten.

1.

Ich sitze in meinem Büro und lege die restlichen Blätter meines letzten Falles in die Akte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schliesse ich den Ordner und streiche mit den Händen über den Ordnerrücken, als ich ihn hoch hebe und ihn ins gegenüberliegende Regal stelle.

Nach wochenlanger und intensiver Suche konnte ich endlich zwei Geschwister wieder zueinander führen, die sich vor über dreissig Jahren aus den Augen verloren haben.

Es war keine einfache Aufgabe Erich ausfindig zu machen und aus diesem Grund bin ich um so stolzer auf mich, dass ich es geschafft habe Luisa, die mich engagiert hat, und ihren Bruder wieder zu vereinen.

Ich sehe die tränenreiche Begegnung noch ganz deutlich vor mir. Wie sie sich ungläubig in die Arme genommen haben und es nicht wahr haben wollten, dass dieses Zusammentreffen doch tatsächlich geschieht.

Dieses Gefühl, das ich gestern erfahren durfte, hat mich abermals in meinem Tun bestärkt und mir bewiesen, dass ich genau den richtigen Beruf ausübe und mir offen gezeigt, dass ich nicht aufgeben darf, auch wenn der Weg noch so schwierig und steinig zu sein scheint.

Ich setzte mich wieder hinter meinen Schreibtisch und starte meinen Laptop auf. Gerade als ich das Mailprogramm öffnen und die ungelesen E-Mails durchsehen möchte, klopft es an meiner Tür, woraufhin Tina, meine Schwester, die die rechte Hand in meinem Büro für Personensuche bildet, zaghaft ihren Kopf durch den Spalt steckt.

„Ich weiss du wolltest heute nicht mehr gestört werden, aber da draussen steht eine Frau, die mich angefleht hat, dich für wenige Minuten sprechen zu dürfen. Sie sieht so mitleiderregend aus, dass ich es einfach nicht über mich gebracht habe, sie wieder wegzuschicken.“

Ich habe gehofft, dass ich heute etwas administrative Arbeit erledigen kann, wie das beantworten von Mails, die schon lange auf eine Antwort warten oder den grossen Stapel Post durchzugehen, der auf meinem Schreibtisch liegt.

Einen Blick auf den Bildschirm meines Computers und wieder zurück zu meiner Schwester, wird mir die Entscheidung leicht gemacht.

„Biete ihr einen Kaffee oder sonst was an. Ich komme gleich nach.“

Tina lächelt mich kurz an, bevor sie die Tür hinter sich zuzieht und ich leise Stimmen von nebenan höre.

Ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder meinem Laptop zu und gehe die obersten ungelesenen E-Mails durch, die ich in den letzten Tagen erhalten habe. Die meisten sind irgendwelche Werbungen, die ich sofort lösche ohne sie zu lesen.

Die Nächste, die ich öffne, erhält ein herzliches Dankesschreiben. Die Absenderin beteuert darin ein weiteres Mal, dass sie unendlich froh darüber sei, dass sie auf mich zugekommen ist und mich um meine Hilfe gebeten hat. Endlich kann sie wieder ihre Schwester in die Arme nehmen und mit ihr über verloren geglaubte Zeiten reden und lachen.

Bei dieser hinreissenden Nachricht kommen mir beinahe die Tränen, die mich an mein eigenes Schicksal erinnern.

Nach einigen Minuten erhebe ich mich aus meinem Bürostuhl und gehe in den vorderen Bereich der Geschäftsräume und wo sich der Empfangstresen befindet. Meine Schwester nickt mir zu und deutet Richtung Warteraum, der durch eine milchige Schiebetür von Tinas Arbeitsplatz abgetrennt ist.

„Sie ist schon ganz ungeduldig.“

„Wie ist ihr Name?“

„Das wollte sie mir nicht sagen. Ausserdem erscheint sie mir äusserst nervös zu sein. Aber sie wirkt sehr entschlossen.“

„Dann werde ich mal sehen, was ich für sie tun kann.“ Ich klopfe kurz auf den Tresen, ehe ich auf die undurchsichtige Tür zugehe. Noch bevor ich diese öffne, bringe ich kurz mein Äusseres in Ordnung und trete ein.

Sie sitzt auf einem der vier roten Stühle, die in einer Reihe an der Wand entlang stehen. In ihren Händen hält sie eine Frauenzeitschrift, ohne jedoch darin zu blättern. Ihr Blick ist starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, an der ein Bild hängt, auf dem zwei Mädchen Hand in Hand durch ein Blumenbeet gehen, weg von den Betrachtern und in den Sonnenuntergang spazieren.

Kaum hat sie mich bemerkt, dreht sie ihr Gesicht zu mir und steht sofort auf. Das Magazin hält sie weiterhin fest umklammert in ihren Händen.

Ich strecke ihr die Hand hin und nenne meinen Namen.

„Ich weiss wer sie sind, Frau Rapone. Ich habe schon vieles über sie gelesen und hoffe, dass sie ihrem Ruf gerecht werden.“ Die Frau mit leicht ergrautem Haar sieht mich eindringlich an, als sie meine Hand ergreift.

„Und mit wem habe ich die Ehre?“ frage ich sie, als sie sich mir noch immer nicht vorgestellt hat.

„Kyssen. Emma Kyssen.“ Sie macht eine kurze Pause. Dabei kann ich deutlich sehen, wie sie nach Luft schnappt. „Es tut mir leid. Normalerweise bin ich nicht so abweisend. Aber ich bin ziemlich angespannt.“

„Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Gehen wir doch in mein Büro und unterhalten uns da weiter darüber, warum Sie mich aufgesucht haben.“

Sie folgt mir aus dem Warteraum heraus und als wir an Tina vorbeigehen, bitte ich meine Schwester uns eine kleine Erfrischung zu bringen.

Nachdem ich die Tür von meinem Arbeitsraum geschlossen und gewartet habe bis die Frau auf der anderen Seite von meinem Schreibtisch Platz genommen hat, beginne ich sie über ihr Anliegen auszufragen.

„Also Frau Kyssen, was hat sie zu mir gebracht? Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Es geht um meinen Sohn.“ Sie verstummt einen Augenblick und senkt ihren Kopf, bevor sie zitternd weiterfährt. „Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich hier sitze und sie engagieren möchte mir zu helfen, meinen Ian zu finden und ihn zu mir zurückzubringen. Wahrscheinlich bringt es sowieso nichts.“

„Warum denken Sie, dass es nichts bringt?“

„Das sagt mir mein Gefühl.“

„Seit wann haben Sie ihn nicht mehr gesehen?“ frage ich sie, ohne auf ihre Zweifel einzugehen.

„Über zwanzig Jahre. Genauer gesagt, heute in drei Wochen sind es einundzwanzig Jahre.“

Ich nehme einen Stift in die Hand und mache mir Notizen, bevor ich ihr weitere Fragen stelle. „Sie hatten demnach kein einziges Mal Kontakt zu ihm?“

„Nein, hatte ich nicht. Aber ich bereue jeden Tag aufs Neue, dass ich ihn weggegeben habe.“

„Warum haben Sie ihn weggegeben?“ Ich sehe ihr direkt in die Augen und warte gespannt auf ihre Antwort. Sie hält meinem Blick einige Sekunden stand, ehe sie abermals ihren Kopf senkt, nervös ihre Finger knetet und mit leiser Stimme auf meine Frage reagiert.

„Als mein Mann seine Arbeit verloren hat und leider auch nichts mehr fand, weil er sich im Alkohol verloren hat, war ich gezwungen Ian wegzugeben, da ich ihm ein besseres Leben wünschte. Obwohl es mich innerlich zerriss, wusste ich, dass es das Beste war, was ich machen konnte.“

„Was ist mit Ihrem Mann?“

„Er ist vor zehn Jahren gestorben.“

„Hat er auch darunter gelitten, dass Sie ihren Sohn weggegeben haben?“

„Nicht so sehr wie ich.“

„Ist Ian ein Einzelkind?“

„Ja. Wir wollten mehr Kinder, aber es war uns nicht vergönnt, noch ein weiteres zu bekommen. Im Nachhinein kann ich von Glück reden, dass ich kein zweites Mal schwanger wurde.“

Es klopft an der Tür, wodurch ich mir mit der nächsten Frage Zeit lasse, bis Tina unsere Getränke auf dem Tisch abgestellt und den Raum wieder verlassen hat.

„Wo haben Sie Ian hingegeben?“

„In eine Pflegefamilie.“ kommt die knappe Antwort. „Aber da blieb er nicht lange.“

„Warum?“

„Ich muss zugeben, dass Ian ein etwas schwieriges Kind war und anscheinend kam seine neue Familie nicht mit ihm zurecht.“

„Kam er zu einer anderen Familie?“

„Nein.“

Ich erkenne Ihren Kampf. Der Selbstzweifel, der sie zu zerbrechen droht, ist deutlich in ihre Augen geschrieben. Ich bleibe ruhig sitzen und gebe ihr die nötige Zeit, um sich wieder sammeln zu können.

In den fünf Jahren seit ich meinen Personensuchdienst anbiete, habe ich schon ziemlich früh gelernt, wann ich schweigen und abwarten soll. Und genau jetzt ist so ein Moment, in dem es ratsam ist die Kundin nicht zu drängen.

Nach einem kurzen Augenblick hat sie sich wieder gefangen. „Nach der Pflegefamilie kam Ian in das Kinderheim Alt St. Johann.“

„Wann war das?“

„Kurz vor Weihnachten.“

„Im selben Jahr, als Sie ihn weggegeben haben?“ frage ich sie etwas verdutzt, ohne jedoch meine Verwunderung anmerken zu lassen.

„Ja.“

„Haben Sie ihn besucht?“

„Ich habe es versucht. Aber er hatte sich geweigert, mich zu sehen.“

„Ich nehme an, das war nicht seine letzte Station?“

„Nein, das war es nicht.“

„Wie lange war er dort?“

„Ich habe keine Ahnung. Kurz nachdem Ian ins Kinderheim kam, hat er jeglichen Kontakt zu uns abgebrochen. Er hat alles unternommen, um mich und meinen Mann aus seinem Leben streichen zu können.“

„Können Sie ihm das verübeln?“

„Nicht wirklich. Und trotzdem schmerzt es zutiefst.“

Ich reiche ihr ein Taschentuch, was sie dankbar entgegen nimmt. Sie wischt über ihre tränenfeuchten Augen und zerknüllt es anschliessend in der Hand.

„Demnach wissen Sie auch nicht, in welches Heim er danach kam?“

„Hier endet leider mein Wissen darüber, wie es meinem Sohn geht oder wo er lebt. Deshalb habe ich auch Sie aufgesucht.“

Nachdem mir Frau Kyssen noch einiges über sich und ihre Familie erzählt hat, während ich mir jedes nützliche Detail aufgeschrieben und ich eine neue Kundin erhalten habe, nähern wir uns dem Ende unserer Besprechung.

„Aus welchem Grund haben Sie mich ausgewählt? Schliesslich haben Sie einen längeren Weg auf sich genommen, um mich aufzusuchen. Es gibt bestimmt noch andere Personensuchbüros, die näher bei Ihrem Wohnort liegen.“

„Ich weiss, dass Sie Ihre Arbeit hervorragend machen und ich vertraue Ihnen.“

Auch wenn ich sie für aufrichtig halte, werde ich das Gefühl nicht los, dass sie mir etwas Wesentliches verschweigt.

„Eine Frage hätte ich allerdings noch.“ wende ich mich an meine Auftraggeberin, als sie bereits die Tür erreicht hat und nach dem Griff tastet. „Was hat Sie dazu veranlasst, nach so vielen Jahren nach ihrem Sohn zu suchen? Warum haben Sie solange gewartet?“

„Ich habe mir immer eingeredet, dass es Ians Wunsch sei, mich nie mehr zu sehen. Diesen Wunsch wollte ich ihm erfüllen. Wenigstens einen.“

„Und warum suchen Sie trotzdem nach ihm?“

Die ältere Frau atmet einmal tief ein, bevor sie sich wieder ganz zu mir dreht. „Mir war klar, dass Sie das fragen werden und doch fällt es mir schwer darüber zu sprechen.“

„Wenn Sie wollen, dass ich meine Arbeit gut mache, müssen Sie offen und ehrlich zu mir sein.“

„Ich habe eine unheilbare Krankheit.“ platzt es aus ihr heraus.

„Verraten Sie mir welche?“

„Ich habe Krebs. Leider wurde er viel zu spät entdeckt, so dass die Ärzte im Grunde genommen nichts mehr für mich tun können. Sie wollten mich zu einer Chemotherapie überreden. Ich würde zwar noch etwas länger leben, aber was bringt mir das, da ich schlussendlich doch keine Chance mehr gegen meine Krankheit habe? Ich möchte die mir noch verbleibende Zeit geniessen und nicht ständig von einem Arzttermin zum anderen springen. Wenn ich nur schon daran denke, was diese Therapie mit dem Körper anstellt, wird mir ganz unbehaglich.“ Sie sieht mich über den Schreibtisch hinweg an. „Nein. Der Krebs hat mich besiegt. Das habe ich akzeptiert. Aber mein grösster Wunsch ist, dass ich noch einmal meinen Sohn sehen kann und er mir verzeiht, was ich ihm angetan habe.“

„Es tut mir leid.“

Frau Kyssen zuckt kurz mit den Schultern, bevor sie entgegnet. „Wahrscheinlich habe ich es nicht anders verdient.“

„Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich etwas herausgefunden habe.“

„Danke.“

Ich begleite Sie aus dem Büro und sehe ihr nach, wie sie mit einem aufrechten Gang auf dem Bürgersteig die Strasse entlang geht, zu ihrem Auto das sie nur wenige Meter entfernt geparkt hat. Obwohl sie mehrere Schicksale ertragen musste und weitere einstecken muss, lässt sie sich nicht unterkriegen, wie mir in diesem Moment bewusst wird.

„Hast du einen neuen Auftrag?“ ertönt Tinas Stimme und reisst mich aus meinen Überlegungen.

„Sie sucht Ihren Sohn.“

„Das müsste kein Problem für dich sein, oder?“ meine Schwester lächelt mich zuversichtlich an.

„Das wird sich herausstellen.“

„Ach ja, bevor ich es vergesse. Herr Kampmann hat vorhin angerufen. Er hat deine Nachricht erhalten und einem Treffen mit seiner Nichte zugesagt.“

„Das sind ja gute Neuigkeiten.“ Ich kann meine Freude kaum verbergen und sehe meine Schwester mit einem strahlenden Lächeln an.

„Soll ich mich um einen Treffpunkt für die beiden kümmern?“

„Ja, gerne.“

2.

Vor bereits zwei Wochen kam Frau Kyssen in mein Büro, um sich meine Dienste zu sichern. Nur leider bin ich mit meinen Nachforschungen nicht weit gekommen. Weder Tina noch ich haben eine Spur von diesem Ian Kyssen verfolgen können.

Nachdem er in drei verschiedenen Erziehungsanstalten war, die in der ganzen Ostschweiz verstreut sind, in ein weiteres Kinderheim im Kanton Luzern kam, in dem er anscheinend mit fünfzehn aufgenommen wurde, verlieren wir seinen Weg. Und obwohl mir sein letzter Aufenthaltsort bekannt ist, kennt niemand von den Angestellten im Kinderheim Schorenstein einen Ian Kyssen. Auch auf den Listen der eingetragenen Kinder wurde kein solcher Name gefunden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ian nicht gefunden werden möchte und eine falsche Fährte gelegt hat, um solche wie mich, die nach ihm suchen, zu verwirren. Entweder wurde absichtlich ein falsches Heim angegeben oder aber er hat seinen Namen geändert. Aber an dem Tag, an dem Ian im Schorenstein hätte aufgenommen werden sollen, kam kein einziger Neuling in das besagte Kinderheim.

Weder das Suchen auf Facebook oder Twitter, als auch alles googeln, half uns nicht weiter. Erneut gehe ich alle Informationen durch, die ich über diesen Jungen, der bald seinen dreissigsten Geburtstag feiert, gesammelt habe ohne etwas Neues zu entdecken.

Ich stemme den Kopf in meine Hände und überlege angestrengt, was ich weiter unternehmen könnte, um den Sohn von Emma Kyssen aufzuspüren. Bin ich vielleicht an dem Punkt angelangt, wo ich die Suche beenden sollte? Ian möchte nicht gefunden werden, daran zweifle ich nicht mehr. Aber wenn ich an den Gesichtsausdruck und an die verzweifelten Augen seiner Mutter denke, kann ich nicht einfach aufgeben und alles in den Aktenordner legen, ohne doch noch alles in meiner Macht stehende unternommen zu haben, um meiner Kundin zu helfen.

Ein Klopfen unterbricht meine verzweifelten Gedanken. Ich hebe den Kopf und erkenne Tina in der Tür, die ein gewinnendes Lächeln auf dem Gesicht trägt.

„Du hast einen Gast.“ verkündet sie mir fröhlich. „Hast du Zeit?“

„Wer ist es denn?“ Hoffentlich nicht Frau Kyssen, füge ich im Stillen hinzu.

„Herr Kampmann möchte dich sehen.“

„Ich komme gleich.“

Nachdem meine Schwester das Büro verlassen hat, erhebe ich mich aus meinem Stuhl, streife meinen Rock glatt und werfe einen Blick in den Handspiegel, den ich aus der obersten Schublade genommen habe und fahre mit meinen Fingern kurz durch die Haare, die während meinem quälendem Grübeln etwas durcheinander geraten sind.

Schon wenige Sekunden später stehe ich vor meinem ehemaligen Kunden und strecke ihm meine Hand entgegen.

„Guten Tag Herr Kampmann. Schön Sie zu sehen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“

„Wollen wir in mein Büro gehen?“

„Gerne.“

Wir gehen nebeneinander in mein Arbeitszimmer.

„Nehmen Sie bitte Platz.“ und deute auf den runden Holztisch, der in der linken Ecke meines Büros steht. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Einen Kaffee, Wasser, Orangensaft?“

„Kaffee klingt gut.“

Ich mache einen Schritt in den Flur heraus und bitte Tina um zwei Kaffees. Danach setze ich mich Herr Kampmann gegenüber hin und noch bevor ich ihn fragen kann, was seinen Besuch zu bedeuten hat, kommt er mir zuvor.

„Ich möchte mich persönlich recht herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir geholfen haben, meine Nichte zu finden und dass Sie sie dazu gebracht haben, mich zu treffen. Susi und ich sind nachher zum Mittagessen verabredet. Das wird bereits unser drittes Beisammensein.“ Die Augen des etwas älteren Mannes leuchten vor Glückseligkeit auf, als er von seiner Nichte spricht und mir von seinen ersten beiden Treffen berichtet.

„Es freut mich, dass Sie zueinander gefunden haben.“

„Das verdanke ich nur Ihnen.“

„Es gibt nichts schöneres, als jemandem wie Ihnen helfen zu können.“

„Dann möchte ich Sie mal nicht länger aufhalten. Sie haben doch bestimmt allerhand zu tun.“

Wir erheben uns aus den Stühlen und gehe zur Tür. Noch im selben Moment, als ich ihm die Hand zum Abschied entgegenstrecke, kommt mir eine Idee.

„Da fällt mir gerade etwas ein, Herr Kampmann. Sie waren doch Institutionsleiter in einem Kinderheim?“

„Ja, das war ich. Aber das ist mittlerweile schon einige Jahre her.“

„Welches Heim war es schon wieder?“

„Im Finkenheim.“

„Das war im Kanton Luzern, nicht wahr?“

„Ja, warum fragen Sie mich das?“ verwirrt blickt er mich an.

„Na ja. Ich bin gerade an einem Fall, bei dem sich alle Spuren im Sand verlieren.“

„Dann möchte diese Person nicht gefunden werden und Sie sollten es dabei belassen.“

„Da haben Sie ganz bestimmt recht. Aber wenn Sie seine Mutter gesehen hätten, würden selbst Sie versuchen ihn zu finden. Denken Sie doch nur mal über Ihre eigene Geschichte nach?“

Einen kurzen Augenblick herrscht absolute Stille. Und als er beginnt zu sprechen, weiss ich, dass er einen Entschluss gefasst hat.

„Was möchten Sie wissen?“

„Setzten wir uns doch wieder hin.“ Ich weise auf die Stühle neben uns. „Möchten Sie noch einen Kaffee oder etwas anderes?“

„Wasser ist gut.“

Nachdem ich zwei Gläser mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt habe, hole ich meinen Notizblock und nehme auf meinem Stuhl Platz. „Hatten Sie Kontakt zu anderen Kinderheimen?“

„Ja. Der fast tägliche Austausch war unvermeidlich. Schwebt Ihnen ein bestimmtes vor?“

Ich erzähle dem ehemaligen Institutionsleiter von der Suche nach Ian Kyssen. Aber ich verrate ihm nur so viel, wie er auch wirklich wissen muss, um mir helfen zu können. Der gesundheitliche Zustand meiner Kundin erwähne ich mit keinem Wort.

„Ian Kyssen. Ian Kyssen“ wiederholt Kampmann nachdenklich, als ich mit meine Schilderung beende.

„Sagt Ihnen der Name etwas?“ Voller Hoffnung blicke ich ihn über den Tisch hinweg an.

Er sagt lange Zeit nichts, sondern sieht mich nur an. Ich habe keine Ahnung, wie ich sein Verhalten deuten soll, aber mein Gefühl sagt mir ganz deutlich, dass er irgendwas weiss, was mir weiterhelfen kann.

„Hmm, wo soll ich beginnen?“ Er tippt mit seinem Zeigefinger auf seinen Mund. „Als Institutionsleiter hat man eine gewisse Schweigepflicht, auch nachdem man schon lange pensioniert ist.“ Wieder verharrt er stillschweigend und aufrecht sitzend auf seinem Stuhl, um mich mit seinen gläsernen, alternden Augen zu mustern.

Ich rühre mich nicht von der Stelle, obwohl ich kaum erwarten kann, was er mir zu sagen hat. Nun gibt es keinen Zweifel mehr, dass er etwas weiss, was mich weiterbringen wird.

Mit einem Räuspern fährt er weiter. „Ich bin mir im Klaren darüber, wie gewissenhaft Sie Ihre Arbeit machen und ich weiss, dass Sie Informationen, die Sie erfahren, nur für Ihre Suche nach Personen benützen und nicht um jemanden damit zu schaden.“

„Da können Sie sich hundertprozentig sicher sein.“

Er holt abermals tief Luft. „Ich kann mich noch glasklar an Ian Kyssen erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.“

Ich kann mein Glück kaum glauben und starre mein Gegenüber mit grossen Augen an, als er weitererzählt.

„Er war damals kaum dreizehn Jahre alt, als er zu uns stiess. Ich muss gestehen, dass Ian kein einfacher Knabe war. Er versuchte alle durch seine Unverfrorenheit zum Narren zu halten, was er auch bei vielen schaffte. Aber jemand glaubte vom ersten Tag, als er durch unser Tor schritt, an ihn und gab nie auf, ihn auf den rechten Weg zu bringen.“

„Waren Sie das?“

„Nein. Denn ich hatte mit den Kindern im Allgemeinen nicht viel zu tun. Es war einer seiner Lehrer. Er galt als streng und unnachgiebiger Pädagoge. Unter seiner Oberfläche verbarg sich jedoch eine einfühlsame Seele, die es schaffte, die hohe Mauer, die Ian zum Selbstschutz errichtet hatte, zu durchbrechen. Viele haben sich in Ian getäuscht. Wenn ich ehrlich bin, auch ich.“

„Warum wurde bei den Behörden ein falsches Kinderheim angegeben?“

„Weil er nicht gefunden werden möchte.“

„Meinen Sie ich mache das Richtige, wenn ich ihn trotzdem aufsuchen werde?“

„Obwohl er nie über seine Eltern gesprochen hat, kann ich mir beileibe nicht vorstellen, dass er sie wirklich nie mehr sehen möchte.“

„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Hilfe, Herr Kampmann.“

„Da wäre noch was, das Sie vielleicht wissen sollten.“

„Ja?“

„Ian Kyssen lebt nicht mehr.“

Erschüttert sehe ich von meinen Notizen auf, die ich in aller Eile mitgeschrieben habe. „Wann? Warum? Was ist passiert?“ Die Fragen rutschen mir nur so aus dem Mund.

„Er ist nicht wirklich gestorben, aber Ian Kyssen existiert nicht mehr, denn er hat in seinem dreizehnten Lebensjahr seinen Namen geändert. Er heisst nun Oliver Falk.“

Meine Bestürzung, über die Wendung meines neusten Falles, hat sich noch immer nicht gelegt, als ich unterwegs in die Zentralschweiz bin. Mit einem mulmigen Gefühl fahre ich über die Autobahn und komme immer näher an mein Ziel.

Wie soll ich dem momentan begehrtesten Fussballer der Welt erklären, dass mich seine Mutter beauftragt hat ihn zu finden, weil sie sich bei ihm entschuldigen möchte? Ich habe keinen Plan, wie ich ihn dazu bringen kann, dass er mich anhört und das entmutigt mich immer mehr, mit jedem Kilometer den ich fahre.

Bis zum heutigen Tag hatte ich keinen so komplizierten Fall, wie es dieser werden wird. Auch hatte ich bis jetzt mit keiner Berühmtheit zu tun. Aber diese Angelegenheit sprengt deutlich den Rahmen. Nur ein kurzes Gespräch mit einer Mutter, die verzweifelt versucht ein letztes Mal ihren Sohn zu sehen, bevor der Krebs sie von dieser Erde holt, hat dies alles ausgelöst.

Langsam lenke ich mein Auto auf den Besucherparkplatz der Fussballarena von Weggis, die Thermoplan-Arena. Es ist bereits nach fünf Uhr, als ich aus dem Auto steige und auf das grosse Fussballstadion zugehe.

Wie ich gleich feststellen werde, bin ich gerade zur rechten Zeit gekommen, um den Fussballern beim Spielen zuzusehen.

Kaum bin ich auf der Zuschauertribüne, entdecke ich den gut aussehenden, muskulösen Oliver Falk, wie er über den Rasen sprintet und den Ball mühelos an sich reisst.

Er sieht in Wirklichkeit noch viel besser aus, als auf den Bildschirmen oder in den Zeitungen, in denen er ständig zu sehen oder abgebildet ist.

Oliver Falk strahlt eine Kraft von Entschlossenheit aus, die niemand daran zweifeln lässt, dass er sein Ziel erreichen wird, das er sich gesetzt hat.

Mit einer für mich aussergewöhnlichen Faszination verfolge ich das Trainingsspiel und lasse den Mann, den ich bereits seit bald drei Wochen suche, nicht mehr aus den Augen.

Als der Trainer das Spiel mit dem Schlusspfiff beendet, gehe ich so locker wie möglich bis zur Abschrankung, die die Tribüne vom Spielfeld trennt.

Alle ausser Oliver, der noch ein paar Runden joggt, gehen in Richtung Umkleidekabinen, um sich unter die Duschen zu stellen. Die Reporter rufen ihnen zu, woraufhin der eine oder andere stehen bleibt und ein kurzes Interview gibt.

Ich schenke den Fragen der Journalisten kein Gehör, sondern konzentriere mich voll und ganz auf meine Zielperson. Fasziniert sehe ich ihm zu, wie er mit einer Leichtigkeit über den Rasen rennt, als würde er schweben. Nur der Schweiss, der ihm über den Rücken läuft und sein rot, weisses Trikot nass werden lässt, verrät dass die sportliche Aktivität nicht ohne Mühe an ihm vorbeigeht. Geduldig warte ich, bis Oliver Falk in meine Nähe kommt und gerade als er in den Katakomben, die zu den Umkleidekabinen führen, verschwinden möchte, rufe ich laut und mit starker Stimme seinen Namen. Dabei winke ich ihm mit heftigen Bewegungen zu, damit er mich bemerkt. Nach dem dritten Mal dreht er sich endlich zu mir. Er sieht mich argwöhnisch an und geht ungerührt weiter.

Ich versuche die Reporter und Fotografen, die um mich stehen, zu ignorieren und all die anderen Menschen, die sich hier befinden, auszublenden.

„Oliver Falk!“ rufe ich abermals lauthals. „Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen? Bitte!“

Doch er macht keine Anstalten, mir zuhören zu wollen und weg ist er. Deprimiert nehme ich auf dem nächsten freien Stuhl Platz. Mein Blick schweift über das Spielfeld, wobei ich angestrengt überlege, wie ich den weltberühmten Fussballspieler dazu bringen kann, dass er mir einige Minuten seiner Zeit schenkt.

Plötzlich erscheint ein Schatten neben mir und eine tiefe Stimme spricht mich anklagend an. „Sie sind keine Reporterin und auch keine Fotografin.“ Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung. „Sind Sie ein Fan von Oliver?“

Erschrocken sehe ich auf und sehe einen Mann neben mir stehen, den ich vorhin auf der Seite des Spielfeldes schon gesehen habe. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, nur kann ich ihn momentan nicht zuordnen. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, die hinterste Ecke meines Gehirns zu durchkämmen, fällt mir nicht ein, mit wem ich es hier zu tun habe.

„Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Ich bin sein Manager. Und Sie?.“

Jens Gudet. Mit einem Mal fällt mir der Groschen, woher ich diesen Mann kenne. Er weicht kaum von Olivers Seite und verteidigt den Fussballer, wo er nur kann.

„Ich habe etwas Privates mit ihm zu besprechen.“ sage ich schlicht.

„Und das wäre?“

„Darüber kann ich nur mit Herr Falk sprechen. Können Sie ihm bitte mitteilen, dass ich auf ihn warte? Es ist wirklich sehr wichtig.“

„Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht zu ihm lassen.“

So komme ich nicht weiter. Ich fingere in meiner Handtasche herum und nehme eine von meinen Visitenkarten hervor. „Könnten Sie ihm wenigstens diese hier geben?“ und strecke ihm die Karte hin.

„Personensuchdienst, Verena Rapone.“ liest Olivers Manager leise vor, so dass es niemand hören kann und verengt dabei seine Augen. „Was soll das bedeuten?“

„Ich kann Ihnen leider nicht mehr verraten. Geben Sie ihm die Karte? Er soll mich anrufen. Es ist wichtig.“ beteuere ich ein zweites Mal. „Ich werde noch bis Morgen Mittag im Hotel Seesicht sein.“

„Ich werde es ihm ausrichten. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen.“

„Danke.“

Der hochgewachsene Mann, Mitte vierzig, nickt mir kurz zu und geht ebenfalls auf den Tunnel zu, in dem Oliver zuvor verschwand.

Enttäuscht erhebe ich mich und verlasse die Hotelbar. Es ist bereits nach zehn Uhr und dunkel draussen, als ich mich entschliesse auf mein Zimmer zu gehen und mir einräumen muss, dass er nicht daran interessiert ist, zu wissen, was ich ihm zu sagen habe und dass er nicht kommen wird.

In meinem Zimmer mache ich es mir auf meinem Doppelbett bequem und nehme die Unterlagen, die ich über Oliver Falk gesammelt habe, zur Hand, um sie zum wiederholten Mal durchzulesen, obwohl ich alle Details auswendig weiss.

Viel mehr, als mich auf meine Akte zu konzentrieren, überlege ich mir, wie ich ihn dazu bringen kann, mich anzuhören. Es muss doch irgendeinen Weg geben, um ihn genug neugierig zu machen, so dass er Kontakt zu mir aufnimmt?

Nach langem grübeln, nehme ich ein Stück Papier in die Hand und kritzle ein paar Stichworte darauf. Nur so viel, dass er erahnen kann, über was ich mit ihm reden möchte, aber dass es für einen Aussenstehenden keinen Sinn ergibt.

Bis morgen Mittag werde ich in der Hotellobby auf ihn warten. Falls er bis zu jenem Zeitpunkt nicht erscheint, werde ich noch einen einzigen Versuch starten, um ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Andernfalls muss ich mich geschlagen geben.

Jetzt werde ich mich erst einmal unter die Dusche begeben und danach ein paar Stunden Schlaf gönnen.

Ich sitze nun schon seit über zwei Stunden in der Lobby und warte wahrscheinlich vergeblich auf den gut aussehenden, schwarzhaarigen Fussballer, den ich ständig vor meinen Augen sehe, wie er über das Spielfeld sprintet. Er ist wirklich unverschämt attraktiv, was mich etwas aus der Bahn zu werfen droht.

Ich höre wie die Schiebetür des Hoteleingangs aufgeht und drehe automatisch meinen Kopf dahin, um im nächsten Augenblick deprimiert den Blick abzuwenden und lustlos in der Zeitschrift, die ich in meinen Händen halte, weiterzublättern.

Obwohl ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe, dass er noch erscheinen wird, ist mir schon seit dem frühen Morgengrauen bewusst, dass er meiner Bitte nicht nachkommen wird.

Ich entscheide mich noch eine halbe Stunde zu bleiben, danach werde ich im Restaurant nebenan eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Wenn er sich bis dann nicht zeigt, werde ich nach ihm suchen gehen.

Jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, drehe ich mich zu ihr um, aber nicht der Mann, den ich gerne sehen würde, tritt ein.

Die halbe Stunde und mein Essen sind vorüber. Ich packe meine Sachen und verlasse das Hotel, in dem ich übernachtet habe, um mit einer grossen Entschlossenheit abermals zur Fussballarena zu fahren. Nur habe ich nicht damit gerechnet, niemanden hier anzutreffen.

Wieder steige ich in mein Auto und suche die Adresse von ihm heraus, gebe sie ins Navigationsgerät ein und mache mich auf den Weg.

Mein TomTom führt mich über die Hauptstrasse in eine der nächsten Nachbargemeinden. Nach etlichem abbiegen, halte ich vor einem eisernen Tor, das ein riesiges Anwesen dahinter erahnen lässt. Ich steige aus und trete an die Einfahrt, um einen Blick auf sein zu Hause zu erhaschen. In dem Moment, in dem ich meine Hand um die Eisenstäbe lege, kommt ein stämmiger Mann auf mich zu und brüllt mich mit kräftiger, angsteinflössender Stimme an.

„Was tun Sie hier? Verschwinden Sie auf der Stelle!“ und kommt näher.

„Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht unhöflich sein. Ist er da? Ich muss unbedingt mit Herr Falk sprechen. Es ist äusserst wichtig.“

„Er möchte niemanden sehen. Und für Stalkerinnen hat er sowieso keine Zeit.“

„Ich bin keine Stalkerin. Hier.“ Ich strecke ihm eine Visitenkarte hin.

„Das hat überhaupt nichts zu bedeuten. So eine Karte kann jedermann machen.“ Der Bodyguard gibt die Karte durch die Eisenstäbe zurück und betrachtet mich mit einer grimmigen Miene. „Wenn Sie nicht in einer Minute verschwunden sind, werde ich die Polizei rufen.“

Mir wird schnell klar, dass es keinen Sinn macht, mit diesem Mann weiter zu diskutieren. „Okay, Sie haben gewonnen. Aber bevor ich gehe, geben Sie ihm bitte diesen Umschlag. Ich nehme den Briefumschlag heraus, den ich letzte Nacht vorbereitet habe und reiche es ihm.

Der Leibwächter auf der anderen Seite des Tors nimmt es widerwillig an sich. „Und jetzt machen Sie, dass Sie wegkommen.“

„Versprechen Sie mir, dass Sie es ihm geben.“

„Werde ich.“

3.

Ich öffne das Fenster, um die stickige Luft aus meinem Büro herauszubekommen. Wo ich kurz stehen bleibe und die herrlichen Sonnenstrahlen betrachte , die sich durch die Wolken kämpfen. Nach einem verregneten Wochenende sollte es heute, laut Wetterprognose, einen äusserst heissen und sonnigen Tag werden.

Es sind nun bereits vier Tage vergangen, seit ich in Weggis und vor Oliver Falks Anwesen war. Ich habe gehofft, dass er sich bei mir meldet, sobald er meine Nachricht erhalten hat. Nun denke ich, ist es an der Zeit den Fall zu den Akten zu legen. Ich sollte mich bei seiner Mutter melden, um ihr mitzuteilen, dass ich alles versucht habe, um ihn zu einem Treffen zu überreden. Dabei ist es mir nicht einmal gelungen, mit ihm zu sprechen. Es wird mir schwer fallen, ihr in die Augen zu sehen, während ich ihr meinen Misserfolg eingestehen muss.

Ein plötzlicher Luftzug lässt mich zur Tür drehen. Meine Schwester steht im Türrahmen.

„Hast du Zeit?“

„Sehe ich so aus, als wäre ich beschäftigt?“ gebe ich etwas zu barsch zurück.

„Du brauchst mich nicht anzufunkeln.“ erwidert sie leise.

„Entschuldigung. Das wollte ich nicht. Ich war nur gerade zu sehr in Gedanken versunken.“

„Ich weiss etwas, was dich gleich aufheitern wird.“ Tina lächelt mich an und ihre Augen nehmen einen bestimmten Glanz der Erregung an.

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ich habe einen ganz ungewöhnlichen Gast hier draussen.“ Sie dreht sich um und verlässt mein Büro. Ich folge ihr in den Flur hinaus und bleibe abrupt stehen, als ich unseren Besucher erkenne. Ein paar Schritte von ihm entfernt steht sein Leibwächter, den ich bereits einmal gesehen habe.

„Herr Falk.“ Ich strecke ihm meine Hand hin. „Es ist mir eine äusserst grosse Freude, Sie hier begrüssen zu dürfen.“ Ich kann mein Glück kaum fassen, dass er doch noch erschienen ist, was jedoch gleich wieder getrübt wird, als er nicht auf meine Begrüssung eingeht.

„Lassen sie uns in Ihr Büro gehen.“ Sein Tonfall verrät nichts Gutes. Er klingt verärgert und aufgeregt zugleich.

„Möchten Sie etwas zu trinken?“

„Nein. Unser Gespräch wird nicht lange dauern.“

„Dann folgen Sie mir doch bitte.“ Ich gehe ihm voran in mein Arbeitszimmer, bewusst dass er seine Augen tief in meinen Rücken bohrt.

„Nehmen Sie doch Platz.“ Ich schliesse die Tür hinter uns und deute ihm auf einen Stuhl, in dem vor wenigen Wochen bereits seine Mutter gesessen ist.

„Was soll dieser verdammte Mist.“ Er schleudert den Umschlag, den ich ihm über seinen Bodyguard zukommen liess, über den Tisch und funkelt mich mit einem finsteren Blick an.

Mit grosser Genugtuung entdecke ich, dass das Kuvert geöffnet wurde. Er muss die Nachricht gelesen haben und wird wissen, dass ich herausgefunden habe, wie sein richtiger Geburtsname lautet. Dass seine Eltern ihn mit acht Jahren weggegeben haben und an welchen Orten er seine Kindheit verbracht hat.

„Ich habe nicht die Absicht, Ihnen irgendwie zu schaden, wenn es das ist, was Sie von mir annehmen. Auf keinen Fall.“

„Warum spionieren Sie mir nach? Was wollen Sie? Und wie zum Teufel sind Sie an diese Informationen gelangt?“ Er versucht gar nicht zu leugnen, der zu sein, der er in Wirklichkeit ist, was mich in der Tat überrascht.

Ich lasse meinen Sarkasmus lieber in der Tasche stecken und schenke ihm besser sofort reinen Wein ein. „Ihre Mutter hat mich damit beauftragt.“

„Was?“ Er zieht seine Augen zu gefährlichen Schlitzen zusammen.

„Emma Kyssen. Sie hat mich geben, Sie zu suchen.“

„Ich habe keine Mutter.“

„Ich kann verstehen, wenn Sie so reagieren. Ich glaube, ich würde es nicht anders machen. Aber...“ Sein scharfer Ton lässt mich abrupt verstummen.

„Sie wissen überhaupt nichts. Meine Eltern sind für mich gestorben, als ich acht war.“

„Ihre Mutter denkt jeden Tag an Sie.“

„Lassen Sie mich bloss mit Ihren Heucheleien zufrieden. Sie hat mich einfach weggeben. Wie einen Hund den man fortschickt, wenn man ihn nicht mehr um sich haben möchte.“

„Jetzt tun Sie sich und ihren Eltern Unrecht.“

„Sie haben keine Ahnung, wie es war. Ich möchte nichts mehr von Ihnen hören, geschweige denn Sie sehen. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden.“ Sein Gesicht verzerrt sich vor Wut und Hass.

Ich sollte ihn jetzt gehen lassen, trotzdem stichle ich weiter. „Haben Sie eigens den langen Weg gemacht, um mir das mitzuteilen oder gibt es noch einen anderen Grund, warum Sie hier sind?“

„Ich wollte wissen, wer Sie sind und was genau Sie von mir wollen.“ Er mustert mich mit einem kalten Blick. „Warum machen Sie das?“ und deutet mit einer Handbewegung durch den Raum.

„Ich möchte Familien, Freunden, Bekannten helfen wieder zueinander zu finden, bei denen die Wege auseinander gingen.“

„Haben Sie selbst so etwas erlebt?“

„Das ist Privat.“

„Genau das ist meine Familienangelegenheit auch.“ Er sieht mich triumphierend an.

„Wollen Sie nicht wissen, warum Ihre Mutter Sie nach so vielen Jahren sucht?“ Ich versuche etwas in ihm wachzurütteln, aber er sieht mich weiterhin vollkommen gleichgültig an.

„Was hat Sie Ihnen vorgegaukelt?“

„Sie leidet an Krebs. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.“

Für eine Sekunde glaube ich so etwas wie Entsetzten in seinen Augen zu sehen, ehe er unbeeindruckt antwortet. „Vielleicht geschieht ihr das ganz recht.“

„Das ist grausam.“

„Kann schon sein. Sie hat ja noch ihren Tom, der sie in seine starken Arme nehmen kann.“

Ich sehe ihn verständnislos an. „Tom?“

„Haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht?“

„Doch. Aber Ihr Vater ist bereits vor zehn Jahren gestorben.“

Sein Mund bleibt offen stehen, nachdem er etwas darauf erwidern wollte, aber kein Laut brachte er heraus. Jeder Muskel scheint angespannt zu sein, während er sich langsam aus seinem Stuhl erhebt. „Wir hätten dann alles besprochen.“

„Sie bleiben dabei? Sie wollen Ihre Mutter nicht sehen?“

„Nein, will ich nicht.“

„Dann tut es mir leid, dass ich Sie belästigt habe.“

Ich begleite ihn nach draussen, wo sein Bodyguard geduldig auf ihn wartet. Sie nicken sich stumm zu, woraufhin der Mann mit einem Headset im Ohr und einem Drei-Millimeter-Haarschnitt auf seinem Kopf, vorangeht, auf den Offroader zu, der vor unserer Bürotür steht, um seinem Chef die Wagentür zu öffnen. Oliver Falk steigt ein, ohne nochmals zurückzublicken. Anscheinend ist für ihn die Angelegenheit hiermit beendet.

Kopfschüttelnd sehe ich dem grossen, schwarzen Auto, mit einem Schwyzer Kennzeichen, nach. Wie soll ich nur seiner Mutter beibringen, dass ihr Sohn sie nicht sehen möchte? Dass ich ihn nicht umstimmen konnte, sich mit ihr zu Treffen?

„Was war denn das?“ zerrt mich meine Schwester aus meinen bedrückten Gedanken, die sich soeben in mein Gehirn geschlichen haben.

„Frag mich etwas Leichteres.

„Er sah nicht gerade erfreut aus.“

„Ganz und gar nicht. Er will seine Mutter nicht sehen.“

„Aber ein Highlight war es trotzdem oder?“

„Wie?“ Ich sehe Tina mit grossen, verständnislosen Augen an.

„So jemand Berühmtes wie Oliver Falk hatten wir bis heute noch nie in unserem Büro.“ Auch wenn der Fall Kyssen / Falk sich nicht so ereignet, wie wir es uns gewünscht haben, strahlt mich meine Schwester über die Theke hinweg an.

Nachdem ich Tina die Einzelheiten von meinem Gespräch mit Oliver Falk erzählt habe, war sie genauso erschüttert, wie ich. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich die Aufgabe habe, die schlechte Nachricht seiner Mutter, mit der ich in fünfzehn Minuten verabredet bin, mitzuteilen.

Es ist beinahe einen Monat her, seit sie mich das erste Mal aufgesucht hat. Jetzt, vier Wochen später habe ich ihr nichts weiter zu sagen, als dass ihr Sohn sie nicht sehen möchte. Dass er kein Interesse daran hat, sich mit ihr zu versöhnen.

Mir wird ganz eng ums Herz, wenn ich daran denke, dass ich gleich ihren letzten Wunsch zunichtemachen werde.

Gestern am Telefon habe ich Frau Kyssen angeboten, sie bei ihr zu Hause aufzusuchen und in diesem Atemzug biege ich in die Strasse ein, in der sie wohnt. Nach einer halbstündigen Fahrt halte ich vor einem kleinen Einfamilienhaus. Es ist nicht gross, aber hübsch, mit einer weissen Fassade und roten Läden. Ein paar wenige Rosensträucher zieren den Plattenweg zur dunkelbraunen Eingangstür.

Die Tür geht schon nach wenigen Sekunden, nachdem ich die Klingel betätigt habe, auf.

„Danke, dass Sie den Weg auf sich genommen haben.“ Emma Kyssen reicht mir die Hand und tritt dann zur Seite, um mich hereinzulassen. „Ich fühle mich heute nicht besonders gut.“

„Sie haben es nett hier.“ sage ich zu ihr, als ich in ein gemütliches Wohnzimmer trete. Es ist zwar einfach, aber sehr einladend eingerichtet.

„Danke. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Sie deutet auf ein cremefarbenes Zweiersofa. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Ja, gerne.“ Ich sehe mich im Wohnzimmer um, während sie in der Küche eine kleine Erfrischung holt. Es ist keineswegs mit irgendwelchen Dekorationen überfüllt. Hauptsächlich sind es Orchideen und Kakteen, die die Einrichtung dieses Zimmer mit etwas anderem als Möbelstücken schmücken. Ein Bild mit einer schönen Landschaft hängt an einer Wand. Keine kleine Porzellanfigürchen, Kerzen oder Erinnerungstücke an Ferien. Nichts dergleichen. Aber auf einer grösseren Kommode, die eher zu einem Alter umfunktioniert wurde, als für ein Aufbewahrungsmöbelstück von Kissenbezügen oder Tischservice gebraucht wird, entdecke ich verschiedene Fotorahmen, auf denen immer wieder derselbe Knabe, von seinen Babyjahren bis hin in sein ungefähr achtes Lebensjahr, abgelichtet ist. Bei Zweien hält eine bildhübsche junge Frau, die wie ein weibliches Ebenbild von Oliver Falk ist, das Kind wie einen goldenen Schatz in den Armen. Es verschlägt mir beinahe den Atem, über die Ähnlichkeit des jetzigen Olivers und der Frau auf diesen Fotos. Weiss der weltberühmte Fussballer, wie sehr er seiner Mutter gleicht?

Neben all diesen Bilderrahmen entdecke ich einen geschlossenen Ordner. Ich nehme ihn in meine Hände und öffne ihn. Obwohl ich mir schon im Klaren bin, was mich in dieser Sammelmappe erwartet, staune ich über die vielen ausgeschnittenen Zeitungsartikel, die alle über eine Person berichten. Oliver Falk.

Nachdem ich ihn flüchtig durchgesehen habe, lege ich ihn wieder zurück an seinen angestammten Platz.

Wieder sehe ich die vielen eingerahmten Fotos an. Was mich bei all diesen Bildern irritiert, ist dass der Mann von meiner Kundin auf keiner einzigen Fotografie abgebildet ist.

„Haben Sie schon hier gelebt, als Ihr Sohn noch bei Ihnen wohnte?“ rufe ich zu ihr in den Nebenraum und setzte mich auf die Couch.

„Nein. Ich bin erst nach Toms Tod in dieses Haus gezogen.“

Im selben Moment, als sie mit einem Krug voll Wasser zurückkehrt und sich gegenüber von mir in einen Sessel, im gleichen Farbton wie das Sofa, setzt, platzt sie mit der Frage, auf die ich schon seit meiner Ankunft warte, heraus. „Haben Sie mein Kind gefunden?“

„Ja, das habe ich.“

„Wie geht es ihm?“

„Ich würde sagen, er hat sich hervorragend gemacht.“ Das ist eine absolute Untertreibung, wenn man bedenkt, dass er etliche Jahre seiner Jugend in verschiedenen Kinderheimen verbracht hat und vielerorts als schwieriger Junge bezeichnet wurde.

„Ist er verheiratet? Hat er Kinder?“ Die Fragen stürzen nur so aus ihr heraus.

„So viel mir bekannt ist, nein.“

„Wann kann ich ihn sehen?“

„Ich sollte Ihnen vielleicht noch etwas mitteilen, bevor wir zu diesem Punkt kommen. Er lebt seit seinem dreizehnten Lebensjahr in der Zentralschweiz und hat seit da einen anderen Namen angenommen.“

Sie starrt mich zwar gefasst an, bringt aber gerade mal eine Silbe hervor. „Wie...?“

„Oliver Falk.“

Keine Rührung. Keine Mimik. Nichts. Irgendwelche Regung müsste sie doch zeigen oder? Oliver Falk ist ein weltberühmter Fussballer. Einer der besten in dieser Zeit und seine leibliche Mutter zeigt kein bisschen Verwunderung oder Stolz?

„Warum benötigen Sie meine Hilfe?“

„Das habe ich Ihnen schon gesagt.“

„Sie wissen schon längst, wer ihr Sohn ist und haben mich im Ungewissen gelassen. Was verschweigen Sie mir?“ frage ich sie vielleicht in einem etwas zu schneidenden und unfreundlichen Tonfall. Nur kann ich es nicht ausstehen, wenn man mich an der Nase herumführt.

Die Farbe weicht fast vollständig aus ihrem Gesicht, als sie versucht meinem Blick standzuhalten und verkrampft ihre Hände ineinander, die auf ihrem Schoss liegen. „Ich hatte Angst,“ beginnt sie zögernd. „dass Sie mir nicht helfen werden, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit erzähle.“

„Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht alles weiss. Sie müssen mir vertrauen, sonst funktioniert das nicht.“

„Versprechen Sie mir, dass Sie versuchen, ein Treffen zwischen mir und meinem Sohn zu arrangieren?“

„Das kann ich nicht.“

Die Dame im Sessel nickt nur schwach mit dem Kopf. Ich kann ihr ansehen, dass sie sichtlich bemüht ist, die richtigen Worte zu finden.

Ich bin bitter schockiert und fassungslos, über das, was mir Olivers Mutter anvertraut hat. Warum hat sie kein Sterbenswörtchen darüber verraten, als sie mich vor wenigen Wochen aufgesucht hat? Ich habe versucht Oliver zu einem Treffen zu überreden. Jetzt bin ich eher froh darüber, dass er seine Mutter nicht sehen möchte. Wahrscheinlich habe ich schrecklich erdrückende und quälende Gefühle in ihm wachgerüttelt, die er sein ganzes Leben zu vergessen versucht. Ich fühle mich äusserst schlecht.

Seit ich diese Arbeit mache, ist mir noch nie annähernd so ein Fall in die Quere gekommen. Zum ersten Mal zweifle ich an meinem Tun. Nur mit grosser Mühe gelingt es mir meine Empfindungen unter Kontrolle zu halten.

Nach einigen Minuten, die wir stillschweigend gegenüber sitzen, finde ich endlich meine Stimme wieder. „Was verschweigen Sie mir sonst noch?“ Ich klinge etwas zu schroff, das ist mir bewusst, aber ich kann nicht anders. „Was ist mit Ihrer Krankheit? Haben Sie wirklich Krebs oder war das nur eine Lüge, um mich zu angeln?“

„Ich habe Krebs. Die Ärzte geben mir noch ungefähr drei höchstens sechs Monate.“ In ihren Augen schimmern Tränen.

Wie kann ich nur so kalt sein. Die Frau vor mir leidet an einer unheilbaren Krankheit und ich habe nichts Besseres zu tun, als sie anzugreifen.

Ihre Stimme zittert leicht, als sie fortfährt „Mein einziger Wunsch ist es, noch einmal meinen Sohn zu sehen. Ich möchte mich bei ihm entschuldigen und ihn um Vergebung bitten, obwohl das was geschehen ist, nicht zu verzeihen ist.“

Ich möchte nicht hier sein. Ich möchte weg von diesem Ort. Ich kann beide Seiten verstehen, aber ich möchte nicht dazwischen stehen. Ich sollte ihr erklären, dass ihr Sohn sie nicht sehen will und verschwinden. Aber lässt das mein Gewissen zu?

Stattdessen denke ich darüber nach, wie ich Oliver doch noch dazu bringen könnte, sich mit seiner Mutter zu treffen, bevor es für beide zu spät ist.

„Ihr Sohn möchte Sie leider nicht sehen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Jetzt kann ich auch verstehen, warum er so reagiert hat. Vielleicht sollten Sie selbst mit ihm Kontakt aufnehmen.“

„Nein.“ Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich habe zu grosse Angst, dass er seine Abneigung gegenüber mir direkt ins Gesicht schleudert. Das könnte ich nicht ertragen.“

„Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass er sich anders verhält, wenn ich etwas arrangieren kann?“

„Das sagt mir mein Gefühl.“

Ich fühle mich so, als hätte ich eine Woche nicht mehr geschlafen. Das Treffen mit Emma Kyssen ist viel schrecklicher ausgefallen, als das ich mir erträumt habe. Die Wahrheit darüber, was sich in dem damaligen Elternhaus abgespielt hat, ist erschütternd und drückt mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.

Ich bin erleichtert, als ich endlich die Tür zu meiner Wohnung aufschliessen und die Schuhe mit ihren mörderischen Absätzen abstreifen kann.

Die Dusche gibt ihr Bestes, nur leider kann sie meine wild durcheinander geratenen Gedanken nicht fortspülen.

Gerade als ich mich mit einem Glas Wein vor dem Fernseher niederlassen möchte, klingelt es an der Tür. Ich tu so, als würde ich es nicht hören und nehme die Fernbedienung in die Hand. Wieder klingelt es, das durch ein Klopfen unterstrichen wird.

„Hei Verena. Ich weiss, dass du da bist. Komm schon. Mach auf!“ höre ich meinen besten Freund rufen.

Erschöpft erhebe ich mich aus meinem durchgesessenen Sofa. In einem ausgeleierten T-Shirt und mit kurzen, weiten Shorts öffne ich die Tür. „Hei Ron. Was gibt's?“

„Das müsste ich dich fragen. Seit Tagen versuche ich dich zu erreichen, aber jedes Mal wurde ich mit dem Anrufbeantworter verbunden.“

„Tut mir leid. Aber ich habe gerade einiges um die Ohren.“

„Und das wäre?“

„Ach Ron,“ seufze ich. „du weisst doch, dass ich nicht über meine Arbeit sprechen darf.“ und küsse ihn auf die Wange.

„Hast du mir wenigstens ein Bier?“ Er lächelt mir schelmisch zu und lässt sich auf dem Sofa nieder, auf dem ich es mir vorhin bequem machen wollte.

„Lass dich bedienen.“ erwidere ich spöttisch. Ich gehe in die Küche, um ein kühles Blondes aus dem Kühlschrank zu holen. „Was verschlägt dich hierher?“

„Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Er zwinkert mir mit den Augen zu. „Und ich habe dich vermisst. Wie geht es dir?“

„Gut.“

„Du siehst erschöpft aus.“

„Es war ein anstrengender Tag.“ Wenn ich genau nachdenke, verliefen die letzten beiden Tage nicht so, wie ich es mir erwünscht habe. Doch darüber kann ich leider nicht mit meinem Gast sprechen. Wenn ich mich überhaupt jemandem anvertrauen kann, dann ist es Tina. Aber ehrlich gesagt, weiss ich nicht einmal, ob ich ihr erzählen kann, was ich heute alles in Erfahrung gebracht habe. Ich fühle mich, als wäre ich auf einer Achterbahn gewesen, dass mein Herz aus seinem Rhythmus gerissen hat und sich nun nicht mehr beruhigen lässt.

Ich versuche die Erinnerungen an die letzten fünf Stunden in meine hinterste Ecke des Gehirns zu verbannen, das mir sogar ein klein wenig gelingt und greife nach meinem Weinglas, als ich mich neben Ron setze.

„Was habe ich verpasst?“ frage ich ihn ohne lange zu überlegen.

„Nichts. Warum fragst du?“

„Konntest du keine heisse Blondine finden?“

„Ich hatte keine Lust auf eine andere Frau. Du weisst, dass ich dich will.“

„Hör auf Ron. Es kann zwischen uns nicht klappen. Das weisst du genauso gut wie ich .“ Ich muss mir eingestehen, dass er unheimlich gut aussieht, dass er attraktiv ist, dass mir die paar Mal, die wir zusammen im Bett verbracht haben, Spass gemacht haben und schön waren. Aber das war's dann auch schon.

Ich mag ihn als Kumpel und ich möchte ihn nicht missen. Aber mehr als Freundschaft wird es zwischen uns ganz bestimmt nicht geben. Was er zu meinem Bedauern manchmal zu vergessen scheint.

„Wollen wir uns ein bisschen amüsieren?“ Ron legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und fährt mit leichtem Druck auf und ab.

„Lass das Ron.“ Sofort hebe ich seine Hand und lasse sie neben mir aufs Sofa fallen.

„Hast du einen neuen Macker?“ verwundert sieht er mich an.

„Nein.“

„Wo ist dann das Problem?“

„Du gehst jetzt besser. Es ist schon spät und ich bin ziemlich erledigt.“ Ich stehe auf und ohne ein weiteres Wort öffne ich die Eingangstür. Resigniert schaut er mich an, stellt seine Bierflasche hin und kommt auf mich zu.

„Lass von dir hören.“ Er drückt mir einen festen Kuss auf die Wange, nahe an meinen rechten Mundwinkel und verlässt die Wohnung.

Ich bleibe noch stehen, bis seine Schritte ihm Treppenhaus verklingen. Nachdenklich schüttle ich meinen Kopf über meinen besten Freund. Was war das für ein eigenartiger Besuch?

Müde schleppe ich mich zurück zum Sofa und schalte den Fernseher ein. Ich habe keine Lust weder über die letzten Tage, sowohl über die vorherige Gesellschaft nachzudenken.

4.

Mir schmerzt der Nacken und meine Füsse sind eisig kalt. Vorsichtig setzte ich mich auf und reibe meinen Hals, der ganz steif zu sein scheint. Verwirrt strecke ich mich auf dem Sofa aus und blicke auf den laufenden Fernseher, in dem gerade irgendein Krimi gezeigt wird, in dem ein FBI Agent und seine Partnerin versuchen einen Mord zu lösen.

Am Boden entdecke ich die Fernbedienung, die mir aus den Händen gefallen sein muss. Ich hebe sie auf und drücke ungefähr zwei Sekunden auf den roten Knopf, um die grausige Szene, die im Flimmerkasten zu sehen ist, wegzudrücken.

Das ist mir schon seit langem nicht mehr passiert, dass ich vor dem Fernseher eingeschlafen bin. Ich muss erschöpfter gewesen sein, als dass ich angenommen habe.

Aber was hat mich geweckt. Der Fernseher war auf stumm geschaltet. Habe ich nur geträumt oder war vielleicht irgendwas vor meiner Wohnungstür? Ich glaube, mich an ein Geräusch zu erinnern, dass mich aus dem Schlaf gerissen haben muss. Es klang, als würde jemand an der Wohnungstür kratzen. Mit verspannten Gliedern erhebe ich mich aus dem Sofa, um einen Blick aus meinem Spion zu werfen.

Es herrscht absolute Stille und Dunkelheit im Flur. Ein erleichtertes Lächeln huscht über mein Gesicht, als mir bewusst wird, dass ich alles nur geträumt habe.

Aber diese Erleichterung hält nur für einen kurzen Augenblick. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich, dass jemand oder etwas da draussen war. Ich taste nach dem Türschloss und versichere mich, dass es auch wirklich verschlossen ist.

Ich schalle mich als eine ängstliche Kuh und begebe mich in das Schlafzimmer, um in meinem bequemen, breiten Bett die wenigen Nachtstunden, die mir noch bleiben, zu verbringen.

Whitney Houston weckt mich mit ihrer starken und klarer Stimme und singt mir etwas von ewiger Liebe vor. Wann wird mir endlich die ewige Liebe über den Weg laufen? Frage ich mich selbst mit einem feinen Spott, bevor ich den Wecker ausstelle. Ich reibe mir die Müdigkeit aus den Augen und schleppe mich aus dem Bett in das angrenzende Bad.

In einer guten Stunde muss ich im Büro sein. Es bleibt also noch genug Zeit für einen Kaffee und etwas gerösteten Toast.

Nachdem ich mich in ein senfgelbes Kostüm geworfen habe, kann ich endlich an dem dunklen, heissen Getränk schnuppern, das in einer Porzellantasse auf dem Küchentisch auf mich wartet. Kaum dass der erste Schluck meinen Hals hinunter rinnt und ich nach einer bestrichenen Toastscheibe greife, klingelt es an der Tür. Erstaunt über diese frühe Störung, gehe ich an die Tür. Tina grinst mir durch das Guckloch, als ich nachsehen möchte, wer vor meiner Wohnung steht.

„Hallo Schwesterchen. Mach schon auf. Ich brauche einen Kaffee.“

„Warum bist du hier?“ frage ich sie, nachdem ich ihr geöffnet habe. „Wir sehen uns doch gleich im Büro.“

„Sorry, Schwesterherz, aber ich habe ganz vergessen, dir mitzuteilen, dass du heute mit einer Frau Wermelinger verabredet bist.“ Tina geht an mir vorbei in die Küche.

Ich schliesse die Tür und folge ihr. Gerade als ich in den Raum trete, schnappt sie sich meinen Kaffee und trinkt genüsslich davon. „Du könntest wenigstens selbst eine Tasse aus dem Schrank nehmen.“

„Könnte ich.“ Sie grinst mich über den Rand der Tasse an. „Aber diese schrie förmlich nach mir.“

Also hole ich mir einen weiteren Becher und fülle sie mit Kaffee. „Wann soll ich diese Frau... Wie hiess Sie doch gleich?“

„Wermelinger.“ hilft mir Tina auf die Sprünge.

„Wann soll ich sie treffen?“

„Schon in weniger als einer halben Stunde. Ich habe dich gestern Nachmittag einige Male versucht zu erreichen, aber du hattest dein Smartphone ausgeschaltet. Danach habe ich es vergessen.“ Tina greift nach meinem Toast und beisst genussvoll hinein.

„Hat sie dir ihr Anliegen anvertraut? Wo soll ich hin?“

„Sie sucht ihre alte Schulfreundin und wartet im Schwanen auf dich.“

„Wenigstens ist es gleich um die Ecke.“

„Ach ja,“ Sie macht eine kunstvolle Pause. „wie lief es gestern?“

Ich atme tief ein, als ich an die Unterhaltung mit der krebskranken Frau denke. Was soll ich nur meiner Schwester erzählen? Ich habe der armen Frau versprochen, dass ich mit niemandem darüber spreche, was sie mir anvertraut hat. Darüber hinaus gehört es zu meiner Schweigepflicht, genaue Details für mich zu behalten. Alles, was mir meine Kunden erzählen, bleibt unter uns. Nur hatte ich bisher nicht halbwegs so einen Fall, wie den von Frau Kyssen und ihrem Sohn.

„Leider nicht so glücklich. Der Fussballstar hat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Er möchte seine Mutter keinesfalls treffen und er liess mich keinen Augenblick daran zweifeln, dass er es nicht auch wirklich so meint. Frau Kyssen hingegen gibt nicht so klein bei.“

„Und was machst du nun?“

„Ich habe ihr gesagt, dass es an ihrem Sohn liegt. Er ist der, der bestimmt, ob sie sich jemals begegnen werden oder nicht. Wenn er sich anders entscheidet, werde ich ihnen zur Seite stehen. Aber momentan ist meine Arbeit getan.“

„Wie hat sie es aufgenommen?“

„Was glaubst du?“

Tina zuckt nur mit den Schultern und schaut mich mitleidig an.

Das Gespräch mit Frau Wermelinger verspricht eine einfache Angelegenheit zu werden. Es ist genau das, was ich jetzt brauche. Etwas, das ich auch lösen kann. Denn es ist geradezu deprimierend, wenn einem die aufgetragene Aufgabe nicht gelingt.

Seit beinahe zwei Stunden bin ich zurück in meinem Büro, nachdem ich mich im Schwanen mit Frau Wermelinger getroffen habe und versuche die ehemalige Schulfreundin von meiner neusten Kundin zu erreichen. Es war ein Leichtes sie ausfindig zu machen, aber nicht einfach mit ihr in Verbindung zu treten.

Ich wähle ein viertes Mal eine Nummer und genau in dem Augenblick, als eine Stimme durch den Telefonhörer an mein Ohr dringt, höre ich Tina durch die offene Tür, wie sie sich draussen mit jemandem unterhält und sich von ihrem Platz erhebt, um zu mir herüberzukommen.

„Verena, da ist jemand für dich.“ In ihrem Blick liegt etwas wie Überraschung.

Meine Neugierde ist schon geweckt und da es wieder nur der Telefonbeantworter von einer gewissen Frau Schulz ist, der auf der anderen Seite des Hörers spricht, lege ich umgehend auf und folge meiner Schwester nach draussen.

„Frau Rapone.“

Meine Verwunderung und Verwirrung kann nicht grösser sein und muss mir ins Gesicht geschrieben sein, denn der Mann vor mir sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartet wahrscheinlich auf irgendeine höfliche Begrüssung von mir, die nicht aus meinem Mund rutschen möchte.

„Was tun Sie hier, Herr...?“

„Mitchell.“ antwortet er mir sofort. „Ich möchte Sie abholen.“

„Abholen? Wozu?“

„Mein Boss möchte sich mit Ihnen unterhalten.“

„Er hat mir seine Meinung klipp und klar mitgeteilt. Also was möchte er nun noch von mir?“

„Ich habe nur den Auftrag erhalten, Sie abzuholen.“

„Und jetzt soll ich gleich springen, nur weil ihr Chef das wünscht?“

„Es ist allein Ihnen überlassen, ob Sie mich begleiten möchten oder nicht. Ich würde mir jedoch wünschen, dass Sie mit mir kommen.“ Mit einem abwartendem Blick sieht er mich an.

Was soll ich nur davon halten, dass der attraktive Fussballer wünscht, mich zu sehen. Vor zwei Tagen hat er mir eindeutig klar gemacht, dass er nichts von seiner Mutter hören möchten, geschweige denn sie sehen. Hat er seine Meinung etwa geändert? „Na gut. Bringen Sie mich zu ihm.“

„Darf ich Sie dann bitten?“

„Einen Moment noch. Ich hole nur kurz meine Handtasche. Ich komme gleich nach.“

Ich sehe dem Bodyguard von Oliver Falk nach, der beabsichtigt, mich zu seinem Chef zu bringen.