Glück und Gischt - Hans Leip - E-Book

Glück und Gischt E-Book

Hans Leip

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Beschreibung

Hans Leips wunderbare Geschichten, die in diesem Erzählband zusammengefasst sind, beginnen in der Heimat, seinem Hamburg, und enden in der weiten Welt. Feinstes englisches Porzellangeschirr wird für den Senator ausgepackt und Pieps darf dabei seinem Vater helfen. Was aber geschieht, als durch ein Versehen Pieps ein Teller zerbricht? Noch prekärer wird es, als in der Erzählung "Aller Anfang ist Wagnis" der jugendliche Erzähler in dem "Liebesbetrieb des Hafenviertels" eine "Stunde der Lust" plant und plötzlich merkt, über das zu Erlebende lieber schreiben als es wirklich erleben zu wollen.-

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Hans Leip

Glück und Gischt

Erzählungen

Saga

Das Mädchen auf dem Teller

Damals, als seine Stimme noch dünn und hoch war, wurde er Pieps genannt. Sein Vater hatte am Hafen zu tun, wo alles laut und groß ist. Und sein Vater war es gewesen, der zuerst – und sichtlich nicht ganz zufrieden mit ihm – Pieps zu ihm gesagt. Da war nichts zu machen. Es mußte ertragen werden.

Gelegentlich, wenn der Hafenbetrieb behindert war – wegen Nebels oder wegen Streiks –, half Piepsens Vater bei der Firma Davenport. Das war eine feine Firma am Neuen Wall; sie handelte mit Porzellan, mit englischem Porzellangeschirr, und das a in ihrem Namen wurde wie e ausgesprochen, Devenport, das wußte jedes Hamburger Kind. Die Schaufenster Davenports gehörten nicht zu den geringsten in der an sich schon bevorzugten Geschäftsstraße. Hanseatische Kaufleute hielten seit je auf erstklassiges Tafelservice, und das fand man bei Davenport. Gewählt und geschmackvoll war es ausgestellt mit einem Blumenstrauß in der Ecke je nach Jahreszeit. Schlicht und solide war die Tür des Eingangs, schweres Mahagoni, die Klinke Messing mit kleiner britischer Krone. Mit einem Worte: Vornehm! Die Rückseite des Hauses jedoch war nichts als praktisch, ähnlich wie bei einer Weste. Denn hinten lag das Fleet, das trübe enge Wasser, das geradewegs zum Hafen führt. Und so scheußlich es dort manchmal von all dem Abfall roch, den unachtsame Leute hineinschütteten und der niemals restlos mit ablaufender Tide entschwand, Pieps hatte das Fleet gern. Es stellte unzweifelhaft die direkte Verbindung in die weite Welt dar. Sumatra mußte da irgendwo liegen. Eben hatte sein Vater eine Kiste für Sumatra gepackt. „Die ist für Ostern“, sagte der Hausknecht, und hievte sie in die Schute hinunter. „Zu Weihnachten können die wie bisher von Palmblättern schmausen.“ „Sumatra?“ Pieps schmeckte den Klang nach. „Ist das weit?“

Bükopp, der Hausknecht, ergriff ihn mit den Schaufeln von Händen und hielt ihn aus der Luke. „Wenn ich dich jetzt loslasse und du Luft und Murr genug hast, kannst du bis Ostern hinschwimmen. Soll ich?“

Pieps hatte Angst, so gefährlich über dem schmutzigen Spalt Wasser zu schweben, der sich da zwischen der feuchten Mauer und dem Schutenrand auftat. Aber er muckste sich nicht. Und da sein Vater kam, stellte Bükopp ihn wieder auf die Beine und pfiff, als sei nichts los: „Ist denn kein Stuhl da für meine Hulda.“ Der Vater ging an eine der Kisten aus frischem weißem Holz, die vordem aus der Schute nach oben gelangt waren. London cif Hamburg stand darauf. Pieps las es. „Was heißt cif?“ fragte er. Bükopp unterbrach seinen Schlager und grinste: „Kuß im voraus“, aber dann entfernte er sich. Pieps Vater war nicht für solche Witze. „Es bedeutet auf Englisch Kosten, Versicherung und Fracht, und das ist’s, was im voraus bezahlt wurde von drüben“, sagte er und begann, die Kiste auszupacken. Und er fügte hinzu: „Es eilt mal wieder. Senator Muckedeiers wollen es schon in einer Stunde haben.“

Pieps war eigentlich nur mal so mitgegangen, nur des Fleetes wegen, weil das hier viel näher lag als etwa von der Brücke aus. Der Packraum bei Davenports lag im Keller; von der Luke war es nicht weit bis zu den Zubringerschuten, und diese holten die Fracht von den Seeschiffen oder beförderten sie dorthin. Man hörte das Wasser schmatzen, so nahebei war es, wenigstens zur Flutzeit. Darum auch wohl hatte Bükopp ihm vorhin zugeflüstert: „Nächstens halt ich dich aus der Dachluke raus!“ Ihm war sicher darum zu tun, Angst zu machen. Aber Pieps hatte es ihm nicht gegönnt und hatte weder gezappelt noch geschrien.

„Faß mit an, wo du schon dastehst!“ sagte der Vater. Und somit packten sie zusammen das teure Service von der Kiste in einen großen Korb, holten Stück für Stück aus der Holzwolle hervor, Terrinen und Schüsseln für Suppe, Gemüse und Kartoffeln, und den ulkigen kahnförmigen Soßenbehälter, den man in Hamburg Schüguß nennt, dann die gewaltigen Bratenplatten und die für Geflügel und die für Fisch und die kleinen Schüsseln für Salate, Kompott, Pudding oder Dessert, und dann die tiefen und die flachen Teller, und dann die handlicheren für die Beigaben, fürs Brötchen zur Suppe oder für ein bißchen Kresse oder Chicorée oder derlei, auch für die Ablage der Gräten von Steinbutt und Kabeljau und was von Hummern und Geflügel nicht eßbar war. Das alles erklärte der Vater, und Pieps fühlte die Genüsse mißtrauisch nach und all die Umstände mit den vielen Sachen. Zu Hause gingen die Mahlzeiten entschieden bequemer vor sich. Hier nun war vorerst alles in rosa Papier gewickelt, und das duftete besser als das schlammige Fleet. Es duftete geradezu nach den eleganten Salons, wo es so viel zu essen gab und man so mächtig etepetete – so nannte es der Vater – sich dabei benehmen mußte.

„O wie hübsch!“ sagte Pieps bei jedem Stück, das da zum Vorschein kam. Denn es war alles bemalt mit den Hafenstädten der Welt. „Und alles verschieden, das ganze Dutzend!“ nickte der Vater und prüfte Stück für Stück, indem er mit dem oberen Knöchel des Ringfingers leicht dagegenschlug, ob es heil und ohne geheimen Sprung sei. Man muß den Ringfinger nehmen, und oft genügt schon, eben mit dem Fingernagel daran zu klopfen. Der Zeigefinger wäre viel zu robust, um zart genug aufzutreffen, namentlich bei der harten Hafenhand von Pieps‘ Vater. Und es gab den matten klaren Klang, wie ihn das englische Porzellan hergibt, diese Mischung sozusagen aus Steingut und feinstem China. „Es ist Knochenasche darin“, sagte der Vater voller Kenntnis.

„Von was für Knochen?“ fragte Pieps erschauernd. „Vom Kirchhof?“

„Wer will das schon wissen!“ lächelte der Vater. „Jedenfalls sind es sehr zarte Knochen.“

„Vielleicht vom Ganges, wo sich die jungen Witwen mitverbrennen“, warf da Hausknecht Bükopp ins Gespräch. Er war immer zur Stelle, wenn etwas zu bemerken war, hatte auch nicht gezögert, den Ewerführern in die Schute hinab zu verpassen, daß sie elende Streikbrecher seien. Nun aber ging er nach oben, weil für ihn die Stunde schlug, die Schaufensterscheiben zu putzen.

Der Vater hielt einen der Teller gegen das Licht, das von der Luke hereinströmte, und es schimmerte hindurch, und nun sah man erst richtig, was daraufgemalt sei. Fremdartige Gebäude und Segelschiffe und am Kai ein kleines braunes Mädchen in weißem Gewande. Dazu auch Buchstaben am Rande der Malerei, „Sin-ga-po-re“, las Pieps. Obwohl er erst ein Jahr zur Schule ging, konnte er doch schon soviel lesen ...

„Man sagt Singapur. Es ist Englisch“, erklärte der Vater.

„Singapur!“ wiederholte Pieps und fragte dann begierig: „Ist das bei Sumatra?“

„Ungefähr bald nebenan“, nickte der Vater. „Und das da ist eine kleine Malaiin.“ „Aber doch keine Witwe?“ Piepsens Stimme war noch höher als sonst.

„Was für ein Unsinn!“ knurrte der Vater. Und die beiden packten weiter. Da waren dann Ansichten von Neuyork und von Bombay, Yokohama und Pord Said, Sidney, Lissabon und selbst von Hamburg, auch von Bremen mit dem Roland. Aber Pieps blickte kaum darauf hin, nicht einmal auf die Freiheitsstatue oder den chinesischen Kaiser. Er dachte an die kleine Malaiin. Mittendrin polterten Bükopps grobe Schuhe auf der Treppe. „Du sollst mal zum Chef!“ sagte er zu Piepsens Vater. „Na und?“ erwiderte der Vater und ging mit hinauf. Pieps war allein. Er stand da ganz atemlos von der weiten Weltreise, die er auf dem Porzellan mitgemacht. Es lag nun schon fast alles im Korb. Pieps tastete hinein in den Duft aus Holzwolle und sanft parfümiertem Papier. Ja, das mußte er sein, der Teller. Behutsam zog er ihn hervor, wickelte ihn wieder aus, hob ihn gegen das Licht. O, welch rührendes Gesicht die kleine Malaiin hatte! Und so traurige große Augen wie die Gazelle im Zoologischen Garten hinterm Gitter.

„Ksss!“ zischte es von der Treppe. Pieps zuckte zusammen und – o je! – der Teller glitt ihm aus der Hand und schlug auf die Steinfliesen des Kellers. „Hähähä!“ lachte der Hausknecht. So leise konnte der trotz der groben Schuhsohlen schleichen, und nun war es ihm also doch gelungen, Pieps zu erschrecken. Man sah noch eben sein breites, graues, grinsendes Gesicht weit übers Geländer herabgebeugt, ehe er sich wieder verzog. Denn gerade kam der Vater zurück. Und sah gleich die Bescherung und langte aus, besann sich jedoch, vielleicht, weil der Junge ihn so merkwürdig flehend anblickte und dann auch noch piepste: „Sie ist aber heil geblieben.“

Der Vater nahm schweigend die beiden Stücke, in die der Teller zerknallt war, paßte die Bruchflächen aneinander, wickelte sorgfältig das Papier um den Invaliden und steckte das Päckchen sachte zwischen das Übrige in den Korb. Als dann nach einer Weile alles fertig umgepackt war, sagte er finster: „Du fährst mit. Muckedeiers werden schön Krach machen.“

Mit Pferd und Wagen fuhren sie nach Pöseldorf, wo Senator Muckedeier eine Villa besaß. Autos, nein, die gab es damals erst wenige. Auch hielt die Firma Pferd und Wagen für vornehmer, schon weil es leiser war und besser roch. Hausknecht Bükopp brauchte nicht mit; der Vater verstand sich selber aufs Kutschieren, und Muckedeiers Dienstmädchen war kräftig genug, den schweren Korb in die Küche tragen zu helfen. Das war’s, was der Chef dem Vater hatte vordem mitteilen wollen. Sonst wäre das mit dem Teller wohl auch kaum passiert.

Schließlich stand fast alles endgültig gelandet und ausgepackt auf dem großen Küchentisch bei Senators, tadellos und schön. Eben kam auch Frau Muckedeier, um persönlich einen Blick auf das neue Service zu werfen. „Sehr, sehr ordentlich!“ sagte sie. „Und die Zahl? Stimmt ja denn wohl auch. Es muß ja noch alles aufgewaschen werden, alle die vielen Dutzend.“

„Und dann wird den Abend Puter davon gespeist“, fügte Anna, das Dienstmädchen, hinzu.

Es half nichts, nun mußte auch das letzte rosa Papier abgewickelt werden. Der Vater hatte bis dahin den besagten Teller immer noch etwas beiseite geschoben. Dem armen Pieps klopfte das Herz bis unter die Haare. Gern wäre er davongerannt. Aber der Vater hatte einen Blick auf ihn, und das hält ja mehr als zehn Teertaue.

„Huch!“ schrie Anna auf. „Also doch einer kaputt!“

„Welch ein Pech!“ sagte der Vater und tat ungeheuer erstaunt. „Pech? Aber nein doch!“ wehrte Frau Muckedeier ab: „Scherben bringen Glück. Wir haben außerdem sowieso niemals Gäste über die Zahl der Musen hinaus, haben wir wohl nicht.“ Sie blickte gütig auf den kleinen Jungen, der so betreten dastand. „Und das sind?“ fragte sie lächelnd.

Der Vater drückte ein bißchen nach: „Ist doch ganz einfach, wie beim Kegeln. Na?“

„Alle neune!“ stotterte Pieps. Beim Kegeln hatte er schon mal zusehen dürfen. Was Musen sind allerdings, das lernt sich in Hamburg nicht so leicht. Aber von da an liebte Pieps die Musen fast so sehr wie das kleine Malaienfräulein auf dem zerbrochenen Teller. Der Riß war durch die Paläste und Segel gegangen, aber das braune Mädchen war verschont geblieben. Und Pieps auch. Er durfte sogar die Scherben mitnehmen. Anna riet ihm, Kökschenkitt sei das beste zum Kleben. Und wirklich, das hielt.

So fein klingen jedoch, wie es sich eigentlich gehört, das konnte der gekittete Teller natürlich nicht, und wenn man noch so zart mit dem Nagel des Ringfingers daran klopfte. Es klang dann mehr wie ein verhaltener, von ganz weit hergewehter Seufzer. Und das paßte gut zu allem, was an der nördlichen Küste bedrängend ist, paßte zu der insgeheimen Sehnsucht in die Ferne, nach Übersee, nach tropischen Paradiesen, zumal, wenn sich das Wetter neblig und schudderig anläßt. Selbst als Pieps schon größer war und niemand mehr daran dachte, ihn Pieps zu nennen, er auch längst in manchem fremden Hafen weitherum in der Welt gewesen, schien ihm dieser hilflos halbverschluckte Porzellanseufzer und Fernwehklang genau das Richtige zu sein für diesen Teller. Überdies ist zu erwähnen, daß in den Bombernächten, als zum Beispiel von Muckedeiers Hausrat und Geschirr nicht ein Stück gerettet wurde, sich im Schutt dort, wo Pieps gewohnt, der Teller mit dem Malaienmädchen, geflickt wie je, doch sonst unversehrt, anfand.

Nicht immer ist’s der volle Klang,

worauf das Glück beruht;

oft hält, was ungewollt zersprang,

geheilt noch mal so gut.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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