Gott belohnt, Gott straft - Gerd Althoff - E-Book

Gott belohnt, Gott straft E-Book

Gerd Althoff

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Beschreibung

Der feste Glaube des mittelalterlichen Menschen an die reale Anwesenheit des Göttlichen in seiner alltäglichen Lebenswelt stellt eine grundlegende soziale Tatsache dar. Aber war diese Überzeugung nur vom reinen Glauben gesteuert, oder verfolgte sie nicht vielleicht durchaus auch strategische Ziele? In der neuesten Untersuchung von Gerd Althoff geht es denn auch genau um diese Frage: um den Interpretationsspielraum, den die Vorstellungswelt vom Eingreifen transzendenter Mächte den mittelalterlichen Zeitgenossen ließ. Der Überblick über einschlägige Quellen lässt kaum Zweifel daran zu, dass dieses behauptete Eingreifen vorrangig als Argument zur Rechtfertigung der Freunde und zur Diffamierung der Gegner verwendet worden ist. Gerd Althoff eröffnet, in bewährter Weise, mit dieser Studie ein neues Untersuchungsfeld, und er legt auch gleich das Grundlagenwerk dazu vor: wie immer geschliffen formuliert, getragen von stupender Quellenkenntnis und unter Heranziehung vieler konkreter Beispiele.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

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wbg Academic ist ein Imprint der wbg.

© 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Redaktion: Birgit Knape, Mainz

Einbandgestaltung: Studio Lohse, Heppenheim

Einbandabbildung: Darstellung der Heuschreckenplage aus Exodus 10,1-20 in einer Kopie eines Manuskripts aus dem 15. Jahrhundert. © Heritage Images / Historica Graphica Collection / akg-images

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-27431-4

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): 978-3-534-74720-7

eBook (epub): 978-3-534-74721-4

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Impressum

Inhalt

Vorwort

I.Einleitung

1.Mittelalterliche Vorstellungen vom Wirken des christlichen Gottes in der Welt.

2.Zur Bedeutung dieser Vorstellungen in der christlichen Mission des frühen Mittelalters

3.Leitfragen der Untersuchung

3.1Zur benutzten Quellenbasis

3.2Geistliche und andere Prägungen der einschlägigen Autoren

3.3Religiöse oder politische Argumente?

II.Eingriffe transzendenter Mächte in irdisches Geschehen während der Merowinger- und Karolingerzeit

1.Gregor von Tours über die Zeit vor und nach der Taufe Chlodwigs

2.Gottes Hilfe bei der Mission der germanischen Stämme

3.Der Aufstieg der Karolinger im Schutz transzendenter Mächte

4.Das Verlassen des rechten Weges: Mahnungen, Prüfungen und Strafen Gottes in der Zeit Ludwigs des Frommen und seiner Söhne

5.Zur Rolle Gottes in den sich verschärfenden Krisen des Frankenreiches

6.Zusammenfassung

III.Das lange 10. Jahrhundert

1.Retrospektiven auf den Aufstieg der Ottonen

2.Gottes Hilfe beim Kampf gegen Heiden.

3.Gottes Eingreifen in interne Konflikte des ottonischen Reiches.

4.Erweiterungen des Beispiel-Horizonts: Das Wissen Thietmars von Merseburg über göttliche und teuflische Interventionen

IV.Die Kirche als »Magd oder Herrin des Königtums« in der Salierzeit

1.Die Königserhebung Konrads II. als Rollenspiel unter göttlicher Regie

2.Unterschiedliche Bewertungen militärischer Erfolge König Heinrichs III.

3.Gottes Eingreifen in die großen Konflikte im Zeitalter des Investiturstreits

3.1Die Anfänge der selbständigen Regierung Heinrichs IV.

3.2Der Konflikt mit Papst Gregor VII.

3.3Die geänderte Lage nach Canossa und Forchheim

3.4Die Veränderung der Auseinandersetzung in den ›Libelli de Lite‹

3.5Deus le vult – Der Schlachtruf der Kreuzzugsbewegung.

3.6Anzeichen einer Neuorientierung am Ende der Salierzeit

3.7Zusammenfassung

V.Stauferzeit

1.Das Eingreifen Gottes in die Welt aus der Perspektive Ottos von Freising und Rahewins

2.Die Auseinandersetzungen Kaiser Friedrichs mit Papsttum und Lombarden.

3.Mission und Expansion im Nordosten des Reiches

4.Friedrich II.: Selbstrechtfertigungen eines exkommunizierten Herrschers

VI.Résumé

1.Allgemeine Aspekte

2.Träger und Qualität der Diskurse, thematische Schwerpunkte

3.Religiöse oder politische Argumente?

4.Zweifel an der Vorstellungswelt der transzendenten Eingriffe

5.Evidenz und Deutungskonkurrenz

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Quellen

Literatur

Personenregister.

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

In Zeiten der Corona-Pandemie wird ein Buch, das sich mit dem Eingreifen transzendenter Mächte in das irdische Geschehen des Mittelalters beschäftigt, schnell den Eindruck erzeugen, die Pandemie habe den Anlass gegeben, die Reaktionen früherer Epochen auf Epidemien, Plagen und Schicksalsschläge in Erinnerung zu rufen. Das Buchprojekt wurde nachweislich jedoch schon begonnen, als die Corona-Krise noch nicht am Horizont war. Auslöser war vielmehr eine der grundsätzlichen Forschungsfragen des Clusters »Religion und Politik« in Münster, die auf die Wirksamkeit religiöser Argumente in den verschiedenen Epochen der Geschichte zielt. Hierfür bietet die Überlieferung des Mittelalters ein breites Forschungsfeld, da die christliche Religion ihre Gläubigen ermutigte, in Gebeten Gott und die Heiligen um konkrete Hilfen in irdischen Nöten zu bitten. Zum Erfolg dieser Bitten aber war ein frommer Lebenswandel und zusätzliche Leistungen verschiedener Art hilfreich, die nicht genau spezifiziert waren. Folgerichtig hat sich auch eine rituelle Kultur entwickelt, mit der himmlische Mächte zum Eingreifen motiviert werden sollten. Wie evident aber sind einschlägige Nachrichten auf diesem Gebiet, die uns von der Erfüllung solcher Bitten und Belohnungen berichten oder über Prüfungen und Strafen informieren?

Schien eine hohe Evidenz dafür zu sprechen, dass das Eingreifen transzendenter Mächte in die Welt zu den festen Überzeugungen der Menschen des Mittelalters gehörte, blieben doch auch Zweifel in den Quellen, die vom Zufall sprachen, oder aber, was interessanter ist, durch waghalsige Konstruktionen bestimmten Geschehnissen verschiedene Deutungen gaben. Diese Beobachtungen führten zu dem Entschluss, eine breite Überlieferung systematisch zu befragen, welche Formen, Inhalte und Wirkungen die Deutungsanstrengungen zu einschlägigen Ereignissen hatten, deren Kausalität ja selten oder nie über jeden Zweifel erhaben war.

Sehr profitiert hat die Arbeit vor und in der Corona-Zeit von der Einbettung in die Struktur und Diskussionskultur der Arbeitskreise des genannten Forschungsverbundes »Religion und Politik«, der zudem durch die mehrjährige Bereitstellung einer Hilfskraft auch eine materielle Grundlage für die Arbeit sicherstellte. Dafür sei den Verantwortlichen herzlich gedankt. Besonderer Dank gilt neben vielen Diskussionspartnern in verschiedenen Phasen der Arbeit vor allem den Kollegen und Freunden Sverre Bagge, Hans-Werner Goetz und Ludwig Siep, die eine frühe Fassung der Arbeit lasen und mit ihren Kommentaren die Möglichkeit zur Präzisierung wichtiger Perspektiven eröffneten. Janna Stupperich hat nicht nur das Quellen- und Literaturverzeichnis betreut, sondern sich in vielen anderen Fragen der Arbeitsorganisation und Manuskriptherstellung als unverzichtbar erwiesen, wofür auch ihr ein herzlicher Dank gebührt. Dank gilt auch der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und Daniel Zimmermann, deren Interesse an meinen Manuskripten mehr als 30 Jahren wach blieb.

Münster, im Mai 2021

Gerd Althoff

I.Einleitung

1.Mittelalterliche Vorstellungen vom Wirken des christlichen Gottes in der Welt

Die Vorstellungen der Moderne von einem ›finsteren‹ Mittelalter, die bis heute äußerst fest verankert sind,1 entstanden gewiss nicht aus einer einzigen Beobachtungsperspektive. Sie verdanken sich aber sicher auch einer Tatsache, die Zeugnisse aus diesem Mittelalter vielfältig belegen: Man war in dieser Epoche überzeugt, dass transzendente Mächte, himmlische wie teuflische, geradezu permanent in das irdische Geschehen eingriffen und es in vielfacher Hinsicht beeinflussten.2 Diese unterstellte Einflussnahme Gottes, der Engel und Heiligen, aber auch der Teufel und Dämonen betraf einerseits die Unterstützung der Gläubigen durch Hilfen und Belohnungen, ihre Warnung durch Prüfungen und ihre Verurteilung zu Strafen, wie andererseits ihre Verführung und Verleitung zur Sünde. Sie prägte damit das Verhalten mittelalterlicher Menschen zwischen den Polen Hoffnung und Angst, da es letztlich um nichts Geringeres als ihr ewiges Seelenheil ging bzw. die ewige Verdammnis drohte. Versuche der modernen Forschung, Wandlungen dieser Vorstellungen zu beschreiben, führten bisher nicht zu allseits akzeptierten Ergebnissen.

Da wir zumeist von Klerikern über die mittelalterliche Welt und ihre Vorstellungen informiert werden, besteht eine gewisse Unsicherheit, inwieweit diese Prägung wirklich für alle Menschen angenommen werden kann, oder ob die Intensität der einschlägigen Äußerungen eher dafürspricht, dass die Bemühungen um eine solche Indoktrination nicht nur auf offene Ohren stießen.

Die angedeutete Weltsicht ist modernen Menschen fremd, da die Vorstellung von einem zugleich allmächtigen und allwissenden Gott, der in den Lauf der irdischen Dinge korrigierend eingreift, angesichts der Fortdauer der menschlicher Vernunft widersprechenden unsäglichen Leiden in der Welt nicht durchzuhalten war. An der Rechtfertigung bzw. Kritik dieses Gottesbildes (Theodizee) haben sich seit der Antike Theologen und Philosophen abgearbeitet, ohne eine allgemein akzeptierte Lösung zu erreichen. Schon Laktanz hat im 3. nachchristlichen Jahrhundert das Dilemma formuliert: »Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht: Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft. Oder er kann es und will es nicht: Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist. Oder er will es nicht und kann es nicht: Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott. Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?«3 Die Unbeantwortbarkeit der letzten Frage hat die Vorstellung vom Deus absconditus, dem unbegreifbaren Gott, hervorgebracht, die vor allem von Martin Luther vertreten wurde.4

Man darf angesichts vieler mittelalterlicher Belege in den unterschiedlichsten Quellengattungen jedenfalls davon ausgehen, dass nach dem Weltverständnis dieser Zeit die himmlischen Mächte Menschen schon während ihres Lebens mit Prüfungen und Strafen belegten und Letztere auch vollstreckten, indem sie Menschen das Leben nahmen. Dies wird vor allem dann angeführt und betont, wenn außergewöhnliche Unglücke, Misserfolge und damit scheinbar zusammenhängende Todesfälle zu verzeichnen waren. Dann verwies man darauf, dass diese Menschen dem Zorn oder der Rache Gottes zum Opfer gefallen seien, wofür schon das Alte Testament zahlreiche Beispiele bot.5 Diese nahm man als Legitimation, auch in der eigenen Zeit mit solchem Eingreifen zu rechnen.

Den sichersten Nachweis für das große Vertrauen, dass die Menschen in Antike und Mittelalter in das göttliche Eingreifen in die Welt hatten, erbringt wohl die Rechtspraxis, Urteile in Gerichtsverfahren durch sogenannte Gottesurteile zu fällen.6 Das konnte durch gerichtliche Zweikämpfe geschehen, bei denen Gott dafür sorgte, dass derjenige siegte, der im Recht war. Es konnte aber auch durch die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde mittels bestimmter Prozeduren entschieden werden, ob jemand schuldig war oder nicht. Auch hier sorgte Gott nach den herrschenden Vorstellungen für die richtige Entscheidung. Diese Verfahren kamen allerdings schon ab dem 12. Jahrhundert außer Gebrauch, nachdem sie bereits früh gerade von geistlichen Autoren kritisiert worden waren.

Für möglich hielten in dieser Zeit die Gläubigen wie ihre Hirten zudem aber Prüfungen vonseiten Gottes, die vor allem die Glaubensstärke und den Willen der Menschen zum Gehorsam gegenüber seinen Geboten auf die Probe stellten, indem sie sie mit schwierigen Situationen konfrontierten. Beispiele für richtiges Verhalten boten für solche Fälle ebenfalls die Heiligen Schriften, deren Aussagen man als Handlungsanweisungen für die lebenden Menschen nutzte: So wusste etwa nach Liutprand von Cremona Otto der Große im Jahre 941, was er zu tun hatte, als erste Teile seines Heeres bei Birten über den Rhein gesetzt waren und dort auf die Übermacht der Krieger seines Bruders Heinrich stießen, ohne dass der König eine Möglichkeit hatte, ihnen mit seinen weiteren Truppen zu Hilfe zu kommen:

Der König, der wohl bedachte, dass die Standhaftigkeit der Seinen nur mit Gottes Beistand so groß war, erinnerte sich daran, wie das Volk Gottes den Widerstand der Amalekiter durch das Gebet des Gottesknechtes Moses überwand, und da er, durch den Fluss getrennt, in eigener Person den Seinen keine Hilfe bringen konnte, stieg er vom Pferde und betete mit dem ganzen Volk unter Tränen vor den siegbringenden Nägeln, die einst die Hände und Füße unseres Herrn und Heilands Jesu Christi durchbohrt hatten und die nun in die Lanze des Königs eingefügt sind. Und da zeigte der Augenschein, wie viel nach dem Worte des seligen Jakobus das Gebet des Gerechten vermag. Denn infolge seines Gebetes wandten sich die Feinde sämtlich zur Flucht, während von den Seinen kein Einziger umkam.7

König Otto orientierte sich nach dem Geschichtsschreiber Liutprand also am Vorbild Moses’ und erreichte wie dieser Gottes Hilfe für seine Krieger, was zum Sieg in eigentlich aussichtsloser Situation führte. Widukind von Corvey, der in dieser Situation gleichfalls von einem Gebet Ottos nach dem Vorbild Moses’ spricht, erklärt den Sieg der Wenigen über die Übermacht jedoch mit einer listigen Täuschungsaktion der Krieger Ottos. Die Feststellung göttlichen Eingreifens hatte in aller Regel nur hypothetischen Charakter, sie blieb eine Annahme, deren Beweiskraft Schwächen hatte und die von der Bereitschaft zu glauben abhängig war. Dies zeigen auch schon im Mittelalter Deutungsanstrengungen und -konkurrenzen, in denen diese Schwäche fassbar wird.

Papst Gregor VII. wird in einer ebenfalls prekären Situation ein totales Vertrauen in die Hilfe transzendenter Kräfte attestiert. Er richtete sich im Jahre 1080 bei der zweiten Bannung König Heinrichs IV. in einem öffentlichen Gebet an die Apostelfürsten Petrus und Paulus mit der dringenden Bitte: »Handelt nun, bitte ich, Väter und heiligste Fürsten, so, dass alle Welt sieht und erkennt, dass ihr, wenn ihr im Himmel binden und lösen könnt, auch auf Erden Reiche, König- und Fürstentümer, Herzogtümer, Markgrafschaften, Grafschaften und aller Menschen Besitzungen einem jeden nach Verdienst nehmen und geben könnt […] Alle Könige und Fürsten dieser Welt mögen nun lernen, was ihr vermögt, und sie mögen fürchten, den Befehl eurer Kirche gering zu achten. Und vollstreckt möglichst bald euer Urteil an dem genannten Heinrich, damit alle wissen, dass er nicht zufällig, sondern durch eure Macht stürzen und zuschanden werden wird, hoffentlich zur Buße, damit seine Seele gerettet werde am Tage des Herrn.«8

Dass Gregor VII. diese öffentliche Ankündigung ungekürzt in sein Register eintragen ließ, mag als Indiz dafür genügen, wie ernst und wichtig er sie nahm. Es besteht deshalb auch wenig Anlass zu bezweifeln, dass er davon überzeugt war, in Notlagen die Hilfe der Apostelfürsten anfordern zu können. Wenig später konkretisierte der Papst seine Angaben denn auch noch durch den Zusatz, dass ihm niemand mehr zu glauben brauche, wenn sein von den Apostelfürsten gefordertes Eingreifen nicht bis zum 1. August zum Sturze Heinrichs geführt habe.9 Deutlicher konnte er seinen festen Glauben an die Erfüllung seiner Forderung wohl nicht zum Ausdruck bringen. Als jedoch das Gegenteil von dem passierte, was Gregor gefordert hatte – nicht Heinrich wurde zum angegebenen Termin gestürzt, sondern kurz danach dem Gegenkönig Rudolf in einer Schlacht die Schwurhand abgeschlagen – kam die gregorianische Partei in große Erklärungsnot und die Gegner deuteten das Ereignis als Ergebnis göttlichen Gerichts.10 Nicht immer gab es allerdings so klare Anhaltspunkte für ein Eingreifen Gottes.

Man kannte aus der Bibel eindrucksvolle Belege für den Zorn Gottes, der verheerend wüten konnte, wofür es vor allem im Alten Testament genügend Beispiele gibt.11 Die von Gott über Ägypten verhängten Plagen seien als ein bekanntes Beispiel in Erinnerung gerufen (Exodus 7,1–11,10). Gleichermaßen bekannt und bis heute sprichwörtlich ist auch der durch Gottes Unterstützung errungene Sieg Davids gegen Goliath (1. Sam. 17), der als Beispiel dafür präsent blieb, was einem Menschen möglich war, der auf Gott vertraute. Dass die Gründe für Gottes Handeln dem menschlichen Verständnis auch unzugänglich bleiben konnten, machte dagegen das Buch Hiob unmissverständlich deutlich (Iob 42,1–6). Es warnte so nachdrücklich davor, mit Gott und seinen Maßnahmen rechten zu wollen. Häufiger hört man denn auch im Mittelalter die Einschätzung, die schon biblisch ist, dass die Ratschlüsse Gottes »unerforschlich« und sogar »furchtbar« (terribilis) seien.12

Jedenfalls hielt man es für denkbar, dass Gott in das Leben von Sündern eingriff und es beendete oder beenden ließ. Dieser Verdacht tauchte besonders dann auf, wenn ein früher oder ein plötzlicher Tod zu beobachten war. Man nutzte aber auch Spielräume der Interpretation. So hielt etwa die Halberstädter Geschichtsschreibung, die auf Otto den Großen und seine Helfer sehr schlecht zu sprechen war, weil diese das Erzbistum Magdeburg und seine Suffragane unter erheblicher Schädigung des Bistums Halberstadt eingerichtet hatten, folgende Bewertung anlässlich Ottos Tod für angebracht: Ihn habe »Gottes unglaubliche Rache« drei Jahre nach der Schädigung Halberstadts ebenso aus dem Leben genommen wie die ersten Bischöfe seiner neu gegründeten Bistümer.13 Diese Todesfälle hielt man in Halberstadt für signa evidentia, überzeugende Zeichen, die der Beweis für Gottes Eingreifen seien. Dabei ist kaum zu übersehen, dass man hier ein sehr dehnbares Verständnis von einem plötzlichen Tod anwandte. Schließlich verstarb Kaiser Otto I. nach 37-jähriger Herrschaft im für die Zeit hohen Alter von 63 Jahren. Viel eher hätte man wenig später Anlass gehabt, über den Tod Kaiser Ottos II. als 28-Jähriger, und mehr noch über Kaiser Ottos III. Tod als 23-Jähriger bestürzt zu sein. Hier blieben kritische Reaktionen jedoch weitgehend aus.

Ägyptische Plagen (Exodus 7,1 ff.).An von Gott gesandte Plagen, die den Auszug der Israeliten aus Ägypten erzwangen, erinnerten die jüdischen Gemeinden am Vorabend des Pessach-Festes. Die Miniaturen der Großen Hagada (Spanien, 14. Jh.) zeigen die Plagen 6–9.

Bei den letzten drei Beispielen drängt sich damit deutlich der Eindruck auf, dass solche Bewertungen nicht unabhängig davon waren, welche Beziehungen die Urteilenden zu den betreffenden Personen hatten. Vielmehr lässt sich thesenartig folgendes Verhaltensmuster formulieren: Wenn hochrangige Personen ein Schicksal erlitten, das nach einer Strafe Gottes aussah, versuchten ihre Parteigänger in aller Regel alles Menschenmögliche, diesen Makel zu bewältigen oder zu übergehen.14 Ganz anders fallen dagegen in vergleichbaren Situationen die Bewertungen von Gegnern aus: Ihnen wird nachdrücklich bescheinigt, einer Strafe Gottes zum Opfer gefallen zu sein.15 Die religiöse Deutung, so kann man in einem Vorgriff formulieren, war also keineswegs gänzlich unabhängig von sozialen oder politischen Bindungen und daraus resultierenden Überzeugungen.

Aus dieser hier nur andiskutierten intensiven Beeinflussung mittelalterlicher Menschen durch eindringliche Mahnungen und Warnungen der Kleriker, resultierte mit großer Wahrscheinlichkeit eine permanente Unsicherheit dieser Menschen bezüglich aller Situationen, die auf Aktivitäten transzendenter Mächte zu weisen schienen. Zu einem differenzierten Urteil fehlt uns jedoch die Kenntnis der sicher zahllosen mündlichen Interventionen in Predigten und bei anderen pastoralen Aktivitäten, mit denen darauf insistiert wurde, dass Anzeichen von Gottes Eingreifen in die Welt die gebührende Beachtung fänden. Zeugnis hiervon gibt eine Fülle von erbaulichen oder auch gruseligen Geschichten in den unterschiedlichsten Quellengattungen, die zeigen, wie die klerikalen Zeitgenossen Ereignisse in ihrer Umwelt rezipierten und deuteten, die auf natürliche Weise schwer zu erklären waren. Man rechnete mit Wundern und Visionen, mit Warnungen und Drohungen transzendenter Mächte, suchte nach transzendenten Verursachern von Krankheit, Seuchen und Tod ebenso wie man Erfolge und Siege, Wohlergehen und Wohlstand, Frieden und ein langes Leben als Belohnungen einschätzte, die sich diejenigen, denen sie durch himmlische Mächte zuteilwurden, verdient hätten.

Den Menschen der aufgeklärten Moderne verdeutlichen diese Geschichten heute in erster Linie, wie aber- und wundergläubig Religion im Mittelalter vermittelt wurde und wie wirkmächtig sie dennoch oder sogar deshalb war.16 Genauere Analysen zur Frage, wie tief dieser Glaube an Gottes Eingreifen in die Geschichte wirklich verankert war, sind aber nicht allzu zahlreich.17 Und sie sind auch schwierig. Weder die Häufigkeit noch die Intensität der Mahnungen und Drohungen mit Gottes Strafen, die fester Bestandteil mittelalterlicher Pastoraltheologie waren, sind ein sicherer Beweis dafür, dass mit ihnen eine nachhaltige Wirkung erzielt wurde. Sie könnten häufig und eindringlich wiederholt worden sein, weil ihre Wirkung ausblieb oder auch ständiger Erinnerung bedurfte. Gleiches gilt auch für Gottes Belohnungen.

Wir finden solche Geschichten zu allen Zeiten des Mittelalters in der Hagiographie sowohl als Berichte von den Wundertaten der Heiligen zu ihren Lebzeiten wie auch von Wundern zugunsten ihrer Verehrer nach ihrem irdischen Tode. Die Heiligkeit von Menschen ergab und erweist sich im Verständnis der katholischen Kirche ja bis heute nicht zuletzt aus ihrer Fähigkeit, Wunder zu wirken. Diese Fähigkeit prüft eine Selig- und Heiligsprechungs-Kongregation im Vatikan bis heute in einem komplexen Verfahren. Schon früh etablierten sich in der Hagiographie aber feste Gewohnheiten zur Präsentation dieser Wunder, die nach Auffassung der modernen Forschung nicht durch ihre Glaubwürdigkeit, sondern durch ihren Zweck legitimiert werden, die Gläubigen zu erbauen und in ihrem Glauben zu stärken. Die Verfolgung dieses Zweckes öffnete offensichtlich Tür und Tor für Fiktionen, die unter einem erheblichen Überbietungsdruck standen und berechtigte Zweifel an der Existenz von ›historischen Kernen‹ der Geschichten erlauben. Erzeugnisse dieser literarischen Gattung werden uns daher allenfalls am Rande beschäftigen.18

In dieser Untersuchung geht es vielmehr vor allem um den Interpretationsspielraum, den die Vorstellungswelt vom Eingreifen transzendenter Mächte den mittelalterlichen Zeitgenossen ließ, und um die Frage, wie dieser Spielraum genutzt worden ist. Wie, wann und warum kam man zu dem Schluss, dass auffällige Ereignisse das Ergebnis der Aktivität transzendenter Mächte sein könnten oder müssten? Und welche Wirkung übten solche Erkenntnisse auf das Handeln der Menschen aus?

Der Überblick über einschlägige Aussagen zu diesem Thema, den die Arbeit an diesem Buch ermöglichte, lässt kaum Zweifel daran zu, dass dieses Eingreifen vorrangig oder sogar ausschließlich als Argument zur Rechtfertigung der Freunde und zur Diffamierung der Gegner verwendet worden ist. In fast allen Werken der Historiographie begegnen Nachrichten und Erzählungen, die darüber informieren, dass bestimmte Ereignisse durch die Hilfe Gottes oder der Heiligen ein gutes Ende gefunden hätten. Dies gilt für militärische Unternehmungen der Könige, für die Kreuzzüge oder für Kämpfe gegen Heiden oder Rebellen, aber auch für ganz andere Situationen im menschlichen Leben. Nicht weniger interessant sind natürlich die ebenfalls zahlreichen Fälle, in denen konstatiert wird, dass sich in Misserfolgen, Schicksalsschlägen und Unglück eine Prüfung oder Strafe Gottes abzeichne.

In all diesen Geschichten stehen die Verdienste oder die Fehler der Personen im Vordergrund, die die Unterstützung oder die Strafen Gottes genießen bzw. erdulden. Sie hatten nach dem Urteil der Berichterstatter die Belohnung oder die Strafe verdient. Genau dieses Urteil hing nämlich vorrangig davon ab, wie die Autoren zu den jeweiligen Personen standen und ob ihre Bewertung von der Absicht zu loben oder zu tadeln geprägt war. Anders ausgedrückt: Die Feststellung des Eingreifens transzendenter Mächte in die Welt war weniger der Bericht eines Faktums als die mehr oder weniger spekulative Deutung von Indizien, die häufig mit erheblicher hermeneutischer Anstrengung so geleistet wurde, dass sie den Freunden nützte und den Gegnern schadete.

Es steht damit zur Frage, ob es den geistlichen Wortführern dieser Weltsicht angesichts ihrer zahlreichen Versuche wirklich gelungen ist, die Vorstellung vom Eingreifen Gottes sozusagen als ein Kausalgesetz zu etablieren, in dem bestimmte Ursachen zuverlässig bestimmte Folgen zeitigten. Der Philosoph Ludwig Siep hat die Annahme einer »moralischen Kausalität« wie folgt begründet: »Kausalprozesse werden ursprünglich wohl als Interaktionen verstanden, mit den üblichen Folgen der Gunst oder des Zornes. Dabei interagieren Menschen nicht nur miteinander, sondern auch mit übermenschlichen Kräften. Sie lösen, weil sie die übermenschlichen oder sogar überirdischen Mächte erfreuen oder erzürnen, günstige und ungünstige Folgen aus – Naturkatastrophen, Krankheiten und ›politische‹ Katastrophen wie verlorene Kriege. Ungünstige Ereignisse solcher Art sind Strafen […] günstige Verläufe sind hingegen Belohnungen.«19 Zugleich aber hat Siep zu Recht betont, dass modernen Menschen diese Kausalität nicht mehr zu vermitteln sei, weil die Erfahrung gelehrt habe, dass »es Schurken lebenslang gut geht und moralisch Bewundernswerte leiden.«

Diesem Problemfeld gilt unser Hauptinteresse. Es ist auf die Frage fokussiert, ob und wie die mittelalterlichen Zeitgenossen zu plausiblen Kriterien für die Annahme eines Eingriffs Gottes kamen und wodurch sie ihre Zeitgenossen davon überzeugen konnten, dass der Eingriff wirklich auf eine transzendente Macht zurückging. Es fehlten dieser Epoche nämlich die Propheten des Alten Testaments, die über ihre Kommunikation mit Gott berichteten und so nicht nur einen direkten Eindruck von seinen Ge- und Verboten, sondern auch von seiner Empörung, seinem Zorn und seinen Rache- und Vernichtungsbefehlen vermittelten. Überdies mangelte es in der Epoche des Mittelalters nicht an der Erfahrung, dass menschliches Verhalten nicht die Folgen hatte, die man zwingend hätte erwarten können, wenn eine »moralische Kausalität« am Werk war.

Um einerseits genügend Vergleichsmaterial für die Untersuchung nutzen zu können und andererseits nicht an der Fülle der Überlieferung zu scheitern, bot es sich an, die Untersuchungen auf die höchste soziale Ebene der mittelalterlichen Gesellschaft zu konzentrieren: das Königtum und seine Interaktionen mit den weltlichen und geistlichen Führungsschichten. Als vorrangig geeignete Quellengattung bietet sich die Historiographie an, die in aller Regel auf Nachrichten aus diesem Bereich konzentriert ist. Nur so kann man gewährleisten, dass die gewählten Beispiele untereinander vergleichbar sind und in ihrer Summe entweder ein kohärentes Bild ergeben oder Entwicklungen und Brüche erkennen lassen, die einer Erklärung bedürfen. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist wenige Male der Blick auf die Gesamtheit der Nennungen erweitert worden, mit denen einzelne Autoren ihrer Ansicht vom Wirken transzendenter Kräfte Ausdruck gaben.20

Um einen ersten Eindruck zu vermitteln, seien einige Phänomene angesprochen, die als charakteristisch für das Themenfeld gelten können, weil sie Praktiken und die dahinterstehenden Überzeugungen sichtbar machen: Auf die Hilfe Gottes konnte und musste man nach zeitgenössischer Vorstellung hinarbeiten und sie sich verdienen. Folgerichtig nutzten christliche Heere rituelle Praktiken vor einer Schlacht, um alles zu tilgen, was Gottes Zorn gegen sie erregt haben könnte.21 Sie taten dies, um so den Weg für die Unterstützung Gottes frei zu machen: Die Krieger gaben sich gegenseitig und ihren Anführern Frieden und versprachen sich Unterstützung, sie bekannten ihre Sünden, fasteten am Tage vor der Schlacht und empfingen die Eucharistie.22 Auf diese Weise suchten sie Zustände zu eliminieren, die Gott missfielen und deshalb seiner Bereitschaft zur Unterstützung abträglich sein konnten. Während der Kreuzzüge steigerte man diese rituellen Handlungen etwa noch dadurch, dass die zu belagernde Stadt von den Kreuzfahrern mehrmals barfuß umrundet oder versucht wurde, die Stadtmauern mit dem Schall von Trompeten zum Einsturz zu bringen, wie es biblischen Vorbildern gelungen war.23

Derartigem Vorgehen aber war die Praxis der Bitt- und Bußprozessionen des Mittelalters verwandt, deren Ziel es gleichfalls war, Gott durch Leistungen der Buße und der Verehrung gnädig zu stimmen. Man ging barfuß und im Büßergewand, streute sich Asche auf die Haare, wie es biblische Vorbilder praktiziert hatten, und folgte so dem biblischen Prinzip, dass einer exaltatio durch Gott die humiliatio des Menschen vorauszugehen hatte.24

Besonders intensiv war daher die Reaktion in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, wenn eine Schlacht gegen Heiden verloren ging und der Feind den Sieg gegen Christen davongetragen hatte. Dann war man mit der Formel schnell bei der Hand, dass der »Misserfolg« auf »unsere Sünden« zurückzuführen sei, die Gottes Zorn erregt hätten. Seltener ist dagegen die Suche nach einem einzigen »Sündenbock«, dem der Misserfolg angelastet werden konnte, es gibt sie aber auch.25

Epidemien wie die Pest oder Hungersnöte und andere Unglücksfälle hatten kollektive Bußanstrengungen in Form von Bitt- und Bußprozessionen zur Folge, die integraler Bestandteil des liturgischen Jahresablaufs wurden und teilweise bis in die Gegenwart beibehalten werden.26 Besondere Aufmerksamkeit fanden im Spätmittelalter etwa die Geißlerbewegungen, die von Stadt zu Stadt ziehend die Bevölkerung zur Buße aufriefen und durch Selbstgeißelung des Oberkörpers eine imitatio Christi praktizierten. Ihr Erscheinen bewirkte wohl eine starke emotionale Resonanz in der Bevölkerung, die teilweise auch zu Pogromen gegen Juden führte. Die Amtskirche verurteilte die Bewegung schließlich als Häresie und brachte sie dadurch zum Erliegen.27

In Einzelfällen werden auch Gelübde fassbar, mit denen etwa die remuneratio für eine Hilfe in der Schlacht versprochen wurde. So rüstete sich Otto der Große für die Lechfeldschlacht, indem er dem Tagesheiligen Laurentius (10.8.) für den Fall des Sieges ein Bistum versprach, wie es dann auch in Merseburg eingerichtet wurde.28 Aber auch König Heinrich IV. verfügte am Tage vor der Schlacht gegen seinen Widersacher Rudolf von Rheinfelden urkundlich Schenkungen an Speyer und die Gottesmutter Maria, die Patronin des Bistums, von der er sozusagen als Gegengabe ihre Hilfe in der Schlacht erwartete.29

Mit einer allem Anschein nach fest etablierten Überzeugung vom Wirken transzendenter Mächte, zu der die hagiographischen Zeugnisse mit ihrer Akzentuierung der Wunder der Heiligen stark beigetragen hatten, beobachteten die Menschen des Mittelalters also Naturerscheinungen wie Blitz und Donner, Erdbeben, Überschwemmungen, Missernten und andere Natur-Katastrophen ebenso wie Seuchen, Krankheiten oder plötzliche und frühe Todesfälle. Und sie deuteten solche Ereignisse unter der Prämisse, dass sie Botschaften dieser Mächte vermittelten, die damit teils warnen wollten, teils aber auch mit ihren Entscheidungen für den Tod eines Menschen endgültige Urteile fällten. Man achtete also sorgfältig auf Erscheinungen, denen Vorzeichen- oder Strafcharakter zugebilligt werden konnte, hörte auf Propheten und rechnete nicht zuletzt mit Vorankündigungen und Warnungen.30

Das Eingreifen vollzog sich nach allgemeiner Auffassung im Falle der himmlischen Mächte einerseits als Belohnung für gottgefälliges Verhalten, mit der die Gerechten unterstützt oder geschützt wurden. Andererseits verstand man es aber auch als Prüfung, mit der die Guten wie die Bösen auf die Stärke und Belastbarkeit ihrer Gottesliebe hin getestet werden sollten. So wurde es möglich, einen Misserfolg als Prüfung zu verstehen und sich stärker um Gottes Wohlwollen und seine Unterstützung zu bemühen. Nicht zuletzt bestand das himmlische Eingreifen aber auch aus Strafen, mit denen Gott oder Heilige auf das Verlassen des rechten Weges und auf Sündhaftigkeit aller oder einzelner Menschen reagierten, um diese entweder zurück auf den rechten Weg zu zwingen oder sie im Extremfall mit dem Tode zu bestrafen. Im Wirken der höllischen Mächte sah man dagegen nur Destruktion: die Verführung und Versuchung zum Bösen; das Schadentrachten, das vor allem dann erfolgreich war, wenn Gott und die Heiligen sich abgewandt hatten und die Menschen deshalb ohne Schutz den Mächten der Finsternis ausgeliefert waren. Insgesamt bot die Trias Belohnung, Prüfung und Strafe ein kohärentes pastorales Konzept für die Mahnungen und Warnungen der Kleriker an die Adresse der Gläubigen.

Das Gottesbild, das sich den Menschen aufgrund all dieser Vorstellungen besonders einprägte, stand in einer polaren Spannung: Vor allem Gottvater, aber auch Christus sah man einerseits als Richter, deren gerechtes Urteil beim Jüngsten Gericht über ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis jedes Einzelnen entschied (»Strenger Richter aller Sünder, der du uns so schrecklich drohst«); andererseits aber war Gott auch der gnädige Vater und die Menschen waren seine Kinder nach seinem Ebenbild (»doch als Vater deiner Kinder unser einziger Schutz und Trost«).

Wie aber Gerechtigkeit und Gnade im Jüngsten Gericht zur Anwendung kommen würden, darüber konnte sich niemand sicher sein. Diese polare Spannung hatte bereits in der Spätantike zu heftigen Auseinandersetzungen über Positionen geführt, für die Schriften der Kirchenväter Origenes und Augustinus standen: Origenes kam angesichts der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung zu dem Ergebnis, dass eine ewige Verdammnis und nie endende Peinigung der Sünder nicht verhängt werden würde, weil ansonsten Gott dem Vergeltungsgedanken mehr Gewicht gäbe als seiner Liebe zu den Menschen.31

Augustinus dagegen prägte mit seinen biblisch fundierten Argumentationen die offiziöse Haltung der Kirche, dass der Mensch aufgrund seiner Belastung mit der Erbsünde seit Adam und Eva sich die Gnade Gottes durch ein frommes und Gott wohlgefälliges Leben verdienen müsse. Für die, denen dies nicht gelang, sah er eine endlose Strafe und Pein als unvermeidbar an, deren Ort der Vollstreckung die Hölle war.32 Im Unterschied zur Moderne wurde das gesamte Mittelalter nicht müde, in Wort, Schrift und nicht zuletzt im Bild die Zustände in dieser Hölle und das Wirken der Teufel den Zeitgenossen einzuprägen, und man sparte hierbei nicht mit Einzelheiten, die vor allem Visionären mitgeteilt worden waren.33

Diese Überzeugungen beherrschten die kirchliche Haltung und Verkündigung und sie wurden zu Zentralargumenten der pastoralen Einflussnahme auf die Gläubigen, denen man etwa sehr genau vorhielt, für welche Sünden man wie lange im Fegefeuer zu büßen habe – und welche Sünden die endlose Pein ewiger Verdammnis nach sich zogen.34 Die Positionen des Origenes waren dagegen dem Vorwurf der Häresie ausgesetzt und wurden äußerst selten vertreten.35

Es gehört zu den gewichtigen Konsequenzen der Reformation und der Aufklärung, dass solche Vorstellungen das Denken moderner Menschen kaum noch bestimmen, auch wenn seine Relikte noch in wenig reflektierten, umgangssprachlichen Wendungen wie »Gott sei Dank« oder »um Gottes Willen« fassbar sind, mit denen man auch heute noch auf ungewöhnliche Geschehnisse reagiert.36

Auch die katholische Kirche scheint aber heute die Zeiten hinter sich gelassen zu haben, in denen sie die Kirchenbindung ihrer Gläubigen mit entschiedenen Warnungen vor Sünden, die zu Gottes ewiger Verdammnis führten, aufrecht zu halten versuchte.37 Diese Verdammnis in der Hölle wurde im Mittelalter dagegen an zentralen Orten – den Tympana über den Haupteingängen der Kathedralen, wie heute noch an vielen Beispielen zu sehen ist – drastisch als das unvermeidliche Schicksal der Bösen beim Jüngsten Gericht vor Augen geführt.38 Während gleichzeitig diejenigen, die Gnade gefunden hatten, von Engeln geleitet in Gottes Herrlichkeit eingingen, warteten auf die anderen die Teufel, die sie ohne jedes Erbarmen in den Schlund der Hölle warfen. Jedem Gläubigen wurde so die Tatsache des Jüngsten Gerichtes wie die Existenz der Hölle und vor allem das Schicksal der Verdammten bewusst gemacht, zu denen nach herrschenden Vorstellungen durchaus auch Könige und hohe Kleriker gehören konnten.39 Davon ist heute bei den pastoralen Bemühungen um die Gläubigen nicht mehr die Rede. Stattdessen werden unter Spezialisten nun unter anderem wieder Gedanken des Kirchenvaters Origenes diskutiert, der von einer generellen All-Versöhnung Gottes mit der Menschheit vor dem Ende der Welt gesprochen hatte, die allen die ewige Seligkeit ermögliche.40

Memling, Jüngstes Gericht.Memlings Darstellung des Jüngsten Gerichts (1466-73) akzentuiert auf den Seitentafeln die Schicksale der Seligen wie vor allem der Verdammten.

2.Zur Bedeutung dieser Vorstellungen in der christlichen Mission des frühen Mittelalters

Die christliche Religion brachte bekanntlich neben vielem anderen den Gedanken der Mission in die antike Welt der zahllosen Götter und ihrer häufig lediglich lokalen Verehrung. Ihr Selbstverständnis und ihr Weltbild wurden stark durch das Missions- oder Bekehrungsgebot geprägt, mit dem Christus die Apostel ausgestattet hatte.41 Um zum Glauben an den einen wahren Gott zu bekehren, versuchte man im Zuge der Mission, die Nichtgläubigen in vielfacher Weise davon zu überzeugen, dass der neue Gott der Stärkere sei.42 Dies ließ sich aber am besten dadurch beweisen, dass er sich auf Erden gegenüber anderen Göttern in sichtbarer Weise als der Stärkere erwies, weil er sich in konkreten Situationen durchzusetzen verstand. Hiervon hatte sich, wenn man der Überlieferung traut, bereits Kaiser Konstantin überzeugen lassen und knapp zwei Jahrhunderte später der Merowingerkönig Chlodwig, die beide im Zeichen Christi Schlachten gewannen, nachdem Kleriker ihnen nahegelegt hatten, die Schlacht unter dem Zeichen und Schutz Christi zu führen. Ihr Beispiel blieb im kollektiven Gedächtnis des westlichen Christentums lebendig und wurde durch zahlreiche gleich gelagerte Beispiele ergänzt.

Damit knüpften christliche Vorstellungen direkt an die heidnischen der Antike an, deren Götter bereits aktiv in die Kämpfe der Menschen eingegriffen und ihren Schützlingen zum Sieg verholfen haben sollen.43 Konstantin und Chlodwig hatten sich ja gleichfalls in bedrängter Lage unter dem Zeichen Christi zum Kampf gestellt und daraufhin durch die Hilfe Christi gesiegt, wie ihnen versprochen worden war. Auf ähnlichem Wege entstanden auch andere heroische Geschichten von Taten Gottes und seiner Missionare und Märtyrer, die bewiesen, dass die Christianisierung ihren Siegeszug dem wundersamen Eingreifen Gottes und der Heiligen verdankte.44 Es ist daher geboten, schon in der Einleitung darauf zu insistieren, dass die Vorstellungen vom Eingreifen Gottes in die Welt bereits die Strategien der christlichen Mission nachhaltig bestimmten und offensichtlich zum Erfolg führten. Dies sei schon hier ausführlicher thematisiert.

Zahlreiche Nachrichten belegen, wie umsichtig Missionare ihre ›Tatmission‹ genannten Aktivitäten dadurch vorbereiteten, dass sie mithilfe zeitgenössischer ›Diplomatie‹ belastbare Beziehungen zu den Führungsschichten der zu christianisierenden Stämme aufbauten, ehe sie das Wagnis eingingen, die überlegene Stärke des Christengottes mit Übergriffen auf heilige Stätten der Heiden zu ›beweisen‹. Die Erfahrung, dass deren Götter auf solche Provokationen nicht energisch bzw. gar nicht reagierten, wurde auf die überlegene Stärke des Christengottes zurückgeführt.45 Am Beispiel der zweiten Missionsreise des Hamburger Erzbischofs Anskar nach Schweden sei die Dichte und Kohärenz diesbezüglicher Nachrichten in seiner Vita kurz vorgestellt, weil deren Darstellung als exemplarisch gelten kann. Die Basis für seine Missionsaktivitäten verschaffte sich Anskar nach seiner Ernennung zunächst dadurch, dass er sich das Vertrauen des dänischen Alleinkönigs Horich des Älteren erwarb. Vor der Mission stand also die Anbahnung der politischen Freundschaft mit den Führungspersonen der Länder, die Ziel der Mission waren:

Er ließ es sich angelegen sein, Horich häufig aufzusuchen und sich durch Geschenke und alle möglichen Gefälligkeiten zu verpflichten, um mit seiner Erlaubnis das Amt der Verkündigung in seinem Reiche ausüben zu können. Mehrfach wurde er auch als Gesandter des [fränkischen] Königs zu ihm geschickt, und er hat sich um Friedensbündnisse und andere für das Reich vorteilhafte Fragen die redlichste Mühe gegeben. So lernte König Horich die rechtliche Zuverlässigkeit und Anständigkeit des heiligen Mannes schätzen; er zeigte sich ihm sehr gewogen, ließ sich von ihm gerne beraten und betrachtete ihn in allen Dingen als Vertrauten; selbst an geheimen Besprechungen mit seinen Ratgebern über Angelegenheiten seines Reiches durfte er teilnehmen […] Im Besitz solcher Vertrauensstellung konnte Ansgar Horich nun auch zusetzen, er möge Christ werden.46

Das blieb nicht ohne Wirkung und Horich gab die Erlaubnis, in Schleswig eine Kirche zu bauen und dort einen Priester ständig zu etablieren. Dessen Missionsarbeit zeitigte bald Erfolge, was in Anskar den Plan reifen ließ, die Missionsbemühungen auch nach Schweden auszudehnen, womit er bei einer ersten Reise gescheitert war. Wieder suchte er Rückhalt bei einem fränkischen Herrscher, Ludwig dem Deutschen, der ihm einen Legationsauftrag und eine Botschaft an den Schwedenkönig mitgab, vor allem aber hatte er mittels einer Vision einen himmlischen Auftrag erhalten, der ihn als Gottes Erwählten auszeichnete: »Von einer früheren Vision erfüllt, war er auch hier wieder von seinem himmlischen Auftrag überzeugt.«47 Es war ihm nämlich sein ehemaliger Abt Adalhard von Corbie erschienen und hatte ihm den göttlichen Auftrag mitgeteilt: »Und jetzt sagt dir der Herr, der dich vom Mutterleibe zu seinem Knecht gebildet: Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht; du sollst ihnen Heil bringen bis ans Ende der Erde. Könige werden sehen und Fürsten aufstehen und den Herrn, deinen Gott, den Heiligen Israels, anbeten, denn er wird dich herrlich machen.«

Die zitierte Geschichte zeigt in besonderer Eindringlichkeit die Doppelstrategie, die den christlichen Missionsaktivitäten zugrunde lag: Sie nutzten sowohl die Unterstützung weltlicher Machthaber und ihres Einflusses auf die Heiden als auch die Betonung eines göttlichen Auftrages, der durch verstorbene frühere Bezugspersonen oder andere himmlische Wesen in persönlichen Ansprachen vermittelt worden war.48

Als Anskar jedoch mit aller diplomatischen Unterstützung des fränkischen wie des dänischen Königs ins schwedische Birka gereist und auf den schwedischen König gestoßen war, zeigten sich die im Heidentum verharrenden Führungsschichten gut vorbereitet – vom Teufel informiert, wie Rimbert anmerkt.49 Einer ihrer Protagonisten gab sogar an, er habe an einer Versammlung ihrer Götter teilgenommen, die sich wegen der Ankunft Anskars sehr indigniert gezeigt und die Schweden vor jedem Kontakt mit den Neuankömmlingen gewarnt hätten. Als Kompromiss boten die Götter aber an, den früheren König Erik neu in ihren Götterkreis aufzunehmen, falls sie selbst den Schweden nicht mehr genügten. Alte Freunde rieten Anskar daraufhin, da er auch dieses Mal nichts würde ausrichten können, er solle dem König alles Wertvolle aus seinem Besitz geben und so wenigstens sein Leben retten. Anskar entschied sich jedoch anders und wollte ein Martyrium in Kauf nehmen.

Schließlich aber folgte er dem Rat eines Ungenannten und lud den König zu Mahl und Geschenken (convivium et dona). Hierbei zeigte sich, dass der König selbst seinem Vorhaben durchaus wohlwollend gegenüberstand, sich jedoch nicht über die Verfahren der Thingversammlung hinwegsetzen konnte, die eine Befragung der Götter durch das Los vorsahen. Dieses Los fiel zwar zugunsten der Christen aus, was Anskar schon zuvor bei seiner Eucharistiefeier von einer göttlichen Stimme mitgeteilt worden war, es erzeugte jedoch Streit. Erst als ein alter Mann beim Thing befürwortete, sich die Gnade des neuen Gottes zu sichern, und hierfür Zustimmung fand, waren die Voraussetzungen für eine gefahrlose Missionsarbeit geschaffen, die noch durch eine zweite regionale Versammlung bestätigt wurden.

Charakteristisch ist an dieser detaillierten Erzählung die Vermischung ganz unterschiedlicher Argumentationen, die wir häufiger beobachten können: Neben der sehr genauen Beschreibung der Wege politischer Kontaktaufnahme, politischer Beeinflussung durch Freundschaften, Geschenke und Gelage, aber auch politischer Verfahren der Willensbildung und der Partizipation des Volkes, hören wir von intensiven Kontakten mit transzendenten Mächten, die gleichfalls und wirkungsvoll Einfluss auf das Geschehen nahmen – und zwar sowohl in konstruktiver wie in destruktiver Weise. Die scheinbar ganz pragmatischen Hinweise auf die politischen Gewohnheiten und die detailfreudigen Berichte über Eingriffe himmlischer Kräfte in das Geschehen stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. In den Strategien des Missionars Anskar zeigt sich also besonders deutlich die enge Verzahnung politischer und religiöser Vorstellungen und Aktivitäten, die für die Vorstellungswelt vom Eingreifen Gottes charakteristisch zu sein scheint. Wir werden jedenfalls darauf zu achten haben, wie viel Einfluss politische Bindungen und Interessen auf diese Vorstellungswelt hatten und wie sie die Wahrnehmungen formten.

3.Leitfragen der Untersuchung

3.1Zur benutzten Quellenbasis

Die bisher angestellten Überlegungen haben Auswirkungen auf die Auswahl der in den Untersuchungen vorrangig benutzten Quellen. Antwort auf die Leitfragen dieser Studie gibt in erster Linie die zeitgenössische Historiographie, wie schon thematisiert, weil sie in konkreten Kontexten die Wirkungen beschreibt, die die Vorstellung vom Eingreifen transzendenter Mächte in das weltliche Geschehen angeblich ausübte. Der Zusatz ›angeblich‹ ist hier von besonderer Bedeutung, weil die Berufung auf ein Eingreifen Gottes oder des Teufels in die Welt im Verdacht steht, als wirksames Argument in verschiedener Weise benutzt worden zu sein: einmal als religiöses Argument, um Menschen auf dem rechten Weg zu halten und von Sünden abzuschrecken; zum anderen aber als politisches Argument, um Positionen der gegnerischen Partei zu schwächen und die der eigenen zu stärken. Nicht in jedem Einzelfall ist jedoch klar zu erkennen, welche dieser Kategorien vorliegt.

Man kann das religiöse Argument als Teil pastoraler Bemühungen um das Seelenheil der Gläubigen verstehen, die sich an den heiligen Texten des Christentums orientierten, hier vor allem am Alten Testament, in dem vom Eingreifen Gottes in die Welt in vielfältiger Weise die Rede ist. Durch diese Texte war genügend gerechtfertigt, dass die Gläubigen an diesen Tatbestand erinnert und auf seine Relevanz für ihr Leben hingewiesen wurden. Auch jedem geistlich ausgebildeten Historiographen lag diese Anwendung sicher nahe, sodass ihre Verwendung in der Historiographie nicht überraschen kann.

Wird das Argument vom Eingreifen Gottes jedoch als ein politisches benutzt, stellt sich die Problematik anders dar: Die große Gefahr einer Instrumentalisierung besteht darin, dass angesichts einer Polarisierung in Parteien, in Freunde und Feinde, Anhänger und Gegner die Deutungen entscheidend durch die Zugehörigkeit zu einer Partei beeinflusst werden. Es ist kein Geheimnis, dass oftmals den Gegnern und Feinden von den Historiographen der anderen Seite die »Rache Gottes« oder das »Gericht Gottes« angedroht oder bescheinigt wurde. In welchem Ausmaß aber die Parteizugehörigkeit diese Wertungen beeinflusst oder gar bestimmt hat, ist bisher nicht gefragt worden.

Deshalb scheint es, neben Gründen der Operationalisierbarkeit des unternommenen Versuchs, gerechtfertigt, sich auf die Historiographie als Quellenbasis der Untersuchung zu stützen und Hagiographie oder auch Urkunden nicht systematisch einzubeziehen. Denn nur die Historiographie bietet die Einbettung einschlägiger Nachrichten vom Eingreifen transzendenter Mächte in die Welt in einem Kontext, dessen Interpretation eine Differenzierung von religiösen und politischen Wertungen erlaubt.

Eine Quellengattung, in der der Glaube an das Eingreifen himmlischer Mächte in das irdische Geschehen gleichfalls häufig fassbar wird, sind allerdings die Urkunden, insbesondere die der Herrscher. Sie sprechen etwa in den Arengen formelhaft, aber sehr konkret über Hilfen vom Himmel und betonen dabei häufiger, dass man diese Hilfe auf dem Wege des Gabentausches (do ut des) zu erlangen versuchte. Es genügt, sich die moderne Sammlung des Materials in Arengenverzeichnissen der Königs- und Kaiserurkunden vor Augen zu führen. Sie bietet eine willkommene Fundgrube, die den Niederschlag der Vorstellungswelt von Gottes Gnade, Schutz und Hilfe verdeutlicht, die man sich durch ein demütig-frommes Leben wie durch materielle Leistungen verdienen könne.50 Es ist charakteristisch, dass im Register des Arengenverzeichnisses bei vielen einschlägigen Begriffen lediglich der Hinweis »oft« auftaucht, weil eine Dokumentation aller Belegstellen den Umfang des Registers gesprengt hätte.

Exemplarisch sei nur auf Lemmata wie dominus und deus mit Adjektiven wie auxiliante, adiuvante, favente, largiente, protegente, retribuente51 verwiesen, die auf Gottes Eingreifen in unterschiedlicher Form hinweisen. Ebenso einschlägig sind die Lemmata remuneratio und retributio mit Adjektiven wie aeterna, digna, futura, merita, perpetua, sempiterna,52 mit denen das Feld der Belohnungen erschlossen werden kann, die man sich von Gott erhoffte. Alle Termini lassen deutlich erkennen, dass das Eingreifen Gottes in die Welt als Thema in den Herrscherurkunden des frühen und hohen Mittelalters wirklich allgegenwärtig ist. Urkunden sind in dieser Arbeit jedoch nicht systematisch herangezogen worden, weil es in den Arengen, aber auch in den Narrationen zumeist bei allgemeinen Hinweisen auf einschlägige Tätigkeiten Gottes in der Welt bleibt, für die man entweder danken oder die man durch Leistungen verdienen will. Über die Erwähnung dieser frommen Absichten gehen die Hinweise aber selten hinaus, was unsere Kenntnisse nicht in gleicher Weise bereichert wie die substanzielleren Ausführungen in der Historiographie.

3.2Geistliche und andere Prägungen der einschlägigen Autoren

Um die Wirkkraft der Vorstellung vom Eingreifen Gottes in die Geschichte zu verstehen, ist es dringend nötig, diese Vorstellung im Kontext der geistlichen und theologischen Prägung der Akteure und Autoren zu verorten. Da Letztere so gut wie ausschließlich dem geistlichen Stand angehörten, ist die Prägung ihrer Weltsicht von besonderem Interesse, auch wenn der Einfluss der behandelten Akteure auf die Darstellung in Einzelfällen groß sein mag.

Mittelalterliche Autoren aus dem Kleriker- und Mönchsstand, die Geschichtswerke verfassten, standen bei ihrer Tätigkeit unter durchaus unterschiedlichen Einflüssen, die ihrem Tun einen normativen Rahmen vorgaben. Grundsätzlich waren sie der Wahrheit verpflichtet und riskierten mit Lügen das Heil ihrer Seele, so formulierte es zumindest die mittelalterliche Theorie der Geschichtsschreibung.53 Vielfach betonten die Autoren deshalb in Proömien und Widmungsschreiben, dass sie nur das berichteten, was sie in älteren Schriften gefunden, als Augenzeugen selbst gehört und gesehen oder was ihnen von zuverlässigen Zeugen berichtet worden sei. Gerüchte versprachen sie ausdrücklich als solche zu kennzeichnen.54 Hiermit waren ihren Berichten eigentlich klare Vorgaben und Grenzen gesetzt. Diese Theorie bestimmte jedoch nicht konkurrenzlos die Praxis.

Als Kleriker waren sie zudem nämlich vom Selbstverständnis dieses Standes und seiner Sicht der Welt geprägt und dies schlug sich in ihrer Darstellung gleichfalls nachhaltig nieder: Die Aufgabe der Kleriker war es bekanntlich in vorderster Linie, den Gläubigen den rechten Weg auf Erden zu weisen und ihnen so die ewige Seligkeit zu ermöglichen. Diese Aufgabe erfüllten sie in dem unter anderem aus Matth. 16, 18 ff. gewonnenen Bewusstsein, dass Alles, was sie auf Erden binden würden, auch im Himmel gebunden, und Alles, was sie auf Erden lösen würden, auch im Himmel gelöst sein würde.

Aus dieser von Christus auf Petrus übertragenen Vollmacht, als deren Erben sich nicht nur die Päpste des Mittelalters sahen, folgerten sie in unterschiedlichen Zeiten der mittelalterlichen Kirchengeschichte unterschiedliche Befugnisse und Prärogative, die gerade ihr Verhältnis zu den weltlichen Gewalten betrafen. Dies führte nicht selten zu Spannungen und Auseinandersetzungen um die rechte Ordnung der Welt, bei denen sich Kirche und Welt als Gegner gegenüberstanden. In solchen Zeiten fielen die geschichtlichen Wertungen der Kleriker deutlich anders aus als in Zeiten friedlicher Zusammenarbeit. Sie betonten in diesen Zeiten gerne ihren eigenen Vorrang, da sie für die Seelen, die weltlichen Autoritäten aber nur für die Körper verantwortlich seien.55 Oder sie wiesen darauf hin, dass die Kirche von Christus durch die Berufung von Petrus, die weltlichen Königreiche aber von Heiden gegründet worden seien.56 All diese Analogien zielten darauf, den Vorrang und die höhere Bedeutung der Kirche vor der weltlichen Herrschaft zu begründen.

Im Extremfall erhob die Kirche sogar die Forderung nach dem Primat in Kirche und Welt, der Unrichtbarkeit der Päpste und der Gehorsamspflicht selbst von Königen und Kaisern gegenüber päpstlichen Geboten, was später mit dem Begriff plenitudo potestatis zum Ausdruck gebracht wurde.57 Zwar ist im Einzelfall schwer festzustellen, inwieweit sich solche grundsätzlichen Überzeugungen bei einzelnen Autoren in der konkreten Geschichtserzählung niederschlugen, doch tauchen gerade in Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen und weltlichen Institutionen zentrale, biblisch begründete Argumente der zitierten Art immer wieder auf, die die lange Dauer der Rechtfertigung bestimmter Positionen verdeutlichen. Mit anderen Worten: In vielen Problemfeldern waren die geistlichen Autoren gewiss keine neutralen Beobachter des Geschehens, sondern Verfechter kirchlicher Positionen, die auch die Vorstellungen vom Eingreifen Gottes in die Welt beeinflussten.

Dieser entschiedenen Hervorhebung der eigenen Stellung seitens der Kirche stand allerdings in vielen Zeiten des Mittelalters die Vorstellung vom »Sakralkönigtum« entgegen, mit der den Herrschern ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zugestanden wurde, weshalb man vonseiten der Kirche kaum auf ihrer Unterordnung und ihrem Gehorsam bestehen konnte.58 Viele Autoren geistlichen Standes vor allem aus der direkten Umgebung der Könige haben diese Lehre vertreten und bestimmte Taten der Könige dementsprechend positiv bewertet. Sie wurden allerdings auch schon im 9. Jahrhundert von Erzbischof Hincmar von Reims wegen ihrer Haltung angegriffen und als Vertreter von »Hoftheologie« abzuwerten versucht.59 Das aus ihrer sakralen Stellung resultierende Bewusstsein der Könige, ein Recht zum Eingriff in kirchliche Belange zu haben, wurde aber durch die im Mittelalter allgemeingültige Maxime verstärkt, dass derjenige, der Schutz gibt, auch berechtigt ist, Herrschaftsansprüche zu stellen.60

Da Könige aber den Schutz der Kirche als eine ihrer wichtigsten Aufgaben akzeptierten, leiteten sie hieraus auch den Anspruch ab, Herrschaft über die Kirche ausüben zu können, sei es durch die Einsetzung von Bischöfen oder durch die Forderung von Diensten der Kirche wie Gastung oder auch der Heeresfolge ihrer Vasallen.61 Wie weit diese Instrumentalisierung der Kirche gehen konnte, war auch unter Klerikern alles andere als unumstritten. Angesichts solcher unterschiedlichen Positionen scheint es dringend geboten, sich stets zu vergewissern, aus welcher Grundhaltung mittelalterliche Autoren ihre historischen Darstellungen und Wertungen verfassten.

Seit dem Frühchristentum ist das entsprechende Verhältnis der Geistlichen zu den Gläubigen häufig mit dem Bild vom guten Hirten und der Herde seiner Schafe beschrieben worden, das auch im frühen und hohen Mittelalter noch omnipräsent war.62 Mit dieser Metapher brachte vor allem Papst Gregor I. in seiner regula pastoralis kirchlichen Funktionsträgern ein Leitungskonzept nahe, das sich von königlicher und sonstiger Machtausübung deutlich unterschied. Der ›gute Hirte‹ mahnte, korrigierte und leitete, ohne sich über die Geleiteten zu erheben – so zumindest die Theorie.63 Damit unterschied er sich ganz wesentlich von denen, die in weltlichen Angelegenheiten die Leitung innehatten, was Gregor I. überzeugend als biblische Forderung ausweisen konnte: »Damit aber die Seele des Vorstehers sich nicht zu eitler Freude an seiner Macht verlocken lasse, sagte der Weise sehr richtig: ›Hat man dich zum Vorsteher gewählt, so erhebe dich nicht, sondern sei unter ihnen wie einer aus ihrer Mitte‹ [Sir. 32,1]. Deshalb sagt auch Petrus: ›Weidet die euch anvertraute Herde nicht als solche, die über das Erbe Gottes herrschen, sondern Vorbild der Herde geworden sind von Herzen‹ [1. Petr. 5]. Darum sagt auch die ewige Wahrheit selbst, uns zu höherer Tugendbildung ereifernd: ›Ihr wisset, dass die Fürsten der Völker über diese herrschen und die Großen Gewalt über sie ausüben. Nicht so soll es unter euch sein, sondern wer immer unter euch groß werden will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, gleichwie der Menschensohn nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen‹ [Matth. 20,25–28].«64

Die Geschichte dieser Metapher vom ›guten Hirten‹ und seinem Profil, die so viel über das Verhältnis von Kirche und weltlicher Herrschaft in dieser Zeit aussagt, ist bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts geschrieben,65 sodass hier nur auf zwei Kronzeugnisse hingewiesen sei, die deutlich machen, wie entschlossen einerseits auch weltliche Herrscher die Position des Hirten einzunehmen versuchten, mit wie viel Nachdruck andererseits die Kirche schon in der Karolingerzeit ihren Anspruch auf Mahnung und Leitung der Mächtigen zur Geltung gebracht hat. Wesentliche Hilfen bei der Einlösung dieses Anspruchs gaben aber die Verweise auf Belohnungen, Prüfungen und Strafen Gottes, mit denen die Menschen wie die Herrscher auf dem rechten Weg gehalten wurden.

In der Zeit Karls des Großen war die Funktion des mahnenden Hirten, wie die admonitio generalis von 789 ausweist, sogar weitgehend auf den König Karl selbst zugeschnitten, wie er unverblümt in dem Kapitular formuliert: »Niemand halte, so bitte ich, diese fromme Ermahnung für vermessen, mit der wir Fehler berichtigen, Überflüssiges wegschneiden und Rechtes durchsetzen wollen, sondern nehme sie vielmehr mit Wohlwollen und Liebe entgegen. In den Büchern der Königreiche lesen wir nämlich, wie der heilige Josias danach strebte, das ihm von Gott gegebene Reich durch Bereisen, Berichtigen und Belehren wieder zur Anbetung des wahren Gottes zurückzurufen – nicht, dass ich mich seiner Heiligkeit gleichstellen wollte, sondern weil wir überall und ständig dem Vorbild der Heiligen folgen müssen und es vonnöten ist, wen immer wir können, um uns zu scharen im Eifer für ein gutes Leben zum Lob und Ruhm unseres Herrn Jesus Christus.«

Hier wird mit dem Verweis auf biblische Beispiele der königliche Anspruch auf Leitung der Herde formuliert. Wie selbstverständlich ist die Aufgabe des Mahnens, Korrigierens und Leitens dem König vorbehalten: Priester sind auf den Status des Ratgebers zurückgedrängt, der sogar seinen Rat vorweg dem König vorzulegen hatte, bevor er ihn geben durfte, wie wir späteren Ausführungen Erzbischof Hincmars von Reims entnehmen können.66

Wie schnell sich diese Situation durch den Wandel äußerer Umstände aber ändern konnte, zeigen die Ausführungen der Pariser Synode vom Jahre 829, die sich im Auftrage Ludwigs des Frommen, aber ohne Anwesenheit des Kaisers, mit der von Ludwig gestellten Frage beschäftigte, wie es dazu hatte kommen können, dass das Frankenreich vom rechten Weg abgekommen war. Niederlagen, Unglücke und vor allem Zwietracht unter den Franken, die man sich nur als Folgen von Gottes Zorn vorstellen konnte, hatten beim Kaiser und seiner Umgebung die Einsicht geschaffen, dass man von den Bischöfen in Erfahrung bringen müsse, wie der fränkische Herrschaftsverband auf den rechten Weg zurückgeführt werden könne.67 Die Bischöfe nutzten diese Gelegenheit zu einer systematischen Durchsicht der Bibel und zur Zusammenstellung aller Belege, die etwas zur Frage der Verantwortlichkeit der Bischöfe und Kleriker gegenüber weltlichen Machthabern aussagten.

Als Antwort wurde unter vielem anderem festgestellt, dass unbedingt die Mahnfunktion der Bischöfe gegenüber dem Kaiser wieder zur Geltung gebracht werden müsse.68 Zahlreich waren auch die biblischen Belege, die deutlich machten, dass die Herrscher den Rat der Kleriker nicht nur einzuholen, sondern auch zu befolgen hätten, wenn sie in Frieden regieren wollten.69 Dass die Bischöfe es ernst mit ihren Aussagen meinten, wiesen sie vier Jahre später nach, als sie im Zusammenwirken mit seinen rebellischen Söhnen Ludwig den Frommen in Soissons zu einer öffentlichen Kirchenbuße veranlassten mit dem Ziel, ihn als Kaiser abzusetzen und ihn zum freiwilligen Eintritt in ein Kloster zu bewegen.

In einer relatio, die alle beteiligten Bischöfe unterschrieben und König Lothar übergaben, betonten sie gleich am Anfang, dass ihrer »Wachsamkeit und Sorge« das Seelenheil aller anvertraut sei. Sie seien die »Stellvertreter Christi und Schlüsselträger des Himmelreiches«. Sie besäßen die Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 16,18). Mit Ezechiel 3,18 begründeten sie die Gefahr für ihr eigenes Seelenheil, wenn es ihnen nicht gelänge, »den Schuldigen von seinem schuldhaften Weg abzubringen.« Von ihnen würde »Rechenschaft für sein Blut« gefordert. Deshalb hätten sie Kaiser Ludwig, »der den priesterlichen Ermahnungen nicht habe folgen wollen«, verurteilt, um zu zeigen, wie groß »die Gewalt und die Macht des priesterlichen Amtes« sei.70 Es ist gewiss kein Zufall, dass diese Ezechiel-Stelle in den Briefen Papst Gregors VII. wieder häufig als Argument in einschlägigen Fragen begegnet.71

Die Hinweise auf diese Hartnäckigkeit der Kirche in Bezug auf ihr Recht und ihre Pflicht zur Beeinflussung der Mächtigen, die hier nicht weiterverfolgt werden müssen, mögen ausreichen, um einsichtig zu machen, dass ihre Vorstellungen vom Eingreifen Gottes in die Welt eine hervorragende Bedeutung für ihre Einflussnahme auf die Mächtigen besaßen.

Diese Perspektive betrifft aber nur eine Seite der Medaille. Neben ihrem Selbstverständnis als Kleriker und dem Bewusstsein ihrer Verantwortung für ihre Herde, zu der nach ihrer Meinung auch die Könige gehörten, gab es bei den Autoren vielfältige Beziehungen und Loyalitäten zu den in ihren Werken Agierenden. Nicht zufällig sprechen wir heute von Haus-, Hof- oder von Institutionengeschichtsschreibung: Viele Autoren schrieben Geschichte im Sinne der Institution, der sie angehörten, von der sie zu dieser Arbeit aufgefordert worden oder der sie in anderer Weise verpflichtet waren. So entstanden Kloster- und Bistumsgeschichten, Dynastie- und Stadtgeschichten, oder auch Biographien, die von Mitgliedern der Institutionen oder von Klerikern geschrieben wurden, die in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu den Personen standen, deren geschichtliches Wirken sie beschrieben und bewerteten. Solche Abhängigkeiten machen sich in devoten Widmungsadressen und -gedichten wie im panegyrischen Grundton der Geschichtswerke bemerkbar und sind bei jeder Bewertung in Rechnung zu stellen. Häufiger verdanken sich Geschichtswerke aber auch konkreten Anlässen, die eine bestimmte Darstellungsabsicht zur Folge hatten:72 Mit der historischen Darstellung wurden Argumente aus der Geschichte vorgeführt, die zur Lösung aktueller Probleme beitragen sollten. Diese Absicht musste nicht einmal konkret angesprochen werden, konnte aber dennoch die Wertungen in zentraler Weise beeinflussen.

Aus diesen Hinweisen wird hoffentlich deutlich, dass einschlägige Aussagen über das Eingreifen himmlischer oder teuflischer Mächte in irdisches Geschehen in jedem Fall einer differenzierten quellenkritischen Prüfung unterzogen werden müssen, um etwaige Funktionen dieser Nachrichten hinsichtlich der Anklage oder Verteidigung, des Lobes oder der Kritik der betreffenden Personen zu erkennen. Auch hier ist natürlich mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Autoren einen Zweck verfolgten, der für sie die eingesetzten Mittel heiligte und deshalb auch zweckgebundene Deutungen rechtfertigte.

3.3Religiöse oder politische Argumente?

Eines der Hauptziele dieser Untersuchung ist die Beantwortung der Frage, ob die Feststellung des Eingreifens transzendenter Mächte in die Welt allein auf religiöser Überzeugung und dem Glauben beruhte oder ob noch andere Faktoren die Entstehung einer solchen Auffassung beeinflussten. Was sich auf den ersten Blick als eine von religiösen Vorstellungen geprägte Argumentation ausweist, kann sich bei näherem Hinsehen durchaus als politische Argumentation entpuppen, weil das religiöse Argument in der politischen Absicht verwendet wurde, dem Freund zu nutzen oder dem Gegner zu schaden. Anders ausgedrückt: Man muss die jeweilige Argumentation auch dahingehend überprüfen, ob sie bei Freund und Feind benutzt wird oder ob man im Falle der eigenen Verbündeten und Freunde das Narrativ des Eingreifens transzendenter Mächte anders einsetzte als bei den Gegnern und Feinden. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Unterscheidung in jedem Falle gelingen kann.

Der bisherige Überblick über das Material vermittelt jedoch den Eindruck, dass in aller Regel den eigenen Leuten, Freunden und Verbündeten die Unterstützung Gottes und der transzendenten Mächte attestiert und den Gegnern deren Strafen angehängt werden. Genauso wird Ersteren im Falle von Missgeschicken eine Prüfung Gottes bescheinigt, die sie durch Änderung ihres Verhaltens oder andere Maßnahmen bestanden haben oder bestehen können. Gegnern und Feinden wird dagegen bei Niederlagen und Missgeschick geradezu gnadenlos attestiert, dass sie von einer Strafe Gottes betroffen worden seien. Dieser Befund kann wohl nicht wirklich überraschen.

Die Auffälligkeiten setzen sich fort bei der Beobachtung, dass selbst bei militärischen Katastrophen die eigenen Leute das Thema eines göttlichen Eingreifens nicht ansprechen. Helmut Beumann hat schon vor Langem unter dem Stichwort »die Hagiographie bewältigt« gezeigt, wie sächsische Autoren mit dem Trauma der Niederlage ihres Stammes gegen Karl den Großen umgingen:73 Sie erklärten die sächsischen Niederlagen und ihre Unterwerfung eben nicht mit einer Strafe Gottes, sondern sie deuteten die Unterwerfung der Sachsen zu einer Verbindung der Franken und der Sachsen zu einem Volk (una gens) um. Oder sie erklärten die vernichtende Niederlage, die das Heer des duxBrun, eines Onkels König Heinrichs I., im Februar 880 gegen die Wikinger erlitt, nicht als Folge von Sünden dieser Sachsen. Vielmehr gab man einer Überschwemmung die Schuld, die den Sachsen den Platz zum Kämpfen genommen habe.74 Bei diesem Treffen wurden immerhin der Anführer Brun, zwei Bischöfe, elf Grafen und 18 königliche satellites getötet, derer man namentlich im Kloster Fulda und auf der Reichenau gedachte, die man aber auch in das Gebetsgedenken der liudolfingisch-ottonischen Familie aufnahm.75 Es ist zudem symptomatisch, dass die Familie danach den Namen Brun nur noch Personen gab, die für die geistliche Laufbahn bestimmt wurden, nicht mehr für solche, die weltliche Herrschaft ausübten. Man wird dies als einen Versuch deuten dürfen, durch diese Maßnahmen Gottes Gnade für das Geschlecht zurückzugewinnen. Explizit war jedoch nie von der Niederlage als Strafe Gottes für die Sachsen oder den Herzog Brun die Rede.

Selbst ein früher Herrschertod wie der Kaiser Ottos III. mit 23 Jahren, der sich zudem bei einem militärischen Feldzug gegen Rom, die Stadt des heiligen Petrus, ereignete und als Rachefeldzug gegen die Römer geplant war, hat bei aller Kritik an Ottos Rompolitik durch Zeitgenossen nicht zu der Folgerung geführt, dass der frühe Tod durch ein Eingreifen Gottes herbeigeführt worden sein und dem Kaiser die ewige Verdammnis beschert haben könnte. Vielmehr gab man sich immense Mühe nachzuweisen, dass Ottos Verhalten im Moment des Todes darauf deute, dass er in den Himmel aufgenommen worden sei.76

Selbst ein anderer Angriff auf Rom und den Papst, wie ihn 1167 Friedrich Barbarossa unternahm, setzte bei seinen politischen Helfern und Unterstützern kein fassbares Nachdenken über ein mögliches Eingreifen Gottes in Gang, als dessen Heer nach der Einnahme Roms von einer Seuche heimgesucht wurde und eine Unzahl plötzlicher Todesfälle zu beklagen hatte. Der Kaiser war deshalb zu überstürzter Flucht aus Rom gezwungen. Die Sache wurde auf staufischer Seite vielmehr ohne eine Frage nach ihrer Ursache berichtet.77 Dass die päpstliche Reaktion – also die der Gegenseite – ganz anders ausfiel, kann nicht überraschen.78

Denn natürlich gibt es Beispiele, in denen vergleichbare Situationen, die sich bei Gegnern oder Feinden ereigneten, mit beträchtlichem Eifer ausgeschlachtet und mit viel Phantasie durch angebliche Bekenntnisse der Betroffenen angereichert wurden, dass sie im Augenblicke ihres Todes sähen, wie sie angesichts ihrer Verfehlungen von Dämonen abgeholt und der ewigen Verdammnis übergeben würden.79

Angesichts solcher Befunde, die belegen, dass die religiöse Vorstellung vom Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen nicht ohne Beachtung der politischen Parteienkonstellation eingesetzt wurde, stellt sich die Frage, wie sehr solche Argumentationen von der politischen Parteinahme beeinflusst oder gar dominiert wurden. Es gehört daher zu unseren Leitfragen, auch wenn sie nicht in jeder Einzeluntersuchung explizit angesprochen werden, inwieweit die religiöse Vorstellung vom Eingreifen Gottes als eine politische Waffe genutzt worden ist, mit der man die Gegner diffamierte und ins Unrecht setzte. Während man die eigenen Leute in vergleichbaren Fällen von solchen Anschuldigungen verschonte bzw. durch vorauseilende Gegendarstellungen solcher Anklage die Wirkung zu nehmen versuchte.