Gott für Neugierige - Fabian Vogt - E-Book

Gott für Neugierige E-Book

Fabian Vogt

4,9

Beschreibung

Was ist eigentlich "Glauben"? Existiert Gott wirklich? Hat das Leben einen Sinn – oder macht das alles nur noch komplizierter? Ist Vergebung eine Sünde wert? Warum gibt es so viel Leid in der Welt? Braucht man bei "Dreifaltigkeit" eine Hautcreme? Und: Kann im Himmel auch mal die Hölle los sein? Fabian Vogt gibt Antworten: Fundiert, übersichtlich und dabei höchst unterhaltsam entschlüsselt er die großen Themen der Theologie und macht Lust, den eigenen Fragen auf den Grund zu gehen. Das Buch ist ein Lesevergnügen für Heiden wie für Fromme aller Couleur.

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Fabian Vogt

Gott für Neugierige

Das kleine Handbuch himmlischer Fragen

Fabian Vogt, geboren 1967 in Frankfurt am Main, ist Schriftsteller und Künstler, wenn er nicht gerade als promovierter Teilzeit-Theologe kreative Ideen für „kirchliche Kommunikationskonzepte“ entwickelt – oder seine Leidenschaft für Geschichten auf der Kabarettbühne auslebt („Duo Camillo“). Für sein Roman-Debüt „Zurück“ wurde er mit dem „Deutschen Science Fiction-Preis“ ausgezeichnet, zudem hat er mehrere Kleinkunstauszeichnungen erhalten. Fabian Vogt lebt mit seiner Familie im Vordertaunus.

In der Reihe „Für Neugierige“ sind bislang erschienen:

„Luther für Neugierige“

„Bibel für Neugierige“

„Kirchengeschichten für Neugierige“

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2020 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

2. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2020

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Form enorm · Friederike Arndt · Leipzig

Coverabbildung: Thees Carstens, Hamburg

Autorenfoto: Nicole Kohlhepp © 2011 Gemeinnützige MEDIENHAUS GmbH, Frankfurt/​M.

ISBN 9783374065851

www.eva-leipzig.de

Für alle,

die gerne gedanklich

auf Schatzsuche gehen.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Einführung: Ein Bild von einem Gott

Was ist eigentlich Glaube?

Von der Kunst zu vertrauen

Gibt es Gott?

Auf der Suche nach dem „ganz Anderen“

Was ist der Sinn des Lebens?

Antworten auf die Frage aller Fragen

Was will Gott uns sagen?

Eine zutiefst menschliche Botschaft

Wozu braucht es die Kirche?

Gemeinsam sind wir stark

Ist „Sünde“ nicht überholt?

Was uns trennt und was uns vereint

Wie kann Gott das Leid zulassen?

Die himmlische Verantwortung

Was macht ein Leben heil?

Das Geheimnis der Gnade

Warum weht der Geist, wo er will?

Die Lust an der Begeisterung

Wo führt das alles hin?

Ein mutiger Blick in die Zukunft

Wegweisendes zum Schluss

Register

Vorwort

Was ist eigentlich „Glauben“? Existiert Gott wirklich? Und wenn ja: Wie ist er dann so? Hat das Leben einen Sinn? Oder macht das alles nur noch komplizierter? Ist Vergebung gelegentlich eine Sünde wert? Und warum erleben wir so viel Leid in der Welt, wenn doch angeblich ein guter „Vater im Himmel“ über uns wacht? Spannend, nicht wahr?

Das sind lauter verzwickte Fragen, die es in sich haben und die nur darauf warten, beantwortet zu werden. Finde ich jedenfalls. Na ja, und es geht ja noch weiter: Braucht man bei „Dreifaltigkeit“ eine Hautcreme mit Aloe Vera? Wartet auf alle Menschen das „Jüngste Gericht“ – oder sollten wir uns eher vor dem „Ältesten Gericht“ fürchten? Und wenn nach dem Tod tatsächlich noch was kommt: Ist dann im Himmel auch mal die Hölle los?

Aber jetzt ganz ernsthaft: Was meinen „Glaubende“ überhaupt, wenn sie von „Gott“ reden? Lässt der sich irgendwie erklären? Oder, besser gesagt, kann man Gott wenigstens annäherungsweise beschreiben? Vor allem aber: Wie erkennt man Gott, wenn es ihn denn gibt? Schließlich macht es einen großen Unterschied, ob wir uns den oder das „Göttliche“ eher als eine unsichtbar wabernde Macht vorstellen, die irgendwie alles umfließt, oder als einen himmlischer Buchhalter, der mit einem Sternen-Teleskop nach Art eines fremdländischen Geheimdienstes die Menschen kontrolliert – oder ob Gott einfach die Liebe ist, wie einige Romantiker gerne betonen. Wobei man in diesem Fall ehrlich eingestehen müsste: Wenn Gott die Liebe ist, würde das, mathematisch betrachtet, auch bedeuten, dass die Liebe Gott ist. Also, alles ganz schön kompliziert.

Nun, möglicherweise haben ja doch die Karikaturisten Recht, die Gott in ihren Skizzen so gerne als altklugen Verschnitt von Gandalf und Professor Dumbledore präsentieren, also als älteren, weisen Herrn, der zwar immer ein bisschen mehr weiß, aber auch schon reichlich betagt ist. Obwohl, wenn Gott wirklich derartig langbärtig aussähe, wäre das für mich ein hinreichender Grund, noch mal grundsätzlich zu überlegen, ob ich ihn mir wirklich vorstellen möchte? Und ob man das überhaupt darf?

Sie sehen schon, das mit Gott kann eine äußerst interessante Auseinandersetzung werden. Zudem muss ja auch noch geklärt werden, was eigentlich Jesus Christus, der Heilige Geist, die Kirche, das Heil der Welt, die Sünde und mein schrulliger Ortspfarrer mit diesem unfassbaren „Weltenlenker“ zu tun haben? Das Schöne ist: Viele der eben genannten Fragen sind so existentiell, dass ihre Klärung möglicherweise einige Konsequenzen für unseren Alltag hätte. Außerdem finde ich sie schlichtweg unglaublich faszinierend. Darum möchte ich in diesem Buch versuchen, mit Ihnen dem geheimnisvollen „Gott“, von dem die Bibel erzählt, auf die Spur zu kommen.

Allerdings gebe ich zu: Leicht ist das nicht. Wie soll man über einen Gott (oder gar: mit ihm) reden, den man weder sehen noch anfassen und vermutlich auch nicht begreifen kann? Klingt nach einer Riesenherausforderung. Und das ist es auch. Andererseits könnte es sich lohnen, diesem Thema ein bisschen nachzuspüren, weil die Bibel ja unentwegt davon schwärmt, dass einem Menschen nichts Schöneres und Befreienderes passieren kann, als Gott kennenzulernen. Na, die hat gut reden. Das ist so, als ob eine Traumfrau ihrem Verehrer zuflüstert: „Ich freue mich, wenn du mich anrufst“ – und dann ihre Telefonnummer nicht verrät.

Also: Kann man Gott beschreiben oder nicht? Und wer hilft einem dabei weiter? Na, immerhin versuchen Menschen seit vielen tausend Jahren, Worte und Bilder zu finden, die helfen, das „Göttliche“ zu verstehen: Poeten und Sänger, Träumer und Visionäre, Propheten und Schreiberlinge. Und natürlich die Theologen, die sich akribisch bemühen, das Heilige wissenschaftlich einzufangen. Nun bin ich selbst Theologe und liebe es, wissenschaftlich zu arbeiten, trotzdem gestehe ich reumütig: Viele der komplizierten Erklärungen und dogmatischen Vorstellungen, die die Forscher im Lauf der Zeit entwickelt haben, sind noch viel unverständlicher als Gott selbst. Leider.

Da wimmelt es nur so von diffizilen Fachausdrücken, da steigert man sich in abgehobene Spekulationen, da wird um feinste Randfragen gerungen – und oftmals hat das alles mit dem Leben des 21. Jahrhunderts (sprich: mit den ganz konkreten Bedürfnissen der Menschen heute) scheinbar kaum noch was zu tun. Als kleines Beispiel sei hier nur ein skurriler Zwist aus dem Mittelalter erwähnt, bei dem es um die hochgeistliche Streitfrage ging, „wie viele Engel wohl auf eine Nadelspitze passen“.

Ich behaupte: Selbst wenn jemand dieses absurde Problem hätte denkerisch lösen können, wäre die Antwort für das Leben der Glaubenden völlig irrelevant geblieben. Deshalb: Wenn ich mir etwas für jede Form des theologischen Arbeitens wünsche, dann, dass die Beschäftigung mit Gott verständlich und lebensrelevant ist.

Vielleicht kann man es so sagen: Natürlich sind die theologischen Forschungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler voller kluger Einsichten und Anregungen – man muss sie eben gelegentlich ein bisschen „herunterbrechen“ und in „unsere“ Sprache übersetzen. Und genau das versuche ich in diesem Büchlein. Anschaulich und nachvollziehbar.

„Gott für Neugierige“ fasst die Erkenntnisse vieler Theologinnen und Theologen der vergangenen Jahrhunderte auf unterhaltsame Weise zusammen – und zwar so, dass es (hoffentlich) Freude macht, sich mit ihnen zu beschäftigen, und dass man sie auch direkt zum eigenen Dasein in Bezug setzen kann. Denn die großen Fragen nach dem Leben und dem Tod, nach dem Sinn des Daseins, nach dem, was ein Leben heil macht, oder etwa danach, wie man mit Niederlagen umgeht, stellen sich schließlich jeder und jedem. Das heißt: Es könnte ein existentielles Vergnügen werden, ein wenig genauer zu wissen, wie das nun ist mit „Gott und der Welt“.

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ein solcher Ansatz ein gewagtes Unterfangen darstellt. Hochkarätige Forschungskräfte bemühen sich ihr Leben lang, theologische Zusammenhänge absolut präzise auszuformulieren. Und dann komme ich und wage es, das „Komplexe“ leicht-sinnig und nachvollziehbar darzustellen. Deshalb bitte ich schon jetzt alle verehrten Akademiker um Vergebung, die über einen derart respektlosen Umgang mit der Wissenschaft vermutlich an manchen Stellen indigniert die Stirn runzeln – und freue mich mit den „Neugierigen“, die Lust haben, sich den Fragen nach dem Leben mal in dieser Form zu stellen.

Natürlich vereinfache ich manches. Klar! Ich verkürze. Ich „elementarisiere“, wie es heute so schön heißt. Und ich konzentriere mich auf wenige zentrale Aspekte der jeweiligen Themen. Aber genau das macht sie hoffentlich vielen zugänglich. Und wenn Sie nach der Lektüre dieses Buches denken: „So, jetzt besorge ich mir dazu noch mal ein richtiges Fachbuch, weil ich das Ganze so bedeutend finde“, dann wäre ich mehr als zufrieden.

Sie müssen übrigens beim Lesen nicht immer meiner Meinung sein. Denn ich habe natürlich beim Zusammenfassen der Theorien eine subjektive Auswahl getroffen und möchte vor allem einen kleinen, hilfreichen Überblick über die gängigen Vorstellungen geben. Wenn Sie etwas ganz anders sehen und in Gedanken anfangen, mit mir zu diskutieren – umso besser. Ich selbst habe im Studium immer dann am meisten gelernt, wenn mich eine Autorin oder ein Autor herausgefordert hat, mir eine eigene Meinung zu bilden. Das heißt: Ich beantworte hier nicht nur Fragen, ich stelle gelegentlich auch welche …

Ach ja: Wenn jemand christliche Theologie studiert, dann behandelt er die Frage nach Gott und die weiteren Schwerpunkte dieses Buches im Fach „Dogmatik“. Dieser Forschungszweig beschäftigt sich vor allem mit der „Glaubenslehre“ und versucht zu erkunden und zu beschreiben, woran Christinnen und Christen glauben. Und natürlich ist die Dogmatik wiederum in viele Untergebiete aufgeteilt.

Ich habe meine Kapitel bewusst an Fragen aufgehängt, die mir im Alltag als Pfarrer regelmäßig begegnen. Damit Sie aber gelegentlich auf einer Party ein bisschen angeben können, verrate ich Ihnen trotzdem noch schnell, wie die dazugehörigen Schwerpunkte an den theologischen Fakultäten heißen (falls Sie es nicht schon längst wissen). Und gerade diese – aus dem Griechischen stammenden – Fachbegriffe zeigen sehr deutlich, wie sinnvoll es gelegentlich sein kann, mal ganz „untheologisch“ über Theologie zu sprechen.

Also: Die Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens wird in der Dogmatik im Rahmen des Menschenbildes behandelt und nennt sich „Anthropologie“, um Jesus kümmert man sich in der „Christologie“, alles, was mit Kirche zu tun hat, erforscht die „Ekklesiologie“, und die Frage nach der Sünde beschäftigt die „Hamartiologie“. Wie ein Mensch Heil erfährt, klärt die „Soteriologie“, dem „Heiligen Geist“ jagt die „Pneumatologie“ nach, und wer wissen möchte, wie Gott sich die Zukunft vorstellt, der landet in der „Eschatologie“. Zudem bemühe ich mich, in einem Kapitel eine Antwort auf die sogenannte „Theodizee“ anzudeuten, also auf die Frage, warum Gott nichts oder zumindest „so wenig“ gegen das Leid tut. Das alles bekommen Sie in geballter Form in diesem Buch. Nicht schlecht, oder?

Nun würden Sie vielleicht gerne noch wissen, warum dieses fröhliche Brevier die anmaßende Bezeichnung „Handbuch“ hat? Ganz einfach: Möchte man im 21. Jahrhundert irgendwoher Antworten bekommen – etwa weil der Computer kryptische Warnmeldungen ausspuckt, das Auto fürchterlich quietscht und qualmt, ein unbekanntes, zwei Meter langes Reptil im Garten herumkriecht oder die Liebesbeziehung in die Weltfinanzkrise gerät – dann besorgt man sich … genau: ein Handbuch. Zum Nachschlagen. Zum Informieren. Und zum Lösungen finden.

Nun, das, was Sie gerade in den Händen halten, versteht sich in diesem Sinn als Handbuch. Eben eines der „Dogmatik“. Und es hat den festen Willen, ihre Fragen zu beantworten: Fundiert, hilfreich, übersichtlich und dabei fröhlich bietet es so etwas wie eine kleine „Gebrauchsanleitung“ für die Grundfragen des Glaubens.

Und ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich Ihnen sage: Ohne solche Anleitungen würde ich vieles in meinem Alltag nicht verstehen. Das heißt aber auch: Wissbegierige können dieses Buch gerne in einem Rutsch durchlesen, andere schauen vielleicht aus einem speziellen Interesse erst einmal nur eine bestimmte Thematik an. Beides ist erlaubt.

So, und jetzt geht es los! Wir machen uns auf eine abenteuerliche Reise ins sagenumwobene Land der „Theologie“ – in die Welt der „Geheimnisse des Glaubens“. Und ich hoffe, dass Sie am Ende sagen können: „So, jetzt weiß ich endlich mal, wie das alles zusammenhängt.“ Weil ein systematischer Überblick den Horizont weitet. Weil Sie dann jede einzelne Sonntagspredigt viel besser einordnen können. Und weil Sie vielleicht Lust bekommen, wieder einmal ganz neu zu fragen, was das alles mit Ihnen zu tun hat.

Eine anregende Lektüre wünscht

Fabian Vogt

Einführung

Ein Bild von einem Gott

Eigentlich dürfte es das Fach „Dogmatik“ in der Theologie gar nicht geben. Warum? Nun, weil Gott höchstpersönlich in den Zehn Geboten gefordert hat: „Macht euch kein Bild von mir!“ Zwar ging es damals, vor dreitausend Jahren auf der ägyptischen Halbinsel Sinai, vordergründig um Götzenbilder aus Stein, Holz oder Gold, die in vielen Religionen des Orients angebetet wurden. Doch dahinter steckt natürlich mehr: Jede Statue, jedes Bildnis und jede Kultfigur ist ein menschlicher Versuch, das „Göttliche“ einzufangen, ihm eine bleibende Gestalt zu geben, es festzulegen und zugleich zu begrenzen. Und genau dazu sagt Gott: „Nein!“

Denn eines ist klar: Kein von Menschen gemachtes Bild könnte „Gott“ jemals gerecht werden. Wie auch? Keine irdische Darstellung wäre auch nur annähernd in der Lage, eine göttliche Eigenschaft so wiederzugeben, dass diese damit hinreichend sichtbar gemacht würde. Und das gilt eben nicht nur für geschnitzte Fetische oder in Stein gehauene Heiligtümer, sondern letztlich für jede Form der Veranschaulichung, die den Anspruch erhebt, etwas Gültiges über Gott auszudrücken. Sei es in Form einer dogmatischen Aussage („So ist Gott!“), in Gestalt einer verallgemeinernden Richtlinie („Gott sieht alles!“) oder auch nur in der Art einer indirekten Vorgabe („Gott will, dass in unseren Gottesdiensten Orgel gespielt wird!“).

Man kann sogar sagen: Immer, wenn jemand eine bestimmte Vorstellung von Gott „zementiert“, wird es gefährlich – weil sich diese Vorstellung schnell und klammheimlich zwischen Gott und den Menschen „schiebt“. Man sieht dann nur noch das fertige Bild von Gott und nicht mehr den, den es darstellen will. Sprich: Die menschlichen Anschauungen von Gott werden nach und nach wichtiger als Gott selbst. Man beschäftigt sich dann, ohne es bewusst wahrzunehmen, nicht mehr mit dem „Göttlichen“ an sich, sondern nur noch mit dem Bild, das man von Gott hat. Und das heißt auch: Man betet nicht mehr Gott an, sondern eben „ein Bild“ von ihm. Der allmächtige „Schöpfer“ wird zurechtgestutzt auf ein persönliches Wunschideal und damit ganz klein gemacht. Handhabbar und gebrauchsfertig.

Mehr noch: Der Gott, dessen jüdischer Name ursprünglich von dem hebräischen Wort für „Leben“ abgeleitet ist, wird in seiner Lebendigkeit massiv eingeschränkt, wenn ihn jemand quasi in „Worten“ oder „Bildern“ an die Kette legen will. Darum sprechen gläubige Jüdinnen und Juden ja den Namen Gottes bis heute nicht einmal aus, weil sie der Meinung sind, dass sich kein Mensch anmaßen sollte, das Heilige auch nur im Mund zu führen. Was sind schon gehauchte Silben? Wie könnten sie Gott fassen? Aus dem gleichen Grund schreibt der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Weil alles, was einmal Schwarz-auf-Weiß verewigt, also im wahrsten Sinne des Wortes „festgeschrieben“ wurde, fortan in einer Formulierung gefangen ist. Gehalten. Begriffen. Dass Gott so nicht eingesperrt werden möchte, kann ich gut verstehen.

Das Gebot „Du sollst dir kein Bild machen!“ schützt Gott also davor, zum Spielball der Menschen zu werden. Und es schützt den Menschen davor, sich beim Glauben nur auf ein plattes Abziehbild der eigentlichen Schönheit Gottes einzulassen. Der tiefsinnige Dichter Rainer Maria Rilke hat deshalb einmal über das Heilige geschrieben:

Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;

so dass schon tausend Mauern um dich stehen.

Denn dich verhüllen unsre frommen Hände,

so oft dich unsre Herzen offen sehen.

Dahinter versteckt sich tatsächlich ein Problem, unter dem alle Kirchen leiden: Sobald ein Mensch eine Gotteserfahrung macht oder meint, eine Facette des Göttlichen erkannt zu haben, gestaltet er daraus aus verständlichen Gründen ein Bild. Doch genau dieses Bild „versperrt“ ihm fortan den freien Blick auf Gott. Ja, gerade sehr fromme Menschen halten sich gerne an einer bestimmten Idee von Gott fest und merken gar nicht, dass sie an der „Fülle des Lebens“, von der Jesus spricht, nicht mehr teilhaben, weil sie so auf ihre kleine sakrale Nische fokussiert sind.

Dazu kommt: Fast immer, wenn irgendeine Glaubensgemeinschaft behauptet, sie wisse genau, wie Gott ist (und sich deshalb heiliger fühlt als alle anderen), führt das in der Folge zu „Mord und Totschlag“. Es gibt also gute Gründe, die Zehn Gebote an dieser Stelle ernst zu nehmen. Auch wenn das für die „Dogmatik“, und damit für alle Freunde einer anschaulichen Glaubenslehre, eine ungeheure Anfechtung bedeutet.

Entscheidend ist: Im Zentrum des biblischen Bilderverbots steht die „Fixierung“, nicht das Bild selbst. Gott will auf keinen Fall vereinnahmt oder festgelegt werden, gegen Bilder an sich hat er gar nichts. Im Gegenteil: Jesus benutzt in seinen Reden und Predigten von morgens bis abends irgendwelche „Bilder“, um zu beschreiben, wie Gott ist. Ja, er schwelgt geradezu in liebevoll beschriebenen Illustrierungen, Parabeln, Metaphern und Allegorien. Doch er macht das ausschließlich zur Veranschaulichung, nicht um damit eine letztgültige Aussage über Gott zu treffen: Jesus legt das „Göttliche“ nicht fest, er deutet nur liebevoll an, womit man es vergleichen kann. Und ein Vergleich ist eben keine Definition.

Das vielleicht bedeutendste narrative Stilmittel ist für Jesus in diesem Zusammenhang das Wort „wie“. Ja, das kleine Wörtchen „wie“ … – drei unscheinbare Buchstaben machen einen Riesen-Unterschied. Jesus gebraucht nämlich nur ganz selten die Formulierung „Gott ist …“, was ja eine Fixierung wäre, sondern fast immer die Worte „Gott ist wie …“. Und dann erzählt er eine leidenschaftliche Geschichte, benutzt ein Gleichnis oder malt den Menschen ein Bild vor Augen, das ihnen hilft, etwas vom Wesen Gottes zu begreifen. „Gott ist wie …“, „Das Reich Gottes ist wie …“, „Stellt euch bitte mal Folgendes vor …“.

Wenn Gott nach einer solchen Einleitung dann mit einem liebevollen Vater, einem guten Hirten, einem Sämann, einem reichen Gutsbesitzer, einem weisen König oder einem einladenden Gastgeber verglichen wurde, dann war allen Beteiligten klar, dass Gott zwar bestimmte Eigenschaften eines „guten Hirten“ hat, aber dass er natürlich nicht einfach ein „Hirte“ ist, wie man ihn damals überall auf den Feldern sah. Sprich: Jeder, der jetzt hinginge, und Gott fortan nur noch als Hirten bezeichnen und damit alle anderen Aspekte seines Wesens vergessen würde, hätte die Ebene des „Wie“ verlassen und damit gegen das Bilderverbot verstoßen.

Deshalb kann man sagen: Ja, wir sollen und wir dürfen – so wie Jesus – gerne mit Hilfe von ganz unterschiedlichen Bildern und Gleichnissen versuchen, etwas von Gott deutlich zu machen. Aber es muss dabei klar bleiben, dass diese bildhaften Vorstellungen nicht den Anspruch erheben, abschließende Aussagen zu machen.

Nur: Das wissenschaftliche Credo eines Dogmatikers lautet natürlich: „Ich möchte gerne Letztgültiges sagen.“ Ja, ein Theologe möchte eindeutig und unmissverständlich beschreiben, was es mit Gott auf sich hat. Und auch dafür gibt es gute und sehr nachvollziehbare Gründe. Drei davon stelle ich Ihnen kurz vor, bevor wir richtig in die Thematik einsteigen:

1. Ein wesentlicher Grund für die Notwendigkeit einer guten Dogmatik war die Tatsache, dass sich das Christentum schon bald nach dem Tod und der Auferstehung Jesu in der Welt des Hellenismus verbreitete, also in die griechisch-römische Kultur eintrat. Das heißt: Während sich zu Beginn der christlichen Bewegung überwiegend Jüdinnen und Juden bekehrten (die ja aus der schönen orientalischen Tradition des Erzählens und Vergleichens kamen), interessierten sich bald immer mehr Menschen mit einem hellenistischen Hintergrund für die neue Lehre von diesem Zimmermann aus Nazareth. Und einige dieser Leute hatten „griechische Philosophie“ studiert, eine Wissenschaft, in der sehr viel Wert auf Logik gelegt wurde. Diese Gebildeten erwarteten ganz selbstverständlich, dass auch ein Glaubender aufgrund klarer Kriterien beschreiben kann, warum das, was er glaubt, wahr ist.

Zugespitzt kann man sagen: Die Hellenisten fanden weiche Formulierungen nach dem jesuanischen Muster „Gott ist wie …“ völlig unzureichend und forderten (in ihren Augen) verlässlichere Aussagen über das Wesen Gottes. Zudem existierten im römischen „Weltreich“, das von der griechischen Kultur stark geprägt wurde, damals dermaßen viele Gottheiten, dass die Menschen eindeutige Unterscheidungsmerkmale wirklich brauchten: „Bitte definiert uns, worin sich dieser Gott, von dem Jesus erzählt, von den vielen anderen Gottheiten in den Tempeln unterscheidet!“ Und die Christinnen und Christen ließen sich darauf ein: Sie bemühten sich nach bestem Wissen und Gewissen, den wissbegierigen Logik-Fans ein überzeugendes, klares Bild von Gott zu liefern. Und vergaßen dabei schnell die schöne Tradition des Geschichtenerzählens.

2. Ein zweiter ausschlaggebender Impuls für das Starkwerden der Dogmatik war das Aufkommen von Irrlehren. Schon zur Zeit des Apostels Paulus, also in der Mitte des 1. Jahrhunderts, erklärten plötzlich Leute lautstark: „Jesus wollte uns eigentlich etwas ganz anderes sagen, nämlich Folgendes …“ Und dann wurde irgendein beliebiger Quatsch behauptet: „Jesus möchte vor allem, dass wir Orgien feiern.“ Oder: „Jesus will, dass nur die in den Himmel kommen, die möglichst viel über Gott wissen.“ Oder: „Jesus hat kein Interesse daran, dass römische Bürgerinnen und Bürger Gott kennenlernen.“ Noch wilder wurde es, als sich an vielen Orten Gruppierungen bildeten, die sogar die zentralen Aussagen des Christentums in Frage stellten: „Jesus war gar kein Mensch, er sah nur so aus.“ Oder: „Der Gott, von dem Jesus erzählt, ist nicht der Gott des Alten Testaments.“ Oder: „Jesus ist nicht auferstanden.“